›› Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 Erfahrungen, Ergebnisse, Perspektiven S55
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›› Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 Erfahrungen, Ergebnisse, Perspektiven S55
S55 EDITORIAL ›› Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 B.-M. Bellach Robert Koch-Institut, Berlin Erfahrungen, Ergebnisse, Perspektiven Als Ende 1998 das Sonderheft zum Bundes-Gesundheitssurvey vorgelegt wurde, war die Feldarbeit noch in vollem Gange. Alle am Survey beteiligten Kooperationspartner stellten in dieser Sonderausgabe „Das Gesundheitswesen“ ihre Konzeptionen, Erhebungsinstrumente und Ziele der entsprechenden Survey-Module dar. Wenn wir genau ein Jahr später mit genau denselben Partnern erste Ergebnisse vorstellen, so ist das aus unserer Sicht ein Erfolg, der eine Reihe von Aspekten umfaßt: Die Feldarbeit für den Survey wurde erst im März dieses Jahres abgeschlossen. Die sich daran anschließende Phase der Datenvalidierung und -plausibilitätsprüfung mit den erforderlichen Korrekturarbeiten, Überprüfungen, Um- und Neucodierungen ist zwar letztendlich bei Fertigstellung des geprüften Datensatzes relativ unauffällig, in dem dafür erforderlichen Zeitaufwand aber nicht zu unterschätzen. Die interne und externe Qualitätskontrolle mit all ihren mühseligen Einzelschritten ist aber eine Investition in die Qualität der dann zur Verfügung stehenden Daten und in die Solidität der sich anschließenden Auswertungen. Wir alle haben voller Ungeduld auf die Freigabe des validierten Datensatzes gewartet und selbst intensiv an der Qualitätskontrolle mitgearbeitet. Der 15. September als der Tag, an dem der geprüfte Datensatz ins RKI-interne Netz eingestellt und zur Bearbeitung freigegeben wurde, war der frühestmögliche und ein hart erkämpfter Zeitpunkt. Die Vorstellung, nunmehr innerhalb von sechs Wochen erste Auswertungsergebnisse in eine publikationsfähige Manuskriptform zu bringen, die sowohl den formalen Ansprüchen des Verlages als auch den eigenen inhaltlichen Ansprüchen genügt, erschien fast illusorisch. Wir haben es trotzdem versucht, und wir sind stolz darauf, es geschafft zu haben. Warum aber diese Eile? Es gab und gibt Beispiele vergleichbarer Studien, die Jahre gebraucht haben, bis es zu ersten Ergebnispublikationen kam. Selbstverständlich werden wir mit diesen Surveydaten noch Jahre arbeiten wollen, können und müssen. Es gibt so vielfältige und komplexe Fragestellungen aus der epidemiologischen Forschung, aus der Gesundheitsökonomie, aus der Methoden- und Begleitforschung, daß die Mitarbeiter des Robert Koch-Instituts in ihrer internen Forschungsplanung über mehrere Jahre hinweg zu bearbeitende Projekte bereits definiert haben. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S55–S56 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Was bei dieser ersten gesamtdeutschen Gesundheitserhebung neu ist, ist der Aspekt der aktuellen Datenlieferung für die Bundes-Gesundheitsberichterstattung. Das Robert KochInstitut, das seit Januar 1998 zuständig ist für die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, hat im Hinblick auf diese Aufgabe ganz gezielt einen Survey konzipiert, der bestehende Datenlücken schließen hilft, der Fragen von gesundheitspolitischer und Public-Health-Relevanz beantworten kann und der vor allem dazu geeignet ist, solide und fundierte Antworten auf Fragen von öffentlichem Interesse zu geben. Mit dieser Zielstellung haben wir argumentiert in einer Phase, als es noch gar nicht sicher war, ob sich ein Gesundheitssurvey für die Bundesrepublik Deutschland würde überhaupt finanzieren lassen. Wir haben sehr um die Durchführung dieser aus unserer Sicht so wichtigen Erhebung gekämpft, gestritten und verhandelt. Wir wollen uns jetzt nicht zurücklehnen und uns auf unserem Datenschatz ausruhen. Jetzt werden wir zeigen, wie gut investiert das Geld für den Survey war und ist. Und wir wollen damit auch weitere gute Argumente dafür schaffen, daß ein ähnlich effizient konzipierter Kinder- und Jugendsurvey kein Investitionsrisiko darstellt, sondern dringend notwendig ist, um über den Gesundheitszustand unserer Kinder ebenso gut informiert zu sein wie über den der Erwachsenen. Diese erste Publikation zu Surveyergebnissen unter dem Logo der Gesundheitsberichterstattung (man beachte das Titelblatt!) kann natürlich nicht mehr sein als ein allgemeiner „Rundumschlag“, eine Auswahl ganz spezieller Themen, ohne auch nur den Anspruch annähernder Vollständigkeit erheben zu können. Diese Publikation ist auch nicht zu vergleichen mit einem Gesundheitsbericht; sie verdeutlicht lediglich Vorstufen und zu berücksichtigende Aspekte künftiger Gesundheitsberichterstattung. Wir sind aber sicher, daß die in diesem Heft zusammengeführten Publikationen Grundlage für weitere und tiefer gehende Auswertungen sein werden. Die Beschreibung der Stichprobe, der Responseraten, der Gewichtungen und der Erhebungsmethoden sind hier für alle künftigen Publikationen zitierfähig verankert. Die Berichte von der Feldarbeit, die praktischen Erfahrungen mit der Durchführung einer solch komplexen Erhebung, die Anmerkungen der Kooperationspartner fallen gewöhnlich unter den Tisch, wenn es an die wissenschaftlichen Publikationen geht, und geraten mit der Zeit in Vergessenheit. Sie sind dennoch wert, publiziert zu werden, damit neue Erhebungen ähnlicher Dimension auf S56 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 diese Erfahrungen zurückgreifen können. So manches Lehrgeld sollte nicht mehrfach gezahlt werden müssen. Wir haben bei unserem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 neue Instrumente erprobt, wie beispielsweise den SF-36 (Short Form 36 Questionnaire). Mit diesem inzwischen international akzeptierten Instrument zur Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität haben wir eine neue Normstichprobe für die erwachsene Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland erhoben und beschreiben diese hier anhand ihrer statistischen Kennwerte. Dies ist ebenso Voraussetzung für viele weitergehende Auswertungen wie die auch in diesem Heft dargestellte Neuberechnung des Schichtindex für die aktuelle Surveystichprobe. Damit ermöglichen insbesondere diese beiden Publikationen weiterführende Arbeiten anderer Autoren. Bei den 1991/92 noch in Ost- und Westdeutschland getrennt durchgeführten Gesundheitssurveys wurden etliche erwartete, aber auch unerwartete Unterschiede im Gesundheitszustand und im Gesundheitsverhalten der Bevölkerung in den beiden Teilen Deutschlands festgestellt. Mit unserer neuen Erhebung in ganz Deutschland können wir zehn Jahre nach dem Fall der Mauer die Frage nach der Entwicklung dieser Unterschiede beantworten. Beiträge in diesem Heft befassen sich unter anderem mit solchen Fragen wie: Ernähren sich Ostdeutsche noch immer ungesünder als Westdeutsche? Rauchen die Frauen in den neuen Bundesländern noch immer weniger als ihre Geschlechtsgenossinnen in den alten Bundesländern? Was ist aus den Unterschieden in der körperlichen Aktivität geworden? Sind Ostdeutsche noch immer dikker als Westdeutsche? Sind die Deutschen insgesamt schlanker geworden? Die Liste der Fragen, die da neugierig machen, läßt sich beliebig fortsetzen, nur ein erster Teil davon wird hier schon beantwortet werden. Diese Publikation soll ein Dankeschön sein an alle, die mit dazu beigetragen haben, daß der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 überhaupt möglich wurde. Dank zum einen an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), das die Grundfinanzierung ermöglicht hat, aber auch an das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), die entsprechende Zusatzmodule mitfinanziert haben. Zum anderen bedanken wir uns bei unseren Kooperationspartnern, wie dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dem Umweltbundesamt, dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie, die ebenso wie wir mit großem Einsatz darum gekämpft haben, daß die entsprechenden Zusatzerhebungen durchgeführt werden konnten. Wir bedanken uns bei der über Ausschreibung gewonnenen Institution I+G Gesundheitsforschung München, die die Feldarbeit über mehr als ein Kalenderjahr an verschiedensten Orten der Bundesrepublik realisiert und so manche extreme Belastungsprobe dabei bestanden hat, sowie bei der Firma Schwertner, Feldorganisation Augsburg, die eine externe Qualitätskontrolle durchgeführt hat, die zäh, kompromißlos, aber dennoch konstruktiv und vermittelnd war. Der Dank gilt auch all den Mitarbeitern des Robert Koch-Instituts, die durch ihre Arbeit unermüdlich zum Gelingen des B.-M. Bellach Surveys beigetragen haben. Dies sind weit mehr Personen, als hier als Autoren der Beiträge auftauchen. Dazu gehören die Fahrer des RKI, die die Blut- und Urinproben ans RKI transportiert und die Utensilien der Studienzentren im Wochenendrhythmus ab- und an anderen Orten wieder aufgebaut haben, das sind die Mitarbeiter des Zentrallabors, die unter Ableistung vieler Überstunden bis heute damit beschäftigt sind, die wertvollen Proben fachgerecht aufzubereiten, zu lagern und zu analysieren. Es sind die Mitarbeiter unserer Verwaltung, insbesondere des Haushalts- und des Rechtsreferates, die ohne die mit dem Survey zusammenhängenden zusätzlichen Arbeiten heute sicherlich einige graue Haare weniger hätten. Es sind aber auch die Mitarbeiterinnen der Abteilung Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, die zuverlässig und akribisch Daten eingegeben, geprüft, ausgewertet und tabellarisch aufbereitet haben. Stellvertretend für diese sei hier nur Frau Petra Ross genannt, der u.a. die schnelle technische Fertigstellung dieses Sonderheftes zu verdanken ist. Last, but not least: Stellen Sie sich vor, es ist Bundes-Gesundheitssurvey und keiner geht hin! Daher sei hier allen Probanden gedankt, die die Prozedur der Surveyerhebung haben über sich ergehen lassen und mindestens zwei Stunden ihrer Freizeit geopfert haben, um uns die Informationen zu liefern, mit denen wir uns jetzt so intensiv beschäftigen. Wir werden uns bemühen, allen Teilnehmern des Surveys ein Exemplar dieses Sonderheftes zuzuschicken. Dr. Bärbel-Maria Bellach Leiterin der Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin S57 ›› Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der W. Thefeld, H. Stolzenberg, B.-M. Bellach Robert Koch-Institut, Berlin Teilnehmer und Non-ResponderAnalyseê Zusammenfassung: Der erste gesamtdeutsche Gesundheitssurvey wurde vom Oktober 1997 bis zum März 1999 durchgeführt. Im Survey wurden 7124 Personen einer repräsentativen Stichprobe der 18- bis 79jährigen Wohnbevölkerung befragt und untersucht. Die Response-Rate betrug 61,4%; 0,4% haben die Untersuchung nur teilweise mitgemacht. Außerdem haben 16,0% der Non-Responder einen Kurzfragebogen ausgefüllt. Damit ergibt sich ein Anteil von 77,8%, über den – wenn auch zum Teil nur eingeschränkt – Informationen vorliegen. Zur Stichprobe gehörten auch in Deutschland lebende Ausländer. Über 15% der Non-Responder konnten für die Studie nicht gewonnen werden, weil sie persönlich nie erreicht wurden. Nach den Angaben im Kurzfragebogen unterscheiden sich Nicht-Teilnehmer von den Teilnehmern in einzelnen Punkten wie der Schulbildung. Die Unterschiede in der Beantwortung der wichtigen Frage zum allgemeinen Gesundheitszustand sind nicht schwerwiegend. Um repräsentative Aussagen für die 18- bis 79jährige Bevölkerung machen zu können, wurden Gewichtungsfaktoren berechnet. Schlüsselwörter: Bundes-Gesundheitssurvey – Response – Teilnehmer – Non-Responder-Analyse – Repräsentativität German National Health Interview and Examination Survey: Response, Composition of Participants, and Analysis of NonRespondents: The first German Health Survey was carried out from October 1997 to March 1999. In the survey, 7,124 subjects of a representative sample of the residental population aged between 18 and 79 years were interviewed and medically examined. The response rate was 61.4%; 0.4% of the sample participated only partly in the study. Moreover, 16.0% of the non-respondents filled in a short questionnaire. This results in (although partly limited) information from 77.8% of the sample. The sample also comprises aliens living in Germany. More than 15% of the non-respondents could not be addressed to participate in the study because they were never reached personally. According to the statements in the short questionnaire, non-respondents and respondents differ in particular items such as e.g. education. The differences between the individual answers concerning the important question of the general health status can be classified as negligible. Weighting factors were calculated to arrive at representative information on the 18 to 79 year-old population. Key words: German National Health Interview and Examination Survey – Response – Participants – Analysis of Non-Respondents – Representativeness Einleitung Der Bundes-Gesundheitssurvey ist eine gesundheitsbezogene Befragung und Untersuchung von 18- bis 79jährigen Personen einer repräsentativen Stichprobe der Wohnbevölkerung in Deutschland. Vorrangiges Ziel des Surveys ist es, Daten für die Gesundheitsberichterstattung des Bundes und für den Vergleich im europäischen Rahmen zu erhalten. Bei Heranziehung von Daten älterer Surveys sind Trendaussagen zur Risiko- bzw. Krankheitsverbreitung in der Bevölkerung möglich. Darüber hinaus haben die Daten einen hohen Stellenwert für die Bearbeitung von Fragestellungen der epidemiologischen Forschung. Eine ausführliche Beschreibung der Aufgaben- und Zielstellung des Bundes-Gesundheitssurveys, seiner Planung, der Stichprobenziehung und der Erhebungsinstrumente wurde mit der Publikation „Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98“ in der Zeitschrift „Das Gesundheitswesen“ vorgelegt [Bellach 1998]. Die Feldarbeitsphase, d.h. die Befragungen und medizinischen Untersuchungen in 120 Untersuchungspunkten, verteilt über ganz Deutschland (wobei in 10 Punkten Nacherhebungen stattfanden), begann im Oktober 1997. Die Erhebungen wurden im März 1999 abgeschlossen. Interne und externe Qualitätssicherungsmaßnahmen begleiteten die gesamte Feldarbeit. Nach Abschluß der Erhebungen wurden die erhaltenen Daten umfangreichen Qualitäts-, speziell Plausibilitätskontrollen unterworfen, bevor sie im September 1999 zur Auswertung freigegeben wurden. Die nachfolgende Darstellung soll einen Überblick geben über Zahl und Zusammensetzung der Teilnehmer. Die Unterschiede gegenüber der ursprünglichen Stichprobe und gegenüber den mit einem Kurzfragebogen erfaßten Non-Respondern werden aufgezeigt. Damit sind auch Aussagen zur Repräsentativität der Surveydaten möglich. Die Ausführungen beschränken sich auf den sogenannten Kernsurvey einschließlich der Arzneimittelerhebung; sie umfassen nicht die anderen zusätzlichen Module des Bundes-Gesundheitssurveys [vgl. Bellach 1998]. Zahl und Zusammensetzung der Teilnehmer Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S57–S61 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Die Stichprobenziehung für den Bundes-Gesundheitssurvey geschah unter der Vorgabe, daß es eine Zahl von 120 Untersu- S58 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 W. Thefeld, H. Stolzenberg, B.-M. Bellach Fallzahl 14.000 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 Gewichtsmessungen sowie der Urinuntersuchung zusätzlich bei mindestens zwei der drei Erhebungsblöcke 13.222 100 % 100 % – Fragebogen – Ärztliches Interview – Blutuntersuchung – 11.601 _ AusgangsBruttozahl 1.621 12,3 % Neutrale Ausfälle = 87,7 % Bereinigte Bruttozahl » 7.124 61,4 % Teilnehmer Abb. 1 Stichprobe und Teilnahme beim Bundes-Gesundheitssurvey. chungspunkten in Deutschland geben sollte. 120 Punkte erscheinen gerade noch geeignet, die Regionalstruktur Deutschlands hinsichtlich Bundesländer und Gemeindegrößenklassen abzubilden. Zur Auswahl der einzelnen Untersuchungspunkte wurden alle Gemeinden nach BIK-Gemeindegrößenklasse und Bundesland geschichtet. Die Ziehung der Gemeinden erfolgte dann mit einer Wahrscheinlichkeit proportional zur Häufigkeit ihrer Größe. Bei Gemeinden mit bis zu 50000 Einwohnern repräsentieren die Untersuchungspunkte die gesamte Gemeinde. Bei über 50000 Einwohnern wurde eine zweite Auswahlstufe notwendig: Bei Gemeinden mit 50000 bis 100000 Einwohnern wird innerhalb der Stadt ein Stadtteil zufällig ausgewählt; bei Städten mit über 100000 Einwohnern entsprechen die Untersuchungspunkte zufällig ausgewählten Wahlbezirken der Stadt, wobei bei sehr großen Städten auch mehrere Wahlbezirke betroffen sein können. In den ausgewählten Gemeinden wurden dann die Adressen der zukünftigen Probanden durch die Einwohnermeldeämter nach einem mathematischen Zufallsverfahren für die vorgegebenen Altersklassen gezogen. Ausgeschlossen waren Insassen von Einrichtungen wie Kasernen, Altersheimen, Heil- und Pflegeanstalten, Justizvollzugsanstalten usw. Die Ausgangsstichprobe der Einwohnermelderegister der Gemeinden umfaßte insgesamt 13222 Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren (Abb. 1). Von diesen waren 12,3% als neutrale Ausfälle zu rechnen, d.h. die ausgewählten Personen waren entweder verstorben, verzogen, unbekannt unter der vorliegenden Adresse oder Ausländer mit unzureichenden Deutschkenntnissen. Von der „bereinigten“ Bruttostichprobe nahmen 7124 Personen, das sind 61,4%, am Survey teil. Als Teilnehmer wurde definiert, wer außer bei den Blutdruck- und Größe-/ mitgemacht hatte. Die Geschlechts- und Altersverteilung der Teilnehmer ist in Tab. 1 dargestellt. Hier wird auch der im Vergleich zur Bevölkerungszahl unproportional höhere Anteil an Probanden aus den neuen Bundesländern deutlich. Der disproportionale Ansatz bei Ziehung der Stichprobe wurde gewählt, um stabile Aussagen bei der Analyse von West-OstUnterschieden erhalten zu können. Unter den Teilnehmern befinden sich 302 Ausländer, d.h. Personen mit alleiniger nicht-deutscher Staatsbürgerschaft, nur 23 davon (7,6%) leben in den neuen Bundesländern. 32 Personen haben sowohl die deutsche als auch eine andere Staatsbürgerschaft. Response Die Response-Rate ist bei Männern und Frauen als identisch anzusehen (61,5% vs. 61,4%). Bei altersspezifischer Betrachtung sind jedoch deutliche Unterschiede zu erkennen. So hat bei den Männern die Altersgruppe der 20- bis 29jährigen die niedrigste Response-Rate (56,5%; Frauen: 59,4%), während bei den Frauen dies auf die Altersklasse der 70- bis 79jährigen zutrifft (50,4%; Männer: 67,7%). In den neuen Bundesländern wurde mit 63,9% eine höhere Ausschöpfung als in den alten Ländern erreicht. In den Großstädten mit mehr als 500000 Einwohnern war die Beteiligung deutlich schlechter. Die Response ist für die heutige Situation, in der die Bereitschaft zur Teilnahme an solchen Studien immer mehr zurückgeht, als sehr gut zu bezeichnen [Schnell 1997]. Herauszustellen ist außerdem, daß ein hoher Anteil von Non-Respondern (16,0%) dazugewonnen werden konnte, einen Kurzfragebogen auszufüllen (s. unten). Weiterhin sind noch eingeschränkte Informationen von 42 Personen (0,4%) vorhanden, die die Untersuchung nur teilweise mitgemacht haben. Werden alle Personen zusammengefaßt über die, wenn auch zum Teil nur eingeschränkt, Informationen existieren, ergibt sich ein Anteil von 77,8%. Berücksichtigt werden muß bei der Bewertung der Teilnehmerrate, daß bei der Basis-Bruttozahl für die Berechnung der Response nur ein sehr eingeengter Kreis an Personen als qualitätsneutrale Ausfälle ausgeschlossen wurde (s.u.). Aktuelle Angaben zur Ausschöpfung bei epidemiologischen Studien in Deutschland (allerdings bei Fall-Kontroll-Studien) wurden von Stang (1999) publiziert. Die Vollständigkeit des Datensatzes der Teilnehmer bezüglich der einzelnen Erhebungsblöcke sieht wie folgt aus: Tab. 1 Zahl der Teilnehmer des Bundes-Gesundheitssurveys differenziert nach Geschlecht, Alter und Region (West/Ost) Altersklasse (Jahre) gesamt Männer West Ost gesamt Frauen West Ost 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 gesamt 142 504 767 630 677 495 235 3450 90 348 507 421 455 317 159 2297 52 156 260 209 222 178 76 1153 125 513 788 682 682 541 343 3674 74 361 523 460 435 340 215 2408 51 152 265 222 247 201 128 1266 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S59 Bundes-Gesundheitssurvey – Ausgefüllter Fragebogen: – Ärztliches Interview: – Blut-/Serumanalysen: n=6974 (97,9%) n=7099 (99,6%) n=6757 (94,8%). Qualitätsneutrale Ausfälle Die Register der Einwohnermeldeämter geben nicht immer den aktuellen Stand der Wohnbevölkerung wieder. Bei der Stichprobenziehung über die Einwohnermeldeämter war man sich daher bewußt, daß ein Teil der Ausgewählten nicht mehr unter der vorliegenden Adresse wohnen würde oder verstorben sein würde. Da die Surveyerhebungen in den Untersuchungsorten außerdem mit einer zum Teil erheblichen Zeitverschiebung gegenüber der Ziehung stattfanden, sind in der Zwischenzeit weitere ausgewählte Personen verzogen oder verstorben. Alle diese Personen sind für die Untersuchung nicht mehr heranziehbar und werden deshalb als qualitätsneutrale Ausfälle aus der Bruttostichprobe herausgenommen. Das gleiche gilt für Personen, die unter der vorliegenden Adresse unbekannt sind (Mehrzahl wahrscheinlich gleichfalls verzogen). Auch Ausländer, die aufgrund ihrer Sprachkenntnisse nicht in der Lage sind, beim Survey mitzumachen, werden als neutrale Ausfälle eingestuft. Welchen Anteil die einzelnen Gründe bei der Einstufung der neutralen Ausfälle hatten, ist aus Abb. 2 zu erkennen. Danach sind fast 80% nicht (mehr) unter der angegebenen Adresse erreichbar gewesen, und 5% waren verstorben. Die Zahl der Ausländer mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen entspricht etwa der Zahl von Ausländern, die an der Studie teilnahmen. nicht deutsch sprechend verstorben 47,5% 16,4% unbekannt Abb. 2 Zusammensetzung der qualitätsneutralen Ausfälle im BundesGesundheitssurvey. n=1621. 4,9% 31,2% verzogen Die Einstufung von gezogenen Personen als neutrale Ausfälle wurde im Bundes-Gesundheitssurvey sehr restriktiv gehandhabt, verglichen mit anderen Studien. Zum Teil werden bei diesen Studien auch Personen aus der Stichprobe nachträglich ausgeschlossen, die bekanntermaßen im Untersuchungszeitraum nicht am Wohnort waren oder trotz intensiver Bemühungen nie erreicht werden konnten. Würden beim BundesGesundheitssurvey auch diese Personen als neutrale Ausfälle gerechnet werden, so würde sich die Ausschöpfung noch deutlich besser darstellen. Immerhin sind fast 5% der „bereinigten“ Stichprobe im Survey entsprechend einzuordnen. Non-Responder-Analyse 2575 Personen der Stichprobe haben in keiner Weise an der Studie teilgenommen. Die Häufigkeit, mit der bestimmte Begründungen für die Nicht-Teilnahme von den Angesprochenen oder – falls kein Kontakt mit ihnen zustande kam – vom Untersuchungsteam genannt wurden, ist aus Abb. 3 zu erkennen. Von 42,1% der Non-Responder fehlt allerdings eine entsprechende Information, da sie keine Begründung angaben. Nie erreicht Gesundheitliche Gründe Inhaltliche Gründe Zeitliche Gründe Verreist Datenschutz Sonstiges 15,4% 10,4% 9,0% 7,7% 5,0% 2,7% 7,7% Abb. 3 Gründe für die Nicht-Teilnahme im Bundes-Gesundheitssurvey. n=2575 (42,1% ohne Angabe). Am häufigsten wurde die Ablehnung der Teilnahme gesundheitlich, inhaltlich oder zeitlich begründet. Der Datenschutz wurde nur von 2,7% der Personen als Begründung genannt. Für die Aussagekraft der Studie ist es von großer Bedeutung zu wissen, wie die geschlechts- und altersdifferenzierte Zusammensetzung der nicht teilnehmenden Personen der Stichprobe ist und wie sich diese Personen in bezug auf wichtige Merkmale (z.B. gesundheitliche Risikofaktoren, allgemeiner Gesundheitszustand, soziale Schicht) von der Teilnehmerpopulation unterscheiden. Im Bundes-Gesundheitssurvey konnten 1860 Personen, die nicht an der Untersuchung teilgenommen haben, aber keine grundsätzliche Verweigerung ausgesprochen hatten, nachträglich dazu gewonnen werden, einen Kurzfragebogen zu beantworten. Dabei konnten in den alten Bundesländern etwa 30% mehr Non-Responder-Fragebogen erhalten werden als in den neuen Ländern (bei Berücksichtigung der Relationen in der Stichprobe). Die Zusammensetzung der antwortenden Nicht-Teilnehmer ist hinsichtlich des Geschlechts nahezu identisch mit der der Teilnehmer (Männer: 48,3%; Frauen: 51,7%). In Tab. 2 wird die Altersstruktur der Nicht-Teilnehmer mit der Altersverteilung der Stichprobe und der Teilnehmer verglichen. Während bei den Männern die Altersstruktur vergleichbar ist, liegen bei den Frauen gewisse Abweichungen vor, die vor allem in der höchsten Altersstufe deutlich werden. Die Auswertung der Kurzfragebogen führt u.a. zu folgenden Aussagen: Die Schulbildung ist bei den Non-Respondern als schlechter einzustufen. So haben 50,1% die Hauptschule besucht, bei den Teilnehmern sind es 40,5%. Fachhochschulreife und Abitur wurden bei den Teilnehmern entsprechend häufiger genannt. Das Rauchverhalten der Nicht-Teilnehmer unterscheidet sich nicht signifikant von dem der Teilnehmer. Den 28,0% täglichen Rauchern bei den Non-Respondern stehen 26,6% bei den Surveyteilnehmern gegenüber. Das mittlere angegebene Körpergewicht der Non-Responder ist bei Frauen mit 2 kg deutlich geringer als das der Teilnehmerinnen, bei den männlichen Surveyteilnehmern ist die mittlere gemessene Körpergröße um 1,5 cm geringer als die mittlere, von den Non-Respondern angegebene Körpergröße. Hierdurch ergibt sich für Männer und Frauen ein signifikant geringerer BMI (Body-Mass-Index) bei den Nicht-Teilnehmern am Survey. Dies wäre hinsichtlich der statistischen Repräsentativität der Surveystichprobe bedenklich, wenn nicht Erfahrungswerte zu den Unterschieden zwischen gemessenen und S60 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 W. Thefeld, H. Stolzenberg, B.-M. Bellach Tab. 2 Altersstruktur der Brutto-Stichprobe (ohne qualitätsneutrale Ausfälle) des Bundes-Gesundheitssurveys, der Teilnehmer und der Nicht-Teilnehmer, die einen Kurzfragebogen ausgefüllt haben (Anteile in %) Altersklasse (Jahre) Stichprobe Männer Teilnehmer Nicht-Teilnehmer Stichprobe Frauen Teilnehmer Nicht-Teilnehmer 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 3,6 16,1 22,5 18,7 18,9 14,0 6,3 4,1 14,6 22,2 18,3 19,6 14,3 6,8 2,1 17,9 21,2 18,9 17,9 15,5 6,5 3,1 14,6 20,5 17,6 17,7 14,9 11,5 3,4 14,0 21,4 18,6 18,6 14,7 9,3 3,0 15,1 15,7 14,4 16,0 18,4 17,3 subjektiv eingeschätzten Werten für Größe und Gewicht vorlägen. Bei den Nicht-Teilnehmern dürfte die bekannte Beeinflussung der Angaben durch die Wunschvorstellungen der Befragten eine Rolle spielen, während beim Survey die Werte gemessen wurden [Bergmann 1990]. Zur Einschätzung weiterer möglicher Verzerrungen von Ergebnissen des Bundes-Gesundheitssuveys ist vor allem die Frage nach dem allgemeinen Gesundheitszustand wichtig. Abb. 4 zeigt den Vergleich der Selbsteinschätzung von Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern. Danach sind Unterschiede vorhanden; sie sind aber nicht schwerwiegend. Sowohl die Einstufung „sehr gut“ als auch die Angabe „schlecht“ kommen bei den Nicht-Teilnehmern häufiger vor. Da diese Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes bekanntermaßen auch altersabhängig ist, könnten diese Unterschiede durch die unterschiedliche Verteilung der Responder und Non-Responder auf die Randaltersgruppen bedingt sein. Um dies zu überprüfen, wurden in einem multivariaten logistischen Regressionsmodell für die Wahrscheinlichkeit, „Non-Responder zu sein“, (getrennt für Männer und Frauen, West und Ost) die Odds Ratios für Alter und die subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes geschätzt. Für keine der Kategorien der subjektiven Einschätzung des Gesundheitszustandes blieb dann noch ein signifikanter Einfluß erhalten. 14,2% 16,9% sehr gut 52,1% 45,4% gut 22,2% 23,8% zufriedenstellend weniger gut schlecht 9,4% 10,1% 2,1% 3,8% Teilnehmer Nicht-Teilnehmer Abb. 4 Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes durch Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer des Bundes-Gesundheitssurveys. n=7099 bzw. 1860. Weitergehende Untersuchungen der Gruppe der Non-Responder seien späteren Publikationen vorbehalten, insbesondere die Charakterisierung des „typischen“ Non-Responders kann Ansatzpunkte für eine mögliche Erhöhung der Aus- schöpfungsraten bei künftigen Bevölkerungserhebungen liefern. Repräsentativität, Gewichtung Die Ausgangsstichprobe des Bundes-Gesundheitssurveys ist als repräsentative Stichprobe der 18- bis 79jährigen Wohnbevölkerung in Deutschland gezogen worden. Wie beschrieben, stellt die Response-Rate aber bezüglich der Ziehungsmerkmale Bundesland, Gemeindegrößenklasse, Geschlecht und Alter nicht einen konstanten proportionalen Anteil der Stichprobe dar. Aus Tab. 2 ist z.B. zu erkennen, wie weit die Altersstruktur der Teilnehmer von der der Stichprobe aufgrund der unterschiedlichen Response-Raten in den einzelnen Altersgruppen abweicht. Für repräsentative Aussagen zur Grundgesamtheit bot es sich an, die Abweichungen der Netto-Stichprobe hinsichtlich der Ziehungsmerkmale durch eine Faktorengewichtung auf die Bevölkerungsstruktur des Jahres 1998 zu korrigieren. Dabei wird auch der höhere Teilnehmeranteil in den neuen Bundesländern aufgrund der disproportionalen Stichprobenziehung verrechnet. Diese Gewichtung erfolgte mit Hilfe eines speziellen, von der Fa. Infratest verwendeten Quantum-Gewichtungsprogramms. Jedem Probanden wurde dabei ein Gewichtungsfaktor (mit fünf Nachkommastellen) zugeordnet. Gewichtet wurde auf die Fallzahl, so daß die Summe der Gewichtungsfaktoren der Fallzahl entspricht. In den Auswertungen des Bundes-Gesundheitssurveys wird dieser Gewichtungsfaktor als w98 bezeichnet. Seine Verwendung erlaubt sowohl repräsentative Aussagen für die deutsche Bevölkerung 1998 insgesamt als auch einen Ergebnisvergleich für die alten (West) und neuen (Ost) Bundesländer. Die Daten des Bundes-Gesundheitssurveys sollen auch genutzt werden, um die zeitliche Entwicklung der Verbreitung von gesundheitlichen Risiken und Krankheiten in der Bevölkerung aufzuzeigen. Vordaten stehen vom Nationalen Untersuchungssurvey 1990/91 und dem Gesundheitssurvey Ost 1991/92 zur Verfügung, deren Daten in einer gemeinsamen Datenbank Ost/West 1990/92 vereinigt wurden, da sie mit vergleichbarer Methodik erhoben worden waren [Hoffmeister 1995]. Um einen Vergleich der Daten von 1998 und 1990/ 92 zu ermöglichen, wurde hierfür ebenfalls eine Gewichtung der Daten des Bundes-Gesundheitssurveys vorgenommen, die sich auf die Bevölkerungsstruktur des Jahres 1991 stützt. Der unter der Bezeichnung w9198 geführte Gewichtungsfaktor entspricht in Aufbau und Wirkungsweise der Gewichtungsvariablen weightow der Datenbank Ost/West 1990/92 [Stolzenberg 1995]. Somit sind bei entsprechender Gewich- Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S61 Bundes-Gesundheitssurvey tung vergleichende Auswertungen (inkl. Ost/West-Vergleiche) sowie Trendanalysen für 1991/1998 möglich, allerdings nur für die 25- bis 69jährige deutsche Bevölkerung. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß durch die Verwendung der oben genannten Gewichtungsfaktoren nur ein Teil der komplexen Stichprobenstruktur (mehrstufiges Auswahlverfahren, disproportionale Schichtung, Klumpung usw.) adäquat berücksichtigt wird. So konnten beispielsweise die Klumpung (Untersuchungspunkte) bzw. Klumpungseffekte nicht korrigiert werden, zumal auch die verwendeten Statistikpakete SPSS 9 bzw. SAS 6.12 keine geeigneten Prozeduren hierfür enthalten. Die Folge ist, daß die angegebenen geschätzten Varianzen bzw. Standardfehler zu klein ausfallen und interferenzstatistische Schlüsse häufig zu fälschlicherweise signifikanten Ergebnissen führen [Lipsmeier 1999]. Die berichteten Schätzer für Gesundheitsparameter wie das arithmetische Mittel oder Regressionskoeffizienten dürften dagegen nur geringe Verzerrungen aufweisen. Literatur 1 2 3 4 5 6 7 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: 59– 68 Bergmann E, Menzel R, Bergmann KE, Bergmann RL (1990). Verbreitung von Übergewicht in der Bundesrepublik Deutschland. In: Tätigkeitsbericht des Bundesgesundheitsamtes. MMV Medizin Verlag München 222–224 Hoffmeister H, Bellach BM (Hrsg.) (1995). Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Heft 7: 1–3 Lipsmeier G (1999). Standard oder Fehler? Einige Eigenschaften von Schätzverfahren bei komplexen Stichprobenplänen und aktuelle Lösungsansätze. ZA-Information 44: 96–117 Schnell R (1997). Nonresponse in Bevölkerungsumfragen. Ausmaß, Entwicklung und Ursachen. Verlag Leske + Budrich, Opladen Stang A, Ahrens W, Jöckel KH (1999). Control Response Proportions in Population-Based Case-Control Studies in Germany. Epidemiology 10: 181–183 Stolzenberg H (1995). Gesundheitssurvey Ost/West: Dokumentation zum Public Use File OW91, Robert Koch-Institut W. Thefeld Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin S62 und Ergebnisse der Feldarbeit ›› Ablauf beim Bundes-Gesundheitssurvey Zusammenfassung: I+G Gesundheitsforschung war beim Bundes-Gesundheitssurvey für die Stichprobenplanung und -ziehung, die Herstellung der Erhebungsunterlagen einschließlich Operationshandbuch, die Schulung der Teams, die Feldarbeit (Datenerhebung) und die Datenaufbereitung (Datenerfassung, Datenprüfung, Grundauswertung) zuständig. Der Artikel berichtet über Ablauf und Ergebnisse der Feldarbeit und bezieht auch Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Feldarbeit mit ein, die für zukünftige Erhebungen dieser Art von Interesse sind und deren Umsetzung insgesamt zu einer Verbesserung der Vorgehensweise bei ähnlichen Projekten beitragen kann. Schlüsselwörter: Gesundheitssurvey – Datenqualität – Erhebungstechnik Procedure and Results of Field Work Connected with the Federal German Health Survey: ”I + G Gesundheitsforschung“ was responsible for data acquisition and data processing of the survey, which included the production of the survey documents and the conceptualization and production of the operation manual. Furthermore, the institute's task was sample design and sample drawing. This article reports on the continuity and the results of the field work and includes experiences and realisations resulting from the field work. These might be helpful for similar surveys in the future and contribute to the improvement of the procedures. Key words: Health Survey – Quality of Data – Survey Procedure Einleitung und Überblick Die Feldzeit für die Befragungen und medizinischen Untersuchungen begann am 20. Oktober 1997 und endete am 13. März 1999 [s. auch Schroeder et al. 1998]. In dieser Zeit wurden von vier Untersucherteams 130 Standorte bzw. Points in 113 Städten bzw. Gemeinden aufgesucht. Insgesamt waren 13222 Probanden im Alter von 18 bis 79 Jahren aus den Melderegistern der aufgesuchten Gemeinden zufällig ausgewählt und zur Teilnahme eingeladen worden. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S62–S67 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York P. Potthoff, E. Schroeder, U. Reis, A. Klamert I + G Gesundheitsforschung, München Routenplanung Um die ursprünglich geplanten 120 Points mit einer Aufenthaltsdauer von einer Woche pro Team und Point im ursprünglich vorgesehenen Zeitrahmen von Oktober 1997 bis November 1998 (Nacherhebung in 10 Points: Januar bis März 1999) bearbeiten zu können, wurden vier Teams zusammengestellt, von denen drei während der Feldzeit ständig im Einsatz waren, während ein Team jeweils pausierte. Die Auswahl und Reihenfolge der 1997 bearbeiteten 17 Points mußte nach dem Eintreffen der Adressen von den Einwohnermeldeämtern ausgerichtet werden, da der Zeitabstand zwischen Auftragserteilung und Beginn der Feldarbeit sehr kurz angesetzt worden war. Grundsätzlich erfolgte die Routenplanung danach wie folgt: Die 120 ausgewählten und über Deutschland verteilten Gemeinden bzw. Samplepoints wurden zu je 12 Samplepoints in 10 Regionen zusammengefaßt. Jede dieser 10 Regionen wurde von jedem der vier Untersucherteams im Abstand von einer Woche aufgesucht und dann drei Wochen lang (entsprechend drei Points) bearbeitet. Da jedes Team in der Regel nach drei Wochen Einsatz (d.h. einem Törn) eine Woche pausierte, waren gleichzeitig immer nur drei Teams unterwegs. Das vierte Team (Springerteam) kam dann zum Einsatz, wenn das erste Team pausierte. Es übernahm dabei die Ausstattung (Kfz, Handys, Laptops, Blutdruckmeßgeräte und Waagen, Laboreinrichtung und sonstige Erhebungsunterlagen) des ersten Teams, in der zweiten Woche die des zweiten Teams, in der dritten Woche die des dritten. Im Rahmen der Gesamtlaufzeit der Studie wechselte die Rolle des Springerteams von Törn zu Törn. Die Routenanordnung innerhalb der Regionen wurde so gewählt, daß insbesondere die Bewegungen des Springerteams von Point zu Point minimiert wurden. Dagegen wurden die Regionen so abgearbeitet, daß möglichst weit auseinander liegende Teile Deutschlands hintereinander aufgesucht wurden. Das führte dazu, daß nach jeweils drei Wochen in einer Region zum Teil sehr lange Strecken (bis zu 800 km) zwischen den Points zu überbrücken waren. Für zukünftige Planungen sollte auf alle Fälle berücksichtigt werden, daß jedem Team eine komplette eigene Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden kann, um kräftezehrende Mehrarbeit und Mißstimmungen aufgrund der erforderlichen Kontrolle bei der Übergabe der Ausrüstungsgegenstände vom einen zum anderen Team unter den Mitarbeitern zu vermeiden. Ablauf und Ergebnisse der Feldarbeit beim Bundes-Gesundheitssurvey Untersucherpersonal Jedes der vier Teams bestand aus sechs Mitarbeitern: – 1 Ärztin/Arzt (Teamleiter/in) für Blutdruckmessung, Anthropometrie, Blutentnahme, ärztliches Interview und Arzneimittelanamnese; – 1 MTA für Blutdruckmessung, Anthropometrie, Probenverarbeitung und -versand; – 1Ökotrophologin für das Ernährungsinterview; – 1 Umweltinterviewer/Umweltinterviewerin für Umweltinterview, Umweltprobeneinholung, -dokumentation, -verarbeitung und -versand, Ortsbegehung; – 1 Zentrumsinterviewer/Zentrumsinterviewerin für Probandenempfang und -betreuung während des Zentrumsaufenthaltes, Probandennachfaßaktion; – 1 Vorbegeher/Vorbegeherin für persönliche und telefonische Probandenkontakte, Vorbesichtigung der Zentrumsräume, Umzugsorganisation, Hotelorganisation für die Teammitglieder. Die Mitarbeiter wurden teils über Arbeitsamt, Stellenanzeigen, Internet neu angeworben, oder es kamen erfahrene Interviewer aus dem Infrateststamm zum Einsatz. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, daß möglichst viele Mitarbeiter aufgrund ihrer beruflichen Vorerfahrungen auch einen zweiten Arbeitsplatz abdecken konnten (z.B. Ökotrophologin ↔ Umweltinterviewer/in). Bis einschließlich 6.12.1997 arbeiteten die Teams in unterschiedlicher Zusammensetzung, um allen Mitarbeitern die Gelegenheit zu geben, sich besser kennenzulernen und die günstigste Team-Konstellation für die restliche Surveylaufzeit herauszufinden. Ab 19.1.1998 arbeiteten die Teams in fester Besetzung. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S63 gieren zu können. So wurde ein Labornotfallprogramm für Ärzte vom RKI entwickelt und die MTA in der CAPI-Anwendung unterwiesen. Umweltinterviewer und MTA absolvierten die Laborschulung sowohl für den Kern- als auch für den Umweltsurvey. Als zusätzliche Maßnahme wurden die Mitarbeiter des Kernsurveys zu Beginn der Feldarbeit vor Ort durch praktische Übungen in den Zentrumsbetrieb eingeführt. Diese Einweisung erfolgte durch eine Mitarbeiterin, die über langjährige Erfahrung aus früheren DHP- und MONICA-Projekten verfügt. Außerdem unterstützten I+G-Mitarbeiter die jeweiligen Teams vor ihrer ersten Zentrumseröffnung vor Ort. Nachrekrutiertes Personal unterzog sich demselben Ausbildungsprogramm bei I+G in München und im RKI-Labor, Berlin, und hospitierte anschließend mindestens zwei Tage in einem erfahrenen Team. Qualitätskontrollen der Feldarbeit Kontrollen durch das Team Folgende Kontrollen wurden im Tageszentrumsbogen dokumentiert: – tägliche Temperaturmessungen der Räume, Kühl- und Gefrierschränke – tägliche Überprüfung der Personen- und Laborwaagen mittels Testtaste, Wasserwaage oder Eichgewichten – wöchentliche Kontrolle der Blutdruckmeßgeräte Die Erhebungsunterlagen wurden während der Anwesenheit des Probanden im Zentrum, spätestens aber am Abend auf Vollständigkeit überprüft. Personalschulung Kontrollen durch I+G Aufgrund von Terminschwierigkeiten der einzelnen an der Schulung beteiligten Institutionen mußte die Schulung der Mitarbeiter in Etappen erfolgen. Die Einsatzleitung überwachte den Zentrumsbetrieb bei 30 Besuchen nach den Vorgaben des Operationshandbuches und anhand eigener Checklisten. Dabei wurde auch die Arbeit im Vorfeld mit beurteilt, z.B. die Lage und Eignung der Räumlichkeiten, der Kontakt mit der Presse durch I+G und Vorbegeher und die daraus resultierenden Veröffentlichungen. Als Schulungsgrundlage dienten frühere Erfahrungen aus der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (Forschungsverbund DHP 1998) sowie das Operationshandbuch und der von Prof. Hense, Münster, im Rahmen des Münchner Blutdruckprogramms ausgearbeitete Blutdruckmeßkurs. Neben I+Gwaren auch RKI- und WaBoLu-Mitarbeiter involviert. Als externe Qualitätskontrolle fungierte die Firma Bernhard Schwertner. Alle Mitarbeiter, die für die Blutdruckmessung geschult wurden, unterzogen sich einem Hörschärfetest und vor dem Feldeinsatz einer Referenzmessung mit Prof. Hense von der Universität Münster. In den Räumen des Robert-Koch-Instituts, Berlin, fand der größte Teil der Schulungen statt. Zusatzschulungen vor dem ersten Einsatz der Teams wurden in den jeweiligen Zentrumsräumen vorgenommen, um den Zentrumsablauf unter Feldbedingungen mit Gastprobanden üben zu können. Fast alle Mitarbeiter wurden je nach Eignung auch für eine andere Teamposition ausgebildet, um bei Bedarf flexibel rea- Soweit möglich, wurde ein Probandendurchlauf beobachtet und die einzelnen Stationen bzw. Arbeitsplätze in einer Checkliste dokumentiert. Es wurde besonders geachtet auf Zentrumsatmosphäre – den zuvorkommenden Umgang mit dem Probanden – den Umgang der Mitarbeiter untereinander und damit die Wirkung auf den Probanden – das äußere Erscheinungsbild der Mitarbeiter – Aufklärung und Einweisung des Probanden in den Untersuchungsablauf Arbeitsvorbereitung – Aufbau der Meßgeräte nach Vorgaben (Blutdruckmeßgeräte, Waage mit Meßstab), regelmäßig erforderliche Gerätekontrolle S64 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 – funktionale und hygienische Laboreinrichtung und Blutentnahmeplatz einschließlich notwendiger Abfallentsorgung – Vorbereitung und Etikettierung der Erhebungsunterlagen einschließlich Probengefäße P. Potthoff et al. Externe Qualitätskontrolle Schlußfolgerungen aus den Berichten der externen Qualitätskontrolle über deren Besuche wurden sofort nach Erhalt telefonisch oder schriftlich an die Betreffenden weitergegeben und bei gegebenem Anlaß Nachschulungen vorgenommen. Untersuchungsablauf – die Einhaltung der Standards während der Untersuchung – die sorgfältige Dokumentation mit anschließender Kontrolle auf Vollständigkeit der Unterlagen Datenschutz – die räumliche Abschirmung der Probanden voneinander während der Untersuchungen und Interviews – Aufklärung der Probanden vor der Untersuchung – Uneinsehbarkeit der adreßbezogenen Probanden-Unterlagen Medizinische Messungen Die Blutdruckmeßqualität wurde bei jedem Besuch durch Kreuzmessungen überprüft. Außerdem wurden von den Untersuchern Testvideos absolviert. Die anthropometrischen Messungen wurden durch Nachmessen von I+G-Mitarbeitern verifiziert. Traten dabei Differenzen auf, wurde eine sofortige Nachschulung vorgenommen. Mitarbeitergespräche Im Anschluß daran folgten Gespräche mit den Mitarbeitern über Teamprobleme, Verbesserung von Arbeitsabläufen oder Optimierung der I+G-Vorarbeit und Hilfestellung für die Teams. Zu diesem Zweck wurden zusätzlich im Dezember 1997 Mitglieder aller Teams und I+G-Mitarbeiter zum Erfahrungsaustausch ins RKI nach Berlin eingeladen. Ein weiteres Treffen dieser Art fand in Wiesbaden im Oktober 1998 statt. Einweisungsgespräche über die Besonderheiten der Nacherhebung in 10 Points erfolgten Anfang 1999 in Düsseldorf und Eisenach. In umfangreichen Rundbriefen wurden die Mitarbeiter auf bisher vorgekommene Fehler oder Neuerungen aufmerksam gemacht und Hinweise gegeben, die sie in ihrer Arbeit unterstützen sollten. Erhebungsunterlagen Fragebogen und andere schriftliche Dokumentationen wurden laufend stichprobenmäßig visuell kontrolliert und die Daten anschließend per Computerprogramm auf Plausibilität und Vollständigkeit überprüft. Anhand der medizinischen Meßblätter wurden Endziffernpräferenzen und Mittelwerte für Blutdruck, Körpergröße und -gewicht, Taillen- und Hüftumfang sowie Puls untersucht. Abweichungen von der Norm führten zu Nachschulungen bei den entsprechenden Mitarbeitern. Auswahl der Untersuchungsräume Gesundheitsämter und Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen wurden gebeten, bei der Raumbeschaffung behilflich zu sein. Dem I+G-Anschreiben lag ein Empfehlungsbrief des RKI und ein Informationsblatt bei. Aufgrund der Erfahrungen im Feld wurden Räume in den Gesundheitsämtern bevorzugt, da diese die Seriosität der Untersuchungen unterstrichen. Allerdings waren die zuständigen Gesundheitsämter teilweise bis zu 30 km vom Wohngebiet der Probanden entfernt, so daß der Anfahrtsweg für die Probanden zu weit gewesen wäre. In diesen Fällen wurden Räume in anderen kommunalen Einrichtungen gewählt, die im Stichprobengebiet lagen und möglichst verkehrsgünstig zu erreichen waren. Besonders in kleinen Gemeinden oder in den neuen Bundesländern gelang es nicht immer, die gewünschten 4 bis 5 Räume zu organisieren, so daß die Teams mit Trennwänden improvisieren mußten, um die Intimsphäre der Probanden zu wahren. In zwei Points wurden die Untersuchungszentren, in die die Probanden zuerst eingeladen waren, verlegt, da kurzfristig vom Vorbegeher noch geeignetere Räume gefunden werden konnten. Alle Räume wurden von den Vorbegehern besichtigt, wenn nötig, waren auch im Vorfeld I+G-Mitarbeiter vor Ort, um die Räumeauswahl vorzubereiten und die Zentren zu organisieren. Öffnungszeiten der Untersuchungszentren Als Öffnungszeiten der Untersuchungszentren wurden angesetzt: Mo 10:00–20:00 Uhr Di–Fr 08:00–20:00 Uhr Sa 08:00–12:00 Uhr Bei Bedarf wurde die Öffnungszeit des Zentrums aber auch verlängert. In seltenen Fällen waren Einschränkungen nötig, wenn die Räume von den Trägern zu bestimmten Zeiten nicht zur Nutzung freigegeben wurden oder der Materialtransport bei Umsetzung von Region zu Region über sehr weite Strekken vonstatten gehen mußte. Folgender Einladungsmodus lag den Probanden-Anschreiben zugrunde: Mo von 10:00–19:00, Di–Do von 08:00–19:00 Uhr wurden Termine in 20minütigem Abstand vergeben. Freitag und Samstag wurden freigehalten, um den Teams Gelegenheit zu Hausbesuchen zu geben. Ablauf und Ergebnisse der Feldarbeit beim Bundes-Gesundheitssurvey Einbestellung der Probanden und Nachfaßaktionen Die Erhebungen für den Kern-, Umwelt- und Psychiatriesurvey starteten am 20.10.1997 und endeten für den Hauptteil mit 120 Points am 28.11.1998. Der Ernährungssurvey begann zwei Wochen später und wurde vom 3.11.1997 bis 28.11.1998 durchgeführt. Um die angestrebte Probandenanzahl zu erreichen, fanden vom 18.1. bis 13.3.1999 Nacherhebungen für den Kern- und Umweltsurvey sowie den Psychiatriesurvey in 10 Points statt. In den beiden Berlin-Points erfolgte zusätzlich eine Ernährungsnacherhebung. Bei diesen Nacherhebungen im ersten Quartal 1999 wurden in zwei Gemeinden auch die vorher bereits aufgesuchten Nachbarorte mit einbezogen, die sich im Umkreis von ca. 30 km befanden und somit für die Teams durch Hausbesuche grundsätzlich noch erreichbar waren. Für diese Nacherhebungen wurde ein zusätzlicher Interviewer eingesetzt, der die „alten“ Adreßprotokolle aus der ersten Runde mit ausgewählten Ausfallcodes* bearbeitete und versuchte, diese Probanden doch noch zur Teilnahme zu motivieren. Probanden, die bereits am Kernsurvey, aber nicht an der Umwelterhebung teilgenommen hatten, wurden ebenfalls erneut angesprochen, um diesen Teil noch nachträglich zu absolvieren. Die Nachbearbeitung der „alten“ Probanden gestaltete sich ausgesprochen schwierig, da der Fahrtweg – behindert durch die winterlichen Straßenverhältnisse – und damit der Zeitaufwand für die Hausbesuche ziemlich groß war und das Team während dieser Zeit den regulären Zentrumsbetrieb einstellen mußte. So waren in Berlin z.B. 7 Stichprobengebiete gleichzeitig zu bearbeiten. Es gab auch Kommunikationsschwierigkeiten unter den Mitarbeitern, da die Terminvergabe über den Vorbegeher, den Zentrumsinterviewer, den Zusatzinterviewer und die I+G-Einsatzzentrale oft ziemlich kurzfristig laufen mußte und sich dadurch die Termine teilweise überschnitten. Die Tatsache, daß die meisten Nichtteilnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits wegen eines Kurzfragebogens kontaktiert worden waren, wirkte sich nur in seltenen Fällen negativ aus. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S65 können, starteten dafür der Vorbegeher oder der Interviewer zuerst allein. Während der Proband den Fragebogen ausfüllte, wurde dann der Arzt per Handy informiert, so daß er anschließend das ärztliche Interview, Arzneimittelanamnese, Blutdruckmessung und die Blutentnahme durchführen konnte, während der Interviewer seine Route zum nächsten Probanden fortsetzen konnte. Öffentlichkeitsarbeit/Medienarbeit Um die Teilnahmebereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen, wurde die regionale Presse zwei Wochen vor dem jeweiligen Pointbeginn durch die Einsatzleitung von der bevorstehenden Untersuchung in Kenntnis gesetzt und um eine entsprechende Veröffentlichung gebeten. Dem Schreiben lag eine Pressemitteilung des RKI sowie ein Informationsfolder über Studienziel und Untersuchungsablauf bei. Ab Januar 98 suchten die Vorbegeher zusätzlich persönlich die entsprechenden Redaktionen auf. Diese Maßnahme führte zu einer Erhöhung der Veröffentlichungsrate, so daß pro Point meistens zwei bis drei Presseartikel erschienen. Die Vorbegeher nutzten Kopien dieser Berichte als Argumentationshilfen bei Probandenkontakten an der Haustüre oder warfen diese mit dem 2. Erinnerungsschreiben in den Briefkasten, wenn der Proband nicht angetroffen wurde. Weitere Bekanntmachungen für die Bevölkerung erfolgten über regionale Rundfunk- oder Fernsehreportagen. Überregionale Veröffentlichungen, z.B. via Internet und Information des Fachpublikums im „Ärzteblatt“ oder in „Das Gesundheitswesen“ u.a. wurden durch das RKI veranlaßt. Nachdem sich herausgestellt hatte, daß die Leiter der Gesundheitsämter ihr Personal oft nicht über die bevorstehenden Untersuchungen informiert hatten und bei den Gesundheitsämtern anrufenden Probanden deshalb keine Auskunft erteilt werden konnte, wurde in die I+G-Anschreiben an die Gesundheitsämter ein entsprechender Passus aufgenommen mit der Bitte, alle ihre Mitarbeiter, besonders auch die Telefonzentrale, über den Survey zu unterrichten. Zusätzlich wurde zwei Wochen vor Pointbeginn von der I+G-Einsatzzentrale unter der jeweiligen offiziellen Amtstelefonnummer nachgefragt, ob der Surveytermin bekannt ist. Hausbesuche 10 Tage vor Zentrumsbeginn wurden die zuständigen Polizeiinspektionen durch die Einsatzleitung angeschrieben und über die Untersuchungen informiert. Auch bei Hausbesuchen, die zuvor mit den Probanden vereinbart wurden, wurde die Reihenfolge der Untersuchungen – wie im OP-Handbuch für den normalen Zentrumsablauf vorgesehen – eingehalten. Für die anthropometrischen Messungen wurden eine Hausbesuchswaage und ein Zollstock mit Winkelbrett verwendet. Eine systematische Information der niedergelassenen Ärzte vor Ort konnte aus Zeit- und Aufwandsgründen nicht erfolgen, wäre aber für zukünftige Erhebungen, zumindest in den kleineren und mittelgroßen Gemeinden, zu empfehlen. Wenn es der Zentrumsbetrieb zuließ und in den Abendstunden wurden zur Ausschöpfungserhöhung spontane Hausbesuche durchgeführt, d.h, der Besuch wurde beim Probanden nicht gesondert angekündigt. Um möglichst viele Probanden hintereinander ohne Zeitverlust für den Arzt kontaktieren zu * Es wurden nur solche Probanden ausgewählt, die während der ersten Standzeit aus zeitlichen oder sonstigen Gründen verhindert waren. Verweigerer wurden nicht mehr angesprochen. Impressionen aus der Feldarbeit Das komplexe Programm des Gesundheitssurveys stellte hohe Anforderungen an das Untersuchungspersonal. Ein kurzer Blick auf die Arbeit der Vorbegeher, stellvertretend für das Erhebungspersonal, soll dies beleuchten. Von deren Ausdauer, Geschicklichkeit und Menschenkenntnis hängt es ganz wesentlich ab, wie viele Probanden für die Teilnahme an den Untersuchungen gewonnen werden können. Die Vorbegeher sind die „Vorhut“ des Survey-Teams, sie arbeiten vor Ort ohne S66 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 Unterstützung der anderen Teammitglieder, die erst Tage später eintreffen. Jede Woche in einer anderen Gemeinde versuchen sie, an der Haustür die Probanden im persönlichen Gespräch von der Wichtigkeit der Studienteilnahme zu überzeugen. Emotionale Belastungen entstehen oft, wenn Probanden, die aufgrund mehrfachen Nachfassens verärgert sind, aggressiv reagieren. Schwierigkeiten entstehen auch durch das Fehlen von Straßen-, Hausnummern- oder Namensschildern, so daß manche Probanden nicht aufgefunden werden können. Für den enormen Einsatz und das Durchhaltevermögen ist allen Mitgliedern der Untersuchungsteams zu danken, ganz besonders den Vorbegehern, die sicherlich die schwerste Aufgabe hatten. Den Probanden wurde für ihre Teilnahme kein materieller Anreiz geboten. Die Mühe und Geduld, die viele von ihnen auf sich nahmen, spricht für ihre hohe Einschätzung des wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Werts der Studie. In dünn besiedelten, ländlichen Gegenden nahmen die Probanden zum Teil weite Anfahrtswege in Kauf, teilweise behindert durch winterliche Straßenverhältnisse oder Überschwemmungen. Zwar versuchte das Team, sie im Zentrum freundlich zu empfangen und zuvorkommend zu behandeln, trotzdem konnten sich längere Wartezeiten zwischen den einzelnen Untersuchungseinheiten ergeben, wenn Probanden längere Anfahrtszeiten benötigten, als im Terminplan vorgesehen, oder das Team bei einem Hausbesuch aufgehalten worden war. Ergebnisse Von den 13222 angeschriebenen Adressen erwiesen sich 1621 als sogenannte qualitätsneutrale Ausfälle, d.h., diese Personen waren entweder inzwischen verstorben oder in eine andere Stadt umgezogen, oder sie gehörten nicht zur Grundgesamtheit. Grundgesamtheit war die deutsch sprechende Wohnbevölkerung in Deutschland im Alter von 18 bis 79 Jahren. Da sich die Adressenauswahl in den Einwohnermeldeämtern auf die gesamte Wohnbevölkerung bezog, waren bei den Adressen Probanden deutscher und anderer Staatsangehörigkeit enthalten. Ausländer wurden im Adreßprotokoll mit einem „A“ gekennzeichnet. Zielgruppe für den Survey waren aber ausschließlich Bürgerinnen und Bürger, die ausreichend gut deutsch sprechen konnten, um an der Studie teilnehmen zu können. Es war die Aufgabe des Vorbegehers, bei den entsprechend gekennzeichneten Probanden durch telefonische und persönliche Kontakte festzustellen, ob diese Voraussetzung gegeben war. Dazu fragte er, ob der Proband in seiner häuslichen oder seiner Arbeitsumgebung regelmäßig deutsch spricht. War dies der Fall, kam der Proband für die Teilnahme in Frage. Dies wurde im Adreßprotokoll entsprechend vermerkt. Andernfalls war der Proband als qualitätsneutraler Ausfall einzustufen. Den ausländischen Probanden wurde durch einen gesondert in Türkisch, Italienisch, Griechisch, Serbokroatisch und Kroatisch verfaßten Hinweis beim ersten Einladungsschreiben die telefonische oder persönliche Nachfrage nach ihren Deutschkenntnissen angekündigt. P. Potthoff et al. Insgesamt 7124 Probanden nahmen am Erhebungsprogramm des Kernsurveys und des Arzneimittelsurveys teil, so daß sich eine Netto-Ausschöpfung, bezogen auf das bereinigte Brutto von 11601 Fällen, von 61,4% ergab. Bei Nichtteilnehmern wurde versucht, einen Kurzfragebogen mit den wichtigsten soziodemographischen Daten einzusetzen. Insgesamt 1860 Kurzfragebogen konnten ausgefüllt werden. Das entspricht einer Zusatzinformation bei 16% der bereinigten Brutto-Stichprobe. Erfahrungen für künftige Studien: Wie kann man Gesundheitssurveys optimieren? Bei der Durchführung des Bundes-Gesundheitssurveys wurden zahlreiche Erfahrungen gewonnen, aus denen gelernt werden kann, wie man künftig Gesundheitsheitssurveys optimieren kann. Ein erster Schritt hierzu ist eine sorgfältige Definition der Qualitätskriterien, an denen die Ergebnisse eines Surveys gemessen werden sollen [Potthoff, Schneider 1997]. Hierzu sind in erster Linie zu zählen: – valide und inhaltlich adäquate Informationen zur Beantwortung der wesentlichen Fragestellung des Surveys – hoher Grad an Standardisierung der individuellen Befragungen und Untersuchungen – eine unverzerrte Stichprobe [Gabler, Hoffmeyer-Zlotnik 1997] – eine umfangreiche Stichprobe – eine hohe Responsrate [Schnell 1998] – technische Fehlerfreiheit der erhobenen Daten (z.B. bei Datenübertragungen, Datenerfassung usw.) Zur Erreichung dieser Qualitätskriterien sind in aller Regel bei der Durchführung eines Gesundheitssurveys begrenzte Ressourcen vorhanden. Diese Ressourcen sind in erster Linie die verfügbaren finanziellen Mittel und der verfügbare zeitliche Rahmen. Bei dem zeitlichen Aufwand wirkt sich als Rahmenbedingung aus, daß zumeist die Erhebungsarbeiten in einem definierten Zeitraum (vorzugsweise in einer 12-Monats-Periode) abgeschlossen sein müssen. Eine weitere Begrenzung der zeitlichen Ressourcen ist eine maximal den Probanden zumutbare Untersuchungszeit und – im vorliegenden Fall – die begrenzte Aufenthaltsdauer der Untersuchungsteams in den Gemeinden. Bei dem komplexen Design des Bundes-Gesundheitssurveys war es nicht in jeder Phase der Untersuchung möglich, die Qualität der einzelnen Kriterien gleichzeitig zu maximieren. Es bestand vielmehr die Aufgabe, die verfügbaren zeitlichen und finanziellen Ressourcen so zu koordinieren, daß insgesamt eine optimale Surveyqualität unter Berücksichtigung aller Qualitätskriterien erreicht werden konnte. Es ist unmittelbar einleuchtend, daß beispielsweise eine Verlängerung der Standzeiten der Untersuchungsteams in den Untersuchungsgemeinden zu einer Verbesserung der Responsrate hätte führen können, zumal, wenn man die Beteiligung mit finanziellen Anreizen für die Probanden hätte interessant machen können. Beschränkungen hierbei waren naturgemäß die insgesamt geplante Erhebungsperiode sowie die verfügbaren finanziellen Mittel. Ablauf und Ergebnisse der Feldarbeit beim Bundes-Gesundheitssurvey Konflikte zwischen den Zielkriterien können sich auch dann einstellen, wenn z.B. eine Verbesserung der Beteiligungsrate für alle Altersgruppen der Probanden nur zu Lasten der Verbesserung der Beteiligung bei alten Probanden erreicht werden kann [Koch 1998], beispielsweise wenn die Teams vor der Entscheidung stehen, Hausbesuche durchzuführen, die den normalen Zentrumsbetrieb in seinem Ablauf und in dem Probandendurchlauf einschränken würden. Sofern nicht nur die Maximierung eines einzelnen Qualitätskriteriums, sondern die Optimierung der Surveyqualität als Ganzes das Ziel ist, ist eine sorgfältige Balancierung und ein Trade-off zwischen verfügbaren Ressourcen und Qualitätskriterien erforderlich. situationen im Erhebungsablauf sollen durch ein kontinuierliches Audit-Gremium erfolgen, in dem alle betroffenen Parteien (wissenschaftliche Projektleitung, Feldinstitut und externe Qualitätskontrolle) gemeinsam regelmäßig und systematisch ein Monitoring der Erhebungsarbeiten durchführen. Literatur 1 2 Bei der Durchführung des Bundes-Gesundheitssurveys wurde dieser Trade-off-Prozeß in vielen Fällen nur spontan, d.h. als Reaktion auf ad hoc auftretende Problemsituationen, betrieben. Für zukünftige Surveys erscheint es nach den Erfahrungen wünschenswert, hierfür ein kontinuierliches, den Surveyprozeß begleitendes Qualitäts-Audit einzuführen, bei dem nicht nur die Qualitätsermittlung von technischen Einzelkriterien vorgenommen wird, sondern ein Qualitätsmanagementzyklus nach dem System: Measuring–Managing–Monitoring kontinuierlich und systematisch die Surveyarbeit begleitet. Daneben erscheint es uns auch erforderlich, bereits bei der Surveyplanung dem Problem der Ausbalancierung von Qualitätskriterien und Einzelmaßnahmen ausreichend Rechnung zu tragen. Dieses bedarf in Zukunft sicherlich einer längeren Vorbereitungsphase und einem gezielteren Feintuning der einzelnen Erhebungsinstrumente. Neben diesen eher strategischen Überlegungen wurden im Laufe der Surveyarbeit eine ganze Reihe von Einzelmaßnahmen z. T. post hoc zur Optimierung der Surveyqualität eingesetzt. Diese Einzelmaßnahmen werden in einem ausführlichen Feldbericht zur Surveyarbeit dokumentiert werden. Wir wollen an dieser Stelle nur einige hervorheben: – Optimierung der Routenpläne – Einführung von gebührenfreien Telefonnummern als Hotline für die Probanden – Internet-Informationen über den Survey zur Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit – Verbesserung der Pressearbeit in den Untersuchungsgemeinden – bessere Integration der Surveyinstrumente in den Erhebungsablauf in den Untersuchungspoints – Erhöhung der Flexibilität in der Reihenfolge der Interviewbestandteile und Untersuchungselemente – Nachschulung der Interviewer – Einführung von monetären Anreizen für die Befragten – Verbesserung der Kontaktaufnahme mit den Non-Respondern Aus den Erfahrungen mit dem Bundes-Gesundheitssurvey lassen sich folgende allgemeine Schlußfolgerungen ableiten: – Eine hohe Surveyqualität entsteht nur durch eine Optimierung multipler Qualitätskriterien. – Mit gegebenen und immer begrenzten Ressourcen ist es unmöglich, alle Surveykriterien gleichzeitig zu maximieren. – Strategische Entscheidungen über die Gewichtung der unterschiedlichen Qualitätskriterien in entstehenden Krisen- Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S67 3 4 5 6 Forschungsverbund DHP (Hrsg.) (1998). Die Deutsche HerzKreislauf-Präventionsstudie. Bern Göttingen Toronto Seattle, Verlag Hans Huber Gabler S, Hoffmeyer-Zlotnik JHP (Hrsg.) (1997). Stichproben in der Umfragepraxis. Opladen, Westdeutscher Verlag Koch A (1998). Wenn „mehr“ nicht gleichbedeutend mit „besser“ ist: Ausschöpfungsquoten und Stichprobenverzerrungen in allgemeinen Bevölkerungsumfragen. ZUMA-Nachrichten 22: 66–90 Potthoff P, Schneider R (1997). Die Gewinnung von Daten aus der Bevölkerung. In: Weitkunat R, Haisch J, Kessler M (Hrsg.). Public Health und Gesundheitspsychologie. Bern/Göttingen/Toronto/Seattle, Verlag Hans Huber, 88–93 Schnell R (1998). Non-Response in Bevölkerungsumfragen – Ausmaß, Entwicklung und Ursachen. Opladen, Leske + Budrich Schroeder E, Potthoff P, Reis U, Klamert A (1998). Erhebungsarbeiten im Bundes-Gesundheitssurvey. Gesundheitswesen 60; 1998: Sonderheft 2: 104–107 Dr. Peter Potthoff I+G Gesundheitsforschung GmbH & Co Landsberger Straße 338 D-80687 München S68 Qualitätskontrolle im ›› Externe Bundes-Gesundheitssurvey: Konzept und Site-Visits Zusammenfassung: Den Ergebnissen des Bundes-Gesundheitssurveys kommt eine hohe gesundheitspolitische und wissenschaftliche Bedeutung zu. Zum Qualitätsmanagementkonzept des Kernsurveys gehörte deshalb ergänzend zur internen Qualitätssicherung auch eine externe Qualitätskontrolle, die von der Firma Bernhard Schwertner Feldorganisation, Augsburg, durchgeführt wurde. Die externe Qualitätskontrolle umfaßte vertragsgemäß die Bereiche Schulung des Untersuchungspersonals, Stichprobe und Beteiligung, Feldarbeit sowie Datenmanagement. Für jeden dieser vier Bereiche wurden von der externen Qualitätskontrolle Kontrollmaßnahmen und nachgeordnete detaillierte Kataloge mit Prüfkriterien erarbeitet. Ziel war dabei, potentielle und tatsächliche Fehlerquellen zu finden und daraus umgehend Empfehlungen für die interne Qualitätssicherung abzuleiten. In diesem Beitrag wird das Konzept der externen Qualitätskontrolle kurz vorgestellt, und es werden Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Bereich Feldarbeit beschrieben. Schlüsselwörter: Bundes-Gesundheitssurvey – Qualitätskontrolle – Feldarbeit – Datenmanagement External Quality Control in the German National Health Interview and Examination Survey: Concepts and Site Visits: The results of the German National Health Interview and Examination Survey will be of great importance for health policy and research. Therefore, internal quality management was supplemented by an external quality control which was carried out by a private company (Bernhard Schwertner Feldorganisation, Augsburg). The interviewer training, sampling and response, field work and data management were included into the external quality control. For each of these four areas, measures of control and detailed check-lists were provided by the external quality control. The aim was to find sources of potential and real errors and to arrive at recommendations for internal quality management. The general concept of external quality control is briefly presented and experiences and results from the quality control of the field work are described in the present paper. Key words: National Health Survery – Quality Control – Field Work – Data Management Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S68–S71 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York G. Winkler1, B. Filipiak2, H.W. Hense3, B. Schwertner4 1 Fachhochschule Albstadt-Sigmaringen, Fachbereich Ernährungsund Hygienetechnik, Sigmaringen 2 GSF-Institut für Epidemiologie, Neuherberg 3 Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin 4 Firma Bernhard Schwertner Feldorganisation, Augsburg Einleitung Das Qualitätsmanagementkonzept des Bundes-Gesundheitssurveys 1997/98 umfaßte zusätzlich zur internen Qualitätssicherung eine kontinuierliche Begutachtung durch eine unabhängige externe Institution. Die externe Qualitätskontrolle war dabei nach den Vorgaben des RKI beschränkt auf den Kernsurvey und hatte die Schulung des Untersuchungspersonals, die Durchführung der Feldarbeit einschließlich Kontrolle der Messungen und der Fragebogendaten, die Prüfung der Stichprobenziehung und der Ausschöpfung sowie die Prüfung der Datenübertragung und die Kontrolle der Datenbank zum Inhalt. Da die Arzneimittelanamnese vom Untersuchungsablauf her in das ärztliche Interview des Kernsurveys integriert war, unterlag sie ebenfalls der externen Qualitätskontrolle. Der weitere Verlauf des Arzneimittelsurveys jedoch, wie auch die anderen Module im Bundes-Gesundheitssurvey [siehe Bellach et al. 1998] waren dagegen nicht Bestandteil einer externen Qualitätskontrolle. Nach einem beschränkten Ausschreibungsverfahren wurde die Firma Bernhard Schwertner Feldorganisation, Augsburg, mit der externen Qualitätskontrolle beauftragt. Sie verfügt über Erfahrungen in der Organisation und Durchführung von epidemiologischen Studien vergleichbarer Größenordnung (z.B. Surveys 1989/90 und 1994/95 im Rahmen des MONICA* Projektes Region Augsburg) und arbeitete in einigen Bereichen der Qualitätskontrolle des Kernsurveys zusätzlich mit anerkannten Experten (Frau Dipl.-Stat. Birgit Filipiak, Neuherberg, und Herr Prof. Dr. Hans-Werner Hense, Münster) zusammen. Konzept und erste Erfahrungen der externen Qualitätskontrolle sind bereits ausführlich beschrieben [Winkler et al. 1998]. Im vorliegenden Beitrag werden deshalb Konzept und generelle Vorgehensweise nur kurz dargestellt. Erfahrungen aus den Site-Visits zur Qualitätskontrolle der Feldarbeit und Ergebnisse der regelmäßigen Prüfung der Meßdaten auf systematische Inter-Untersucher-Differenzen werden am Beispiel Taillen- und Hüftumfangsmessung beschrieben. * MONICA = Monitoring of trends and determinants in cardiovascular disease Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S69 Konzept der externen Qualitätskontrolle Erfahrungen aus den Site-Visits Für die Durchführung der externen Qualitätskontrolle wurden Die unangekündigten Site-Visits wurden ausschließlich von die oben genannten Schwerpunkte zu den vier Bereichen SchuPersonen durchgeführt, die über Erfahrungen in der Durchlung des Untersuchungspersonals , Stichprobe und Beteiligung , führung ähnlicher Erhebungen verfügen. Dabei wurden einerFeldarbeit und Datenmanagementzusammengefaßt und Qualiseits grundlegende Standards, wie z.B. die Ausstattung des Untersuchungszentrums inkl. des Labors, die internen Artät in Übereinstimmung mit dem RKI und I+G definiert als kontinuierliche Einhaltung allgemein anerkannter wissenschaftlicher beitsabläufe und hier speziell die Reihenfolge der UntersuStandards und Methoden unter besonderer Berücksichtigung der chungsteile, die vorschriftsmäßige Identifikation der ProbanAnforderungen und Vorgaben des Auftraggebers (RKI) . den, die datenschutzrechtlich einwandfreie Verwahrung personenbezogener Unterlagen u.ä., und daneben jeweils In einschlägigen Qualitätsmanagementkonzepten stellt die schwerpunktmäßig einzelne Untersuchungsteile detailliert kontinuierliche Kontrolle von Qualität anhand allgemein ananhand von Checklisten (Beispiel siehe Tab. 1) geprüft und erkannter und exakt definierter Kriterien eine Grundlage dar, beurteilt. auf der konkrete Maßnahmen zur Qualitätssicherung ansetzen. Übertragen auf den Bundes-Gesundheitssurvey bedeutet Insgesamt fanden aufgrund der für die externe Qualitätskondies, daß die Hauptfunktionen der externen Qualitätskontrolle zur Verfügung stehenden Mittel nur insgesamt 25 jetrolle erstens im Erarbeiten und Anwenden von Strategien weils eintägige Site-Visits statt, die gleichmäßig auf die vier zum Finden und Aufdecken von potentiellen und realen FehTeams verteilt wurden – d.h. bei einer Feldlaufzeit von über lern und zweitens im Aufzeigen von Möglichkeiten zur Vereinem Jahr hatte jedes der vier Teams maximal sieben externe meidung und Reduzierung dieser Fehler unter BerücksichtiKontrollbesuche zu erwarten. Die dabei gewonnenen Eingung der gegebenen Rahmenbedingungen gesehen wurde. drücke wurden unverzüglich an die interne QualitätsDie Umsetzung der Empfehlungen oblag dem internen Qualisicherung weitergeleitet, die wie von Potthoff et al. (1999) tätsmanagement, das an anderer Stelle beschrieben ist [Pottbeschrieben, reagierte. Erwartungsgemäß betrafen die Behoff et al., 1999]. anstandungen anfänglich eher Organisatorisches (z.B. Reihenfolge von Untersuchungsteilen), später dagegen mehr und mehr individuelle Abweichungen vom UntersuchungshandKonkrete Vorgehensweise buch bei einzelnen Untersuchern, die sich infolge der zunehmenden Routine einschlichen. In der Praxis wurden von der externen Qualitätskontrolle für jeden der vier Bereiche Schulung des Untersuchungspersonals , Stichprobe und Beteiligung , Feldarbeit und Datenmanagement Als problematisch erwies sich bei den Site-Visits die Tatsache, daß trotz der Checklisten nur bestimmte Bereiche „objektiv“ konkrete Prüfmaßnahmen entwickelt und mittels Checklisten erfaßbar waren (z.B. „harte“ Daten zur Response und zur oder Prüfkatalogen operationalisiert. Diese Listen und KataMeßgenauigkeit, Feststellen mangelnden Nachfragens nach loge lagen allen Beteiligten vor und wurden allgemein akzepNährstoffsupplementen oder Kontrazeptiva in der Arzneimittiert, was Transparenz und größtmögliche Objektivität telanamnese), personen- oder situationsbezogene Bereiche gewährleisten sollte. Die Checklisten oder Prüfkataloge badagegen mußten naturgemäß „subjektiv“ beurteilt werden sierten auf den im Operationshandbuch beschriebenen Stan(z.B. direktives Verhalten im Arztinterview, Umgang mit Prodards. Details und Beispiele zu allen vier Kontrollbereichen banden, Atmosphäre im Untersuchungszentrum etc.). Trotz wurden bereits veröffentlicht [Winkler et al. 1998]. Die prindieser offensichtlichen Problematik sollen die folgenden zipielle Vorgehensweise wird hier deshalb lediglich am BeiStichpunkte einige dieser „subjektiven“ Erfahrungen aufzeispiel Feldarbeitnochmals erläutert: gen: – Nichtärztliches medizinisches Untersuchungspersonal Die Datenerhebung im Feld muß den Hauptschwerpunkt des scheint an Qualitätskontrollen eher gewöhnt zu sein als Qualitätsmanagements in epidemiologischen Studien darstelärztliches Untersuchungspersonal und war Kontrollen, len [Haraldsdottir 1993], da hier auftretende Mängel, wie z.B. Nachschulungen und Verbesserungsvorschlägen gegenzufällige Interview- oder Meßfehler oder systematische Abüber insgesamt aufgeschlossener. weichungen in der Meßgenauigkeit, bei der Auswertung nicht – Beim ärztlichen Untersuchungspersonal waren deutliche kontrolliert werden können und – wie beim Bundes-GesundUnterschiede im Verständnis für und der Anerkennung und heitssurvey – üblicherweise auch keine Möglichkeit besteht, Einhaltung von streng standardisierten Vorgehensweisen sie durch Wiederholungsmessungen eliminieren zu können. und nichtdirektiven Befragungstechniken erkennbar zwiKonkret wurden zur Kontrolle der laufenden Feldarbeit im schen Personen mit überwiegend bevölkerungsmediziniBundes-Gesundheitssurvey folgende Maßnahmen kombischer (z.B. Zusatzausbildung in Public Health) oder indiviniert: dualmedizinischer Vorerfahrung. – die kontinuierliche Kontrolle der Beteiligung einschließlich – Bei mehreren Untersuchungsteams und langer Felddauer der Kategorisierung von Ausfällen und Verweigerern [siehe sind Supervisionen und regelmäßige Qualitäts-Workshops dazu Thefeld et al., 1999], empfehlenswert. Anhand konkret aufgetretener Probleme – unangekündigte Site-Visits (Feldbesuche) zur Kontrolle des (z.B. in der Arzneimittelanamnese, bei einzelnen InterUntersuchungsablaufs in den Untersuchungszentren anviewfragen u.a.m.) können möglicherweise auseinanderhand von Prüfprotokollen (teilnehmende Beobachtung und driftende Vorgehensweise und Lösungen gemeinsam Teilnahme als „Gast- oder Gefälligkeitsproband“ an kombesprochen, standardisiert und im Operationshandbuch pletten Untersuchungsdurchläufen) und fortgeschrieben werden. Alternativ sollten andere Metho– regelmäßige, quartalsweise Prüfung der Qualität der Meßden zum wiederholten Training der standardisierten Erhedaten mittels definierter Analysen der erhobenen Daten. S70 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 Tab. 1 Checkliste zur Kontrolle der anthropometrischen Messungen Körpergröße Boden sauber, abgedeckt? Pb1): Schuhe ausgezogen? Pb: Schwere Kleidung abgelegt? Pb: Füße in ca. paralleler Stellung? Pb: Körperhaltung aufrecht? Pb: Atmung normal? Pb: Kopfhaltung korrekt Meßbacken korrekt abgesenkt? Meßbacken nach Wegtreten des Pb unverändert? Wert auf 0,1 cm genau abgelesen? Besondere Vorkommnisse vermerkt? Größenbestimmung>2,00 m korrekt vorgenommen? Evtl. aufgetretene besondere Vorkommnisse oder Umstände eingetragen? Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Ja Nein Ja Nein Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Ja Ja Ja Ja Ja Nein Nein Nein Nein Nein Entfällt Entfällt Entfällt Körpergewicht Waage in waagrechtem Stand (Wasserwaage)? Displayanzeige korrekt? Gerätenummer der Waage notiert? Pb: Ohne Schuhe und ohne schwere Kleidung? Steht Pb auf der Mitte der Platte? Pb beim Wiegen ruhig stehengeblieben? Gewicht auf 0,1 kg genau abgelesen und richtig eingetragen? Evtl. aufgetretene besondere Vorkommnisse oder Umstände eingetragen? Entfällt Taillenumfang Pb: Taillenbereich frei gemacht und Kleidung fixiert? Pb: Körperhaltung korrekt (Arme seitlich hängend, Fersen geschlossen, Fußspitzen leicht gespreizt)? Auf normale Atmung des Pb geachtet? Maßband an richtiger Stelle angelegt? Maßband weder zu locker noch zu fest? Maßband horizontal verlaufend? Augen der Untersucherin auf Höhe des Maßbandes? Meßpunkt bei adipösen Probanden ertastet? Maß auf 0,5 cm genau abgelesen? Messung bei Schwangeren ab der 13. Schwangerschaftswoche unterlassen? Falls Taillenumfang nicht gemessen oder besondere Umstände, Sachverhalt notiert? Entfällt Entfällt Entfällt Hüftumfang Pb: Körperhaltung korrekt? Maßband über den größten Umfang angelegt? Augen der Untersucherin auf Höhe des Maßbandes? Maßband auf 0,5 cm genau abgelesen? Besondere Vorkommnisse oder Grund für fehlende Messung eingetragen? 1) Entfällt Pb=Proband/Probandin bungsmethodik (z.B. Video-, PC-Übungsprogramme o. ä.) zum Einsatz kommen. – Der Einfluß der Rahmenbedingungen in den wechselnden Untersuchungszentren (z.B. baulicher Zustand, Anzahl der Räume usw.), die den Arbeitsplatz des Teams darstellten, auf die Motivation eines Teams und damit letztendlich seine Gesamtperformance sollte nicht unterschätzt werden. – Ebenso wirkt sich die materielle Teamausstattung und Logistik aus. So war es beispielsweise für die Teams belastend, daß nicht jedem Team eine komplette Geräteausstattung zur Verfügung stand [siehe dazu auch Potthoff et al., 1999] und der „Vor-Ort-Support“ durch die Feldleitung in der ersten Feldphase noch wirkungsvoller hätte sein können. Ergebnisse der Prüfung der Meßdaten auf systematische Untersucherunterschiede Als wichtigste Ergänzung zu den Site-Visits erwiesen sich regelmäßige Auswertungen ausgewählter Meßdaten hinsichtlich inter-individueller Untersucherunterschiede, mit denen oftmals „subjektive“ Eindrücke aus den Feldbesuchen (z.B. zu „straffes“ Messen von Taillen- und Hüftumfang oder Messen der Taille auf nackter Haut und Messen der Hüfte auf Kleidung durch einzelne Untersucher) „objektiviert“ werden konnten [Details siehe Winkler et al. 1998]. Tab. 2 zeigt hier ein Beispiel aus dem dritten Surveyquartal. In allen vier Surveyquartalen wurden durch das Monitoring der Meßwerte Inter-Untersucher-Differenzen gefunden, die anschließend durch gezielte Information oder Nachschulungen seitens der internen Qualitätssicherung korrigiert werden konnten. Problematisch war in diesem Zusammenhang aller- Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S71 Tab. 2 Untersuchereffekte bei den Messungen des Taillen- und Hüftumfangs: Differenz der adjustierten Mittelwerte1) zum overall-Mittelwert nach Untersucher (Basis: ungeprüfte Meßdaten des 3. Surveyquartals) Taillenumfangsmessung Untersucher Anzahl Messung Diff. Mittelwert Std. Error A B C D E F G H I J K L3) 53 241 211 65 276 38 30 31 103 146 44 60 –0,62 –0,48 –2,03 –2,24 –0,95 –0,19 –0,48 –3,17 –3,91 –1,82 –0,52 –0,00 1,45 0,68 0,72 1,31 0,63 1,71 1,92 1,90 1,04 0,87 1,59 1,36 1) 2) 3) Hüftumfangsmessung p-Wert2) Diff. Mittelwert Std. Error p-Wert2) 0,6701 0,4781 0,0053 0,0860 0,1348 0,9118 0,8044 0,0939 0,0002 0,0365 0,7437 0,9992 –0,08 –0,44 –1,47 –2,11 –1,11 –0,17 –0,32 –2,07 –2,25 –1,77 –2,12 –0,23 1,15 0,54 0,58 1,04 0,50 1,36 1,53 1,50 0,82 0,69 1,26 1,08 0,9424 0,4156 0,0108 0,0420 0,0283 0,8977 0,8364 0,1679 0,0063 0,0107 0,0925 0,8348 Adjustiert nach Geschlecht und Alter (Geburtsjahr). Bei Annahme eines globalen Testniveaus von 1% ergibt sich bei 12 Untersuchern nach der Bonferroni-Adjustierung das multiple Niveau von 0,0008. Untersucher, die weniger als 25 Messungen durchgeführt haben, wurden unter L zusammengefaßt. dings die große zeitliche Verzögerung, mit der die Meßdaten üblicherweise zur Qualitätsanalyse zur Verfügung standen, was letztendlich unnötige Verzögerungen bei den notwendigen Korrekturen zur Folge hatte. Ausblick Unabhängige externe Ergänzungen des internen Qualitätsmanagements werden unseres Wissens bei großen epidemiologischen Studien international seit längerem eingesetzt und auch in Deutschland in zunehmendem Maße gefordert und verwirklicht (z.B. Vorgängerstudien des Bundes-Gesundheitssurveys, Greifswald-Studie, KORA-Survey 2000 „Leben und Gesundheit in der Region Augsburg“). Leider werden Konzepte, Erfahrungen und Ergebnisse aus der Praxis der Qualitätssicherung bisher nur sporadisch veröffentlicht, wie eine aktuelle medline-Recherche (Stand November 1999) bestätigt. Dies erschwert eine erfahrungs- und praxisorientierte Weiterentwicklung des Qualitätsmanagements epidemiologischer Studien. Das vorgestellte Konzept, das hier anhand des Kontrollbereichs Feldarbeit exemplarisch vertieft wurde, hat sich im Bundes-Gesundheitssurvey – wenn auch mit anfänglichen Schwierigkeiten – langfristig bewährt und kann unserer Ansicht nach in abgeänderter Form auf andere Studien übertragen und weiterentwickelt werden. Aus heutiger, nachträglicher Sicht ist dringend zu empfehlen, das komplette Qualitätsmanagement bereits in der Pilotphase zu testen und Kompetenzen, Strukturen und Abläufe detailliert im Operationshandbuch zu fixieren. Als wichtig zum Aufbau einer Vertrauensbasis erwies sich auch die formelle Unterzeichnung von Geheimhaltungsklauseln durch alle Beteiligten. Ergebnisse der Datenprüfung Ursprünglich war geplant, zu drei Zeitpunkten, nämlich am Anfang, in der Mitte und am Ende der Feldarbeit die eingegebenen Daten zu prüfen. Mit der Prüfung konnte dann jedoch erst sechs Monate nach Feldbeginn begonnen werden. Eine möglichst frühzeitige Prüfung hat sich als vorteilhaft erwiesen, da Fehler entdeckt wurden, deren Ursache in fehlerhaf- ten Eingabemasken begründet waren und die umgehend korrigiert werden konnten. Ebenfalls erreicht wurde eine bessere Durchsicht der Hauptfragebogen im Zentrum und leserlicher ausgefüllte Meßbogen. Das Kodierschema lag nicht von Anfang der Studie an für alle Mitarbeiter verbindlich in schriftlicher Form vor, was eberfalls zu Verzögerungen bei der Endabnahme führte. Insgesamt wurden über 37500 nummerische Felder in der Datenbank (davon 85% von 56 zufällig ausgewählten Teilnehmern) auf Korrektheit der Eingabe und der Kodierung geprüft. Der Anteil an Fehlern lag hier mit 0,14% deutlich unter den geforderten 0,2%. Literatur 1 2 3 4 5 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: 59– 68 Haraldsdottir J (1993). Minimizing error in the field: quality control in dietary surveys. Eur J Clin Nutr 47, Suppl. S2: 19–24 Potthoff P, Schröder E, Reis U, Klamert A (1999). Ablauf und Ergebnisse der Feldarbeit beim Bundes-Gesundheitssurvey. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S62–S67 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999). Bundes-Gesundheitssurvey. Response, Zusammensetzung der Teilnehmer und Non-Responder-Analyse. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S57–S61 Winkler G, Filipiak B, Hense HW, Schwertner B (1998). Externe Qualitätskontrolle im Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98: Konzept und erste Erfahrungen. Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: 108–112 Prof. Dr. Gertrud Winkler Fachhochschule Albstadt-Sigmaringen Fachbereich Ernährungs- und Hygienetechnik Anton-Günther-Straße 51 D-72488 Sigmaringen S72 Herzinfarktgeschehen in der ›› Zum Bundesrepublik Deutschland: G. Wiesner, J. Grimm, E. Bittner Robert Koch-Institut, Berlin Prävalenz, Inzidenz, Trend, OstWest-Vergleich Zusammenfassung: Der Bundes-Gesundheitssurvey als deskriptive Querschnittsstudie erlaubt die Erfassung der Postmyokardinfarkt-Fälle, d.h. den Bestand (Prävalenz) an Überlebenden nach dem Ereignis eines Infarktes (nichtletale Myokardinfarkte). Die 18- bis unter 80jährige Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland 1998 hat eine LebenszeitPrävalenz an Zuständen nach Herzinfarkt von 2,45%. Die altersspezifischen Lebenszeit-Prävalenzwerte steigen mit zunehmendem Alter bei beiden Geschlechtern deutlich an. Zwischen dem 30. und 59. Lebensjahr kommen auf einen weiblichen Herzinfarktträger mehr als vier männliche; zwischen dem 60. und 79. Lebensjahr beträgt diese Relation nur noch etwa 1 zu 1,5. In der 30–<80jährigen Bevölkerung der Bundesrepublik gibt es etwa 1450000 Postmyokardinfarkt-Fälle (Infarktträger). In dem relativ jungen Erwachsenenalter zwischen 30 bis 49 Jahren gibt es ca. 100000 männliche Postmyokardinfarkt-Fälle. Bei der weiblichen Bevölkerung existiert in diesem Altersbereich eine wesentlich geringere Krankenpopulation. Beim Postmyokardinfarktgeschehen bestehen 1997/98 zwischen den alten und neuen Bundesländern keine signifikanten Morbiditätsunterschiede. Der Trend der Lebenszeit-Prävalenzraten im Vergleich 1997/98 zu 1990/92 läßt erkennen: – bei der 25–<70jährigen Bevölkerung in der Bundesrepublik hat die Bestandsmenge an Postmyokardinfarkten abgenommen; – in den alten Bundesländern sind die Lebenszeit-Prävalenzraten ebenfalls gesunken; – in den neuen Bundesländern haben sich im gleichen Zeitraum die Prävalenzraten bei beiden Geschlechtern erhöht. 1997/98 ereigneten sich in der Bundesrepublik Deutschland bezogen auf die 18–<80jährige Bevölkerung in einer vollen 12-Monats-Periode insgesamt etwa 190000 nichtletale Myokardinfarkte (Inzidenzfälle an Überlebenden nach dem Ereignis eines akuten Erst- und/oder akuten Reinfarktes). Notes on the Myocardial Infarction Scene in the Federal Republic of Germany: Prevalence, Incidence, Trends, Comparison between Eastern and Western Germany: The German National Health Interview and Examination Survey, as a descriptive cross-sectional study, allows the recording of post-myocardial infarct cases, e.g. the number (prevalence) of survivors after an infarct has occurred (non-lethal myocardial infarcts). The 18 to 79 year old residential population in Germany had a lifetime prevalence of 2.45% for conditions after a heart attack. The age-specific lifetime prevalence values increase with increasing age for both men and women. Between the ages of 30 and 59 there are more than 4 male heart attack victims for every woman; between the ages of 60 and 79 this relation is only 1 to 1.5. The 30–<80 year old population in Germany has around 1,450,000 post-myocardial infarct cases (heart attack victims). There are about 100,000 male post-myocardial infarct cases among relatively young adults between 30 and 49 years of age. There were hardly any cases in the female population in this age group. In regard to post-myocardial infarcts there were no significant morbidity differences between the eastern and western German states in 1997/98. A comparison of the lifetime prevalence rates between 1997/98 and 1990/92 shows the following trend: – the number of post-myocardial infarcts in the German population 25–<70 years old decreased; – in Western Germany the lifetime prevalence rates also declined, – in Eastern Germany the prevalence rates among both men and women increased in this period of time. In the period 1997/98 there were around 190,000 non-lethal myocardial infarcts in the 18 to 79 year old German population in a full 12 month period (incidence cases of survivors after the occurrence of an acute first and/or acute reinfarcts). Key words: Heart Attack – Prevalence – Trend – Incidence Non-Lethal Heart Attacks Schlüsselwörter: Herzinfarkt – Prävalenz – Trend – Inzidenz an nichtletalen Herzinfarkten Einführung Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S72–S78 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Koronare Herzkrankheiten sind nach wie vor die Hauptursache der vorzeitigen Sterblichkeit in den industrialisierten Ländern [MONICA Projekt 1987, Jackson 1990, Marques-Vidal et al. 1997]; in der Bundesrepublik Deutschland entfielen 1996 14,6% der gesamten Sterbefälle im Alter von 35 bis 64 Jahre auf diese einzelne Krankheitsgruppe. Bei der männlichen Bevölkerung ist hierbei der akute Myokardinfarkt die mit Abstand häufigste Einzeltodesursache gegenüber allen anderen Beitrag: 346.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S73 Zum Herzinfarktgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland krankheitsbedingten und nichtnatürlichen Todesursachen. Nach den zuletzt aktuell verfügbaren Daten der offiziellen Todesursachenstatistik [Statistisches Bundesamt 1999] verstarben 1997 in der Bundesrepublik 45623 Männer an einem akuten Myokardinfarkt. Seit Jahren ist im früheren Bundesgebiet eine kontinuierliche Abnahme der Gesamtmortalität an Herz-Kreislauf-Krankheiten und insbesondere der Sterblichkeit an koronaren Herzkrankheiten zu konstatieren. In den neuen Bundesländern kam es nach einem anfänglichen Ansteigen der koronaren Mortalität nach der Wiedervereinigung [Hoffmeister et al. 1993, Wiesner 1995] zu einer Senkung der Herzinfarktsterblichkeit. An dieser Stelle muß beachtet werden, daß ein Teil der akuten Herzsterbefälle in der offiziellen Todesursachenstatistik unter anderen Positionen erscheint (z.B. Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Hypertonie, allgemeine Arteriosklerose, Herzsekundentod, Todesfälle mit ungeklärter Ursache). Die koronare Sterblichkeit wird daher etwas zu niedrig ausgewiesen. Obgleich die koronare Mortalität einschließlich der Sterblichkeit am akuten Myokardinfarkt abnimmt, ist der Trend der Inzidenz- und Ereignisraten beim Infarkt nicht eindeutig. Die weibliche Bevölkerung hat wohl eine niedrigere Herzinfarktsterblichkeit als die männliche Bevölkerung, aber die Registerdaten der MONICA-Projekte läßt bei den Frauen eine Zunahme der Inzidenz- und Ereignisraten erkennen [Marques-Vidal et al. 1997, Keil 1992, Löwel et al. 1995]. Dies korrespondiert mit dem Trend koronarer Risikofaktoren. Die Prävalenzrate der Hypertonie, der Anteil der stark Übergewichtigen und der Anteil der Raucherinnen ist im zeitlichen Vergleich zwischen 1991 und 1998 in der Bundesrepublik weiter angestiegen, und die HDL-Cholesterinwerte sind im gleichen Zeitraum gesunken (die HDL-Fraktion des Serumcholesterins hat eine protektive Wirkung gegenüber koronaren Herzkrankheiten) (Daten des Gesundheitswesens 1999). Im vereinten Deutschland muß nach eigenen Berechnungen mit mehr als 280000 Herzinfarkten jährlich als Neuzugängen (Inzidenz) gerechnet werden [Wiesner et al. 1995]. Innerhalb von 28 Tagen nach Infarktereignis (einschließlich Prä- und Posthospitalphase) stirbt wahrscheinlich zur Zeit noch mehr als ein Drittel der Erkrankten (sog. 28-Tage-Letalität). Damit gehört der Herzinfarkt auch gegenwärtig noch zu den Krankheitsereignissen, die trotz einer Reihe neuer diagnostischer Methoden und Behandlungsmodalitäten mit einer sehr hohen Fatalitäts- und Letalitätsrate belastet sind. Das Herzinfarktgeschehen hat demnach einen maßgeblichen Einfluß auf die Gesundheitslage der Bevölkerung in der Bundesrepublik. ständnis zur Pathogenese koronarer Herzkrankheiten (inkl. Myokardinfarkt) stark gefördert. Aus den Erkenntnissen konnten beispielsweise eine Reihe neuer diagnostischer Methoden, Behandlungsmodalitäten und präventiver Praktiken entwickelt werden. Vornehmlich ging es auch um die Prädiktion koronarer Herzkrankheiten, durch die koronare Risiken oder asymptomatische Risikoträger aus der „gesunden“ Bevölkerung identifiziert werden konnten. Die prävalenzbezogenen Surveydaten ermöglichen die Erfassung einiger Risiken des Krankseins am Herzinfarkt selbst. Die mit dem Kranksein „Herzinfarkt“ assoziierten Merkmale (z.B. soziodemographische Merkmale, andere Krankheiten, Verhalten und Lebensstil, Labor- und Körpermeßgrößen, psychische und genetische Faktoren, Medikamenteneinnahme) lassen sich einer Beschreibung zuführen. Surveydaten erlauben logischerweise nur die Erfassung der Postinfarkt-Fälle bzw. der Zustände nach einem Herzinfarkt, d.h. den Bestand an Überlebenden nach dem Ereignis eines Infarktes, der durch eine sehr hohe Letalität und Fatalität charakterisiert ist. Die nichtletalen Myokardinfarkte werden im Kernsurvey nach folgenden Prozeduren registriert: – Im Selbstausfüllfragebogen des Probanden durch die Frage „Welche der folgenden Krankheiten hatten Sie jemals?“ Bei der Angabe „Herzinfarkt“ wurden die Alternativen „Ja“, „Nein“ und „weiß nicht“ vorgegeben. Die Art der Befragung bestimmt den Inhalt der epidemiologischen Information. Erfaßt wird die Menge prävalenter Fälle an Zuständen nach Herzinfarkt einer 18- bis 79jährigen Wohnbevölkerung („Herzinfarktträger“), die im Verlauf der Lebenszeit der Probanden bis zum Zeitpunkt der Erhebung aufgetreten sind. Eine Quantifizierung dieser Zustände führt zur Ableitung von alters- und geschlechtsspezifischen LebenszeitPrävalenzraten zu einem betrachteten Zeitpunkt t1. Prävalenzrate= Krankenbestand in t1 mittlere Bevölkerung – Eine nosologische Zuordnung dieser Zustände nach akutem Myokardinfarkt (AMI), altem Myokardinfarkt, Reinfarkt, subendokardialem Infarkt, Postmyokardinfarkt-Syndrom etc. ist nicht möglich. – Im Erhebungsbogen erfolgte die ärztliche Befragung zu Krankheiten nach folgendem Modus: A) Hat ein Arzt jemals eine der folgenden Krankheiten oder Gesundheitsstörungen beim Probanden festgestellt? B) Wann ist die Krankheit zuletzt aufgetreten? Material und Methodik Aus epidemiologischer Perspektive ist der Bundes-Gesundheitssurvey einer deskriptiven Querschnittsstudie (Beobachtungsstudie) zuzuordnen. Er erlaubt u.a. Aussagen über die gesundheitliche Situation von Krankenpopulationen – hier der Herzinfarktpopulation in der Bundesrepublik Deutschland (Prävalenzstudie). Angaben über die zeitliche und räumliche Verteilung und bevölkerungsbezogene strukturelle Differenzen der Herzinfarktpopulation werden ermöglicht. Im Vordergrund des Interesses von Studien auf der Basis von Herzinfarktregisterdaten bzw. von prospektiven epidemiologischen Studien steht insbesondere die Quantifizierung des Risikos, krank zu werden bzw. des Risikos, einen Herzinfarkt zu erleiden. Diese inzidenzbezogenen Studien haben das Ver- C) In welchem Lebensalter (Alter in Jahren) ist diese Krankheit erstmals aufgetreten? A. Jemals vom Arzt festgestellt Nein 03. Herzinfarkt (Wenn „Ja“, auch Unterfrage III „Herzinfarkt“ beantworten) *1 = innerhalb der letzten 4 Wochen 2 = innerhalb der letzten 12 Monate 3 = länger her 4 = weiß nicht Beitrag: 346.fm Ausdruck vom 25.5.00 2 B. Wann ist die Krankheit zuletzt aufgetreten?* D. Erstmals aufgetreten Ja 1 1 2 3 4 Im Alter von S74 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 G. Wiesner, J. Grimm, E. Bittner Eine weitere Klassifizierung der Postmyokard-Fälle erfolgte durch den Arzt nach folgendem Muster: 1990/92 und 1997/98 auf Selbstangaben. Alle übrigen Aussagen stützen sich auf Daten der ärztlichen Überprüfung (Erhebungsbogen für die ärztliche Befragung zu Krankheiten). Unterfrage III – Herzinfarkt 15. Wie viele Herzinfarkte hatten Sie? Anzahl: 16. Geben Sie bitte Ihr Lebensalter an, in dem der erste und der letzte Herzinfarkt aufgetreten sind (Wenn nur ein Herzinfarkt, bitte bei „Erster Herzinfarkt“ eintragen). Erster Herzinfarkt mit 17. t Jahren Letzter Herzinfarkt mit Jahren Haben Sie nach dem letzten Infarkt an einem Nachsorgeverfahren (Anschlußheilbehandlung) in einer Rehabilitationsklinik teilgenommen? 1 2 ja......................................... 18. nein.................................... Um verschiedene Kategorien vergleichbar zu machen, wurden die entstandenen Häufigkeiten auf eine gemeinsame Population nach Alter und Geschlecht standardisiert. Für die so entstandenen Schätzungen der Kategorienhäufigkeiten sind die Voraussetzungen für die Anwendung statistischer Tests im strengen Sinne nicht mehr gegeben. Indem aber angenommen wird, daß diese Kategorienhäufigkeiten der Population entstammen, auf die diese Häufigkeiten standardisiert wurden, erlangt die Anwendung statistischer Tests, insbesondere des Chiquadrattests, wieder Bedeutung und wird daher zu Interpretationen herangezogen. Wenn Sie Ihren jetzigen Gesundheitszustand bewerten, empfinden Sie ... sehr große Angst große Angst weniger Angst keine Ergebnisse Angst 1 2 3 4 Damit können u.a. folgende epidemiologische Sachverhalte einer Klärung zugeführt werden: durchschnittliches Erkrankungsalter beim akuten Myokardinfarkt oder bei Reinfarkten, Periodenprävalenzraten, Prävalenzraten von Erstinfarkten oder Reinfarkten, jährliche Prävalenzraten, Schätzungen der Inzidenzraten nichtletaler Infarkte, Krankheitsdauer – Intervalle beim Infarkt bzw. Länge der infarktfreien Intervalle. Die Erfassung der überlebten Myokardinfarkte (nichtletale, akute Infarktereignisse), die innerhalb der letzten 12 Monate aufgetreten sind, erlaubt die Quantifizierung der Zugänge: Inzidenzrate= neue, nichtletale Infarktereignisse t1-t0 mittlere Bevölkerung Bei den aus Registerdaten berechneten Letalitätsraten handelt es sich in der Regel um Fatalitätsraten. Die Prävalenzdaten des Surveys ermöglichen dagegen die Berechnung der Letalitätsraten (in der deutschsprachigen Fachliteratur werden die Letalität und die Fatalität häufig verwechselt): Letalitätsrate= Gestorbene an der Krankheit (t1-t0) mittlere Prävalenz in (t1-t0) Die Fatalität beinhaltet die Anzahl der Gestorbenen einer Zugangsmenge in einem Zeitraum, dividiert durch die Anzahl der Zugänge in demselben Zeitraum. Die Validitätsprüfungen der Selbstangabe zu Herzinfarkt legen den Schluß nahe, daß die Daten zum Herzinfarkt im Survey mit einem hohen Maß an Korrektheit und Vollständigkeit berichtet werden [Bormann et al. 1990]. Dies zeigt auch die fast vollständige Übereinstimmung der Daten zur Myokardinfarkt-Prävalenz zwischen Selbstangaben und nachfolgender ärztlicher Überprüfung. Die Datenbasis des dritten Durchgangs des Nationalen Gesundheitssurveys 1990/91 in den alten Bundesländern und des Surveys Ost 1991/92 in den neuen Bundesländern basiert auf Selbstangaben der Probanden. Da im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 zusätzlich eine ärztliche Befragung vorgenommen wurde, beruhen Vergleiche zwischen den Perioden Die 18- bis unter 80jährige Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland hat eine Lebenszeit-Prävalenz an Zuständen nach Herzinfarkt von 2,45% (Tab. 1); d.h. auf 100000 der Bevölkerung im Alter von 18- bis unter 80 Jahren kommen etwa 2450 Postmyokardinfarkt-Fälle (Bestandsmenge an Herzinfarktträgern). Für diese und alle nachfolgenden Tabellen gilt: z. g. = zu geringe Besetzung; n.s.=nicht signifikant; s.+ = signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5%; s.++ = signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 1%; s.+++ = signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,1% Tab. 1 Lebenszeit-Prävalenz an Zuständen nach Herzinfarkt (Erst- und Reinfarkte); Population an Postmyokardinfarkten je 1 000 der Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland im Alter von 18–<80 Jahren: Bundes-Gesundheitssurvey (ärztliche Befragung) 1998 Altersgruppe Jahre gesamt männlich weiblich Chi2 18–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 insgesamt – 2,1 6,2 26,9 59,2 93,6 24,5 – – – – 14,2 40,5 64,2 16,7 z.g. z.g. s.+ s.++ s.+++ s.+++ 4,1 12,3 39,9 79,9 146,3 32,7 Beim Postmyokardinfarkt existieren zwischen der männlichen und weiblichen Bevölkerung signifikante Morbiditätsunterschiede (p<0,001). Die 18- bis unter 80jährigen Frauen haben eine annähernd halb so hohe Lebenszeit-Prävalenz gegenüber der gleichaltrigen männlichen Bevölkerung (weibliche Bevölkerung 1,7% vs. männliche Bevölkerung 3,3%). Die altersspezifischen Lebenszeit-Prävalenzwerte steigen mit zunehmendem Alter bei beiden Geschlechtern deutlich an. Das Infarktgeschehen spielt in der jüngsten Altersgruppe der 18bis unter 30jährigen sowohl bei der männlichen als auch bei der weiblichen Bevölkerung kaum eine Rolle; bei der weiblichen Bevölkerung werden die Postmyokardinfarkt-Prävalenz- Beitrag: 346.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S75 Zum Herzinfarktgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland Tab. 2 Hochrechnung der Postmyokardinfarkt-Fälle* (Erst- und Reinfarkte) für die 30- bis unter 80jährige Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland 1997/98 Altersgruppe (Jahre) mittlere Bevöl- Lebenszeit – kerung 1997 Prävalenzrate je 1000 d. Bev. absolute Zahl der PostinfarktFälle männliche Bevölkerung 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 ∑ 7231854 5746904 5314530 4215954 2067338 24576580 4,1 12,3 39,9 79,9 146,3 38,7 29651 70687 212050 336855 302452 951659 Beim Postmyokardinfarktgeschehen bestehen zwischen den alten und neuen Bundesländern keine signifikanten Morbiditätsunterschiede (Tab. 3). weibliche Bevölkerung 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 ∑ insgesamt 6769397 5570229 5272664 4606312 3736215 25954817 50531397 – – 14,2 40,5 64,2 19,3 28,7 In Tab. 2 wurde eine Hochrechnung der absoluten Zahl der Postmyokardinfarkt-Fälle für die Bundesrepublik Deutschland 1997/98 vorgenommen. Danach muß bei der 30– <80jährigen Bevölkerung mit etwa 1,45 Millionen Postmyokardinfarkt-Fällen (Herzinfarktträgern) gerechnet werden. Zwischen dem 30. und 59. Lebensjahr kommen auf einen weiblichen Herzinfarktträger mehr als vier männliche; zwischen dem 60. und 79. Lebensjahr beträgt diese Relation nur noch etwa 1 zu 1,5. In dem relativ jungen Erwachsenenalter zwischen 30 und 49 Jahren gibt es ca. 100000 männliche Postmyokardinfarkt-Fälle. Bei der weiblichen Bevölkerung existiert in diesem Altersbereich eine wesentlich geringere Krankenpopulation. 74872 186556 239865 501293 1452988 * Menge prävalenter Postinfarkt-Fälle (alle Zustände nach Herzinfarkt, unabhängig, ob nach akutem Myokardinfarkt, altem Myokardinfarkt, Erstinfarkt, Reinfarkt=Menge der Überlebenden nach dem Ereignis Myokardinfarkt zum Zeitpunkt der Erhebung) werte erst relevant bei den 50jährigen und älteren Frauen – als relativ seltenes Ereignis im jüngsten Altersbereich entzieht sich hier der Infarkt einer Erfassung im Rahmen der Stichprobengröße eines Surveys. In der Altersklasse der 70bis 79jährigen betagten Männer hingegen findet sich mit 14,6% (auf 100.000 der 70–<80jährigen Männer entfallen ca. 14600 Herzinfarktträger; d.h. mehr als jeder 7. Mann in dieser Altersklasse hat im Verlauf seines Lebens bereits einen Infarkt erlitten) der höchste Prävalenzwert (die über 80jährige Bevölkerung wurde im Bundes-Gesundheitssurvey nicht erfaßt). Im Altersbereich zwischen 30 und 60 Jahren nimmt bei der männlichen Bevölkerung der Bestand an Zuständen nach Herzinfarkt von einer 10-Jahres-Altersklasse zur folgenden um etwa das 3fache zu. Der Herzinfarkt ist eine relativ häufige Krankheit im mittleren männlichen Lebensalter (d.h. bereits im sog. „Leistungsalter“). Im höheren Erwachsenenalter tritt er bei beiden Geschlechtern relativ häufig auf. Die weiblichen Lebenszeit-Prävalenzraten erreichen mit einer zeitlichen Verzögerung von etwa 10 Lebensjahren ungefähr das Niveau der männlichen Prävalenzraten. Die 18–<80jährige männliche Bevölkerung in den alten Bundesländern hat eine etwas niedrigere Lebenszeit-Prävalenzrate mit 3,2% versus 3,6% (mit Ausnahme der 40–<50jährigen Männer, wo die entsprechende altersspezifische Prävalenzrate im Westen höher ist), die weibliche Bevölkerung in den alten Bundesländern hingegen eine etwas höhere LebenszeitPrävalenzrate mit 1,8% versus 1,4%. Die geringfügig höhere Prävalenz der 18–<80jährigen weiblichen Bevölkerung im Westen wird einzig durch die relativ hohe altersspezifische Prävalenzrate der Frauen im Alter von 50 bis unter 60 Jahren verursacht. In den folgenden nächsthöheren Altersgruppen haben die ostdeutschen Frauen höhere Prävalenzraten. Der Trend der Lebenszeit-Prävalenzraten im Vergleich 1997/98 zu 1990/92 läßt folgendes erkennen (Tab. 4). – bei der 25–<70jährigen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland hat insgesamt die Bestandsmenge an Postmyokardinfarkten abgenommen (p<0,01). Dabei zeichnet sich ein gegenläufiger Trend ab – im jüngeren Erwachsenenalter der 30- bis unter 50jährigen Männer ist eine leichte Zunahme der Prävalenzraten zu beobachten. Im höheren Erwachsenenalter der 50 bis unter 70jährigen Männer ist dagegen eine deutliche Abnahme der Prävalenzraten festzustellen. Der Trend der Lebenszeit-Prävalenzraten in der Bundesrepublik insgesamt wird fast ausschließlich bestimmt durch den Entwicklungsverlauf der Prävalenzraten in den alten Bundesländern. Tab. 3 Lebenszeit-Prävalenz an Zuständen nach Herzinfarkt (Erst-und Reinfarkte); im Ost-West-Vergleich; Population an Postmyokardinfarkten je 100 der Wohnbevölkerung in den alten und in den neuen Bundesländern im Alter von 18–<80 Jahren: Bundes-Gesundheitssurvey (ärztliche Befragung) 1998 Alters-Gruppe (Jahre) 18–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 insgesamt männlich West – 0,4 1,3 3,7 7,7 14,1 3,2 Ost West-OstAbweichung* – 0,6 0,8 5,2 9,2 17,1 3,6 – –0,2 +0,5 –1,5 –1,5 –3,0 –0,4 Chi2 weiblich West Ost n.s. – – – 1,6 1,4 6,4 1,8 – – – 0,7 2,9 6,6 1,4 * + höhere Prävalenzwerte im Westen; – niedrigere Prävalenzwerte im Westen Beitrag: 346.fm Ausdruck vom 25.5.00 West-OstAbweichung* +0,9 –1,5 –0,2 +0,4 Chi2 n.s. S76 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 G. Wiesner, J. Grimm, E. Bittner Tab. 4 Trend der Lebenszeit-Prävalenzraten (%) an Postmyokardinfarkten der 25–<70jährigen deutschen Bevölkerung; Bundesrepublik Deutschland, alte und neue Bundesländer 1990/92 und 1997/98 (Selbstangaben) Altersgruppe (Jahre) Bundesrepublik Deutschland 1990/92 1997/98 Chi2 alte Bundesländer 1990/92 1997/98 0,15 0,43 1,12 5,85 13,74 3,83 – s.++ 0,19 0,42 1,40 6,80 14,84 4,34 – 0,43 2,06 3,71 7,33 2,55 – – 0,70 1,37 4,56 1,37 – – – n.s. – – 0,76 1,53 5,70 1,66 – – – 1,46 4,20 1,18 Chi2 neue Bundesländer 1990/92 1997/98 Chi2 s.+++ – 0,47 – 2,25 8,88 1,87 – 0,55 0,91 5,07 10,13 2,90 n.s. n.s. – – 0,44 0,80 – 0,27 – – – 0,79 3,50 0,84 n.s. männliche Krankenpopulation 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 însgesamt 0,45 1,82 4,00 7,85 2,62 weibliche Krankenpopulation 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 insgesamt 1,31 4,06 1,11 In den alten Bundesländern sind in der Periode von 1990/92 zu 1997/98 bei der männlichen 25–<70jährigen Bevölkerung die Lebenszeit-Prävalenzraten an Postmyokardinfarkten signifikant gesunken (p<0,001). Diese Abnahme der Bestandsmenge an Herzinfarktträgern ist für die älteren Altersklassen zutreffend, ausgenommen wiederum die jüngeren Altersklassen der 30–<50jährigen Männer. Im Unterschied zu den alten Bundesländern haben sich in den neuen Bundesländern im gleichen Zeitraum die Prävalenzraten bei der männlichen und weiblichen Bevölkerung erhöht (n.s.). Während im Ost-WestVergleich 1990/92 die 25–<70jährigen Männer in den neuen Bundesländern nur etwa eine halb so hohe Prävalenz an Postmyokardinfarkten hatten gegenüber den alten Bundesländern (1,9% versus 4,3%), liegt nunmehr die Prävalenzrate im Westen bei den Männern um 0,3% der Bevölkerung höher. 1990/ 92 wiesen die 25- bis 69jährigen Frauen in den neuen Bundesländern eine deutlich niedrigere Prävalenz auf gegenüber den gleichaltrigen Frauen in den alten Bundesländern (0,3% versus 1,7%). Obwohl sich dieser Morbiditätsunterschied zwischen West und Ost 1997/98 erheblich reduziert hat, ist die Prävalenzrate der Frauen im Westen weiterhin noch um 0,4% der Bevölkerung höher gegenüber den ostdeutschen Frauen. 1997/98 ereigneten sich in der Bundesrepublik Deutschland bezogen auf die 18–<80jährige Bevölkerung in einer vollen 12-Monatsperiode insgesamt etwa 190000 nichtletale Myokardinfarkte (Inzidenzfälle an Überlebenden nach dem Ereignis eines akuten Erst- und/oder akuten Reinfarktes); davon entfallen annähernd 103000 Zugänge an akuten Infarktereignissen auf die männliche Bevölkerung und 87000 auf die weibliche Bevölkerung. Die jährliche Inzidenzrate an nichtletalen Myokardinfarkten beträgt demnach pro 100000 der männlichen Bevölkerung im Alter von 18–<80 Jahren etwa 330 akute Infarktereignisse; bei der gleichaltrigen weiblichen Bevölkerung sind es etwa 270 akute Myokardinfarktereignisse. Die Inzidenzrate ist bei der männlichen Bevölkerung in den neuen Bundesländern etwa um die Hälfte höher als in den alten Bundesländern (450 akute Infarktereignisse versus 300 akute Infarktereignisse je 100000 der männlichen Bevölkerung im Alter von 18 bis unter 80 Jahren). Diskussion In der Bundesrepublik Deutschland gibt es 1997/98 etwa 1450000 Infarktträger (bezogen auf die 30- bis unter 80jährige Bevölkerung), die ihren ersten Herzinfarkt (akuter oder alter Myokardinfarkt) und/oder Reinfarkt/e überlebt haben. Der Bundes-Gesundheitssurvey ist eine geeignete Datenquelle, die für die Bundesrepublik Informationen zur Zahl der Überlebenden nach Herzinfarkt (Prävalenz der Postmyokardinfarkte) liefert. Prävalenzdaten sind von grundlegender Bedeutung, um beispielsweise den Verlauf nach überlebtem Infarkt zu bewerten oder den therapeutischen und rehabilitativen Versorgungsaufwand zu erfassen. Das Überleben des schwerwiegenden Ereignisses „Infarkt“ ist wiederum mit Modifikationen im Verhalten und Lebensstil, Lebensqualität, Gesundheitsparametern etc. verbunden, die bei einem Vergleich von Infarktträgern und Nicht-Infarktträgern offenkundig werden können. Die Postmyokardinfarktpopulation stellt gesundheitlich eine hochgefährdete Bevölkerungsgruppe dar, deren Gefährdung einer Quantifizierung zugeführt werden kann und Rückschlüsse für eine wissenschaftlich „legitimierte“ Risikofaktorenmodifikation im Rahmen der medizinischen Versorgung zuläßt. Der überlebte Herzinfarkt stellt in der Regel für die Betroffenen einen gravierenden Einschnitt für die weitere Lebensführung dar: Fast alle Herzinfarktträger werden lebenslang arzneimittelpflichtig. Rund 40 Prozent der Herzinfarktträger (etwa 580000 der Postmyokardinfarkt-Fälle im Alter von 30–<80 Jahren) klagen bereits im ersten Halbjahr nach dem Infarkt erneut über Beschwerden. Ein Fünftel der Herzinfarktträger (demnach ca. 290000 Infarktträger) leidet unter einer Postinfarktdepression. Bei 10 Prozent der Herzinfarktträger (ca. 145000 Postmyokardinfarkt-Fälle) entwickelt sich im weiteren Verlauf eine Herzinsuffizienz, bei 2,5 Prozent der Infarktträger kann dies wiederum Anlaß für eine Bypass-Operation sein [Gesundheitsbericht 1998, Badura et al. 1987, Löwel et al. 1994, Herman et al. 1993, Ladwig et al. 1994, Löwel 1997, Badura et al. 1995]. Die Ausbildung einer linksventrikulären Insuffizienz ist der aussagekräftigste unabhängige prädiktive Parameter für die Fatalität innerhalb eines Jahres nach dem Infarkt. Nach Korrektur für Alter, Geschlecht, Diabetes und Ausbildung einer Q-Welle verstarben Patienten Beitrag: 346.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S77 Zum Herzinfarktgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland mit linksventrikulärer Insuffizienz fast fünfmal so häufig wie Patienten ohne diesen Befund [Barakat et al. 1999]. Andererseits sollen Personen [Engel et al. 1997], die ihren inzidenten Herzinfarkt im Alter von 60–74 Jahren erlitten haben, unabhängig vom Überlebensjahr größtenteils mit ihrem Gesundheitszustand zumindest zufrieden sein (drei Viertel der männlichen Befragten und zwei Drittel der weiblichen Befragten). Ein längeres Überleben nach einem Herzinfarkt soll demnach nicht generell mit einer verminderten Lebensqualität verbunden sein. Dabei ist zu beachten, daß ältere Menschen vermehrt zu einer positiven Bewertung ihres Gesundheitszustandes neigen. Immerhin wurde von 20% der Herzinfarkt-Patienten im Alter zwischen 25 und 74 Jahren ein Jahr nach dem Auftreten des Infarktes das subjektive Befinden als schlecht bzw. sehr schlecht eingestuft. Im Vordergrund der Beschwerden stand eine stark belastende Wetterfühligkeit, Reizbarkeit und Müdigkeit (Löwel et al. 1994). Bei der Lebenszeit-Prävalenz kommen im Alter von 18 bis unter 80 Jahren auf etwa einen Herzinfarkt bei den Frauen zwei Herzinfarkte bei den Männern. Es bestehen zwischen Männern und Frauen in der Inzidenz, Fatalität, Letalität und Prävalenz große Diskrepanzen. Die Geschlechtsdifferenzen sind am ausgeprägtesten in den jüngeren Altergruppen und verringern sich mit zunehmenden Alter [Löwel et al. 1990, Löwel et al. 1992, Orencia et al. 1993, Barth et al. 1996]. Jüngere Frauen erleiden wohl deutlich weniger Herzinfarkte als Männer, beim Auftreten eines Myokardinfarktes haben sie eine viel höhere Fatalität und Letalität [Orencia et al. 1993, Gomez-Merin et al. 1987]. Insbesondere die beobachtete höhere prähospitale Fatalität bei Frauen im Vergleich zu Männern könnte auf eine Unterschätzung der Problematik eines akuten Myokardinfarktes hinweisen und zu einer Nichtbeachtung oder Fehldeutung der damit verbundenen Symptome führen [Willich et al. 1993]. Auch die Tatsache, daß Frauen häufiger allein leben und dies auch beim akuten Einsetzen der Symptome, könnte die bestehenden Unterschiede mit erklären [Härtel et al. 1991, Malcolm et al. 1989]. Die schlechtere gesundheitliche Ausgangssituation der weiblichen im Vergleich zu den männlichen Patienten wird ebenfalls diskutiert [Löwel et al. 1995, Brezinka 1993, Fiebach et al. 1990]. Die These einer gezielten medizinischen Unterversorgung von Frauen gegenüber Männern konnte bislang nicht überzeugend belegt werden. Ebenso sind auch die pathophysiologischen Ursachen für die vorhandenen Geschlechtsunterschiede bei der Letalität und Fatalität bisher ungeklärt. Ältere Herzinfarktpatienten werden in der Regel weniger intensiv behandelt als jüngere Patienten. Dieses Verhalten geht auf zum Teil falsche Vorstellungen über die Prognose von älteren Infarktpatienten zurück. Offensichtlich wird die klinische Entscheidung am meisten durch das Alter und weniger durch das Geschlecht beeinflußt [Barakat et al. 1999]. Im Ost-West-Vergleich sind die Prävalenzwerte von 1990/92 zu 1997/98 bei beiden Geschlechtern in den alten Bundesländern gesunken und in den neuen Bundesländern gestiegen. Diese gegenläufige Entwicklung führte zu einem beachtlichen Abbau der Morbiditätsunterschiede beim Herzinfarkt zwischen Ost und West. In den neuen Bundesländern ist in den letzten Jahren eine deutliche Abnahme der koronaren Sterblichkeit zu verzeichnen (siehe Abb. 1), die zu einem verbesserten Überleben nach dem akuten Infarktereignis geführt haben könnte (dies erklärt auch den Anstieg der Prävalenzwerte). Standardisierte Mortalitätsrate* pro 100 000 Einwohner; 1997 männliche Bevölkerung Prozentuale Abnahme der Sterblichkeit 1997 zu 1993 0 -2 -4 -6 -8 -10 -12 -14 -16 -18 Koronare Herzkrankheiten (ICD/9: 410-414 alte Bundesländer neue Bundesländer Davon: Akuter Myokardinfarkt (AMI) (ICD/9: 410) alte Bundesländer neue Bundesländer 0 100 200 300 400 weibliche Bevölkerung 0 -2 -4 -6 -8 -10 -12 -14 -16 -18 0 -2 -4 -6 -8 -10 -12 -14 -16 -18 Koronare Herzkrankheiten (ICD/9: 410-414 alte Bundesländer neue Bundesländer Davon: Akuter Myokardinfarkt (AMI) (ICD/9: 410) alte Bundesländer neue Bundesländer 0 100 200 300 400 *Altersstandardisiert auf gesamtdeutsche Bevölkerung 0 -2 -4 -6 -8 -10 -12 -14 -16 -18 Abb. 1 Sterblichkeit an koronaren Herzkrankheiten (ICD’9: 410–414) und am akuten Myokardinfarkt (ICD’9: 410) in den alten und neuen Bundesländern (einschließlich Ost-Berlin); 1997. In den alten Bundesländern ist es wahrscheinlich bei der männlichen Bevölkerung zu einem Rückgang der Infarktinzidenz bei koronaren Herzkrankheiten infolge einer effektiveren medikamentösen und invasiven Therapie [Löwel et al. 1995] gekommen. Als mögliche Ursachen für die noch bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West kommen die „klassischen“ Risikofaktoren [Hüttner 1995, Hoffmeister et al. 1993, Junge 1995], sozioökonomische Bedingungen [Wiesner et al. 1998] und die medizinische Versorgung in Frage, während genetische Faktoren eine geringere und administrative Aspekte kaum noch eine Rolle spielen dürften. Literatur 1 2 3 Badura B, Grande G, Janßen H, Schott T (1995). Qualitätsforschung im Gesundheitswesen – Vergleich ambulanter und stationärer kardiologischer Rehabilitation. Juventa, WeinheimMünchen Badura B, Kaufhold G, Lehmann H, Pfaff H, Schott T, Waltz M (1987). Leben mit dem Herzinfarkt. Eine sozialepidemiologische Studie. Springer, Berlin, Heidelberg Barakat K et al. 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RKI-Heft 10/95, Robert-Koch-Institut Berlin 33 Wiesner G, Todzy-Wolff I, Grimm J (1998). Krankheit und soziale Schicht. In: Ahrens W, Bellach BM, Jöckel KH. Meßung soziodemographischer Merkmale in der Epidemiologie. RKI-Schriften 1/ 98, Robert-Koch-Institut, MMV Medizin-Verl., München 34 Wiesner G, Todzy-Wolff I, Hoffmeister H (1995). Herzinfarkt. In: Hoffmeister H, Bellach BM (Hrsg.). Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Heft 7/1995, Robert-Koch-Institut Berlin 35 Willich SN, Löwel H, Lewis M, Arntz R, Schubert F, Schröder R and the TRIMM Study Group (1993). Unexplained gender differences in clinical symptoms of acute myocardial infarction. J. Am. Col. Cardiol. 21: Suppl. A 238 G. Wiesner Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin Beitrag: 346.fm Ausdruck vom 25.5.00 S79 MORBIDITÄT Prävalenz, Inzidenz, ›› Schlaganfall: Trend, Ost-West-Vergleich G. Wiesner, J. Grimm, E. Bittner Robert Koch-Institut, Berlin Erste Ergebnisse aus dem BundesGesundheitssurvey 1998 Zusammenfassung: Die Prävalenz von Überlebenden nach einem Schlaganfall ist abhängig von der Inzidenz und der Fatalität, wobei die Inzidenz und die Fatalität von unterschiedlichen Faktoren beeinflußt werden. Im Rahmen eines Surveys können nur die leichteren Fälle von Zuständen nach einem Schlaganfall erfaßt werden. Die Prävalenzangaben spiegeln deshalb nur die weniger schwerwiegenden, rehabilitierten oder rehabilitierbaren Schlaganfälle wider. Trotz dieser unterrepräsentierten Erfassung der Schlaganfälle wird eine Unterschätzung der Schlaganfallproblematik in der Bundesrepublik Deutschland erkennbar. Während man bisher von 440000 bis 500000 Schlaganfällen in der Bundesrepublik ausgeht, ergab die Hochrechnung aus den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys etwa 945000 Personen (nur Schlaganfälle mit „leichteren“ motorischen, sensorischen und kognitiven Ausfällen und Einschränkungen, die eine Beteiligung am Survey erlauben). Die Lebenszeit-Prävalenzrate der 18– unter 80jährigen weiblichen Bevölkerung ist gegenüber der gleichaltrigen männlichen Bevölkerung etwas höher (nicht signifikant). Eine relativ hohe Prävalenzrate haben die 50– unter 60jährigen Männer. Mit Zunahme des Alters steigen die entsprechenden altersspezifischen Prävalenzraten an. Zwischen den alten und neuen Bundesländern existieren keine signifikanten Morbiditätsunterschiede; bei der männlichen Bevölkerung liegen die Prävalenzwerte im Osten etwas höher, bei der weiblichen Bevölkerung sind hingegen die Prävalenzwerte im Westen höher. Der Trend der Lebenszeit-Prävalenzraten im Vergleich von 1997/ 98 zu 1990/92 läßt folgendes erkennen: – bei der 25– unter 70jährigen männlichen Bevölkerung in der Bundesrepublik hat die Bestandsmenge an Zuständen nach Schlaganfall signifikant abgenommen, bei der weiblichen Bevölkerung leicht zugenommen (nicht signifikant); – in den alten Bundesländern sind bei den Männern die Prävalenzwerte insgesamt ebenfalls signifikant gesunken, bei der weiblichen Bevölkerung leicht gestiegen (nicht signifikant); – in den neuen Bundesländern haben sich im gleichen Zeitraum im Unterschied zu den alten Bundesländern die Prävalenzraten der männlichen Bevölkerung etwas erhöht, bei der weiblichen hingegen fast halbiert. Die Krankenpopulation der „leichteren“ Zustände nach Schlaganfall ist gekennzeichnet zu 32,8% mit Sensibilitätsstörungen, zu 32,1% mit Gehbehinderungen, zu 31,3% mit Lähmungen, zu 28,8% mit Konzentrationsstörungen, zu 20,5% Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S79–S84 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York mit Sprachstörungen, zu 17,1% mit kognitiven Störungen und zu 3,1% mit Bewußtseinsstörungen. Schlüsselwörter: Schlaganfall – Prävalenz – Trend – Krankheitsfolgen von nicht-letalen „leichten“ Schlaganfällen Stroke: Incidence, Prevalence, Trends, Comparison between Eastern and Western Germany: The prevalence of survival after a stroke is dependent on the incidence and the fatality rate, whereby the incidence and the fatality rate are influenced by different factors. A survey can only include the minor cases of post-stroke conditions. The prevalence figures thus only reflect the less serious or rehabilitated strokes. Despite this underrepresentation of strokes in the survey we can observe an underestimation of the stroke problem in Germany. Whereas we previously assumed 440,000 to 500,000 strokes in Germany, the projection from the data of the German National Health Interview and Examination Survey amounted to around 945,000 cases (only strokes with „minor“ motor, sensory and cognitive losses and restrictions which allow a participation in the survey). The lifetime prevalence rate of the 18– <80 year old female population is somewhat higher than the male population of the same age (n.s.). The 50 to <60 year old men have a relatively high prevalence rate. The corresponding age specific prevalence rates increase with increasing age. There are no significant differences in morbidity between the former East and West German states, the prevalence rates of men are somewhat higher in the East and those of women in the West. We can see the following trends in a comparison of the lifetime prevalence rates between 1997/98 and 1990/92: – the number of post-stroke conditions among German men 25–<70 years old declined significantly, among women they increased slightly (n.s.); – the prevalence as a whole also declined significantly among men in western Germany, among women they increased slightly (n.s.) – in contrast to former West Germany the prevalence rates among men in eastern Germany increased slightly, among women they were almost cut in half. 32.8% of the population with „minor“ post-stroke conditions is characterized by sensory disruptions, 32.1% by impairments when walking, 31.3% by paralyses, 20.5% by speech impairments, 17.1% by cognitive disorders and 3.1% by disturbances of consciousness. Key words: Stroke – Prevalence – Trend – Illnesses Resulting from Non-Lethal „Minor“ Strokes Beitrag: 345.fm Ausdruck vom 25.5.00 S80 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 G. Wiesner, J. Grimm, E. Bittner Einführung Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache nach den koronaren Herzkrankheiten und den bösartigen Neubildungen [Warlow et al. 1996]. Er ist folglich die verbreitetste lebensbedrohliche neurologische Störung, und die daraus resultierenden Krankheitsfolgen sind die bedeutendste Einzelursache für schwerwiegende und ernsthafte körperliche und geistige Behinderungen der Bevölkerungen in der westlichen Welt [Martin et al. 1988]. Für die Volkskrankheit „Schlaganfall“ existiert eine verwirrende medizinische Terminologie aufgrund der vielseitigen heterogenen Krankheitsbilder, der unterschiedlichen Pathophysiologie und Ätiologie und der differentialdiagnostischen Problemstellungen [Wiesner et al. 1995]. Die zusammenführende Bezeichnung „Schlaganfall“ ist unter praktischen Gesichtspunkten plausibel, da die wichtigsten klinischen Manifestationen der einzelnen Typen und Subtypen ähnlich sind und in der Regel ähnliche Anforderungen an das Versorgungssystem stellen. Der Begriff umschreibt einen charakteristischen Symptomenkomplex plötzlich einsetzender Funktionsausfälle, die auf Hirndurchblutungsstörungen zurückgehen. Nach der Definition der WHO [Aho et al. 1980] werden als „Schlaganfall“ Krankheitsbilder bezeichnet, bei denen sich „die klinischen Zeichen einer fokalen (oder globalen) Störung zerebraler Funktionen rasch bemerkbar machen, mindestens 24 Stunden anhalten oder zum Tode führen und offensichtlich nicht auf andere als vaskuläre Ursachen zurückgeführt werden können“. Damit können die meisten Fälle von Subarachnoidalblutungen, intrazerebralen Blutungen sowie zerebrale Ischämien in die Definition eingeschlossen, transiente ischämische Attacken sowie subdurale Blutungen dagegen ausgeschlossen werden. Der ischämische zerebrale Insult ist mit ca. 70% bis 80% häufigste Ursache eines Schlaganfalls [Sudlow et al. 1997]. Hier wird der apoplektische Insult durch eine fokale Durchblutungsminderung im Versorgungsgebiet einer Hirnarterie ausgelöst. Der Schlaganfall zeichnet sich durch eine sehr hohe Letalität und Fatalität aus – von etwa 50% der unter 65jährigen Patienten, die nach 5 Jahren verstorben sind, stirbt die Hälfte bereits innerhalb der ersten 30 Tage [Weinfeld 1981, Baum et al. 1998, Warlow et al. 1996]. Die Letalitätsraten sind bei Erstinsulten niedriger als bei Reinsulten [Tuomilehto et al. 1992]. Die Letalität hängt auch vom Typ des Schlaganfalls ab. Beim ischämischen zerebralen Insult beträgt die Letalität nur ca. ein Drittel derjenigen der intrazerebralen Blutung [Bamford et al. 1990]. Neben der hohen Letalität sind die Folgen, die sich aus der Schädigung des Gehirns ergeben, kurz- und langfristig häufig gravierend. Motorische, sensible, sensorische und kognitive Ausfälle und Einschränkungen stehen dabei im Vordergrund. Aus klinischer Sicht soll in den letzten Jahren ein entscheidender Wandel in der Einstellung gegenüber der Behandlung des Schlaganfalls eingetreten sein. Therapeutischer Nihilismus und Aktionismus sei danach beim Schlaganfall nicht mehr anzutreffen. Das akute Management des Schlaganfalls erfordert innerhalb kürzester Zeit die Einweisung des betroffenen Patienten in ein geeignetes Zentrum (neurologische Kompetenz, Computertomographien, Ultraschallverfahren). Nach rascher Sicherung der Diagnose und nach Ausschluß von intrazerebralen Blutungen und eventuell bereits entwickelten zerebralen Infarkten, müssen sofort therapeutische Strategien zur Wiederherstellung der Gewebedurchblutung (evtl. Lysetherapie, gegebenenfalls Gefäßdesobliteration, medikamentöse Durchblutungsverbesserung) und zur Vermeidung von sekundären biochemischen Veränderungen eingeleitet werden (eventuell Kalziumantagonisten und Glutamatrezeptorantagonisten). Auch Maßnahmen zur Verbesserung der Allgemeinsituation der meist multimorbiden Patienten (z.B. Blutdruckstabilisierung, Behebung metabolischer Entgleisungen, Stabilisierung der Herzfunktion und der Sauerstoffversorgung) können notwendig werden. Nur wenn diese therapeutischen Maßnahmen innerhalb der ersten Stunden nach Einsetzen der akuten Symptomatik eingeleitet werden, kann der Verlauf nach Schlaganfall günstig beeinflußt werden. Inwieweit die neue Therapiestrategie auch zu einer Senkung der Fatalitätsraten führen, müssen die Daten von bevölkerungsbezogenen Schlaganfallregistern erweisen. Material und Methodik Die Surveydaten erlauben nur die Erfassung der überlebten Schlaganfall-Fälle. Die mit dem Schlaganfallereignis verbundenen organischen Funktionseinbußen (z.B. Einschränkungen des Bewußtseins, der sensomotorischen Funktionen, der Sprache, höherer Hirnfunktionen – wie Orientierungs- und Erkennungsleistungen) können eine Beteiligung am Survey von vornherein ausschließen. Somit werden mit der Surveymethode nur die leichteren Verlaufsformen von nicht-letalen Schlaganfallereignissen erfaßt. Die prävalenten Fälle mit einer schweren Schädigung des Gehirns können auf diese Weise keiner Quantifizierung unterzogen werden. Die schwerwiegenden bzw. sehr ernsthaften Krankheitsverläufe der apoplektischen Insulte werden höchstwahrscheinlich eine extrem hohe Fatalität/Letalität haben, so daß ihr Anteil, gemessen an der Höhe der Lebenszeit-Prävalenz, niedrig sein muß. Während bei einer Erfassung der inzidenten Fälle durch ein Schlaganfallregister auch die letalen Ereignisse registriert werden können, sind bei den prävalenten Fällen die letalen Fälle nicht enthalten. Darüber hinaus erfordert die Erfassung der Prävalenz eine relativ große Bevölkerungsmenge als Bezugsgröße, um möglichst vollständig alle Schlaganfälle einer definierten Periode überblicken zu können. Mit einer Nettostichprobe von 7124 Personen sind hier Grenzen gesetzt. Weiterhin entzieht sich unserer Kenntnis, um welchen Schlaganfalltyp es sich gehandelt hat. Ob sich ein Schlaganfall real ereignet hat, wird durch eine ärztliche Überprüfung der Selbstangaben gesichert. Eine weitere Charakterisierung der Schlaganfälle erfolgte durch den Arzt nach folgendem Muster (siehe Unterfrage V). Wichtig sind Informationen über die mit dem Schlaganfall verbundenen Behinderungen. Die schlaganfallspezifischen Behinderungen werden in der Regel noch durch andere Einschränkungen/Funktionseinbußen überlappt, da es sich meist um multimorbide Krankheitsbilder handelt (z.B. Hirnstammsyndrome, Demenz, Osteoarthritis). Von praktischem Interesse ist daher die Gesamtheit der Behinderungen und Einschränkungen. Weitere Hinweise zu Material und Methodik siehe im Beitrag „Zum Herzinfarktgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland“ im vorliegenden Heft. Ergebnisse Die 18- bis unter 80jährige Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland hat eine Lebenszeit-Prävalenz an Zu- Beitrag: 345.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S81 Schlaganfall: Prävalenz, Inzidenz, Trend, Ost-West-Vergleich Unterfrage V – Schlaganfall 24. Wie viele Schlaganfälle erlitten Sie? 25. Geben Sie bitte Ihr Lebensalter an, in dem sich der erste und der letzte Schlaganfall ereignet haben (Wenn nur ein Schlaganfall, bitte bei „Erster Schlaganfall“ eintragen). 26. Haben Sie nach dem letzten Schlaganfall an einem Nachsorgeverfahren (Anschlußheilbehandlung) in einer Rehabilitationsklinik teilgenommen? Anzahl: Erster Schlaganfall mit Jahren Letzter Schlaganfall mit Jahren 2 1 Ja............................................. 27. Nein........................................... An welchen Folgen nach dem Schlaganfall leiden Sie heute noch? Mehrfachantwortennmöglich! 28. 1. Lähmungen..................................................................................... 1 2. Sensibilitätsstörungen................................................................... 3. Sprachstörungen.......................................................................... . 1 4. Bewußtseinsstörungen................................................................... 1 5. Denkstörungen............................................................................. .. 1 1 6. Konzentrationsstörungen............................................................. 1 7. Gehbehinderungen..................................................................... 1 8. Keine........................................................................................... 1 Fühlen Sie sich isoliert, allein gelassen? 1 Ja..................................................... 29. 2 Nein................................................. Wie groß ist Ihr Interesse bzw. Ihre Anteilnahme an Ihrer Umgebung (Familienangehörige, Bekannte, Nachbarn usw.)? Groß................................................ 1.... Weniger groß................................. 2... Gering..................................... ....... 3... ständen nach Schlaganfall (leichte Verlaufsform) von 1,63% (Tab. 1); d.h., auf 100000 der Bevölkerung im Alter von 18 bis unter 80 Jahren kommen etwa 1630 Schlaganfall-Fälle (Bestandsmenge an Schlaganfällen ohne schwerwiegende Bewußtseinsstörungen bzw. Schädigung des Gehirns). Für alle nachfolgenden Tabellen gilt: z. g. = zu geringe Besetzung; n. s.=nicht signifikant; s.+ = signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5%; s.++ = signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 1%; s.+++ = signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,1% Tab. 1 Lebenszeit-Prävalenz* an Zuständen nach Schlaganfall (ohne Beachtung der Schlaganfallheterogenität), Population an Zuständen nach Apoplexia cerebri je 1000 der Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland im Alter von 18–<80 Jahren: Bundes-Gesundheitssurvey (ärztliche Befragung) 1998 Altersgruppe gesamt Jahre männlich weiblich Chi2 18–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 insgesamt – 0,8 3,2 19,7 32,8 84,1 15,2 2,6 3,0 2,4 4,8 36,0 74,8 17,3 z.g. z.g. z.g. s.+ n.s. n.s. n.s. 1,3 1,9 2,8 12,2 34,5 78,1 16,3 * Bestandsmenge der überlebten Schlaganfälle (nichtletale Schlaganfallereignisse); prävalente Fälle mit noch ausreichender kognitiver und kommunikativer Kompetenz im Rahmen einer Surveyerhebung Zwischen der männlichen und weiblichen Bevölkerung ergeben sich keine signifikanten Morbiditätsunterschiede; die weibliche Bevölkerung hat gegenüber der männlichen Bevölkerung eine etwas höhere Prävalenzrate (17,3 versus 15,3 je 1000 der Wohnbevölkerung). Die altersspezifischen Lebenszeit-Prävalenzwerte steigen mit zunehmendem Alter bei beiden Geschlechtern steil an. Auffällig ist die relativ hohe Prävalenzrate der 50–<60jährigen Männer gegenüber den gleichaltrigen Frauen (p<0,01). Nach dem 50. Lebensjahr steigen die Prävalenzwerte fast sprunghaft an. In der Altersklasse der 70– <80jährigen Männer und Frauen finden sich mit 8,4% bzw. 7,5% (auf 100000 der Wohnbevölkerung entfallen ca. 8400 bzw. 7500 prävalente Fälle an Schlaganfällen) die höchsten Prävalenzwerte. Da die über 80jährige Bevölkerung im Bundes-Gesundheitssurvey nicht erfaßt wurde, ist davon auszugehen, daß nach dem 80. Lebensjahr noch höhere Prävalenzwerte vorliegen. In allen Altersklassen bestehen zwischen Männern und Frauen (mit Ausnahme der 50–<60jährigen) keine gravierenden Morbiditätsunterschiede. In Tab. 2 wurde eine Hochrechnung der absoluten Zahl der Schlaganfall-Fälle (unter Ausschluß der schwerwiegenden Verlaufsformen zum Zeitpunkt der Erhebung) für die Bundesrepublik Deutschland 1997/98 vorgenommen. Die Hochrechnung ergab etwa 945000 Schlaganfall-Fälle (bezogen auf die 30–<80jährige Bevölkerung). In dem relativ jungen Erwachsenenalter zwischen 30 und 50 Jahren sind in der Bundesrepublik etwa 58000 Schlaganfälle (leichte Verlaufsformen) zu verzeichnen. Beim Schlaganfallgeschehen ergeben sich zwischen den alten und neuen Bundesländern 1997/98 keine signifikanten Morbiditätsunterschiede (Tab. 3). Die 18–<80jährige männliche Bevölkerung in den alten Bundesländern hat eine etwas niedrigere Lebenszeit-Prävalenzrate mit 1,4% versus 2,1% (mit Ausnahme der 50–<60jährigen Männer, bei denen die entsprechende altersspezifische Prävalenzrate im Westen höher ist); die weibliche Bevölkerung in den alten Bundesländern hat hingegen eine etwas höhere Lebenszeit-Prävalenzrate mit 1,9% versus 1,1%. Die höhere Prävalenzrate der 18–<80jährigen weiblichen Bevölkerung im Westen wird sowohl durch die jüngeren (18–<40 Jahre) als auch älteren Frauen (60–<80 Jahre) verursacht. Der Trend der Lebenszeit-Prävalenzraten im Vergleich 1997/98 zu 1990/ 92 läßt folgendes erkennen (Tab. 4). – bei der 25–<70jährigen männlichen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland hat insgesamt die Bestandsmenge an Schlaganfällen abgenommen (p<0,01); bei der weiblichen Bevölkerung zugenommen (n. s.); – in den alten Bundesländern sind die Prävalenzwerte insgesamt ebenfalls signifikant gesunken; bei der weiblichen Bevölkerung leicht gestiegen (n. s.); – in den neuen Bundesländern haben sich im gleichen Zeitraum im Unterschied zu den alten Bundesländern die Prävalenzraten der männlichen Bevölkerung etwas erhöht, bei der weiblichen Bevölkerung hingegen fast halbiert. Die Krankenpopulation der Zustände nach Schlaganfall (leichtere Verlaufsformen) ist gekennzeichnet zu 32,8% mit Sensibilitätsstörungen, zu 32,1% mit Gehbehinderungen, zu 31,3% mit Lähmungen, zu 28,8% mit Konzentrationsstörungen, zu 17,1% mit kognitiven Störungen und zu 3,1 mit Bewußtseinsstörungen. Beitrag: 345.fm Ausdruck vom 25.5.00 S82 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 G. Wiesner, J. Grimm, E. Bittner Tab. 2 Hochrechnung der nichtletalen Apoplexia cerebri-Fälle* für die 30- bis unter 80jährige Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland 1997/98 Altersgruppe (Jahre) mittlere Bevölkerung1997 Lebenszeit Prävalenzrate je 1000 d. Bev. absolute Zahl der Zustände nach Schlaganfall männliche Bevölkerung 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 ∑ 7231854 5746904 5314530 4215954 2067338 24576580 0,8 3,2 19,7 32,8 84,1 17,9 5785 18390 104696 138283 173863 441017 weibliche Bevölkerung 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 ∑ insgesamt 6769397 5570229 5272664 4606312 3736215 25954817 50531397 3,0 2,4 4,8 36,0 74,8 19,4 18,7 20308 13369 25309 165827 279469 504289 945299 * Menge prävalenter Schlaganfall-Fälle mit noch ausreichender kognitiver und kommunikativer Kompetenz im Rahmen einer Surveyerhebung (Menge der Überlebenden nach dem Ereignis Schlaganfall zum Zeitpunkt der Erhebung) 1997/98 ereigneten sich in der Bundesrepublik Deutschland, bezogen auf die 18–<80jährige Bevölkerung, in einer vollen 12-Monats-Periode insgesamt etwa 230000 nicht-letale Schlaganfälle (Inzidenzfälle an Überlebenden nach dem Ereignis eines „leichten“ akuten Erst- und/oder akuten Reinsultes); davon entfallen annähernd 124000 Zugänge an akuten apoplektischen Insulten auf die männliche Bevölkerung und etwa 106000 auf die weibliche Bevölkerung. Die jährliche Inzidenzrate an nichtletalen apoplektischen Insulten beträgt demnach pro 100000 der männlichen Bevölkerung im Alter von 18–<80 Jahren etwa 400 akute Schlaganfallereignisse; bei der gleichaltrigen weiblichen Bevölkerung sind es etwa 330 akute Schlaganfallereignisse (Abb. 1). Diskussion Obwohl die Schlaganfallmortalität in vielen Ländern in den letzten 50 Jahren abgenommen hat, hauptsächlich in den westeuropäischen Ländern und in Japan, ist sie in einigen Ländern Osteuropas erneut angestiegen [Bonita et al. 1990]. Ob es sich hierbei um veränderte Prozeduren in der Todesursachendokumentation handelt oder um reale Veränderungen in der Inzidenz oder der Fatalität, bleibt unklar. Die Messung der Schlaganfallinzidenz gestaltet sich schwierig, noch mehr die Verfolgung der Inzidenz über die Zeit. So scheint in Rochester, Minnesota, die Inzidenz abgenommen zu haben [Brown et al. 1996], in Sibirien [Feigin et al. 1995], in der ehemaligen DDR in den 80er Jahren und Schweden [Terent 1988] aber angestiegen und in Neuseeland [Bonita et al. 1993] unverändert geblieben zu sein. Wo sich die Inzidenzraten verändert haben, sind dafür eher Umgebungsfaktoren als genetische Faktoren verantwortlich zu machen [Warlow 1998]. Die Abnahme der Inzidenz wird in enger Verbindung mit der medizinischen Versorgung der Hypertonie [Bonita et al. 1989] und der TIA (transistorische ischämische Attacke) [Warlow 1998] gebracht. Auch die Erfassung der Prävalenz gestaltet sich schwierig (siehe Material und Methodik). Zuverlässige Angaben zur Prävalenz liegen kaum vor. Die Prävalenzrate wurde für Rheinland-Pfalz auf 675 je 100000 geschätzt, was in bezug auf die alten Bundesländer einem Wert von 545 entsprechen würde [Häussler et al. 1994, Häussler 1994]. Danach soll es in Deutschland etwa 440000 Personen geben, die in den letzten fünf Jahren mindestens einen Schlaganfall durchgemacht haben und noch mehr oder weniger unter den Folgen leiden. Nach Mauritz (1997) liegt die Zahl der prävalenten Fälle in der Bundesrepublik bei etwa 500000. In internationalen Studien schwankt die Prävalenz zwischen 518 und 800 je 100000 der Bevölkerung. Diese Prävalenzwerte signalisieren eine Unter- Tab. 3 Lebenszeit-Prävalenz an Zuständen nach Schlaganfall (ohne Beachtung der Schlaganfallheterogenität); Population an Zuständen nach Apoplexia cerebri je 100 der Wohnbevölkerung in den alten und in den neuen Bundesländern im Alter von 18–<80 Jahren: Bundes-Gesundheitssurvey (ärztliche Befragung) 1998 West Altersgruppe (Jahre) männlich 18–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Insgesamt – – 0,4 2,3 2,5 6,7 1,4 Ost West-OstAbweichung* Chi2 West Ost West-OstAbweichung* – – 0,5 1,1 1,0 6,0 1,1 +0,3 +0,4 –0,3 –0,8 +3,3 +1,8 +0,8 Chi2 weiblich – 0,4 0,5 0,8 6,5 13,4 2,1 –0,4 –0,1 +1,5 –4,0 –6,7 –0,7 n. s * + höhere Prävalenzwerte im Westen; – niedrigere Prävalenzwerte im Westen Beitrag: 345.fm Ausdruck vom 25.5.00 0,3 0,4 0,2 0,3 4,3 7,8 1,9 n. s. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S83 Schlaganfall: Prävalenz, Inzidenz, Trend, Ost-West-Vergleich Tab. 4 Trend der Lebenszeit-Prävalenzraten* (%) an Zuständen nach Schlaganfall der 25–<70jährigen deutschen Bevölkerung; Bundesrepublik Deutschland, alte und neue Bundesländer 1990/92 und 1997/98 (Selbstangaben) männliche Krankenpopulation Altersgruppe (Jahre) Bundesrepublik Deutschland 1990/92 1997/98 Chi2 alte Bundesländer 1990/92 1997/98 Chi2 neue Bundesländer 1990/92 1997/98 Chi2 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 insgesamt – 0,23 0,61 2,25 5,23 1,51 – 0,21 0,58 2,42 5,93 1,67 – 0,30 0,73 1,59 2,13 0,90 n. s. – 0,08 0,33 1,69 2,92 0,93 s. + – – 0,33 1,90 2,36 0,88 s. + – 0,37 0,33 0,92 5,38 1,11 weibliche Krankenpopulation 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 insgesamt Bundesrepublik Deutschland 1990/92 1997/98 Chi2 alte Bundesländer 1990/92 1997/98 Chi2 neue Bundesländer 1990/92 1997/98 Chi2 – 0,09 – 1,57 2,41 0,86 – 0,12 – 1,90 1,98 0,86 – – – 0,38 4,14 0,88 z. g. 0,54 0,41 0,33 0,34 3,04 0,92 n. s. 0,68 0,53 0,29 0,28 3,46 1,04 n. s. – – 0,52 0,56 1,32 0,48 * Bestandsmenge der überlebten Schlaganfälle (nichtletale Schlaganfallereignisse); prävalente Fälle mit noch ausreichender kommunikativer Kompetenz im Rahmen eines Surveys 20 Prävalenz n. s. 15 10 5 0 männlich je 1000 der 18–<80jährigen Bevölkerung je 1000 der 18–<80jährigen Bevölkerung schätzung der Schlaganfallproblematik auf Bevölkerungsebene. Allein die Zahl der prävalenten Fälle von leichteren Verlaufsformen liegt in der Bundesrepublik bei etwa 945000. Bei den leichteren Verlaufsformen können im allgemeinen gestörte Funktionen zumindest teilweise wiederhergestellt werden oder durch Ersatzstrategien ausgeglichen werden. Man kann aber davon ausgehen, daß ein Erkrankter nach einem Schlaganfall mindestens 5 Jahre betreut werden muß. Bezogen auf alle Verlaufsformen eines Schlaganfalls bleiben etwa 30% der Betroffenen dauerhaft invalide und auf Pflege angewiesen. Nur ein Drittel erreicht nach dem Insult wieder die volle berufliche und soziale Rehabilitation [Wiebers et al. 1990]. Die Höhe der Prävalenz läßt das Nachfragepotential an eine spezialisierte kurative und rehabilitative Versorgung er- 5 kennen. Nach Schätzungen der neuen Krankheitskostenrechnung liegen die direkten Kosten zur Behandlung zerebrovaskulärer Erkrankungen 1994 bei knapp 12,2 Milliarden DM [Gesundheitsbericht 1998]. In Schottland lagen die Kosten je Schlaganfall nach Angaben des National Health Service 1988 bei etwa 6000 Pfund (ungefähr 18300 DM), aber in diese Berechnung gingen nur die Krankenhaus- und Hausarztkosten ein [Isard et al. 1992]. Nach Berechnungen in den USA (nach den Preisen von 1990) liegen die Gesamtkosten (direkte und indirekte Kosten) je Schlaganfall bei etwa 213000 DM [Taylor et al. 1996]. Allein diese Zahlen lassen die große Bedeutung des Schlaganfallgeschehens im Vergleich zu anderen schweren Erkrankungen erkennen. Inzidenz* n. s. 4 3 2 1 0 männlich weiblich (n=124000) (n=106000) n - Zahl der inzidenten Fälle weiblich (n=474000) (n=554000) n - Zahl der prävalenten Fälle n. s. - nicht signifikant * Zugänge an nichtletalen Schlaganfällen Beitrag: 345.fm Ausdruck vom 25.5.00 Abb. 1 Prävalenz und Inzidenz an Schlaganfällen der 18–<80jährigen Wohnbevölkerung; Bundesrepublik Deutschland 1998. Lebenszeit-Prävalenz an Zuständen nach Schlaganfall (ohne schwerwiegende Bewußtseinsstörungen bzw. Schädigung des Gehirns) und Zugänge an nicht letalen Schlaganfallereignissen der 18–<80jährigen Wohnbevölkerung – Bundesrepublik Deutschland 1998. S84 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 G. Wiesner, J. Grimm, E. Bittner 22 Literatur 1 Aho K, Harmsen P et al. (1980). Cerebrovascular disease in the community: Results of a WHO colaborative study. Bulletin of the World Health Organization 58: 113–130 2 Bamford J, Sandercock P et al. (1990). A prospective study of acute cerebrovascular disease in the community: the Oxfordshire Community Stroke Project 1981–86. 2. Incidence, case fatality rates and overall outcome at one year of cerebral infarction, primary intracerebral and subarachnoidal haemorrhage. Journal of Neurology, Neurosurgery and Psychiatry 53: 16–22 3 Baum HM, Robins M (1981). Survival and Prevalence. Stroke 12: Suppl. 1, 59–68 4 Bonita R, Beaglehole R (1989). Increased treatment of hypertension does not explain the decline in stroke mortality in the United States 1979–1980 . Hypertension 13: 69–73 5 Bonita R, Broad JB, Beaglehole R (1993) Changes in stroke incidence and case-fatality in Auckland, New Zealand, 1981–1991. Lancet 342: 1470–1473 6 Bonita R, Stewart A, Beaglehole R (1990). International trends in stroke mortality: 1970–1985. Stroke 21: 989–992 7 Brown RD, Whisnant JP, Sicks JD, O`Fallon WM, Wiebers DO (1996). Stroke incidence, prevalence, and survival: secular trends in Rochester, Minnesota, through 1989. Stroke 27: 373– 380 8 Feigin VL, Wiebers DO, Whisnant JP, O`Fallon M (1995). Stroke incidence and 30-day case-fatality rates in Novisibirsk, Russia, 1982 through 1992. Stroke 26: 924–929 9 Gesundheitsbericht für Deutschland (1998). Gesundheitsberichterstattung des Bundes/Statistisches Bundesamt . MetzlerPoeschel, Stuttgart 10 Häussler B (1994). Schlaganfallepidemiologie . IGES-Papier Nr. 94–67. 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Unter Zugrundelegung der Ergebnisse der ärztlichen Befragung ergibt sich eine Diabetesprävalenz von 4,7% für Männer und 5,6% für Frauen in der untersuchten Altersgruppe. Die Befundhäufigkeit steigt mit dem Alter steil an. Nahezu jede fünfte Frau im Alter von 70 bis 79 Jahren hat nach den vorliegenden Daten einen Diabetes mellitus. Die Krankheit ist in den neuen Bundesländern deutlich häufiger als in den alten Ländern. Etwa ein Viertel der Diabetiker benutzt Insulin, weit über 40% werden mit oralen Antidiabetika therapiert. Bei etwa der Hälfte der nicht medikamentös behandelten Diabetiker wurde aus Sicht der befragenden Ärzte keine Diät eingehalten (ca. 15%). Der Anteil an unerkannten Diabetikern in der betrachteten Population wird aufgrund von Blutund Urinmeßwerten (Serum- und Uringlukose, Fructosamin, HbA1c) auf etwa 1% geschätzt. Schlüsselwörter: Bundes-Gesundheitssurvey – Diabetes mellitus – Prävalenz – Therapie – Blutanalysen Prevalence of Diabetes Mellitus among Adults in Germany: In the German National Health Interview and Examination Survey 7,124 subjects of a representative sample of the 18 to 79 year old population having their residence in Germany were interviewed and medically examined. Using a self-administered questionnaire as well as a subsequent personal interview by a physician, the participants were questioned regarding past and present diseases. Based on the data of the physicians’ interviews, the prevalence rate for diabetes was 4.7% for men and 5.6% for women in the examined age-group. There is a strong increase of the prevalence with age. According to the present data nearly every fifth woman in the age range from 70 to 79 years is suffering from diabetes mellitus. The disease is much more frequent in the new federal states (former GDR) than in the old ones (former West Germany). About one fourth of the diabetics uses insulin, far more than 40% are on oral antidiabetics. According to the interrogation of the physicians, about half of the diabetics not using any drugs are not even on a diet (ca. 15%). The portion of undetected diabetics in the examined population is estimated to be about 1% considering the values of blood and urine parameters (glucose in serum and urine, fructosamine, HbA1c). Key words: National Health Examination Survey – Diabetes Mellitus – Prevalence – Therapy – Blood Analyses Problemstellung Die Krankheit Diabetes mellitus wurde schon im Altertum in ägyptischen Papyri beschrieben. Erst jedoch die moderne Lebens- und Ernährungsweise in den Industrieländern, die bei Einschränkung der körperlichen Aktivität zu einem deutlichen Anstieg an Übergewichtigen in der Allgemeinbevölkerung führte, ließen den Diabetes zu einer Volkskrankheit werden. Trotz der verbesserten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bedeutet die Krankheit für die Betroffenen eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität; die Lebenserwartung ist weiterhin gegenüber Nichtdiabetikern geringer [Magnusson 1997, Schneider 1993, Standl 1998, Stiegler 1998, Trautner 1997]. Während bei Patienten mit einem Diabetes Typ 1 die mikroangiopathischen Komplikationen im Vordergrund stehen (Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie), sind es beim Typ 2 vor allem Auswirkungen einer Makroangiopathie (koronare Herzkrankheiten, Schlaganfall, periphere vaskuläre Krankheiten). In der DDR gab es ein Diabetes-Register, das recht valide Aussagen über die Verbreitung der Krankheit liefern konnte [Michaelis 1991]. Nach der Wiedervereinigung ist man auf (grobe) Schätzungen hinsichtlich der Prävalenz angewiesen, wie es auch schon vorher für die alten Bundesländer zutraf. Derzeit wird für Deutschland häufig die Zahl von mindestens vier Millionen Diabetikern genannt, wovon etwa 90% Typ-2Diabetiker sein werden. Diese Angabe beruht auf Schätzungen, die aus unterschiedlichen, meist älteren Datenquellen resultieren [siehe z.B. Hauner 1998]. Quellen für diesbezügliche Schätzungen sind: – Daten von Versicherungsträgern, speziell Krankenkassen – Ergebnisse von Früherkennungsaktionen – Ergebnisse von Bevölkerungsbefragungen und -untersuchungen (Surveys) – Angaben aus Klinik oder Praxis – Verbrauchs-/Umsatzzahlen blutzuckersenkender Arzneimittel Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S85–S89 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Beitrag: 351.fm Ausdruck vom 25.5.00 S86 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 W. Thefeld Beispiele siehe Hauner 1992, Mehnert 1968, Palitzsch 1999, Papoz 1993. Alle Serumanalysen wurden im Zentrallabor des Robert KochInstituts durchgeführt (Leitung: Dr. W. Thierfelder). Mortalitätsdaten sind ungeeignet für diesen Zweck, da in den Totenscheinen meist nur die zum Tode führenden Sekundärkrankheiten ohne Hinweis auf die Primärkrankheit Diabetes vermerkt werden. Die Daten des Nationalen Untersuchungssurveys 1990/91, der Teil der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (DHP) [Kreuter 1995] war, und der Gesundheitssurvey Ost 1991/92 liefern Aussagen für Gesamtdeutschland für den Zeitraum 1990/92. Da beide methodisch vergleichbar durchgeführt wurden, hat man diese Daten in einer Ost/West-Datenbank 1990/92 vereinigt. Da auch die eigenanamnestische Angabe beim Bundes-Gesundheitssurvey weitgehend vergleichbar erhoben wurde, bieten sich Trendanalysen an (1990/92–1998). Mit dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 [Bellach 1998], in dem 7124 Personen einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe zu ihrer Gesundheit befragt und untersucht wurden, stehen jetzt aktuelle Daten zur Verfügung, die eine Abschätzung über die Verbreitung des Diabetes in der 18- bis 79jährigen Wohnbevölkerung in Deutschland erlauben. Durch einen Vergleich dieser Daten mit den Ergebnissen des Nationalen Untersuchungssurveys 1990/91 (alte Bundesländer) und des Gesundheitssurveys Ost 1991/92 (neue Bundesländer) [Wiesner 1995] sollte die Prävalenzentwicklung in den letzten sieben bis acht Jahren beurteilt werden können. Die Berechnungen erfolgten mit dem Statistik-Programmpaket SPSS 9.0.1 für Windows. Um repräsentative Aussagen für die jeweils betrachtete Bevölkerungsgruppe zu erhalten, wurden die Daten des Bundes-Gesundheitssurveys entsprechend der Bevölkerungsstruktur des Jahres 1998 bzw. 1991 (für den Vergleich mit den Daten der Ost/West-Datenbank) gewichtet. Datenmaterial Ergebnisse Die Basis für die Prävalenzberechnungen stellen die Daten der 7124 Teilnehmer des Bundes-Gesundheitssurveys im Alter von 18 bis 79 Jahren dar. Nähere Informationen zum Survey sind aus der Publikation „Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98“ zu erhalten [Bellach 1998]. Über die Stichprobe und die Teilnehmer gibt der Artikel „Response, Zusammensetzung der Teilnehmer und Non-Responder-Analyse“ in diesem Heft genauere Auskunft [Thefeld 1999]. Prävalenz bekannter Diabetiker Im einzelnen stehen im Survey folgende Daten zur Charakterisierung der Diabetiker und ihrer Behandlung zur Verfügung: – Selbstanamnestische Angabe zum Diabetes mellitus Frage: Hatten Sie jemals a) Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) mit Insulinbehandlung bzw. b) ohne Insulinbehandlung – Absicherung des Befundes durch ärztliche Nachbefragung – ärztliche Abfrage der derzeitigen Therapie (Diät, Art der Medikation) – Serummeßwerte: Glukose, Glykämie-Langzeitindikatoren HbA1c und Fructosamin Bestimmungsmethoden Glukose: GOD-PAP-Methode, Fa. Merck, Analysensystem MEGA HbA1c: HPLC-System DIAMAT, Fa. BioRad, RECIPE – ClinRep Fructosamin: Nitrotetrazolium-Blau-Methode, Fa. Roche, Analysensystem EPOS – Glukose im Urin Bestimmungsmethode: Teststreifen Combur 9, Fa. Boehringer Mannheim Entsprechend den selbstanamnestischen Angaben haben 5,0% der 18- bis 79jährigen Männer und 5,5% der gleichaltrigen Frauen einen Diabetes mellitus. Die Selbstangaben wurden in einem Arztgespräch mit den Probanden auf ihre Validität geprüft. Die daraus resultierenden Angaben sind in Tab. 1 dargestellt. Danach sind 4,7% der 18- bis 79jährigen Männer und 5,6% der Frauen von der Krankheit betroffen. Die Befundhäufigkeit steigt erwartungsgemäß mit dem Alter steil an, wobei der Anstieg im hohen Alter bei den Männern abflacht. Dadurch liegt in der Altersgruppe der 70- bis 79jährigen die Prävalenz bei den Frauen höher als bei den Männern. Fast jede fünfte Frau hat in dieser Altersgruppe einen Diabetes. Die Diabetesprävalenz in den neuen Bundesländern ist bei beiden Geschlechtern deutlich gegenüber der in den alten Ländern erhöht. Am häufigsten wird ein mit oralen Antidiabetika behandelter Diabetes in der 18- bis 79jährigen Bevölkerungsgruppe festgestellt (Männer: 2,2%; Frauen: 2,4%), während insulinbehandelte Diabetiker einen Anteil von 1,1% (Männer) bzw. 1,4% (Frauen) in der betrachteten Gruppe ausmachen. Den Anteil der einzelnen Behandlungsformen bei den als Diabetiker eingestuften Surveyteilnehmern gibt Tab. 2 wieder. Danach werden deutlich über 40% mit oralen Antidiabetika behandelt, eventuell in Kombination mit diätetischen Maßnahmen. Etwa ein Viertel der Diabetiker benutzt Insulin. Der Anteil an Patienten, die diätetisch behandelt werden, ist mit ca. 15% gering. Tab. 1 Prävalenzzahlen zum Diabetes mellitus [%] aufgrund der Angaben der 18- bis 79jährigen Teilnehmer des Bundes-Gesundheitssurveys bei der ärztlichen Befragung. N=7099, gewichtet entsprechend der Bevölkerungsstruktur des Jahres 1998 Altersklasse (Jahre) gesamt Männer West Ost gesamt Frauen West Ost 18–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Gesamt 0,6 1,2 8,0 12,9 13,0 4,7 0,5 1,4 7,4 11,2 11,3 4,3 1,1 0,4 10,2 19,9 22,0 6,5 1,3 2,6 2,8 11,4 19,4 5,6 1,4 2,5 2,1 10,4 18,0 5,2 0,5 2,7 5,4 15,0 25,1 6,9 Beitrag: 351.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S87 Prävalenz des Diabetes mellitus in der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands Tab. 2 Anteil der Behandlungsformen (%) bei den im Bundes-Gesundheitssurvey vom befragenden Arzt als Diabetiker eingestuften 18- bis 79jährigen Teilnehmern. N=369, gewichtet entsprechend der Bevölkerungsstruktur des Jahres 1998 Behandlung Insulin auch kombiniert orale Antidiabetika* Diät keine Behandlung gesamt Männer West Ost gesamt Frauen West Ost 24,5 46,0 12,9 16,6 21,8 47,9 12,9 17,4 31,5 41,0 13,1 14,4 24,6 43,4 17,3 14,7 25,9 41,6 17,5 15,0 20,7 48,7 16,8 13,8 * auch mit Diät Er ist in Verbindung mit den Diabetikern zu sehen, die aus Sicht des befragenden Arztes keine Therapie durchführen. Prävalenz unerkannter Diabetiker Die Daten des Surveys erlauben auch Schätzungen über bisher unerkannte Diabetiker. In Tab. 3 ist die Häufigkeit angegeben, mit der bestimmte erhöhte bzw. pathologische Meßwerte im Serum und Urin in der untersuchten Bevölkerungsgruppe vorkommen, die auf eine gestörte Glukosetoleranz bzw. einen Diabetes hinweisen. Die Kriterien für die Einstufung „mindestens 2 Werte erhöht“ wurden so gewählt, daß bei deren Erfüllung eine Störung oder Krankheit wahrscheinlich ist. Sind alle vier Meßgrößen erhöht, so kann der Befund als (nahezu) gesichert gelten. Aus den Daten der Tab. 3 läßt sich abschätzen, daß ein Anteil von etwa 1% unerkannter Diabetiker in der untersuchten Population zu erwarten ist, wobei erhöhte Meßwerte in den neuen Bundesländern etwas häufiger auftreten. Entwicklung der Diabetesprävalenz über die Zeit Die Diabetesprävalenz aufgrund der Selbstangaben der Teilnehmer des Nationalen Untersuchungssurveys 1990/91 und des Gesundheitssurveys Ost 1991/92 (Ost/West-Datenbank 1990/92) betrug für die 25- bis 69jährigen deutschen Männer 5,0% und für die gleichaltrigen Frauen 4,7%. Um einen Vergleich der Werte des Zeitraums 1990/92 mit den Daten des Surveys 1998 zu ermöglichen, wurden letztere auf die Stichprobe und die Bevölkerungsstruktur des Jahres 1991 umgerechnet (gewichtet). Es ergeben sich dann für 1998 Prävalenzwerte von 4,3% für Männer und 3,8% für Frauen. Entgegen den derzeitigen Erkenntnissen der Diabetologen weisen die Ergebnisse auf eine Abnahme der Krankheitshäufigkeit bei den 25- bis 69jährigen hin. Diskussion Zur Abschätzung der Diabetesprävalenz können Befragungen und Untersuchungen an Bevölkerungsstichproben (Surveys) einen wichtigen Beitrag leisten. Im Gegensatz zu den anderen, derzeit in Deutschland verfügbaren Datenquellen lassen sie weitgehend repräsentative Aussagen zu. Werden die selbstanamnestischen Angaben der Surveyteilnehmer durch eine nachgehende ärztliche Befragung abgesichert, wie es im Bundes-Gesundheitssurvey geschehen ist, so sind die resultierenden Ergebnisse als recht valide einzustufen. Die Daten können Auskunft geben über die Geschlechts- und Altersstruktur der Diabetikerpopulation und der eingesetzten Therapien. Eine korrekte Typisierung der Diabetiker ist mit den vorliegenden Informationen allerdings nicht möglich. Aufgrund der geringen Fallzahlen werden die Angaben in den unteren Altersgruppen instabil sein, und es ist generell zu unterstellen, daß die tatsächliche Prävalenz eher unterschätzt wird. Patienten, die sich in ständiger ärztlicher Behandlung befinden, werden seltener an einer Bevölkerungsuntersuchung teilnehmen, außerdem werden Patienten nicht erfaßt, die zur Teilnahme körperlich nicht in der Lage sind oder sich in stationärer Behandlung befinden. Die Einschätzung, daß – mit den vorgenannten Einschränkungen – die Daten des Bundes-Gesundheitssurveys als plausibel anzusehen sind, wird unterstützt durch die Ergebnisse, die sich beim Vergleich zwischen der mit dem Gesundheitssurvey für die neuen Bundesländer festgestellten Morbidität und den Daten des Diabetes-Registers der DDR (Stand: 31.12.1987) [Michaelis 1991] ergeben. So liegen die aktuellen Prävalenzwerte im höheren Alter bei beiden Geschlechtern annähernd vergleichbar oder höher als die entsprechenden Registerdaten. Mit Ausnahme einer kürzlich veröffentlichten epidemiologischen Studie, in der auf der Basis von HbA1c-Analysenwerten die Prävalenz des Diabetes in Deutschland für die Jahre 1993 bis 1996 geschätzt wurde [Palitzsch 1999], sind uns keine aktuellen repräsentativen Untersuchungen zur Diabetespräva- Tab. 3 Anteil von Personen (%) im Bundes-Gesundheitssurvey, die nicht als Diabetiker bekannt sind, bei denen aber erhöhte bzw. pathologische Meßwerte hinsichtlich des Kohlenhydratstoffwechsels vorliegen. N=5275, gewichtet entsprechend der Bevölkerungsstruktur des Jahres 1998 erhöhte bzw. patholog. Meßwerte mindestens 2 Werte 1) mindestens 3 Werte 2) 4 Werte 3) 1) 2) 3) gesamt Männer West Ost gesamt Frauen West Ost 2,1 0,8 0,4 2,0 0,8 0,4 2,8 1,0 0,6 2,0 0,6 0,2 1,8 0,6 0,3 2,7 0,4 – Serumglukose ≥126mg/100ml und HbA1c>6,1% oder HbA1c>6,1% und Glukose im Urin ≥50mg/100ml mindestens 3 der nachstehenden Befunde: Serumglukose ≥126mg/100ml, Fructosamin (eiweißkorrigiert)>285 μmol/l, HbA1c>6,1%, Glukose im Urin ≥50mg/100ml Serumglukose ≥126mg/100ml, Fructosamin (eiweißkorrigiert)>285 μmol/l, HbA1c>6,1%, Glukose im Urin ≥50mg/100ml Beitrag: 351.fm Ausdruck vom 25.5.00 S88 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 W. Thefeld lenz bekannt. Mit den Befragungs- bzw. Untersuchungsergebnissen des Bundes-Gesundheitssurveys können jetzt Daten für das Jahr 1998 vorgestellt werden. In dem im Gesundheitssurvey betrachteten Altersbereich der 18- bis 79jährigen haben 5,6% der Frauen und 4,7% der Männer einen Diabetes mellitus angegeben (Tab. 1). Die Frauen weisen also eine höhere Krankheitshäufigkeit auf. Dies ist begründet in der sehr hohen Prävalenz bei den 70- bis 79jährigen Frauen. Dieser Altersgruppe wird auch allgemein das Morbiditätsmaximum zugeordnet [Michaelis 1991, Hauner 1992]. Nahezu jede fünfte Frau hat in diesem Alter einen Diabetes, während bei den Männern dieser Altersgruppe nur 13% betroffen sind. Die bekannte sprunghafte Prävalenzzunahme im Alter tritt nach den Surveydaten allerdings bei den Männern früher auf als bei den Frauen. Auffallend ist der ausgeprägte Unterschied zwischen den neuen und alten Bundesländern. Die Bevölkerung in den neuen Bundesländern weist eine deutlich höhere Morbidität als die der alten Länder auf. Dieser Befund ist nur bedingt durch eine eventuell bessere Erkennung der Diabetiker in der DDR zu erklären. Die im Survey durchgeführten Blutanalysen auf Glukose und HbA1c unterstützen klar die festgestellten Unterschiede. Eine Hochrechnung der Prävalenzen und damit der Diabetikerzahl auf die deutsche Gesamtbevölkerung wurde nicht vorgenommen, da die Diabetiker im Alter von über 80 Jahren nicht erfaßt wurden und deren Zahl im Gegensatz zur Situation bei den unter 18jährigen schwer abzuschätzen ist. Aus Tab. 2 ist zu erkennen, wie die 369 Diabetiker, die in der Population des Surveys nach ärztlicher Befragung identifiziert wurden, ihre Krankheit behandeln. Etwa ein Viertel aller Diabetiker wird mit Insulin, allein oder in Kombination mit oralen Antidiabetika bzw. Diät, behandelt, wobei deutliche Unterschiede zwischen den Männern in Ost und West existieren (32% vs. 22%). Der Prozentsatz scheint relativ hoch zu sein verglichen mit älteren Angaben; das therapeutische Vorgehen hat sich allerdings auch zwischenzeitlich etwas geändert. 46% der Männer und 43% der Frauen gaben eine Therapie mit oralen Antidiabetika an (allein oder kombiniert mit Diät). Dieser Prozentsatz entspricht etwa dem Wert, der sich auch aus dem Diabetes-Register der DDR ergibt (43%) [Michaelis 1991]. Nicht ganz ein Drittel der erfaßten Diabetiker erhalten keine medikamentöse Therapie. Zu einem vergleichbaren Anteil kam Hauner bei der Sichtung von Daten einer Stichprobe AOK-Versicherter des Jahres 1988 in Dortmund (1992). Erschreckend ist der Befund, daß bei etwa der Hälfte der nicht medikamentös Behandelten im Survey aus Sicht des befragenden Arztes auch keine diätetische Behandlung vorlag. In den 60er Jahren wurde das Verhältnis von bekannten zu unentdeckten Diabetikern in der Bevölkerung noch mit einem Verhältnis von 1 (bis 2) : 1 angegeben [Mehnert 1968, Neumann 1969]. Seitdem hat sich der Anteil unerkannter Diabetiker durch das Netz der Vorsorgeuntersuchungen deutlich verringert. Jeder manifeste Diabetiker, der nicht rechtzeitig erkannt wird, bleibt aber eine Person zuviel. Mit Hilfe der Surveydaten läßt sich der Anteil unerkannter Diabetiker grob abschätzen. Es werden die Meßwerte Serumglukose, Fructosamin (eiweißkorrigiert), HbA1c und Glukose im Urin zur Einstufung herangezogen. Für die Serumglukose wurde als Grenzwert 126 mg/100 ml gewählt entsprechend der neuen Klassifikation der American Diabetes Association bzw. der WHO [Alberti 1998], wobei allerdings nur ein Nüchtern-Zeitabstand von mindestens drei Stunden vorausgesetzt wurde. Alle anderen Bewertungsgrenzen entsprechen den methodenspezifischen Referenzwerten. Ein erhöhtes HbA1c mit entweder erhöhter Serumglukose oder auffälligem Uringlukosebefund liegt bei 2% der Teilnehmer des Surveys vor (Tab. 3). Bei diesen Personen ist die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Kohlenhydratstoffwechselstörung bzw. eines Diabetes recht hoch. Beim Auftreten einer 3er-Befund-Kombination ist der Verdacht wesentlich erhärtet; bei gleichzeitigem Vorliegen aller vier Befunde kann der Verdacht als bestätigt gelten (Tab. 3). Die letztere Bedingung erfüllen noch 0,4% der Männer und 0,2% der Frauen. Querschnittsstudien wie der Gesundheitssurvey erlauben leider nur sehr eingeschränkt definitve Diagnosen, da eine nachgehende Diagnostik nicht möglich ist. Über die Schwere der festgestellten Befunde kann im Einzelfall aufgezeigt werden, daß es sich um echte Krankheitsfälle handelt. So hatten z.B. 20 Personen (0,4%) Serumglukosewerte über 200mg/100ml (mindestens drei Stunden nüchtern) bei gleichzeitiger pathologischer Veränderung der anderen Meßwerte, darunter waren 11 Personen mit Glukosewerten über 280mg/100ml. Bei kritischer Beurteilung der vorliegenden Daten wird der Anteil unerkannter Diabetiker in der untersuchten Population auf etwa 1% geschätzt. Nach den selbstanamnestischen Angaben der Teilnehmer der Surveys 1990/92 und des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 hat die Diabetesprävalenz in den letzten sieben bis acht Jahren bei den 25- bis 69jährigen Männern um 0,7% und bei den Frauen um 0,9% abgenommen. Dieses Ergebnis muß angezweifelt werden aufgrund der bisherigen Erkenntnisse, die in der Mehrzahl auf eine Zunahme weisen, keinesfalls aber auf eine Abnahme. Auch die in den Surveys bestimmten Serumglukosewerte stützen das Ergebnis nicht: Erhöhte Serumglukosewerte (≥ 126 mg/100 ml nach mindestens drei Stunden Nüchternheit) haben in der betrachteten Population zu- und nicht abgenommen. Obwohl die selbstanamnestischen Angaben durch inhaltlich vergleichbare Fragen erhoben wurden, die in den Selbstausfüll-Fragebogen der Surveys enthalten waren, muß vermutet werden, daß das unplausible Ergebnis im methodischen Vorgehen seine Ursache haben muß. Einen Hinweis darauf liefert die schon von Bormann et al. (1990) und Wiesner (1995) gemachte Feststellung, daß aufgrund der Therapieangaben (z.B. weit über 50% nicht behandelte Diabetiker im Nationalen Untersuchungssurvey 1990/91) die Gültigkeit eines Teils der Selbstangaben in den Nationalen Surveys bezweifelt werden muß. Dies könnte bedeuten, daß sich fälschlicherweise zu viele Probanden als Diabetiker eingestuft haben. Andererseits war beim Bundes-Gesundheitssurvey den Teilnehmern beim Ausfüllen des Fragebogens bewußt, daß sie danach von einem Arzt ausführlich zu ihrer Krankheit befragt werden. Unter diesen Bedingungen haben sie ihre Antwort eventuell genauer überlegt, was zu einer niedrigeren Zahl von Fällen geführt haben könnte. Fest steht, daß die Selbstangabe der Teilnehmer im Bundes-Gesundheitssurvey von den befragenden Ärzten mehrheitlich als plausibel angesehen wurde. Abweichungen bezüglich der Diabetesprävalenz zwischen Selbstangabe und ärztlicher Beurteilung liegen bei 0,3% (Männer) und 0,1% (Frauen). Beitrag: 351.fm Ausdruck vom 25.5.00 Prävalenz des Diabetes mellitus in der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands W. Thefeld Literatur 1 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S89 Alberti KGMM, Zimmet PZ for the WHO Consultation (1998). Definition, Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus and its Complications. Part 1: Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus. Provisional Report of a WHO Consultation. Diabetic Medicine 15: 539–553 2 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen 60: Sonderheft 2, S59– S68 3 Bormann C, Hoeltz J, Hoffmeister H, Klaes L, Kreuter H, Lopez H, Stolzenberg H, Weilandt C (1990). Subjektive Morbidität. MMV Medizin Verlag München. bga-Schrift, 89–100 4 Hauner H (1998). Verbreitung des Diabetes mellitus in Deutschland. Dtsch Med Wschr 123: 777–782 5 Hauner H, v. Ferber L, Köster I (1992). Schätzung der Diabeteshäufigkeit in der Bundesrepublik Deutschland anhand von Krankenkassendaten. 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Die Prävalenz des Diabetes mellitus wird in Deutschland deutlich unterschätzt – eine bundesweite epidemiologische Studie auf der Basis einer HbA1c-Analyse. Diab Stoffw 8: 189–200 12 Papoz L, EURODIAB Subarea C Study Group (1993). Utilization of Drug Sales Data for the Epidemiology of Chronic Diseases: The Example of Diabetes. Epidemiology 4: 421–427 13 Schneider H, Lischinski M, Jutzi E (1993). Überlebenszeit von Diabetikern im 30-Jahres-Follow-up innerhalb einer geschlossenen Population. Z ärztl Fortbild 87: 323–327 14 Standl E (1998). Overview of the Management of Type 2 Diabetes. Diabetes Metab Rev 14: S13–S17 15 Stiegler H, Standl E, Frank S, Mendler G (1998). Failure of reducing lower extremity amputations in diabetic patients: results of two subsequent population based surveys 1990 and 1995 in Germany. VASA 27: 10–14 16 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999). Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer und Non-Responder-Analyse. Gesundheitswesen 61: Sonderheft 2: S57–S61 17 Trautner C, Plum F, Icks A, Berger M, Haastert B (1997). Incidence of blindness in relation to diabetes: A population-based study. Diabetes Care 20: 1147–1153 18 Wiesner G, Hoffmeister H, Todzy-Wolff I (1995). Diabetes mellitus. In: Hoffmeister H, Bellach BM (Hrsg.). Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Heft 39–43 Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin Beitrag: 351.fm Ausdruck vom 25.5.00 S90 MORBIDITÄT in Deutschland – ›› Blutdruck Zustandsbeschreibung und Trends Zusammenfassung: Die im Rahmen des Bundes-Gesundheitssurveys durchgeführten Blutdruckmessungen ergaben im Mittel höhere Werte bei Männern im Vergleich zu Frauen sowie höhere Werte in den neuen Bundesländern im Vergleich zu den alten. Insgesamt stieg der Blutdruck mit zunehmendem Lebensalter an. Die Hypertonieprävalenz lag bei Männern mit knapp 30% höher als bei Frauen (26,9%) und im Osten jeweils höher als im Westen. In der zeitlichen Entwicklung zeigt sich bei einem Vergleich mit den Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1991 ein Anstieg der Hypertonieprävalenz im Westen und eine Abnahme im Osten. Damit scheint sich eine Annäherung der Werte der beiden Regionen auf hohem Niveau zu vollziehen. Schlüsselwörter: Blutdruck – Hypertonus – Bundes-Gesundheitssurvey – Prävalenz – Trends Blood Pressure in Germany – Update Review of State and Trends: The blood pressure measurements performed in the course of the German National Health Interview and Examination Survey 1998 showed higher levels in men compared to women and higher levels in the Eastern part of Germany as compared to the West. Generally, blood pressure increased with age. The prevalence of hypertension was higher in men, reaching almost 30%, as compared to women (26.9%), and higher in the East compared to the West. A comparison of data of 1998 and data of the Health Examination Survey East-West 1991 reveals an increase in the incidence of hypertension in the West and a decrease in the East. This seems to imply a convergence of the two regions on a high level. Key words: Blood Pressure – Hypertension – German National Health Interview and Examination Survey – Prevalence – Trends Einführung Der krankhaft erhöhte Blutdruck (Hypertonie) gehört zu den etablierten Risikofaktoren u.a. für Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, periphere arterielle Verschlußkrankheit und Niereninsuffizienz. Damit stellt die Bluthochdruckkrankheit eine wichtige vermeidbare Ursache für Invalidität und vorzeitige Todesfälle dar. Man unterscheidet im wesentlichen die Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S90–S93 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York M. Thamm Robert Koch-Institut, Berlin primäre, auch essentielle oder idiopathische Hypertonie von der sekundären, auf eine spezifische Ursache zurückzuführende Hypertonie. Zu den blutdruckbeeinflussenden Faktoren gehören u.a. Übergewicht, körperliche Aktivität, Alkoholaufnahme, Zigarettenkonsum und die Kochsalzaufnahme [Stamler et al. 1997, Trials of Hypertension Prevention Collaborative Research Group 1997, Pouliot et al. 1994, Whelton et al. 1996, U.S. Department of Health and Human Services 1996, Paffenberger et al. 1993, Kokkinos et al. 1995, Elliot et al. 1996, Greenberg et al. 1987]. Die sekundären Hypertonien haben alle eine hormonelle bzw. eine renale Genese und machen nur ca. 10% der Hypertoniefälle aus. Dennoch darf eine Ursachenforschung nicht vernachlässigt werden, da in diesen Fällen immerhin eine Kausaltherapie, und damit eine Heilung, möglich ist. Die Behandlung der Hypertonie ist heute weitgehend standardisiert und folgt bestimmten, nach Schweregrad und begleitenden Risikofaktoren abgestuften Therapieschemata. Methoden Im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS) [Bellach et al. 1998] wurde neben der Erfassung anderer Risikofaktoren bei 7101 Personen der Blutdruck gemessen. Aus Gründen der Vergleichbarkeit mit früheren Erhebungen wurden Oberarmmessungen am sitzenden Probanden vorgenommen. Die Meßgeräte entsprachen ebenfalls den bei früheren Untersuchungen eingesetzten Geräten mit Quecksilbersäule. Um eine möglichst hohe Genauigkeit der Messung sicherzustellen, wurde großer Wert auf eine intensive Schulung der Untersucher gelegt (analog WHO-MONICA), sowie laufende Qualitätskontrollen in den sample points durchgeführt. Außerdem wurden vom Hersteller besonders genaue Meßgeräte geliefert, die abweichend von der Norm DIN/EN 1060, die Meßtoleranzen von ±3 mm Hg zuläßt, eine maximale Abweichung von +1,8 mm Hg aufwiesen. Es wurden jeweils drei voneinander unabhängige Messungen durchgeführt, mit dazwischenliegenden Pausen von mindestens drei Minuten. Der in den folgenden Analysen verwendete systolische und diastolische Blutdruck wird errechnet aus dem jeweiligen Mittelwert der zweiten und der dritten Blutdruckmessung. Bei der Bildung der einzelnen Blutdruckklassen wurden in leicht modifizierter Form die aktuellen Definitionen der WHO zugrunde gelegt [Chalmers 1999]: – keine Hypertonie: Systole <140 mm Hg und Diastole <90 mm Hg – grenzwertige Hypertonie: Systole ≥ 140 bis ≤ 149 mm Hg und /oder Diastole ≥ 90 bis ≤ 94 mm Hg Beitrag: 355.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S91 Blutdruck in Deutschland – Zustandsbeschreibung und Trends Tab. 1 Mittlere Blutdruckwerte und Standardabweichung nach Altersklassen, Geschlecht und West/Ost Altersklasse (Jahre) (mm Hg) Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost 18–19 Systole Diastole 125 (12) 72 (11) 125 (12) 72 (11) 125 (26) 73 (10) 117 (11) 71 (10) 116 (12) 70 (9) 120 (10) 72 (11) 20–29 Systole Diastole 129 (12) 78 (10) 128 (11) 78 (10) 131 (12) 80 (10) 119 (12) 75 (10) 119 (12) 74 (10) 120 (11) 76 (9) 30–39 Systole Diastole 130 (13) 84 (10) 129 (13) 84 (10) 133 (13) 85 (10) 122 (14) 78 (10) 121 (14) 77 (10) 124 (15) 79 (10) 40–49 Systole Diastole 135 (17) 88(11) 133 (16) 88 (11) 141 (18) 92 (12) 130 (18) 82 (11) 129 (18) 82 (11) 133 (20) 84 (11) 50–59 Systole Diastole 143 (19) 89 (11) 142 (19) 89 (11) 146 (20) 90 (11) 143 (21) 86 (11) 142 (22) 86 (11) 146 (20) 88 (10) 60–69 Systole Diastole 150 (22) 88(11) 150 (22) 88 (11) 148 (21) 86 (10) 153 (22) 86 (11) 153 (22) 86 (11) 151 (23) 86 (12) 70–79 Systole Diastole 153 (23) 83 (12) 152 (24) 83 (11) 157 (20) 85 (12) 155 (23) 83 (12) 154 (22) 83 (12) 160 (25) 84 (13) gesamt Systole Diastole 137 (19) 85 (12) 137 (19) 85 (12) 140 (19) 86 (12) 135 (23) 81 (12) 135 (23) 81 (12) 137 (23) 82 (12) gewichtet (W98) – Hypertonie: Systole >149 mm Hg und/oder Diastole >94 mm Hg – kontrollierte Hypertonie:blutdrucksenkende Medikation und Systole ≤149 mm Hg und Diastole ≤ 94 mm Hg Da bei jeder Erhebung mit einer Stichprobe von Freiwilligen mit einer gewissen Abweichung von der Normalbevölkerung zu rechnen ist, wurden die Daten, die die Grundlage für die Prävalenz- und Trendberechnungen bilden, gewichtet. Für die Prävalenzen wurde das Gewicht W98 und für die Trends das Gewicht W9198 verwendet. Die Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1991 wurden mit Weight OW gewichtet. Die Stichprobe sowie die Gewichtungsverfahren sind an anderer Stelle ausführlich beschrieben [Thefeld et al. 1999]. Ergebnisse Sowohl der systolische als auch der diastolische Blutdruck liegen im Mittel bei Männern höher als bei Frauen (Tab. 1). Dieser Unterschied bleibt auch nach Kontrolle für das Alter hochsignifikant. Bei Betrachtung der einzelnen Altersklassen zeigt sich im Mittel ein ausgeprägter Anstieg des Blutdrucks mit zunehmendem Lebensalter, bei einem leichten Rückgang des diastolischen Wertes in den höchsten Altersklassen. Aus früheren Erhebungen ist ebenfalls bekannt, daß der Blutdruck in den neuen Bundesländern höher ist als in den alten [Hoffmeister 1995, Bellach 1996]. Diese Beobachtung wird auch durch die Daten des Bundes-Gesundheitssurveys gestützt. Hier liegt im Ostteil Deutschlands der systolische Blutdruck bei Männern im Mittel um 3 mm Hg höher als im Westen, bzw. der diastolische Wert weist eine Differenz von 1 mm Hg auf. Bei Frauen beträgt dieser Ost-West-Unterschied 2 mm Hg für den systolischen, und 1mm Hg für den diastolischen Blutdruck. Die Blutdruckdifferenz zwischen alten und neuen Bundesländern ist in annähernd allen Altersklassen zu beobachten, was darauf hindeutet, daß bei diesem Phänomen andere Ursachen als das Alter eine Rolle spielen. Zu diesen anderen Ursachen gehört zweifellos der Body-Mass-Index (BMI) [Trials of Hypertension Prevention Collaborative Research Group 1997, Pouliot 1994]. Erste Auswertungen der Daten des BGS ergaben eine hochsignifikante positive Korrelation zwischen BMI und Blutdruck. Vor dem Hintergrund, daß im Osten 20,9% der Männer stark übergewichtig sind (BMI ≥30 kg/m2), im Westen jedoch nur 18,2%, und von den Frauen im Osten immerhin annähernd ein Viertel (24,5%) unter starkem Übergewicht leiden, im Westen jedoch nur 21%, ergibt sich hier ein Erklärungsansatz für die beobachteten Ost-West-Unterschiede. Knapp 17% der Studienteilnehmer geben an, täglich oder mehrmals wöchentlich blutdrucksenkende Medikamente einzunehmen. Auch dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie zwischen alten und neuen Bundesländern. Im Westen sind 12,8% der Männer (Frauen 17,6%) regelmäßige Anwender von blutdrucksenkenden Medikamenten, im Osten sind es 18,5% der Männer und 22,5% der Frauen. In Tab. 2 sind die in Tab. 1 beschriebenen Werte unter Ausschluß der regelmäßigen Anwender blutdrucksenkender Medikamente dargestellt. Es läßt sich dabei eine geringe Abnahme der mittleren Blutdruckwerte, speziell in den höheren Altersklassen, feststellen. Dies deutet darauf hin, daß die betroffenen Personen ihre blutdrucksenkenden Medikamente zu Recht einnehmen und daß die Anwender trotz Therapie noch überdurchschnittlich hohe Blutdruckwerte aufweisen. Aussagekräftiger als die Darstellung der Mittelwerte ist die Einteilung in Blutdruckklassen. Hierzu wurden, wie oben beschrieben, die Grenzwerte der WHO von 1998 zugrunde gelegt. Die Modifikation besteht in einer Vergröberung der Klassen sowie der Einführung des Terms „kontrollierte Hypertonie“ für Anwender blutdrucksenkender Medikamente ohne manifeste hypertone Blutdruckwerte. Die Ergebnisse sind in Tab. 3 dargestellt. Von den Männern ist nur knapp die Hälfte als normoton einzustufen, bei den Frauen sind es immerhin fast 58%. 29,7% der Männer sind eindeutig als hyperton zu betrachten, verglichen mit 26,9% der Frauen. Die in den vorangegangenen Tabellen beschriebenen Unterschiede der Blutdruckmittelwerte zwischen West und Ost bilden sich auch bei Beitrag: 355.fm Ausdruck vom 25.5.00 S92 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 M. Thamm Tab. 2 Mittlere Blutdruckwerte und Standardabweichung nach Altersklassen, Geschlecht und West/Ost unter Auschluß regelmäßiger Anwender blutdrucksenkender Medikamente Altersklasse (Jahre) (mm Hg) Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost 18–19 Systole Diastole 125 (12) 72 (11) 125 (12) 72 (11) 125 (12) 73 (10) 117 (11) 70 (10) 116 (12) 70 (9) 120 (10) 71 (11) 20–29 Systole Diastole 129 (11) 78 (10) 128 (11) 78 (10) 130 (11) 80 (10) 119 (12) 74 (10) 119 (12) 74 (10) 120 (11) 75 (9) 30–39 Systole Diastole 129 (13) 84 (10) 129 (13) 84 (10) 131 (13) 84 (9) 121 (14) 78 (10) 121 (13) 77 (10) 124 (15) 79 (10) 40–49 Systole Diastole 133 (16) 88 (10) 132 (15) 87 (10) 140 (17) 91 (11) 127 (16) 81 (10) 127 (16) 81 (10) 129 (18) 82 (10) 50–59 Systole Diastole 141 (18) 89 (10) 140 (18) 88 (10) 144 (19) 90 (10) 138 (19) 85 (10) 137 (19) 84 (10) 141 (18) 87 (9) 60–69 Systole Diastole 145 (22) 86 (11) 146 (22) 86 (11) 144 (19) 85 (9) 147 (21) 84 (11) 148 (21) 84 (10) 146 (24) 86 (12) 70–79 Systole Diastole 151 (23) 83 (12) 151 (24) 83 (12) 151 (21) 84 (12) 150 (22) 82 (11) 150 (21) 83 (11) 152 (27) 80 (11) gesamt Systole Diastole 135 (17) 84 (11) 134 (17) 84 (11) 137 (17) 85 (11) 130 (20) 80 (11) 129 (20) 79 (11) 131 (20) 81 (11) gewichtet (W98) Tab. 3 Blutdruckklassen nach WHO 1998 (%), modifiziert. Bundes-Gesundheitssurvey 98 – gewichtet (W98) Blutdruckklassen Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost normoton borderline hyperton kontr.hyperton 49,7 15,8 29,7 4,8 51,5 15,5 28,5 4,5 42,6 16,8 34,5 6,1 57,9 9,3 26,9 5,9 59,1 9,3 26,1 5,5 53,3 9,1 30,1 7,5 normoton: Systole <140 mm Hg und Diastole <90 mm Hg borderline: Systole ≥140 bis ≤149 mm Hg und/oder Diastole ≥90 bis ≤94 mm Hg hyperton: Systole >149 mm Hg und/oder Diastole >94 mm Hg kontr. hyperton: blutdrucksenkende Medikation und Systole ≤149 mm Hg und Diastole ≤ 94 mm Hg Tab. 4 Prävalenzen (in %) einzelner Blutdruckklassen, nach WHO 1998, modifiziert. Gesundheitssurvey Ost-West 90/92 – gewichtet (Weight OW) Blutdruckklassen Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost normoton borderline hyperton kontr. hyperton 45,9 17,6 28,4 4,4 53,4 17,0 24,9 4,6 34,7 19,9 41,8 3,5 59,3 12,4 23,1 5,1 61,9 11,9 21,8 4,4 49,8 14,5 27,8 7,8 Bundes-Gesundheitssurvey – gewichtet (W91/98) Blutdruckklassen gesamt Männer West Ost gesamt Frauen West Ost normoton borderline hyperton kontr. hyperton 46,5 19,5 30,1 3,9 48,6 19,4 28,6 3,4 38,6 19,6 35,9 5,9 56,4 12,1 27,0 4,5 57,5 12,0 26,4 4,1 52,5 12,3 29,4 5,8 normoton: Systole <140 mm Hg und Diastole <90 mm Hg borderline: Systole ≥140 bis ≤149 mm Hg und/oder Diastole ≥90 bis ≤94 mm Hg hyperton: Systole >149 mm Hg und/oder Diastole >94 mm Hg kontr. hyperton: blutdrucksenkende Medikation und Systole ≤149 mm Hg und Diastole ≤ 94 mm Hg den Blutdruckklassen ab. So weisen im Westen 28,5%, im Osten 34,5% der Männer hypertone Blutdruckwerte auf. Bei den Frauen liegen die Prozentsätze bei 26,1 im Westen und 30,1 im Osten. Um die zeitliche Entwicklung in der Prävalenz der Hypertonie beurteilen zu können, wurde ein Vergleich mit den Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1991 durchgeführt. Hierfür wurden die aktuellen Daten des Bundes-Gesundheitssurveys Beitrag: 355.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S93 Blutdruck in Deutschland – Zustandsbeschreibung und Trends mit dem für derartige Vergleiche entwickelten Gewicht W91/ 98 gewichtet. Durch diese andere Gewichtung ergeben sich Unterschiede zu den in Tab. 3 dargestellten Daten, die aber lediglich auf einer anderen Standardisierung beruhen. Tab. 4 zeigt den zeitlichen Trend zwischen den beiden genannten Erhebungen bezüglich der Blutdruckklassen. Zunächst fällt auf, daß sich der Anteil der Hypertoniker bei Männern und Frauen erhöht hat. Differenziert man zwischen West und Ost, dann ergibt sich sowohl bei Männern als auch bei Frauen ein Anstieg der Hypertonieprävalenz im Westen sowie bei Frauen im Osten. Bei Männern im Osten, wo 1990/92 noch eine Hypertonieprävalenz von 41,8% zu verzeichnen war, ist dieser sehr hohe Wert bis 1998 auf 34,9% zurückgegangen. Da die Prävalenz der kontrollierten Hypertonie aber nur von 3,5% auf 5,9% zunahm, scheint die medikamentöse Intervention nicht ausschlaggebend für diese Entwicklung zu sein. Welche Faktoren im einzelnen die beobachteten Trends beeinflussen, muß in weiteren Analysen untersucht werden. Diskussion Hypertonie ist ein durch Verhaltensmodifikation und/oder medikamentöse Intervention in der Regel beeinflußbarer Risikofaktor für eine Vielzahl von Erkrankungen des Gefäßsystems. Die Therapiekonzepte sind in den vergangenen Jahren dahingehend modifiziert worden, daß heutzutage früher und konsequenter interveniert wird, um Langzeitschäden zu verhindern oder hinauszuzögern. Daß in der aktuellen Erhebung dennoch eine Prävalenz der Hypertonie von knapp 30% bei Männern und mehr als 26% bei Frauen ermittelt wurde, ist unbefriedigend. Hinzu kommt die Beobachtung, daß der Anteil der Hypertoniker im Osten zwar absinkt, der im Westen jedoch zunimmt, so daß im wesentlichen eine Angleichung auf hohem Niveau stattzufinden scheint. Die Frage muß gestellt werden, ob die bisherigen Maßnahmen zur Senkung der Hypertonieprävalenz ausreichen. Literatur 1 Bellach BM (1996). Die Gesundheit der Deutschen. Band. 2. RKIHefte 15/96 2 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen 60; Suppl 2: 59–68 3 Chalmers J et al. (1999). WHO-ISH Hypertension Guidelines Committee. 1999 World Health Organization – International Society of Hypertension Guidelines for the Management of Hypertension. J Hypertens 17: 151–185 4 Elliot P, Stamler J, Nichols R, et al. (1996) for the Intersalt Cooperative Research Group. 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Effects of wight loss and sodium reduction intervention on blood pressure and hypertension incidence in overweight people with high normal blood presure: the Trials of Hypertention Prevention, phase II. Arch Intern Med 157: 657–667 14 U. S. Department of Health and Human Services (1996). Physical Activity and Health: A Report of the Surgeon General. Atlanta, GA: Centers for Disease Control and Prevention and Health Promotion, National Center for Cronic Disease Prevention and Health Promotion 15 Whelton PK, Applegate WB, Ettinger WH et al. (1996). Efficacy of weight loss and reduced sodium intake in the Trial of Nonpharmacologic Intervention in the Elderly (TONE) [abstract]. Circulation 94 (suppl): I–178 M. Thamm Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin Beitrag: 355.fm Ausdruck vom 25.5.00 S94 MORBIDITÄT in ›› Heuschnupfenprävalenz Deutschland – Ost-West-Vergleich E. Hermann-Kunz Robert Koch-Institut, Berlin und zeitlicher Trend Zusammenfassung: Mehrere Studien bei Kindern und Erwachsenen haben in den letzten Jahren eine Prävalenzzunahme bei atopischen Erkrankungen in Ost- und Westdeutschland gezeigt. Die beobachtete Allergiehäufigkeit war im Osten jedoch deutlich geringer als im Westen. Anhand der Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 und der Gesundheitssurveys von 1990/92 wurde untersucht, ob sich auch auf der Basis repräsentativer Bevölkerungsstichproben eine Zunahme der Erkrankungshäufigkeit bestätigen läßt und ob die beschriebenen Ost-West-Unterschiede nach wie vor bestehen. In einem Selbstausfüllfragebogen gaben die Studienteilnehmer an, ob sie jemals Heuschnupfen hatten. Zusätzlich wurden sie in einem ärztlichen Interview gefragt, ob ein Arzt jemals die Diagnose Heuschnupfen gestellt hat. Die Fragebogendaten wurden nur im Vergleich mit den früheren Nationalen Surveys zur Berechnung des zeitlichen Trends verwendet. Den Fragebogen füllten 6974 Personen aus und 7099 nahmen an der ärztlichen Befragung teil. Insgesamt gaben 15% der Studienteilnehmer an, daß ein Arzt bei ihnen Heuschnupfen diagnostiziert hat. Deutliche Prävalenzunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sind noch nachweisbar: Im Osten leiden 11% und im Westen 17% an Heuschnupfen. In beiden Teilen des Landes sinkt die Prävalenz mit steigendem Alter. Die höchsten Krankheitsraten wurden bei 20- bis 29- und bei 30- bis 39jährigen gefunden. Auf den Fragebogendaten basierend, stieg die Morbidität zwischen 1990/92 und 1998 von rund 10% auf 17% an. Insgesamt ist die relative Prävalenzzunahme in Ost- und Westdeutschland vergleichbar. Erhebliche Unterschiede zeigen sich jedoch bei einer Berücksichtigung von Alter und Geschlecht. Bei jüngeren Frauen aus Ostdeutschland ist der Prävalenzanstieg wesentlich höher, bei Frauen ab dem 40. Lebensjahr dagegen niedriger als bei westdeutschen Frauen. Bei Männern ist dieses Muster nicht festzustellen. Schlüsselwörter: Heuschnupfen – Prävalenz – Ost-WestDeutschland – zeitlicher Trend Prevalence of Hay Fever in Germany – Comparison between Eastern and Western Germany and Time Trends: In recent years several studies in children and adults have shown an increase in prevalence of atopic diseases in East and West Germany. The observed frequency of allergic diseases, however, was significantly lower in the East compared to the West. Using data of the German National Health Interview and Examination Survey 1998 and of National Surveys from 1990/92 it Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S94–S99 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York was examined, whether the reported increase in prevalence could be confirmed for the total population and whether the differences between East and West are still present. In a selfadministered questionnaire, study participants were asked whether they have ever had hay fever. Additionally, in a physician's interview, subjects were asked whether a physician had ever diagnosed hay fever. The questionnaire data were used in comparison with the previous national surveys for the calculation of time trends. A total of 6974 persons filled in the questionnaire and 7099 persons took part in the interview. Physician-diagnosed hay fever was reported by 15% of the total study population. Clear differences in the prevalence rates between East and West Germany are still existing; 11% in the East and 17% in the West suffer from hay fever. In both parts of the country prevalence decreases with increasing age. The highest rates were found among those aged 20–29 and 30–39 years. Based on the questionnaire data the morbidity rose from about 10% in 1990/92 to 17% in 1998. The overall relative increase is quite comparable in East and West Germany. Stratification by age and gender shows considerable differences. In young women from East Germany the increase in prevalence is substantially higher and in women aged 40 years or older much lower than in West German women. In men this pattern has not been observed. Key words: Hay Fever – Prevalence – East-West-Germany – Time Trends Einleitung Allergische Erkrankungen sind in Deutschland wie in anderen westlichen Industrienationen zu einem gesundheitlichen Problem geworden. Nach Schätzungen leidet bereits jeder dritte Deutsche an einer Allergie [Fath 1999]. Dabei stellt die allergische Rhinokonjunktivitis, also der Heuschnupfen, die bekannteste allergische Krankheit überhaupt dar. Das klinische Bild des Heuschnupfens ist gekennzeichnet durch einen starken Juckreiz in der Nase, anfallsweise Niesattacken und wäßrigen Fließschnupfen sowie tränende, juckende Augen. Die Nasenschleimhäute schwellen an, der Geruchssinn ist eingeschränkt und das Geschmacksempfinden gestört. Die Patienten leiden unter einem Kopfdruckgefühl und allgemeiner Abgeschlagenheit. Die Nasennebenhöhlen können ebenfalls betroffen sein, häufig kann eine Schwellung der Schleimhäute bis zur totalen Verschattung der Nasennebenhöhlen beobachtet werden [Wönne 1992, Brüser 1998]. Jede allergische Rhinitis oder Rhinokonjunktivitis sollte ernst genommen werden, nicht nur we- Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S95 Heuschnupfenprävalenz in Deutschland gen der z.T. erheblichen Verminderung der Lebensqualität bei Betroffenen, sondern vor allem wegen der Gefahr des sogenannten „Etagenwechsels“. Unter dem Begriff „Etagenwechsel“ versteht man das Übergreifen der Beschwerden von den oberen auf die tieferen Atemwege, also vom Nasen-Rachen-Raum auf die Bronchien. Die Folge dieses Überganges ist die Entwicklung eines allergischen Asthmas bronchiale. Bei etwa 30 bis 40% aller Heuschnupfen-Patienten tritt dieses Etagenphänomen auf, und die Betroffenen leiden an asthmatischen Beschwerden. Bei einer Reihe von Erkrankten geht die anfänglich nur saisonal auftretende Symptomatik im weiteren Verlauf in ein ganzjähriges, schweres Krankheitsbild über. Allgemein wird davon ausgegangen, daß die Prävalenz von atopischen Erkrankungen, wie Asthma bronchiale, atopische Dermatitis und Heuschnupfen, in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat. Auskünfte über die Höhe der Erkrankungsraten und über die zeitliche Entwicklung der Heuschnupfenprävalenz insgesamt sowie Antworten auf die Fragen, ob und in welcher Höhe ein Ost-West-Unterschied nach wie vor besteht, können durch die nachfolgend beschriebenen ersten Auswertungsergebnisse des Bundes-Gesundheitssurveys gegeben werden. Material und Methode Die Erfassung der Heuschnupfenprävalenz erfolgte im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 [Bellach 1998] durch zwei unterschiedliche Methoden. In einem Selbstausfüllfragebogen wurden die Studienteilnehmer danach gefragt, ob sie jemals „Heuschnupfen, allergische Bindehautentzündung (allergische Rhinitis, allergische Konjunktivitis)“ gehabt haben. In einem zusätzlich von einem Arzt durchgeführten Interview wurde bei den Probanden u.a. erfragt, ob ein Arzt jemals die Diagnose „Heuschnupfen, allergische Bindehautentzündung“ gestellt hat, ob ein Allergietest erfolgte und wenn ja, bei welcher Substanz eine positive Reaktion festzustellen war. Insgesamt füllten 6974 Studienteilnehmer den Fragebogen aus, an der ärztlichen Befragung nahmen 7099 Personen teil. Ausgewertet wurden in erster Linie die Ergebnisse des ärztlichen Interviews. Berücksichtigt wurden hierbei neben der Einteilung in Ost- und Westdeutschland die Gliederungsmerkmale Geschlecht, Alter, Wohnortgröße und soziale 20% 18% 16% 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% Schichtzugehörigkeit. Um die Auswertungsergebnisse auf die deutsche Wohnbevölkerung generalisieren zu können, wurde bis auf wenige, extra gekennzeichnete Ausnahmen bei den Datenanalysen ein Gewichtungsfaktor verwendet [Thefeld 1999]. Zur Untersuchung der zeitlichen Entwicklung der Heuschnupfenprävalenz wurden die Daten des Bundes-Gesundheitssurveys mit den Daten des Gesundheitssurveys West von 1990/91 und des Gesundheitssurveys Ost von 1991/92 verglichen. Auch diese Auswertungen wurden gewichtet durchgeführt. Der Gewichtungsfaktor unterscheidet sich jedoch insofern von dem erstgenannten, als in den Untersuchungen von 1990/92 keine Ausländer, sondern nur die deutsche Bevölkerung berücksichtigt wurde und der Altersbereich der Studienteilnehmer eingeschränkter war. Für die vergleichenden Betrachtungen der Surveydaten konnten aus diesem Grund nur die Altergruppen der 25- bis 69jährigen Probanden herangezogen werden. Da in den Studien von 1990/91 und 1991/92 keine Befragung durch einen Arzt stattfand, wurden zur Untersuchung der zeitlichen Prävalenzentwicklung die Selbstangaben der Studienteilnehmer aus dem Fragebogen verwendet, alle anderen Auswertungen basieren auf den Ergebnissen des ärztlichen Interviews. Die Datenanalysen wurden mit der Statistik-Software SAS Version 6.12 durchgeführt. Prävalenzunterschiede wurden mit Hilfe des chi²-Tests auf Signifikanz geprüft. Ergebnisse Heuschnupfenprävalenz nach Region, Geschlecht und Alter Repräsentative Aussagen zur Häufigkeit von Allergien in der Bundesrepublik Deutschland konnten erstmals auf der Datenbasis des Nationalen Gesundheitssurveys der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (1990/91) und des Gesundheitssurveys Ost (1991/92) gemacht werden. Insbesondere beim Heuschnupfen sowie bei den Sensibilisierungsraten auf Inhalationsallergene zeigte sich hier ein deutlicher Ost-WestUnterschied [Bellach 1995, Nicolai 1997, Wiesner 1995]. Auch auf der Basis des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 läßt sich eine signifikante West-Ost-Differenz nachweisen. Insgesamt wurde bei 15% der deutschen Wohnbevölkerung die Diagnose „Heuschnupfen“ gestellt. Abb. 1 Heuschnupfenprävalenz 15,4% Deutschland Gesamt West Ost 16,6% 14,4% 15,5% 17,5% 11,3% 10,7% Männer und Frauen 16,3% 10,1% Männer Frauen S96 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 E. Hermann-Kunz Rund 17% der westdeutschen, aber nur 11% (p≤0,001) der ostdeutschen Studienteilnehmer gaben an, daß sie jemals von einem Arzt die Diagnose Heuschnupfen erhielten (Abb. 1). Dieser West-Ost-Gradient ist bei beiden Geschlechtern feststellbar, wobei Frauen insgesamt eine etwas höhere Prävalenz aufweisen (Männer 14% – Frauen 16% (p≤0,05)). Mit zunehmendem Alter nimmt bei Frauen und Männern in Ost- und Westdeutschland die Häufigkeit einer Heuschnupfenerkrankung ab (Abb. 2). Die höchsten Prävalenzraten sind in den Altersgruppen der 20- bis 29- und der 30- bis 39jährigen zu finden. Mit Ausnahme der 60- bis 69jährigen Männer überwiegen in allen Altersgruppen die prozentualen Erkrankungszahlen bei westdeutschen Probanden. Die Ost-West-Differenz nimmt bei Männern ab dem 50. Lebensjahr deutlich ab, sie beträgt z.B. 9 Prozentpunkte in der Altersgruppe 30–39 Jahre und nur knapp 3 bei den 50–59jährigen. Im Gegensatz dazu erhöht sich der Ost-West-Unterschied bei Frauen mit zunehmendem Alter, die Differenz beträgt bei 20- bis 29jährigen rund 7, bei 50- bis 59jährigen dagegen 9 Prozentpunkte; am geringsten ist der Ost-West-Unterschied mit 2,5 Prozentpunkten bei den Frauen in der Altersklasse 40 bis 49 Jahre. Bei 50% aller von Heuschnupfen betroffenen Studienteilnehmer ist die Erkrankung erstmals bis zum Alter von 22 Jahren aufgetreten, und 90% erkrankten bis zum Alter von 46 Jahren. Ein Vergleich beider Geschlechter zeigte, daß das Alter der Erstmanifestation bei Männern in Ost- und Westdeutschland 24% 22% 20% 18% 16% 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% Männer Zeitlicher Trend der Heuschnupfenprävalenz Internationale Studien aus den letzten 20 Jahren unterstützen die Annahme, daß die Prävalenz allergischer Erkrankungen zunimmt [Burr 1993, Nowak 1991, Schultz-Larsen 1992, Sibbald 1993]. Hinweise auf einen Prävalenzanstieg liegen ebenfalls aus den drei Untersuchungswellen des Nationalen Gesundheitssurveys der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (DHP) von 1984 bis 1991 vor. Die auf den Eigenangaben basierenden kumulativen Prävalenzraten stiegen z.B. bei Heuschnupfen von 7 auf 11% bzw. 10% (Männer bzw. Frauen [Wiesner 1995]). Auch die neuen Auswertungen auf der Basis des Bundes-Gesundheitssurveys zeigen eine deutliche Zunahme der Krankheitshäufigkeit. Nach den Selbstangaben der Studienteilnehmer ist die Heuschnupfenprävalenz zwischen 1990/92 und 1998 von rund 10 auf 17% gestiegen (Tab. 1). Der Krankheitsanstieg ist insgesamt mit 8 Prozentpunkten im Westen etwas höher als im Osten (6 Prozentpunkte). Die deutlichste Zunahme ist bei westdeutschen Frauen (10 Prozentpunkte) zu verzeichnen, bei ostdeutschen Frauen ist die Prävalenz um 7 Prozentpunkte und bei Männern um 5 bzw. 6 Prozentpunkte (West bzw. Ost) gestiegen. Eine Zunahme der Erkrankungshäufigkeit ist in allen AltersAbb. 2 Heuschnupfenprävalenz bei Männern und Frauen nach Alter. Deutschland West Ost 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 niedriger ist als bei Frauen. Der Medianwert liegt bei Männern bei 19 und 17 Jahren (West – Ost), bei Frauen dagegen bei 25 und 26 Jahren (West – Ost). Frauen 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Alter in Jahren 22% 20% 18% 16% 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% Abb. 3 Heuschnupfenprävalenz nach sozialer Schichtzugehörigkeit bei Männern und Frauen. Deutschland West Ost Männer untere Frauen mittlere obere soziale Schicht untere mittlere obere Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S97 Heuschnupfenprävalenz in Deutschland Tab. 1 Vergleich der Heuschnupfenprävalenz nach den Fragebogendaten der Gesundheitssurveys 1990/92 (n=7427) und 1998 (n= 6961) (Angaben in Prozent) Deutschland gesamt 1990/92 1998 Differenz Westdeutschland 1990/92 1998 Männer und Frauen insgesamt 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 9,6 16,0 13,2 7,9 6,8 5,2 16,9 23,9 20,9 15,8 13,0 12,0 7,3 7,9 7,7 7,9 6,2 6,8 10,6 17,8 15,0 8,7 7,1 5,7 18,2 25,2 22,6 17,2 14,1 13,0 7,6 7,4 7,6 8,5 7,0 7,3 5,9 9,0 6,6 5,1 5,6 3,5 11,9 18,7 14,8 10,4 8,9 7,5 6,0 9,7 8,2 5,3 3,3 4,0 Männer insgesamt 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 10,2 17,0 13,8 8,5 5,8 6,8 15,4 23,3 21,6 13,7 8,3 10,3 5,2 6,3 7,8 5,2 2,5 3,5 11,3 18,8 15,9 9,4 5,9 7,4 16,4 25,3 23,8 15,1 8,4 10,1 5,1 6,5 7,9 5,7 2,5 2,7 6,2 10,0 6,8 4,8 5,4 4,1 11,2 15,8 13,9 8,4 7,7 11,4 5,0 5,8 7,1 3,6 2,3 7,3 Frauen insgesamt 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 9,0 14,8 12,5 7,4 7,8 4,1 18,3 24,5 20,1 17,9 17,7 13,1 9,3 9,7 7,6 10,5 9,9 9,0 9,9 16,6 14,2 7,9 8,4 4,4 19,9 25,2 21,4 19,4 19,8 15,2 10,0 8,6 7,2 11,5 11,4 10,8 5,6 7,9 6,4 5,3 5,7 3,1 12,5 21,9 15,7 12,3 10,1 4,8 6,9 14,0 9,3 7,0 4,4 1,7 klassen festzustellen. Am geringsten ist die Prävalenzzunahme mit 1,7 Prozentpunkten bei den 60- bis 69jährigen ostdeutschen Frauen, bei den westdeutschen Probandinnen dagegen ist auch in dieser Altersgruppe die Zunahme mit rund 11 Prozentpunkten erstaunlich hoch. Heuschnupfenprävalenz nach sozialer Schicht und Gemeindegröße Im Gegensatz zu den meisten Zivilisationskrankheiten, die einen Prävalenzgipfel bei Personen aus der unteren sozioökonomischen Schicht aufweisen, steigt bei Heuschnupfen sowie bei Allergien allgemein mit zunehmendem sozialen Status das Erkrankungsrisiko. Nach den Ergebnissen der ärztlichen Befragung haben in der Bundesrepublik 11% aller Studienteilnehmer aus der unteren sozialen Schicht einen Heuschnupfen, in der mittleren sozialen Schicht sind es bereits 16% und in der oberen Schicht 19%. Im Ost-West-Vergleich zeigt sich, daß in Westdeutschland der Unterschied zwischen den sozialen Schichten etwa vergleichbar mit dem Ergebnis der Bundesrepublik insgesamt ist, die Prävalenzzahlen betragen 12%, 17% und 21% (untere, mittlere und obere soziale Schicht), während in Ostdeutschland die Krankheitshäufigkeiten bei Angehörigen der mittleren und oberen sozialen Schicht keine Unterschiede aufweisen, sie betragen bei beiden Gruppen 12%. In der unteren sozialen Schicht ist dagegen auch in Ostdeutschland mit 7% eine deutlich niedrigere Prävalenz zu verzeichnen. Eine differenziertere Betrachtung unter Berücksichtigung des Geschlechts läßt erkennen, daß mit Ausnahme der ostdeutschen Frauen bei allen Gruppen das Krankheitsrisiko mit der Zugehörigkeit zur mittleren und oberen sozialen Schicht ansteigt. Bei ostdeutschen Frauen ist die Prävalenz dagegen in der mittleren sozialen Schicht am höchsten (Abb. 3). Differenz Ostdeutschland 1990/92 1998 Differenz Nach den Auswertungen der Gesundheitssurveys von 1990/ 92 war die Prävalenz von Inhalationsallergien bzw. die diesbezüglichen Sensibilisierungsraten in Großstädten höher als in eher ländlichen Regionen [Thefeld 1996]. Die Daten des Bundes-Gesundheitssurveys zeigen ebenfalls Prävalenzunterschiede in Abhängigkeit von der Wohnortgröße. In Gemeinden bzw. Kleinstädten mit einer Einwohnerzahl unter 20000 wurden sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland die geringsten Erkrankungszahlen für Heuschnupfen gefunden (Abb. 4). Dieser Unterschied war bei Frauen und Männern nachweisbar. Ob sich diese Differenz auch bei gleichzeitiger Berücksichtigung der sozialen Schichtzugehörigkeit und anderer möglicher Konfounder darstellt, muß in weiteren Datenanalysen überprüft werden. Allergietest-Ergebnisse bei Probanden mit Heuschnupfen Bei der ärztlichen Befragung gaben insgesamt rund 73% aller Studienteilnehmer mit Heuschnupfen an, daß bei ihnen ein Allergietest durchgeführt wurde. Bei westdeutschen Frauen ist der Anteil getesteter Heuschnupfenpatienten mit 78% am höchsten, bei westdeutschen Männern mit 60% am niedrigsten (Tab. 2). Aus der Literatur ist bekannt, daß eine allergische Rhinokonjunktivitis in erster Linie durch folgende Inhalationsallergene hervorgerufen wird: Gräser-, Baum- und Kräuterpollen, Ausscheidungen von Hausstaubmilben, Schimmelpilze und Tierepithelien, z.B. von Hund und Katze. Auch in der vorliegenden Studienpopulation scheinen die genannten Allergene maßgeblich an der Heuschnupfenentstehung beteiligt zu sein. Etwa 80% aller getesteten Heuschnupfenkranken gaben eine positive Testreaktion auf Pollen an. Am zweithäufigsten wurden mit ca. 41% Hausstaub bzw. Hausstaubmilben genannt, gefolgt von Tierepithelien, auf die 33% aller Betroffenen reagierten. Lebensmittel wurden von 20% und Schimmelpilze von 13% der getesteten Heuschnupfen-Allergiker genannt. S98 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 Deutschland West Ost 20 20 00 . 00 0– >1 <1 00 00 0 0 00 00 00 00 0 . 00 00 Abb. 4 Heuschnupfenprävalenz nach Gemeindegrößenklassen. Frauen 0– >1 <1 <2 00 00 00 00 0 Männer <2 22% 20% 18% 16% 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% E. Hermann-Kunz Gemeindegrößenklassen nach Anzahl der Einwohner Gemeinsames Auftreten von Heuschnupfen mit anderen allergischen Erkrankungen kommen bei Frauen deutlich häufiger vor als bei Männern (Tab. 3). Bei der ärztlichen Befragung gaben insgesamt 57% der Heuschnupfenprobanden an, zusätzlich auch an mindestens einer anderen Allergie zu leiden. Der West-Ost-Vergleich zeigt, daß der Anteil der betrachteten Personen mit mindestens einer weiteren allergischen Erkrankung im Westen höher ist als im Osten (60% vs. 50%) und bei Frauen höher als bei Männern (66% vs. 46%) (Tab. 3). Die meisten Probanden, ca. 27%, leiden zusätzlich an einem allergischen Kontaktekzem, wobei Frauen im Vergleich zu Männern mehr als doppelt so oft betroffen sind. Den zweiten Platz bei den Nennungen nehmen mit 21% die Nahrungsmittelallergien ein, gefolgt von Urtikaria, die bei 17% der Erkrankten gemeinsam mit Heuschnupfen auftritt. Auch die letztgenannten Krankheitskombinationen Diskussion Die Heuschnupfenprävalenz ist in der deutschen Wohnbevölkerung relativ hoch, etwa jeder siebte Erwachsene ist betroffen. Auffällig ist nach wie vor ein signifikanter Ost-West-Unterschied. Ein ärztlich diagnostizierter Heuschnupfen wird in Westdeutschland von 17% und in Ostdeutschland von 11% aller Probanden angegeben. Erste repräsentative Untersuchungen auf der Basis des Nationalen Gesundheitssurveys der DHP und des Gesundheitssurveys Ost zeigten bereits eine deutliche Ost-West-Differenz: 11% der westdeutschen, aber nur 6% der ostdeutschen Probanden gaben z.B. an, an Heuschnupfen zu leiden. Geringere Prävalenzen für Ostdeutschland wurden Tab. 2 Ergebnisse der Allergietests bei Studienteilnehmern mit Heuschnupfen (n=1040) (Angaben in Prozent)* Test durchgeführt Blütenstaub (Pollen) Hausstaub (Milben) Epithelien (z.B. Hund/Katze) Lebensmittel Schimmelpilze andere Substanzen keine Substanz weiß nicht Deutschland gesamt West Ost Deutschland gesamt Männer Frauen Männer West Ost Frauen West Ost 72,5 79,3 40,5 33,2 20,2 12,7 21,1 6,1 2,9 65,2 78,8 35,2 29,7 13,9 12,1 18,2 7,3 3,6 68,4 80,3 37,2 25,9 15,6 9,1 14,7 5,9 2,5 60,0 79,9 38,6 25,6 17,3 7,9 13,8 6,3 2,8 78,1 79,1 44,5 40,6 25,4 16,7 28,1 5,4 2,7 74,8 79,5 41,9 34,1 21,9 12,9 21,9 5,8 2,7 75,9 78,6 42,9 38,5 23,5 15,4 25,8 6,2 3,2 71,0 81,8 31,8 27,3 9,1 13,6 18,2 4,6 1,5 69,2 76,8 37,4 31,3 17,2 11,1 18,2 9,1 5,1 * ungewichtet berechnet Tab. 3 Gemeinsames Auftreten von Heuschnupfen (n =1040) mit anderen allergischen Erkrankungen (Angaben in Prozent)* Heuschnupfen mit Deutschland gesamt West Ost Deutschland gesamt Männer Frauen Männer West Ost Frauen West Ost allergischem Kontaktekzem Nahrungsmittelallergie Urtikaria Neurodermitis sonst. Allergie mind. 1 der o.g. Erkrankungen mind. 2 der o.g. Erkrankungen 27,4 20,7 16,7 8,3 27,0 57,1 27,3 22,0 14,2 11,5 7,5 22,9 49,8 19,4 15,8 14,5 10,0 6,2 22,9 46,4 16,9 16,8 15,4 11,5 5,3 24,6 48,9 18,7 38,5 28,9 24,2 11,2 31,5 68,3 39,2 32,2 16,1 16,1 6,3 27,3 58,7 28,9 * ungewichtet berechnet 28,6 22,7 18,4 8,5 28,3 59,5 29,9 36,9 25,7 22,2 10,0 30,4 65,9 35,8 12,7 11,8 5,5 9,1 17,3 38,2 10,9 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S99 Heuschnupfenprävalenz in Deutschland auch in einigen regionalen Untersuchungen von Kindern und Erwachsenen nachgewiesen [Heinrich 1995, von Mutius 1992, Nicolai 1996]. So wurde z.B. in einer 1995 veröffentlichten Publikation des European Community Respiratory Health Surveys eine Punktprävalenz von Heuschnupfen bei Erwachsenen von 13% in Erfurt und von 23% in Hamburg berichtet. Untersuchungen bei 9- bis 11jährigen Kindern in München und Leipzig ergaben kumulative Prävalenzen von 9 und 7% (West vs. Ost) bei Asthma und 9 vs. 3% bei Heuschnupfen. Die Auswertungen zur zeitlichen Entwicklung bestätigen die Annahme, daß die Heuschnupfenprävalenz ansteigt. In der westdeutschen Bevölkerung konnte bereits anhand der drei Untersuchungswellen der DHP (s. unter Zeitlicher Trend) eine Morbiditätszunahme aufgezeigt werden. Erste Hinweise auf eine Zunahme der Krankheitshäufigkeit in Ostdeutschland lieferte z.B. eine Untersuchung von Kindern in Leipzig [von Mutius 1998]: Zwischen 1991/92 und 1995/96 ist die Prävalenz von Heuschnupfen bei 9- bis 11jährigen Kindern von 2,3 auf 5,1% und die Sensibilisierungsrate (Prick-Test) von 19,3 auf 26,7% gestiegen. Die hier dargestellten vergleichenden Auswertungen repräsentativer Bevölkerungsstichproben von 1990/92 und 1998 ergaben, daß die Prävalenz bei 25- bis 69jährigen Deutschen insgesamt von 10 auf 17% gestiegen ist. Der Anstieg in Ostdeutschland ist etwas geringer als in Westdeutschland. Eine Betrachtung nach Altersgruppen und Geschlecht zeigt bei Männern vergleichbare oder etwas geringere Anstiegsraten im Osten, nur bei den 60- bis 69jährigen ist die Zunahme überraschenderweise in Ostdeutschland höher. Bei ostdeutschen Frauen ist ab dem 40. Lebensjahr ein deutlich geringerer Prävalenzanstieg zu verzeichnen als bei den westdeutschen Probandinnen. Bei jüngeren Frauen ist das Verhältnis umgekehrt, hier ist die Zunahme der Krankheitshäufigkeit im Osten höher. Der Prävalenzverlauf bei jüngeren Frauen könnte ein Indiz dafür sein, daß mit der Angleichung der Lebensverhältnisse leider auch die Morbiditätszahlen langsam ein vergleichbares Niveau erreichen, wie dies bei 25- bis 29jährigen Frauen schon aufzuzeigen ist (Prävalenz bei westdeutschen Frauen 25%, bei ostdeutschen Frauen 22%). In weiterführenden Auswertungen ist vorgesehen, Faktoren zu identifizieren und zu quantifizieren, die einen Einfluß auf den Ost-West-Unterschied haben, und Einflußgrößen zu untersuchen, die mit dem Prävalenzanstieg in Zusammenhang stehen. Literatur 1 Bellach BM, Thefeld W, Dortschy R (1995). Disposition für Inhalationsallergien. In: Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Hefte 7: 78–87 2 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen 60, Sonderheft 2: S59– S68 3 Brüser E (1998). Allergien. Das Immunsystem auf Abwegen. Stiftung Warentest Berlin (Hrsg.) 4 Burr ML (1993). The epidemiology of asthma. In: Burr ML ed. Epidemiology of Clinical Allergy. Basel: Karger AG, 80–102 5 Fath R (1999). Allergieursachen zu klären ist vorrangig. Ärzte Zeitung 156: 2 6 Heinrich J, Nowak D, Beck E et al (1995). Die Verbreitung von Asthma und Atemwegssymptomen bei Erwachsenen in Erfurt und Hamburg. Erste Ergebnisse der deutschen Zentren des EC Respiratory Health Survey. Informatik, Biometrie und Epidemiologie in Medizin und Biologie 26: 297–307 7 Nicolai T, Bellach BM, von Mutius E, Thefeld W, Hoffmeister H (1997). Increased prevalence of sensitization against aeroallergens in adults in West compared with East Germany. Clinical and Experimental Allergy 27: 886–92 8 Nicolai T, Von Mutius E (1996). Respiratory hypersensitivity and environmental factors: East and West Germany. Toxicology Letters 86: 105–113 9 Nowak D, Claussen M, Berger J, Magnussen H (1991). Weltweite Zunahme des Asthma bronchiale. Deutsches Ärzteblatt 88: B1951–1955 10 Schultz-Larsen F, Hanifin JM (1992). Secular change in the occurrence of atopic dermatitis. Acta Derm Venereol 176 (Suppl): 7–12 11 Sibbald B (1993). The epidemiology of allergic rhinitis. In: Burr ML (ed.). Epidemiology of Clinical Allergy. Basel: Karger AG, 61– 79 12 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999). Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer, NonResponder-Analyse. Gesundheitswesen 61 (im Druck) 13 Thefeld W, Bergmann K, Hermann-Kunz E et al. (1996). Wohnortgröße und Gesundheit: Stadt-/Landunterschiede. In: Bellach BM (Hrsg.). Die Gesundheit der Deutschen. Bd. 2. RKI-Heft 15 Bd. 2: 1–15 14 Von Mutius E, Fritzsch C, Weiland SK, Röll G, Magnussen H (1992). Prevalence of asthma and allergic disorders among children in united Germany: a descriptive comparison. BMJ 305: 1395–1399 15 Von Mutius E, Weiland SK, Fritzsch C, Duhme H, Keil U (1998). Increasing prevalence of hay fever and atopy among children in Leipzig, East Germany. Lancet 351: 862–866 16 Wiesner G, Todzy-Wolf I (1995). Heuschnupfen. In: Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Hefte 7: 71–77 17 Wönne R (1992). Heuschnupfen ist die bekannteste allergische Krankheit überhaupt. Ärzte Zeitung/Forschung und Praxis 139: 11–14 Edelgard Hermann-Kunz Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin S100 MORBIDITÄT allergischer Krankheiten ›› Häufigkeit in Ost- und Westdeutschland Zusammenfassung: Nach den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 konnten zwischen Ost- und Westdeutschland bemerkenswerte Unterschiede bei der Prävalenz von Heuschnupfen beobachtet werden. Mehrere Studien mit Kindern und Erwachsenen ergaben auch bei anderen Allergieformen und bei den Sensibilisierungsraten eine erhebliche Ost-WestDifferenz. Das Ziel dieser Untersuchung bestand darin, herauszufinden, ob sich in einer repräsentativen Stichprobe der erwachsenen deutschen Bevölkerung Unterschiede in der Häufigkeit von Asthma, Neurodermitis, Nahrungsmittelallergien, Urtikaria, allergischem Kontaktekzem und „sonstigen Allergien“ feststellen lassen. Die Berechnungen basieren auf den Daten des ärztlichen Interviews, in dem Studienteilnehmer gefragt wurden, ob ein Arzt jemals eine der oben erwähnten Krankheiten diagnostiziert hat. Bei allen allergischen Krankheiten wurde in West-, verglichen mit Ostdeutschland, eine höhere Prävalenz beobachtet, und Frauen aus beiden Teilen des Landes haben höhere Morbiditätsraten als Männer. Mindestens eine ärztlich diagnostizierte Allergie wurde von 40% aller Studienteilnehmer berichtet, wobei in Ostdeutschland rund 30% und im Westen 43% an einer allergischen Krankheit leiden. Bei Frauen beträgt die Prävalenz insgesamt 47% und bei Männern 33%. Extrem hohe Allergieraten weisen westdeutsche Frauen im Alter von 30 bis 39 Jahren auf (62%). Obwohl die Häufigkeit allergischer Krankheiten mit steigendem Alter sinkt, konnten erstaunlich hohe Morbiditätsraten auch in der höchsten Altersgruppe gefunden werden. Die Prävalenz bei Studienteilnehmern im Alter von 70 bis 79 Jahren beträgt 25%. Deutliche Ost-West-Unterschiede sind in dieser Altersgruppe ebenfalls festzustellen (West 27% und Ost 14%). Schlüsselwörter: Asthma bronchiale – Neurodermitis – Nahrungsmittelallergie – Urtikaria – Allergisches Kontaktekzem – Prävalenz – Ost- und Westdeutschland Prevalence of Allergic Diseases in East and West Germany: Using data of the German National Health Interview and Examination Survey 1998, a remarkable difference in the prevalence of hay fever between East and West Germany has been observed. Several studies in children and adults have also shown a considerable East-West divergence in other allergic diseases and in sensitisation rates. The aim of this investigation was to examine whether in a representative sample of the adult German population East-West differences in the frequency of E. Hermann-Kunz Robert Koch-Institut, Berlin asthma, atopic dermatitis, food allergy, urticaria, contact dermatitis and „other allergies“ can be found. The calculations base on data of a physician’s interview in which study participants were asked whether a physician had ever diagnosed one of the above mentioned diseases. A higher prevalence of all allergic diseases has been observed in West compared to East Germany and women from both parts of the country have higher morbidity rates than men. At least one physician-diagnosed allergy was reported by 40% of the study participants, whereas in East Germany about 30% and in the West 43% suffer from an allergic disease. The prevalence in women is 47% and in men 33%. Extremely high allergy rates were found among West German women at the age of 30–39 years (62%). Although the frequency of allergies decreases with increasing age, considerably high morbidity rates were ascertained even in the oldest age groups. The prevalence in participants aged 70–79 years amounts to 25%. Clear differences between East and West could be demonstrated in this age group, too (West 27% and East 14%). Key words: Asthma bronchiale – Atopic Dermatitis – Food Allergy – Urticaria – Contact Dermatitis – East and West Germany Einleitung Nach den Ergebnissen mehrerer epidemiologischer Studien sind die Dispositionsraten für Inhalationsallergien und die Prävalenz manifester allergischer Erkrankungen bei Kindern und Erwachsenen in der westdeutschen Bevölkerung deutlich höher als in Ostdeutschland [Bellach et al. 1995, Heinrich et al. 1995, Nicolai et al. 1997, von Mutius et al. 1992, von Mutius et al. 1998, Wiesner et al. 1995a–c]. Die Gründe für diesen Ost-West-Gradienten sind bisher nicht bekannt. Als Einflußgrößen diskutiert werden in der wissenschaftlichen Literatur verschiedene Umweltfaktoren und Lebensbedingungen (z.B. geringerer Kraftfahrzeugverkehr, Besuch einer Kinderkrippe, weniger Ein-Kind-Familien). Ob mit der allmählichen Angleichung der Lebensverhältnisse auch eine Angleichung der Allergie-Häufigkeit einhergeht, wurde anhand der Prävalenzen unterschiedlicher allergischer oder teilweise allergisch bedingter Krankheiten untersucht. Ausgewertet wurden die Angaben zu Asthma bronchiale, Heuschnupfen, Neurodermitis, Urtikaria, allergischem Kontaktekzem, Nahrungsmittelallergien sowie zu dem Sammelbegriff „sonstige Allergien“. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S100–S105 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Beitrag: 369.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S101 Häufigkeit allergischer Krankheiten in Ost- und Westdeutschland Der Heuschnupfen gehört zu den klassischen ImmunglobulinE-(IgE)-vermittelten Typ-I-Sofortreaktionen [Haynes et al. 1989]. Hervorgerufen wird diese allergische Reaktion in der Regel durch eine Exposition mit Inhalationsallergenen wie Baum-, Gräser- und Kräuterpollen, Tierepithelien, Schimmelpilzen oder Ausscheidungen von Hausstaubmilben. Beim Asthma bronchiale handelt es sich, ätiologisch betrachtet, um eine heterogene Erkrankung. Allen Krankheitsformen liegt eine unspezifische erhöhte Reizbarkeit des Tracheobronchialbaumes zugrunde, die anfallsweise auftretenden Bronchospasmen können jedoch durch eine Vielzahl von Stimuli ausgelöst werden. Neben dem allergisch bedingten Asthma sind beispielsweise durch pharmakologische, infektiöse, anstrengungsinduzierte und emotionelle Einflüsse verursachte Anfälle von Atemwegsobstruktionen bekannt [McFadden 1989]. Eine klare Einteilung in die verschiedenen Asthmaformen ist in der Praxis oft nicht möglich, da die Bronchialreaktion bei vielen Patienten durch mehr als eine Gruppe von Reizen ausgelöst werden kann. Die atopische Dermatitis ist eine Entzündung der Epidermis und Dermis, die immer mit einem starken Juckreiz einhergeht. Der Juckreiz kann u.a. durch Wolle, Staub, Waschmittel, Seifen, Änderungen der Zimmertemperatur und körperlichen oder seelischen Streß ausgelöst werden [Fitzpatrick et al. 1993]. Die Rolle des Immunglobulins E bei der Entstehung einer atopischen Dermatitis ist bisher nicht eindeutig geklärt, nur bei einem Teil der Patienten ist eine zugrundeliegende Allergie nachweisbar. Die Urtikaria oder Nesselsucht besteht aus flüchtigen, meist stark juckenden papulösen Quaddeln, die durch unterschiedliche Faktoren hervorgerufen werden können. Bekannt sind IgE-vermittelte Formen sowie Manifestationen, die z.B. durch physikalische Reize wie Kälte, Wärme, Sonnenlicht oder Druck ausgelöst werden. In vielen Fällen ist es jedoch nicht möglich, die Ursache der Urtikaria zu klären. Beim Kontaktekzem, auch Kontaktdermatitis genannt, liegt eine exogene Entzündung der Haut vor, die mit Jucken und Brennen einhergeht. Dem klinischen Syndrom liegen unterschiedliche Auslösemechanismen zugrunde. Es kann sich beispielsweise um eine toxisch-irritative Kontaktdermatitis oder eine allergische Reaktion handeln. Das allergische Kontaktekzem ist eine durch Sensibilisierung auf z.B. chemische Stoffe hervorgerufene Abwehrreaktion der Haut. Pathophysiologisch betrachtet, handelt es sich um ein klassisches Beispiel einer Typ-IV-Reaktion, einer Überempfindlichkeitsreaktion vom verzögerten Typ [Fitzpatrick et al. 1993]. Mit dem Begriff Nahrungsmittelallergien werden in der Bevölkerung häufig sehr unterschiedliche Beschwerdebilder bezeichnet, die vermeintlich oder tatsächlich mit dem Verzehr von Lebensmitteln im Zusammenhang stehen. In vielen Fällen stellen diese Beschwerden jedoch keine Allergie im eigentlichen Sinn dar, da es sich nicht um immunologische Reaktionen handelt. So fallen, medizinisch betrachtet, Unverträglichkeiten (z.B. Fett), Intoleranzen (z.B. Laktosemangel), Intoxikationen (z.B. Pilzgifte, Staphylokokkus-Toxine), pseudoallergische Reaktionen (z.B. Nahrungsmitteladditiva) oder pharmakologische Nahrungsmittelreaktionen (z.B. Koffein, Histamin) nicht unter die Bezeichnung einer Nahrungsmittelallergie [Helbing 1994]. Bei den immunologisch bedingten Reaktionen handelt es sich in der Regel um IgE-vermittelte Typ-I-Reaktionen. Andere immunologische Auslösemechanismen, z.B. Reaktionen vom Typ III, welche mit Immunkomplexen aus präzipitierenden IgG-Antikörpern und Antigenen einhergehen, oder zelluläre Immunantworten vom Typ IV gelten als noch nicht eindeutig bewie- sen [Wüthrich 1995]. Das klinische Erscheinungsbild einer Nahrungsmittelallergie ist vielfältig, es reicht von urtikariellen Reaktionen, morbilliformen Erythemen, NeurodermitisSchüben bis zu respiratorischen, gastrointestinalen oder kardialen Symptomen. Sehr häufig leiden die Patienten auch unter dem sogenannten „oral allergy syndrome“ [Helbing 1994, Pearl 1997], bei dem es sich um ein oropharyngeales Beschwerdebild mit lokalem Juckreiz, Paraesthesien und/oder Schwellungen von den Lippen bis zum Larynx handelt. Material und Methode Im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 wurde die Morbidität mit Hilfe eines Selbstausfüllfragebogens und zusätzlich durch ein ärztliches Interview erfaßt [Bellach et al. 1998]. Die nachfolgend dargestellten Datenanalysen basieren auf den Ergebnissen der ärztlichen Befragung. Erhoben wurde hierbei u.a., ob ein Arzt jemals Asthma bronchiale, Heuschnupfen, allergisches Kontaktekzem, Neurodermitis, Nahrungsmittelallergie, allergische Hautquaddeln (Urtikaria) oder sonstige Allergien festgestellt hat. An den ärztlichen Interviews nahmen insgesamt 7099 Probanden im Alter von 18 bis 79 Jahren teil. Bei den Auswertungen wurde die Einteilung in West- und Ostdeutschland berücktsichtigt sowie die Gliederungsmerkmale Geschlecht, Alter und soziale Schichtzugehörigkeit. In die multivariaten Analysen wurde zusätzlich die Wohnortgröße als potentieller Einflußfaktor aufgenommen. Basierend auf der Einwohnerzahl, sind drei Kategorien der Wohnortgröße gebildet worden: 1=weniger als 20 000 Einwohner, 2=20 000 bis unter 100 000 und 3=100 000 oder mehr Einwohner. Um weitgehend repräsentative Ergebnisse für die erwachsene Wohnbevölkerung zu erhalten, wurde bei allen Prävalenzberechnungen ein Gewichtungsfaktor verwendet. Durch diesen Gewichtungsfaktor wird die realisierte Nettostichprobe an die entsprechende Sollverteilung bezüglich Alter, Geschlecht, Bundesland und Gemeindegrößenklasse angepaßt [Thefeld et al. 1999]. Die Datenanalysen wurden mit der Statistik-Software SAS Version 6.12 durchgeführt. Ergebnisse Prävalenz von Heuschnupfen, Asthma bronchiale, Neurodermitis, Urtikaria, Lebensmittelallergie, allergischem Kontaktekzem und sonstigen Allergien nach Region und Geschlecht Nach den Auswertungen des Bundes-Gesundheitssurveys gehört Heuschnupfen erwartungsgemäß zu den häufigsten allergischen Erkrankungen des Erwachsenenalters. Die Prävalenz beträgt insgesamt 15%. Abgesehen von dem Sammelbegriff „sonstige Allergien“ weist der Heuschnupfen mit ca. 6 Prozentpunkten die größte Ost-West-Differenz auf, in Westdeutschland liegt die Häufigkeit bei rund 17% und in Ostdeutschland bei 11% (Tab. 1). Männer in beiden Teilen des Landes erkranken etwas seltener an Heuschnupfen als Frauen. Die Frage, ob ein Arzt jemals Asthma bronchiale festgestellt hat, wurde von knapp 6% aller interviewten Personen positiv beantwortet. Eine statistisch signifikante Differenz zwischen West- und Ostdeutschland wurde hier ebenfalls berechnet, der Unterschied beträgt jedoch nur 2 Prozentpunkte (West 6% – Ost 4%). Frauen nannten Asthma etwas häufiger als Männer. Die Prävalenz beträgt bei Männern 5% und bei Beitrag: 369.fm Ausdruck vom 25.5.00 S102 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 E. Hermann-Kunz Tab. 1 Prävalenz allergischer Erkrankungen in Ost- und Westdeutschland (in Prozent) Deutschland gesamt West Ost Heuschnupfen 15,4 16,6 10,7 *** 14,4 16,3 * 15,5 10,1 *** 17,5 11,3 *** allerg. Kontaktekzem 14,8 15,7 11,4 *** 7,9 21,4 *** 8,6 5,2 ** 22,4 17,2 ** Urtikaria 7,8 8,4 5,2 *** 4,8 10,6 *** 5,3 2,7 ** 11,4 7,5 ** Nahrungsmittelallergie 5,6 6,3 3,3 *** 3,6 7,6 *** 4,0 2,1 * 8,4 4,4 *** Asthma 5,6 6,1 3,7 *** 5,0 6,2 * 5,4 3,5 * 6,8 3,9 ** Neurodermitis 3,4 3,6 2,6 ns 2,7 4,2 *** 2,5 3,2 ns 4,7 2,1 ** 15,1 16,6 8,9 *** 11,9 18,1 *** 13,3 6,3 *** 19,7 11,4 *** sonstige Allergien gesamt Männer Frauen Männer West Ost Frauen West Ost ***=p≤ 0,001; **=p≤0,01; *=p≤0,05; ns=p>0,05 (Chi²-Test) Frauen 6%. An Neurodermitis leiden ca. 3% der Befragten. Frauen haben eine etwas höhere Morbidität als Männer. Signifikante Ost-West-Unterschiede sind nur bei den weiblichen Studienteilnehmern nachzuweisen. Probandinnen aus dem Westen haben eine Prävalenz von ca. 5% und Teilnehmerinnen aus dem Osten von 2%. Eine Urtikaria manifestiert sich bei rund 8% der erwachsenen Bundesbürger. Deutliche Unterschiede zwischen West und Ost (8% vs. 5%) und zwischen Frauen und Männern (Frauen 11% – Männer 5%) lassen sich auch hier aufzeigen. Fast 6% der Studienteilnehmer berichteten, daß ein Arzt bei ihnen schon jemals eine Nahrungsmittelallergie diagnostiziert hat. Wie bei den anderen Allergieformen ist die Prävalenz im Westen höher als im Osten, und Frauen aus beiden Teilen des Landes sind häufiger betroffen als Männer (Westdeutschland: Frauen ca. 8% – Männer 4%; Ostdeutschland: Frauen ca. 4% – Männer 2%). Allergische Kontaktekzeme und sonstige Allergien wurden insgesamt mit einer Häufigkeit genannt, die den Erkrankungszahlen bei Heuschnupfen entspricht (ca. 15%). Im Westen gaben rund 16% und im Osten 11% der Bevölkerung ein ärztlich diagnostiziertes allergisches Kontaktekzem an. Die Erkrankungsrate ist bei Frauen fast dreimal so hoch wie bei Männern (Männer ca. 8%, Frauen 21%). Statistisch signifikante Ost-West-Unterschiede sind auch bei den „sonstigen Allergien“ festzustellen. Westdeutsche haben, verglichen mit ostdeutschen Studienteilnehmern, die „sonstigen Allergien“ fast doppelt so häufig angegeben (West: 17%, Ost: 9%). Die Prävalenz dieser Kategorie ist bei Frauen ebenfalls höher als bei Männern (18 vs. 12%). Prävalenz von mindestens einer allergischen Krankheit nach Region, Geschlecht und Alter Die Zusammenfassung und gemeinsame Auswertung aller erfragten Allergien ergibt eine Lebenszeitprävalenz von 40%, d.h., bei jedem 2. bis 3. Bundesbürger hat ein Arzt schon jemals eine allergische Krankheit diagnostiziert (Abb. 1). Auch 60% 55% 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% Deutschland Gesamt West 40,1% Ost 47,3% 50,2% 42,8% 29,4% 32,5% 35,8% 35% 22,7% Männer und Frauen Männer Frauen Abb. 1 Prävalenz mindestens einer allergischen Krankheit. die Prävalenz von zwei oder mehr Allergien ist mit 17% noch erstaunlich hoch. Wie nach den Auswertungsergebnissen der einzelnen allergisch bedingten Krankheiten zu erwarten war, ist die Prävalenz mindestens einer Allergie in Ostdeutschland niedriger als in Westdeutschland. Im Westen haben 43% und im Osten 29% der Probanden eine ärztlich bestätigte Allergie angegeben. Ebenfalls übereinstimmend mit den Auswertungsergebnissen der einzelnen Allergieformen zeigt eine nach Geschlecht differenzierte Betrachtung, daß die Morbiditätsrate bei Frauen deutlich höher ist als bei Männern. Insgesamt hatten 47% der weiblichen und rund 33% der männlichen Studienteilnehmer schon jemals eine allergische Erkrankung (Abb. 1). Die OstWest-Differenz beträgt bei Frauen 14 und bei Männern 12 Prozentpunkte. Die höchste Prävalenz ist bei 20- bis 29- und 30- bis 39jährigen zu verzeichnen (Tab. 2). Auffallend häufig sind 30 bis 39 Jahre alte westdeutsche Frauen betroffen. Die Lebens- Tab. 2 Prävalenz mindestens einer Allergie nach Alter und Geschlecht (in Prozent) Alter in Jahren Deutschland gesamt West Ost Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 43,9 48,1 47,7 40,0 38,4 32,7 24,6 45,1 50,9 50,9 43,2 40,9 34,7 26,9 40,7 37,0 34,1 27,8 28,4 24,9 14,2 38,3 43,0 37,8 30,2 27,1 27,0 20,3 38,8 46,6 40,6 33,7 28,9 28,6 21,4 37,1 29,3 26,3 17,1 19,8 20,4 15,0 49,9 53,5 57,9 50,0 49,4 37,9 27,0 51,7 55,3 61,7 52,9 52,7 40,3 30,0 44,7 45,7 42,3 38,8 36,6 28,8 13,8 Beitrag: 369.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S103 Häufigkeit allergischer Krankheiten in Ost- und Westdeutschland Tab. 3 Alter bei der Erstmanifestation allergischer Erkrankungen Heuschnupfen allerg. Kontaktekzem Urtikaria Nahrungsmittelallergie Asthma Neurodermitis Männer West Männer Ost Mittelwert 90. Median Perz. Mittelwert 23 32 30 27 19 31 29 24 42 53 51 48 28 22 28 18 56 48 Frauen West Median 90. Perz. Mittelwert 22 30 35 23 17 25 35 21 48 60 60 45 27 20 22 15 57 42 Frauen Ost Median 90. Perz. Mittelwert Median 90. Perz. 27 28 31 30 25 24 29 28 50 52 56 54 27 29 32 30 26 27 30 30 42 53 52 54 28 21 27 19 55 44 32 12 30 10 55 33 zeitprävalenz beträgt in dieser Gruppe 62%. Mit zunehmendem Alter sinkt in beiden Teilen des Landes die Krankheitshäufigkeit. Die niedrigsten Erkrankungsraten sind bei weiblichen und männlichen Probanden im Alter von 70 bis 79 Jahren zu finden. Das Morbiditätsniveau ist jedoch auch in dieser Altersgruppe noch bemerkenswert hoch, es liegt im Westen bei 21 und 30%, im Osten bei 15 und 14% (Männer – Frauen). bei Nahrungsmittelallergien und bei der Urtikaria mit steigendem sozialen Status auch höhere Erkrankungszahlen festgestellt. Die Prävalenz der „sonstigen Allergien“ steigt nur bei westdeutschen Studienteilnehmern mit der sozialen Schichtzugehörigkeit deutlich an. In Ostdeutschland sind die Krankheitszahlen zwar bei Angehörigen der unteren sozialen Schicht am niedrigsten, zwischen der Mittel- und Oberschicht ist dagegen kein Unterschied nachweisbar. Erstmalig aufgetreten sind die erfragten allergischen Krankheiten bei 50% aller Betroffenen bis zum 30. Lebensjahr (Tab. 3). Nur die Neurodermitis und bei Männern auch der Heuschnupfen weisen einen Medianwert unter 20 Jahren bei der Erstmanifestation auf. Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, daß Personen aus der unteren sozialen Schicht eher in ländlichen Regionen wohnen, die Oberschicht dagegen in Großstädten häufiger vertreten ist [Thefeld et al. 1996]. Auch die Daten des BundesGesundheitssurveys 1998 lassen einen Zusammenhang zwischen Wohnortgröße und sozialer Schichtzugehörigkeit vermuten. In Ostdeutschland leben 59% aller Studienteilnehmer aus der unteren sozialen Schicht in Gemeinden/Städten mit weniger als 20 000 Einwohnern, in Großstädten mit mindestens 100 000 Einwohnern sind es nur 25%. In Westdeutschland ist der Unterschied zwar etwas geringer, aber dennoch sehr deutlich: In eher ländlichen Regionen leben 41% und in Großstädten 29% der Probanden aus der unteren sozialen Schicht. Aufgrund der Zusammenhänge zwischen Wohnortgröße und sozialem Status kann nicht ausgeschlossen werden, daß Prävalenzunterschiede, die mit der sozialen Schichtzugehörigkeit einhergehen, möglicherweise auch durch Faktoren, die mit der Gemeindegröße zusammenhängen, verursacht werden. In einem multiplen logistischen Regressionsmodell wurde deshalb der Einfluß beider Variablen bei gleichzeitiger Adjustierung auf Alter, Geschlecht und Region (Ost- und Westdeutschland) untersucht. Prävalenz nach sozialer Schichtzugehörigkeit Aus der Literatur ist bei verschiedenen Krankheiten des allergischen Formenkreises bekannt, daß die Prävalenz mit zunehmendem sozialen Status ansteigt. Die Auswertungen des Bundes-Gesundheitssurveys ergeben je nach Allergieform ein unterschiedliches Bild. Bei allergischer Rhinokonjunktivitis ist nach den deskriptiven Datenanalysen ein deutlicher Zusammenhang zwischen sozialer Schichtzugehörigkeit und Krankheitshäufigkeit anzunehmen. Mit zunehmendem sozioökonomischen Status steigt die Morbidität von 11% in der Unterschicht auf 16 und 19% in der mittleren und oberen Schicht. Wie Tab. 4 zeigt, läßt sich bei Asthma bronchiale keine entsprechende Tendenz aufzeigen. Auch bei der Neurodermitis und dem allergischen Kontaktekzem ist ein klarer Gradient zwischen den sozialen Schichten nicht zu erkennen. Westdeutsche Probanden aus der unteren sozialen Schicht haben zwar bei beiden Krankheiten eine niedrigere Prävalenz als Teilnehmer mit einem höheren sozialen Status, zwischen der mittleren und oberen Schicht ist jedoch kein Unterschied erkennbar. In Ostdeutschland ist bei Neurodermitis und beim allergischen Kontaktekzem die Prävalenz in der mittleren sozialen Schicht am höchsten. Im Westen und im Osten werden Tab. 5 zeigt, daß das Erkrankungsrisiko bei allen erfragten Allergieformen mit Ausnahme von Asthma bronchiale mit zunehmendem sozialen Status ansteigt (die Kodierung der Variablen „soziale Schichtzugehörigkeit“ lautet: 1=Unterschicht, 2=Mittelschicht, 3=Oberschicht). Die Risikoerhöhung ist beim Kontaktekzem mit 13% am niedrigsten, bei den anderen Tab. 4 Prävalenz allergischer Krankheiten nach sozialer Schichtzugehörigkeit (in Prozent) Heuschnupfen Asthma bronchiale Neurodermitis allerg. Kontaktekzem Nahrungsmittelallergie Urtikaria sonst. Allergien Deutschland gesamt untere mittlere obere Westdeutschland untere mittlere obere Ostdeutschland untere mittlere obere 11,1 6,0 2,3 13,2 4,4 4,8 12,3 12,2 6,2 2,4 14,0 4,8 5,3 14,3 20,8 6,9 4,1 15,6 8,6 10,0 19,1 7,3 5,0 1,7 10,6 2,9 3,1 5,1 12,3 3,0 1,0 10,8 3,5 7,3 10,5 16,2 5,5 4,0 16,0 5,5 8,6 15,9 19,3 6,2 3,5 14,8 7,7 9,6 17,6 17,2 6,0 4,1 17,0 6,1 9,3 17,4 Beitrag: 369.fm Ausdruck vom 25.5.00 12,2 3,5 3,6 12,1 3,2 5,6 10,4 S104 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 E. Hermann-Kunz Tab. 5 Einfluß der sozialen Schichtzugehörigkeit und der Wohnortgröße auf das Risiko einer allergischen Erkrankung* Heuschnupfen Asthma bronchiale Neurodermitis allerg. Kontaktekzem Nahrungsmittelallergie Urtikaria sonst. Allergien Soziale Schicht Odds Ratio 95%-Konfidenzintervall Wohnortgröße Odds Ratio 95%-Konfidenzintervall 1,37 0,97 1,29 1,13 1,33 1,44 1,26 1,24–1,52 0,83–1,14 1,05–1,58 1,02–1,26 1,13–1,57 1,26–1,66 1,14–1,40 1,14 1,09 1,07 1,11 1,25 1,19 1,17 1,05–1,24 0,96–1,23 0,91–1,25 1,02–1,20 1,10–1,42 1,07–1,34 1,08–1,27 * Multiple logistische Regression, adjustiert auf Alter, Geschlecht und Region (Ost-/Westdeutschland) Allergien wurden relative Risiken (approximiert durch die Odds Ratios) von 1,26 bis 1,44 berechnet. Auch der vermutete Einfluß der Wohnortgröße konnte – außer bei Asthma bronchiale und Neurodermitis – bestätigt werden. Die relativen Risiken, die für die Wohnortgröße berechnet wurden, sind im Vergleich zu den Risiken, die mit der sozialen Schicht zusammenhängen, jedoch geringer. Diskussion Alle in der ärztlichen Befragung erfaßten Krankheiten des allergischen Formenkreises treten in Westdeutschland häufiger auf als in Ostdeutschland, und die Erkrankungsrate ist bei Frauen aus beiden Teilen des Landes signifikant höher als bei Männern. Jede zweite westdeutsche und jede dritte ostdeutsche Frau hat eine ärztlich bestätigte Allergie angegeben. Männer sind zwar im Vergleich zu Frauen deutlich seltener betroffen, das Morbiditätsniveau ist aber dennoch mit 35 und 23% (West – Ost) extrem hoch. Ob sich eine allmähliche Angleichung der Prävalenz zwischen Ost- und Westdeutschland abzeichnet, kann auf der Basis dieser Querschnittszahlen nicht beantwortet werden. Die große Differenz zwischen Ost und West bei den meisten allergischen Krankheiten scheint dagegen zu sprechen. Eine altersdifferenzierte Betrachtung der Erkrankungsraten zeigt allerdings bei den weiblichen Studienteilnehmern bis zum 30. Lebensjahr wesentlich geringere Ost-West-Unterschiede als bei älteren Probandinnen. So beträgt die Ost-West-Differenz z.B. bei 20- bis 29jährigen knapp 10 dagegen bei 30- bis 39jährigen 19 Prozentpunkte. Ob dieses altersspezifische Prävalenzmuster ein Indiz für eine Angleichung darstellt, kann erst durch Folgeuntersuchungen valide beurteilt werden, insbesondere da sich bei männlichen Studienteilnehmern eine eher umgekehrte Altersverteilung ergibt. Die Ost-West-Differenz ist bei jüngeren Männern bis zum 50. Lebensjahr deutlich größer als bei älteren. Da die Häufigkeitsangaben auf Befragungen der Studienteilnehmer beruhen, kann nicht ausgeschlossen werden, daß unterschiedliche subjektive Einschätzungen und Bewertungen einen Einfluß auf das Antwortverhalten hatten. Dabei muß es sich nicht um „falsche“ Antworten handeln, sondern eine stärkere Beachtung von möglicherweise allergischen Beschwerden kann zu einer höheren ärztlichen Inanspruchnahme führen und damit die Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Diagnosestellung erhöhen. Ein Teil der OstWest-Unterschiede und ebenso der Unterschiede zwischen Frauen und Männern könnte somit darauf zurückzuführen sein, daß in den Gruppen mit höheren Erkrankungsraten ein größeres „Allergiebewusstsein“ oder eine stärkere Beachtung allergischer Beschwerden vorherrscht. Ob die berechneten Morbiditätsraten eine Überschätzung der wahren Prävalenz – hervorgerufen durch das Antwortverhalten „allergiebewußter“ Probanden – oder eine Unterschätzung – z.B. verursacht durch das Ignorieren allergischer Symptome bei weniger „allergiebewußten“ Studienteilnehmern – darstellt, kann auf der Grundlage der beschriebenen Daten nicht beantwortet werden. Eine Objektivierung der Befragungsdaten läßt sich bei einigen Allergieformen durch die Auswertung der Immunglobulin-E-Werte erreichen, was für die nächsten Phasen der Datenanalysen geplant ist. Aber selbst bei Heranziehen der niedrigsten Prävalenzzahlen, beispielsweise der Morbiditätsraten bei Männern (Tab. 2), ist es gerechtfertigt, Allergien zu den „Volkskrankheiten“ zu zählen, denen in beiden Teilen Deutschlands eine große gesundheitspolitische Bedeutung zukommt. Literatur 1 Bellach BM, Thefeld W, Dortschy R (1995). Disposition für Inhalationsallergien. In: Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Heft 7: 78–87 2 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: 59– 68 3 Fitzpatrick TB, Johnson RA, Polano KM, Suurmond D, Wolff K (1993) Synopsis und Atlas der klinischen Dermatologie. Nürnberg: McGraw-Hill Medizin 16–22 4 Haynes BF, Fauci AS (1989). Einführung in die klassische Immunologie. In: Harrison, Prinzipien der Inneren Medizin. Bd. 1. Basel: Schwabe & Co 392–402 5 Heinrich J, Nowak D, Beck E et al. (1995). Die Verbreitung von Asthma und Atemwegssymptomen bei Erwachsenen in Erfurt und Hamburg; Erste Ergebnisse der deutschen Zentren des EC Respiratory Health Survey. Informatik, Biometrie und Epidemiologie in Medizin und Biologie 26: 297–307 6 Helbling A (1994). Nahrungsmittelallergie. Therapeutische Umschau 51: 31–7 7 McFadden ER (1989). Asthma. In: Harrison, Prinzipien der Inneren Medizin. Bd. 1. Basel: Schwabe & Co 1254–60 8 Nicolai T, Bellach BM, von Mutius E, Thefeld W, Hoffmeister H (1997). Increased prevalence of sensitization against aeroallergens in adults in West compared with East Germany. Clinical and Experimental Allergy 27: 886–92 9 Pearl ER (1997). Food Allergy. Lippincott's Primary Care Practice 1: 154–67 10 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999). Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer und Non-Responder-Analyse. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S57–S61 Beitrag: 369.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S105 Häufigkeit allergischer Krankheiten in Ost- und Westdeutschland 11 Thefeld W, Bergmann K, Hermann-Kunz E et al. (1996). Wohnortgröße und Gesundheit: Stadt-/Landunterschiede. In: B-M Bellach [Hrsg.]. Die Gesundheit der Deutschen. Bd. 2. RKI-Heft 15: 1–15 12 Von Mutius E, Weiland SK, Fritzsch C, Duhme H, Keil U (1998). Increasing prevalence of hay fever and atopy among children in Leipzig, East Germany. Lancet 351: 862–866 13 Von Mutius E, Fritzsch C, Weiland SK, Röll G, Magnussen H (1992). Prevalence of asthma and allergic disorders among children in united Germany: a descriptive comparison. BMJ 305: 1395–1399 14 Wiesner G, Todzy-Wolf (1995a). Allergische Krankheiten. In: Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Heft 7: 88–100 15 Wiesner G, Todzy-Wolf (1995b). Asthma bronchiale. In: Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Heft 7: 57–70 16 Wiesner G, Todzy-Wolf (1995c). Heuschnupfen. In: Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Heft 7: 71–77 17 Wüthrich B (1995). Zur Nahrungsmittelallergie. Hautarzt 46: 73–75 Edelgard Hermann-Kunz Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin Beitrag: 369.fm Ausdruck vom 25.5.00 S106 MORBIDITÄT und Erkrankungen bei ›› Impfstatus Fernreisenden D. Altmann, T. Breuer, G. Rasch Robert Koch-Institut, Berlin Zusammenfassung: Jährlich begeben sich mehrere Millionen Bundesbürger auf Reisen ins außereuropäische Ausland. Wie sich die Bundesbürger unter reisemedizinischen Gesichtspunkten auf solche Fernreisen vorbereiten bzw. auf solchen Reisen erkranken, ist wenig erforscht. Von den im Bundes-Gesundheitssurvey befragten Personen unternahmen innerhalb der letzten drei Jahre 11% Fernreisen nach Afrika, Asien, Südoder Mittelamerika. Der Anteil der Fernreisenden bei den 20bis 59jährigen war höher als in den anderen Altersklassen, Männer reisten häufiger als Frauen. Die Fernreisenden besaßen einen besseren Impfschutz gegen Tetanus und Poliomyelitis als Personen, die keine Fernreisen unternommen hatten. Bei Reisen in Endemiegebiete für Malaria bzw. Gelbfieber waren ca. 30% der Fernreisenden durch Prophylaxe bzw. Impfung geschützt. Allgemeine gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit einer Fernreise wurden von 28% der Befragten angegeben, wobei es sich zum ganz überwiegenden Anteil um leichte Diarrhöen handelte. Problemstellung Schlüsselwörter: Fernreisen – Impfschutz – Prophylaxe Die Fragen sind angelehnt an eine 1996 vom Robert-Koch-Institut in Zusammenarbeit mit mehreren Fluggesellschaften durchgeführten Befragung von Fernreisenden [Tiemann, Grote, Grote 1998]. Vaccination Status and Diseases in Overseas Travellers: Millions of German citizens travel outside Europe every year. How they prepare themselves for these travels from a medical viewpoint, or whether they fall ill during these travels is inadequately researched. The German National Health Interview and Examination Survey showed that 11% of the people questioned travelled to Africa, Asia, South or Central America within the last three years. The highest proportion of these travellers was in the 20–59 year age group. Men travelled more frequently than women. The travellers also had better vaccination coverage against tetanus and polio compared to those who had not travelled. 30% of the travellers to endemic areas for malaria had received malaria prophylaxis and 30% who travelled to endemic areas for yellow fever were protected by vaccination. 28% of those questioned said they experienced general health problems related to their travel, mostly due to mild diarrhea. Key words: Travel Associated Diseases – Vaccination Coverage – Prophylaxis Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S106–S109 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Fernreisen in Länder mit endemisch auftretenden Infektionskrankheiten sind mit einem nicht zu verachtenden Gesundheitsrisiko behaftet. Bei kontinuierlichem Anstieg in den letzten Jahren ist derzeit für die Bundesrepublik jährlich von über 4 Millionen interkontinentalen Reisen (ohne Nordamerika) auszugehen. Erstmalig sind bei der Untersuchung einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe in Deutschland auch Fragen zu Fernreisen gestellt worden. Die Fragen deckten drei Fragenkomplexe ab: demographische und reisetypische Hintergrundinformationen, den Impfstatus vor Antritt der Reise für ausgewählte Erkrankungen und Informationen zur durchgeführten Malariaprophylaxe sowie Fragen zu gesundheitlichen Problemen und Erkrankungen im Zusammenhang mit einem Auslandsaufenthalt. Material und Methoden Als „Fernreisende“ werden im folgenden Personen bezeichnet, die innerhalb der letzten drei Jahre mindestens eine Reise nach Asien (ohne Türkei), Afrika, Süd- oder Mittelamerika unternommen haben. Von der Gesamtstichprobe des BundesGesundheitssurveys (n=7124) waren das 750 Personen. Im weiteren werden Prozentangaben nach durchgeführter Gewichtung [Thefeld, Stolzenberg, Bellach 1999] angegeben. Bei den von Reisenden ergriffenen Vorsorgemaßnahmen wurde der Impfschutz gegen bestimmte Erkrankungen sowie die Malaria-Prophylaxe näher untersucht. Die WHO und die Ständige Impfkommission (STIKO) am RKI empfehlen für fast alle angegebenen Reiseländer aus diesen Regionen generell die Impfung gegen Tetanus, Diphtherie und Hepatitis A sowie Poliomyelitis für Asien und Afrika. Da es sich außer für Hepatitis A um allgemein empfohlene Grundimpfungen in Deutschland handelt, wurden diese Angaben zum Impfstatus für alle Fernreisenden untersucht. Bei Gelbfieber und Malaria ist die Situation anders, hier ist es nur sinnvoll, für bestimmte Gebiete Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Gelbfieber-Impfung und Malaria-Prophylaxe werden nur für einige Länder, oft nur für einige Landesteile und zu speziellen Jahreszeiten, empfohlen. Deshalb wurden hier in die Analyse auch nur Probanden einbezogen, die als Reiseziel ein Land angegeben haben, in dem Gelbfieber endemisch auftritt bzw. Probanden die Län- Beitrag: 353.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S107 Impfstatus und Erkrankungen bei Fernreisenden der bereist haben, für die von der WHO (International travel and health, 1995) eine Chemoprophylaxe empfohlen wird. Im Bundes-Gesundheitssurvey wurden Informationen zu Impfungen an zwei Stellen erfragt, zum einen in einem speziellen Teil, der nur von den Fernreisenden auszufüllen war, zum anderen sind im Erhebungsbogen für die ärztliche Befragung alle Probanden zu Impfungen in den letzten 10 Jahren befragt worden. Für die Analyse wurden die beiden Informationen zur Impfung (Tetanus, Polio, Gelbfieber) zusammengefaßt. Personen mit sich widersprechenden Angaben wurden in der Analyse ausgeschlossen (Tetanus: 22%, Polio: 20%, Gelbfieber: 8%). Für die Einschätzung des Impfschutzes gegen Hepatitis A konnte nur die Beantwortung im Fernreisebogen benutzt werden, da im ärztlichen Befragungsbogen nicht zwischen Hepatitis A und B unterschieden wurde. bzw. Süd- und Mittelamerika reisten, ist im Westen höher als im Osten, während der Anteil der Personen, die nach Afrika reisten, im Osten wesentlich höher ist als im Westen (Tab. 1). Der große Unterschied bei den Afrikareisen ist aber vor allem durch die hohe Reisefrequenz der Ostdeutschen in das Reiseland Tunesien erklärt. 55% der Afrikareisenden aus Ostdeutschland besuchten Tunesien, während der Anteil aus den alten Bundesländern nur 28% betrug. Für den Vergleich zweier relativer Häufigkeiten wurde die Testgröße Z [Sachs 1992, S. 440 ff.] mit den gewichteten Anteilswerten und den ungewichteten Fallzahlen verwendet. Ergebnisse Insgesamt führten 11% der Befragten eine Fernreise im Sinne der oben aufgeführten Definition durch. Bezüglich der Altersund Geschlechtsverteilung unterschieden sich die Fernreisenden von den Nichtreisenden. Männer reisten häufiger als Frauen; während bei den Männern der Anteil der Fernreisenden 12% betrug, lag dieser Anteil bei den Frauen bei 9%. In der Abb. 1 sind die Anteile der Fernreisenden in den einzelnen Altersklassen dargestellt, am höchsten sind diese Anteile bei Personen im Alter zwischen 20 und 59 Jahren. Unterschiede zwischen Ost und West konnten hier nicht festgestellt werden. Abb. 2 Reiseziele der Fernreisenden. Tab. 1 Reiseziele im West/Ost-Vergleich (Angaben in %) Gesamt West Ost Afrika Süd- und Mittelamerika Asien 36,3 30,6 63,2 31,9 33,8 22,8 31,9 35,6 14,0 Bei den Fernreisenden sind Individualreisende (ohne vorherige Buchung der Unterkünfte) wesentlich seltener als Pauschalreisende, die 75% ausmachten. Der Anteil der Pauschalreisenden war bei den nach Afrika Reisenden mit 87% am höchsten, gefolgt von den Reisenden nach Süd- und Mittelamerika (73%) und nach Asien (63%). Eine interessante Fragestellung ist die nach den ergriffenen Vorsorgemaßnahmen, wie ein bestehender Impfschutz und eine durchgeführte Malaria-Prophylaxe. Tetanus Insgesamt waren die Fernreisenden mit einem Impfanteil von 76% aktuell besser gegen Tetanus geschützt als die NichtFernreisenden mit 59% (p<0,001). Den entsprechenden Vergleich nach Altersgruppen zeigt die Abb. 3. Abb. 1 Anteil der Fernreisenden in der Altersklasse. Die meisten Fernreisenden waren in den letzten drei Jahren nur einmal verreist (57%), 21% zweimal, 14% dreimal. Mehr als viermal waren nur 2% der Fernreisenden unterwegs. Für die Untersuchungen der Reiseziele wurde das im Fragebogen angegebene Land der letzten Fernreise verwendet. Bei den Fernreisenden waren die drei Regionen Afrika (36%), Südund Mittelamerika (32%) sowie Asien (32%) als Reiseziele annähernd gleichmäßig verteilt. Die am häufigsten bereisten Länder dieser Regionen sind in der Abb. 2 hervorgehoben. Bei den Reisezielen zeigten sich allerdings Unterschiede zwischen West und Ost. Der Anteil der Personen, die nach Asien Poliomyelitis Bei Poliomyelitis war dieser Unterschied noch deutlicher ausgeprägt. Die Fernreisenden hatten hier einen aktuellen Impfschutz von 51% gegenüber 27% bei den Nichtreisenden. Der Vergleich nach Altersklassen ist in Abb. 4 dargestellt. Für Diphtherie konnte der Vergleich hier nicht angestellt werden, da sich die Aussagen zum Impfschutz der Fernreisenden im Fernreisebogen und im ärztlichen Befragungsbogen in der Hälfte der Fälle widersprachen. Beitrag: 353.fm Ausdruck vom 25.5.00 S108 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 100% D. Altmann, T. Breuer, G. Rasch Anteil der Geimpften Fernreisende Nichtreisende 80% 60% 40% 20% 0% 18-19 20-29* 30-39*** 40-49 50-59*** Alter in Jahren 60-69*** 70-79 Abb. 3 Vergleich zwischen Fernreisenden und Nichtreisenden bezüglich ihrer Angaben zum Impfschutz gegen Tetanus nach Altersgruppen. Statistische Signifikanz: * p<0,05 ** p<0,01 *** p<0,001. Reiseassoziierte Erkrankungen Für die Gruppe der Fernreisenden in oben definiertem Sinne scheinen schwere reiseassoziierte Erkrankungen keine große Rolle zu spielen. Auf die Frage: „Hatten Sie im Zusammenhang mit einem Fernreiseaufenthalt gesundheitliche Probleme?“ antworteten 28% der Befragten mit „ja“. Eine Durchfallerkrankung gaben 21% an, drei Viertel davon waren nur leicht erkrankt. Spezifische Infektionserkrankungen wie Typhus, Paratyphus, Ruhr, Cholera und Geschlechtskrankheiten traten bei der Stichprobe überhaupt nicht auf, nur ein einziger Malariafall war angegeben. Diskussion Nach der hier vorliegenden repräsentativen Untersuchung haben 11% der Befragten in den letzten drei Jahren mindestens eine Fernreise nach Afrika, Asien, Süd- oder Mittelamerika durchgeführt. Auffällig war der höhere Anteil an fernreisenden Männern. Ob dieser Unterschied durch einen höheren Anteil an beruflich bedingten Reisen zu erklären ist, bleibt dahingestellt, da eine Differenzierung zwischen beruflich bedingten Reisen und Reisen aus anderen Gründen nicht erfragt wurde. Die hier vorliegende Untersuchung zeigt zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen Fernreisezielen der Bevölkerung aus Ost- bzw. Westdeutschland. In künftige Präventionsstrategien muß dieses Ergebnis mit einbezogen werden. Abb. 4 Vergleich zwischen Fernreisenden und Nichtreisenden bezüglich ihrer Angaben zum Impfschutz gegen Poliomyelitis nach Altersgruppen. Hepatitis A Es gaben 38,5% der Fernreisenden an, einen Impfschutz (aktive und passive Immunisierung nicht differenziert) gegen Hepatitis A zu besitzen, zwischen den verschiedenen Altersklassen sind keine Unterschiede erkennbar. Gelbfieber Der Impfschutz gegen Gelbfieber wurde nur für Probanden untersucht, die angaben, daß ihr letztes Reiseziel ein Endemiegebiet für Gelbfieber war (10% der Fernreisenden). Nur 31% (95% Konfidenzintervall: [20%, 41%]) dieser Probanden gaben an, gegen Gelbfieber geimpft zu sein. Malaria Da nur Informationen zum Reiseland vorliegen, nicht zu konkreten Landesteilen, die bereist wurden, und die Jahreszeit der Reise nicht erfragt wurde, konnte nur eine sehr grobe Einteilung des Risikos bzgl. Malaria vorgenommen werden. Länder, für die von der WHO (International travel and health, 1995) eine Chemoprophylaxe empfohlen wurde, haben wir als Risikogebiete betrachtet. Von den in ein Risikogebiet gereisten Personen haben 33% eine Malaria-Prophylaxe begonnen, 31% haben die Medikamente auch noch nach der Reise weiter eingenommen. Im Vergleich zu den Nichtreisenden ist ein deutlich höherer Anteil der Fernreisenden gegen Tetanus und Poliomyelitis geimpft. Dies zeigt, daß im Erwachsenenalter eine anstehende Fernreise ein wichtiger Anknüpfungspunkt ist, bestehende Impflücken auch für die zu Hause erforderlichen Basisimpfungen zu schließen. Im Vergleich zu Tetanus und Poliomyelitis besteht für Hepatitis A ein wesentlich geringerer Schutz bei Fernreisenden. Diese Impfung gehört allerdings nicht zu den allgemein empfohlenen Grundimpfungen. Ein bestehender Impfschutz gegen Gelbfieber bzw. eine Malariaprophylaxe wurde nur von ca. einem Drittel der Fernreisenden in entsprechende Endemiegebiete angegeben. Die geringe Zahl läßt sich u. U. darauf zurückführen, daß bei der Analyse nur ein landesweites Risiko verwendet werden konnte. Dennoch kann man daraus schließen, daß insgesamt ein zu geringer Teil der Reisenden in Endemiegebiete korrekt gegen Gelbfieber geimpft ist bzw. eine korrekte Malariaprophylaxe durchführt. Hierfür sprechen auch die jährlich über 1000 gemeldeten Malariafälle in Deutschland. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Durchführung einer Fernreise einen positiven Effekt auf die Durchimpfungsrate gegen Tetanus und Polio hat. Eine Malariaprophylaxe scheint nur von einem kleineren Teil der Fernreisenden in Endemiegebiete durchgeführt zu werden. Schwere reiseassoziierte Erkrankungen können auf Fernreisen erworben und auf diese Weise nach Deutschland eingeschleppt werden. Zahlenmäßig spielen diese Erkrankungen jedoch nur eine sehr untergeordnete Rolle, während leichte Verläufe reiseassoziierter Diarrhöen ganz im Vordergrund stehen. Beitrag: 353.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S109 Impfstatus und Erkrankungen bei Fernreisenden D. Altmann, T. Breuer Literatur 1 2 3 4 5 6 7 8 Bellach B (1996). Die Gesundheit der Deutschen. RKI-Heft 15/ 1996, Robert Koch-Institut Berlin Hammer K, Rothkopf-Ischebeck M, Meixner M (1997). Aktuelle Impfstatuserhebung für Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis bei Erwachsenen. InfFo I/97: 35–37 Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am RKI (1998). Epidemiologisches Bulletin 15/98, Robert Koch-Institut Nothdurft HD, Wachinger W (1999). Infektionsprophylaxe von Reisenden vor Fernreisen. Ergebnisse einer Umfrage von Reisenden am Münchener Flughafen. Immunologie & Impfen 1.99: 29– 31 Rothkopf-Ischebeck M (1995). Die Deutschen sind impfwillig: Repräsentative Bevölkerungsumfrage zum Impfverhalten Erwachsener. InfFo IV/95: 17–19 Sachs L (1992). Angewandte Statistik. 7. Auflage, Springer-Verlag Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM. Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer, Non-Responder-Analyse. Gesundheitswesen 61 (1999); Sonderheft 2: S57–S61 Tiemann F, Grote H, Grote S (1998). Impfschutz und Infektionsprophylaxe bei Fernreisenden. Eine schriftliche Befragung von Fernreisenden auf dem Rückflug aus ausgewählten Reisegebieten. InfFo II/98: 18–23 Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin WHO International travel and health (1995). Vaccination Requirements and Health Advice Beitrag: 353.fm Ausdruck vom 25.5.00 S110 MORBIDITÄT Prävalenz von Antikörpern ›› Die gegen Hepatitis-A-, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Viren in der deutschen Bevölkerung Zusammenfassung: Im Rahmen des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 wurde eine für die neuen und die alten Bundesländer repräsentative Stichprobe auf die Prävalenz von HepatitisA-, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Infektionen untersucht. Das Laborprogramm umfaßte die Bestimmung von Anti-HAV, Anti-HBc, Anti-HBs, HBsAg, Anti-HCV und Hepatitis-C-VirusRNA. Die Prävalenzrate für Anti-HAV betrug 46,5% mit einer eindeutigen Altersabhängigkeit. Für Hepatitis B wurde in den alten Bundesländern eine Durchseuchungsrate von 7,7%, in den neuen Bundesländern von 4,3% ermittelt. Das entspricht einer Gesamtprävalenzrate von 7,0%. Die HBsAg-Trägerrate betrug 0,6%. Für Antikörper des Hepatitis C-Virus wurde eine Prävalenz von 0,4% gefunden. Schlüsselwörter: Antikörper – Hepatitis A – Hepatitis B – Hepatitis C – Prävalenz – Seroepidemiologische Studie – Deutschland Prevalence of Antibodies Against Hepatitis A, B and C Viruses among the German Population: Representative random samples were tested for hepatitis A, hepatitis B and hepatitis C infections within the framework of the German National Health Interview and Examination Survey. The laboratory parameters included determination of anti-HAV, anti-HBc, anti-HBs, HbsAg, anti-HCV and hepatitis C virus RNA. The prevalence rate for anti-HAV was 46.5% with a definate age-dependence. The infection rates for hepatitis B of 7.7% in former West Germany and of 4.3% in former East Germany were obtained. This is equivalent to a total of 7% prevalence rate. The HbsAg carrier rate was 0.6%. Hepatitis C virus antibodies showed a prevalence rate of 0.4%. Key words: Anitbodies – Hepatitis A – Hepatitis B – Hepatitis C – Prevalence – Seroepidemiologic Study – Germany W. Thierfelder2, H. Meisel1, E. Schreier2, R. Dortschy2 1 2 Humboldt-Universität Berlin, Charité Robert Koch-Institut, Berlin mäß dem Bundesseuchengesetz die Hepatitiden z.Z. als Hepatitis A, Hepatitis B und „übrige, nicht bestimmbare Formen“ gemeldet. Die registrierten Meldedaten können lediglich Hinweise zur Krankheitsinzidenz und ihrer zeitlichen Entwicklung liefern. Aussagen zur Prävalenz der Hepatitiden auf der Basis von Meldedaten sind aber aus mehreren Gründen mit hohen Unsicherheiten behaftet. So muß davon ausgegangen werden, daß die Mehrzahl der asymptomatisch verlaufenden Fälle nicht erfaßt wird. Weiterhin werden nicht alle diagnostizierten Fälle von den Ärzten auch tatsächlich gemeldet. Grundvoraussetzung für eine Berechnung der Prävalenzen aus gemeldeten Fällen wären über Jahre konstante Inzidenzraten. So nahm jedoch bei der Hepatitis A die Inzidenzrate bis 1990 stetig ab, blieb bis 1995 nahezu konstant und ging seitdem weiter zurück. Bei der Hepatitis B gab es seit 1990 einen leichten Wiederanstieg, der sich 1997 nicht fortsetzte. Hepatitis C, bisher unter „übrige Formen der Hepatitis“ klassifiziert, wird inzwischen von 9 Bundesländern gesondert erfaßt. Hier liegt der Verdacht nahe, daß gezielte Untersuchungen bei Risikogruppen stattfanden, in denen bereits chronische Erkrankungen vermehrt registriert wurden [Epid. Bull. 1999]. Prävalenzraten sind unverzichtbar, weil sie auch Aussagen zur Populationsimmunität geben, mit deren Hilfe bei den impfpräventablen Erkrankungen, der Hepatitis A und der Hepatitis B, geeignete Strategien abgeleitet werden können. Mit weit größerer Sicherheit als durch Schätzungen aus Meldedaten sind Aussagen zur Gesamtprävalenz von Hepatitis A, Hepatitis B und Hepatitis C in der deutschen Bevölkerung durch Bestimmung von hepatitisspezifischen Meßgrößen in Proben, die aus einer repräsentativen Stichprobe stammen, zu gewinnen. Material und Methoden Problemstellung Virusbedingte Lebererkrankungen zählen weltweit zu den wichtigsten Infektionskrankheiten. Gesundheitspolitisch problematisch stellen sich insbesondere die Hepatitis B und die Hepatitis C wegen ihres hohen Anteils an chronischen Verlaufsformen und ihrem möglichen Übergang zum Leberzellkarzinom dar. In der Bundesrepublik Deutschland werden ge- Aus der Grundgesamtheit des Bundes-Gesundheitssurveys wurden 6748 Teilnehmer (2298 aus den neuen, 4450 aus den alten Bundesländern) auf serologische Marker der Hepatitis A, Hepatitis B und Hepatitis C untersucht. Die Untersuchten setzten sich aus 3275 Männern und 3473 Frauen zusammen. Von vornherein waren bei Planung der Bruttostichprobe Personen aus Kasernen, Altersheimen, Krankenhäusern, Heilund Pflegeanstalten sowie Justizvollzugsanstalten ausgeschlossen [Bellach 1998]. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S110–S114 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Beitrag: 354.fm Ausdruck vom 25.5.00 Die Prävalenz von Antikörpern gegen Hepatitis-A-, Hepatitis-B- und Hepatitis C-Viren Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S111 Hepatitis A Antikörper gegen das Hepatitis-A-Virus (Anti-HAV) wurden qualitativ mit dem HAVAB-Mikropartikel-Enzymimmunoassay auf dem AxSYM (Abbott) bestimmt. Der Test weist sowohl frühe (IgM) als auch späte (IgG) Antikörper nach. Proben mit einem S/CO (Probenwert/Grenzwert) von 0,000 bis 1,000 galten als reaktiv = positiv, Proben mit einem S/CO von 1,001 bis 3,000 galten als nicht reaktiv = negativ. Hepatitis B Jede Probe wurde zunächst auf Antikörper gegen das Hepatitis-B-Core-Antigen (Anti-HBc) und auf Antikörper gegen das Hepatitis-B-Oberflächenantigen (Anti-HBs) getestet. Anti-HBc wurde qualitativ mit dem CORE-Mikropartikel-Enzymimmunoassay auf dem AxSYM (Abbott) nachgewiesen. Proben mit S/CO-Werten von 0,000 bis 1,000 galten als reaktiv, mit S/ CO-Werten von 1,001 bis 3,000 als nicht reaktiv = negativ. Anti-HBs wurde quantitativ mit dem AUSAB-MikropartikelEnzymimmunoassay auf dem AxSYM (Abbott) bestimmt. Werte unterhalb 10 U/l wurden entsprechend den STIKOEmpfehlungen als negativ eingestuft. Bei der Ergebniskonstellation Anti-HBc-positiv und Anti-HBs-positiv galt die Person als Hepatitis-B-exponiert mit Immunität. Anti-HBc-positive, Anti-HBs-negative Proben wurden mit dem Mikropartikel-Enzymimmunoassay (Abbott) auf HBsAg untersucht. Werte mit einem S/N (Probenwert/Mittelwert des Index-Kalibrators) gleich oder größer 2,00 galten als reaktiv = positiv. Werte mit einem S/N<2,00 waren negativ. Probanden mit der Testkonstellation Anti-HBc-positiv, HBsAg-positiv wurden als Hepatitis-B-Träger klassifiziert. War eine Probe ausschließlich Anti-HBc-reaktiv, wurde der Test zweimal wiederholt. Bei negativen Testergebnissen in der Wiederholung galt die Probe als Anti-HBc-negativ. Waren beide Bestimmungen auch in der Wiederholung reaktiv, wurde mit dem Enzymimmunoassay eines anderen Herstellers (Sorin) ein weiterer Test zur Bestätigung durchgeführt. Nur wenn auch diese Untersuchung ein positives Testergebnis hatte, wurde der Proband als Hepatitis-B-exponiert eingestuft. Personen, die Anti-HBc-negativ, aber Anti-HBs-positiv (>10 IU/l) waren, wurden als mit hoher Wahrscheinlichkeit Hepatitis-B-Geimpfte klassifiziert. Hepatitis C Die Eingangstestung auf Antikörper gegen das Hepatitis-C-Virus erfolgte mit einem Mikropartikel-Enzymimmunoassay (Abbott) auf dem AxSYM. Bis zur Ablösung durch den HCV_3 (Test der 3. Generation) kam der HCV (Test der 2. Generation) zur Anwendung. Proben mit einem S/CO < 0,8 galten als nicht reaktiv = negativ und wurden nicht weiter getestet. Bei allen Seren mit einem S/CO≥0,8 wurden die Testungen mit dem HCV_3 wiederholt. War das Ergebnis dann „nicht reaktiv“ (S/CO < 0,8), wurde der HCV_3-Test wiederholt. Wurde dabei das negative Ergebnis reproduziert, galt die Probe als endgültig Anti-HCV-negativ und wurde nicht weiter untersucht. In der Wiederholung mit S/CO≥0,8 gemessene Proben wurden mit Anti-HCV-Tests der 3. Generation anderer Hersteller nachuntersucht. Zum Einsatz kamen der ORTHO™ HCV ELISA (Ortho Diagnostic Systems) mit einem Grenzbereich von 0,85–1,15, der COBAS® CORE Anti-HCV EIA (Roche Diagnostic Systems) mit einem Grenzbereich von 0,8–1,0 und der MONOLISA Anti-HCV (Sanofi Diagnostics Pasteur) mit einem Grenzbereich von 0,9–1,1. Testergebnisse unterhalb der angegebenen Grenzbereiche galten als negativ. Darüber hinaus wurden diese Seren mit einer kommerziellen PCR (HCV Cobas Amplicor, Roche Diagnostic Systems) oder einer in-house-PCR auf Virus-RNA getestet. PCR-Positive wurden als Hepatitis-C-infiziert eingestuft. Wurde das Anti-HCV-reaktive Ergebnis mit den Tests der anderen Hersteller durch eindeutige Assay-Ratios (>2,0) bestätigt, wurde die Probe als Anti-HCV-positiv klassifiziert. Bei widersprüchlichen Testergebnissen zwischen den Immunoassays wurde ein RIBA (Ortho Diagnostic Systems) durchgeführt. Waren damit in der Probe mindestens 2 Antigenbanden nachweisbar, lautete die Gesamtbeurteilung „Anti-HCV-positiv“. War jeweils nur 1 Antigenbande detektierbar, wurde das Ergebnis insgesamt als „unklar“ eingestuft. Die statistischen Untersuchungen erfolgten mittels eines SPSS-Programmpakets. Die gewichteten Daten erlauben in den Auswertungen keine Wiedergabe von Absolutzahlen. Dargestellt wurden die Prävalenzraten für die gesamte Bundesrepublik, die Geschlechts- und Altersverteilung und eine getrennte Auswertung für die alten und die neuen Bundesländer. Ergebnisse Hepatitis A Die Testergebnisse auf Antikörper gegen das Hepatitis-A-Virus sind in Tab. 1 aufgeführt. Für die Bundesrepublik ergibt sich eine Anti-HAV-Prävalenzrate von 46,5%. In den alten Bundesländern waren 45,1% Anti-HAV-positiv, in den neuen Bundesländern 51,8%. Bei Männern wurden insgesamt weniger Hepatitis-A-Antikörper (44,1%) als bei Frauen nachgewiesen (48,7%). In allen Altersgruppen findet man einen Anstieg des Anteils der Anti-HAV-Positiven mit dem Lebensalter. Bei den 70- bis 79jährigen wird eine Durchseuchung von fast 90% erreicht. In den Altersgruppen bis 29 Jahre findet man in den alten Bundesländern einen höheren Anteil Anti-HAV-Positiver als in den neuen Bundesländern. Dieses Verhältnis kehrt sich in den Altersgruppen 30–59 Jahre um. Eine Angleichung findet in den Gruppen ab 60 Jahren statt. Hepatitis B Die Prävalenzraten für die untersuchten Marker der Hepatitis B sind in Tab. 2 aufgeführt. Hepatitis-B-exponiert, d.h. AntiHBc-positiv, mit oder ohne Nachweis von Anti-HBs und HBsAg, waren 7,0% der untersuchten Population. In den alten Bundesländern waren 7,7% der Probanden Anti-HBc-positiv, in den neuen Bundesländern 4,3%. Der Anteil der Probanden mit akuter oder chronischer Hepatitis B (Anti-HBc- und HBsAg-positiv) belief sich auf insgesamt 0,6%. Auch hier war die Prävalenzrate mit 0,6% in den alten Bundesländern höher als in den neuen Bundesländern (0,4%). Beitrag: 354.fm Ausdruck vom 25.5.00 S112 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 W. Thierfelder et al Tab. 1 Antikörperprävalenz gegen Hepatitis A in Deutschland (gewichtet) 10-Jahres-Altersklassen 18–19 Jahre 20–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–79 Jahre gesamt gesamt Anti-HAV positiv negativ 7,0% 93,0% 15,4% 84,6% 20,5% 79,5% 40,8% 59,2% 64,1% 35,9% 83,0% 17,0% 89,2% 10,8% 46,5% 53,5% West Anti-HAV positiv negativ 8,5% 91,5% 16,6% 83,4% 17,6% 82,4% 37,1% 62,9% 62,0% 38,0% 82,9% 17,1% 89,0% 11,0% 45,1% 54,9% Ost Anti-HAV positiv negativ 3,1% 96,9% 10,4% 89,6% 32,3% 67,7% 54,3% 45,7% 72,2% 27,8% 83,4% 16,6% 90,4% 9,6% 51,8% 48,2% Männer Anti-HAV positiv negativ 9,1% 90,9% 16,0% 84,0% 21,7% 78,3% 36,9% 63,1% 62,9% 37,1% 82,8% 17,2% 88,3% 11,7% 44,1% 55,9% Frauen positiv negativ 4,8% 95,2% 14,7% 85,3% 19,2% 80,8% 44,7% 55,3% 65,3% 34,7% 83,3% 16,7% 89,8% 10,2% 48,7% 51,3% Anti-HAV Bei Männern lag der Anteil der Anti-HBc-Positiven mit 7,4% etwas höher als bei den Frauen (6,7%). Bezogen auf den positiven Anti-HBc-Test waren jedoch 12,7% der Männer und nur 3,6% der Frauen HBsAg-positiv. Eine Immunität nach Hepatitis-B-Exposition wurde bei 79,8% der Anti-HBc-Positiven nachgewiesen. Männer hatten mit 71,7% die geringere Immunitätsrate als Frauen mit 88,3%. Im Vergleich alte Bundesländer/neue Bundesländer wiesen HBsAg-Trägerschaft (8,0% bzw. 10,0% der Anti-HBc-positiven) und Immunität (80,1% bzw. 78,2% der Anti-HBc-Positiven) dagegen kaum Unterschiede auf. Insgesamt war bei 12% der Stichprobe nur AntiHBc allein nachweisbar. In den Altersgruppen bis 39 Jahre wurde ein leichter Anstieg der Anti-HBc-Prävalenzraten gefunden, der sich dann in den höheren Altersgruppen stärker ausprägte. Das Maximum lag in der Gruppe der 70–79jährigen bei 16,8%. Ausschließlich Anti-HBs-positiv und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit geimpft gegen Hepatitis B waren 5,1% der Getesteten. In den alten Bundesländern lag der Anteil bei 5,6% in den neuen bei 3,2%. Bei Frauen waren 6,8%, bei Männern 3,3% isoliert Anti-HBs-positiv. Hepatitis C Die Prävalenz von Anti-HCV in der deutschen Bevölkerung betrug 0,4%. Davon waren 83,7% in der PCR positiv. 7 PCR-negative Proben waren zwar Anti-HCV-reaktiv, konnten aber mit dem RIBA nicht eindeutig klassifiziert werden. Diese 0,1% Tab. 2 Serologische Marker der Hepatitis B in Deutschland (gewichtet) 10-Jahres-Altersklassen 18–19 Jahre 20–29 Jahre 30–39 Jahre gesamt 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–79 Jahre gesamt Anti-HBc positiv negativ Anti-HBs positiv negativ HBsAg positiv negativ 1,6% 98,4% 11,4% 88,6% 0,4% 99,6% 3,3% 96,7% 11,4% 88,6% 0,2% 99,8% 3,7% 96,3% 9,9% 90,1% 0,6% 99,4% 7,2% 92,8% 10,7% 89,3% 0,9% 99,1% 8,1% 91,9% 8,9% 91,1% 0,7% 99,3% 8,9% 91,1% 8,2% 91,8% 0,4% 99,6% 16,8% 83,2% 14,9% 85,1% 0,4% 99,6% 7,0% 93,0% 10,4% 89,6% 0,6% 99,4% West Anti-HBc positiv negativ Anti-HBs positiv negativ HBsAg positiv negativ 1,7% 98,3% 12,2% 87,8% 0,6% 99,4% 4,1% 95,9% 12,8% 87,2% 0,3% 99,7% 3,7% 96,3% 10,5% 89,5% 0,6% 99,4% 8,4% 91,6% 12,1% 87,9% 1,0% 99,0% 9,1% 90,9% 10,3% 89,7% 0,7% 99,3% 9,3% 90,7% 8,6% 91,4% 0,5% 99,5% 17,6% 82,4% 15,6% 84,4% 0,4% 99,6% 7,7% 92,3% 11,4% 88,6% 0,6% 99,4% Ost Anti-HBc positiv negativ Anti-HBs positiv negativ HBsAg positiv negativ 1,3% 98,7% 9,4% 90,6% 0,3% 99,7% 5,5% 94,5% 100,0% 100,0% 3,3% 96,7% 7,5% 92,5% 0,4% 99,6% 3,0% 97,0% 5,6% 94,4% 0,6% 99,4% 4,2% 95,8% 3,6% 96,4% 0,8% 99,2% 7,2% 92,8% 6,6% 93,4% 0,2% 99,8% 13,0% 87,0% 11,7% 88,3% 0,5% 99,5% 4,3% 95,7% 6,4% 93,6% 0,4% 99,6% Männer Anti-HBc positiv negativ Anti-HBs positiv negativ HBsAg positiv negativ 2,4% 97,6% 8,8% 91,2% 0,8% 99,2% 4,3% 95,7% 8,8% 91,2% 0,5% 99,5% 4,0% 96,0% 7,0% 93,0% 1,2% 98,8% 7,8% 92,2% 9,2% 90,8% 1,4% 98,6% 10,3% 89,7% 7,8% 92,2% 1,3% 98,7% 7,4% 92,6% 6,2% 93,8% 0,3% 99,7% 18,3% 81,7% 14,8% 85,2% 0,3% 99,7% 7,4% 92,6% 8,4% 91,6% 0,9% 99,1% Frauen Anti-HBc positiv negativ Anti-HBs positiv negativ HBsAg positiv negativ 0,7% 99,3% 14,2% 85,8% 2,4% 97,6% 14,1% 85,9% 3,3% 96,7% 12,9% 87,1% 100,0% 100,0% 100,0% 6,6% 93,4% 12,2% 87,8% 0,4% 99,6% 5,9% 94,1% 10,0% 90,0% 0,2% 99,8% 10,2% 89,8% 9,9% 90,1% 0,5% 99,5% 16,0% 84,0% 14,9% 85,1% 0,5% 99,5% 6,7% 93,3% 12,3% 87,7% 0,2% 99,8% Beitrag: 354.fm Ausdruck vom 25.5.00 Die Prävalenz von Antikörpern gegen Hepatitis-A-, Hepatitis-B- und Hepatitis C-Viren Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S113 (gewichtete Größe) wurden als „unklar“ eingestuft. In den alten Bundesländern fand sich Anti-HCV ab der Altersgruppe 20–29 Jahre, in den neuen Bundesländern ab den 40– 49jährigen. Bei Frauen in den alten Bundesländern wurden Antikörper ab der Altersgruppe 30–39 Jahre, bei Frauen in den neuen Bundesländern ab der Gruppe 40–49 Jahre gefunden. Diskussion Die gewonnenen Daten sollten nur soweit durch Risikogruppen belastet sein, wie es ihrem Anteil im Regelfall an der normalen Wohnbevölkerung entspricht. Ausgeschlossen von der Studie waren die Insassen von Kasernen, Altersheimen, Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten und Justizvollzugsanstalten. Es ist davon auszugehen, daß durch Einbeziehung von Hochrisikogruppen bei den 3 Hepatitis-Formen insgesamt höhere Prävalenzraten ermittelt worden wären. Die Vergleiche der Ergebnisse mit anderen Erhebungen fallen schwer, da in den meisten Studien nur spezielle Bevölkerungsteile und Risikogruppen untersucht wurden. Das Risiko, in den westlichen Industriestaaten an einer Hepatitis A zu erkranken, ist aufgrund des hohen hygienischen Standards relativ gering. Einem höheren Risiko unterliegen einige Berufsgruppen wie Krankenhauspersonal [Abb 1994] oder Arbeiter in Kläranlagen [Frölich 1993]. Risikobehaftet sind vor allem Reisende in Hepatitis-A-Endemiegebiete [Nothdurft 1994]. Die Daten zur Hepatitis-A-Antikörperprävalenz resultieren nicht nur aus einem Kontakt mit dem Virus. In den jüngeren Altersgruppen dürfte ein höherer Teil der Antikörperträger aus Hepatitis-A-Impfungen resultieren als bei den älteren Jahrgängen. In den höheren Altersklassen spiegeln sich die Epidemien der Kriegs- und Nachkriegsjahre mit ihren sehr hohen Prävalenzen wider. Dafür spricht auch, daß hier die Prävalenzraten in den neuen und den alten Bundesländern in derselben Größenordnung liegen. Die Daten zeigen, daß die Durchseuchung mit dem Alter zunimmt und in der höchsten Gruppe fast 90% erreicht. Das unterstreicht die lebenslang anhaltende Immunität nach einer Hepatitis-AInfektion. Die Gesamtprävalenz an Anti-HAV ist in Deutschland mit 46,5% größenordnungsmäßig vergleichbar mit der in Nachbarländern. Bei in der Schweiz erhobenen Daten an Personen, die eine Reise planten, waren 11,8% (30–39 Jahre), 21,4% (40– 49 Jahre) und 49% (>50 Jahre) Anti-HAV-positiv [Studer 1993). Blutspender in Österreich vor Einführung der aktiven Immunisierung waren zu 7% (18–30 Jahre), 20% (31–40 Jahre und 57% (41–50 Jahre) Anti-HAV-positiv [Prodinger 1994]. Eine belgische Studie wies eine Prävalenzrate von 51,3% aus [Beutels 1998]. Zur Erhebung der Hepatitis-B-relevanten Labordaten wurde in der Studie eine Testkombination aus Anti-HBc, Anti-HBs und HBsAg eingesetzt. Anti-HBc tritt im Verlauf einer Hepatitis-B-Infektion meist kurz nach dem HBsAg auf und bleibt in der Regel jahrzehntelang bestehen. Daher eignet sich dieser Marker sehr gut zur Beschreibung einer Durchseuchung. Die Kombination mit Anti-HBs führt zu Aussagen über die Immunität nach Hepatitis-B-Infektion, wobei auch das isolierte Auftreten von Anti-HBc eine durchgemachte Erkrankung bedeuten kann. Ein positives Anti-HBs ohne weitere Marker spricht für eine Hepatitis-B-Immunisierung. Akute und chronische Hepatitiden werden durch die Testung aller Anti-HBc-positiver Proben auf HBsAg erkannt. Die Wahrscheinlichkeit, im Rahmen einer Querschnittstudie auf Probanden in der Inkubationsphase zu treffen, innerhalb der zunächst HBsAg, HBVDNA und vereinzelt HBeAg, aber nicht Anti-HBc detektierbar wird, ist äußerst gering. Daher wurde auf die Testung jeder Probe auf HBsAg verzichtet. Das von HBsAg und Anti-HBs isolierte Auftreten von Anti-HBc ist offenbar abhängig von dem untersuchten Klientel. Bezogen auf die Gesamtzahl der AntiHBc-positiven zeigten 12% davon keine weiteren der getesteten Hepatitis-B-Marker. Das entspricht einer Prävalenzrate von 0,84% in der gesamten Stichprobe und stimmt mit den bisher in Deutschland beobachteten 0,8% [Neifer 1997] gut überein. Bei schwedischen Blutspendern sind 1% „nur-AntiHBc-positiv“ [Joller-Jemelka 1994]. Der Anteil „nur-Anti-HBcPositiver“, gemessen an der Anzahl aller Personen mit HBVMarkern, wird für Deutschland mit 8% angegeben. Risikogruppen, wie Strafgefangene in Deutschland, wiesen 19,2% auf. Diese Konstellation scheint besonders oft bei einer gleichzeitigen Infektion mit dem HCV vorzukommen [Neifer 1997]. Daten zur Prävalenz der Hepatitis B in der deutschen Gesamtbevölkerung beruhen überwiegend auf Schätzungen. Der Anteil der HBsAg-Träger variiert dabei von 0,3% bis 0,8% [Gesundheitsbericht 1998]. Die gefundene HBsAg-Prävalenzrate von 0,6% ordnet sich gut in diesen Bereich ein. Im Rahmen der Nationalen Gesundheitssurveys 1990–1992 wurden aus einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe 6,1% Anti-HBc-positive Befunde erhoben [Thefeld 1994]. Die statistische Signifikanz dieser Differenz zur aktuellen Studie ist noch nicht überprüft worden. Weitere Vergleichsdaten für Deutschland existieren nur für Risikogruppen mit in der Regel hohen Prävalenzen [Gesundheitsbericht 1998] für spezielle Berufsgruppen [Kralj 1998] und für Niedrigprävalenz-Gruppen wie Blutspender [Glueck 1997]. Die in der Literatur für einige Länder gefundene erhöhte Prävalenz bei Männern gegenüber Frauen [Resina 1992, Hart 1993] konnte bestätigt werden. Die deutlich geringere Anzahl gemeldeter Neuerkrankungen in den neuen Bundesländern im Vergleich zu den alten Bundesländern [Epid. Bull. 1999] spiegelt sich auch in dem deutlichen Unterschied der Prävalenzraten wider. Die bisher eingeleiteten Hepatitis-B-Impfmaßnahmen lassen sich im Altersgang bei den „Nur Anti-HBsPositiven“ ablesen. Die höchsten Impfraten zeigt jeweils die jüngste Altersgruppe. Bis zur Gruppe der 50–59jährigen findet man Geimpfte in den alten Bundesländern etwa doppelt so häufig, da hier offenbar Schutzimpfungen früher und umfangreicher eingesetzt haben. Die geschätzte Durchseuchung mit Hepatitis C liegt in Deutschland unter 0,5% [Epid. Bull. 1999]. Damit fügt sich das Studienergebnis mit einer Prävalenzrate von 0,4% gut in diese Größenordnung ein. Der Anteil von 83,7% PCR-Positiven unter den Anti-HCV-Trägern liegt etwas höher als z.B. bei intravenös Drogenabhängigen mit 76% [Stark 1995]. Diese Differenz könnte durch die hohen Unterschiede in der Grundgesamtheit der Getesteten in beiden Gruppen bedingt sein. Die Prävalenzen sind besonders bei der Hepatitis C abhängig von dem Untersuchungsklientel. So werden für Blutspender 0,12% Anti-HCV-Positive angegeben [Koerner 1998]. Bei Hämophilen wurden 87,5%, bei intravenös Drogenabhängigen 78,9%, bei Polytransfundierten 18,4%, bei Transplantierten 16,8%, bei Beitrag: 354.fm Ausdruck vom 25.5.00 S114 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 W. Thierfelder et al Dialysepatienten 8,1%, bei Prostituierten 1,4% und bei Krankenhauspersonal 0,8% Anti-HCV-Positive gefunden [Weber 1995]. Die Frage nach der Alters-, Geschlechts- und Ost/West-Verteilung von HCV-Infektionen wird mit diesem Bundes-Gesundheitssurvey letztendlich nicht zu beantworten sein. Damit bei der ermittelten Prävalenzrate von 0,4% alle Felder mit einer ausreichend hohen zu erwartenden Fallzahl besetzt werden (Erwartungswert mindestens 5 Fälle), müßte die Stichprobe mindestens viermal so groß sein. Der Ausschluß von bestimmten Risikogruppen aus der Stichprobe reflektiert besonders bei der Hepatitis B und der Hepatitis C das Bild einer „bereinigten“ Bevölkerung. Weitere Auswertungen der Fragebogendaten könnten Aufschluß darüber geben, wie hoch der Anteil der Hepatitis-Risikogruppen in dieser Studie tatsächlich ist. Möglicherweise müßten durch anteilige Einbeziehung dieser Gruppen die in dieser Studie gefundenen Ergebnisse um etwa 0,1–0,2% höher liegen. Literatur 1 Abb J (1994). Prävalenz von Hepatitis-A-Virus-Antikörpern bei Krankenhauspersonal. Gesundheitswesen 56: 377–379 2 Bellach B, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/1998. Gesundheitswesen 60: Sonderheft 2 S59–S68 3 Beutels M, Van Damme P, Vrancks R, Meheus A (1998). The shift in prevalence of hepatitis A immunity in Flanders, Belgium. Acta Gastroenterol. Belgica 61: 4–7 4 Epid. Bull. (1999). Zur Situation bei wichtigen Infektionskrankheiten im Jahr 1998, Teil 2: Virushepatitiden. 17/99: 119–124 5 Frölich J, Zeller I (1993). Hepatitis-A-Infektionsrisiko bei den Mitarbeitern einer großen Kläranlagenbetreibergenossenschaft. Arbeitsmedizin Sozialmedizin Präventivmedizin 28: 503–505 6 Glueck D, Maurer C, Kubaneck B (1997). Studie des Berufsverbands Deutscher Transfusionsmediziner zur Epidemiologie von HIV- und Hepatitisinfektionen bei Blutspendern. Beiträge zur Infusionstherapie und Transfusionsmedizin 34: 1–4 7 Hart G (1993). Factors associated with hepatitis B infection. International Journ. of STD and AIDS 4: 102–106 8 Hepatitis-B in. Gesundheitsbericht für Deutschland (ed. Statistisches Bundesamt Wiesbaden, 1998) 274–275 9 Joller-Jemelka H, Wicki A, Grob P (1994) Detection of HBs antigen in „anti-HBc alone“ positive sera. J. Hepatol. 21: 269–272 10 Koerner K, Cardoso M, Dengler T, Kerowgan M, Kubanek B (1998). Estimated risk of transmission of hepatitis C virus by blood transfusion. Vox Sang. 74: 213–216 11 Kralj N, Hofmann F, Michaelis M, Berthold H (1998). Zur gegenwärtigen Hepatitis-B-Epidemiologie in Deutschland. Gesundheitswesen 60: 450–455 12 Neifer S, Molz B, Sucker U, Kreuzpaintner E, Weinberger K, Jilg W (1997) Hoher Prozentsatz isoliert anti-HBc-positiver Personen unter Strafgefangenen. Gesundheitswesen 59: 409–412 13 Nothdurft HD, Loescher T (1994). Folgen importierter Tropenkrankheiten in Deutschland. Versicherungsmedizin 46: 135– 137 14 Prodinger WM, Larcher C, Solder BM, Geissler D, Dierich MP (1994) Hepatitis-A in western Austria – the epidemiologic situation before the introduction of active immunization. Infection 22: 53–55 15 Resina RA, Zawati FZ, Grandal DC (1992). Prevalencia de marcodores serologicos del virus de la hepatitis B en poblacion extrahospitalaria de la ciudad de Vigo. Atencion Primaria 10: 1028–1029 16 Stark K, Schreier E, Mueller R, Wirth D, Driesel G, Bienzle U (1995). Prevalence and determinants of anti-HCV seropositivity and of HCV genotype among intravenous drug users in Berlin. Scand. J. Infec. Dis. 27: 331–337 17 Studer S, Joller-Jemelka HI, Steffen R, Grob PJ (1993). Prevalence of hepatitis A antibodies in Swiss travellers. Eur. J. Epidemiol. 9: 50–54 18 Thefeld W, Seher Ch, Dortschy R (1994). Hepatitis-B-Durchseuchung in der deutschen Bevölkerung. Bundesgesundheitsbl. 37: 374–377 19 Weber B, Rabenau H, Berger A, Scheuermann EH, Staszewski S, Kreuz W, Scharrer I, Schoeppe W, Doerr HW (1995). Seroprevalence of HCV, HAV, HBV, HDV HCMV and HIV in high risk groups/Frankfurt a.M., Germany. Zbl. Bakteriol. 282: 102–112 W. Thierfelder Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin Beitrag: 354.fm Ausdruck vom 25.5.00 S115 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE ›› Körpermaße und Übergewicht K. E. Bergmann, G. B. M. Mensink Robert Koch-Institut, Berlin Zusammenfassung: Anhand der Daten von 7124 Frauen und Männern des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 im Alter zwischen 18 und 79 Jahren und Daten der Nationalen Untersuchungssurveys 1990/92 wurden Entwicklungen der Körpermaße und des Übergewichts untersucht. Bezüglich der Körpermaße der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland ist festzuhalten, daß die Menschen in westlichen Bundesländern etwas größer sind als in östlichen. Gemessen am Body-MassIndex (BMI) sind Übergewicht und Adipositas bei Männern und Frauen in Deutschland sehr verbreitet. Übergewicht (BMI ≥ 25 kg/m²) kommt insgesamt bei 52% (westdeutsche Frauen) bis 67% (westdeutsche Männer) der Bevölkerung vor, starkes Übergewicht oder Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) ist mit 18% unter den westdeutschen Männern am geringsten und mit 24,5% unter den ostdeutschen Frauen am höchsten. In den östlichen Bundesländern findet man Adipositas nach wie vor häufiger als in den westlichen. Was den Trend betrifft, so hat die Verbreitung von Adipositas im zurückliegenden Jahrzehnt bei ostdeutschen Männern um 5,9% und bei westdeutschen Männern um 11,5% zugenommen. Bei westdeutschen Frauen ist sie noch einmal um etwa 6,4% angestiegen. Bei ostdeutschen Frauen ist die Verbreitung von Adipositas zwar um 6,3% zurückgegangen, kommt dort aber wesentlich häufiger vor als im Westen. Adipositas ist ein Schlüsselproblem moderner Zivilisationskrankheiten; die Verbreitung und der insgesamt ungünstige Trend müssen als alarmierend angesehen werden. Schlüsselwörter: Übergewicht – Adipositas – Body-Mass-Index – Waist-to-hip-ratio Anthropometric Data and Overweight: In the German National Health Interview and Examination Survey 1998 several anthropometric data were obtained from 7124 men and women, aged 18–79 years. These data were analysed and compared with 1990/92 survey data. On average, people from the Western part of Germany are somewhat taller than those from the Eastern part, the differences being smallest in the youngest age group. With the use of the Body Mass Index (BMI) as the criterion, the prevalence of overweight (BMI > 25 kg/m2) ranges from 52% for West German women to 67% for West German men, and of obesity (BMI ≤ 30 kg/m2) from 18% for West German men to 24.5% for East German women. Generally, overweight is more prevalent in the East than in the West. In the male population, aged 25–69 years, the prevalence of obesity increased by 5.9% in the East and by 11.5% in the West during the last decade. Among females the prevalence of obesity increased by 6.4% in the West, but decreased by 6.3% in the East. Still obesity is more prevalent among East German females. Since obesity is a key health risk, these recent German prevalence figures are alarming. Key words: Overweight – Obesity – Body Mass Index – Waistto-hip-ratio Vorbemerkungen Körpermaße sind wichtige Indikatoren für den Gesundheitszustand einer Bevölkerung. Die End- oder Erwachsenengröße ist im allgemeinen im 3. Jahrzehnt erreicht. Weil auf das Wachstum zahlreiche Faktoren wie Ernährung, allgemeine Lebensbedingungen und Krankheiten Einfluß nehmen, ist es ein globaler Indikator der gesundheitlichen Lage des Kindesund Jugendalters [Bergmann 1977, Bergmann 1986, Bielicki 1986]. Für die Körpergröße gibt es einen sogenannten säkularen Trend: Die Menschen am Anfang dieses Jahrhunderts waren durchschnittlich etwa 20 cm kleiner als jetzt an seinem Ende. Dafür sind vor allem das pränatale Wachstum und das in den ersten Lebensjahren verantwortlich und damit die Ernährung, die Häufigkeit und Schwere von Krankheiten und die psychosozialen Lebensbedingungen in der Kindheit [Ravelli 1976, Bergmann 1984, van Wieringen 1986]. Nach Eveleth (1986) spielen für das Wachstum genetische und ethnische Faktoren eine nachrangige Rolle, so daß regionale Unterschiede innerhalb eines Landes oder neuerlich noch erkennbare säkulare Trends auf Unterschiede in den Lebensbedingungen hinweisen. Der Body Mass Index (BMI) ist eine Orientierungsgröße für die Körperfülle und wird zur Beurteilung überhöhter Fettmasse, also Adipositas, herangezogen [Bellach 1996, Bergmann 1984, Bergmann 1989]. Der BMI wird errechnet, indem man das Körpergewicht (in kg) durch die Körpergröße (in Metern, quadriert) teilt. Der BMI wird aber auch durch den Körperbau und die Muskelmasse beeinflußt und ist deshalb als einziges Kriterium für Adipositas nur begrenzt aussagefähig [Bouchard 1994]. International ist der BMI gut etabliert [Dwyer 1996], weil er leicht und exakt zu bestimmen und über Raum und Zeit gut zu vergleichen ist. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S115–S120 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Beitrag: 357.fm Ausdruck vom 25.5.00 S116 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 K. E. Bergmann, G. B. M. Mensink Methoden Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 [Thefeld 1999] schloß auch die Ermittlung von Körpermaßen ein. Für die Messung der Körpergröße und des Gewichts trugen die Teilnehmer keine Schuhe und waren nur leicht bekleidet. Die Körpergröße wurde auf 0,1 cm und das Gewicht auf 0,1 kg genau abgelesen. Bei der Messung des Taillen- und Hüftumfangs trugen die Personen leichte, eng am Körper anliegende Bekleidung. Sie standen dabei in aufrechter und entspannter Haltung. Der Taillenumfang wurde an der schmalsten Stelle zwischen der letzten Rippe und der höchsten Stelle des Darmbeinkammes gemessen, der Hüftumfang an der Stelle mit dem größten Umfang zwischen der höchsten Stelle des Darmbeinkammes und dem Schritt. Beide Maße wurden auf 0,5 cm genau abgelesen. Der Body Mass Index wurde lt. Formel Körpergewicht in kg : Körpergröße in m² errechnet. Für die Prävalenzberechnungen wurden folgende Bereiche gewählt: Body Mass Index <20, 20–<25, 25–<30, ≥30 kg/m². Die sogenannte Waist-to-hip-ratio (WHR, Taille/Hüft-Ratio) wurde als Quotient des Taillen- und des Hüftumfangs errechnet. Diese Ratio ist ein Maß für die Körperfettverteilung, und vor allem der androide Fettverteilungstyp (Apfelform) geht im Gegensatz zum gynoiden Fettverteilungstyp (Birnenform) mit einem deutlich höheren Herzinfarkt-Risiko einher. Männer mit einem Wert der WHR >1 und Frauen mit >0,85 gelten als besonders gefährdet. Die Auswertungen erfolgten mit einer Gewichtung, um die Daten anzugleichen an den Bevölkerungsaufbau in Deutschland 1998 unter Verwendung des statistischen Softwarepaketes SAS Version 6.12. Ergebnisse und Diskussion Die maximale Körpergröße ist bei Männern und Frauen in Ost und West im dritten Lebensjahrzehnt erreicht und geht danach allmählich zurück, um im Altersbereich 70 bis 79 Jahre die niedrigsten Werte zu erreichen. Die niedrigeren Werte im höheren Lebensalter sind durch zwei Faktoren zu erklären: – Der säkulare Trend spielt hierbei eine Rolle [van Wieringen 1986], indem Menschen, die Jahrzehnte früher, z.B. in der Zeit zwischen 1920 und 1930, geboren wurden, noch nicht die Endgröße erreicht haben können, die man bei Personen der Geburtsjahrgänge 1970 bis 1980 beobachten kann. – Mit zunehmendem Alter verringert sich die Knochenmasse [Cooper 1993], die ihr Maximum im 3. Lebensjahrzehnt erreicht. Dadurch kommt es zu einer Verkürzung der Wirbelsäule. Wie groß der relative Beitrag dieser beiden Faktoren für den beobachteten Körpergrößenunterschied von 8 bis 9 cm zwischen der jüngsten und der höchsten Altersgruppe tatsächlich ist, läßt sich aufgrund der vorliegenden Daten nicht entscheiden. Körpergewicht Das Körpergewicht ist am niedrigsten bei 18- bis 19jährigen Personen, und zwar sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Im 3. Lebensjahrzehnt steigt es um 4 bis 6 kg an, um danach kontinuierlich weiter zuzunehmen. Das höchste durchschnittliche Körpergewicht haben Männer im Alter zwischen 40 und 49 Jahren mit 86 kg; es liegt fast 12 kg über dem Gewicht der 18- bis 19jährigen. Frauen haben im Altersbereich zwischen 60 und 69 Jahren mit 73,8 kg das höchste Durchschnittsgewicht; es liegt um knapp 12 kg über dem der 18- bis 19jährigen Frauen. Body-Mass-Index Körpergröße Tab. 1 und 2 geben einen Überblick über die standardisiert gemessenen Körpermaße und die daraus abgeleiteten Indikatoren für die Körperfülle nach Alter und Geschlecht. Es handelt sich um gewichtete Mittelwerte und Standardabweichungen, die es erlauben, Zusammenhänge mit dem Alter, dem Geschlecht und der Herkunft aus Deutschland-Ost und -West zu beurteilen. Bei 18- bis 19jährigen Männern und Frauen ist der BMI am niedrigsten. Er steigt sowohl bei Männern als auch bei Frauen mit dem Alter allmählich an, um bei 60- bis 69jährigen den höchsten Wert zu erreichen. Die Durchschnittswerte des BMI sind bei Männern und Frauen in Ostdeutschland geringfügig höher als im Westen. Die Unterschiede in den einzelnen Altersgruppen gehen in verschiedene Richtungen. Tab. 1 Körpermeßwerte und abgeleitete Indikatoren für Übergewicht, nach Alter und Geschlecht, gewichtete Mittelwerte (Standardabweichung) Altersklassen 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 gesamt 86,0 (13,3) 176,9 (6,7) 27,5 (3,7) 98,2 (10,1) 105,9 (6,7) 92,6 (5,5) 85,7 (13,0) 174,7 (6,4) 28,0 (3,8) 100,8 (10,4) 106,5 (7,3) 94,5 (5,5) 83,4 (12,6) 80,6 (12,0) 172,2 (6,4) 170,2 (6,1) 28,1 (3,8) 27,8 (3,4) 102,1 (10,1) 102,0 (9,6) 106,8 (7,3) 106,4 (7,3) 95,5 (5,6) 95,8 (5,8) 83,6 (13,1) 176,2 (7,3) 26,9 (3,9) 96,4 (11,4) 105,4 (7,2) 91,3 (6,9) 70,2 (14,0) 163,8 (6,1) 26,2 (5,0) 84,2 (12,3) 105,2 (10,6) 79,8 (5,9) 72,8 (14,5) 162,4 (5,8) 27,6 (5,3) 88,4 (12,6) 107,4 (10,6) 82,1 (6,0) 73,8 (13,9) 159,8 (5,9) 29,0 (5,5) 92,9 (12,2) 109,8 (11,1) 84,6 (6,1) 70,1 (13,8) 163,3 (6,9) 26,3 (5,2) 85,0 (13,1) 105,5 (10,6) 80,3 (6,9) Männer Körpergewicht (kg) 74,3 (11,7) 80,6 (12,8) 84,2 (13,0) Körpergröße (cm) 178,1 (6,4) 179,7 (7,1) 178,5 (7,1) Body-Mass-Index (kg/m²) 23,4 (3,8) 25,0 (3,6) 26,4 (3,8) Taillenumfang (cm) 82,8 (9,3) 88,1 (9,9) 93,8 (10,3) Hüftumfang (cm) 101,1 (8,0) 103,5 (6,9) 104,8 (7,0) Waist-to-hip-ratio (*100) 81,7 (4,7) 85,0 (5,7) 89,4 (5,9) Frauen Körpergewicht (kg) 61,9 (11,0) 66,0 (12,9) 68,6 (13,4) Körpergröße (cm) 165,4 (6,6) 166,7 (6,4) 166,3 (6,5) Body-Mass-Index (kg/m²) 22,6 (3,6) 23,7 (4,2) 24,8 (4,7) Taillenumfang (cm) 73,9 (8,4) 76,5 (10,1) 80,0 (11,2) Hüftumfang (cm) 98,8 (8,6) 101,4 (9,4) 103,2 (9,8) Waist-to-hip-ratio (*100) 74,8 (4,8) 75,3 (5,5) 77,3 (5,7) Beitrag: 357.fm Ausdruck vom 25.5.00 70,6 (11,8) 158,3 (6,2) 28,1 (4,3) 92,7 (10,6) 108,5 (9,2) 85,4 (6,1) Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S117 Körpermaße und Übergewicht Tab. 2 Körpermeßwerte und abgeleitete Indikatoren für Übergewicht, nach Alter, Geschlecht und Ost/West-Zugehörigkeit, gewichtete Mittelwerte (Standardabweichung) Altersklassen 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 gesamt Deutschland West Männer Körpergewicht (kg) 74,9 (11,4) Körpergröße (cm) 178,3 (6,4) Body-Mass-Index (kg/m²) 23,6 (3,7) Taillenumfang (cm) 83,1 (8,9) Hüftumfang (cm) 101,6 (8,0) Waist-to-hip-ratio (*100) 81,7 (4,6) 80,9 (12,8) 84,7 (13,0) 85,5 (12,7) 85,8 (13,4) 83,3 (12,1) 80,8 (12,1) 83,7 (13,0) 179,7 (7,2) 178,8 (6,9) 177,2 (6,7) 174,8 (6,5) 172,4 (6,2) 170,4 (6,2) 176,4 (7,3) 25,0 (3,6) 26,5 (3,8) 27,2 (3,5) 28,0 (3,9) 28,0 (3,7) 27,8 (3,5) 26,9 (3,9) 88,2 (9,9) 93,8 (10,4) 97,6 (9,7) 100,7 (10,4) 101,9 (9,9) 101,9 (9,7) 96,3 (11,3) 103,7 (6,9) 105,0 (7,0) 105,7 (6,5) 106,5 (7,6) 106,7 (7,0) 106,4 (7,5) 105,4 (7,2) 84,9 (5,5) 89,2 (6,0) 92,3 (5,5) 94,5 (5,2) 95,4 (5,5) 95,8 (6,0) 91,2 (6,9) Frauen Körpergewicht (kg) 61,5 (9,6) Körpergröße (cm) 165,4 (6,5) Body-Mass-Index (kg/m²) 22,5 (3,2) Taillenumfang (cm) 74,0 (7,5) Hüftumfang (cm) 98,6 (7,9) Waist-to-hip-ratio (*100) 75,1 (4,7) 66,0 (13,0) 68,8 (13,5) 70,3 (14,2) 72,3 (14,5) 73,9 (14,2) 70,4 (11,9) 70,0 (13,8) 166,7 (6,5) 166,6 (6,6) 164,0 (6,1) 162,5 (5,8) 160,0 (6,1) 158,7 (6,0) 163,5 (6,9) 23,8 (4,2) 24,8 (4,7) 26,1 (5,1) 27,4 (5,3) 28,9 (5,6) 27,9 (4,3) 26,3 (5,2) 76,5 (10,1) 79,9 (11,0) 84,0 (12,4) 87,8 (12,6) 92,6 (12,2) 91,8 (10,5) 84,7 (12,9) 101,4 (9,3) 103,2 (9,6) 105,0 (10,8) 106,8 (10,5) 109,7 (11,2) 108,3 (9,2) 105,4 (10,5) 75,4 (5,7) 77,2 (5,5) 79,8 (5,9) 82,0 (6,0) 84,3 (5,9) 84,8 (5,8) 80,2 (6,7) Deutschland Ost Männer Körpergewicht (kg) 72,5 (12,6) Körpergröße (cm) 177,7 (6,5) Body-Mass-Index (kg/m²) 23,0 (4,0) Taillenumfang (cm) 81,9 (10,6) Hüftumfang (cm) 99,7 (7,9) Waist-to-hip-ratio (*100) 81,9 (5,1) 79,6 (12,7) 82,2 (12,6) 87,9 (15,0) 85,1 (11,5) 83,9 (14,2) 79,7 (11,7) 83,1 (13,5) 179,4 (6,6) 177,4 (7,8) 176,1 (6,6) 174,2 (5,8) 171,6 (7,0) 169,3 (5,9) 175,6 (7,3) 24,7 (3,7) 26,1 (3,7) 28,3 (4,3) 28,1 (3,4) 28,5 (4,2) 27,7 (3,1) 27,0 (4,1) 87,8 (10,0) 93,8 (9,9) 100,3 (10,9) 101,0 (10,3) 102,7 (11,1) 102,2 (9,1) 96,6 (11,9) 102,7 (6,7) 103,8 (7,0) 106,6 (7,6) 106,5 (6,3) 107,3 (8,1) 106,2 (6,4) 105,1 (7,4) 85,4 (6,5) 90,2 (5,7) 93,9 (5,4) 94,7 (6,5) 95,6 (6,0) 96,2 (4,9) 91,7 (7,2) Frauen Körpergewicht (kg) 63,1 (14,6) Körpergröße (cm) 165,3 (7,1) Body-Mass-Index (kg/m²) 23,0 (4,4) Taillenumfang (cm) 73,4 (10,7) Hüftumfang (cm) 99,1 (10,7) Waist-to-hip-ratio (*100) 73,9 (4,9) 65,8 (12,9) 67,7 (13,1) 70,0 (13,1) 74,8 (14,6) 73,6 (12,7) 71,5 (11,6) 70,3 (13,5) 166,6 (6,2) 165,2 (6,1) 162,9 (5,7) 161,6 (5,9) 159,1 (5,0) 156,5 (6,7) 162,4 (6,7) 23,7 (4,3) 24,8 (4,6) 26,4 (4,7) 28,6 (5,2) 29,1 (4,9) 29,1 (4,5) 26,7 (5,2) 76,5 (10,3) 80,5 (12,4) 85,1 (12,1) 90,8 (12,6) 94,4 (11,9) 96,3 (10,1) 86,4 (13,7) 101,5 (9,6) 103,1 (10,6) 106,2 (10,0) 109,5 (10,7) 110,1 (10,5) 109,2 (8,9) 106,2 (10,7) 75,2 (4,7) 77,9 (6,4) 79,9 (5,9) 82,7 (6,2) 85,7 (6,5) 88,2 (6,4) 81,0 (7,4) Taillenumfang (cm), Hüftumfang (cm) und Waist-to-hip-ratio (WHR) Diese Werte sind bezüglich des Merkmals „Übergewicht“ und „Adipositas“ ebenfalls aussagekräftig [Caray 1996]. In Tab. 1 und 2 ist zu erkennen, daß der Hüftumfang bei Männern im Laufe des Lebens durchschnittlich um 5 bis 7 cm, bei Frauen um etwa 10 cm zunimmt. Der Taillenumfang (Bauchumfang) steigt bei Männern und Frauen sogar um durchschnittlich 19 bis 20 cm an. Die höchsten Werte werden bei beiden Geschlechtern im Alter zwischen 60 und 69 Jahren erreicht. Sowohl Männer als auch Frauen scheinen in diesem Alter am stärksten von Adipositas betroffen zu sein. Die komplexen Grenzwertbetrachtungen bleiben einer gesonderten Publikation vorbehalten. Vergleiche zwischen ost- und westdeutschen Bundesländern Körpergröße und -gewicht sowie die Verbreitung von Adipositas unterschieden sich nachweislich bei den Surveys 1990/ 92 [Bellach 1996] zwischen den alten und neuen Bundesländern. Die Daten des Gesundheitssurveys 1998 erlauben ebenfalls einen Vergleich zwischen diesen beiden Regionen Deutschlands mit ihrer unterschiedlichen Entwicklung nach 1945. Was die Körpergröße betrifft, so sind sowohl Frauen als auch Männer aus den westlichen Bundesländern durchschnittlich rund einen Zentimeter größer als in den östlichen. Diese Unterschiede findet man praktisch in allen Altersklassen. Sie sind am größten in der Altersgruppe der 70- bis 79jährigen und betragen dort für Männer 0,9 und für Frauen durchschnittlich 2,2 cm. Bei den 18- bis 19jährigen sind die westdeutschen Männer 0,6 cm und die Frauen nur noch 0,1 cm größer als die ostdeutschen. In der nachwachsenden Generation scheinen sich die Unterschiede also allmählich auszugleichen. Die durchschnittlichen Unterschiede beim Körpergewicht sind relativ gering und nicht so konsistent wie die der Körpergröße. So sind die Durchschnittsgewichte westdeutscher Männer 0,6 kg höher und die westdeutscher Frauen 0,3 kg niedriger als die ostdeutscher. In den einzelnen Altersgruppen bestehen ebenfalls geringe Unterschiede; sie gehen in unterschiedliche Richtungen. Ähnlich wie bei den Durchschnittswerten des BMI bestehen auch für die Mittelwerte der WHR nur geringfügige Unterschiede zwischen Ost und West. Insgesamt sind danach die Männer und Frauen im Westen etwas schlanker. Die alters- Beitrag: 357.fm Ausdruck vom 25.5.00 S118 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 50% West Ost Männer K. E. Bergmann, G. B. M. Mensink Frauen 40% 30% 20% Tab. 3 Body-Mass-Index-Klassen nach Geschlecht und Ost/West-Zugehörigkeit BMI-Wert Männer West Ost Frauen West Ost < 20 kg/m² 20–<25 kg/m² 25–<30 kg/m² 30–<40 kg/m² ≥ 40 kg/m² 1,9 31,3 48,7 17,6 0,7 6,8 41,1 31,1 19,3 1,8 5,7 37,4 32,4 23,1 1,4 2,8 31,1 45,1 20,5 0,4 10% 0% 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Altersklassen Abb. 1 Prävalenz von Adipositas (BMI≥30). spezifischen Werte variieren geringfügig in unterschiedlichen Richtungen. Übergewicht und Adipositas Übergewicht und besonders starkes Übergewicht (Adipositas) sind Schlüsselprobleme der Zivilisationskrankheiten in westlichen Industrienationen [Dwyer 1996, Kannel 1983]. Übergewicht und Adipositas begünstigen die Entwicklung von Hyperinsulinismus und Typ-II-Diabetes, von Bluthochdruck, Hyperlipoproteinämie, kardio- und zerebrovaskulären Erkrankungen, Arthrose und anderen degenerativen Krankheiten [Bergmann 1985, Manson 1990, Pi-Sunyer 1991, Shinton 1995, Sjöström 1992]. Adipositas verkürzt die Lebenserwartung [Allison 1999, Garfinkel 1986, Hoffmans 1989, Manson 1987], beeinträchtigt die Lebensqualität [Schneider 1996, Stunkard 1992] und kann damit und mit ihren Folgekrankheiten einem langen und erfüllten Leben im Weg stehen. In Deutschland verursacht Adipositas mit ihren Folgekrankheiten Kosten in Höhe von mehr als 21 Milliarden DM pro Jahr [Schneider 1996, Colditz 1992, Henke 1997]. Meist ist Adipositas auch mit Bewegungsmangel verbunden, einem wahrscheinlich eigenständigen Risikofaktor für degenerative Gefäßkrankheiten [Wei 1999, Paffenbarger 1978]. Der BMI hat eine reziproke Beziehung zur Lebenserwartung [Allison 1999, Andres 1985, Manson 1987]. Er wird deshalb auch zur Schätzung des Idealgewichts, d.h. des größenspezifischen Gewichts mit der höchsten Lebenserwartung, herangezogen. Die aus der Beziehung zwischen BMI und 60% 1991 1998 50% 40% Männer 30% Frauen 20% 10% 0% 25-<30 >30 BMI 25-<30 >30 Abb. 2 Übergewicht/Adipositas in den westlichen Bundesländern. Vergleich zwischen 1991 und 1998. Lebenserwartung abgeleiteten Werte für das Idealgewicht unterscheiden sich zwischen Männern und Frauen und sind altersabhängig [Andres 1985]. Weltweit ließen sich bisher allgemein akzeptierte, größenbezogene Idealgewichte nicht verbindlich vereinbaren [Blackburn 1994]. Deshalb werden zur Beurteilung von BMI-Werten grobe Kriterien verwendet: 25 kg/m2 ist der Grenzwert, von dem an man Personen als übergewichtig bezeichnet. Im Bereich zwischen 25 und 30 kg/m2 spricht man nur von Übergewicht, oberhalb von 30 kg/m2 von Adipositas und bei mehr als 40 kg/m2 von extremer Adipositas. Die Verbreitung von gesundheitsrelevantem Übergewicht ist in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten sehr hoch [Bergmann 1988, Weber 1990]. Tab. 3 faßt die BMI-Werte in 5 Klassen für Männer und Frauen aus west- und ostdeutschen Bundesländern zusammen. Danach haben 67% der westdeutschen und 66% der ostdeutschen Männer Übergewicht, also BMI-Werte von 25 kg/m2 oder mehr. Bei den Frauen sind es 52% im Westen und 57% im Osten. Adipös, d.h. erheblich bis extrem übergewichtig, sind bei den Männern 18% im Westen und 21% im Osten und bei den Frauen 21% im Westen und 24% im Osten. Es fällt auf, daß Adipositas bei Männern und Frauen aus den östlichen Bundesländern häufiger vorkommt als bei denen aus den westlichen. In Abb. 1 ist die Prävalenz von Adipositas (BMI ≥30) für die Altersklassen nach Geschlecht und Ost-West-Zugehörigkeit dargestellt. Unter den ostdeutschen Männern im Alter von 40 bis 49 sowie 60 bis 69 Jahren und unter ostdeutschen Frauen im Alter von 18 bis 19 sowie über 50 Jahren ist die Prävalenz von Adipositas wesentlich höher als bei gleichaltrigen Gruppen aus Westdeutschland. Für den folgenden zeitlichen Vergleich wurde eine andere Gewichtung eingesetzt, um die Stichproben vergleichbar zu machen. Außerdem wurde nur der Altersbereich von 25–69 Jahre berücksichtigt. Deshalb können einzelne Prozentzahlen abweichen von vorher genannten. An der großen Verbreitung von Übergewicht und Adipositas in ost- und westdeutschen Bundesländern hat sich zwischen den beiden Zeitpunkten 1990/1992 und 1998 folgendes geändert (Abb. 2 und 3): Bei Männern ist die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas sowohl im Osten als auch im Westen angestiegen. Am deutlichsten sind diese Unterschiede für starkes Übergewicht oder Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) bei Männern aus westlichen Bundesländern, wo die Verbreitung von 17,4 auf 19,4% um 2 Prozentpunkte, verglichen mit der Verbreitung von 1991 also um 11,5% zugenommen hat. Bei Männern aus den östlichen Beitrag: 357.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S119 Körpermaße und Übergewicht 60% 6 1991 1998 50% 40% Männer 30% Frauen 20% 10% 0% 25-<30 >30 BMI 25-<30 >30 Abb. 3 Übergewicht/Adipositas in den östlichen Bundesländern. Vergleich zwischen 1991 und 1998. Bundesländern ist ein Anstieg von 20,6 auf 21,8% um 1,2 Prozentpunkte, verglichen mit 1991 also um 5,9%, zu beobachten. Bei Frauen sieht man unterschiedliche Entwicklungen: Die Verbreitung von starkem Übergewicht (BMI≥ 30 kg/m2) ist bei Frauen aus westlichen Bundesländern von 19,6 auf 20,9% um 1,3 Prozentpunkte angestiegen (verglichen mit dem Ausgangswert von 1991 also um 6,4%). Bei Frauen aus den östlichen Bundesländern ist ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Insbesondere die Prävalenz von starkem Übergewicht hat von 25,8 auf 24,2% um 1,6 Prozentpunkte (also um 6,3%) abgenommen; sie liegt mit 24,2% allerdings immer noch deutlich über der bei Frauen aus westlichen Bundesländern. Der allgemeine Trend bestätigt Beobachtungen anderer Studien [Barth 1997, Kuczmarski 1994, Mokdad 1999, Sörensen 1990]. Aus unseren früheren Untersuchungen geht hervor [Bellach 1996], daß die Verbreitung der Adipositas stark von soziodemographischen Merkmalen, von der Gemeindegrößenklasse und weiteren Variablen beeinflußt wird. Darauf wird in einer gesonderten Mitteilung genauer eingegangen. Außerdem ist eine weitere Aufschlüsselung und differenzierte Analyse der BMI-Werte unter 20 kg/m2 vorgesehen, damit auch das Problem der Magersucht angemessen beschrieben werden kann. Danksagung Wir danken Frau Duckwitz für die Hilfe bei der Manuskripterstellung. Literatur 1 2 3 4 5 Allison DB, Fontaine KR, Manson JE, Stevens J, VanItallie TB (1999). Annual deaths attributable to obesity in the United States. JAMA 282: 1530–1538 Andres R, Elahi D, Tobin JD, Muller BA, Brant L (1985). Impact of age on weight goals. In: National Institutes of Health Consensus Development Conference. Health implications of obesity. Ann Int Med 102: 1030–1033 Barth N, Ziegler A, Hummelmann GW et al. (1997). Significant weight gains in a clinical sample of obese children and adolescents between 1985 and 1995. Int J Obesity 21: 122–126 Bellach BM (Hrsg.). Die Gesundheit der Deutschen, Band 2. RKIHefte 15/1996, Robert Koch-Institut Berlin Bergmann KE, Menzel R, Bergmann E, Tietze K, Stolzenberg H, Hoffmeister H (1989). Verbreitung von Übergewicht in der erwachsenen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Akt. Ernähr. 14: 205–208 Bergmann KE (1985). Die Gesundheitsrisiken durch Adipositas. Der Kassenarzt 42: 38–42 7 Bergmann RL, Bergmann KE, Eisenberg A (1984). Offspring of diabetic mothers have a higher risk for childhood overweight than offspring of diabetic fathers. Nutr Res 4: 545–552 8 Bergmann RL, Bergmann KE, Kollmann F, Maaser R und Hövels O (1977). Wachstum. Atlas. Papillon, Wiesbaden 9 Bergmann RL, Bergmann KE (1986). Nutrition and growth in infancy. In: Falkner F, Tanner JM eds. Human Growth. A Comprehensive Treatise. 2nd Edition. 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Vol 3: Methodology, Ecological, Genetic, and Nutritional Effects on Growth. Plenum Press New York: 307–331 35 Weber I, Abel M, Altenhofen L et al. (1990). Dringliche Gesundheitsprobleme der Bevölkerung. Übergewicht. Nomos Verlagsges., Baden-Baden: 131–136 36 Wei M, Kampert JB, Barlow CE, Nichaman MZ, Gibbons LW, Paffenbarger RS jr, Blair SN (1999). Relationship between low cardiorespiratory fitness and mortality in normal-weight, overweight, and obese men. JAMA 282: 1547–1553 K. E. Bergmann Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin Beitrag: 357.fm Ausdruck vom 25.5.00 S121 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE ›› Das Rauchverhalten in Deutschland Zusammenfassung: 7124 Männer und Frauen im Alter von 18 bis 79 Jahren wurden im Rahmen des Bundes-Gesundheitssurveys unter anderem nach ihren Rauchgewohnheiten gefragt. Danach rauchte im Jahre 1998 ein Drittel der Bevölkerung im Alter von 18 bis 79 Jahren; 37% der Männer und 28% der Frauen. In den jüngsten Altersgruppen sind die Raucheranteile am höchsten: 49% der männlichen 18–24jährigen und 44% der weiblichen rauchen. Der mittlere Zigarettenkonsum je Raucher liegt für Männer bei 20, für Frauen bei 16 Stück täglich. Rund ein Drittel der Raucher hat während des letzten Jahres mindestens einen Versuch unternommen, mit dem Rauchen aufzuhören. Das Alter zu Beginn des Rauchens lag bei 86% der Männer und 80% der Frauen unter 20 Jahre. Seit der letzten Survey-Erhebung 1990/92 sank der Raucheranteil bei Männern in den alten Bundesländern um 3 Prozentpunkte, in den neuen Bundesländern blieb er auf gleicher Höhe. Bei Frauen im Westen stieg der Raucheranteil um knapp einen Prozentpunkt, im Osten dagegen um 8 Prozentpunkte (von 21 auf 29 %). Das ist ein Anstieg um 42% in nur 7 Jahren. Schlüsselwörter: Raucheranteil – Exraucher – Nieraucher – Mittlerer Konsum je Raucher Smoking in Germany: In a representative sample, 7,124 men and women in the age of 18 to 79 years were interviewed regarding their smoking habits. In 1998, one third of the participants, 37% of the men and 28% of the women, were smokers. The highest proportion of smokers was found in the youngest age group of 18 to 24 years – 49% males and 44% females. The mean cigarette consumption of male smokers was 20 cigarettes per day, that for female smokers was 16. About one third of the smokers have tried to stop smoking at least once during the past year. 86% of the men and 80% of the women started their habit under the age of 20. Compared to a previous survey in 1990/92, the proportion of male smokers dropped by 3% in West Germany, whereas in East Germany the figure remained the same. The proportion of female smokers rose by 1% in West Germany and by 8% in East Germany (from 21% to 29 %). The latter change means an increase of the smoking prevalence by 42% in East German women during the short period of only 7 years. Key words: Proportion of Smokers – Ex-Smokers – Never Smokers – Mean Cigarette Consumption per Smoker Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S121–S125 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York B. Junge, M. Nagel Robert Koch-Institut, Berlin Einführung Rauchen gefährdet die Gesundheit. Diese Aussage der EG-Gesundheitsminister ist auf jeder Zigarettenpackung nachzulesen. Nicht gesagt wird, wie hoch die Gefährdung ist: Das Rauchen gehört zu den bedeutsamsten vermeidbaren Ursachen für Krankheit, Invalidität und vorzeitigen Tod. Jedes Jahr (!) sind in Deutschland mehr als 100000 Todesfälle dem Tabakkonsum anzulasten. Tabakwaren sind in Deutschland frei verfügbar. Mit 37% aller verkauften Zigaretten steht der Lebensmittelhandel an der Spitze der Vertriebswege, an zweiter Stelle folgt der Automatenvertrieb mit fast 30% [Junge 1999]. Ein Mindestalter für die Abgabe von Tabakwaren existiert nicht. In den letzten fünf Jahren stieg der Zigarettenkonsum in Deutschland um 8 %, der Konsum an Zigarren und Zigarillos um 72% [Junge 1999]. Angesichts solcher Fakten ist es von besonderer Bedeutung, über das Rauchverhalten unserer Bevölkerung informiert zu sein. Mehrere Institutionen erheben in unterschiedlichen Zeitabständen und für verschiedene Altersgruppen Daten zum Tabakkonsum. Die letzten Erhebungen waren – der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes 1995 (Alter ab 10 Jahre) [Statistisches Bundesamt 1996], – die Aktionsgrundlagen 1995 (Alter ab 14 Jahre) [Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1996], – die Drogenaffinitätsstudie 1997 (Alter 12–25 Jahre) [Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1998], – sowie die Bundesstudie 1997 des Bundesministeriums für Gesundheit/des Instituts für Therapieforschung (Alter 18– 59 Jahre) [Kraus, Bauernfeind 1998]. Hier schließt der Bundesgesundheitssurvey 1998 (Alter 18– 79 Jahre) [Bellach et al. 1998, Thefeld et al. 1999] an, aus dem nachfolgend erste Auswertungsergebnisse berichtet werden. Beim Vergleich der Zahlen mit denen aus anderen Untersuchungen ist zu beachten, daß nur identische Altersgruppen verglichen werden dürfen. Methodik Im Rahmen des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 wurden in Deutschland 7124 Personen einer repräsentativen Stichprobe der 18- bis 79jährigen Wohnbevölkerung unter anderem zu ihren Rauchgewohnheiten befragt. Weitere methodische Einzelheiten sind an anderer Stelle nachzulesen [Thefeld et al. 1999], z.B. Stichprobenauswahl, Zusammensetzung der Stichprobe, Gewichtungsprozeduren und Response-Raten. Eine Beitrag: 360.fm Ausdruck vom 25.5.00 S122 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 B. Junge, M. Nagel Tab. 1 Nieraucher-Anteil 1998 in Prozent 18–19 Jahre 20–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–79 Jahre insgesamt Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost 41,1 46,0 32,8 31,5 34,4 33,2 23,5 34,5 45,2 48,4 34,2 32,5 33,9 33,1 24,3 35,4 29,7 37,1 26,9 27,9 36,4 33,5 19,7 31,0 50,2 50,1 38,9 45,5 63,0 76,3 79,4 56,7 53,3 51,0 38,8 43,0 60,0 77,0 78,3 55,9 41,4 46,6 39,5 54,6 74,4 73,6 84,2 59,7 ausführliche Beschreibung des Surveys findet sich bei Bellach et al. 1998. Die Bezeichnungen Ost und West stehen für neue und alte Bundesländer. Um einen Vergleich mit den Ergebnissen der letzten SurveyErhebung von 1990/92 [Junge, Stolzenberg 1995] zu ermöglichen, wurden die Angaben aus dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 zu Raucheranteilen (Tab. 7) und mittlerem Zigarettenkonsum (Tab. 8) auf die 1990/92 befragte Altersgruppe 25–69 Jahre beschränkt und durch eine spezielle Gewichtung an die damalige Stichprobe angepaßt [Thefeld et al. 1999]. Dadurch können die Angaben zu Raucheranteilen in Tab. 4 und 7 um etwa einen Prozentpunkt voneinander abweichen. Das gilt auch für die mittlere Zigarettenzahl pro Raucher in Tab. 5 und 8. Den beiden letztgenannten Tabellen liegen außerdem unterschiedliche Bezugsgrößen zugrunde. 1990/92 wurde die Anzahl der Filterzigaretten zu den Filterzigaretten-Rauchern in Beziehung gesetzt. Die Raucher wurden unterschieden nach dem Konsum von Filter-, filterlosen und selbstgedrehten Zigaretten, nicht aber nach der Regelmäßigkeit des Rauchens. Diese Differenzierung wurde erst 1998 vorgenommen, indem die Raucher in tägliche und gelegentliche eingeteilt wurden. Daher sind in Tab. 8 für den Vergleich mit 1990/92 die 1998er Zahlen auf tägliche und gelegentliche Raucher zusammen bezogen. Wenn man für 1998 Zigaretten nur auf tägliche Zigarettenraucher (wie in Tab. 5) statt auf tägliche und gelegentliche Zigarettenraucher (wie in Tab. 8) bezieht, sind die mittleren Zigarettenzahlen pro täglichem Raucher (verständlicherweise) um 1–2 Zigaretten höher. Es ist sinnvoll, wenn man die Möglichkeit hat, den mittleren Konsum nur von täglichen Rauchern zu berechnen. Anteil der Nieraucher 35% der Männer und 57% der Frauen haben nie geraucht (Tab. 1). In den alten Bundesländern sind es 35% der Männer und 56% der Frauen, in den neuen Bundesländern entsprechend 31 und 60%. Bei den Männern sind die Anteile in den einzelnen Altersgruppen weitgehend ähnlich. Allerdings finden sich bei den unter 30jährigen bei Männern wie Frauen höhere Nieraucheranteile als bei den über 30jährigen. Bei den Frauen haben rund 80% der 70–79jährigen nie geraucht, gegenüber rund 40% der 30–39jährigen. Es handelt sich um ein Kohortenphänomen, das heißt, als die 70– 79jährigen jung waren (1940), galten rauchende Frauen fast noch als „unmoralisch“, als die 30–39jährigen im Einstiegsalter waren (1980), war der Zigarettenkonsum in Deutschland auf dem höchsten Stand. Um den Anteil der Nichtraucher zu ermitteln, müssen zu den Nieraucheranteilen die Anteile der Exraucher (Tab. 2) addiert werden. Das ergibt für Männer 63% und für Frauen 72% Nichtraucher, bezogen auf die untersuchte Altersgruppe 18 bis 79 Jahre. Anteil der Exraucher Im Mittel haben 28% der Männer das Rauchen aufgegeben, wobei die Raten mit steigendem Alter von unter 10% auf 60% anwachsen (Tab. 2). Die Altersverteilung in Ost und West ist nahezu identisch. Von den Frauen haben durchschnittlich 15% mit dem Rauchen aufgehört, wobei die höchsten Raten von über 20% im Altersbereich zwischen 30 und 49 Jahren liegen. Die Altersverteilung unterscheidet sich zwischen Ost und West kaum, allerdings von der der Männer erheblich, was nicht nur auf die unterschiedlichen Raucheranteile, sondern auch auf die unterschiedlichen Trends bei der Entwicklung der Raucheranteile in der Vergangenheit zurückzuführen ist. Tab. 2 Exraucher-Anteil 1998 in Prozent 18–19 Jahre 20–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–79 Jahre insgesamt gesamt Männer West Ost gesamt Frauen West Ost 5,2 6,6 18,1 28,4 34,5 48,5 60,2 28,2 7,1 6,0 17,9 28,2 34,5 48,5 60,0 28,2 0,0 8,8 19,3 29,2 34,4 48,6 61,0 28,1 1,4 7,3 20,1 23,6 17,3 11,6 10,6 15,4 1,3 7,3 21,1 25,1 19,5 11,4 11,5 16,4 1,8 7,5 15,8 17,8 8,8 12,4 6,4 11,7 Beitrag: 360.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S123 Das Rauchverhalten in Deutschland Tab. 3 Aussteigerquote 1998 in Prozent (Anteil der Exraucher an der Summe von Rauchern und Exrauchern) 18–19 Jahre 20–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–79 Jahre insgesamt Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost 8,8 12,1 27,0 41,5 52,6 72,6 78,7 43,1 12,9 11,5 27,1 41,7 52,2 72,5 79,3 43,7 0,0 14,0 26,4 40,5 54,0 73,0 75,9 40,8 2,8 14,6 32,9 43,3 46,8 49,2 51,2 35,6 2,7 14,8 34,5 44,1 48,9 49,8 53,0 37,1 3,0 14,0 26,1 39,2 34,4 47,1 40,7 29,1 Bezieht man die Exraucher-Anteile auf die Summe der Raucher und der Exraucher – also auf die „Jemals-Raucher“ –, so erhält man die sogenannte Aussteigerquote (Tab. 3), die im Mittel bei 36 bis 43% liegt. Naturgemäß steigen die Anteile der „Aussteiger“ mit dem Alter an, da mit zunehmendem Alter der Wunsch und die Notwendigkeit aufzuhören, die Unzufriedenheit mit der eigenen Abhängigkeit, immer deutlicher werden. Es gibt jedoch sowohl zwischen alten und neuen Bundesländern als auch zwischen Männern und Frauen Unterschiede in den Aussteigerquoten. Während bis zum Alter von ca. 50 Jahren die Werte bei Männern und Frauen noch sehr ähnlich sind und hier bei rund 40% liegen, bleiben sie bei den älteren Frauen in dieser Größenordnung. Bei den Männern hingegen steigen sie mit höherem Alter auf über 70% an. Zwischen den Anteilen in Ost und West bestehen bei den Männern praktisch keine Unterschiede, bei den Frauen sind die Aussteigerquoten im Westen durchschnittlich um 8 Prozentpunkte höher als im Osten. Anteil der Raucher 37% der Männer und 28% der Frauen im Alter von 18 bis 79 Jahren rauchen (Tab. 4). In den neuen Bundesländern liegt der Raucheranteil der Männer um 5 Prozentpunkte, der der Frauen um einen Prozentpunkt höher als in den alten Bundesländern. Mit dem Alter sinkt der Raucheranteil bei beiden Geschlechtern und in Regionen von rund 50% bei den Jüngeren auf unter 20% bei den Älteren. Erweitert man die niedrigste Altersgruppe 18–19 Jahre auf 18–24 Jahre, ergeben sich alarmierend hohe Raucheranteile von 49% für die männliche und von 44% für die weibliche Bevölkerung. Die Werte im Osten liegen für Männer mit 62% um 17 Prozentpunkte, für Frauen mit 50% um 8 Prozentpunkte über den Werten im Westen (45 bzw. 42 %). 83% der männlichen und 79% der weiblichen Raucher rauchen täglich, 17% bzw. 21% gelegentlich. Bei den Männern bestehen zwischen Ost und West keine Unterschiede, bei den Frauen sind im Westen 81% tägliche, 19% gelegentliche Raucher, im Osten 69% tägliche, 31% gelegentliche Raucher. Zwischen den einzelnen Altersgruppen bestehen praktisch keine relevanten Differenzen. Ganz überwiegend wird Tabak heute in Form von Zigaretten geraucht. Von den männlichen Tabakkonsumenten rauchen ca. 4% Zigarren/Zigarillos bzw. Pfeife, von den weiblichen sind es lediglich 0,4 bzw. 0,2 %. Zigarettenkonsum je Raucher Zur Beurteilung der gesundheitlichen Belastung der Bevölkerung durch das Rauchen ist neben dem Raucheranteil die Konsummenge je Raucher als zweite Meßgröße notwendig. Wie aus Tab. 5 ersichtlich ist, rauchen Männer durchschnittlich 20, Frauen 16 Zigaretten am Tag. Bis zum Alter von 69 Jahren sind die Werte recht einheitlich, darüber ist der Konsum niedriger. Es bestehen Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern: Im Westen rauchen sowohl Männer als auch Frauen täglich im Durchschnitt drei Zigaretten mehr als im Osten. Rauchbeginn 86% der männlichen und 80% der weiblichen Raucher haben mit dem Rauchen begonnen, als sie jünger als 20 Jahre waren (Tab. 6). Bei den 20–29jährigen sind es sogar etwa 95 %, die beim Rauchbeginn jünger als 20 waren, bei den 30– 39jährigen immerhin noch fast 90 %. Erst die Jahrgänge, die der Kriegs- und Nachkriegsgeneration angehören, hatten zu größeren Teilen – besonders bei den Frauen – ein späteres Einstiegsalter; dennoch haben auch bei diesen Männern, die 50 Jahre oder älter sind, 70 bis 80 %, bei den gleich alten Tab. 4 Raucher-Anteil 1998 in Prozent 18–19 Jahre 20–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–79 Jahre insgesamt Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost 53,7 47,4 49,1 40,1 31,1 18,3 16,3 37,3 47,7 45,7 47,9 39,4 31,6 18,4 15,7 36,3 70,3 54,1 53,8 42,9 29,3 17,9 19,4 40,8 48,4 42,6 41,0 30,9 19,7 12,0 10,0 27,9 45,5 41,8 40,1 31,8 20,4 11,5 10,2 27,7 56,8 46,0 44,7 27,6 16,8 14,0 9,4 28,6 Beitrag: 360.fm Ausdruck vom 25.5.00 S124 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 B. Junge, M. Nagel Tab. 5 Mittlere Anzahl gerauchter Zigaretten pro täglichem Zigarettenraucher 1998 18–19 Jahre 20–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–79 Jahre insgesamt Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost 14,7 18,3 20,3 21,9 19,8 18,0 14,0 19,6 15,2 18,4 20,5 22,9 20,6 19,0 15,1 20,2 13,7 18,1 19,4 18,7 16,3 13,6 10,8 17,7 13,3 14,6 16,2 17,9 16,0 15,7 9,4 15,8 14,0 14,4 17,0 18,7 16,6 17,0 9,2 16,3 11,5 15,3 13,1 14,2 11,9 11,5 10,5 13,3 Tab. 6 Anteil der Raucher, die bis zum Alter von 20 Jahren mit dem Rauchen begonnen haben, in Prozent, 1998 18–19 Jahre 20–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–79 Jahre insgesamt Männer gesamt West Ost Frauen gesamt West Ost 100,0 95,0 89,5 80,5 73,0 75,3 84,4 85,7 100,0 95,2 88,4 79,9 73,5 74,3 86,0 85,1 100,0 94,4 93,6 82,2 70,5 79,6 77,7 87,6 100,0 94,1 87,6 79,6 57,8 44,9 36,9 79,6 100,0 93,2 87,7 82,9 61,4 43,9 34,5 80,1 100,0 97,4 87,6 65,9 41,0 48,2 48,5 77,7 Frauen rund 50% schon vor dem 20. Lebensjahr mit dem Rauchen begonnen. Aufhörversuche Nicht alle Raucher rauchen gern. Dies dokumentiert nicht nur Tab. 3 über die Aussteigerquote. Die Vorstufen zum Ausstieg, also die meist mehrfachen Aufhörversuche, finden sich in den folgenden Zahlen: 1998 haben 35% der rauchenden Männer (West 37 %, Ost 31 %) und 33% der rauchenden Frauen (Ost und West identisch) während der letzten 12 Monate mindestens einmal versucht aufzuhören. Die rauchfreie Zeit betrug einen Tag oder mehr. Da nur sehr geringe Unterschiede zwischen den einzelnen Altersgruppen bestehen, ist hierzu keine Tabelle abgedruckt. Veränderungen seit 1990/92 Um eine Aussage über die Veränderung der gesundheitlichen Belastung der Bevölkerung durch das Rauchen zu erhalten, wurden die Angaben zum Raucheranteil und zur mittleren Zigarettenzahl je (Zigaretten-)Raucher aus dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 mit entsprechenden Angaben eines früheren Surveys von 1990/92 [Junge, Stolzenberg 1995] ver- glichen. Die Zahlen beziehen sich – im Unterschied zu den Tab. 1 bis 6 – auf die Altersgruppe 25–69 Jahre (zur Vergleichbarkeit der Merkmale siehe „Methodik“). Wie aus Tab. 7 zu ersehen ist, ist der Raucheranteil bei den Männern im Westen um knapp 3 Prozentpunkte gesunken, im Osten hat er sich innerhalb von sieben Jahren nicht verändert. Bei den Frauen im Westen ging der Raucheranteil seit 1990/92 lediglich um knapp 1% in die Höhe. Bei den Frauen im Osten erhöhte sich der Raucheranteil um 8 Prozentpunkte – das ist ein Anstieg um 42% in nur sieben Jahren! Betrachtet man die Entwicklung der mittleren Zigarettenzahl je Zigarettenraucher zwischen 1990/92 und 1998 (Tab. 8), so blieb der Tageskonsum bei Männern praktisch unverändert bei 18 Zigaretten, bei Frauen ging er um eine Zigarette zurück. Im Westen ging der tägliche Durchschnittskonsum zurück: bei Männern um eine halbe, bei Frauen um eine Zigarette pro Tag. Im Osten stieg der mittlere Konsum je Raucher bei Männern um eine, bei Frauen um eine halbe Zigarette. Damit hat sich die gesundheitliche Belastung durch das Rauchen bei den Männern im Westen reduziert, weil sowohl die Zahl der Raucher als auch die von diesen konsumierte Zigaret- Tab. 7 Vergleich der Raucheranteile 1990/92 mit 1998 (in Prozent) Altersgruppen analog Survey 1990/92, Gewichtung 1998 vergleichbar mit 1990/92 (siehe Thefeld et al. 1999 und „Methodik“) 25–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre insgesamt Männer gesamt 1990/92 1998 West 1990/92 1998 Ost 1990/92 1998 Frauen gesamt 1990/92 1998 West 1990/92 1998 Ost 1990/92 1998 47,4 49,3 40,3 32,8 24,9 39,5 46,0 48,5 40,9 32,8 25,5 39,2 52,6 52,1 38,1 32,7 22,3 40,6 41,0 39,2 28,4 16,9 11,7 26,7 41,8 40,8 32,1 18,6 12,3 28,3 38,0 33,7 14,3 10,7 9,5 20,5 46,0 48,9 39,0 30,3 18,0 37,4 45,0 47,4 37,6 30,7 18,1 36,5 49,8 54,3 44,4 28,6 17,4 40,5 Beitrag: 360.fm Ausdruck vom 25.5.00 44,3 41,3 30,7 20,5 11,9 29,0 44,0 40,6 31,7 21,2 11,3 28,9 45,7 43,8 27,0 18,2 14,3 29,1 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S125 Das Rauchverhalten in Deutschland Tab. 8 Vergleich der mittleren Anzahl gerauchter Zigaretten pro Zigarettenraucher 1990/92 mit 1998 Altersgruppen analog Survey 1990/92, Gewichtung 1998 vergleichbar mit 1990/92 (siehe Thefeld et al. 1999 und „Methodik“) 25–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre insgesamt Männer gesamt 1990/92 1998 West 1990/92 1998 Ost 1990/92 1998 Frauen gesamt 1990/92 1998 West 1990/92 1998 Ost 1990/92 1998 18,0 18,9 20,4 17,9 13,4 18,4 19,3 19,6 21,6 18,8 13,7 19,2 14,1 17,1 16,6 15,1 12,2 15,7 15,0 14,4 17,1 14,6 9,3 14,7 16,3 15,3 17,8 15,2 9,6 15,5 9,5 10,6 12,0 11,0 7,5 10,3 17,2 18,5 19,9 17,8 15,2 18,2 17,1 18,6 20,9 18,5 15,9 18,6 17,5 18,2 16,6 15,3 12,0 16,9 tenmenge abnahm. Bei den Frauen im Westen hat sich zwar der Raucheranteil etwas erhöht, dafür ging allerdings der Tageskonsum um eine Zigarette zurück. Im Osten stieg die Belastung: Wenn auch der Raucheranteil bei Männern unverändert blieb, so wuchs doch die Konsummenge um eine Zigarette. Bei Frauen stiegen sowohl der Raucheranteil als auch der mittlere tägliche Konsum. 12,2 14,0 15,6 14,3 12,0 13,8 12,5 14,9 16,5 15,3 12,6 14,6 11,1 11,0 11,7 9,7 10,1 10,9 kungen auf die gesundheitlichen Folgen sind am Beispiel der Lungenkrebs-Sterbeziffern auszumachen. Diese sind für die Altersgruppen zwischen 45 und 74 Jahren in den letzten zehn Jahren bei Männern um 4 bis 14% gesunken, bei Frauen um 21 bis 87% gestiegen [Junge 1998]. Die Schlußfolgerung des Autors: „Wenn Frauen rauchen wie Männer, sterben sie wie Männer.“ Literatur Diskussion 1 Die hier beschriebenen ersten Auswertungsergebnisse des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 sind die aktuellsten Zahlen zum Rauchverhalten in Deutschland. Ein Problem, welches viele derartige Untersuchungen haben, ist die Vergleichbarkeit mit anderen Erhebungen. Da fast jede erhebende Institution einen anderen Altersbereich untersucht und sich dieser manchmal sogar beim selben Untersucher nach einigen Jahren ändert, ist es praktisch kaum möglich, ohne Vorliegen der jeweiligen Datenbank einen größeren deckungsgleichen Altersbereich zu vergleichen. Versucht man statt dessen, nur veröffentlichte Zahlen für 5- oder 10-Jahres-Altersgruppen zu verwenden, so hat man es mit immer kleiner werdenden Stichprobenumfängen und entsprechend größer werdenden Streuungen zu tun. Ein möglicher erster Ausweg könnte im Rahmen einer Arbeitsgruppe des 1999 begonnenen WHOPartnerschaftsprojekts Tabakabhängigkeit gefunden werden, wenn aus den großen Erhebungen der letzten Jahre für den größtmöglichen gemeinsamen Altersbereich Zahlen zum Rauchverhalten berechnet werden. Ein gravierendes Ergebnis der vorliegenden Auswertung ist der enorme Anstieg des Raucheranteils bei Frauen in den neuen Bundesländern. Dies kann als Bestätigung der Drogenaffinitätsstudie 1997 [Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1998] angesehen werden. Für die Altersgruppe der 12–24jährigen wurde dort eine ähnlich drastische Erhöhung des Raucheranteils im Osten seit 1993 gefunden. Auch in der vorliegenden Untersuchung wird wieder deutlich, daß sich die Raucheranteile von Männern und Frauen immer weiter annähern, je jünger die Befragten sind. Während in den alten Bundesländern für die Altersgruppe 18–79 Jahre die Anteile sich mit 36% für Männer und 28% für Frauen noch relativ deutlich unterscheiden, ist diese Differenz bei den 18– 29jährigen auf 2 bis 4% zusammengeschmolzen (48/46 %, 46/ 42%, vgl. Tab. 4). Der zeitliche Trend spricht dafür, daß sich diese Entwicklung fortsetzt: Bei Männern gehen die Raucheranteile eher zurück, bei Frauen steigen sie eher. Die Auswir- 2 3 4 5 6 7 8 9 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: S59– S68, Thieme, Stuttgart Junge B (1998). Rauchen und Lungenkrebs bei Frauen: Werden die Männer überholt? Bundesgesundheitsblatt 41: 474–477 Junge B (1999). Tabak – Zahlen und Fakten zum Konsum. In: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg). Jahrbuch Sucht 2000, 22–52, Neuland-Verlag, Geesthacht Junge B, Stolzenberg H (1995). Tabakkonsum. In: Hoffmeister H, Bellach BM (Hrsg). Die Gesundheit der Deutschen. Ein Ost-WestVergleich von Gesundheitsdaten. Auswertung der Daten des Surveys Neue Bundesländer 1991/1992 im Vergleich mit den Daten des 3. Durchgangs (t 2) des Nationalen Gesundheitssurveys der DHP (1990/1991). überarbeitete Auflage, RKI-Hefte 7/ 1995, 160–164, Robert Koch-Institut, Berlin Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (1996). Fachserie 12: Gesundheitswesen, Reihe S. 3: Fragen zur Gesundheit 1995. MetzlerPoeschel, Stuttgart Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg) (1996). Aktionsgrundlagen 1995. Köln Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg) (1998). Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland – Wiederholungsbefragung 1997, Köln Kraus L, Bauernfeind R (1998). Repräsentativerhebung zum Gebrauch psychoaktiver Substanzen bei Erwachsenen in Deutschland 1997. Sucht 44: Sonderheft 1 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999). Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer, NonResponder-Analyse. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S57– S61 Burckhard Junge Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin Beitrag: 360.fm Ausdruck vom 25.5.00 S126 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE ›› Körperliche Aktivität Zusammenfassung: Anhand der Fragebogenangaben des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 wurde das aktuelle körperliche Aktivitätsniveau in Deutschland festgestellt. Durch Heranziehung von ähnlichen Daten aus dem Nationalen Gesundheitssurveys 1990/92 wurde den zeitlichen Veränderungen in Aktivitätsniveaus nachgegangen. Derzeit ist ein sehr hoher Anteil der Bevölkerung in der Freizeit nicht körperlich aktiv. Dieser Anteil ist bei den ostdeutschen Männern höher als bei den westdeutschen und bei den älteren ostdeutschen Frauen ebenfalls höher als bei den älteren westdeutschen. Bei den jüngeren ostdeutschen Frauen ist der Anteil der Inaktiven jedoch niedriger als im Vergleich zu Gleichaltrigen im Westen. Der Anteil der Personen, die mehr als 2 Stunden pro Woche körperlich aktiv sind, ist bei den westdeutschen Männern höher als im Osten und bei west- und ostdeutschen Frauen in etwa gleich, aber in den jüngeren Jahrgängen ist der Anteil der Aktiven bei den ostdeutschen Frauen höher. In den letzten 7 Jahren hat sich der Anteil der Inaktiven bei den unter 50jährigen Männern im Westen und Osten Deutschlands erhöht. Bei den über 50jährigen ist jedoch eine Abnahme des Anteils der Inaktiven zu sehen. Bei Frauen ist die Abnahme schon ab einem Alter von 30 Jahren festzustellen und auch wesentlich deutlicher als bei Männern. Generell hat der Anteil der Aktiven, d.h. Personen, die mehr als 2 Stunden pro Woche sportlich aktiv sind, bei Männern und Frauen in Ost und West zugenommen. Schlüsselwörter: Körperliche Aktivität Physical Activity: The questionnaire data of the German National Health Interview and Examination Survey 1998 were used to determine the actual physical activity level in Germany. With the use of similar data from the National Health Surveys 1990/92 changes in activity level over time were estimated. At present, a large part of the population is sedentary during leisure time. Among men this proportion is larger in the eastern part and among older women in the western part of Germany. The proportion of young sedentary women is, however, smaller in the eastern part of Germany. The proportion of men engaged in sport for two hours per week or more, is larger in the western part of Germany. Among West and East German women this proportion is almost equal, although among younger women more are active in the eastern part. During the last seven years, the proportion of sedentary men younger than 50 years of age has grown, whereas the same Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S126–S131 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York G. B. M. Mensink Robert Koch-Institut, Berlin proportion has declined among those over 50 years of age. Among women a similar decline is apparent above 30 years of age and more pronounced as it is for men. In general, the proportion of active men and women engaged in sport during leisure time for more than 2 hours per week has increased. Key words: Physical Activity Einleitung Die Notwendigkeit, sich körperlich zu betätigen, hat sich in vielen Lebensbereichen wie im Haushalt, bei der Arbeit und während des Transports in den letzten Jahrzehnten ständig verringert. Deshalb ist ein überwiegend sitzender Lebensstil inzwischen der Normalfall. Für unseren Organismus ist ein derartiger Lebensstil aber auf Dauer schädlich, und Menschen, die etwas Positives für ihre Gesundheit tun wollen, sind gut beraten, wenigstens in ihrer Freizeit regelmäßig aktiv zu sein. Regelmäßige körperliche Aktivität verringert sowohl die Risikofaktoren als auch das Mortalitätsrisiko von Herz-KreislaufKrankheiten [Mensink 1996]. Ein körperlich aktiver Lebensstil kann Übergewicht, Osteoporose und Wirbelsäulenproblemen vorbeugen und kann sich auch positiv auf den Krankheitsverlauf von Diabetes mellitus und Kolon-Krebs auswirken [Bouchard 1994, Pate 1995, U.S. Department of Health and Human Services 1996]. Selbst im hohen Alter ist regelmäßige Bewegung zu empfehlen, damit Gelenkbeweglichkeit, Muskelkraft und Leistungsfähigkeit erhalten bleiben [Fiaterone 1994, Mensink 1999, Chin A Paw 1999]. Im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 wurden mehrere Fragen zum körperlichen Aktivitätsverhalten gestellt. Ein erster Überblick zum derzeitigen Bewegungsniveau in Deutschland wird im folgenden dargestellt. Methoden Die Untersuchung des Bundes-Gesundheitssurveys enthielt einen selbst auszufüllenden Fragebogen, in dem neben anderen gesundheitsrelevanten Fragen auch solche zum körperlichen Aktivitätsverhalten gestellt wurden. In einem 24-Stunden-Erinnerungsprotokoll wurde jeweils für die Werktage und für das Wochenende erfragt, wieviel Zeit man mit unterschiedlichen Aktivitäten verbracht hat. Dies sollte insgesamt 24 Stunden ergeben. Es wurden die Kategorien „Schlafen“, „Sitzen“, „leichte Tätigkeiten“, „mittelschwere Tätigkeiten“ und „anstrengende Tätigkeiten“ erfragt. Um die Einordnung Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S127 Körperliche Aktivität anstrengende Tätigkeit 2,1 Schlafen 7,6 anstrengende Tätigkeit 1,3 mittelschwere Tätigk. 2,9 Schlafen 8,6 leichte Tätigkeit 4,9 leichte Tätigkeit 4,3 Sitzen 7,2 Werktag mittelschwere Tätigk. 2,5 Abb. 1 Körperliche Aktivitäten in Stunden pro Tag, Mittelwerte Männer. Sitzen 6,8 Wochenendtag zu erleichtern, wurden entsprechende Beispiele bei den Kategorien genannt: – Schlafen, Ruhen – Sitzen (z.B. im Büro, im Auto, beim Fernsehen, Essen oder Lesen) – leichte Tätigkeiten (z.B. Kochen, Spazierengehen, Einkaufen, Aufräumen, Körperpflege, Verkaufstätigkeit) – mittelschwere Tätigkeiten (z.B. Joggen, Renovieren, Putzen, Radfahren, Schwimmen, Bauarbeit) – anstrengende Tätigkeiten (z.B. Lastentragen, schwere Gartenarbeit, Holzhacken, Leistungssport, Ballsport) Außerdem wurde die Frage gestellt: „Wie oft treiben Sie Sport?“ mit den Antwortmöglichkeiten: – regelmäßig, mehr als 4 Stunden in der Woche – regelmäßig, 2–4 Stunden in der Woche – regelmäßig, 1–2 Stunden in der Woche – weniger als 1 Stunde in der Woche – keine sportliche Betätigung. Für einen Vergleich mit der Befragung von 1991 wurden die Kategorien „regelmäßig, mehr als 4 Stunden in der Woche“ und „regelmäßig, 2–4 Stunden in der Woche“ zusammengefaßt. Eine weitere Frage lautete: „Wie häufig treiben Sie in Ihrer Freizeit durchschnittlich Sport oder andere anstrengende Tätigkeiten, durch die Sie ins Schwitzen bzw. außer Atem geraten?“ mit den Antwortmöglichkeiten „weniger als 10“, „10 bis 20“, „20 bis 30“ und „30 Minuten und mehr“ für die jeweiligen Kategorien: – täglich – 3- bis 6mal in der Woche – 1- bis 2mal in der Woche – seltener, ca. 1mal im Monat oder die Antwortmöglichkeit „nie“. Aus dieser letzten Frage wurde der Anteil der Bevölkerung errechnet, der die derzeitige Empfehlung der amerikanischen Centers for Disease Control erreicht. Nach dieser Empfehlung sollte jeder Erwachsene mindestens eine halbe Stunde an den meisten, am besten an allen Tagen in der Woche auf einem moderaten oder anstrengenden Niveau körperlich aktiv sein [Pate 1995]. Die Ergebnisse wurden gewichtet dargestellt, um die Repräsentativität für die deutsche Bevölkerung von 1998 zu ge- währleisten. Des weiteren wurde mit einer anderen Gewichtung ausgewertet, um einen Vergleich mit den Angaben aus dem Gesundheitssurveys 1990/92 zu ermöglichen. Die Auswertungen erfolgten mit SAS, Version 6.12. Körperliche Aktivitäten im Tagesverlauf Generell ist der Tagesverlauf in Deutschland durch bewegungsarme Tätigkeiten geprägt. In Abb. 1 wird für Männer und in Abb. 2 für Frauen die durchschnittliche Zeit, die täglich für fünf Tätigkeitskategorien benutzt wird, dargestellt (durch Abrundungen beträgt die gesamte Tageszeit nicht exakt 24 Stunden). Im Durchschnitt schlafen die Männer 7,6 Stunden, die Frauen 7,9 Stunden an Werktagen. Am Wochenende schlafen beide Geschlechter etwa eine Stunde mehr. Männer sitzen während der Wochentage im Durchschnitt etwas länger als Frauen, am Wochenende ist diese Differenz jedoch nur gering. Frauen verbringen mehr Zeit mit leichten Tätigkeiten, sowohl während der Woche als auch am Wochenende. Diese Geschlechterdifferenz ist wahrscheinlich auf Tätigkeiten im Haushalt zurückzuführen. Männer verbringen dagegen mehr Zeit mit mittelschweren und anstrengenden Tätigkeiten. Bei Männern ist die Differenz zwischen Werktagen und Wochenende am größten bei anstrengenden Tätigkeiten. Hierfür ist wahrscheinlich der Teil der männlichen Bevölkerung verantwortlich, der berufsbedingt anstrengende Tätigkeiten erledigen muß. Während sich bei Männern Werktage und Wochenenden unterscheiden, sind bei Frauen die zeitlichen Anteile der einzelnen Tätigkeiten an Werktagen und Wochenenden im Mittel etwa gleich. Im übrigen sehen die täglichen Aktivitätsmuster bei Frauen im Westen und im Osten Deutschlands ziemlich ähnlich aus (Ergebnisse sind nicht dargestellt). Männer im Osten jedoch verbringen im Mittel an Werktagen jeweils eine halbe Stunde mehr mit mittelschweren und anstrengenden Tätigkeiten. Im Osten ist offensichtlich mehr körperlicher Einsatz während der Arbeit gefragt. Freizeitaktivität Mehr als die Hälfte des Tages verbringen die Deutschen im Durchschnitt mit Schlafen und Sitzen. Es gilt vor allem für Personen, bei denen der inaktive Teil des Tages noch größer ist, in der Freizeit einen Ausgleich zu finden. Inwieweit dieser S128 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 anstrengende Tätigkeit 1 G. B. M. Mensink anstrengende Tätigkeit mittelschwere 0,7 Tätigk. 2,4 mittelschwere Tätigk. 2,7 Schlafen 7,9 Schlafen 8,7 leichte Tätigkeit 5,7 leichte Tätigkeit 5,7 Sitzen 6,8 Sitzen 6,6 Werktag Wochenendtag Ausgleich tatsächlich stattfindet, kann anhand der erfragten Zeit und Häufigkeit des Freizeitsports geprüft werden. Von der gesamten Bevölkerung betreiben 43,8% der Männer und 49,5% der Frauen überhaupt keinen Sport in ihrer Freizeit. Lediglich 10,5% der Männer und 5,1% der Frauen sind mehr als 4 Stunden pro Woche sportlich aktiv. Immerhin sind noch 13,0% der Männer und 10,3% der Frauen wenigstens 2– 4 Stunden pro Woche sportlich aktiv. Diese sportliche Aktivität in der Freizeit ist für die jeweiligen Altersklassen und für Deutschland Ost und West in Abb. 3 für die Männer und in Abb. 4 für Frauen aufgeführt. Der Anteil der Inaktiven nimmt mit dem Alter erheblich zu und erreicht im Alter von 70–79 Jahren 72,3 bzw. 73,5% bei den westdeutschen Männern und Frauen und sogar 78,7 bzw. 82,2% bei den ostdeutschen Männern und Frauen. Im Alter von 18–19 Jahren ist nur ein relativ geringer Anteil inaktiv. Bei den 18–19jährigen Männern im Westen ist der Anteil der Inaktiven mit 9,8% niedriger als im Osten mit 15,7%. Bei den 18– 19jährigen Frauen liegt der Anteil der Inaktiven allerdings schon bei 26,5% im Westen und 21,1% im Osten. Bei den älteren Frauen ist der Anteil der Inaktiven im Osten höher als im Westen. 100% West Ein Anteil von 35,6% der westdeutschen Männer, aber nur 15,7% der ostdeutschen Männer im Alter von 18–19 Jahren ist mehr als 4 Stunden pro Woche sportlich aktiv. Dieser Anteil nimmt mit dem Alter ab, und im hohen Alter ist er im Westen und im Osten etwa gleich mit 6,4% bzw. 4,4%. Bei den Frauen im Alter von 18–19 Jahren ist der Anteil derer, die mehr als 4 Stunden pro Woche aktiv sind, mit 11,8% im Westen und 12,2% im Osten etwa gleich. Auch hier nimmt der Anteil mit dem Alter ab und ist bei ostdeutschen Frauen im Alter von 70–79 Jahren nicht nachweisbar. Insgesamt ist der Anteil der Inaktiven in der Bevölkerung alarmierend hoch. Die Differenzen im Aktivitätsniveau zwischen West und Ost stellen sich bei den Männern deutlicher heraus. Vor allem die jungen Männer im Osten sind, verglichen mit Gleichaltrigen im Westen, eine Problemgruppe mit einem höherem Anteil an Inaktiven. Zeitliche Veränderungen Diese Angaben zur sportlichen Aktivität können den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1991 gegenübergestellt werden. Die zeitlichen Differenzen im Anteil der Aktiven, definiert als diejenigen, die mehr als 2 Stunden Sport pro Woche Ost 80% 60% 40% 20% 0% Abb. 2 Körperliche Aktivitäten in Stunden pro Tag, Mittelwerte Frauen. Kein Stunden pro Woche < 1 1–2 2–4 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 >4 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Altersklassen Abb. 3 Verteilung der wöchentlichen Sportbetätigung, Männer nach Altersklassen Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S129 Körperliche Aktivität West 100% Ost Abb. 4 Verteilung der wöchtentlichen Sportbetätigung, Frauen nach Altersklassen. 80% 60% 40% 20% 0% Stunden pro Woche: Kein < 1 1–2 2–4 > 4 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Altersklassen treiben und der Inaktiven, definiert als diejenigen, die überhaupt keine sportliche Aktivität treiben, wurden errechnet (Prozentanteil ‘98 – Prozentanteil ‘91). Die Differenzen über diesen Zeitraum sind in Abb. 5 für die Männer und Abb. 6 für die Frauen nach Altersklassen für Deutschland West und Ost dargestellt. Da in die Befragung von 1991 nur die Gruppe der 25–69jährigen einbezogen war, betrifft der Vergleich nur diesen Altersbereich. Bezogen auf die Gesamtpopulation, hat während dieser Jahre der Anteil der Männer, die sich mehr als 2 Stunden pro Woche sportlich betätigen, um 4,0 Prozentpunkte zugenommen, bei den Frauen sogar um 5,9 Prozentpunkte. Jedoch ist auch der Anteil der Inaktiven unter den Männern um 2,3 Prozentpunkte gestiegen, bei den Frauen hingegen um 3,5 Prozentpunkte gesunken. Insgesamt ist (wie aus Abb. 3 und 4 zu entnehmen) der Anteil von Aktiven im Westen bei Männern und Frauen höher und der Anteil von Inaktiven derzeit geringer als im Osten. Der Anteil von aktiven Männern hat im Osten lediglich um 0,6 Prozentpunkte zugenommen, im Westen jedoch um 4,9 Prozentpunkte. Die Frauen sind über die Jahre deutlich aktiver geworden, der Anteil der Aktiven ist im Westen um 6,0 Prozentpunkte, im Osten um 5,5 Prozentpunkte gestiegen. Der Anteil der inaktiven Frauen ist im Westen um 2,7 Prozentpunkte und im Osten um 6,5 Prozentpunkte geringer geworden. Die zeitlichen Veränderungen sind für die jeweiligen Altersklassen sehr unterschiedlich (siehe Abb. 5 für Männer und Abb. 6 für Frauen). Der Anteil der Inaktiven hat in den jüngeren Jahrgängen bei Männern zugenommen. Dies zeigt sich am deutlichsten im Osten Deutschlands mit 15,2 Prozentpunkten Zunahme der 25– 29jährigen gegenüber 4,5 Prozentpunkten Zunahme bei den Westdeutschen in diesem Alter. Unter den 40–49jährigen ist auch im Westen noch eine Zunahme des Anteils der Inaktiven von 5,3 Prozentpunkten zu verzeichnen, im Osten ist jedoch eine Abnahme der Inaktiven von 2,1 Prozentpunkten festzustellen. In den älteren Jahrgängen ist sowohl im Westen als auch im Osten eine Abnahme des Anteils der Inaktiven zu sehen. Anscheinend ist in den letzten 7 Jahren mehr Personen im höheren Alter bewußt geworden, daß sie körperlich aktiv werden sollten. Dies zeigt sich auch in einem Zuwachs des Anteils der Aktiven in dieser Altersgruppe. Während bei 25– 29jährigen im Westen nur ein Anstieg der Aktiven von 1,6 Prozentpunkten und im Osten sogar eine Abnahme von 6,7 Prozentpunkten zu sehen ist, zeigt sich bei den 60–69jährigen Männern im Westen ein Anstieg von 8,0 Prozentpunkten. Bei den ostdeutschen Männern über 40 ist im Durchschnitt eine Altersklassen Abb. 5 Differenzen im Anteil der Inaktiven und Aktiven 1991–1998, Männer nach Altersklassen in Deutschland West und Ost. Differenz Inaktive 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 Differenz Aktive (> 2 Std. Sport/W.) 25–29 30–39 40–49 Deutschland West Ost 50–59 60–69 –10% –5% 0% 5% 10% 15% 20% S130 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 G. B. M. Mensink Altersklassen Differenz Inaktive 25–29 30–39 Deutschland West Ost Abb. 6 Differenzen im Anteil der Inaktiven und Aktiven 1991–1998, Frauen nach Altersklassen in Deutschland West und Ost. 40–49 50–59 60–69 Differenz Aktive (> 2 Std. Sport/W.) 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 –15% –10% –5% 0% 5% geringere Zunahme festzustellen. Bei den 50–59jährigen ist hier sogar eine Abnahme des Anteils der Aktiven zu sehen. Bei Frauen sieht das Bild der Differenzen völlig anders aus, wie in Abb. 6 zu sehen ist. Bei den 25–29jährigen hat der Anteil der inaktiven Frauen im Westen 6,0 Prozentpunkte zugenommen, im Osten jedoch nur 1,1 Prozentpunkt. Bei den 30– 39jährigen Frauen ist der Anteil von Inaktiven im Westen mit 3,0 Prozentpunkten immer noch etwas gestiegen, bei den Frauen im Osten hat der Anteil der Inaktiven mit –6,4 Prozentpunkten deutlich abgenommen. In den höheren Altersklassen von über 40 Jahren ist im Westen und im Osten der Anteil der inaktiven Frauen wesentlich gesunken, außer bei den westdeutschen Frauen im Alter von 60–69 Jahren. Hier ist der Anteil der Inaktiven im Vergleich zu 1991 etwa gleich geblieben. Im Osten hat in der gleichen Altersklasse der Anteil der Inaktiven 11,4 Prozentpunkte abgenommen. Bei Frauen ist über alle Altersklassen der Anteil der Aktiven gestiegen. In den jüngeren Jahrgängen ist die Zunahme im Osten, bei den über 40jährigen im Westen höher. Insgesamt hat sich über die Zeit bei Frauen eine deutliche Verbesserung der körperlichen Aktivität gezeigt mit Ausnahme des Anstiegs der Inaktiven im Alter von 25–29 Jahren und im Westen von 50% 10% 15% 30–39 Jahren. Bei Männern ist der Anteil der Aktiven generell ebenfalls gestiegen, aber auch der Anteil der Inaktiven in den jüngeren Jahrgängen ist deutlich angestiegen, vor allem bei den ostdeutschen Männern. Es ist wünschenswert, vor allem diese letzte Gruppe zu mehr Aktivität zu bewegen durch entsprechende präventive Maßnahmen und entsprechende Aktivitätsempfehlungen. In den USA wird derzeit empfohlen, daß jeder Erwachsene mindestens eine halbe Stunde an den meisten Tagen, idealerweise an allen Tagen der Woche, moderat körperlich aktiv sein sollte (wobei man leicht ins Schwitzen geraten soll). Der Anteil der Personen in der deutschen Bevölkerung, der diese Empfehlungen derzeit erreicht, ist für Männer und Frauen im Westen und Osten nach Altersklassen in Abb. 7 dargestellt. Mit 46,0% erreichen wesentlich mehr 18–19jährige westdeutsche Männer die Empfehlungen als ostdeutsche mit nur 30,7%. In den älteren Jahrgängen ist die Differenz bei den Männern wesentlich geringer und ist sogar bei den 70– 79jährigen ostdeutschen Männern deutlich höher mit 12,4% gegenüber 5,5% im Westen. Insgesamt ist der Anteil der Frauen, die dieser Empfehlung entsprechen, deutlich geringer Deutschland West Ost 40% 30% Männer Frauen 20% 10% 0% 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Altersklassen Abb. 7 Personen, die die derzeitige Empfehlung zur körperlichen Aktivität erreichen, Männer und Frauen nach Altersklassen in Deutschland West und Ost. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S131 Körperliche Aktivität als der der Männer. Immerhin beträgt bei den ostdeutschen Frauen im Alter von 18–19 Jahren der Anteil 19,2%. Literatur 1 Insgesamt erreicht nur ein geringer Anteil der Bevölkerung die Empfehlungen. Eine Zunahme der körperlichen Aktivität wäre insbesondere für die Inaktiven wünschenswert, um die Prävalenz von Risikofaktoren vor allem für Herz-KreislaufKrankheiten zu senken. Eine Verbesserung der körperlichen Aktivität wäre durchaus erreichbar. Die positive Entwicklung der letzten Jahre im Anteil der Aktiven zeigt, daß Veränderungen im Aktivitätsniveau durch vermehrte körperliche Aktivität in der Freizeit möglich sind. Danksagung Ich danke Frau Brigitte Flemming für die Hilfe bei der Manuskriptgestaltung. 2 3 4 5 6 7 Bouchard C, Shephard RJ, Stephens T (Hrsg.) (1994). Physical activity, fitness and health: International proceedings and consensus statement. Champaign, IL: Human Kinetics Publishers Chin A, Paw M (1999). Aging in balance. Physical exercise and nutrient dense foods for the vulnerable elderly. Thesis Wageningen Universiteit Fiaterone MA, O'Neill EF, Ryan ND et al. (1994). Exercise training and nutritional supplementation for physical frailty in very elderly people. N Engl J med 330:1769–1775 Mensink, GBM, Deketh M, Mul MDM, Schuit AJ, Hoffmeister H (1996). Physical activity and its association with cardiovascular risk factors and mortality. Epidemiology 7: 391–397 Mensink G, Ziese T, Kok F (1999). Benefits of leisure time physical activity on the cardiovascular risk profile at older age. Int J Epidemiol 28: 659–666 Pate RR, Pratt M, Blair SN et al. (1995). Physical activity and public health: A recommendation from the centers for disease control and prevention and the American College of Sports Medicine. JAMA 273: 402–407 U.S. Department of Health and Human Services (1996). Physical activity and health: A report of the Surgeon General. Atlanta, GA: U.S. Department of Health and Human Services, Centers for Disease Control and Prevention, National Center for Chronic Disease Prevention and Health Promotion G. B. M. Mensink Robert Koch-Institut Postfach 65 02 80 D-13302 Berlin S132 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE von ›› Einnahme Nahrungsergänzungspräparaten und Ernährungsverhalten Zusammenfassung: In den letzten Jahren ist ein deutlicher Anstieg bei der Einnahme von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten in Deutschland zu beobachten. Anhand der Daten des Bundes-Gesundheitssurveys und des Ernährungssurveys 98 wurde untersucht, inwieweit Personen mit einer regelmäßigen Einnahme derartiger Präparate sich in ihrer üblichen Ernährung von anderen unterscheiden. Es wurde festgestellt, daß die Gruppe der regelmäßigen Präparatekonsumenten im Durchschnitt eine höherwertige Ernährung mit einem höheren Anteil an Vitaminen und Mineralstoffen zu sich nimmt. Dieser Zusammenhang wurde beobachtet nach Adjustierung für Alter und Gesamtenergie. Differenzen in anderen gesundheitsrelevanten Parametern wie Body-Mass-Index, Rauchverhalten, körperliches Aktivitätsniveau und Sozialschicht deuten darauf hin, daß sich die Gruppe der regelmäßigen Konsumenten von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten im allgemeinen gesundheitsbewußter verhält. Schlüsselwörter: Nahrungsergänzungsmittel – Vitamine – Mineralstoffe – Gesundheitsverhalten Intake of Dietary Supplements and Nutritional Behaviour: In recent years there has been a significant increase in the use of dietary supplements in Germany. Using data of the German National Health Interview and Examination Survey and the Nutrition Survey 1998, the differences in usual dietary intake between regular supplement users and others were examined. Regular supplement users have, on average, a more nutrient rich dietary pattern with a higher vitamin and mineral content. This was observed even after adjustment for age and total energy intake. Additional differences in other health relevant characteristics like body mass index, smoking habits, level of physical activity and social economic status between regular supplement users and others, indicate that the regular users show in general a more health concious behaviour. Key words: Dietary Supplements – Vitamins – Minerals – Health Behaviour Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S132–S137 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York G. B. M. Mensink1, A. Ströbel2 1 2 Robert Koch-Institut, Berlin Fachhochschule, Hamburg Einleitung In den letzten Jahren haben sich das Marktangebot und der Verbrauch von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten erheblich vermehrt [Fischer 1999]. Diese Entwicklung ist dann bedenklich, wenn Personen versuchen, eine einseitige Ernährung durch derartige Präparate auszugleichen, ohne zu versuchen, ihre einseitige Ernährung zu ändern. Nach der derzeitigen Expertenmeinung ist eine zusätzliche Supplementierung bei ausgewogener Ernährung nicht notwendig. Eine abwechslungsreiche Ernährung mit viel Obst und Gemüse deckt ausreichend den Vitamin- und Mineralstoffbedarf. Eine mögliche Präventivwirkung von hochdosierten, antioxidativ wirkenden Vitaminen, z.B. gegen Krebs und HerzKreislauf-Krankheiten, wird zur Zeit diskutiert, gilt aber noch nicht als bewiesen [Strain 1999]. Über die Einnahme von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten gibt es für Deutschland nur wenige Untersuchungen [Fischer 1999]. Die Daten des Ernährungssurveys 1998 [Mensink 1998] bieten die Möglichkeit, eine Bestandsaufnahme des Verbrauchs von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten vorzunehmen. Außerdem kann untersucht werden, inwieweit sich regelmäßige Konsumenten derartiger Präparate in ihrer üblichen Ernährung unterscheiden von Personen, die solche Präparate nicht einnehmen und ob andere gesundheitsrelevante Merkmale mit dem Präparatekonsum zusammenhängen. Methoden Der Ernährungssurvey 1998 ist eines der Module des von Oktober 1997 bis März 1999 durchgeführten Bundes-Gesundheitssurveys [Bellach 1998, Thefeld 1999]. In einer zufällig gewählten Unterstichprobe der Teilnehmer wurde neben den physiologischen Untersuchungen und dem selbstausfüllbaren Fragebogen ein umfangreiches Ernährungsinterview mit Hilfe des Computerprogramms DISHES 98, das auf der DietHistory-Methode basiert, erhoben. Die Interviews wurden von fünf Interviewerinnen mit einer ernährungswissenschaftlichen Ausbildung geführt, die durchschnittliche Interviewdauer betrug etwa 35 Minuten. Dies ist deutlich weniger, als für ein klassisches Diet History gebraucht wird (ein bis zwei Stunden), und ist zum großen Teil auf die Unterstützung durch das Computerprogramm zurückzuführen. Insgesamt wurden von 4030 Personen ausführliche Ernährungsdaten erhoben (nach Ausschluß von zwei Probandinnen mit einer Formuladiät), und zwar von 2267 Frauen und 1763 Männern. Das Hauptziel dieser Studie war, ein umfangreiches Einnahme von Nahrungsergänzungspräparaten und Ernährungsverhalten Bild der Lebensmittel- und Nährstoffaufnahme der Bevölkerung zu erhalten. Neben der mahlzeitenorientierten Lebensmittelbefragung wurden auch für die am häufigsten verzehrten Vitamin- und Mineralstoffpräparate die Einnahmehäufigkeiten und Handelsnamen erfragt. Während die Ernährungsbefragung sich auf die letzten vier Wochen konzentrierte, wurden für die Supplementeinnahme die vergangenen 12 Monate herangezogen. Ermittelt wurde die Einnahme von Vitamin B, Folsäure, Vitamin C, Vitamin E und Multivitaminpräparaten sowie Mineralstoffen. Mögliche Antworten auf die Frage „Wie häufig haben Sie in den letzten 12 Monaten folgende Präparate zu sich genommen?“ waren „nie“, „(fast) täglich“, „mehrmals in der Woche“, „etwa einmal in der Woche“, „nicht das ganze Jahr über – periodenweise einige Wochen – insgesamt mindestens 3 Wochen“ und „seltener“ für die jeweiligen Präparate. Anhand der Häufigkeitsangaben zu den unterschiedlichen Vitaminpräparaten wurden drei Konsumgruppen gebildet. (Der Konsum von Mineralstoffpräparaten wurde hierbei nicht berücksichtigt.) Die Teilnehmer, die angaben, derartige Präparate „nie“ einzunehmen, bildeten die Vergleichsgruppe, diejenigen, die angaben, eines oder mehrere dieser Präparate „periodenweise ca. 3 Wochen im Jahr“ oder „selten“ einzunehmen, wurden als „selten“ klassifiziert, und Teilnehmer, die angaben, eins oder mehrere dieser Präparate „fast täglich“, „mehrmals“ oder „einmal in der Woche“ zu sich zu nehmen, wurden als „regelmäßige Konsumenten“ eingestuft. Während des Interviews wurden ebenfalls Daten zur täglichen körperlichen Aktivität erhoben. Hierbei wurde die durchschnittliche Zeit, die jeweils im normalen 24-StundenTagesablauf aufgewendet wird für Schlafen, Ruhen, Sitzen, leichte, mittelschwere und anstrengende Tätigkeiten, ermittelt. Dies wurde getrennt für Wochentage und Wochenenden erfragt [Mensink 1999]. Diese Angaben wurden in einem Aktivitätsscore zusammengefaßt, wobei die Aktivitäten mit entsprechenden metabolischen Werten gewichtet wurden (Verfahren wie in Mensink 1996). Anschließend wurde ein durchschnittlicher Tagesscore gebildet durch Gewichtung der Scores für die Wochentage und Wochenenden im Verhältnis 5:2. Die Angaben zum Lebensmittelverzehr wurden umgerechnet in durchschnittliche Tagesmengen, und mit Hilfe des Bundeslebensmittelschlüssels Version II.3 wurde hieraus die Tagesaufnahme der einzelnen Nährstoffe errechnet. Die so ermittelten Aufnahmewerte von Makro- und Mikronährstoffen wurden für die drei Konsumgruppen getrennt dargestellt. Differenzen zwischen der Gruppe, die regelmäßig Präparate einnimmt, und der, die keine Präparate einnimmt, wurden auf statistische Signifikanz getestet. Dies geschah außerdem für weitere gesundheitsrelevante Parameter wie den Body-MassIndex und die körperliche Aktivität. Da die Ernährung sehr vom Geschlecht und Alter abhängig ist und außerdem die absolute Aufnahme an Nährstoffen durch die gesamte Energieaufnahme bestimmt wird, wurden die Mittelwerte der Nährstoffaufnahmen der einzelnen Gruppen für Alter und Gesamtenergieaufnahme adjustiert und für Männer und Frauen getrennt dargestellt. Die Auswertungen erfolgten mit SAS Version 6.12 und SPSS Version 8.0. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S133 Ergebnisse Die Prävalenz der Personen, die mindestens einmal pro Woche die jeweiligen Vitamin- und Mineralstoffpräparate einnehmen, ist in Tab. 1 dargestellt. Tab. 1 Konsum von Mineralstoff- und Vitaminpräparaten, Personenanteil mit Einnahme von mindestens einmal pro Woche Mineralstoffe Multivitamine Vitamin C Vitamin B Folsäure Vitamin E mindestens eines der genannten Präparate Männer Frauen 8,8% 9,4% 3,2% 0,9% 0,1% 2,2% 12,5% 9,5% 4,3% 1,5% 0,6% 3,8% 17,9% 21,9% Insgesamt nehmen 22% der Frauen und 18 % der Männer wenigstens eines der Präparate mindestens einmal pro Woche zu sich. Bei Männern ist der Konsum etwas geringer. Dies gilt auch für die einzelnen abgefragten Präparate, außer bei den Multivitaminpräparaten, wo die Konsumhäufigkeit bei Männern und Frauen etwa gleich ist. Die am häufigsten genannten Präparate waren Vitamin-C- und Multivitaminpräparate. Auch Mineralstoffpräparate wurden häufig angegeben, aber dahinter verbirgt sich ein breites Spektrum an unterschiedlichen Mineralstoffen. In Abb. 1 ist der Gesamtkonsum der Vitaminpräparate (ohne Mineralstoffe) nach Altersklassen dargestellt. Bei Frauen nimmt der Präparatekonsum langsam mit dem Alter zu und erreicht ein Maximum in der Altersklasse der 60- bis 69jährigen. Bei Männern zeigt sich fast ein spiegelbildlicher Verlauf, hier ist die Einnahmehäufigkeit unter den 60- bis 69jährigen am geringsten. Bei den jüngeren und den 70- bis 79jährigen Männern wurden die meisten regelmäßigen Konsumenten registriert. In Tab. 2 sind einige demographische Merkmale der Vitamineinnahmegruppen aufgeführt. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen unterscheidet sich das Alter nicht signifikant bei Personen, die regelmäßig Vitaminpräparate konsumieren, und Personen, die diese Präparate nicht zu sich nehmen. Das Alter der Gruppe der Selten-Konsumenten ist deutlich geringer und signifikant niedriger als das Alter der Gruppe der Nicht-Präparatenutzer. Der Schichtindex ist in der Gruppe der regelmäßigen und der seltenen Nutzer von Vitaminpräparaten signifikant höher als in der Gruppe der Nicht-Präparatenutzer. Auch der Prozentanteil von Personen aus der Oberschicht ist bei den Präparatenutzern deutlich höher als bei den Nichtnutzern. Der Anteil von Personen aus den neuen Bundesländern unter den Präparatenutzern ist geringer. Dies deutet auf einen weniger häufigen Präparatekonsum im Osten Deutschlands hin. Bei den Männern gibt es keine Differenzen bezüglich des Prozentanteils von Rauchern zwischen den regelmäßigen Konsumenten und denen, die keine Präparate zu sich nehmen. Bei den seltenen Nutzern ist jedoch der Prozentanteil von Rauchern etwas niedriger. Bei Frauen ist der Prozentanteil von Rauchern unter den Nichteinnehmern etwas höher als in den anderen Gruppen. S134 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 20% G. B. M. Mensink, A. Ströbel Männer 18% Frauen 16% Abb. 1 Regelmäßiger Konsum von Vitaminpräparaten nach Alter und Geschlecht, Prozentanteil mit einer Einnahmehäufigkeit von mindestens einmal pro Woche. 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Alter in Jahren Ein wesentlich höherer Anteil der regelmäßigen und seltenen Nutzer von Präparaten treibt mehr als zwei Stunden Sport in der Woche im Vergleich zu den Nicht-Präparatenutzern. Dies gilt für beide Geschlechter und ist im Einklang mit der deutlich geringeren Prävalenz von übergewichtigen Personen in diesen beiden Gruppen. Interessant ist auch die Beobachtung, daß der tägliche Aktivitätsscore bei Männern, die regelmäßig Vitaminpräparate zu sich nehmen, signifikant niedriger ist als in der Vergleichsgruppe, obwohl diese Personen angeben, nie mehr Sport zu treiben. Dies ist möglicherweise zurückzuführen auf die höhere Sozialschicht dieser Gruppe, die ein geringeres Aktivitätsniveau während ihrer Arbeitszeit hat und Sport treibt, um das auszugleichen. Demographisch scheinen sich die Gruppen der seltenen und regelmäßigen Vitamineinnehmer insgesamt ähnlich zu sein, deshalb wäre es zu vertreten, diese Gruppen zusammenzuführen. Da die Definition von seltener Einnahme jedoch problematisch ist und teilweise auch ein saisonales Verhalten widerspiegelt, wurden die Einnahme von Vitaminpräparaten selten ≥ einmal/Woche Männer n Alter1 Schichtindex1 Zugehörigkeit: zur Oberschicht zu den neuen Bundesländern2 Raucher2 BMI ≥ 302 Sport (≥ 2 Std.) 2 Aktivitätsscore1 1268 45,3 (44,4–46,1) 11,7 (11,5–11,9) 255 41,5 (39,7–43,3) 13,0 (12,5–13,4) 240 44,2 (42,2–46,3) 12,7 (12,3–13,2) 23,0% 38,1% 28,7% 20,0% 21,6% 52,5 (51,6–53,3) 34,8% 16,5% 25,1% 13,7% 29,1% 47,9 (46,2–49,5) 32,6% 23,3% 28,8% 15,8% 33,8% 47,7 (46,0–49,4) 1540 44,2 (43,4–45,0) 10,9 (10,7–11,1) 380 41,1 (39,6–42,6) 12,2 (11,8–12,6) 347 46,2 (44,5–47,8) 11,8 (11,4–12,2) 17,1% 41,8% 22,3% 22,5% 15,6% 46,1 (45,5–46,7) 29,4% 19,2% 21,6% 15,3% 18,3% 46,2 (45,1–47,3) 22,7% 28,5% 20,8% 19,0% 20,2% 45,6 (44,4–46,7) Frauen n Alter1 Schichtindex1 Zugehörigkeit: zur Oberschicht2 zu den neuen Bundesländern2 Raucher2 BMI ≥ 302 Sport (≥ 2 Std.) 2 Aktivitätsscore1 1 2 Mittelwerte und 95%-Konfidenzintervall Prozentanteil in der jeweiligen Konsumgruppe Tab. 2 Demographische Merkmale von Personen mit unterschiedlicher Einnahme von Vitaminpräparaten Einnahme von Nahrungsergänzungspräparaten und Ernährungsverhalten nie Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S135 Einnahme von Vitaminpräparaten selten ≥ einmal/Woche2 Männer Energie (kcal) Eiweiß (g) Fett (g) gesättigte Fettsäuren (g) ungesättigte Fettsäuren (g) Cholesterin (mg) Kohlenhydrate (g) Ballaststoffe (g) Alkohol (g) 2650 (2609–2691) 101,2 (100,3–102,1) 98,8 (97,9–99,7) 42,3 (41,8–42,8) 35,6 (35,2–36,0) 405,8 (399,6–411,9) 294,0 (291,7–296,4) 28,0 (27,6–28,5) 17,3 (16,3–18,3) 2515 (2425–2606) 100,2 (98,2–102,2) 99,4 (97,3–101,4) 42,7 (41,6–43,8) 35,2 (34,3–36,0) 396,6 (382,9–410,3) 292,4 (287,1–297,7) 29,0 (28,0–30,1) 18,4 (16,2–20,7) 2583 (2490–2676) 101,2 (99,1–103,3) 98,7 (96,6–100,8) 41,7 (40,6–42,8) 35,8 (34,9–36,7) 396,6 (382,5–410,6) 295,1 (289,7–300,5) 29,6 (28,6–30,7)** 16,7 (14,4–19,0) 1903 (1876–1930) 72,9 (72,3–73,5) 73,6 (73,0–74,2) 32,1 (31,8–32,4) 25,6 (25,4–25,9) 304,6 (300,3–308,9) 225,5 (223,9–227,0) 24,2 (23,9–24,5) 4,8 (4,4–5,2) 1889 (1835–1944) 71,9 (70,8–73,1) 73,4 (72,2–74,6) 32,1 (31,5–32,8) 25,5 (25,0–26,0) 304,3 (295,7–313,0) 225,3 (222,2–228,5) 25,1 (24,5–25,8) 6,1 (5,3–6,9) 2006 (1949–2063)** 72,7 (71,5–74,0) 73,5 (72,2–74,8) 32,2 (31,5–32,9) 25,5 (25,0–26,0 303,9 (294,9–313,0) 224,4 (221,2–227,7) 25,0 (24,3–25,7)* 5,7 (4,9–6,6) Tab. 3 Aufnahme von Makronährstoffen bei Personen mit unterschiedlicher Einnahme von Vitaminpräparaten, Mittelwerte und 95 %-Konfidenzintervall 1 Frauen Energie (kcal) Eiweiß Fett (g) gesättigte Fettsäuren (g) ungesättigte Fettsäuren (g) Cholesterin (mg) Kohlenhydrate (g) Ballaststoffe (g) Alkohol (g) 1 Adjustiert für Alter und (außer bei Energie) Gesamtenergieaufnahme Die Mittelwerte der regelmäßigen Konsumenten unterscheiden sich von denen der Vergleichsgruppe („nie“) mit einer Signifikanz von * p≤0,05; ** p≤0,01; *** p≤0,001 2 Gruppen getrennt dargestellt. Es wurden nur die statistisch signifikanten Differenzen zwischen regelmäßigen und NichtPräparatenutzern (Vergleichsgruppe) berechnet und in den nachfolgenden Tabellen dargestellt. Die mittlere tägliche Aufnahme von Energie und Makronährstoffen ist getrennt für die einzelnen Präparatekonsumgruppen in Tab. 3 aufgeführt. Diese Werte wurden für Alter und (außer bei Gesamtenergie) für Gesamtenergie adjustiert, da eine Differenz bei der Gesamtenergie anteilmäßig auf die einzelnen Nährstoffe durchschlagen würde. Die Ernährung von Personen mit regelmäßigem Vitaminpräparatekonsum ist auch reichhaltiger an Mineralstoffen und Spurenelementen verglichen mit der Gruppe, die solche Präparate nicht einnimmt. Bei den Männern ist die Aufnahme von Kalium, Kalzium, Magnesium, Phosphor, Kupfer und Jod signifikant höher als bei den Nichteinnehmern. Bei Frauen mit einem regelmäßigen Vitaminpräparatekonsum ist die Aufnahme von Kalium, Kalzium, Magnesium, Phosphor, Fluor und Jod im Mittel höher als bei Frauen, die nie Präparate einnehmen. Nach Adjustierung für Alter und Energieaufnahme haben Männer mit einer regelmäßigen Einnahme von Vitaminpräparaten lediglich eine signifikant höhere Ballaststoffaufnahme, was die Makronährstoffe betrifft. Dies ist auch bei Frauen der Fall. Frauen mit regelmäßiger Einnahme von Vitaminpräparaten haben aber auch eine höhere Gesamtenergieaufnahme. Bei den Makronährstoffen gibt es keine weiteren Differenzen. Diskussion Anders sieht es bei der Vitaminaufnahme aus. In Tab. 4 ist die tägliche Aufnahme der wichtigsten Vitamine aufgeführt, adjustiert für Alter und Gesamtenergieaufnahme. Generell haben sowohl Männer als auch Frauen mit einer regelmäßigen Einnahme von Vitaminpräparaten eine vitaminreichere Ernährung als die Vergleichsgruppe. Bei den Männern findet sich eine signifikant höhere Aufnahme von Vitamin K, Vitamin B2, Pantothensäure, Vitamin B6, Biotin, Folatäquivalenten und Vitamin C. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Frauen, es gab auch hier signifikant höhere Aufnahmen von Vitamin B2, Pantothensäure, Vitamin B6, Biotin und Folatäquivalenten. Nach einer zusätzlichen Adjustierung für die soziale Schicht ergeben sich gleiche Ergebnisse (Resultate nicht dargestellt). Ein höherer Anteil der Frauen nimmt im Vergleich zu den Männern regelmäßig Vitamin- und Mineralstoffpräparate zu sich. Eine häufigere Einnahme bei Frauen wurde in früheren Studien auch schon festgestellt [Block 1988, Elmstahl 1994, Schellhorn 1998, Slesinski 1996, Wallström 1996]. Die Geschlechtsdifferenzen in unserem Survey sind jedoch geringer als in früheren Erhebungen [Fischer 1999]. Anscheinend haben sich die Geschlechter im Einnahmeverhalten über die Zeit angeglichen. Hier muß jedoch berücksichtigt werden, daß die einzelnen Studien in der Vergangenheit unterschiedliche Definitionen von regelmäßigem Konsum benutzt haben. Auffällig ist, daß die 60–69jährigen Männer die wenigsten Präparate zu sich nehmen, während die Frauen dieser Altersgruppe den höchsten Präparatekonsum zeigen. Es kann vermutet werden, daß die Gründe, Präparate einzunehmen, bei den Männern und Frauen unterschiedlich sind. Dies wurde in unserer Studie jedoch nicht erfragt. In der Regel nehmen die Personen, die regelmäßig Vitaminpräparate zu sich nehmen, auch eine Ernährung zu sich, die reichhaltiger ist an Vitaminen und Mineralstoffen, als das im Durchschnitt der Fall ist. Dies bestätigt eine Beobachtung aus S136 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 nie G. B. M. Mensink, A. Ströbel Einnahme von Vitaminpräparaten selten ≥ einmal/Woche2 Männer Vitamin A3 (mg) Vitamin D (μg) Vitamin K (μg) Vitamin B1 (mg) Vitamin B2 (mg) Niacinäquivalent (μg) Pantothensäure (mg) Vitamin B6 (mg) Biotin (μg) Folatäquivalent (μg) Vitamin B12 (μg) Vitamin C (mg) 2,01 (1,95–2,06) 3,74 (3,58–3,90) 417,2 (409,8–424,7) 1,62 (1,60–1,64) 1,99 (1,96–2,01) 39,2 (38,8–39,6) 6,29 (6,22–6,36) 2,20 (2,17–2,22) 52,9 (52,2–53,7) 139,2 (137,2–141,3) 8,09 (7,91–8,27) 149,5 (144,8–154,2) 1,91 (1,80–2,03) 3,30 (2,93–3,66) 436,9 (420,2–453,5) 1,55 (1,51–1,59) 1,97 (1,91–2,03) 39,0 (38,1–39,8) 6,33 (6,17–6,49) 2,20 (2,15–2,25) 53,7 (52,0–55,3) 143,7 (139,2–148,3) 7,20 (6,81–7,59) 148,7 (138,2–159,2) 2,02 (1,90–2,14) 3,78 (3,40–4,15) 440,7 (423,6–457,8)* 1,62 (1,58–1,66) 2,06 (2,00–2,12)* 39,5 (38,6–40,3) 6,59 (6,43–6,76)*** 2,26 (2,21–2,31)* 55,8 (54,1–57,5)** 147,5 (142,8–152,2)** 7,66 (7,25–8,06) 168,3 (157,5–179,0)** 1,71 (1,67–1,76) 2,80 (2,71–2,90) 371,6 (365,1–378,1) 1,17 (1,16–1,18) 1,53 (1,51–1,55) 27,8 (27,5–28,0) 4,89 (4,84–4,94) 1,66 (1,65–1,68) 42,5 (42,0–43,1) 117,8 (116,1–119,5) 5,30 (5,18–5,41) 150,8 (147,0–154,6) 1,76 (1,68–1,84) 2,80 (2,61–2,99) 382,1 (368,9–395,2) 1,14 (1,12–1,16) 1,54 (1,50–1,58) 27,7 (27,2–28,2) 4,97 (4,87–5,07) 1,69 (1,65–1,72) 43,4 (42,4–44,5) 122,2 (118,8–125,6) 5,12 (4,89–5,35) 149,6 (141,9–157,2) 1,79 (1,71–1,88) 2,95 (2,76–3,15) 383,4 (369,7–397,1) 1,17 (1,15–1,19) 1,58 (1,54–1,62)* 27,8 (27,3–28,3) 5,09 (4,98–5,19)** 1,70 (1,67–1,74)* 44,9 (43,8–46,0)*** 124,9 (121,4–128,5)*** 5,14 (4,89–5,38) 155,7 (147,7–163,7) Tab. 4 Aufnahme von Vitaminen bei Personen mit unterschiedlicher Einnahme von Vitaminpräparaten, Mittelwerte und 95 %Konfidenzintervall1 Frauen Vitamin A3 (mg) Vitamin D (μg) Vitamin K (μg) Vitamin B1 (mg) Vitamin B2 (mg) Niacinäquivalent (μg) Pantothensäure (mg) Vitamin B6 (mg) Biotin (μg) Folatäquivalent (μg) Vitamin B12 (μg) Vitamin C (mg) 1 Adjustiert für Alter und (außer bei Energie) Gesamtenergieaufnahme Die Mittelwerte der regelmäßigen Konsumenten unterscheiden sich von denen der Vergleichsgruppe („nie“) mit einer Signifikanz von * p≤0,05; ** p≤0,01; *** p≤0,001 3 Retinoläquivalent 2 nie Einnahme von Vitaminpräparaten selten ≥ einmal/Woche2 Männer Natrium (g) Kalium (g) Kalzium (mg) Magnesium (mg) Phosphor (mg) Eisen (mg) Zink (mg) Kupfer (mg) Fluor (μg) Jod (μg) 3,53 (3,48–3,58) 3,93 (3,89–3,98) 1216 (1190–1242) 489,6 (483,6–495,5) 1712 (1694–1730) 16,8 (16,6–16,9) 14,5 (14,3–14,6) 2,63 (2,59–2,66) 1053 (1028–1077) 117,2 (115,4–119,1) 3,44 (3,33–3,55) 3,98 (3,88–4,08) 1303 (1245–1361) 514,7 (501,5–528,0) 1749 (1708–1789) 16,8 (16,4–17,2) 14,6 (14,3–15,0) 2,68 (2,62–2,76) 1073 (1018–1127) 117,6 (113,5–121,6) 3,52 (3,41–3,64) 4,14 (4,04–4,25)*** 1334 (1275–1394)*** 523,3 (509,7–536,9)*** 1783 (1741–1824)** 17,1 (16,7–17,5) 14,6 (14,3–15,0) 2,70 (2,63–2,77)* 1095 (1039–1151) 124,2 (120,0–128,4)** 2,62 (2,58–2,66) 3,24 (3,21–3,27) 1099 (1081–1117) 399,6 (395,1–404,1) 1317 (1305–1329) 13,4 (13,3–13,5) 10,9 (10,8–11,0) 2,16 (2,13–2,18) 968 (942–994) 101,7 (100,1–103,2) 2,52 (2,44–2,60) 3,29 (3,22–3,35) 1148 (1112–1184) 420,9 (411,8–429,9) 1343 (1319–1368) 13,5 (13,3–13,8) 11,0 (10,8–11,1) 2,18 (2,13–2,23) 1043 (991–1095) 104,2 (101,1–107,2) 2,54 (2,46–2,62) 3,36 (3,29–3,43)** 1184 (1146–1221)*** 424,1 (414,7–433,6)*** 1354 (1328–1380)* 13,6 (13,3–13,8) 11,0 (10,8–11,2) 2,17 (2,12–2,22) 1066 (1012–1121)** 109,1 (105,9–112,3)*** Frauen Natrium (g) Kalium (g) Kalzium (mg) Magnesium (mg) Phosphor (mg) Eisen (mg) Zink (mg) Kupfer (mg) Fluor (μg) Jod (μg) 1 Adjustiert für Alter und (außer bei Energie) Gesamtenergieaufnahme Die Mittelwerte der regelmäßigen Konsumenten unterscheiden sich von denen der Vergleichsgruppe („nie“) mit einer Signifikanz von * p≤0,05; ** p≤0,01; *** *** p≤0,001 2 Tab. 5 Aufnahme von Mineralstoffen und Spurenelementen bei Personen mit unterschiedlicher Einnahme von Vitaminpräparaten, Mittelwerte und 95%Konfidenzintervall1 Einnahme von Nahrungsergänzungspräparaten und Ernährungsverhalten vorherigen Studien [Looker 1988, Lyle 1998] und ist nicht eine Folge der höheren Aufnahme an Gesamtenergie, wie sie bei Frauen mit einem regelmäßigen Vitaminpräparatekonsum festgestellt wurde. Die Personen, die regelmäßig derartige Präparate zu sich nehmen, scheinen demnach eher nicht zu einer mikronährstoffmangel-gefährdeten Gruppe zu gehören. Im Vergleich zu denen, die keine Präparate einnehmen, nehmen sie im Mittel mehr Vitamine und Mineralstoffe über die normale Ernährung zu sich. Es könnte sein, daß diese Personen generell gesundheitsbewußter sind, und zwar eine nährstoffreichere Ernährung zu sich nehmen, aber immer noch meinen, durch die Einnahme derartiger Präparate etwas Zusätzliches für die Gesundheit tun zu müssen. Dieses Gesundheitsbewußtsein könnte geprägt sein durch Zugehörigkeit zu einer höheren Sozialschicht. Auch der geringere Anteil an Adipösen deutet auf ein besseres Gesundheitsbewußtsein hin. Ein methodisches Problem könnte sein, daß die beobachteten Differenzen zum Teil damit erklärt werden können, daß Personen, die generell dazu tendieren, größere Mengen anzugeben als sie in Wirklichkeit essen, dies auch für die Vitaminpräparate tun. Jedoch war die Fragestruktur der Lebensmittelmengen und der Vitaminpräparatehäufigkeiten sehr unterschiedlich, und es ist nicht davon auszugehen, daß dieser Effekt derartig deutliche Unterschiede erklären kann. Vor allem, da nach der Adjustierung für Gesamtenergie die Effekte immer noch vorhanden oder sogar noch verstärkt waren. Es ist deshalb sehr unwahrscheinlich, daß eine Verzerrung durch Personen mit zu hoher Mengenangabe die beobachteten Differenzen erklären könnte. Generell gilt, daß die Supplementierung bei Personen stattfindet, die es nicht unbedingt brauchen. Die beobachteten Tendenzen basieren auf (adjustierten) Mittelwerten und lassen somit keine Aussagen über den Einzelfall, z.B. in bestimmten Randgruppen, zu. Auch für die Personen, die nie Vitaminpräparate zu sich nehmen, kann man im Mittel keinen Vitaminund Mineralstoffmangel feststellen. Die hier aufgeführten Zusammenhänge sind eine Momentaufnahme mit beschreibendem Charakter. Da die Studie keinen zeitlichen Verlauf enthält, kann sie nicht den Anspruch auf weiterführende Verhaltenserklärungen liefern. Es ist anzunehmen, daß die Differenzen im Verhalten und Bewußtsein zum Teil durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialschicht geprägt sind. Ein höherer Bildungsstand ist z.B. momentan mit einer höheren Aufnahme von Vitaminpräparaten assoziiert. Eine aus dem höheren Bildungsstand resultierende sitzende Tätigkeit könnte den geringen Aktivitätsscore bei gleichzeitig höherer Beteiligung am Freizeitsport der männlichen Konsumenten erklären. Die höhere Präparateeinnahme in der höheren Sozialschicht könnte sich eventuell innerhalb einer Zeit von wenigen Jahren auch wieder ändern. Trotzdem wurden die hier dargestellten Ergebnisse noch einmal zusätzlich für den Sozialschichtindex adjustiert, aber die Ergebnisse waren im wesentlichen identisch. Lediglich die Differenzen in der Ballaststoffaufnahme und von Vitamin B6 bei Frauen und von Kupfer bei Männern waren nicht mehr statistisch signifikant. Ausblick Zur Zeit wird in Zusammenarbeit mit der GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Neuherberg – an einer Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S137 Möglichkeit gearbeitet, die Einnahme über Präparate bei der Ermittlung der täglichen Nährstoffaufnahme zu berücksichtigen. Literatur 1 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: 59– 68 2 Block G, Cox C, Madans J, Schreiber GB, Licitra L, Melia N (1988). Vitamin supplement use, by demographic characteristics. Am J of Epidemiol 127: 297–309 3 Elmstahl S, Wallström P, Berglund G, Janzon L, Johansson U, Larssson SA, Mattisson I (1994). The use of dietary supplements in relation to dietary habits in a Swedish middle-ages population. Scan J Nutr 38: 94–97 4 Fischer B, Döring A (1999). Häufigkeit der Einnahme von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten: Vergleich nationaler und internationaler Studien. Ernährungs-Umschau 46: 44–47 5 Looker A, Sempos CT, Johnson C, Yetley, EA (1988). Vitamin mineral supplement use: Association with dietary intake and iron status of adults. J Am Diet Assoc 88: 808–814 6 Lyle BJ, Mares-Perlman JA, Klein BEK, Klein R, Greger JL (1998). Supplement users differ from nonusers in demographic, lifestyle, dietary and health characteristics. J Nutr 128: 2355–2362 7 Mensink G, Deketh M, Mul M, Schuit A, Hoffmeister H (1996). Physical activity and its association with cardiovascular risk factors and mortality. Epidemology 7: 391–397 8 Mensink GBM, Hermann-Kunz E, Thamm M (1998). Der Ernährungssurvey. Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: 83–86 9 Mensink (1999). Körperliche Aktivität. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S126–S131 10 Schellhorn B, Döring A, Stieber J (1998). Zufuhr an Vitaminen und Mineralstoffen aus Nahrungsergänzungspräparaten in der MONICA-Querschnittsstudie 1994/95 der Studienregion Augsburg. Z Ernährungswiss 37: 198–206 11 Slesinski MJ, Subar AF, Kahle LL (1996). Dietary intake of fat, fiber and other nutrients is related to the use of vitamin and mineral supplements in the united states: the 1992 National Health Interview Survey. J Nutr 126: 3001–3008 12 Strain JJ, Benzie IFF (1999). Antioxidants – Diet and antioxidant defence. In: Sadler MJ, Strain JJ, Caballero B (eds.). Encyclopedia of Human Nutrition. Volume 1. Academic Press, Harcout Brace & Company Publishers, San Diego 13 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999). Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer, NonResponder-Analyse. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S57– S61 14 Wallström P, Elmstahl S, Hanson BS, Östergren PO, Johansson U, Janzon L, Larsson SA (1996). Demographic and psychological characteristics of middle-aged women and men who use dietary supplements. Results from the Malmö Diet and Cancer Study. Eur J Public Health 6: 188–195 G. B. M. Mensink Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin S138 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE medizinischer ›› Inanspruchnahme Leistungen Zusammenfassung: 90% der Deutschen gehen mindestens einmal im Jahr zum Arzt. Selbst in den letzten 4 Wochen ist die Hälfte der Bevölkerung bei einem Arzt gewesen. Mit ihren Arztbesuchen sind die Patienten in über 95% zufrieden. Durchschnittlich wird 11mal im Jahr ein niedergelassener Arzt aufgesucht. Die Hälfte aller Arztkontakte verursachen 20% der Versicherten. Am meisten werden die Zahnärzte und Allgemeinmediziner kontaktiert. Über 90% der GKV-Versicherten haben schon heute einen Hausarzt. Jährlich entfallen auf jede Person 12 Arbeitstage aufgrund von Krankheit. Die durchschnittliche Verweildauer bei einem Krankenhausaufenthalt steigt mit dem Alter von 6 Tagen für die jungen Erwachsenen auf 28 Tage für die über 70jährigen. Bei 2/3 der Kuren beträgt die Dauer 4 Wochen. Schlüsselwörter: Inanspruchnahme – Arztkontakt – Krankenversicherung – Arbeitsunfähigkeit Utilization of Medical Services Available in Germany Under Statutory Sickness Insurance Facilities: About 90% of all Germans are seeing their doctor at least once a year. Half of the population has consulted a doctor during the past four weeks. More than 95% of the patients have been satisfied with these consultations. On average, a medical practitioner was consulted 11 times a year. Half of the consultations were caused by 20% of population. In most cases, dentists and general practioners are contacted. More than 90% of the members of the german official health insurance system (Gesetzliche Krankenversicherung) have a family doctor already today. Annually, 12 working days are lost for illness. The average duration of a stay in hospital is rising with age, from 6 days for the youngest to 28 days for the oldest. For 2/3 of cures, the duration was 4 weeks. Key words: Health Utilization – Health Insurance – Loss of Work Days Methodik Ausgewertet wurde der Befragungsblock Inanspruchnahme medizinischer Leistungen (außer Beratung zu Gesundheitsverhalten, Maßnahmen zur Gesundheitsförderung inkl. Impfen gegen Grippe). Die Auswertung nach Art der KrankenverGesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S138–S144 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York E. Bergmann, P. Kamtsiuris Robert Koch-Institut, Berlin sicherung beruht auf einer Verdichtung der Frage 90, in der nur das wichtigste Versicherungsverhältnis berücksichtigt wurde. Da die Aussagen prinzipiell für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland repräsentativ sein sollen, wurde mit der entsprechenden Bevölkerung von 1998 gewichtet. Letzte Inanspruchnahme Die bekannte häufige Inanspruchnahme des Gesundheitswesens [Hoffmeister, Bellach, 1995], wie sie zu Beginn der 90er Jahre bestand, kann abermals für den Zeitraum 1997/1998 nachgewiesen werden. Ca. 90% der Deutschen im Alter zwischen 18 und 79 Jahren waren nach Selbstauskunft in den letzten 12 Monaten bei einem Arzt (ohne Zahnarzt) in ambulanter Behandlung. Vergleichbare Angaben aus den Statistiken der GKV liegen nicht vor. So wurde im Gesundheitsbericht [Statistisches Bundesamt, 1998] nur auf die ambulante Inanspruchnahmerate von 86,5% aus einer Versichertenstichprobe des Jahres 1988 verwiesen. Kinder, Jugendliche und über 80jährige, die im BGS nicht erfaßt wurden, werden vermutlich häufiger das Gesundheitswesen in Anspruch nehmen. Darüber hinaus gilt dies besonders für Schwerkranke, die am Survey aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnten, so daß die Inanspruchnahmequote von 90% eher als Unterschätzung gelten kann. Der Zeitpunkt der letzten Inanspruchnahme liegt bei den Frauen dichter an der Befragung als bei den Männern und ist zusätzlich stark altersabhängig, wie die Abb. 1 verdeutlicht. Im Alter zwischen 30 bis 50 Jahren sind die Männer nur zu knapp 80% in den letzten 12 Monaten zum Arzt gegangen, während bei den Frauen dieser Altersgruppe über 90% den Arzt aufsuchten. Im letzten Monat waren ca. 50% der Frauen beim Arzt. Mit dem Alter steigt die Inanspruchnahmerate des letzten Monats von 40% für die unter 20jährigen bis auf knapp 70% für die ab 70jährigen Frauen. Die Männer verzeichnen einen stärker ausgeprägten, ähnlichen Altersgang. Zunächst vermindert sich die IA im letzten Monat auf 25% bei den 30–39jährigen, um bei den über 70jährigen auf über 60% anzusteigen. Die Frage nach den weiteren Determinanten der Inanspruchnahme hatte zu einer Diskussion über die schichtspezifische Inanspruchnahme geführt. An den Daten des Sozio-Ökonomischen Panels von 1992 wurde kein Einfluß des Einkommens auf die ambulante Inanspruchnahme festgestellt [Fuchs, 1995; Winkelhake, Mielck, John, 1997]. Im BGS zeigt sich nun für Männer ein mit der sozialen Schicht schwindender Grad der Inanspruchnahme. Dieser Gradient konnte bei den Frauen nicht bestätigt werden. Weitergehende statistische Analysen, Beitrag: 352.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S139 Inanspruchnahme medizinischer Leistungen Männer 100% Frauen Abb. 1 Zeitraum des letzten Arztkontaktes nach Alter. 80% 60% 40% 20% 0% 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 vor 0–4Wochen 100% 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Alter in Jahren vor 1–3Monaten vor 4–12Monaten Männer vor mehr als 1 Jahr Abb. 2 Inanspruchnahme ausgewählter Fachgruppen im letzten Jahr nach Alter und Geschlecht. Frauen Z 80% A A F 60% Z 40% I U 20% I 0% 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Allgemeinmedizin Internist 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Alter in Jahren Urologe Frauenarzt Zahnarzt die Alter, Geschlecht und andere Größen simultan berücksichtigen, könnten hier lohnend sein. Festhalten läßt sich bisher, daß 25% der 20- bis 50jährigen Männer in der Oberschicht nicht jährlich zum Arzt gehen, während aus der Unterschicht nur 13% nicht beim Arzt waren. Im Ost-West-Vergleich mit den Surveys von 1990/91 wurde aufgezeigt, daß im Osten in den letzten 4 Wochen mehr Befragte den Arzt aufsuchten als im Westen [Hoffmeister, Bellach, 1995]. Diese Unterschiede im Inanspruchnahmeverhalten zwischen Ost und West sind 1997/1998 weitgehend verschwunden. Die Zufriedenheit mit den Ärzten ist sehr hoch und gibt kaum Anlaß zu Veränderungen im Versorgungssystem, denn ca. 95% der Patienten äußerten sich zufrieden über den letzten Arztbesuch. Den ersten Rang mit 97,3% zufriedenen Patienten halten die Frauenärzte, gefolgt von den Allgemeinmedizinern (96,4%), Internisten (96,3%), Augenärzten (95,3%), Chirurgen (92,8%), Hals-Nasen-Ohren-Ärzten (91,1%), Hautärzten (90,6%) und dem Schlußlicht Orthopäden mit immerhin auch noch 90,3% zufriedener Patienten. Mit den restlichen Fachärzten sind 93,1% zufrieden gewesen. Vermutlich ist die Zufriedenheit nicht nur von der medizinischen Einrichtung abhängig, sondern auch von der Art und Schwere der Erkrankung und von weiteren, in der Person des Befragten liegenden Eigenschaften. Die höchste Zufriedenheit ist beim Hausbesuch und in der Praxis erreicht (95,7%), bei Erster Hilfe/Notaufnahme oder Krankenhausversorgung ist mit durchschnittlich schwereren Erkrankungen zu rechnen und somit der Anteil Zufriedener mit 92,2% etwas niedriger. Der noch geringere Anteil Zufriedener in der Ambulanz/Gesundheitszentrum (91,6%) könnte ein erster Hinweis auf Verbesserungsmöglichkeiten in der Versorgung sein. Die Zufriedenheit mit der ärztlichen Leistung ist zwar vom Behandlungsanlaß abhängig, aber nur in relativ geringem Maße. Die Patienten, die aufgrund einer Befindlichkeitsstörung den Arzt aufgesucht hatten, äußerten zu 7,5% ihre Unzufriedenheit. Waren akute Krankheiten der Behandlungsanlaß, ging der Anteil Unzufriedener auf 5,5% zurück. Chronisch Kranke waren zu 4,5% unzufrieden und Personen, die einen ärztlichen Rat benötigten, zu 3,8%. Mit nur 2% Unzufriedenen waren fast alle, die den Arzt zur Vorsorge, Impfung oder aus anderen Gründen wie z.B. der Ausstellung eines Rezeptes aufsuchten, mit der Hilfe zufrieden. Die Empfehlung, wenigstens einmal im Jahr zum Zahnarzt zu gehen, wird von 77% der Bevölkerung1 befolgt (vgl. Abb. 2). 1 Diese und die folgenden Angaben über die Arztbesuche bei allen Ärzten im letzten Jahr weichen von den Angaben über den letzten Arztbesuch ab. Beitrag: 352.fm Ausdruck vom 25.5.00 S140 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 E. Bergmann, P. Kamtsiuris Abb. 3 Inanspruchnahme und Zufriedenheit in den letzten 12 Monaten – Männer. Diejenigen, die nicht jährlich zum Zahnarzt gehen, gehen zu 60% mindestens zu einem Arzt in diesem Zeitraum, während die Zahnarztpatienten in 75% der Fälle auch andere Ärzte aufsuchen. Ein Verdacht, daß bei 25% der Bevölkerung eine spezifische Angst vorm Zahnarzt vorhanden sein könnte, kann hiermit nicht bestätigt werden. Die Inanspruchnahme des Zahnarztes ist in allen Altersklassen relativ hoch, nur in höherem Alter wird der Zahnarztbesuch seltener. Frauen gehen durchschnittlich zu 78% zum Zahnarzt, Männer zu 75%. Abb. 4 Inanspruchnahme und Zufriedenheit in den letzten 12 Monaten – Frauen. Ähnlich hoch und kaum vom Alter abhängig ist mit 72% die Quote der Befragten, die jährlich einen Allgemeinmediziner aufsuchen. Der Arztbesuch beim Internisten steigt stark mit dem Alter bis auf ein Drittel der Befragten. Der Frauenarzt wird von den Frauen in den jüngeren Jahren häufiger als der Allgemeinmediziner aufgesucht. Im Alter ab 70 Jahren gehen nur noch 25% der Frauen zum Frauenarzt. Dagegen gehen die Männer sehr selten zum Urologen; erst mit höherem Alter steigt die Inanspruchnahme auf über 25%. Der Anteil der Befragten, die jährlich einen Arzt aufsuchen, sowie ihre Zufriedenheit mit der Arztgruppe wird in den Abb. 3 u. 4 zusammenfassend wiedergegeben. Insgesamt lassen sich drei Bereiche der Kombination von Inanspruchnahme und Zufriedenheit feststellen. Im Bereich I zeichnen sich die Arztgruppen der Zahnärzte und der Allgemeinmediziner sowie bei den Frauen die Gynäkologen durch eine hohe Inanspruchnahme und gleichzeitige hohe Zufriedenheit der Patienten aus. Demgegenüber charakterisieren sich die Arztgruppen der Orthopäden, Psychiater, Psychotherapeuten, Homöopathen, Heilpraktiker und Hautärzte im Bereich III sowohl durch eine niedrige Inanspruchnahme als auch durch eine relativ niedrige Zufriedenheit der Patienten. Schließlich ist die Zufriedenheit mit den Augenärzten, Radiologen, Chirurgen und Internisten relativ hoch, bei gleichzeitiger unterdurchschnittlicher Inanspruchnahme (Bereich II). Abb. 5 Distribution der Arztkontakte in den letzten 12 Monaten. Arztkontakte im letzten Jahr Aus Abb. 5, die die relative Verteilung der Arztkontakte in den letzten 12 Monaten zu der Verteilung der Versicherten darstellt, ist zu entnehmen, daß ca. 20% der Versicherten 50% der Arztkontakte auf sich vereinen und ca. 50% der Versicherten 80% der Kontakte verursachen. Bedeutende Unterschiede in diesem Inanspruchnahmeverhalten für die einzelnen Versicherungsarten sind nicht vorhanden; eine Tendenz zu einer gleichmäßigeren Verteilung ist für die AOK zu vermuten. Durchschnittlich gehen die Befragten 11mal im Jahr zum Arzt. Frauen nehmen häufiger eine ambulante Einrichtung in Anspruch als Männer (12,8 zu 9,1 Kontakten). Frühere Studien weisen für beide Geschlechtsgruppen jedoch eine höhere Beitrag: 352.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S141 Inanspruchnahme medizinischer Leistungen 11 9 Kontaktrate Abb. 6a Arztkontakte im letzten Jahr beim Allgemeinarzt. Männer Frauen 7 5 3 1 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Alter in Jahren 95%–Konfidenzgrenze/ Mittelwert Kontaktrate 7 Männer Abb. 6b Arztkontakte im letzten Jahr beim Internisten. Frauen 5 3 1 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Alter in Jahren 95%-Konfidenzgrenze/ Mittelwert 6 5 Kontaktrate Abb. 6c Arztkontakte im letzten Jahr beim Urologen/Gynäkologen. Männer / Urologe Frauen / Gynäkologe 4 3 2 1 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Alter in Jahren 95%-Konfidenzgrenze/ Mittelwert Häufigkeit von Praxiskontakten auf [Robra et al., 1991; Statistisches Bundesamt, 1998]. Mit dem Alter steigt auch die jährliche Kontaktrate von 8,7 auf 14,9. Die im Ost-West-Survey 1990/1991 noch vorhandenen Unterschiede zwischen Ost und West haben sich – wie schon damals vermutet wurde [Hoffmeister; Bellach, 1995] – nivelliert. Die Unterschiede nach Alter und Geschlecht hinsichtlich der durchschnittlichen Arztkontakte eines Patienten pro Jahr veranschaulichen die Abb. 6a bis 6d, jeweils für die am meisten genannten Facharztgruppen. Bei den Allgemeinärzten wächst mit zunehmendem Alter der Patienten überproportional stark ihre Anzahl der Kontakte pro Jahr von gut 3 auf 8 und mehr Kontakte – bei einer, wie oben erwähnt, weitgehend vom Alter unabhängigen hohen Inanspruchnahmerate von 72%. Die Altersabhängigkeit für die Kontaktrate (ebenso wie für die Inanspruchnahmerate) beim Internisten ist ebenfalls deutlich, wenn auch nicht so stark ausgeprägt. Die Kontaktrate für die Urologen nimmt bei den Männern mit dem Alter zu, und bei Beitrag: 352.fm Ausdruck vom 25.5.00 S142 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 4 E. Bergmann, P. Kamtsiuris Kontaktrate Abb. 6d Arztkontakte im letzten Jahr beim Zahnarzt. Männer Frauen 3 2 1 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Alter in Jahren 95%-Konfidenzgrenze/ Mittelwert Abb. 7 Durchschnittliche Anzahl der Arztkontakte in den letzten 12 Monaten nach Krankenkasse. den Patientinnen erreicht die Anzahl der jährlichen Kontakte beim Frauenarzt im Alter bis 40 Jahren ihr Maximum. Abb. 7 zeigt die geschlechts- und regionsspezifischen Häufigkeiten ambulanter Inanspruchnahme, differenziert nach Art der Krankenkasse, wie sie sich in der Erhebung des Gesundheitssurveys 1998 abbildet: Männer in der PKV suchen mit 7,5 Praxiskontakten pro Jahr seltener als AOK- und GKVRest-Versicherte2 (9,4 bzw. 8,8 Kontakte pro Jahr) eine Arztpraxis auf. Der Unterschied zwischen AOK- und PKV-Versicherten ist in Ostdeutschland größer als in Westdeutschland. Die höhere Frequenz der Arztbesuche bleibt bei Frauen aller Kassen bestehen. Bei einer Differenzierung nach Region zeigt sich jedoch, daß bei den Frauen in Ostdeutschland sich ein ähnliches, sogar verstärktes Bild wie bei den Männern zeigt, während bei den Frauen in Westdeutschland kein Unterschied nach der Versicherungsart erkennbar ist. Abb. 8 zeigt die alters- und geschlechtsspezifischen Häufigkeiten ambulanter Inanspruchnahme hinsichtlich der Anzahl 2 GKV-Rest sind Ersatzkrankenkasse, BKK, IKK und andere gesetzliche Krankenkassen der Arztkontakte pro Jahr, differenziert nach Art der Krankenkasse. Insgesamt steigt die Inanspruchnahme erwartungsgemäß mit dem Alter sowohl für Männer und Frauen als auch in den Versichertengruppen, jedoch nicht immer linear und ähnlich stark. Die Anzahl der Praxiskontakte liegt bei den männlichen PKVVersicherten ab dem Alter von 40 Jahren niedriger als bei den GKV-Versicherten. Während jedoch die ambulante Inanspruchnahme der GKV-Rest-Versicherten kontinuierlich von 6,9 bei den 20- bis 29jährigen auf 14,7 Kontakte der 70- bis 79jährigen zunimmt, macht sie bei den 50- bis 59jährigen AOK-Versicherten einen Sprung von 5,4 auf 13,4 Kontakte. Umgekehrt sind es bei den 50- bis 59jährigen Frauen die GKVRest-Versicherten, die eine signifikant höhere Anzahl von Praxiskontakten aufweisen. Insgesamt nehmen die Unterschiede zwischen den verschieden Kassenarten in höherem Alter zu. Während bei den Männern ab der Altersgruppe der 50–59jährigen die GKV-Versicherten signifikant häufiger Praxiskontakte aufweisen, gehen die in der PKV versicherten Frauen ab 60 Jahren häufiger zum Arzt. Beitrag: 352.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S143 Inanspruchnahme medizinischer Leistungen 28 24 Kontaktrate Abb. 8 Inanspruchnahme in den letzten 12 Monaten nach Alter und Krankenkasse. Männer Frauen 20 16 12 8 4 0 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Alter in Jahren AOK GKV-Rest PKV Abb. 9 Verteilung der Arztkontakte über die Arztgruppen nach Geschlecht und Krankenkasse. Die Verteilung der ambulanten Kontakte auf die verschiedenen Arztgruppen in den letzten 12 Monaten, differenziert nach Art der Krankenkasse, geht aus Abb. 9 hervor. Die Gruppierung der Fachgruppen zu Fachärzten der Allgemeinmedizin, Fachärzten mit Primärversorgung (Internist, Frauenarzt, Urologe) und Spezialfachärzten I (Augenarzt, HNO-Arzt, Hautarzt, Orthopäde) und Spezialfachärzten II (Nervenarzt/Psychiater, Psychotherapeut, Chirurg, Arzt für Naturheilkunde, Arzt für Homöopathie, Radiologe, Betriebsarzt, ÖGD-Arzt, sonstiger Arzt, Heilpraktiker) ist zwar relativ willkürlich, kann aber vermutlich den Zugang zum Gesundheitssystem verdeutlichen. Gleichzeitig wird auch die Inanspruchnahme der Zahnärzte berücksichtigt. den AOK-Versicherten mit 40% bei den Männern bzw. 37% bei den Frauen höher sowohl bei den GKV-Rest-Versicherten (33% bei den Männern, 25% bei den Frauen) als auch bei den privat Versicherten (24% bei den Männern, 22% bei den Frauen). Demgegenüber beträgt der Anteil der Spezialfachärzte der Gruppe II bei den männlichen PKV-Versicherten 8%Punkte bzw. bei den weiblichen PKV-Versicherten 12%Punkte mehr als bei den AOK-Versicherten. Hierzu trägt in erster Linie der relativ höhere Anteil der Inanspruchnahme der Ärzte für Naturheilkunde und der Heilpraktiker der privat Versicherten (6% bei den Männern, 13% bei den Frauen) bei. Sowohl für Männer als auch für Frauen ist bei den Versicherten aller Kassen die Inanspruchnahme der Allgemeinmediziner und praktischen Ärzte am größten. Während jedoch bei den Frauen die Fachärzte der Primärversorgung (hier insbesondere der Gynäkologe) an zweiter Stelle folgen, sind es bei den Männern die Spezialfachärzte der Gruppe I. Insgesamt ist der Anteil der Inanspruchnahme der Allgemeinmediziner bei Über 90% der GKV-Versicherten geben an, einen Hausarzt zu haben. Privat Versicherte, Beihilfe-Berechtigte oder Nichtversicherte haben nur zu 80% einen Hausarzt. Die angestrebten gesetzlichen Veränderungen zur Stärkung des Hausarztsystems im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung werden vermutlich kaum Änderungen im Inanspruchnahmeverhalten bewirken können, da die Versicherten schon heute Hausarzt Beitrag: 352.fm Ausdruck vom 25.5.00 S144 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 E. Bergmann, P. Kamtsiuris ihren Hausarzt haben. Teures „doctor hopping“, verursacht durch einen kleinen Teil der Versicherten, könnte vermutlich nur durch rigorose Beschränkungen in der freien Arztwahl vermieden werden. Die Möglichkeit, daß Zusatzkosten durch die explizite Einführung des Hausarztsystems entstehen könnten, bleibt denkbar, da Befragte, die jetzt schon einen Hausarzt haben, 11,4mal im Jahr zum Arzt gehen, während die Befragten ohne eigenen Hausarzt nur durchschnittlich 8,4mal im Jahr einen Arzt aufsuchen. Unterschiede zwischen Ost und West bestehen hinsichtlich des Vorhandenseins eines Hausarztes kaum. Etwas häufiger haben Frauen (90%) einen Hausarzt als Männer (86%). In den mittleren Altersjahren wird ein Hausarzt seltener genannt als in den höheren Altersklassen; auch der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist bei den 40–49jährigen am größten. Arbeitsunfähigkeit Die durchschnittliche Anzahl ausgefallener Arbeitstage3 beträgt im Jahr 12 Tage, wobei die privat Versicherten mit 8 Tagen erheblich besser abschneiden als die in einer AOK Versicherten mit 14 Tagen oder gar die in den Innungskassen Versicherten mit 18 Tagen. Bezieht man die Arbeitsunfähigkeitstage nur auf Patienten, ergibt sich eine vergleichbare Situation. Patienten, die bei einer AOK oder IKK versichert sind, sind in über 30 Tagen arbeitsunfähig im Jahr, privat versicherte bzw. Beihilfe-berechtigte Patienten nur 17 Tage. scheinlichkeit höher, eine Kur verordnet bekommen zu haben. Die Quote der Kurteilnehmer wächst von 7% für die 18– 19jährigen, auf über 35% für die Befragten ab 50 Jahren. Beschränkt man sich auf das vor der Befragung liegende Jahr 1996, haben 2% der Bevölkerung eine Kur angetreten. Eine Altersabhängigkeit im Jahr 1996 ist dann nicht mehr erkennbar. Die Dauer der letzten Kur beträgt durchschnittlich ca. 30 Tage, wobei keine wesentlichen Abweichungen für Männer, Frauen und Altersgruppen erkennbar sind. Fast 2/3 haben eine 4wöchige Kur, 12% eine 6wöchige erhalten. Die gesetzlichen Änderungen von 1996 zur Kürzung der stationären Leistungen von Rehabilitationsmaßnahmen auf 3 Wochen haben sich hier noch nicht niedergeschlagen. Wiederholung einer Kur mit höherem Eigenbetrag Kur hat geholfen sehr etwas gar nicht ja 76,9 47,7 17,0 nein 23,1 52,3 83,0 Tab. 1 Wiederholung einer Kur mit höherem Eigenbeitrag in Abhängigkeit vom Kurerfolg Angaben in % Unterschiede in der Arbeitsunfähigkeit zwischen Altersgruppen, Männern und Frauen und Ost und West sind zwar in der Tendenz vorhanden, aber aufgrund der erheblichen Streuungen in den AU-Tagen nicht signifikant. Gut die Hälfte der AUTage ist auf Grippe und grippale Effekte zurückzuführen. Die Gründe für die Kur sind bei 36% der Kurteilnehmer schwerwiegende chronische Krankheiten, bei 27% handelt es sich um eine Vorsorgekur, und 37% nennen sonstige Gründe. Als sehr erfolgreich bezeichnen 48% ihre Kur, und nur 12% sehen keinen Erfolg in der Kur. Fast 60% würden eine Kur auch mit einem höheren Eigenbeitrag wiederholen. Dabei ist der Wunsch nach einer neuen Kur mit dem erhöhten Beitrag sehr stark von dem Ergebnis der letzten Kur abhängig (Tab. 1). Je besser der Kurerfolg gewesen ist, desto eher würden sie eine neue Kur mit finanzieren. Stationäre Inanspruchnahme Literatur Durchschnittlich waren die Befragten 1,86 Tage im Jahr im Krankenhaus, Frauen 2,06 Tage und Männer 1,65 Tage. Die extreme Altersabhängigkeit der durchschnittlichen Krankenhaustage von 0,61 Tagen der 18–19jährigen bis hin zu 5,41 Tagen bei den 70–79jährigen dürfte epidemiologisch-medizinsoziologisch begründet sein. Mit zunehmendem Alter treten verschiedene schwere Krankheiten nicht nur häufiger auf, sondern der Heilungs- und Genesungsprozeß ist insgesamt verlangsamt, und Komplikationen werden wahrscheinlicher. Bestätigt wird dies durch die durchschnittliche Verweildauer der Patienten von 5,8 Tagen für die jüngste Altersgruppe bis zu 27,9 Tagen für die Ältesten. 1 2 3 4 5 Stationäre Leistungen der Rehabilitation (Kuren) Die Frage nach dem Kuraufenthalt4 bezog sich auf den letzten Kuraufenthalt. Daher ist mit zunehmendem Alter die Wahr3 4 Die Angaben über die Arbeitsunfähigkeit beruhen auf den Selbstangaben, beziehen sich auf alle Befragte und nicht nur auf Pflichtversicherte und sind somit nicht direkt vergleichbar mit der Krankheitsartenstatistik [Bundesministerium für Gesundheit, 1998]. Kuraufenthalt umfaßt in seiner umgangssprachlichen Bedeutung verschiedene Leistungen unterschiedlicher Kostenträger, wie z.B. stationäre medizinische Rehabilitationsleistungen der Rentenversicherung oder Vorsorgekuren für Mütter der Krankenkasse. 6 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.) (1998). Arbeitsunfähigkeit und Krankenhausbehandlung nach Krankheitsarten 1995. Bundesministerium für Gesundheit, Bonn Fuchs J (1995). Beeinflußt Einkommen die Gesundheit? Analysen mit Daten des Sozio-Ökonomischen Panels. Gesundheitswesen 57: 746–752 Hoffmeister H, Bellach BM (Hrsg.) (1995). Die Gesundheit der Deutschen. Ein Ost-West-Vergleich von Gesundheitsdaten (2. Aufl.). Robert Koch-Institut, RKI-Hefte, Bd. 7, Berlin Robra BP, Lue C, Kerek-Bodden HE, Schach E, Schach S, Schwartz FW (1991). Die Häufigkeit der ärztlichen Inanspruchnahme im Spiegel zweier Repräsentativerhebungen: DHP-Survey und EVaS-Studie. Öffentliche Gesundheitswesen 53: 228–232 Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (1998). Gesundheitsbericht für Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Stuttgart: Metzler-Poeschel Winkelhake O, Mielck A, John J (1997). Einkommen, Gesundheit und Inanspruchnahme des Gesundheitswesens in Deutschland 1992. (Income, health, and health services utilization in Germany 1992). Sozial- und Präventivmedizin 42: 3–10 Eckardt Bergmann Robert Koch-Institut Postfach 650280, D-13302 Berlin Beitrag: 352.fm Ausdruck vom 25.5.00 S145 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE mit ›› Zufriedenheit Lebensumständen und Gesundheit Zusammenfassung: Im vorliegenden Beitrag wird die Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbereichen wie Arbeit, Wohnsituation, finanzielle Lage, Gesundheit, familiäre Situation und mit dem Leben im allgemeinen in Deutschland beschrieben. Die Analyse beruht auf Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998, bei dem die 18- bis 79jährige Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland auf der Basis einer repräsentativen Stichprobe an einer standardisierten Befragung zu gesundheitsrelevanten Themen und einer medizinischen Untersuchung teilgenommen hat. Frauen sind mit ihrem Leben im allgemeinen zufriedener als Männer. Über alle Altersklassen hinweg ist die Lebenszufriedenheit im Westen höher als im Osten. Am höchsten ist die Zufriedenheit mit Familie (über 70%) und Wohnung, am niedrigsten mit der finanziellen Situation. Den höchsten Grad an Unzufriedenheit weisen die Ostdeutschen im Alter von 20 bis 29 Jahren hinsichtlich ihrer finanziellen Situation (20%) auf. Im Vergleich zu 1991 ist die Lebenszufriedenheit im Osten geringfügig gesunken, im Westen annähernd gleich geblieben. Mit ihrer Gesundheit sind Männer und Frauen in beiden Teilen Deutschlands heute zufriedener als noch vor zehn Jahren. Die Zufriedenheit mit der finanziellen Lage und der Arbeitssituation hat dagegen abgenommen. Schlüsselwörter: Lebenszufriedenheit – Prädiktor – BundesGesundheitssurvey 1998 – Gesundheit – finanzielle Situation – Arbeitssituation Contentedness with Living Conditions and Health: In the present publication, contentment with different life areas like work, housing, financial situation, health, familial situation and with life in general is described. The analysis is based on data of the German National Health Interview and Examination Survey 1998, in which a representative sample of the German residential population between 18 and 79 years of age participated in a standardized interview with regard to health relevant topics as well as in a medical examination. In general, women are more content with their life than men. In all age classes, contentment with life is higher in the West than in the East. Highest contentment is observed with family (over 70%) and housing, and lowest with financial situation. The East German residents show the highest degree of dissatisfaction in the age-group of 20 to 29 years regarding their financial situation (20%). In comparison to 1991, contentment with life is reduced negligibly in the East, and in the West it approximately Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S145–S150 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York U. Ellert, H. Knopf Robert Koch-Institut, Berlin remained the same. Men and women in both parts of Germany are more content with their health today than ten years ago. In contrast, contentment with the financial situation as well as the work situation is lower than ten years ago. Key words: Contentment with Life – Predictor – National Health Survey – Health – Financial Situation – Working Situation Einleitung Im Bereich Public Health rückt die Lebensqualitätsforschung immer mehr in den Vordergrund. Dabei gibt es zunehmend Konsens darüber, daß subjektiv wahrgenommene Ressourcen bessere Prädiktoren für Wohlbefinden und Gesundheit sind als objektiv vorhandene. So ist beispielsweise nicht so sehr das objektive monatliche Einkommen als vielmehr seine subjektive Bewertung und Einschätzung maßgebend für das diesbezügliche Wohlbefinden der Menschen [Perrig-Chiello et al. 1996]. Die Beschreibung der Lebensqualität, des subjektiven Gesundheitszustandes sowie der sozialen und ökonomischen Folgen von Krankheit und Behinderung gewinnt an Bedeutung [Bullinger 1997]. Um Aussagen über die Lebensqualität und den Gesundheitszustand einer Bevölkerung treffen zu können, wird die Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbereichen wie Arbeit, Wohnsituation, finanzielle Lage, Gesundheit, familiäre Situation und mit dem Leben im allgemeinen als wesentliches Barometer letztendlich auch für Gesundheit in dem von der WHO vorgeschlagenen umfassenden Sinne angesehen [Li Zhan 1992]. Material und Methode Wie bereits in den vorangegangen Surveys [Hoffmeister, Bellach 1995] wurden die Probanden im Rahmen des BundesGesundheitssurveys [Thefeld et al. 1999] zu ihrer Zufriedenheit mit den Lebensbereichen Arbeitssituation, Wohnung, Wohngebiet, Wohnort, finanzielle Lage, Freizeit, Gesundheit, familiäre Situation, Beziehungen zu Freunden, Nachbarn und Bekannten sowie zur Zufriedenheit mit dem Leben insgesamt befragt. Dabei war jeweils eine siebenstufige Skala vorgegeben, die von sehr unzufrieden bis sehr zufrieden reichte. Für die Auswertungen wurden dann 6 und 7 zu sehr zufrieden, 3, 4 und 5 zu mittelmäßig zufrieden und 1 und 2 zu sehr unzufrieden zusammengefaßt. Zur Beurteilung zeitlicher Veränderungen zwischen 1991 und 1998 wurden die entsprechenden Mittelwerte berechnet. S146 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 U. Ellert, H. Knopf Bekanntermaßen beeinflussen die verschiedensten Prädiktoren die Zufriedenheit mit dem Leben [Kozma et al. 1991]. Mit Hilfe des Moduls Chaid aus der Gruppe der SPSS-Programme ist es möglich, Baumdiagramme zu erstellen, anhand derer sich eine Hierarchie der Einflußgrößen ablesen läßt. Als Variablen, die einen Einfluß auf die Zufriedenheit mit dem Leben haben können, wurden das Alter (in 10-Jahres-Altersgruppen), das Geschlecht, das Leben in Ost- oder Westdeutschland, die soziale Schicht, der Gesundheitszustand, die derzeitige Berufstätigkeit und das Leben mit oder ohne Partner berücksichtigt. Die Datenanalyse erfolgte mit dem System SPSS Release/Version 9.01. Die Signifikanz wurde bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% geprüft. Ergebnisse Zufriedenheit mit dem Leben insgesamt Betrachtet man die Zufriedenheit mit dem Leben insgesamt, so werden deutliche Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern offensichtlich. Diese Unterschiede ergeben sich in erster Linie aus den Antwortkategorien „sehr unzufrieden“ und „sehr zufrieden“. In den neuen Bundesländern wird deutlich häufiger Unzufriedenheit und entsprechend seltener Zufriedenheit mit dem Leben im allgemeinen geäußert als in den alten Bundesländern. In beiden Landesteilen Deutschlands sind Frauen mit ihrem Leben zufriedener als Männer. In allen Altersgruppen ist die Zufriedenheit in den alten Bundesländern größer als in den neuen Bundesländern. Statistisch signifikant sind die Ost-West-Unterschiede bei den 50bis 59jährigen Männern und den Frauen in den Altersgruppen 40–49 Jahre, 50–59 Jahre sowie 60–69 Jahre. Bei beiden Geschlechtern ist eine deutliche Steigerung der Lebenszufriedenheit erst ab dem 60. Lebensjahr zu verzeichnen. Starke Einbrüche in der Lebenszufriedenheit zeichnen sich dagegen im mittleren Lebensalter (40–59 Jahre) bei Männern und Frauen in den neuen Bundesländern und bei Männern in den alten Bundesländern ab. In diesen Lebensabschnitten können Identitätskrisen und Eingriffe in Lebenskarrieren im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen am stärksten zum Tragen kommen. 70- bis 79jährige Männer in den alten Bundesländern weisen mit 77,3% den höchsten Anteil, Frauen im Alter von 40–49 Jahren im Osten mit 49,2% den niedrigsten Anteil „sehr zufriedener“ aus. Als wichtigster Prädiktor für die Zufriedenheit mit dem Leben im allgemeinen erweist sich das Alter (18–59 Jahre oder 60– 79 Jahre). In der älteren Gruppe (60–79 Jahre) wird die Lebenszufriedenheit vom Gesundheitszustand, in der jüngeren Gruppe (<60 Jahre) zunächst durch das Leben mit oder ohne Partner und danach durch den subjektiv eingeschätzten Gesundheitszustand geprägt. Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbereichen Aus den Tab. 2 bis 4 und den Abb. 1 bis 3 ist zu entnehmen, wie zufrieden die Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland mit bestimmten Bereichen des Lebens ist. Es zeigt sich, daß in allen Bereichen mehr oder weniger stark ausgeprägte geschlechtsspezifische Unterschiede und Differenzen zwischen alten und neuen Bundesländern bestehen. Arbeitssituation Mehr als die Hälfte aller Studienteilnehmer aus den alten Bundesländern ist mit der derzeitigen Arbeitssituation oder der Hauptbeschäftigung sehr zufrieden, bei den Ostdeutschen sind es nur 43% der Männer und 47% der Frauen. Neben diesen regionalen Differenzen sind auch in diesem Lebensbereich deutliche altersspezifische Unterschiede zu verzeichnen. Mit Erreichen des Rentenalters steigt die Zufriedenheit mit der Arbeitssituation oder der Hauptbeschäftigung deutlich an. Besonders unzufrieden sind Personen im mittleren Lebensalter (30–49 Jahre). Die Unzufriedenheit der Frauen ist im Osten mit 12,8% fast dreimal so hoch wie im Westen (4,7%) und übersteigt die entsprechenden Werte der Männer in Ost (10,7%) und West (7,3%). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Frauen im Osten unzufrieden sind mit der Art der Tätigkeit, die sie ausüben, oder damit, daß sie arbeitslos sind. Die Zufriedenheit wurde deshalb in Abhängigkeit von der derzeitigen beruflichen Situation analysiert. Das Ergebnis der niedrigsten Zufriedenheit für die arbeitslosen Frauen in den neuen Bundesländern ist ein Hinweis darauf, daß die Unzufriedenheit zu großen Teilen auf das Fehlen einer bezahlten Arbeit zurückgeführt werden kann. Die Zahlen lassen vermuten, daß der Anspruch, berufstätig sein zu wollen, nicht nur bei den äl- Tab. 1 Zufriedenheit mit dem Leben im allgemeinen (in %) Altersgruppen gesamt West Ost 18–19 Jahre West Ost 20–29 Jahre 30–39 Jahre West Ost West Ost 40–49 Jahre West Ost 50–59 Jahre West Ost 60–69 Jahre West Ost 70–79 Jahre West Ost 1,5 41,9 3,9 23,4 5,9 39,1 1,8 34,9 1,0 40,4 1,2 35,5 1,2 45,8 2,1 37,0 1,3 46,3 3,8 34,7 2,0 45,8 1,1 28,6 1,1 31,4 2,1 20,6 1,6 32,5 56,6 72,7 54,9 63,4 58,7 63,2 53,0 60,8 52,5 61,6 52,2 70,3 67,4 77,3 65,9 2,2 40,6 4,4 34,5 3,4 43,5 2,2 34,4 1,8 35,8 0,8 36,9 2,3 43,6 3,9 30,8 3,1 47,8 2,8 33,3 2,8 44,8 1,5 22,9 1,3 34,1 1,8 27,1 0,8 30,5 57,3 61,1 53,1 63,4 62,4 62,3 54,1 65,4 49,2 63,9 52,4 75,6 64,6 71,1 68,7 Männer sehr unzufrieden 2,1 mittelmäßig 33,1 zufrieden sehr zufrieden 64,9 Frauen sehr unzufrieden 2,2 mittelmäßig 31,5 zufrieden sehr zufrieden 66,3 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S147 Zufriedenheit mit den Lebensumständen und Gesundheit Tab. 2 Zufriedenheit mit der Arbeit (in %) gesamt West Ost 18–19 Jahre West Ost 20–29 Jahre West Ost 30–39 Jahre West Ost 40–49 Jahre West Ost 50–59 Jahre West Ost 60–69 Jahre West Ost 70–79 Jahre West Ost 7,3 40,3 10,7 46,3 4,4 56,1 1,4 60,0 5,8 40,0 11,3 51,6 6,9 47,3 10,9 43,8 11,5 43,9 14,3 54,2 11,7 38,7 16,7 43,1 1,9 32,1 3,5 39,1 2,6 24,1 29,0 52,3 43,1 39,5 38,6 54,2 37,1 45,8 45,3 44,7 31,6 49,5 40,2 66,0 57,3 73,3 71,0 4,7 39,5 12,8 40,6 4,2 57,9 5,3 46,5 7,9 41,7 20,0 39,7 5,7 46,2 16,4 46,5 6,3 44,0 15,6 46,3 4,4 42,8 15,1 41,4 1,0 28,3 0,8 35,3 1,1 23,8 4,6 23,3 55,8 46,6 38,0 48,2 50,4 40,3 48,1 37,1 49,7 38,1 52,8 43,5 70,6 64,0 75,2 72,1 Männer sehr unzufrieden mittelmäßig zufrieden sehr zufrieden Frauen sehr unzufrieden mittelmäßig zufrieden sehr zufrieden teren Frauen im Osten vertreten ist, sondern sich offensichtlich auch auf die nachwachsenden Generationen übertragen hat. Das traditionelle bürgerliche Rollenverhalten (ausschließlich Hausfrau und Mutter) wird auch von den jüngeren Frauen in den neuen Bundesländern anscheinend kaum oder nur zögerlich akzeptiert. Bei der Frage nach der Zufriedenheit mit der Arbeit erweist sich auch fast ein Jahrzehnt nach der Wende das Leben im Ost- beziehungsweise Westteil Deutschlands als wichtigste Einflußgröße, wenn man als mögliche Prädiktoren die bereits bei der Lebenszufriedenheit genannten Merkmale zuläßt. Finanzielle Lage Zwischen Arbeitssituation und finanzieller Lage besteht ein enger Zusammenhang. So ist es nicht erstaunlich, daß sich auch bei der Zufriedenheit mit der finanziellen Lage im OstWest-Vergleich ein ähnliches Bild ergibt wie bei der Arbeitssituation. Auch hier ist der Anteil der Zufriedenen im Westen deutlich höher als im Osten. In den alten Bundesländern nimmt die Zufriedenheit mit der finanziellen Lage mit dem Alter bei Männern und Frauen kontinuierlich zu, was zum einen Ausdruck der finanziellen Konsolidierung, zum anderen Ausdruck einer geringeren Anspruchshaltung älterer Geburtjahrkohorten sein kann. Im Osten steigt der Anteil der Zufriedenen erst gegen Ende des berufstätigen Alters auf über 50% an. Am unzufriedensten sind die ostdeutschen Männer im Alter von 20 bis 29 Jahren. Mit Ausnahme der 18- bis 19jährigen sind Frauen in allen Altersgruppen zufriedener als Männer. Wohnumfeld Zu den wesentlichen Faktoren für Lebensqualität gehört auch die Zufriedenheit mit dem Wohnumfeld, die im Survey mit Hilfe der Punkte Wohnung, Wohngebiet und Wohnort erfaßt wurde. Für alle drei Bereiche gilt wieder, daß Menschen im Westen zufriedener sind als im Osten und Frauen zufriedener sind als Männer. Dabei ist der Anteil derer, die angeben, mit ihrem Wohnumfeld sehr zufrieden zu sein, aber generell sehr hoch. Die Zufriedenheit mit der Wohnung nimmt im Alter sowohl bei Männern als auch bei Frauen zu. Ob das ein Ausdruck von geringerer Wertigkeit dieses Lebensbereiches für die Zufriedenheit älterer Menschen beziehungsweise Ausdruck einer geringeren Anspruchshaltung oder die tatsächlich bessere Wohnsituation ist, kann mit unseren Daten nicht abschließend beantwortet werden. Eine Ausnahme in dieser Altersspezifik bildet die Zufriedenheit mit dem Wohnort bei den 20- bis 29jährigen Frauen im Osten, von denen über 60% angeben, mit ihrem Wohnort sehr zufrieden zu sein, ein Wert, der erst von den 50- bis 59jährigen mit mehr als 65% überboten wird. Freizeit Mehr als 50% aller westdeutschen Männer und Frauen geben an, mit ihrer Freizeit zufrieden zu sein, im Osten sind es weniger als die Hälfte. In beiden Teilen Deutschlands sind die Tab. 3 Zufriedenheit mit der finanziellen Lage (in %) gesamt West Ost 18–19 Jahre West Ost 20–29 Jahre West Ost 30–39 Jahre West Ost 40–49 Jahre West Ost 50–59 Jahre West Ost 60–69 Jahre West Ost 70–79 Jahre West Ost 8,8 48,2 12,3 57,2 6,2 59,7 14,5 63,1 13,7 55,5 21,4 58,8 8,8 55,6 10,9 64,0 9,9 50,3 14,1 62,6 9,3 42,5 13,0 54,1 4,6 42,3 4,5 44,4 4,0 26,8 1,5 45,8 42,9 30,5 34,1 22,4 30,8 19,8 35,7 25,1 39,8 23,3 48,2 32,9 53,1 51,1 69,1 52,7 6,9 41,0 13,1 51,6 17,1 56,8 11,0 76,0 11,3 54,9 20,6 60,2 8,1 50,2 17,3 54,3 7,7 43,3 16,4 54,8 6,0 35,6 10,5 56,5 2,7 27,2 4,7 43,6 2,8 26,1 6,9 27,5 52,1 35,2 26,0 13,0 33,9 19,2 41,7 28,3 49,1 28,7 58,4 33,1 70,1 51,8 71,2 65,6 Männer sehr unzufrieden mittelmäßig zufrieden sehr zufrieden Frauen sehr unzufrieden mittelmäßig zufrieden sehr zufrieden S148 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 U. Ellert, H. Knopf 80% 80% West Ost 60% 60% 40% 40% 20% West Ost 0% 18–19 30–39 50–59 70–79 20–29 40–49 20% Frauen Männer 60–69 20–29 40–49 60–69 18–19 30–39 50–59 70–79 Frauen Männer 0% 18–19 30–39 50–59 70–79 20–29 40–49 60–69 20–29 40–49 60–69 18–19 30–39 50–59 70–79 Abb. 1 Sehr zufrieden mit der Freizeit. Abb. 2 Sehr zufrieden mit dem Gesundheitszustand. Frauen um ca. 5 Prozentpunkte zufriedener mit ihrer Freizeit als die Männer. es sind, auf die sich jemand verlassen kann, desto größer ist auch seine Zufriedenheit mit den sozialen Kontakten. Diejenigen, die sehr zufrieden mit ihrer familiären Situation sind, bilden auch den größten Anteil derer, die zufrieden mit ihren Beziehungen zu Nachbarn, Freunden und Bekannten sind. Es zeigt sich, daß die Zufriedenheit mit der Freizeit im mittleren Lebensalter am geringsten ist, was unter anderem daran liegen mag, daß in diesem Alter die Belastungen durch Beruf und Familie am größten sind und somit wenig Gestaltungsspielraum für Freizeit bleibt. Einzige Ausnahme von der Regel, daß für alle Altersklassen und beide Geschlechter der Anteil der Zufriedenen im Westen höher ist als im Osten, sind die 60–69jährigen Männer. Hier liegt der entsprechende Wert in den neuen Bundesländern über dem in den alten Bundesländern. Familie und soziale Kontakte Mit über 70% liegt die Zufriedenheit mit der familiären Situation bei Männern und Frauen in ganz Deutschland relativ hoch. Wesentliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowie zwischen den neuen und alten Bundesländern treten hier nicht zutage. Berücksichtigt man das Alter und die Region, sind Männer und Frauen im Mittel zufriedener mit ihrer familiären Situation, wenn sie mit einem Partner zusammenleben. Frauen sind im allgemeinen zufriedener als Männer mit ihren Beziehungen zu Freunden, Nachbarn und Bekannten, die Frauen im Westen mit 77% noch stärker als die im Osten mit 74%. Ein enger Zusammenhang besteht zwischen der Zufriedenheit mit den Beziehungen und der Anzahl der Personen, auf die man sich im Notfall verlassen kann. Je mehr Personen Zufriedenheit mit der Gesundheit Daß der Gesundheitszustand einen wichtigen Einfluß auf die Zufriedenheit mit dem Leben im allgemeinen hat, zeigt sich in vielen Untersuchungen [Hörnquist 1989, Bormann et al. 1990, Hoffmeister et al. 1995]. Als wesentlichster Prädiktor für die Gesundheitszufriedenheit erweist sich in unserer Untersuchung das Alter. In der nächsten Ebene folgt erwartungsgemäß der selbsteingeschätzte Gesundheitszustand. Mit zunehmendem Alter äußern Männer und Frauen häufiger Unzufriedenheit mit ihrem Gesundheitszustand. Am unzufriedensten sind Personen im Vorrentenalter (50–59 Jahre). Mit Erreichen des Rentenalters steigt die Zufriedenheit wieder geringfügig an. Männer sind etwas zufriedener mit ihrem Gesundheitszustand als Frauen. Ein signifikanter Ost-West-Unterschied ist lediglich bei den 70- bis 79jährigen Männern zu verzeichnen. Rangfolge der einzelnen Lebensbereiche Ordnet man den einzelnen Lebensbereichen nach der Häufigkeit der Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit Ränge zu, ergeben sich folgende Bilder. Sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern ist bei den Männern die Zufriedenheit mit der Familie am größ- Tab. 4 Zufriedenheit mit der familiären Situation (in %) gesamt West Ost 18–19 Jahre 20–29 Jahre West Ost West Ost 30–39 Jahre West Ost 40–49 Jahre West Ost 50–59 Jahre 60–69 Jahre West Ost West Ost 70–79 Jahre West Ost 3,9 23,1 72,9 3,7 24,9 71,4 5,1 23,8 71,1 3,3 4,2 37,6 27,8 59,1 68,0 2,8 32,4 64,9 4,7 25,2 70,2 5,2 31,0 63,9 3,4 24,9 71,7 6,4 19,1 74,5 3,9 24,4 71,7 1,6 20,2 78,2 3,8 16,5 79,8 1,4 19,0 79,6 2,7 12,5 84,8 4,0 20,2 75,8 4,1 25,2 70,7 3,2 26,0 70,8 5,3 28,3 66,4 3,6 4,3 20,0 25,6 76,5 70,1 3,2 19,4 77,4 4,2 25,4 70,5 4,7 27,6 67,6 5,2 25,3 69,5 3,6 28,0 68,5 4,2 28,7 67,0 2,2 28,7 69,1 3,5 22,6 74,0 1,7 28,7 69,7 2,9 22,1 75,0 3,1 22,2 74,8 Männer sehr unzufrieden mittelmäßig zufrieden sehr zufrieden Frauen sehr unzufrieden mittelmäßig zufrieden sehr zufrieden Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S149 Zufriedenheit mit den Lebensumständen und Gesundheit 80% Mittlere Zufriedenheit West Ost 6 West Ost 60% 5,5 40% 5 20% Frauen Männer 4,5 Männer 0% Familie Freizeit Gesundheit Wohnung Freizeit Finanzen Wohnung Arbeit Finanzen Familie Arbeit Gesundheit Frauen 4 1991/1992 1998 1991/1992 1998 Abb. 3 Sehr zufrieden mit ausgewählten Lebensbereichen. Abb. 5 Mittlere Zufriedenheit mit dem Leben. ten, sie wird gefolgt von der Zufriedenheit mit der Wohnung. Am unzufriedensten sind die Männer in beiden Teilen Deutschlands mit der finanziellen Situation und mit der Arbeitssituation. Frauen sind im Westen am zufriedensten mit ihrer Wohnsituation, im Osten mit ihrer Familie. In beiden Teilen Deutschlands liegt auch bei den Frauen die Unzufriedenheit mit den Finanzen an erster Stelle, gefolgt von der Unzufriedenheit mit der Gesundheit in den alten Bundesländern und der Arbeitssituation in den neuen Bundesländern. Aus der Rangfolge wird offensichtlich, daß sich Wertigkeit der einzelnen Lebensbereiche bei den Männern in Ost und West nicht unterscheidet. Lediglich bei den Frauen sind Ost-WestUnterschiede dahingehend zu verzeichnen, daß bei den Frauen in den alten Bundesländern die Unzufriedenheit mit der Gesundheit, in den neuen Bundesländern die mit der Arbeitssituation einen höheren Stellenwert besitzt. die mit ihrem Leben zufrieden sind (68%), heute höher als der entsprechende Anteil der Frauen (64%). Vergleich mit 1991 Die Zufriedenheit mit dem Leben im allgemeinen unterschied sich zu Beginn der 90er Jahre deutlich zwischen Ost- und Westdeutschen. Diese Differenz ist auch fast zehn Jahre nach der Wiedervereinigung noch vorhanden. Nach wie vor ist die Lebenszufriedenheit in allen Altersklassen im Westen höher als im Osten. Damals wie heute weisen die 40–49jährigen Frauen aus den neuen Bundesländern den niedrigsten Anteil derer auf, die mit ihrem Leben zufrieden sind. Im Gegensatz zu 1991 ist bei den 60- bis 69jährigen der Anteil der Männer, 14% 12% 8% 6% 4% 2% Männer Mit ihrer finanziellen Lage sind die Männer und Frauen im Westen im Mittel weniger zufrieden als vor zehn Jahren. Die Zufriedenheit der ostdeutschen Männer hat zugenommen, die der ostdeutschen Frauen ist annähernd gleich geblieben. Dadurch haben sich die Ost-West-Unterschiede etwas verkleinert, sind aber immer noch deutlich. Genau wie bei der Arbeitszufriedenheit ist die zeitliche Veränderung auch bei der Zufriedenheit mit der finanziellen Lage bei den 40– 49jährigen Männern im Westen am größten, bei denen der Anteil der sehr zufriedenen um mehr als 10 Prozentpunkte auf 40% gesunken ist. In den Surveys zu Beginn der 90er Jahre wurde nur eine Frage nach der Zufriedenheit mit dem Wohnumfeld gestellt. Da diese Frage jetzt in drei Teilfragen (Wohnung, Wohngebiet, Wohnort) untergliedert wurde, lassen sich für diesen Lebensbereich keine Zeitvergleiche vornehmen. West Ost 10% Im Vergleich zu 1991 hat die Zufriedenheit mit der Arbeitssituation bei den Frauen im Osten zugenommen, bei Männern in beiden Teilen Deutschlands, und bei den Frauen im Westen ist sie dagegen geringer geworden. Immer noch gilt aber, daß Männer und Frauen im Westen zufriedener sind mit ihrer Arbeitssituation als diejenigen im Osten, wobei die Frauen der alten Bundesländer am zufriedensten sind. Nach wie vor ist in jeder einzelnen Altersklasse der Anteil derer, die angeben, mit ihrer Arbeitssituation sehr zufrieden zu sein, im Westteil größer als im Ostteil. Die deutlichste zeitliche Veränderung weisen die westdeutschen Männer zwischen 40 und 49 Jahren auf. Bei ihnen ist der Anteil der sehr Zufriedenen um fast 10 Prozentpunkte auf knapp 45% gefallen. Im Gegensatz dazu hat sich der Zufriedenenanteil der 25- bis 29jährigen Frauen in den neuen Bundesländern um 11 Prozentpunkte auf fast 48% erhöht. Frauen 0% Wohnung Gesundheit Arbeit Wohnung Arbeit Gesundheit Familie Freizeit Finanzen Familie Freizeit Finanzen Abb. 4 Sehr unzufrieden mit ausgewählten Lebensbereichen. Die Zufriedenheit mit der Freizeit hat gegenüber 1991 geringfügig abgenommen. Die zeitlichen Differenzen betragen weniger als 1 Prozentpunkt. Während bei den Männern in beiden Teilen Deutschlands und bei den Frauen im Westen ein Rückgang in der Zufriedenheit zu verzeichnen ist, sind Frauen in den neuen Bundesländern heute zufriedener mit ihrer Freizeit. S150 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 U. Ellert, H. Knopf fekte einschätzen zu können, sollten auch andere Studienansätze wie z.B. Longitudinalstudien in Erwägung gezogen werden. Mittlere Zufriedenheit 5,4 West Ost 5,2 Literatur 5 1 4,8 4,6 2 4,4 4,2 Frauen Männer 3 4 1991/1992 1998 1991/1992 1998 4 Abb. 6 Mittlere Zufriedenheit mit der finanziellen Lage. 5 Die Zufriedenheit mit der familiären Situation hat sich kaum verändert. Sie ist im Osten noch immer höher als im Westen, bei Männern etwas höher als bei Frauen. Bei den Frauen im Westen ist die Zufriedenheit mit den sozialen Beziehungen annähernd gleich geblieben, die Frauen der neuen Bundesländer sind jetzt unzufriedener als zu Beginn der 90er Jahre und liegen im Mittel sogar unter dem Wert der Frauen der alten Bundesländer. Auch bei den Männern hat die Zufriedenheit geringfügig abgenommen, sie ist jetzt in Ost- und Westdeutschland ungefähr gleich hoch. Mit ihrer Gesundheit sind die Menschen heute zufriedener als noch vor zehn Jahren. Lag 1991 die mittlere Gesundheitszufriedenheit der ostdeutschen Männer noch über der der westdeutschen, so hat sich das Bild jetzt umgekehrt. Bei den Frauen ist die Gesundheitszufriedenheit heute wie vor fast zehn Jahren im Westen höher als im Osten. Mittlere Zufriedenheit 5,4 West Ost 5,2 5 4,8 4,6 4,4 Männer Frauen 4,2 4 1991/1992 1998 1991/1992 1998 Abb. 7 Mittlere Zufriedenheit mit der Gesundheit. Schlußfolgerung Die vorgelegte Auswertung gestattet einen ersten Einblick in die Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen und mit dem Leben im allgemeinen als wesentliches Barometer für Gesundheit und Lebensqualität. Die Ergebnisse zu regionalen Unterschieden und zeitlichen Veränderungen werfen eine Zahl weiterer Fragen auf, die durch vertiefende Analysen der Daten der Bundes-Gesundheitssurveys bearbeitet werden sollten. Um insbesondere bei zeitlichen Trends Kohortenef- 6 7 8 Bormann C, Hoeltz J, Hoffmeister H et al. (1990). Subjektive Morbidität. Schriftenreihe des Bundesgesundheitsamtes 4/90. Tab. 3 Bullinger M (1997). Gesundheitsbezogene Lebensqualität und subjektive Gesundheit. Überblick über den Stand der Forschung zu einem neuen Evaulationskriterium in der Medizin. Psychosother. Psychosom. Med. Psychol. 47 Hoffmeister H, Bellach B (Hrsg) (1995). Die Gesundheit der Deutschen, Band 1, 198–208 Hörnquist JO (1989). Quality of Live: Concept and Assessment. Scand J Soc Med 18: 69–79 Kozma A, Stones MJ, McNeil KJ (1991). Psychologgical wellbeing in later life. Butterworths, Toronto Li Zhan MS (1992). Quality of life: conceptual and measurement issues. Journal of Advanced Nursing 17: 795–800 Perrig-Chiello P, Perrig WJ, Stähelin HB, Krebs-Roubicek E Ehrsam R (1996). Wohlbefinden, Gesundheit und Autonomie im Alter: Die Basler IDA-Studie. Z Gerontol Geriat 29, 95–109 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999). Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer, NonResponder-Analyse. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S57– S61 Ute Ellert Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin S151 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE Angaben zur täglichen ›› Subjektive Anwendung ausgewählter H. Knopf, H.-U. Melchert Robert Koch-Institut, Berlin Arzneimittelgruppen – Erste Ergebnisse des BundesGesundheitssurveys 1998 Zusammenfassung: In der vorliegenden Publikation werden Aussagen zur Häufigkeit der täglichen Anwendung von 34 ausgewählten Arzneimittelgruppen getroffen. Die Ergebnisse basieren auf der standardisierten ärztlichen Befragung einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Wohnbevölkerung im Alter von 18 bis 79 Jahren im Rahmen des Bundes-Gesundheitssurveys 1998. Fast 52% der befragten Männer und Frauen geben an, in den letzten 12 Monaten Arzneimittel aus mindestens einer der 34 Gruppen täglich angewendet zu haben. Bei beiden Geschlechtern steigen die Prävalenzraten mit dem Alter kontinuierlich an, Frauen sind häufiger Arzneimittelanwender als Männer und weisen etwa doppelt so häufig die Anwendung von Arzneimitteln aus mehreren Arzneimittelgruppen auf. Mit zunehmender Verschlechterung des Gesundheitszustandes verringern sich die geschlechtsspezifischen Differenzen. Bei den Frauen im Alter von 18 bis 45 Jahren ist die Rangfolge der genannten Arzneimittelgruppen folgendermaßen: Pille zur Schwangerschaftsverhütung (33,0%), Schilddrüsenpräparate (11,5%) und Vitaminpräparate (7,6%). Bei den gleichaltrigen Männern in den neuen Bundesländern liegen blutdrucksenkende Mittel (4,7%), Erkältungs- und Grippemittel (3,8%) sowie Vitamine (3,8%) auf den ersten drei Rängen; bei den Männern in den alten Bundesländern sind es Vitamine (5,0%), blutdrucksenkende Mittel (2,1%) und Schilddrüsenpräparate (1,9%). Von den über 45jährigen werden Arzneimittelgruppen zur Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren und der Herz-Kreislauf-Morbidität bei der täglichen Anwendung am häufigsten genannt. Das trifft sowohl für die Frauen als auch für die Männer zu. Die Ergebnisse liefern einen ersten Überblick über das Arzneimittelanwendungsverhalten der erwachsenen Wohnbevölkerung in Deutschland. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, daß die Einordnung in die vorgegebenen Antwortkategorien von der Erinnerungsfähigkeit der Studienteilnehmer und dem Laienverständnis der Arzneimittelgruppen abhängig ist. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß mit den ausgewählten Arzneimittelgruppen nicht das gesamte Präparatespektrum abgedeckt wird. Subjective Statements on the Daily Intake of Drugs from Selected Drug Groups: This publication presents data concerning the daily frequency of usage for 34 selected drug-groups. The results are based on standardized medical interviews done with a representative sample of the German resident population aged 18 to 79 years during the German National Health Interview and Examination Survey 1998. Nearly 52% of the interviewed men and women report the daily use of drugs at least from one of the above mentioned 34 groups during the last year before the interview. In both sexes the prevalence of drug-usage rises steadily with age. Women are more often drug-users than men with approximately doubled daily drugusage in some medication groups. With worsening of the health status the sex-specific differences of drug-usage diminish. For females aged 18 to 45 years the rank-order of drug-usage is as follows: oral contraceptives (33.0%), thyroid drugs (11.5%), vitamins (7.6%). For males of the same age group the rank order in the ‚new Bundesländer’ is as follows: antihypertensives (4.7%), drugs against common cold and grippe (3,8%) and vitamines (3.8%). In the ‚old Bundesländer’ the rank-order for males is the following: vitamines (5.0%), antihypertensives (2.1%) and thyroid drugs (1.9%). For those study participants older than 45 years, drug groups for therapy of cardiovascular diseases become prominent and are the most often used medications with daily use. This could be observed for males and females. The results give a first impression concerning the drug-usage pattern in an adult resident population in Germany. The discussion of the results has to consider, that the answers given in the interviews strongly depend on the memory of the study participants and their lay-understanding of the different groups of the questionnaire. Further it has to be considered that the 34 drug-groups did not cover the whole medication pattern. Schlüsselwörter: Arzneimittelanwendung – Deutschland – Antihypertensiva – orale Kontrazeptiva – Vitamine – Schilddrüsenpräparate Einleitung Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S151–S157 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Key words: Drug Utilization – Germany – Antihypertensives – Oral Contraceptives – Vitamines – Thyroid Drugs Der Arzneimittelgebrauch stellt einen entscheidenden Faktor im therapeutischen Handeln dar. Nicht unbeträchtliche Kostenanteile der Ausgaben aus dem Gesundheitssektor entfallen auf den Bereich Therapie und Versorgung mit Arzneimitteln. Nach Angaben der pharmazeutischen Industrie (Pharma Daten ‘99) wendete die „Gesetzliche Krankenversicherung“ 1998 13,1% ihrer Gesamtausgaben (27,1 Milliarden Mark) für die Lei- Beitrag: 343.fm Ausdruck vom 25.5.00 S152 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H. Knopf, H.-U. Melchert stungsart „Arzneien, Verband- und Hilfsmittel“ auf [Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie 1999]. Für viele – insbesondere für neue Arzneimittel – gilt, daß nach der Markteinführung ein besonderer Bedarf der Überwachung der erwünschten und unerwünschten Arzneimittelwirkungen besteht. Arzneimittelepidemiologische Studien können zur Marktbeobachtung und zur Arzneimittelsicherheit wesentliche Beiträge leisten. Pharmakoepidemiologische Datenbanken, die Arzneimittelanwendungen personenbezogen dokumentieren, gibt es bisher in Deutschland nur ansatzweise [Bertelsmann et al. 1998]. Die daraus zu entnehmenden Aussagen zur Arzneimittelverordnung auf individueller Ebene können aber nur eine sehr grobe Schätzung dessen sein, was tatsächlich angewendet wurde. Erschwerend kommt hinzu, daß diese Datenbanken keine Informationen über das Ausmaß der Selbstmedikation liefern. Die Arzneimittelerhebungen im Rahmen des BundesGesundheitssurveys stellen ein geeignetes Instrumentarium zur Schließung derartiger Informationslücken dar. Material und Methode 66,4% fast doppelt so häufig eine tägliche Arzneimittelanwendung auf wie die Männer (35%). Auch in unserer Studie zeigt sich ein hochsignifikanter (p<0,001) und starker (r=0,7099) Zusammenhang der Arzneimittelanwendung mit dem Alter. Mit zunehmender Verschlechterung des subjektiv eingeschätzten Gesundheitszustandes verringern sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede von über 34 Prozentpunkten bei denjenigen, die ihren Gesundheitszustand als sehr gut bezeichnen, auf etwa 20 Prozentpunkte bei denjenigen mit einem schlechten Gesundheitszustand. Neben geschlechts- und alterspezifischen Unterschieden zeigen sich auch Differenzen zwischen den alten (50,6%) und neuen Bundesländern (55,9%). In Abb. 1 ist die tägliche Arzneimittelanwendung nach der Anzahl der genannten Arzneimittelgruppen dargestellt. Es wird deutlich, daß sich die Wahrscheinlichkeit weitere Arzneimittelgruppen anzuwenden mit jeder zusätzlichen Arzneimittelgruppe um ca. 50% vermindert. Das Maximum der gleichzeitigen, täglichen Anwendung liegt beim Gebrauch von Arzneimitteln aus 11 Gruppen, betrifft aber lediglich 0,1% der Tab. 1 Liste der Arzneimittelgruppen, Bundes-Gesundheitssurvey 98 7099 Studienteilnehmer wurden in einem ärztlichen Interview zur Arzneimittelanwendung befragt. In Tab. 1 sind die 34 Arzneimittelgruppen aufgelistet, für welche die Einnahmefrequenzen in den letzten 12 Monaten erhoben wurden. Die Arzneimittelgruppen „Vitamin C“, „Vitamin E“ und „andere Vitaminpräparate“ wurden in der vorliegenden Analyse zur Gruppe der „Vitaminpräparate“ zusammengefaßt. Für jede Arzneimittelgruppe wurden die folgenden Einnahmefrequenzen erfaßt: „Täglich“, „mehrmals wöchentlich“, „1–2mal wöchentlich“, „weniger als 1mal wöchentlich“, „1– 3mal monatlich“, „selten“ und „nie“. Die nachfolgend beschriebene Auswertung beschränkt sich auf die Darstellung der Ergebnisse zur täglichen Arzneimittelanwendung. Die Datenanalyse erfolgte mit dem Statistiksystem SPSS (Version 9.01). Die Signifikanz wurde bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% geprüft. Ergebnisse und Diskussion Tägliche Arzneimittelanwendungen nach Geschlecht, Alter und Region Im Mittel geben 51,7% der Studienteilnehmer eine tägliche Arzneimittelanwendung in den letzten 12 Monaten an. Damit liegen unsere Ergebnisse deutlich über den Angaben des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, die eine tägliche Anwendungshäufigkeit von 37% ausweisen [Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie 1999]. Ob diese Diskrepanz durch ein unterschiedliches Studiendesign bedingt ist, läßt sich aufgrund der fehlenden Angaben zur Erhebungsmethodik der BPI-Studie nicht einschätzen. In zahlreichen Publikationen sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede und die Altersabhängigkeit der Arzneimittelanwendung beschrieben [Furu et al. 1997, Lassila et al. 1996, Lapeyre-Mestre 1999, Eggen 1997, Del Rio et al. 1996, Del Rio et al. 1997]. Differenziert nach Geschlecht weisen die weiblichen Studienteilnehmer des Bundes-Gesundheitssurveys mit blutdrucksenkende Mittel Kreislaufmittel/Blutdrucksteigernde Mittel Herzmittel durchblutungsfördernde Mittel Mittel für Lungen/Bronchien (z.B. Asthmamittel) Erkältungs-/Grippemittel Medikamente für Magen, Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse Pille zur Schwangerschaftsverhütung/ Dreimonatsspritze Schilddrüsenpräparate andere Hormonpräparate (Östrogene) Mittel zur Senkung des Blutzuckerspiegels (Insulin und/oder Tabletten) Mittel zur Senkung des Blutfettspiegels Mittel gegen Gicht Eisenpräparate gegen „Blutarmut“, Eisenmangel Medikamente gegen Blasen-/ Nierenkrankheiten Mittel gegen Rheuma, Bandscheibenbeschwerden Osteoporosemittel Migränemittel Schmerzmittel Mittel gegen Anfallsleiden (Epilepsie) stimmungsbeeinflussende Mittel, Psychopharmaka Beruhigungsmittel Schlafmittel Schlankheitsmittel, Appetitzügler Abführmittel Antiallergika Anregungs-, Stärkungsmittel Vitamin-C-Präparate Vitamin-E-Präparate andere Vitaminpräparate Mittel gegen Beschwerden in der Menopause Mittel gegen Durchfall andere Darmmittel Potenzmittel Beitrag: 343.fm Ausdruck vom 25.5.00 Subjektive Angaben zur täglichen Anwendung ausgewählter Arzneimittelgruppen 35% Abb. 1 Anteil der täglichen Arzneimittelanwender (18- bis 79jährige) nach der Zahl der genannten Arzneimittelgruppen. Männer Frauen 30% Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S153 25% 20% 15% 10% 5% 0% 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Anzahl der genannten Arzneimittelgruppen Frauen. Frauen weisen mit 35,8% etwa doppelt so häufig die gleichzeitige Anwendung mehrerer Arzneimittelgruppen auf als Männer (17,1%). Wird bei beiden Geschlechtern nach den Altersgruppen 18 bis 45 Jahre und 46 bis 79 Jahre differenziert, ergibt sich ein ähnliches Bild, wobei sich das Niveau erwartungsgemäß zwischen jüngeren und älteren Studienteilnehmern unterscheidet (Tab. 2). Signifikante Ost-West-Unterschiede bestehen für die 18- bis 45jährigen Frauen bei der Anwendung einer Arzneimittelgruppe (West: 35,8%; Ost: 44,7%) und bei den 46- bis 79jährigen Männern mit Multimedikation (West: 31,2%; Ost: 38,2%). Rangfolge der Arzneimittelgruppen In der Rangfolge der Arzneimittelgruppen liegen die blutdrucksenkenden Mittel mit 13,6% bei den Männern und mit 18,1% bei den Frauen auf dem ersten Platz. Sie werden gefolgt von der Pille zur Schwangerschaftsverhütung (16,6%) und den Hormonpräparaten (10,4%) bei den Frauen sowie von den durchblutungsfördernden Mitteln (7,7%) und den Herzmitteln (7,6%) bei den Männern. Vitaminpräparate gehören mit 9,7% bei den Frauen und 6,2% bei den Männern ebenfalls zu den häufig genannten Arzneimittelgruppen. Wird die tägliche Anwendungshäufigkeit der Arzneimittelgruppen nach den Altersgruppen 18 bis 45 Jahre und 46 bis 79 Jahre differenziert, ergibt sich für die Jüngeren das folgende Bild (siehe Tab. 3 und 4). 10 11 Bei den 18- bis 45jährigen Frauen prägt die Pille zur Schwangerschaftsverhütung das Präparatespektrum wesentlich. Mit rund 45% in den neuen und ca. 30% in den alten Bundesländern wird diese Arzneimittelgruppe am häufigsten genannt. Auf den weiteren Rängen folgen die Schilddrüsen- und Vitaminpräparate (Tab. 3). Mit Ausnahme der Schilddrüsenpräparate, der Vitamin- und Eisenpräparate gegen Blutarmut liegen die Häufigkeiten der täglichen Anwendung in den neuen Bundesländern oft über den jeweiligen Raten in den alten Bundesländern (Abb. 2). Statistisch signifikante Ost-West-Unterschiede sind bei blutdrucksenkenden Mitteln, Erkältungsund Grippemitteln, der Pille zur Schwangerschaftsverhütung und anderen Hormonen (Östrogene) sowie Vitaminpräparaten zu beobachten. Bei den 18- bis 45jährigen Männern in den neuen Bundesländern spielen blutdrucksenkende Mittel, Erkältungs- und Grippemittel sowie Vitaminpräparate eine herausragende Rolle in der täglichen Arzneimittelanwendung, in den alten Bundesländern sind es vor allem Vitamine, blutdrucksenkende Mittel und Schilddrüsenpräparate (Tab. 3). Mit Ausnahme der Vitamin- und Schilddrüsenpräparate sowie der Antiallergika liegen die Anwendungshäufigkeiten in den neuen Bundesländern oft über denjenigen in den alten Bundesländern (Abb. 3). Signifikante Ost-West-Differenzen sind bei blutdrucksenkenden Mitteln, Erkältungs- und Grippemitteln sowie bei Vitaminen zu beobachten. Tab. 2 Tägliche Arzneimittelanwendung nach Geschlecht, Region und Altersgruppen, Bundes-Gesundheitssurvey 1998 keine Arzneimittelgruppe 1 Arzneimittelgruppe 2 und mehr Arzneimittelgruppen Anzahl der Studienteilnehmer keine Arzneimittelgruppe 1 Arzneimittelgruppe 2 und mehr Arzneimittelgruppen Anzahl der Studienteilnehmer Männer West 18 bis 45 Jahre 46 bis 79 Jahre Ost 18 bis 45 Jahre 46 bis 79 Jahre 82,1% 14,4% 3,5% 1206 45,5% 23,3% 31,2% 1090 80,4% 14,8% 4,9% 586 37,1% 24,7% 38,2% 556 Frauen West 18 bis 45 Jahre 46 bis 79 Jahre Ost 18 bis 45 Jahre 46 bis 79 Jahre 46,9% 35,8% 17,3% 1231 23,0% 23,8% 53,2% 1165 36,8% 44,7% 18,4% 601 20,5% 26,5% 53,0% 664 Prävalenzraten nach Gewichtung mit w98 Beitrag: 343.fm Ausdruck vom 25.5.00 S154 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H. Knopf, H.-U. Melchert Stichprobe Arzneimittelgruppen Pille zur Schwangerschaftsverhütung/ Dreimonatsspritze Schilddrüsenpräparate Vitaminpräparate Eisenpräparate gegen Blutarmut, Eisenmangel andere Hormonpräparate (Östrogene) stimmungsbeeinflussende Mittel, Psychopharmaka Mittel für Lungen/Bronchien (z.B. Asthmamittel) Beruhigungsmittel blutdrucksenkende Mittel Erkältungs-/Grippemittel Antiallergika Medikamente für Magen, Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse Medikamente gegen Blasen-/Nierenkrankheiten durchblutungsfördernde Mittel Mittel gegen Rheuma, Bandscheibenbeschwerden Kreislaufmittel/blutdrucksteigernde Mittel Mittel gegen Beschwerden in der Menopause Schmerzmittel Mittel gegen Anfallsleiden (Epilepsie) Mittel zur Senkung des Blutzuckerspiegels (Insulin u./o.Tabletten) Schlafmittel Mittel gegen Durchfall Mittel zur Senkung des Blutfettspiegels Anregungs-, Stärkungsmittel Mittel gegen Gicht andere Darmmittel Migränemittel Abführmittel Herzmittel Schlankheitsmittel, Appetitzügler Osteoporosemittel Männer West 1206 Ost Frauen West Ost 586 1231 601 29,9% 12,0% 8,1% 3,7% 2,9% 2,4% 2,2% 2,0% 1,8% 1,7% 1,3% 1,3% 1,2% 0,8% 0,7% 0,7% 0,7% 0,5% 0,5% 0,5% 0,5% 0,4% 0,3% 0,3% 0,2% 0,2% 0,2% 0,2% 0,1% 0,1% 0,0% 44,8% 9,9% 5,5% 2,6% 0,8% 0,6% 1,7% 1,3% 3,6% 3,2% 1,5% 1,8% 1,4% 0,4% 2,1% 0,6% 0,2% 1,2% 0,6% 0,5% 0,4% 0,1% 1,9% 5,0% 0,2% 0,1% 0,7% 1,4% 1,0% 2,1% 1,0% 1,4% 1,0% 0,1% 0,5% 0,6% 1,6% 3,8% 0,3% 0,6% 0,5% 0,3% 0,3% 0,5% 0,8% 0,6% 0,3% 0,1% 0,8% 0,8% 0,1% 1,2% 0,3% 0,2% 0,4% 0,6% 0,7% 0,5% 4,7% 3,8% 0,9% 1,8% 0,2% 1,3% 1,3% 0,6% 0,2% 0,1% 0,7% 0,3% Tab. 3 Tägliche Anwendung von Arzneimittelgruppen, 18- bis 45jährige. Bundes-Gesundheitssurvey 1998, sortiert nach Frauen West 0,4% 0,7% 0,5% 0,7% 0,2% 0,5% Prävalenzraten nach Gewichtung mit w98 In Tab. 4 ist die tägliche Anwendung der Arzneimittelgruppen bei den 46- bis 79jährigen beschrieben. Für die Frauen stellt sich das Bild folgendermaßen dar: Arzneimittelgruppen zur Behandlung der kardiovaskulären Morbidität liegen auf den vorderen Rängen. Sie werden gefolgt von Östrogenen, Schilddrüsenpräparaten und Mitteln gegen Beschwerden in der Menopause. Mit Ausnahme der Östrogene, der Schilddrüsenpräparate und der Mittel gegen Be- schwerden in der Menopause weisen die Frauen in den neuen Bundesländern oft die höheren Prävalenzraten auf (Abb. 4). Signifikante Ost-West-Unterschiede treten bei blutdrucksenkenden Mitteln, Östrogenen und Schilddrüsenpräparaten auf. Ähnlich wie bei den gleichaltrigen Frauen dominieren bei den 46- bis 79jährigen Männern die Arzneimittelgruppen zur Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren und der HerzKreislauf-Morbidität in der täglichen ArzneimittelanwenAbb. 2 Rangfolge der 10 häufigsten Arzneimittelgruppen in der täglichen Arzneimittelanwendung der 18- bis 45jährigen Frauen. Beitrag: 343.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S155 Subjektive Angaben zur täglichen Anwendung ausgewählter Arzneimittelgruppen 6% Abb. 3 Rangfolge der 10 häufigsten Arzneimittelgruppen in der täglichen Arzneimittelanwendung der 18- bis 45jährigen Männer. West Ost 5% 4% 3% 2% 1% 0% 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1: blutdrucksenk. Mittel, 2: Erkält.- u. Grippemittel, 3: Vitaminpräp., 4: Medikam. f. Magen, Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse, 5: Schilddrüsenpräp., 6: durchblutungsförd. Mittel, 7: Mittel gegen Rheuma, Bandscheibenbeschw., 8: Antiallergika, 9: Mittel gegen Anfallsleiden, 10: Mittel z. Senkg. d. Blutfettspiegels Stichprobe Arzneimittelgruppen blutdrucksenkende Mittel andere Hormonpräparate (Östrogene) Schilddrüsenpräparate Herzmittel durchblutungsfördernde Mittel Vitaminpräparate Mittel gegen Beschwerden in der Menopause Osteoporosemittel Mittel zur Senkung des Blutfettspiegels Medikamente für Magen, Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse Mittel zur Senkung des Blutzuckerspiegels (Insulin u./o. Tabletten) stimmungsbeeinflussende Mittel, Psychopharmaka Beruhigungsmittel Mittel gegen Rheuma, Bandscheibenbeschwerden Mittel für Lungen/Bronchien (z.B. Asthmamittel) Anregungs-, Stärkungsmittel Schlafmittel Mittel gegen Gicht Eisenpräparate gegen Blutarmut, Eisenmangel Kreislaufmittel/ blutdrucksteigernde Mittel Medikamente gegen Blasen-/Nierenkrankheiten Erkältungs-/Grippemittel Abführmittel Pille zur Schwangerschaftsverhütung/ Dreimonatsspritze Antiallergika andere Darmmittel Schmerzmittel Mittel gegen Anfallsleiden (Epilepsie) Mittel gegen Durchfall Migränemittel Schlankheitsmittel, Appetitzügler Potenzmittel Männer West Ost Frauen West Ost 1090 556 1165 664 24,3% 0,1% 4,4% 14,6% 14,9% 8,2% 34,5% 0,5% 4,0% 20,9% 19,5% 6,7% 0,9% 8,0% 3,4% 5,5% 2,5% 2,0% 2,6% 4,2% 0,4% 1,3% 5,9% 0,3% 0,6% 3,9% 1,1% 0,5% 0,9% 8,5% 4,5% 9,7% 1,8% 1,3% 4,0% 3,9% 1,9% 1,1% 6,5% 0,2% 1,1% 4,1% 1,2% 1,6% 0,7% 0,6% 0,5% 0,1% 1,5% 0,3% 0,5% 1,0% 0,3% 0,1% 31,6% 19,0% 16,4% 15,7% 14,0% 11,8% 11,3% 7,9% 6,5% 6,2% 5,6% 5,2% 4,9% 4,6% 4,1% 3,4% 2,6% 2,4% 1,8% 1,6% 1,5% 1,5% 1,4% 1,0% 0,9% 0,9% 0,5% 0,4% 0,1% 0,1% 0,1% 39,8% 13,8% 10,5% 19,8% 16,9% 11,4% 8,7% 7,5% 8,4% 5,6% 8,7% 6,1% 4,7% 7,7% 3,6% 1,0% 4,9% 3,1% 0,7% 1,6% 2,0% 2,4% 0,3% 1,8% 1,4% 0,4% 1,2% 0,5% 0,4% 0,3% 0,5% 0,1% 0,2% Tab. 4 Tägliche Anwendung von Arzneimittelgruppen, 46- bis 79jährige Bundes-Gesundheitssurvey 1998, sortiert nach Frauen West Prävalenzraten nach Gewichtung mit w98 dung. Außer bei den Vitamin- und Schilddrüsenpräparaten liegen die täglichen Anwendungshäufigkeiten der Männer in den neuen Bundesländern oft über denen in den alten Bundesländern (Abb. 5). Signifikant sind diese Unterschiede bei den blutdruck- und blutzuckersenkenden Mitteln sowie bei den Vitaminpräparaten. Da in den Gesundheitssurveys zu Beginn der 90er Jahre [Stolzenberg 1995] die Erfassung der Anwendungshäufigkeiten nicht wie im Bundes-Gesundheitssurvey auf die letzten 12 Monate begrenzt war, läßt sich ein Zeitvergleich zwischen 1990 und 1998 nicht vornehmen. Beitrag: 343.fm Ausdruck vom 25.5.00 S156 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H. Knopf, H.-U. Melchert West Ost 40% Abb. 4 Rangfolge der 10 häufigsten Arzneimittelgruppen in der täglichen Arzneimittelanwendung der 46- bis 79jährigen Frauen. 30% 20% 10% 0% 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1: blutdrucksenk. Mittel, 2: Herzmittel, 3: durchblutungsförd. Mittel, 4: And. Hormone, 5: Vitaminpräp., 6: Schilddrüsenpräp., 7: Mittel z. Senkung d. Blutzuckerspiegels, 8: Mittel gegen Beschwerden in der Menopause, 9: Mittel z. Senkung d. Blutfettspiegels, 10: Mittel gegen Rheuma, Bandscheibenbeschw. 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% West Ost 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Abb. 5 Rangfolge der 10 häufigsten Arzneimittelgruppen in der täglichen Arzneimittelanwendung der 46- bis 79jährigen Männer. 10 1. blutdrucksenk. Mittel, 2: Herzmittel, 3: durchblutungsförd. Mittel, 4: Mittel z. Senkung d. Blutzuckerspiegels, 5: Mittel z. Senkung d. Blutfettspiegels, 6: Vitaminpräp., 7: Mittel gegen Gicht, 8: Medikam. f. Magen, Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse, 9: Medikam. gegen Blasen-/Nierenkrankheiten, 10: Schilddrüsenpräp. Schlußfolgerungen Mit den Ergebnissen zur Anwendungshäufigkeit ausgewählter Arzneimittelgruppen können erste Aussagen zum täglichen Arzneimittelgebrauch getroffen werden. Die Prävalenzrate von fast 52% verdeutlicht die Relevanz der Fragestellung für die Gesundheit der Bevölkerung. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist jedoch zu berücksichtigen, daß die ausgewählten Arzneimittelgruppen nicht das gesamte Präparatespektrum abdecken. Hinzu kommt die Tatsache der retrospektiven Erfragung der Anwendungsfrequenzen für die letzten 12 Monate, womit gewisse Anforderungen an das Erinnerungsvermögen der Studienteilnehmer gestellt werden. Da Arzneimittelgruppen erhoben werden, hängt die Validität der Angaben darüber hinaus von der Fähigkeit der Studienteilnehmer ab, eine korrekte Zuordnung der angewendeten Arzneimittel zur entsprechenden Arzneimittelgruppe vornehmen zu können. Wie aus vergleichbaren Studien bekannt ist [Gmel 1999], kann sich bei dieser Form der Erhebung die zwangsläufige Zusammenfassung relativ harmloser Hausmittel mit hochpotenten Medikamenten nachteilig auswirken. Bei Arzneimitteln zur Therapie zeitlich begrenzter akuter Zustände wie z.B. „Erkältungskrankheiten“ ist zudem die Einordnung der entsprechenden Arzneimittel in die verschiedenen Anwendungsfrequenzen problematisch, da diese im Krankheitsfall „täglich“ und in der restlichen Zeit „nie“ angewendet werden. Anders ist es bei Arzneimitteln, die aus therapeutischen oder präventiven Gründen mit einer längerfristigen, oft lebensbegleitenden Anwendung verbunden sind. Wie vergleichende Analysen zwischen verschiedenen Erhebungsinstrumenten (standardisierte, detaillierte Erfassung sämtlicher Arzneimittel, die in den letzten 7 Tagen vor der Befragung angewendet worden waren vs. Selbstangaben zur Anwendungsfrequenz) zeigen, liegt hier ein hoher Grad der Übereinstimmung vor [Melchert et al. 1995, Knopf et al. 1995]. Für diese Arzneimittelgruppen kann die Erfassung der Anwendungsfrequenzen belastbare Daten zur Beschreibung des Medikamentengebrauchs liefern. Beitrag: 343.fm Ausdruck vom 25.5.00 Subjektive Angaben zur täglichen Anwendung ausgewählter Arzneimittelgruppen Hildtraud Knopf Literatur 1 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S157 Bertelsmann A, Knopf H, Melchert, HU (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey als pharmakoepidemiologisches Instrument. Gesundheitswesen 60 Sonderheft 2: 89–94 2 Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. Pharma Daten ‘99. Überarbeitete Auflage, Frankfurt/Main 1999 3 Del Rio MC, Alvarez FJ (1996). Medication use by the driving population. Pharmacoepidemiology and Drug Safety 5/4: 255–261 4 Del Rio MC, Prada C, Alvarez FJ (1997). The use of medication by the Spanish population. Pharmacoepidemiology and Drug Safety 6/1: 41–48 5 Eggen AE (1997). Patterns of medicine use in a general population (0–80 years). The influence of age, gender, diseases and place of residence on drug use in Norway. Pharmacoepidemiology and Drug Safety 6/3: 179–87 6 Furu K, Straume B, Thelle DS (1997). Legal drug use in a general population: association with gender, morbidity, health care utilization, and lifestyle characteristics. Journal of Clinical Epidemiology 50: 341–349 7 Gmel G (1999). Änderungen in der Abfolge von Fragen zur Medikamenteneinnahme im Schweizer Gesundheitssurvey – Gibt es Effekte für die Prävalenzschätzungen? Soz.-Präventivmed. 44: 126–136 8 Knopf H, Braemer-Hauth, M, Melchert HU, Thefeld W (1995). Ergebnisse der Nationalen Untersuchungs-Surveys zum Laxanzienverbrauch. Bundesgesundheitsblatt 38 [12]: 459–467 9 Lapeyre-Mestre M, Chastan E, Louis A, Montastruc, JL (1999). Drug consumption in workers in France: A comparative study at a 10-year interval (1996 versus 1986). Journal of Clinical Epidemiology 52/5: 471–478 10 Lassila HC, Stoehr GP, Ganguli M, Seaberg EC, Gilby JE, Belle SH, Echement DA(1996). Use of prescription medications in an elderly rural population: the MoVIES Project. Annals of Pharmacotherapy 30: 589–595 11 Melchert HU, Görsch B, Hoffmeister H (1995). Nichtstationäre Arzneimittelanwendung und subjektive Arzneimitttelverträglichkeit in der bundesdeutschen Wohnbevölkerung der 25- bis 69jährigen – Ergebnisse der Erhebung des ersten Nationalen Untersuchungs-Surveys 1984–1986. RKI-Schriften 1/95, MMV Medizin Verlag, München, ISBN 3-8208-1274-1 12 Stolzenberg H. Gesundheitssurvey Ost-West. Befragungs- und Untersuchungssurvey in den neuen und alten Bundesländern. Public Use File OW91 (1990–1992) Dokumentation des Datensatzes, Robert Koch-Institut (RKI) Berlin, Oktober 1995 Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin Beitrag: 343.fm Ausdruck vom 25.5.00 S158 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE Lärm und ›› Umweltbedingter Wohnzufriedenheit C. Maschke, D. Laußmann, D. Eis, U. Wolf Robert Koch-Institut, Berlin Zusammenfassung: Die Frage nach Lärm von außen, der in der Wohnung wahrgenommen wird, bejahen im Bundes-Gesundheitssurvey 98 mit 36,2% mehr als ein Drittel der Befragten in Deutschland. Zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland sind nur geringe, statistisch unbedeutende Unterschiede zu verzeichnen. In Gesamtdeutschland bejahen die 20- bis 39jährigen Frauen diese Frage signifikant häufiger im Vergleich zu den Männern gleichen Alters. Als dominante Lärmquelle wird der Straßenverkehr von 87% der Betroffenen in der Wohnung wahrgenommen. An zweiter Stelle folgt der Nachbarschaftslärm mit 32%. Flug- und Schienenlärm liegen mit Werten um 20% auf dem 3. bzw. 4. Platz. Insbesondere sehr starker Lärm in der Wohnung bzw. häufige nächtliche Störungen durch Lärm sind bei den Befragten mit einer deutlich erhöhten Unzufriedenheit mit der Wohnung bzw. dem Wohngebiet verbunden. Einleitung Schlüsselwörter: Umweltlärm – Lärmerleben – Wohnzufriedenheit – Survey Lärm löst vegetative Reaktionen aus. Diese lärmbedingten Aktivierungsreaktionen sind zunächst nicht als krankhafte Veränderungen des menschlichen Organismus aufzufassen. Bei fortgesetzter oder zu starker psychophysischer Belastung kommt es zu einem Überwiegen der ergotropen Reaktionslage zu Lasten der notwendigen Entspannung und Erholung (vagotrope Reaktionslage). Aus dieser Verschiebung des Gleichgewichts können funktionale Störungen resultieren. Eine Überaktivierung bzw. nachhaltige Störung der für das Individuum bedeutsamen Bio- und Soziorhythmen kann demzufolge zu adversen Effekten führen. Environmental Noise and Satisfactory Living Conditions: In the German National Health Interview and Examination Survey, more than one third, i.e. 36.2% of persons interviewed on the matter of noise nuisance in their homes attributed to outdoor noise confirmed the occurrence of noise. Regarding this result only small and statistically insignificant differences have been assessed in East and West Germany. The frequency of affirmative answers given by German women, ages 20–39, was significantly higher as compared to men in the same ages bracket. Regarding the dominant noise effects in their home, 87% of persons affected mentioned traffic noise as a source. In the second place neighbour noise has been reported by 32%. Aircraft and railway noises percepted by 20%, are in the third and fourth place. Particularly severe indoor noise effects, i.e. persisting noise during the night, are accompanied with clearly increased discontent regarding the home and living area. Key words: Environmental Noise – Noise Experience – Residential-Contentment – Survey Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S158–S162 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Umweltlärm als Gesundheitsproblem wird in der Öffentlichkeit wie auch in der Fachwelt und der Politik oft unterschätzt [Umweltrat 1999]. Er führt zu Veränderungen in psychologischen, physiologischen sowie sozialen Funktionsbereichen. Lärm löst negative Emotionen aus. Das unangenehme Lärmerleben wird u. a. bestimmt durch die Erfahrung, die der Betroffene mit der spezifischen Geräuschquelle in der Vergangenheit gemacht hat, von der Einstellung zum Geräusch, von der individuellen psychophysiologischen Reaktionslage (die ihrerseits durch physische und psychische Persönlichkeitsmerkmale sowie durch den Gesundheitszustand bestimmt ist), vom Vigilanzzustand, von der Geräuschempfindlichkeit sowie vom Zeitpunkt im Tages- und Wochenablauf. Lärm stellt für den Menschen nicht nur eine physikalische Einwirkung dar, sondern er hat zugleich Erlebnisqualität. Das Lärmerlebnis und die damit einhergehenden Funktionsänderungen können sich als unangenehme Assoziationen mental einprägen und in reaktive Änderungen von Verhaltensweisen (Vermeidungsverhalten und Kommunikationseinschränkungen) einmünden. Letzteres kann sich besonders im Entwicklungsalter negativ auswirken. Die Beanspruchung durch Lärm ist sowohl von der Intensität als auch vom Zeitpunkt der Exposition abhängig. So ist die Auswirkung von Schall gleicher Intensität in den Abendstunden und insbesondere in den Nachtstunden wesentlich ausgeprägter als z.B. in den Vormittagsstunden. Eine Geräuschbelastung in der Wohnung stellt daher ein umweltmedizinisch relevantes Problem dar. Im Bundes-Gesundheitssurvey 98 wurden weitgehend repräsentative Daten zu der Frage, in welchem Umfang Umweltlärm in der Wohnung wahrgenommen (erlebt) wird, erhoben. Außerdem wurden Beitrag: 359neu.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S159 Umweltbedingter Lärm und Wohnzufriedenheit Angaben zur Wohnzufriedenheit erfaßt. Eine erste Auswertung der zu dieser Thematik vorliegenden Surveydaten wird im folgenden vorgelegt. 50% Material und Methoden 30% Die Wahrnehmung von Umweltlärm in der Wohnung wurde im Survey anhand der Frage „Gibt es in Ihrer Wohnung oder Ihrem Haus normalerweise Lärm von außen?“ erhoben. Antwortkategorien waren „ja“ oder „nein“. Bei der Auswertung dieser Variablen erfolgte eine Schichtung für West- und Ostdeutschland sowie hinsichtlich sozio-demographischer Merkmale (Geschlecht, Alter, Bevölkerungsdichte). Eine Aufschlüsselung nach Lärmquellen wurde anhand der Teilfrage „Wodurch wird der Lärm im allgemeinen verursacht, als wie stark würden Sie ihn jeweils bezeichnen, und wie häufig fühlen Sie sich auch nachts durch den Lärm gestört?“ vorgenommen. Die Stärke des Lärms wurde dabei durch eine 3stufige Antwortskala von „sehr stark“ bis „nicht stark“ erfaßt, nächtliche Störungen durch Lärm in den Kategorien „häufig“, „selten“ und „nie“ abgebildet. Bei der Angabe der Lärmquellen waren Mehrfachnennungen möglich. Um die Beziehung zwischen dem wahrgenommenen Umweltlärm und der Wohnzufriedenheit darstellen zu können, wurde auf die Teilfragen „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Wohnung?“ bzw. „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Wohngebiet?“ zurückgegriffen. Angaben zur Wohnzufriedenheit wurde mit einer 7stufigen Antwortskala von „1=sehr unzufrieden“ bis „7=sehr zufrieden“ erfaßt und für die vorliegende Analyse in 3 Kategorien mit den Bezeichnungen „unzufrieden“ (Stufen 1 u. 2), „mittlere Skalenwerte“ (Stufen 3–5)“ sowie „zufrieden“ (Stufen 6 u. 7) zusammengefaßt. Berechnet wurde ein Index, der die in einer Schicht beobachtete Häufigkeit von „Lärm in der Wohnung“ ins Verhältnis zur Antworthäufigkeit der Gesamtpopulation setzt. Entspricht die beobachtete Häufigkeit den Verhältnissen in der Gesamtpopulation (erwartete Antworthäufigkeit), so erhält der Index den Wert 1. Werte >1 zeigen demzufolge an, daß die Anzahl der Angaben in dieser Schicht größer ist als in der Gesamtpopulation; Werte < 1 bedeuten, daß die Anzahl geringer ist. Dieser Index verdeutlicht die Abhängigkeit der Wohnzufriedenheit von der Stärke des Umweltlärms in der Wohnung. Er ist unabhängig von der Verteilung der Wohnzufriedenheit in der Gesamtpopulation und wird hier als „Zufriedenheitsindex“ bezeichnet. Die Datenanalyse erfolgte mit dem Statistiksoftwarepaket SPSS 8.0. Unterschiede in den Antworthäufigkeiten wurden statistisch mit Chi-Quadrat-Techniken überprüft. Ergebnisse und Diskussion Eine erste Analyse behandelt die Frage, wie häufig Lärm von außen in der Wohnung erlebt wird. In Abb. 1 werden prozentuale Häufigkeiten für Deutschland gesamt, Westdeutschland und Ostdeutschland getrennt sowie unterteilt nach Frauen und Männern dargestellt. Die Frage bejahen mit 36,2% mehr als ein Drittel der Surveyteilnehmer. Für Westdeutschland (35,7%) und Ostdeutschland (38,4%) ist ein geringfügiger, nicht signifikanter Unter- 40% West Ost gesamt Männer Frauen gesamt Männer Frauen Deutschland 20% 10% 0% gesamt Männer Frauen Abb. 1 Relative Häufigkeit, mit der die Frage „Gibt es in Ihrer Wohnung oder Ihrem Haus normalerweise Lärm von außen?“ mit „ja“ beantwortet wurde, in Gesamtdeutschland, in West- und in Ostdeutschland, zusätzlich aufgeschlüsselt nach Geschlecht (n=6934 Probanden). schied zu verzeichnen. Die Angaben der Frauen liegen sowohl in Westdeutschland als auch in Ostdeutschland um ungefähr 2% höher als die Angaben der Männer, jedoch ohne statistische Signifikanz. Eine wesentliche Determinante für das unterschiedliche Lärmerleben der Betroffenen ist das Alter. Die Gründe dafür sind u.a. in einer häufig bei älteren Menschen verschlechterten Schlafqualität zu suchen. So benötigen ältere Menschen längere Zeit zum (Wieder-) Einschlafen als jüngere Menschen. Nach Schuschke ist bei geringgradiger Altersschwerhörigkeit der „Altersschlaf“ wesentlich wecksensibler [Schuschke 1976]. Diese Wecksensibilität steht mit einer erhöhten Streßsensibilität älterer Menschen und einer erhöhten Lärmempfindlichkeit in Beziehung [Dams 1972, Michalak 1990, Hofman 1994a, 1994b]. Zusätzlich ist z.B. die im Alter einsetzende Schwerhörigkeit von einem Hörverlust in den hohen Frequenzen gekennzeichnet. Die Kommunikation der älteren Personen ist daher bereits bei geringeren Pegelwerten durch tieffrequente Geräusche in der Wohnung (z.B. durch Verkehrsgeräusche) beeinträchtigt. Der Altersgang des Lärmerlebens ist sowohl für alle Probanden als auch für Frauen und Männer getrennt in der Tab. 1 dargestellt. Bei Männern ist mit steigendem Alter bis zur Altersgruppe der 60- bis 69jährigen eine beständige Zunahme der Häufigkeit des Lärmerlebens in der Wohnung zu verzeichnen. In der Altersgruppe der 60- bis 69jährigen beträgt der Anteil 38,6%; er liegt damit ca. 8 Prozentpunkte über der Antworthäufigkeit Tab. 1 Prozentualer Anteil der Personen in verschiedenen Altersgruppen, die auf die Frage „Gibt es in Ihrer Wohnung oder Ihrem Haus normalerweise Lärm von außen?“ mit „ja“ geantwortet haben, unterteilt in die Kategorien „gesamt“, Männer und Frauen (n=6934 Probanden). Altersgruppe gesamt % Männer % Frauen % 18–19 Jahre 20–29 Jahre 30–39 Jahre 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–79 Jahre 29,8 37,2 37,5 37,0 37,0 36,7 30,0 29,9 33,4 34,1 37,3 37,9 38,6 28,6 29,8 41,2 41,1 36,7 36,1 35,0 30,8 *** *** *** statistisch signifikante Unterschiede zwischen Männern und Frauen, p<1% Beitrag: 359neu.fm Ausdruck vom 25.5.00 S160 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 C. Maschke et al. der 18- bis 19jährigen. Unerwartet ist die deutlich geringere Häufigkeit des Lärmerlebens bei den 70- bis 79jährigen (28,6%). Möglicherweise machen sich hier die bei dieser Altersgruppe zwangsläufig vorherrschenden Selektionseffekte und auch die deutliche Zunahme der Altersschwerhörigkeit bemerkbar. Bei den Frauen zeigt sich in der Altersgruppe der 20- bis 29jährigen und in der Gruppe der 30- bis 39jährigen ein deutlicher Anstieg des berichteten Lärmerlebens in der Wohnung, gefolgt von einer Plateauphase in den mittleren und einem Abfall in den älteren Altersgruppen. Die 20- bis 39jährigen Frauen weisen im Vergleich zu den gleichaltrigen Männern mit 7 Prozentpunkten eine signifikant höhere Antworthäufigkeit auf. Dieser Unterschied könnte bei Frauen auf die mit der Kinderbetreuung verbundenen längeren Aufenthaltszeiten in der Wohnung und eine in diesem Lebensabschnitt häufig höhere Sensibilität gegenüber exogenen Lärmbelästigungen zurückzuführen sein. Umfragen zur Belästigung durch Lärm [Ortscheid 1996] legen nahe, daß auch der Anteil von Personen, die in ihrer Wohnung Lärm wahrnehmen, von der Gemeindegrößenklasse abhängt. In Abb. 2 sind die erhobenen Daten nach Gemeindegrößenklassen geschichtet. 60 % 50 % 40 % Nachbarn Luftverkehr Stärke des Lärms Schienenverkehr Kinderspielplätze Häufigkeit der nächtlichen Störung Gewerbe sehr stark mittelstark nicht stark häufig selten Gaststätten Sonstiges 0% 20% 40% 60% 80% 100% Anteil aller Antwortenden Abb. 3 Relative Antworthäufigkeiten auf die Frage „Wodurch wird der Lärm im allgemeinen verursacht, als wie stark würden Sie ihn jeweils bezeichnen, und wie häufig fühlen Sie sich auch nachts durch den Lärm gestört?“. Stichprobe für Deutschland gesamt (n=2498 antwortende Probanden). Die Ergebnisse zeigen, daß 87% der Betroffenen den Straßenverkehrslärm als dominante Lärmquelle in der Wohnung wahrnehmen (60% geben „sehr starken“ und „mittelstarken“ Straßenverkehrslärm an), gefolgt von Nachbarschaftslärm mit 32%. Flug- und Schienenlärm liegen mit Werten um 20% auf dem 3. bzw. 4. Platz. Diese Rangfolge zeigt sich auch bei den Angaben zu den nächtlichen Störungen und ist mit den Ergebnissen anderer Befragungen zur lärmbedingten Belästigung, z.B. der von Ortscheid (1996), vergleichbar. Signifikante Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gibt es in den Angaben zu Fluglärm bzw. zu Lärm von Kinderspielplätzen, wie aus Tab. 2 ersichtlich ist. 30 % 20 % 10 % 0% Straßenverkehr bis 1999 2000 –4999 5000 –19999 20000 –49999 50000 –99999 100000–499999 500000+ politische Gemeindegrößenklasse Abb. 2 Relative Häufigkeit der „ja“-Antworten zur Frage „Gibt es in Ihrer Wohnung oder Ihrem Haus normalerweise Lärm von außen?“, gegliedert nach Gemeindegrößenklassen (n=6934 Probanden). Die Surveydaten bestätigen eine Zunahme der Häufigkeit des Lärmerlebens in der Wohnung mit der Gemeindegrößenklasse. Die gestellte Frage wurde von etwa 27% der Befragten in Gemeindegrößen unter 2000 Einwohnern mit „ja“ beantwortet, während in Ballungsgebieten (über 500000 Einwohner) nahezu 50% die Frage bejaht haben. Bei der Umweltlärmexposition dominiert bekanntermaßen der Straßenverkehrslärm, örtlich auch der Fluglärm oder der Schienenlärm [Ortscheid 1996]. Die relative Häufigkeit der Wahrnehmung verschiedener Quellen in der Wohnung zeigt Abb. 3, getrennt für die Stärke des Lärms und die nächtlichen Störungen. In der Abbildung werden sowohl die Häufigkeit der Lärmwahrnehmung insgesamt, unterteilt in „nicht starke“, „mittelstarke“ und „starke“ Wahrnehmungen, als auch die Häufigkeit der nächtlichen Lärmstörungen, unterteilt in „häufig“ und „selten“, dargestellt. Im Mittel wurden von den Probanden jeweils zwei Lärmquellen von insgesamt acht angebotenen Möglichkeiten genannt. Die geringere Anzahl von Personen, die in Ostdeutschland Fluglärm als Lärmquelle in ihrer Wohnung wahrnehmen (14% versus 25%), ist u.a. auf das insgesamt geringere Flugaufkommen in Ostdeutschland zurückzuführen. Für die erhöhten Angaben zum Lärm von Kinderspielplätzen in der Wohnung (18,6% zu 13,2%) könnte die häufige Lage von Kinderspielplätzen in Innenhöfen ostdeutscher Wohnsiedlungen mitverantwortlich sein. Zur genauen Abklärung dieser Frage wären weiterführende Recherchen notwendig. Die weitere Auswertung betrifft die Frage, in welchem Umfang die Wohnzufriedenheit durch den Lärm in der Wohnung beeinflußt wird. Der Zusammenhang zwischen der Stärke des Tab. 2 Prozentualer Anteil der Personen, die auf die Frage „Wodurch wird der Lärm im allgemeinen verursacht?“ mindestens eine Lärmquelle benannt haben. Stichprobe für Deutschland gesamt sowie nach West und Ost getrennt (n= 2498 antwortende Probanden) Lärm durch Straßenverkehr Lärm durch Schienenverkehr Lärm durch Luftverkehr Lärm durch Gewerbe Lärm durch Gaststätten Lärm durch Kinderspielplätze Lärm durch Nachbarn Lärm durch Sonstiges gesamt West % % Ost % 87,0 20,4 22,8 11,9 10,9 14,4 31,7 9,8 90,8 24,6 14,1 10,4 12,7 18,6 30,1 11,0 86,0 19,2 25,2 12,3 10,5 13,3 32,1 9,5 *** *** *** statistisch signifikante Unterschiede zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost, p<1% Beitrag: 359neu.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S161 Umweltbedingter Lärm und Wohnzufriedenheit 2,5 2 2 e 1 mittlere Skalenwert zufrieden 0,5 0 nicht stark Zufriedenheitsindex Zufriedenheitsindex n friede unzu 1,5 den frie u unz 1,5 mittlere Skalenwerte 1 zufrieden 0,5 mittelstark empfundene Stärke des Lärms in der Wohnung 0 sehr stark nie selten empfundene Häufigkeit der nächtlichen Störung durch Lärm in der Wohnung häufig Abb. 4 Index der Zufriedenheit (Unzufriedenheit) mit der Wohnung in Abhängigkeit von der Stärke des Lärms in der Wohnung. Deutschland gesamt (n= 5054 Mehrfachantworten). Abb. 6 Index der Zufriedenheit (Unzufriedenheit) mit der Wohnung in Abhängigkeit von der Häufigkeit lärmbedingter nächtlicher Störungen. Deutschland gesamt (n=5012 Mehrfachantworten). Lärms bzw. der Häufigkeit nächtlicher Störungen und den Angaben zur Wohnzufriedenheit ist in den Abb. 4 bis 7 dargestellt (zum Zufriedenheitsindex vgl. das Kapitel „Material und Methoden“). Die Anzahl der Personen, die mit ihrer Wohnung unzufrieden sind, ist bei häufiger nächtlicher Störung um ca. 120% gegenüber der Gesamtpopulation erhöht. Bei der Antwortkategorie „mittlere Skalenwerte“ ist ein geringer Anstieg von ca. 20% zu verzeichnen. Der Trend für die Antwortkategorie „zufrieden“ ist wie bei der Stärke des Lärms gegenläufig. Ähnliche Ergebnisse liefert die Analyse der Zufriedenheit mit dem Wohngebiet. So steigt die Antworthäufigkeit für die Antwortkategorie „unzufrieden“ bei „häufiger“ nächtlicher Störung um ca. 90% gegenüber der Gesamtpopulation (Abb. 7). Vergleichbare Dosis-Antwort-Beziehungen liefert auch die Analyse der Zufriedenheit mit dem Wohngebiet (Abb. 5). 2,5 Zufriedenheitsindex 1 den frie unzu mittlere Skalenwerte zufrieden 0,5 0 nicht stark 2 mittelstark empfundene Stärke des Lärms im Wohngebiet sehr stark Abb. 5 Index der Zufriedenheit (Unzufriedenheit) mit dem Wohngebiet in Abhängigkeit von der Stärke des Lärms im Wohngebiet. Deutschland gesamt (n=5046 Mehrfachantworten). So steigt die Antworthäufigkeit für die Antwortkategorie „unzufrieden“ bei „starkem Lärm“ um mehr als 100% gegenüber der Gesamtpopulation. Zwischen der Häufigkeit nächtlicher Störungen und den Antwortkategorien zur Wohnzufriedenheit besteht ebenfalls eine ähnliche Dosis-Antwort-Beziehung, wie aus Abb. 6 ersichtlich ist. den ufrie unz 1,5 mittlere Skalenwerte 1 zufrieden 0,5 0 2 1,5 2,5 Zufriedenheitsindex Die Abb. 4 zeigt, daß eine Beziehung zwischen der Stärke des Lärms und der Antwortkategorie „unzufrieden“ mit der Wohnung besteht. Die Anzahl der Personen, die mit ihrer Wohnung unzufrieden sind, ist unter einer „nicht stark“ empfundenen Lärmbelastung um ca. 30% gegenüber dem Erwartungswert verringert und unter „stark“ empfundener Lärmbelastung um ca. 70% gegenüber dem an den Werten der Gesamtpopulation abgeleiteten Erwartungswert erhöht. In der Kategorie „mittlere Skalenwerte“ ist ein entsprechend schwächerer Trend zu verzeichnen. Der Trend für die Antwortkategorie „zufrieden“ ist erwartungsgemäß gegenläufig. nie selten empfundene Häufigkeit der nächtlichen Störung durch Lärm im Wohngebiet häufig Abb. 7 Index der Zufriedenheit (Unzufriedenheit) mit dem Wohngebiet in Abhängigkeit von der Häufigkeit lärmbedingter nächtlicher Störungen; Deutschland gesamt (n=5004 Mehrfachantworten). Diese Ergebnisse spiegeln die Tatsache wider, daß Lärm die Wohnzufriedenheit beeinflußt. Sehr starker Lärm bzw. häufige nächtliche Störungen führen zu einer deutlich erhöhten Unzufriedenheit mit der Wohnung und dem Wohngebiet und können Auslöser für Segregationseffekte sein. Wohlhabende könnten von der Möglichkeit eines Wohnstandortwechsels Gebrauch machen, so daß es zu einer Ansammlung sozial schwächerer Schichten in diesen Problemregionen käme. Die Folge dessen wäre eine nicht anzustrebende Entmischung von Bevölkerungsschichten. Besondere Beachtung sollte daher die Lärmprävention finden. Schlußbemerkungen Die erste deskriptive Auswertung umweltmedizinisch relevanter Variablen des Bundes-Gesundheitssurveys 98 zeigt, daß sehr viele Bürger dem Straßenverkehrslärm und in be- Beitrag: 359neu.fm Ausdruck vom 25.5.00 S162 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 C. Maschke et al. stimmten Wohnlagen und Wohngebieten auch dem Flugund Schienenverkehrslärm ausgesetzt sind. Zu den tagsüber im städtischen Umfeld und am Arbeitsplatz einwirkenden Schallereignissen kommen die im häuslichen Umfeld auftretenden Lärmexpositionen, insbesondere am Abend und vielerorts auch in der Nacht, hinzu, die zur Beeinträchtigung dringend benötigter Erholungsphasen, zur Reduzierung der Wohnzufriedenheit und damit der Lebensqualität der Menschen führen können. Soziale Segregationsprozesse können die Folge sein. Nicht zu unterschätzen sind im gegebenen Zusammenhang die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen und die sozialpsychologischen Auswirkungen von Nachbarschaftslärm. Insgesamt ergibt sich durch beständige Geräuschexpositionen bei den betroffenen Personen, vor allem bei lärmempfindlicheren Menschen, eine dauerhafte Beanspruchung des Sensoriums mit den daraus für die Gesundheit resultierenden Gefährdungen. Diese sollen in weiterführenden Analysen der Surveydaten näher untersucht werden. Zusätzliche Informationen zu medizinischen Aspekten von Lärmbelastungen werden auch aus einer parallel durchgeführten Lärmwirkungsstudie erwartet. Literatur 1 2 3 4 5 6 Dams EH (1972). Kompensationserfolge lärmbedingter Funktionsstörungen durch Theophyllinnicotinat in Abhängigkeit vom Umgebungspegel sowie von Alter und Geschlecht. Dissertation Universität Essen Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (1999). Umwelt und Gesundheit – Risiken richtig einschätzen. Sondergutachten. Wiesbaden Hofman W (1994). Sleep disturbance and sleep quality. Universität Amsterdam (Dissertation) Michalak R, Ising H, Rebentisch E (1990). Acute circulatory effects of military low-altitude flight noise. Int. Arch. Environ. Health 62: 365–372 Ortscheid J (1996). Daten zur Belästigung der Bevölkerung durch Lärm. Zeitschrift für Lärmbekämpfung 43: 15–23 Schuschke G (1976). Lärm und Gesundheit. Berlin: Volk und Gesundheit PD Dr.-Ing. Christian Maschke Robert Koch-Institut Postfach 65 02 80 D-13302 Berlin Beitrag: 359neu.fm Ausdruck vom 25.5.00 S163 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE von ›› Inanspruchnahme Früherkennungsuntersuchungen H. Kahl, H. Hölling, P. Kamtsiuris Robert Koch-Institut, Berlin und Maßnahmen zur Gesundheitsförderung Zusammenfassung: Gesundheitsbewußtes Verhalten der Bevölkerung zeigt sich u.a. in der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen und Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Im Survey 1997/98 wurden dazu 7124 Probanden befragt. An den Gesundheitsuntersuchungen beteiligten sich 1997 26,7% der Männer und 24,5% der Frauen. Eine Beratung nach dem Check-up erhielten 70,9% der untersuchten Männer und 67,8% der Frauen. An den Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nahmen von den Befragten 22,6% der Männer und 36,5% der Frauen teil. Eine Beratung durch den Arzt zu Krebsrisiken gaben 42,4% der Männer und 43% der Frauen an. Für gesundheitsfördernde Maßnahmen entscheiden sich insgesamt 10,5% der Befragten, Frauen deutlich mehr als Männer (13,8% zu 7%). Nach Art der Maßnahmen dominiert die Rückenschule (44%), gefolgt von gesunder Ernährung (13%), Gewichtsreduktion (10%) und Raucher-, Alkohol- und Drogenentwöhnung (4%). Unterschiede in den Beteiligungsraten an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen, Gesundheits-Check-up und Gesundheitsförderungsmaßnahmen sind in den Altersgruppen, nach Region, sozialer Schicht und Versichertenstatus nachweisbar. Schlüsselwörter: Gesundheitsbefragung – Vorsorgeuntersuchung – Gesundheitsuntersuchung – Gesundheitsfördernde Maßnahmen – Inanspruchnahme – Ärztliche Beratung – Deutschland Utilization of Available German Staturory Sickness Insurance Facilities for Conducting Examinations for Early Diagnosis and Health Promotion: Health-conscious behaviour of a population may be measured by the utilization rate in screening programs and health promotion measures. In the German National Health Interview and Examination Survey 1998, 7124 respondents were asked for their individual participation. The utilization in free health check-ups (1997) was 26,7% for men and 24,5% for women. Health related medical advice was given to 70,9% of men and 67,8% of women in the wake of the check-up. Annual early cancer screening test were taken by 22,6% of men and 36,5% of women. Cancer-related medical advice was reported by 42,4% of men and 43% of women. 10.5% of all respondents participate in health promotion measures, women two times more often than men (13.8% vs. 7%). The ranking according to the type of measures is: 44% for back (muscle) training, followed by nutrition consultation (13%), weight reduction (10%) and anti-smoking, – drinking and Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S163–S168 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York -substance use measures (4%). The results show differences in utilization rates for early cancer diagnosis, health checkups and health promotion programmes according to age, region, social status and health insurance type. Key words: Health Survey – Preventive Medical Examination – Check-Up – Health Promotion Measures – Utilization – Medical Advice – Germany Gesundheits-Check-up und Krebsfrüherkennung (KFU) Problemstellung Die Zielsetzung von Früherkennungsuntersuchungen ist vorwiegend auf Sekundärprävention ausgerichtet und soll über die Feststellung von Risikofaktoren, Krankheiten und Behinderungen eine frühzeitige Einleitung notwendiger medizinischer Maßnahmen ermöglichen. Eine Reduzierung von Risiken, die Erhöhung von Heilungschancen und eine Verlängerung des Lebens bei verbesserter Lebensqualität werden als Nutzen erwartet. Daher ist die weitere Erhöhung der Teilnahmeraten bei gleichzeitiger Qualitätssicherung der Untersuchungen seit langem ein Diskussionsschwerpunkt [Junge et al. 1992, Mielck & Brenner 1993; Robra 1993, Schmidt-Bodenstein 1997]. Seit 1989 ist die ärztliche Gesundheitsuntersuchung zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten bei Erwachsenen als Leistung in die vertragsärztliche Versorgung eingeführt. Versicherte haben ab dem 36. Lebensjahr alle zwei Jahre einen Anspruch auf Durchführung dieser Untersuchungen, die auf die Erfassung besonderer Risikomerkmale von Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Krankheiten, Nierenerkrankungen, Diabetes zielen. Dabei sollen die Versicherten auf der Grundlage von Anamnese, körperlicher Untersuchung und eines Laborstatus (Bestimmung von Cholesterin, Glucose, Harnsäure und Kreatinin im Blut sowie von Eiweiß, Glucose, Nitrit und Blut im Urin) über mögliche Gesundheitsgefährdungen z.B. Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und Streß beraten werden. Der Anspruch der Versicherten, sich einmal jährlich kostenlos auf ausgewählte Krebskrankheiten hin untersuchen zu lassen, besteht bereits seit 1972 (mit Revision 1982). Dabei werden bei Frauen vom Beginn des 20. Lebensjahres an die inneren und äußeren Geschlechtsorgane, ab dem 30. Lebensjahr die Brust und Haut und ab dem 45. Lebensjahr außerdem der S164 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H. Kahl, H. Hölling, P. Kamtsiuris Tab. 1 Teilnahme am Gesundheits-Check-up im Jahr 1997 in % (GKV-Versicherte) Alter Männer Gesamt Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Frauen Gesamt Unterschicht Mittelschicht Oberschicht 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75–79 Gesamt 14,7 13,3 26,6 22,6 32 33,5 41,6 42,9 32,5 26,7 17,2 9,1 32,5 10 33,3 27,6 39 42,9 63,2 28,1 17,3 15 23,8 28,1 33,1 35 42,6 45,3 29,3 27,6 6,5 13,6 29,5 21,7 28,8 37 41,7 34,8 6,3 23,8 11,9 20,1 28,7 25,3 30 24,1 26,9 24,5 36,1 24,5 13,2 17,3 22,9 18,8 27 23,9 29,5 21,3 34,7 24,7 12,1 21,9 33,1 30 29,7 23,8 26,2 28 39,7 25,7 9,3 18,8 20 17,6 36,4 29,2 16,7 28,6 0 20,4 Darm untersucht. Männer können vom Beginn des 45. Lebensjahres an die äußeren Geschlechtsorgane, die Prostata, die Haut sowie den Darm untersuchen lassen (§ 26 SGB V). 36,1% in der Altersgruppe 75–79, bei den Männern in diesem Altersbereich von 14,7% auf 32,5%. Die höchste Beteiligungsrate weisen mit ca. 42% die 65- bis 75jährigen Männer auf. Material und Methoden Eine soziale Schichtabhängigkeit ist an einer niedrigeren Teilnehmerrate der Oberschichtangehörigen gegenüber Angehörigen der Unterschicht bzw. Mittelschicht (22,1% zu 26,1% bzw. 26,5%) nachweisbar. Nimmt man das Alter als Indikator für die Teilnahme, ergibt sich ein ähnliches Bild zwischen den einzelnen Schichten. Während jedoch in der Unter- und Mittelschicht ein kontinuierlicher Anstieg in der Teilnahme bis zum 79. Lebensjahr zu verzeichnen ist, sinkt in der Oberschicht die Beteiligungsrate auf 6,3% bei den Männern bzw. 0% bei den Frauen in der letzten Altersgruppe. Im Survey wurde die Teilnahme an einer Gesundheitsuntersuchung und einer Früherkennungsuntersuchung durch das ärztliche Interview erfaßt. Weiterhin wurde erfragt, inwiefern eine Beratung zu Krebsrisiken bzw. zu den Untersuchungsergebnissen des Check-ups durch den in Anspruch genommenen Arzt erfolgte. Bei der Auswertung der Daten zum Gesundheits-Check-up und der KFU wurden nur die Angaben der Anspruchsberechtigten der gesetzlichen Krankenversicherung für das Jahr 1997 berücksichtigt. Fragen zur Früherkennung und zum Check-up wurden in den vorangegangen Surveys nicht einheitlich erfragt. Sie waren teilweise eingebunden in andere Fragen und erfaßten unterschiedliche Zeiträume, so daß eine Trendbeurteilung schwierig ist. Ost-West-Unterschiede stellen sich in einer höheren Beteiligung der Männer im Westen dar (vgl. Abb. 2). Während die Männer im Westen eine Beteiligungsrate von 27,6% (Frauen: 24,4%) aufweisen, führten im Osten nur 24,1% der Männer (Frauen: 24,7%) einen Gesundheits-Check-up durch. Die Unterschiede sind nicht signifikant. Eine Teilnahme am Gesundheits-Check-up im Jahr 1997 bestätigen 24,5% der Frauen und 26,7% der Männer. Die Beteiligung steigt mit zunehmenden Alter kontinuierlich an (vgl. Tab. 1 und Abb. 1). Bei den Frauen erhöht sich die Rate von 11,9% in der Altersgruppe der 35- bis 39jährigen Frauen auf Zum Gesundheits-Check-up gehört die Auswertung der Ergebnisse und eine Beratung zu gesundheitlichen Verhaltensweisen hinsichtlich ermittelter Risikofaktoren durch den Arzt (§ 25 Abs. 1 SGB V). Eine solche Beratung haben 70,9% der untersuchten Männer und 67,8% der Frauen erhalten. Insgesamt geben mehr ostdeutsche Befragte eine Beratung an als Westdeutsche (Ost 74,9% zu West 67,9%), nach Sozialschicht differenziert mehr Befragte aus der Unterschicht als aus der Oberschicht (74,5% zu 60,1%). Die Unterschiede nach Sozialschicht Abb. 1 Teilnahme am Gesundheits-Check-up im Jahr 1997 in % (GKVVersicherte). Abb. 2 Teilnahme an der Früherkennungsuntersuchungen im Jahr 1997 in % (GKV-Versicherte). Ergebnisse Gesundheits-Check-up Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S165 Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen Obwohl bei den Männern eine kontinuierliche Zunahme der Inanspruchnahme an der KFU festzustellen ist, wird wie bei den Frauen der größte Teil der Risikopopulation nicht erreicht. Zudem sind die Teilnahmeraten deutlich sozial differenziert: Frauen der Oberschicht nehmen mit 42,2% (Männer: 26,5%) die Untersuchungen häufiger wahr als Angehörige der Unterschicht mit 28,2% (Männer: 19,7%). Ein Ost-West-Vergleich zeigt eine höhere Teilnahmerate zugunsten der westdeutschen Befragten bei den Männern (23,2% gegenüber 20,3%) und den ostdeutschen Frauen (38,9% gegenüber 35,8%). (Vgl. Abb. 2). Abb. 3: s.o. Abb. 3 Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen im Jahr 1997 in % (GKV-Versicherte). und nach West/Ost sind signifikant, die Unterschiede nach Geschlecht zeigen keine Signifikanz. Krebsfrüherkennung (KFU) Eine Teilnahme an der Krebsfrüherkennungsuntersuchung im Jahr 1997 geben von den Anspruchberechtigten 36,5% der rauen und 22,6% der Männer an (vgl. Tab. 2). Bei einer Differenzierung in Altersgruppen ergibt sich bei den Frauen eine Beteiligung von 22,1% bei den 20- bis 24jährigen und ein höheres Niveau der Beteiligung, zwischen 42,3 und 46,7%, bei den 25- bis 54jährigen Frauen. Ab dem 55. Lebensjahr nimmt die Beteiligung von 36,3% auf 13,9% bei den 75- bis 79jährigen stark ab (vgl. abb. 3). Männer nehmen insgesamt weniger oft an der KFU teil als Frauen. Die Teilnahmerate der Anspruchberechtigten beträgt bei den 45- bis 49jährigen 13,8% und steigt kontinuierlich bis auf 27,8% bei den 70- bis 74jährigen an. Erst bei den 75- bis 79jährigen liegt die Beteiligungsrate der Männer an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen höher als bei den Frauen. Die sinkende Inanspruchnahme der KFU durch Frauen ab dem 55. Lebensjahr zeigt, daß das Risikobewußtsein trotz ansteigendem Krebsrisiko nicht ausreichend entwickelt ist und nach Annahmen von Junge et al. einhergeht mit einer abnehmenden Inanspruchnahme des Gynäkologen [Junge 1992]. Neben der Teilnahme an der KFU wurde von den Probanden erfragt, ob der Arzt über Krebsrisiken aufgeklärt bzw. beraten hat. Eine Beratung geben 42,9% der Männer und 43% der Frauen an. Ost-West-Unterschiede im Beratungsangebot betragen 47,2% zu 41,8%. Auch bei einer Differenzierung nach Sozialschicht ergeben sich keine signifikanten Unterschiede. Sowohl Angehörige der Ober- als auch der Unterschicht erhielten zu ca. 44% bei der Durchführung einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung eine Beratung über Krebsrisiken. Gesundheitsförderung Problemstellung Die Entstehung der heute epidemiologisch für die Bevölkerung bedeutsamen chronisch degenerativen Erkrankungen ist zweifelsfrei mit nachgewiesenen hohen Verhaltensrisiken bzw. Risiken der Lebensweise verbunden. Die bislang ermittelten größten additiven Risiken für HKK, Krebs und z.T. Erkrankungen des Bewegungsapparates resultieren mehrheitlich aus gesundheitlichem Fehlverhalten und individuellen Risiken im Hinblick auf Rauchen, Ernährung (inkl. Alkoholkonsum), mangelnder Bewegung und psychosozialer Belastung [Hoffmeister, Bellach 1995]. Werden die ermittelten Risiken als Präventionspotential betrachtet, so ergeben sich eine Vielzahl von Möglichkeiten, sowohl den Gesundheitszustand von Personen als auch der Bevölkerung insgesamt positiv zu beeinflussen [Radoschewski et al. 1994]. Über ein vielseitiges Spektrum von Angeboten an gesundheitsfördernden Maßnahmen wird angestrebt, Wis- Tab. 2 Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen im Jahr 1997 in % (GKV-Versicherte) Alter 20–24 25–29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75–79 Gesamt Männer Gesamt 13,8 17,1 25,8 26,2 28,9 27,8 16,9 22,6 Unterschicht 5 15,4 17,8 26,3 25,9 17,1 30 19,7 Mittelschicht 12,2 17,5 26,6 24,1 28,7 29,3 14,6 22 Oberschicht Frauen Gesamt Unterschicht Mittelschicht Oberschicht 24,6 17,4 29,2 32,1 31,4 39,1 6,3 26,5 22,1 42,3 46,7 42,4 42,8 45 45,6 36,3 36,2 20,9 25 13,9 36,5 27,8 44,4 39,2 35,2 38,5 36,2 21,2 34,8 31 20,4 13,8 16,3 28,2 19,1 41,1 46,5 45,2 43,7 48,4 52,3 35,1 39,7 23,3 35,4 11 39,1 23,8 44,6 52,9 40 42,9 43,6 46 40 48 16,7 31,8 20 42,2 S166 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 sen und Befähigung zu gesundheitsgerechtem Verhalten herauszubilden, aufrechtzuerhalten und damit gesundheitliche Risiken zu reduzieren. Die Neuregelung präventiver Leistungen durch das GRG (1988) hat dabei mit dem § 20 SGB V den Krankenkassen – in Kooperation mit anderen Einrichtungen – ein potentiell weites Aufgabengebiet gerade im Bereich der Gesundheitsförderung und -beratung eröffnet [Nowak 1990]. Angebote umfaßten dabei besonders die Bereiche Ernährung, Gewichtsreduktion, Bewegungs- und Rückenschulung, Entspannungskurse und Raucherentwöhnung. Seit dem 1.1.1997 wurde diese Regelung wieder aufgehoben. H. Kahl, H. Hölling, P. Kamtsiuris Tab. 3 Teilnahme an gesundheitsfördernden Maßnahmen in den letzten 12 Monaten gesamt West Ost Unterschicht Mittelschicht Oberschicht AOK GKV-Rest Privat/Beihilfe gesamt Männer Frauen 10,5 11,5 6,4 7,1 11,2 12,6 7,2 12,7 11,9 7,0 7,7 4,0 5,5 7,1 8,2 5,3 7,3 10,3 13,8 15,1 8,6 8,3 15,1 18,0 8,8 16,7 14,4 Material und Methoden Die Fragen zur Beteiligung an gesundheitsförderndern Maßnahmen sollten von den Probanden in einem Selbstausfüllfragebogen beantwortet werden. Dazu gehörte auch die Einschätzung der Effektivität dieser Maßnahmen auf den Gesundheitszustand und die Bereitschaft einer individuellen Kostenübernahme für Gesundheitsförderungskurse. Es ist anzunehmen, daß die Ergebnisse des Surveys 1997/98 durch den Wegfall geförderter Maßnahmen durch die Krankenkassen beeinflußt sind. Ein Vergleich zu den Ergebnissen früherer Surveys, insbesondere zum Trend in der Inanspruchnahme solcher Maßnahmen, ist damit erschwert. Bei der Auswertung der Daten wurden zunächst ausschließlich die Angaben der Probanden über Kursteilnahme in den letzten 12 Monaten berücksichtigt. Die Ergebnisse gewährleisten einen Überblick über die Häufigkeit der Inanspruchnahme derartiger Leistungen und bestimmte Bedarfsstrukturen. Ergebnisse Insgesamt haben 10,5% der Befragten angegeben, während der letzten 12 Monate an gesundheitsfördernden Maßnahmen teilgenommen zu haben, Frauen doppelt so häufig wie Männer (13,8% zu 7%) (vgl. Tab. 3). Unterschiede in der Inanspruchnahme gesundheitsfördernder Maßnahmen bestehen auch zwischen Ost und West (6,4% zu 11,5%) und nach sozialer Schichtzugehörigkeit. Während in der Oberschicht 12,6% und in der Mittelschicht 11,2% der Befragten Gesundheitsförderungskurse besuchen, waren es in der Unterschicht nur 7,1%. Nach Versichertenstatus ausgewertet, spiegelt die Teilnahme von AOK-Versicherten mit 7,2% gegenüber 11,9% der Privatversicherten ungefähr die Klientel der jeweiligen Krankenkassen wider. Betrachtet man die Geschlechter getrennt voneinander, zeigen sich ebenfalls signifikante Unterschiede in den Teilnahmeraten zugunsten der Westdeutschen, besonders der westdeutschen Frauen. Nach dem Versichertenstatus zeigen die in Ersatzkassen (GKV-Rest) versicherten Frauen die höchste Teilnahmerate mit 16,7%, während bei den Männern die Privatversicherten an erster Stelle stehen. Bei der Schichtzugehörigkeit ergeben sich Signifikanzen nur bei den Frauen, zugunsten der Oberschicht. Bei den Frauen liegen schon bei 20jährigen die Teilnahmeraten mit 13% über dem Gesamtdurchschnitt und steigen bis auf 18% bei den unter 60jährigen an. Die Raten bei Männern bewegen sich dagegen im vergleichbaren Altersbereich zwischen 4% und 10%. Bei den 60– 79jährigen geht die Teilnahmerate stark zurück und sinkt bei den Frauen von 11% auf 8% und bei den Männern von 9% auf 20% 18% 15% 5% 0% 15% 13% 9% 10% 7% 3% 18% 10% 9% 5% 4% 11% Männer Frauen 8% 4% 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Altersgruppe Abb. 4 Teilnahme an gesundheitsfördernden Maßnahmen in den letzten 12 Monaten. 4% (vgl. Abb. 4). Differenziert nach Altersgruppen ist die Teilnahmerate insgesamt mit 13% und 14% in den Altersgruppen 40–49 und 50–59 am höchsten. Die 20–40jährigen und die über 60jährigen bewegen sich bei einer Rate von 9%–10%. Betrachtet man die Struktur der Inanspruchnahme gesundheitsfördernder Maßnahmen, so stehen an erster Stelle die 100% 80% 44 60% 11 40% 12 18 20% 10 5 0% Unterschicht 44 44 17 13 10 11 5 Mittelschicht 21 12 13 73 Oberschicht Rückenschule Streßbewältigung gesunde Ernährung sonstige Maßnahmen Gewichtsreduktion Entwöhnungskurse Abb. 5 Struktur der Inanspruchnahme gesundheitsfördernder Maßnahmen in den letzten 12 Monaten. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S167 Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen Tab. 4 Verbesserung des Gesundheitszustandes durch die Teilnahme an gesundheitsfördernden Maßnahmen Gewichtsreduktion gesund. Ernährung Rückenschule Streßbewältigung Rauchentwöhnung Alkoholentwöhnung* Drogenentwöhnung** sonst. Maßnahmen gesamt männlich weiblich p-Wert 78,0 68,2 75,9 79,1 33,3 100,0 100,0 85,3 75,0 65,9 74,2 72,0 16,7 100,0 – 85,2 79,2 69,3 76,8 82,0 50,0 100,0 100,0 85,4 0,652 0,694 0,538 0,145 0,221 – – 0,979 *n=17, **n=1 Angebote zur Rückengymnastik mit ca. 44%. Angebote zur Streßbewältigung und Entspannung machen 17%, zu gesunder Ernährung 13%, zur Gewichtsreduktion 10% und zur Raucher-, Alkohol- und Drogenentwöhnung 4% der Gesamtmaßnahmen aus. Während Kurse zur Rückenschulung und gesunden Ernährung keine schichtspezifischen Unterschiede zeigen, verschiebt sich der Anteil der Teilnehmer an Streßbewältigungskursen zugunsten der Oberschicht, während in der Unter- und Mittelschicht eher Kurse zur Gewichtsreduktion und Raucher-/Alkohol- und Drogenentwöhnung in Anspruch genommen werden (vgl. Abb. 5). Nach Altersgruppen unterteilt, fällt vor allem der hohe Anteil an Streßbewältigungskursen in den Altersjahren 30–59 auf, wobei der höchste Anteil in der Altersgruppe 30–39 Jahre mit 24% liegt. Die Dominanz der Rückenschule liegt im Altersbereich 50–59 Jahre mit 49% Teilnahme. Neben der Ermittlung der Teilnahmeraten und der Angebotsstruktur an gesundheitsfördernden Maßnahmen war auch der Nachweis ihrer Wirksamkeit auf das Befinden und den Gesundheitszustand aus subjektiver Sicht der Teilnehmer von Interesse. Eine Verbesserung des Gesundheitszustandes geben nach Teilnahme von Kursen zur Streßbewältigung 79,1% an, nach Kursen zur Gewichtsreduktion 78% und zur Rückenschule 75,9%. Maßnahmen zur gesunden Ernährung sind bei 68,2% der Befragten wirksam. Bei Raucherentwöhnungskursen wird neben einer geringen Teilnahme nur ein geringer Erfolg (33,3%) sichtbar (vgl. Tab. 4). Andere Auswertungen über die Wirksamkeit von Gesundheitsförderung wie z.B. von einzelnen Krankenkassen – AOK [Pradel und Möhlmann 1996], Barmer [Meierjürgen und Schulte 1993] oder BKK [Meschnig et al. 1995, Wanek et al. 1999] – und Untersuchungen [Radoschewski et al. 1994] zeigen ähnliche Ergebnisse sowohl bezüglich der Inanspruchnahme als auch der Verbesserung des Gesundheitszustandes. So bestätigen z.B. bei der retrospektiven Befragung von Meschnig die Kursteilnehmer zu ca. 85%, daß diese Kurse ein Anstoß/eine Unterstützung für eine gesündere Lebensführung waren. Auf die Frage im Survey, inwieweit die Teilnehmer auch die vollständigen Kosten für gesundheitsfördernde Maßnahmen übernehmen würden, antworteten 58% der Personen der Oberschicht, 43% der Mittelschicht und 24% der Mittelschicht mit ja (vgl. Abb. 4). Ebenso zeigt sich, daß Westdeutsche, Frauen sowie Privat- und GKV-Rest-Versicherte eine überdurchschnittliche Bereitschaft zur Kostenübernahme aufweisen. Gesamt = 41,6% Ost West 29,6% Männer Frauen 38% Unterschicht Mittelschicht Oberschicht AOK GKV-Rest Privat/Beihilfe 0% 44,6% 24,2% 42,9% 29% 10% 20% 30% 45% 46,6% 40% 50% 57,6% 55,9% 60% 70% Abb. 6 Bereitschaft zur Kostenübernahme bei Inanspruchnahme gesundheitsfördernder Maßnahmen. Die Survey-Ergebnisse bestätigen insgesamt die in der Literatur vorliegenden Ergebnisse zur geschlechts-, alters- und sozialspezifischen Ausprägung der Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen und gesundheitsfördernden Maßnahmen. Kirschner et al. (1995) halten die Beteiligungsraten an den beschriebenen Maßnahmen in Deutschland jedoch generell für zu gering, um epidemiologische Auswirkungen auf den Gesundheitszustand zu zeigen. Weiteren Untersuchungen bleibt vorbehalten, die Einstellungen und Motivationen von Teilnahme und Nichtteilnahme zu charakterisieren, um u.a. auch die Bevölkerungsgruppen mit hohem Gesundheitsrisiko, aber gering ausgeprägter Beschwerdenhäufigkeit, zu erreichen. Literatur 1 2 3 4 5 Hoffmeister H, Bellach BM (Hrsg) (1995). Die Gesundheit der Deutschen. Ein Ost-West-Vergleich von Gesundheitsdaten. RKIHefte 7 /95 Junge B, Arab-Kohlmeier L, Tiefelsdorf M, Hoffmeister H (1992). Krebsfrüherkennung wird zu wenig genutzt. Z allg Med 68: 811–816 Kirschner W, Radoschewski M, Kirschner R (1995). § 20 SGB V. Gesundheitsförderung, Krankheitsverhütung: Untersuchung zur Umsetzung durch die Krankenkassen (Schriftenreihe Forum Sozial- und Gesundheitspolitik Bd. 6). Asgard Verlag, St. Augustin Meierjürgen R, Schulte M (1993). Routinestatistiken im Gesundheitsförderungsbereich: Aufgaben – Ziele – erste Ergebnisse. T Präventivmed Gesundheitsförd 5: 61–64 Meschnig A, Reutter T, Thußbasc C, Klotter C (1995). Effekte von Gesundheitsförderung – Ergebnisse einer retrospektiven Befragung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Kursen des BKK Gesundheitszentrums Berlin – Die Betriebskrankenkasse 11, 680–684 S168 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 6 Mielck A, Brenner W (1993). Soziale Ungleichheit der Teilnahme an Krebsfrüherkennungs-Untersuchungen in Westdeutschland und in Großbritannien. In Mielck A (Hrsg.) (1993). Krankheit und soziale Ungleicheit: Sozialepidemiologische Forschung in Deutschland. Opladen: Leske + Budrich, 299–318 7 Nowak M (1990). Gesundheitsförderung im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes – neue Perspektiven für Krankenkassen und Kommunen. Öff. Gesundh.-Wes. 52, 241–243 8 Pradel C, Möhlmann H (1996). Wege zur Evaluation gesundheitsfördernder Maßnahmen Z. f. Gesundheitswiss. 4 Jg. H 2, 111–119 9 Radoschewski M, Kirschner W, Kirschner R, Heide (1994). Entwicklung eines Präventionskonzeptes für Berlin Diskussionsbeiträge zur Gesundheits- und Sozialforschung. Diskussionspapier 21. Senatsverwaltung für Gesundheit Berlin 10 Robra BP (1993). Evaluation des deutschen Krebsfrüherkennungsprogramms. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW 11 Schmidt-Bodenstein S (1997). Gesundheitsuntersuchung nach § 25 Abs. 1 SGBV. Kritische Analyse der Untersuchungsergebnisse 1994. Ersatzkasse 1, 6–11 12 Wanek V, Born J, Novak P, Reime B (1999). Einstellungen und Gesundheitsstatus als Bestimmungsfaktoren einer Beteiligung an Maßnahmen verhaltensorientierter Gesundheitsförderung. Gesundheitswesen 61, 346–342 H. Kahl, H. Hölling, P. Kamtsiuris Heidrun Kahl Robert Koch-Institut Stresemannstraße 90–102 D-10963 Berlin S169 RISIKOFAKTOREN, GESUNDHEITSVERHALTEN, LEBENSWEISE ›› Sozialschicht und Gesundheit Zusammenfassung: Die vorliegende Publikation beschreibt die Sozialstruktur in Deutschland und ihre Wechselwirkung mit Gesundheit bzw. Krankheit. Die Analyse basiert auf den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998. Ihre Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: In der letzten Dekade hat in Ostdeutschland der Unterschichtanteil zugunsten von Mittel- und Oberschicht abgenommen. Die Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern haben sich verringert bzw. sogar nivelliert. Männer gehören auch heute noch häufiger der Oberschicht an als Frauen. Für die Risikofaktoren Rauchen, starkes Übergewicht und sportliche Inaktivität zeigt sich ein deutlicher Schichtgradient. Angehörige der Unterschicht sind häufiger Raucher, weisen signifikant häufiger starkes Übergewicht auf und sind seltener sportlich aktiv. Hypertonie und Hypercholesterinämie sind bei Männern der Oberschicht häufiger zu beobachten als in der Unterschicht, bei den Frauen treten diese beiden Risikofaktoren in der Unterschicht häufiger auf. Im Morbiditätsgeschehen stellt sich die Schichtspezifik unterschiedlich dar. Nichtinsulinpflichtiger Diabetes mellitus, chronische Bronchitis und Ulcus ventriculi et duodeni sind Beispiele für eine häufigere Prävalenz in der Unterschicht, Rhinitis allergica ist dagegen häufiger in der Oberschicht zu beobachten. Das Beschwerdenniveau ist in der Unterschicht höher als in der Oberschicht. Differenziert nach Ost und West zeigen sich signifikante Schichtunterschiede vor allem in den alten Bundesländern. Dem niedrigeren Beschwerdenniveau entsprechend schätzt die Oberschicht ihren Gesundheitszustand deutlich besser ein als die Unterschicht. Die Lebens- und Gesundheitszufriedenheit ist in der Oberschicht größer als in der Unterschicht. Bei der Arzneimittelanwendung treten schichtspezifische Unterschiede, gemessen am höchsten Schulabschluß, in den alten Bundesländern etwa doppelt so häufig auf wie in den neuen Bundesländern. Dem Beschwerdenniveau und der Krankheitsprävalenz entsprechend werden die meisten Arzneimittelgruppen in der Unterschicht häufiger angewendet als in der Oberschicht. Arzneimittel mit präventivem Potential werden dagegen in der Oberschicht deutlich häufiger konsumiert. Schlüsselwörter: Soziale Schicht – Bundes-Gesundheitssurvey – Risikofaktoren – Beschwerden – Morbidität – Arzneimittel Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S169–S177 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York H. Knopf, U. Ellert, H.-U. Melchert Robert Koch-Institut, Berlin Social Strata and Health: This publication deals with the German social class and their interactions with health or illness. The analysis uses the data of the German National Health Interview and Examination Survey 1998. The results are as follows: During the last decade the proportion of inhabitants of lower social class has decreased in favour of the proportions of middle and upper social classes. The formerly observed differences between the eastern part (former GDR) and the western part of Germany have diminished or have even levelled to zero. Even today men in Germany belong more often to the upper social class than women. For the risk factors smoking, massive obesity and inactivity in sports a distinct gradient concerning the social class can be observed. Those belonging to lower social class are more often smokers, have significantly more often massive obesity and show more seldom activities in sports. Hypertension and hypercholesterolemia are more often observed in men of the upper social class than in those belonging to lower class while for women both mentioned risk factors are more often seen in the lower social class. With respect to morbidity different patterns can be observed. NIDDM, chronic bronchitis and gastric and duodenal ulcer are examples for higher prevalence data in the lower social class while allergic rhinitis can be observed more often in the higher class. The level of complaints is higher in the lower class than in the upper class. By differentiating according to the eastern or western part clear differences emerge concerning social class especially in the ‚old Bundesländer’ (western part). Members of the upper class estimates their health status clearly to be better than those study participants belonging to the lower class. This perhaps can be explained by their lower level of complaints. The contentedness concerning live and healthstatus is higher in the upper than in the lower class. Respecting the highest level of education, class-specific differences concerning drug utilization are observed doubly frequent in the ‚old Bundesländer’ compared to the ‚new Bundesländer’. According to the level of complaints and the prevalence of diseases most drug groups are used more often in the lower than in the upper class whereas drugs with presumed preventive potential are clearly more often consumed in the upper class. Key words: Social Class – German National Health Interview and Examination Survey – Risk Factors – Complaints – Morbidity – Drugs S170 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H. Knopf, U. Ellert, H.-U. Melchert Interview erhoben wurden, stammen alle Angaben aus einem standardisierten Selbstausfüllfragebogen. Einleitung Auch in einer so hoch entwickelten Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland, mit ihren vielen Schutzbestimmungen zu gesundheitsbeeinträchtigenden Faktoren in der Umwelt, speziell in der Arbeitswelt, mit ihrem breiten Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und den vielen sozialen Ausgleichen zwischen Viel- und Wenigverdienern ist Gesundheit bzw. Krankheit sozial ungleich verteilt [Hüttner et al. 1996]. Die vertikale Gliederung in soziale Schichten hat sich durch die Vielfalt der Lebensstile, wie sie in einer wohlhabenden Gesellschaft vorkommen, nicht automatisch aufgelöst. Geißler (1996) hat Mitte der 90er Jahre beispielsweise nachgewiesen, daß immer noch eine schichtspezifische Chancenungleichheit in der Bildung besteht. So hat der Anteil von Kindern aus Arbeiterfamilien an den Studienanfängern in den letzten 25 Jahren nicht zugenommen. Daß auch die politischen Teilnahmechancen schichtspezifisch unterschiedlich sind, läßt sich eindrucksvoll am Sozialprofil der Parlamentarier ablesen. Natürlich gilt nicht nur, daß soziale Bedingungen Krankheiten verursachen oder beeinflussen. Krankheit kann im Lebensverlauf auch soziale Umstände verändern und wie z.B. im Falle von Suchtkrankheiten sogar zum sozialen Abstieg führen. Dieser Fall ist aber keineswegs ein Massenphänomen. Schichtunterschiede im Gesundheitszustand zu erkennen ist wesentlich für die Prävention. Die benachteiligten Gruppen und Schichten der Bevölkerung sollten eine besondere Zielpopulation von gesundheitsfördernden bzw. präventiven Maßnahmen sein. Die Gesundheitspolitik wird damit auch zur Politik des Chancenausgleichs [Investment in Health 1990]. Material und Methode Die Ergebnisse zur Wechselwirkung zwischen sozialer Schicht und Gesundheit basieren auf den Daten des BundesGesundheitssurveys 1998 [Bellach et al. 1998, Thefeld et al. 1999]. Das Merkmal „Soziale Schicht“, das zur Beurteilung der Schichtspezifik verwendet wurde, ist entsprechend der DAEEmpfehlung (Deutsche Arbeitsgemeinschaft Epidemiologie) aus Einkommen, Bildung und beruflicher Position zusammengesetzt [Jöckel et al. 1998]. Es wurde hinsichtlich möglicher Korrelationen zu Risikofaktoren, Beschwerden und Krankheiten, Medikamentenanwendung sowie Lebens- und Gesundheitszufriedenheit analysiert. Mit Ausnahme der Medikamentenanwendung und der Krankheitsangaben, die im ärztlichen 70% Die Teilnahme der repräsentativ ausgewählten Personen am Bundes-Gesundheitssurvey war freiwillig, was dazu führt, daß auch in unserer Stichprobe mit einem gewissen Selektionseffekt gerechnet werden muß. Erfahrungen aus epidemiologischen Studien belegen, daß sich vor allem gesundheitsbewußte Bürger an derartigen Gesundheitsuntersuchungen beteiligen. Risikogruppen wie z.B. Obdachlose konnten aufgrund der Stichprobenziehung aus den Einwohnermelderegistern nicht befragt und untersucht werden. Nicht eingegangen in die Stichprobenziehung sind auch Personen, die sich zum Untersuchungszeitpunkt in stationärer Behandlung befanden oder Bewohner von Alten- und Pflegeheimen waren. Die Datenanalyse erfolgte mit dem Statistik-System SPSS (Version 9.01). Die Signifikanz wurde bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% geprüft. Neben bivariaten Auswertungen wurden die Daten mit Hilfe der logistischen Regression multivariat analysiert und Odds-ratios mit ihren 95%-Konfidenzintervallen geschätzt. Ergebnisse Soziale Schicht in Ost- und Westdeutschland: 1991 und 1998 Gemessen am Sozialschichtindex gehören 1998 23% der befragten Bevölkerung der Unterschicht, über 55% der Mittelschicht und ca. 22% der Oberschicht an. Signifikante OstWest-Unterschiede sind lediglich bei den Frauen festzustellen. Frauen in den neuen Bundesländern gehören häufiger der Unterschicht und seltener der Oberschicht an als Frauen in den alten Bundesländern. Aus der Verteilung der sozialen Schicht zu Beginn und zum Ende der 90er Jahre wird deutlich, daß sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen der Unterschichtanteil in Ostdeutschland zugunsten der Mittel- und Oberschicht abgenommen hat. Ersichtlich wird auch, daß Frauen häufiger in der Unterschicht und seltener in der Oberschicht sind als Männer (Tab. 1). Verglichen mit den Ergebnissen der Gesundheitserhebungen zu Beginn der deutschen Einheit (1991) hat sich die SozialAbb. 1 Soziale Schicht nach Geschlecht und Region, Gesundheitssurvey Ost/West 1991 und Bundes-Gesundheitssurvey 1998, 25- bis 69jährige. Werte für 1991 berechnet mit Schichtindex 1998. West 1991 Ost 1991 West 1998 Ost 1998 60% 50% 40% 30% 20% Männer Frauen Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht 10% 0% Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S171 Sozialschicht und Gesundheit Tab. 1 Soziale Schicht nach Geschlecht, Region und Alter, Bundes-Gesundheitssurvey 1998 West Ost Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Stichprobe 452 1205 561 230 650 249 Alter in Jahren 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 gesamt 24,2% 14,5% 14,6% 14,5% 23,4% 22,7% 19,4% 65,3% 56,7% 52,9% 51,1% 52,6% 57,2% 55,2% 10,6% 28,8% 32,5% 34,3% 24,0% 20,1% 25,5% 24,8% 12,9% 11,8% 14,5% 29,2% 22,8% 20,0% 71,1% 65,4% 60,5% 52,4% 46,1% 39,0% 57,4% 4,0% 21,6% 27,8% 33,1% 24,8% 38,2% 22,6% Stichprobe 586 1271 466 353 691 182 Alter in Jahren 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 gesamt 20,4% 14,9% 16,4% 19,6% 43,3% 43,5% 25,7% 62,3% 60,1% 57,4% 54,1% 47,0% 47,3% 54,8% 17,3% 25,0% 26,3% 26,3% 9,7% 9,2% 19,5% 24,5% 12,8% 15,8% 26,6% 43,6% 57,0% 28,8% 61,9% 71,0% 62,5% 51,6% 50,5% 36,6% 56,5% 13,6% 16,3% 21,7% 21,8% 5,9% 6,3% 14,7% Männer Frauen Prävalenzraten nach Gewichtung mit w98 struktur, gemessen am Schichtindex im Osten, an die Verhältnisse in Westdeutschland angenähert. Waren 1991 noch deutlich mehr Männer und Frauen in den neuen Bundesländern in der Unterschicht und deutlich weniger in der Oberschicht, so sind Ende der 90er Jahre in der Unterschicht fast keine und in der Oberschicht geringer gewordene Unterschiede zu beobachten. Während 1991 noch in allen Altersklassen deutliche Ost-West-Differenzen zu verzeichnen waren, haben sich diese 1998 insbesondere im mittleren und höheren Alter vermindert. In der höchsten Altersgruppe (60– 69 Jahre) gehören die Männer im Osten mit rund 25% sogar etwas häufiger der Oberschicht an als ihre Altersgenossen im Westen (24%) (Tab. 2). Risikofaktoren und soziale Schicht Neben Alter, Geschlecht und einer genetisch bedingten Disposition gehören Rauchen, starkes Übergewicht, mangelnde körperliche Aktivität, Hypertonie und Hypercholesterinämie zu den klassischen Einflußgrößen der Pathogenese und Progredienz kardiovaskulärer Krankheiten. Tab. 3 gibt einen Überblick über die Prävalenzraten für die genannten Risikofaktoren differenziert nach Geschlecht und Region (Ost- und Westdeutschland). Für den Risikofaktor „Rauchen“ wird bei Männern und Frauen ein Schichtgradient sichtbar. Unterschichtangehörige sind häufiger Raucher und seltener Ex- bzw. Nieraucher als Angehörige der Oberschicht. Mit steigendem Schichtindex vermindert sich der Raucheranteil. Besonders deutlich sind die schichtspezifischen Unterschiede bei den Männern. In Ostdeutschland sind jedoch die Frauen der Mittelschicht mit 30,1% häufiger Raucherinnen als die Frauen der Unter(29,3%) und der Oberschicht ( 23,1%). Der generelle Zusammenhang zwischen starkem Übergewicht (Body-Mass-Index ≥30 kg/m2) und erhöhter Morbidität bzw. Mortalität ist aus jahrzehntelangen Beobachtungen der Lebensversicherungsgesellschaften und zahlreichen epidemiologischen Studien bekannt [Marks 1960, The Pooling Project 1978, Keys et al. 1966]. 1992 publizierten Hoffmeister u. Mitarb. Ergebnisse des Nationalen Gesundheitssurveys 1984– 1986 zur Wechselwirkung zwischen sozialer Schicht und starkem Übergewicht in den alten Bundesländern [Hoffmeister et al. 1992]. Die Daten der Bundes-Gesundheitssurveys 1998 weisen ebenfalls eine Abnahme der Prävalenzraten mit steigender Sozialschicht auf. Besonders gravierend sind die Unterschiede bei den Frauen. In Abb. 2 sind die schichtspezifischen Ergebnisse des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 als Odds ratios für Männer und Frauen dargestellt. Auch nach Berücksichtigung des Alters- und Ost-Westeinflusses bleibt ein signifikant höheres Risiko für „starkes Übergewicht“ bei den männlichen (OR: 1,7; CI: 1,3–2,2) und weiblichen (OR: 3,0; CI: 2,5–4,1) Unterschichtangehörigen bestehen. Erhöhtes Gesamtcholesterin ist einer der primären Risikofaktoren für die koronare Herzkrankheit [Assmann/Schulte 1987]. In Anlehnung an die Empfehlungen der European Atherosclerosis Society (EAS) werden Gesamtcholesterinwerte von 250 mg/dl und mehr als Hypercholesterinämie bezeichnet. Mit 35,7% ist bei Männern aus der Oberschicht häufiger eine Hypercholesterinämie zu verzeichnen als bei Männern aus der Mittel- (30,9%) und Unterschicht (33,1%). Bei Frauen deuten die entsprechenden Raten auf eine Schichtspezifik dahingehend hin, daß Frauen aus der Oberschicht diesen Risikofaktor mit 32,5% seltener aufweisen als Frauen der Mittel- (33,0%) und Unterschicht (39,9%). In der multivariaten Auswertung erweisen sich das Alter und das Leben in Ost oder West bei den Männern als statistisch signifikante Einflußgrößen, bei den Frauen lediglich das Alter. Ein signifi- S172 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H. Knopf, U. Ellert, H.-U. Melchert Tab. 2 Soziale Schicht nach Alter, Geschlecht, Region und Erhebungszeitpunkt. Gesundheitssurvey Ost/West 1991 und Bundes-Gesundheitssurvey 1998, 25- bis 69jährige West Ost Unterschicht 1991 1998 Mittelschicht 1991 1998 Oberschicht 1991 1998 Unterschicht 1991 1998 Mittelschicht 1991 1998 Oberschicht 1991 1998 Stichprobe 628 298 1345 990 614 527 384 160 531 556 136 221 25–29 Jahre 30–34 Jahre 35–39 Jahre 40–44 Jahre 45–49 Jahre 50–54 Jahre 55–59 Jahre 60–64 Jahre 65–69 Jahre gesamt 25,1% 19,5% 19,4% 14,0% 18,6% 25,3% 33,5% 32,8% 39,7% 24,4% 15,5% 9,6% 14,1% 15,8% 11,5% 17,0% 10,5% 18,4% 27,3% 14,9% 62,5% 55,3% 47,9% 52,5% 48,8% 50,2% 50,3% 49,7% 49,3% 52,4% 69,5% 62,5% 54,0% 53,7% 55,4% 45,6% 55,7% 54,8% 49,2% 56,4% 12,5% 25,2% 32,7% 33,5% 32,6% 24,4% 16,2% 17,6% 11,0% 23,2% 15,0% 27,9% 31,9% 30,5% 33,1% 37,5% 33,7% 26,8% 23,6% 28,7% 36,2% 31,6% 22,6% 29,5% 28,4% 37,7% 51,7% 51,9% 47,8% 35,9% 21,0% 14,3% 11,7% 10,4% 13,7% 8,3% 16,3% 27,8% 28,9% 15,7% 55,9% 57,0% 60,5% 47,9% 50,8% 46,4% 40,0% 37,9% 50,8% 50,7% 72,7% 66,0% 63,6% 63,8% 56,4% 55,2% 51,6% 46,5% 46,4% 59,8% 7,8% 11,4% 16,8% 22,6% 20,7% 15,8% 8,3% 10,2% 1,4% 13,4% 6,3% 19,7% 24,7% 25,8% 29,9% 36,5% 32,1% 25,7% 24,8% 24,4% Stichprobe 893 420 1336 1064 436 431 470 237 583 587 107 165 25–29 Jahre 30–34 Jahre 35–39 Jahre 40–44 Jahre 45–49 Jahre 50–54 Jahre 55–59 Jahre 60–64 Jahre 65–69 Jahre gesamt 19,5% 25,0% 22,5% 21,8% 23,0% 38,5% 53,3% 59,0% 49,1% 33,8% 16,6% 13,1% 14,1% 14,8% 12,8% 11,5% 24,6% 40,5% 48,1% 21,0% 65,7% 54,8% 53,7% 55,2% 51,3% 48,6% 36,7% 35,8% 42,3% 50,1% 61,0% 61,2% 59,7% 58,7% 57,5% 57,1% 53,1% 47,3% 45,3% 56,1% 14,8% 20,2% 23,8% 23,0% 25,7% 12,9% 10,0% 5,2% 8,6% 16,1% 22,4% 25,7% 26,2% 26,6% 29,7% 31,4% 22,3% 12,2% 6,6% 22,9% 27,7% 28,4% 31,0% 27,5% 31,5% 49,7% 59,5% 63,4% 64,4% 41,6% 25,0% 13,2% 10,7% 17,7% 13,4% 12,2% 34,5% 36,2% 49,4% 22,3% 63,1% 64,0% 54,1% 50,0% 52,6% 42,9% 32,7% 35,7% 35,6% 48,9% 61,9% 76,7% 67,5% 62,3% 62,0% 61,1% 46,7% 56,6% 45,2% 60,9% 9,2% 7,6% 14,9% 22,5% 16,0% 7,3% 7,8% 0,9% 0,0% 9,6% 13,1% 10,1% 21,8% 20,0% 24,6% 26,7% 18,7% 7,2% 5,4% 16,8% Männer Frauen Prävalenzraten für 1991 nach Gewichtung mit weightow, für 1998 nach Gewichtung mit w9198, Werte für 1991 berechnet mit Schichtindex 1998 Tab. 3 Prävalenzraten von Risikofaktoren und soziale Schicht, Bundes-Gesundheitssurvey 1998, 18- bis 79jährige Deutschland West Ost Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht 47,4% 22,3% 33,1% 67,9% 22,1% 37,8% 18,9% 30,9% 61,4% 24,8% 29,0% 16,2% 35,7% 51,9% 25,6% 46,7% 22,4% 32,5% 67,9% 21,7% 35,9% 18,3% 29,5% 59,5% 23,8% 28,9% 15,6% 34,8% 49,2% 23,6% 48,7% 21,8% 35,3% 68,2% 23,5% 41,4% 21,4% 36,4% 68,4% 28,6% 29,4% 18,7% 39,6% 63,8% 34,2% 30,1% 31,4% 39,9% 78,5% 26,8% 29,5% 20,3% 33,0% 62,5% 20,2% 25,0% 9,9% 32,5% 51,4% 16,8% 30,5% 31,6% 38,6% 77,9% 25,2% 29,1% 19,5% 33,6% 60,6% 20,0% 25,8% 9,8% 32,5% 50,5% 17,0% 29,3% 31,0% 44,6% 80,4% 32,6% 30,1% 23,7% 30,7% 69,8% 20,8% 23,1% 10,6% 32,4% 56,2% 15,6% Männer Rauchen starkes Übergewicht Hypercholesterinämie sportlich inaktiv Hypertonie (Meßwert) Frauen Rauchen starkes Übergewicht Hypercholesterinämie sportlich inaktiv Hypertonie (Meßwert) Prävalenzraten nach Gewichtung mit w98 kanter Schichteinfluß ist weder bei den Frauen noch bei den Männern zu beobachten. Die gesundheitspolitische Bedeutung der Hypertonie als Risikofaktor für die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität ergibt sich zum einen aus der Häufigkeit ihres Vorkommens, zum andern aus der Schwere der Folge- und Begleitkrankheiten. Neben dem Alter und einer genetischen Disposition korreliert die Hypertonie mit gesundheitsrelevanten Verhaltens- weisen wie z.B. hohem Alkoholkonsum, Rauchen und Bewegungsmangel, die ihrerseits eine Schichtspezifik aufweisen. Die bivariate Auswertung von sozialer Schicht und Hypertonie zeigt für Männer und Frauen ein unterschiedliches Bild. Während bei den Frauen in den neuen Bundesländern mit 32,6% die höchste Hypertonieprävalenz in der Unterschicht zu verzeichnen ist, weisen bei den Männern die Angehörigen der Oberschicht ebenfalls in den neuen Bundesländern die höchsten Hypertonieprävalenzen (34,2%) aus. Analysiert man Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S173 Sozialschicht und Gesundheit Abb. 2 Starkes Übergewicht (BMI ≥30 kg/m2) und soziale Schicht, Bundes-Gesundheitssurvey 1998, 18- bis 79jährige. Männer Oberschicht Mittelschicht Unterschicht Frauen Oberschicht Mittelschicht Unterschicht 0 1 2 3 4 Odds Ratio das Hypertonierisiko nach sozialer Schicht unter Berücksichtigung von Alter, Region (Ost oder West) und Body-Mass-Index (BMI), so ergibt sich weder für Männer noch für Frauen ein statistisch signifikanter Zusammenhang. Der deutliche Schichteinfluß auf das Hypertonierisiko, wie er 1985 in den alten Bundesländern bei den Frauen festgestellt wurde (Hoffmeister et al. 1992), läßt sich anhand der Ergebnisse des Bundes-Gesundheitssurveys nicht mehr nachweisen. Die Korrelation zwischen körperlicher Aktivität und kardiovaskulären Krankheiten wurde bereits in mehreren epidemiologischen Publikationen beschrieben [Powell 1987, Jensen 1991, Mensink 1996]. Im Bundes-Gesundheitssurvey wurde die körperliche Aktivität durch die Häufigkeit und Dauer der sportlichen Aktivität sowie Art und Dauer körperlicher Tätigkeiten erfaßt. Die sportliche Aktivität wurde jeweils in „aktiv (mindestens 1h Sport/Woche)“ und „inaktiv (weniger als 1h Sport/Woche)“ differenziert und in Abhängigkeit von der sozialen Schichtzugehörigkeit analysiert. Mit 67,9% bei den Männern und 78,5% bei den Frauen sind Angehörige der Unterschicht wesentlich häufiger sportlich inaktiv als Personen aus der Oberschicht (Männer: 51,9%, Frauen: 51,4%). Auch unter Berücksichtigung des BMI sowie des Alters und des OstWesteinflusses weisen Männer (OR: 2,2; CI: 1,8–2,8) und Frauen (OR: 2,5; CI: 2,0–3,2) der Unterschicht, verglichen mit der Oberschicht, eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, sportlich inaktiv zu sein. Bei der körperlichen Aktivität, gemessen 17h an der Zeit, die Personen mit der Verrichtung leichter bis anstrengender Tätigkeiten verbringen, bzw. der körperlichen Inaktivität, gemessen an der Zeit, die mit Schlafen und sitzenden Tätigkeiten verbracht wird, zeigen sich ebenfalls Schichtunterschiede. Bedingt durch die berufliche Situation verbringen Männer der Oberschicht mehr Zeit am Tag mit sitzenden Tätigkeiten und sind damit körperlich weniger aktiv als Männer in der Mittel- und Unterschicht. Frauen der Mittel- und Oberschicht sind dagegen im Durchschnitt pro Tag länger körperlich aktiv (Abb. 3). Morbidität und soziale Schicht Die bisher dargestellten Ergebnisse zu den Korrelationen zwischen sozialer Schicht und Risikofaktoren erhärten die Hypothese, daß gesundheitsrelevante Verhaltensweisen auch über die Zugehörigkeit zu einer Schicht geprägt werden. Von Interesse ist nun die Frage, in welchem Ausmaß sich dieser Einfluß in der Krankheitsrealisation widerspiegelt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine unterschiedliche Krankheitswahrnehmung und ein unterschiedliches Krankheitsverständnis auch zu einer differenten Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und somit zu Unterschieden in der Diagnostik und im Bewußtwerden über das Vorliegen einer Krankheit führen können. Aus einer Palette von 43 Krankheiten, die wesentliche, das gegenwärtige Morbiditätsspektrum kennzeichnende Krankheiten berücksichtigt, wurden mittels ärztlichem Inter- Abb. 3 Mittlere körperliche Aktivität bzw. Inaktivität (in h/Tag) nach sozialer Schicht, Bundes-Gesundheitssurvey 1998, 18- bis 79jährige. Männer Frauen 15h 13h 11h 9h 7h 5h Körperliche Aktivität (h/Tag) Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Körperliche Inaktivität (h/Tag) Unterschicht Mittelschicht Oberschicht S174 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H. Knopf, U. Ellert, H.-U. Melchert Tab. 4 Prävalenzraten ausgewählter Krankheiten und soziale Schicht, Bundes-Gesundheitssurvey 1998, 18- bis 79jährige Deutschland West Ost Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht 5,6% 3,5% 2,5% 4,7% 3,4% 2,1% 9,2% 3,9% 4,1% 9,1% 6,5% 4,6% 9,8% 7,5% 5,1% 6,3% ,8% 2,2% Magen- oder Zwölffinger- 11,6% darmgeschwür Schilddrüsenkrankheit 5,7% 9,9% 6,2% 12,4% 9,9% 5,1% 8,5% 9,6% 11,0% Männer Zuckerkrankheit ohne Insulinbehandlung chronische Bronchitis Heuschnupfen 6,6% 8,2% 6,3% 7,3% 7,4% 3,2% 4,0% 11,9% 11,7% 13,9% 18,5% 13,4% 14,8% 19,6% 5,5% 10,7% 13,7% 8,5% 3,4% 1,6% 8,3% 3,0% 1,4% 9,1% 4,6% 2,5% Frauen Zuckerkrankheit ohne Insulinbehandlung chronische Bronchitis 7,8% 5,9% 3,4% 8,1% 6,3% 3,1% 6,7% 4,1% 4,9% Magen- oder Zwölffinger- 8,7% darmgeschwür Schilddrüsenkrankheit 24,4% 6,2% 4,9% 10,0% 6,6% 4,8% 4,1% 4,9% 5,8% 26,0% 24,2% 25,3% 26,8% 23,5% 21,2% 23,0% 27,6% Heuschnupfen 18,3% 20,3% 11,3% 19,5% 22,2% 8,5% 13,6% 10,2% 10,7% Prävalenzraten nach Gewichtung mit w98 view Krankheitsprävalenzen erfaßt und in Abhängigkeit von der sozialen Schichtzugehörigkeit analysiert. Im folgenden werden einige ausgewählte Krankheiten beschrieben, bei denen sich statistisch signifikante Schichtunterschiede zeigen (Tab. 4). Laut Bundes-Gesundheitssurvey leiden 3,7% der Männer und 4,6% der Frauen unter einem nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Männer und Frauen der Unterschicht weisen mit 5,6% bzw. 8,5% deutlich höhere Prävalenzraten auf als Angehörige der Oberschicht (Männer: 2,5%; Frauen: 1,6%). Nach Berücksichtigung von Alter, Region (Ost/West) und BMI weisen die Männer der Unterschicht ein signifikant höheres Risiko auf (OR: 2,2; CI: 1,3–3,8), diese Krankheit zu haben, als Angehörige der Oberschicht. Bei Frauen der Unterschicht ist das Risiko ebenfalls höher (OR: 1,8; CI: 0,9–3,6), aber nicht signifikant. Mit 9,1% bei den Männern und 7,8% bei den Frauen geben die Angehörigen der Unterschicht wesentlich häufiger an, eine chronische Bronchitis zu haben, als die Studienteilnehmer aus der Oberschicht (Männer: 4,6%; Frauen: 3,4%). Nach Berücksichtigung von Alter, Ost-Westeinfluß und Anzahl der täglich gerauchten Zigaretten beträgt das Risiko für Männer und für Frauen der Unterschicht 2,4. Die entsprechenden Konfidenzintervalle sind für die Männer 1,1–5,5 und für die Frauen 1,0– 5,7. Beim Ulcus ventriculi et duodeni weisen die Angehörigen der Unterschicht mit fast 12% bei den Männern und rund 9% bei den Frauen etwa doppelt so hohe Prävalenzraten auf, wie die Angehörigen der Oberschicht (Männer: 6,2%; Frauen: 4,9%). Die Aussage des höheren Krankheitsrisikos in der Unterschicht bleibt auch bestehen, wenn in der multivariaten Analyse das Alter und die Region (Ost oder West) berücksichtigt werden. Damit stehen die Ergebnisse in Übereinstimmung mit den höheren Durchseuchungsraten von Heliocobacter py- lori in unteren Sozialschichten, der als Mitverursacher eines Ulkus im Magen-Darmbereich wissenschaftlich anerkannt ist. Obwohl in der Fachliteratur auch bei der Gastritis Helicobacter pylori als wesentliche Einflußgröße beschrieben wird, lassen sich in der Gastritishäufigkeit der Männer keine nennenswerten Unterschiede zwischen Unter- (24%) und Oberschicht (23,5%) beobachten. Frauen weisen dagegen deutliche Differenzen auf (Unterschicht: 21,7%; Mittelschicht: 25,9%; Oberschicht: 30,4). Die Analysen der Gesundheitssurveys zu Beginn der 90er Jahre in Ost- und Westdeutschland wiesen die soziale Schicht als wesentliche Einflußgröße für die Prävalenz von Inhalationsallergien bzw. deren Prädisposition aus [Hoffmeister, Bellach 1995]. Erste Auswertungen der Daten des BundesGesundheitssurvey zur Rhinitis allergica bestätigen dies erneut. Angehörige der Oberschicht leiden auch nach Berücksichtigung von Alter und Leben in Ost- oder Westdeutschland signifikant häufiger an dieser Erkrankung (Männer: OR: 2,4; CI: 1,7–3,3; Frauen: OR: 1,8, CI: 1,3–2,1) als Unterschichtangehörige. Daß es sich dabei nicht um ein Overreporting, bedingt durch langfristige Sensibilisierung der Oberschicht für das Thema „Allergien“ durch die Medien, handelt, wird deutlich, wenn die Ergebnisse der Tests für Inhalationsallergene in die Analyse einbezogen werden. Auch hier weist die Oberschicht höhere Raten als die Unterschicht auf. Beschwerdenniveau und soziale Schicht Für die Beschreibung der subjektiven Symptomatik diente die Beschwerden-Liste nach v. Zerssen, mit der überwiegend körperliche und Allgemeinbeschwerden erfaßt werden [v. Zerssen 1976]. Männer weisen mit einem Wert von 14,6 im Durchschnitt ein niedrigeres Beschwerdenniveau auf als Frauen (18,3). Im Osten ist mit 15,7 das Beschwerdenniveau niedriger als im Westen (16,7). Sozialschichtspezifische Unterschiede sind bei beiden Geschlechtern vorhanden. Wäh- Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S175 Sozialschicht und Gesundheit Tab. 5 Statistisch signifikante Unterschiede (p<0,05) in der regelmäßigen Anwendung (täglich bis mindestens 1x/Woche) von Arzneimitteln (in %) nach höchstem Schulabschluß, Bundes-Gesundheitssurvey 1998, 18- bis 79jährige Männer blutdrucksenkende Mittel Herzmittel durchblutungsfördernde Mittel Mittel für Lungen/Bronchien (z.B. Asthmamittel) Medikamente für Magen, Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse Mittel zur Senkung d. Blutzuckerspiegels. (Insulin u./ o. Tabl.) Mittel zur Senkung des Blutfettspiegels Mittel gegen Gicht Medikamente gegen Blasen-/ Nierenkrankheiten Mittel gegen Rheuma, Bandscheibenbeschwerden Schmerzmittel stimmungsbeeinflussende Mittel, Psychopharmaka Beruhigungsmittel Antiallergika Vitamin C andere Vitaminpräparate West Ost West Ost West Ost West Ost West West Ost West West West West West Ost West West West West Ost West Ost Hauptschule Realschule Gymnasium p-Wert 16,5 31,6 10,9 19,8 12,0 20,3 5,3 6,2 6,7 3,8 10,7 6,4 5,4 3,6 6,4 6,2 6,7 2,5 3,7 2,8 5,4 2,3 8,6 5,6 10,6 12,6 3,3 5,2 5,2 4,6 2,5 2,1 3,7 1,3 2,4 3,0 3,0 2,3 2,2 3,8 5,2 1,7 3,2 2,8 6,5 4,0 13,5 5,5 8,7 17,4 4,2 10,3 3,4 9,7 2,2 0,6 4,5 2,1 3,2 3,2 2,2 1,5 1,8 2,9 3,9 1,4 1,7 3,6 6,8 8,4 16,2 11,0 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,016 0,000 0,004 0,001 0,001 0,005 0,039 0,000 0,000 0,028 0,040 0,020 0,003 0,000 0,003 0,000 0,001 Prävalenzraten nach Gewichtung mit w98 Unterschicht Abb. 4 Guter Gesundheitszustand und soziale Schicht, Bundes-Gesundheitssurvey 1998, 18- bis 79jährige. Männer Mittelschicht Oberschicht Unterschicht Frauen Mittelschicht Oberschicht 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 Odds Ratio rend bei den Männern die Angehörigen der Mittelschicht das höchste Beschwerdenniveau (15,3) aufweisen, sind es bei den Frauen die Studienteilnehmer aus der Unterschicht (19,4). Differenziert nach den alten und neuen Bundesländern, zeigt sich im Westen Deutschlands eine signifikante Schichtabhängigkeit. Das Beschwerdenniveau der Oberschicht (14,3) liegt deutlich unter dem Beschwerdenniveau der Unterschicht (17,8). Im Osten Deutschlands geben Unterschichtangehörige (16,6) zwar auch ein höheres Beschwerdenniveau an als Personen der Mittelschicht (15,4) und Oberschicht (15,2), die Unterschiede sind jedoch nicht statistisch signifikant. Subjektiver Gesundheitszustand, Zufriedenheit mit der Gesundheit und mit dem Leben und soziale Schicht Den schichtspezifischen Ergebnissen zum Beschwerdenniveau entsprechend schätzen Oberschichtangehörige ihren Gesundheitszustand besser ein als Personen aus der Unterschicht. Mit einem Odds ratio von 2,1 (CI: 1,5–2,8) bei den Männern und 2,4 (CI: 1,7–3,1) bei den Frauen liegt die Wahrscheinlichkeit, einen guten Gesundheitszustand anzugeben, in der Oberschicht mehr als doppelt so hoch wie bei Studienteilnehmern aus der Unterschicht (Abb. 4). Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbereichen wie z.B. Arbeit und Gesundheit oder Zufriedenheit mit dem Leben insgesamt wird als wesentliches Barometer für Lebensqualität und letztendlich für Gesundheit in dem von der WHO vorgeschlagenen umfassenden Sinne angesehen (Li Zhan 1992). Beide Geschlechter weisen schichtspezifisch signifikante Unterschiede in der Lebenszufriedenheit auf. So sind Angehörige der Unterschicht (Männer: 5,5; Frauen: 5,6) unzufriedener als Oberschichtangehörige (Männer: 5,7; Frauen: 5,8). Auch bei der Gesundheitszufriedenheit zeigt sich eine Schichtabhän- S176 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H. Knopf, U. Ellert, H.-U. Melchert Tab. 6 Statistisch signifikante Unterschiede (p<0,05) in der regelmäßigen Anwendung (täglich bis mindestens 1x/Woche) von Arzneimitteln (in %) nach höchstem Schulabschluß, Bundes-Gesundheitssurvey 1998, 18- bis 79jährige Frauen blutdrucksenkende Mittel Herzmittel durchblutungsfördernde Mittel Medikamente für Magen, Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse Pille zur Schwangerschaftsverhütung/ Dreimonatsspritze andere Hormonpräparate (Östrogene) Eisenpräparate gegen „Blutarmut“, Eisenmangel Medikamente gegen Blasen-/ Nierenkrankheiten Mittel gegen Rheuma, Bandscheibenbeschwerden Osteoporosemittel Schmerzmittel Beruhigungsmittel Schlafmittel Antiallergika Vitamin C andere Vitaminpräparate West Ost West Ost West Ost West West Ost West West West West Ost West West Ost West West West Ost West West Hauptschule Realschule Gymnasium p-Wert 26,5 42,4 12,1 25,0 12,1 18,5 9,8 9,0 6,8 15,4 3,4 2,7 9,4 13,2 6,8 10,7 8,8 8,0 4,4 2,2 2,9 7,7 13,6 9,5 14,5 4,0 4,3 5,1 5,2 5,2 25,3 29,5 12,2 5,6 0,8 3,9 5,2 3,8 7,2 7,2 5,2 2,5 4,6 1,7 6,6 18,1 7,2 9,6 3,3 4,4 3,4 3,7 4,7 27,0 43,7 9,6 5,1 2,7 1,5 4,4 1,4 6,2 9,6 4,7 2,2 4,3 5,9 9,6 17,0 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,005 0,004 0,003 0,000 0,001 0,000 0,000 0,001 0,006 0,005 0,003 0,028 0,000 0,001 Prävalenzraten nach Gewichtung mit w98 gigkeit dahingehend, daß die Angehörigen der Oberschicht (Männer 5,3; Frauen: 5,4) zufriedener sind als die der Unterschicht (Männer 5,1; Frauen: 5,0). Arzneimittelanwendung und soziale Schicht Das Inanspruchnahmeverhalten wird vor allem geprägt durch den Leidensdruck, der von einer gesundheitlichen Störung oder Krankheit ausgeht sowie durch das Laienverständnis über die Krankheit und seine Folgen. Aus diesem Grund wurde bei der Analyse der Arzneimittelanwendung nicht die soziale Schicht als Ganzes, sondern nur einer ihrer Teilaspekte, die Bildung, herangezogen. In Tab. 5 und 6 sind die Arzneimittelgruppen aufgeführt, bei denen sich statistisch signifikante Unterschiede der regelmäßigen Arzneimittelanwendung (täglich bis mindestens 1mal wöchentlich) in Abhängigkeit vom Bildungsstand ergeben. Auffällig ist bei Männern und Frauen, daß schichtspezifische Unterschiede, gemessen am höchsten Schulabschluß, in den alten Bundesländern etwa doppelt so häufig auftreten wie in den neuen Bundesländern. Arzneimittel, die zur Therapie von Krankheiten angewendet werden wie z.B. blutdrucksenkende Arzneimittel, Herzmittel oder Mittel zur Behandlung von Lungen und Bronchien werden, der höheren Krankheitsprävalenz entsprechend, von Studienteilnehmern mit Hauptschulabschluß deutlich häufiger angewendet als von denjenigen mit Abitur. Arzneimittel mit präventivem Charakter (Pille zur Schwangerschaftsverhütung) oder Arzneimittel, von denen sich die Anwender einen gesundheitsstabilisierenden oder -fördernden Aspekt versprechen (Vitamine), werden dagegen von Personen mit höherem Bildungsstand häufiger regelmäßig angewendet. Schlußfolgerungen Die Daten des Bundes-Gesundheitssurveys liefern bevölkerungsrepräsentative Ergebnisse zur Sozialstruktur in Deutschland und zu deren Wechselwirkung mit Gesundheit bzw. Krankheit. Auch heute noch zeigt sich in Abhängigkeit von der Schichtzugehörigkeit ein unterschiedliches Risikofaktoren-, Beschwerden- und Morbiditätsniveau. Ob und in welchem Ausmaß die Korrelationen und Differenzen ursächlich durch die soziale Schicht bedingt sind, läßt sich nur schwer einschätzen, da es sich bei der vorliegenden Untersuchung um eine Querschnittsstudie handelt. Zur Klärung dieser Fragen sind Studienansätze gefordert, bei denen die zeitliche Folge von Ereignissen Berücksichtigung findet. Literatur 1 2 3 4 5 6 Assmann G, Schulte H (1987). The prospective cardiovascular Münster study. Prevalence and prognostic significance of hyperlipidemia in men with systemic hypertension. Am J Cardiol 59 suppl: 9G-17G. Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen. Dez; 60 Suppl 2: 59– 68 Geißler R (1996). Kein Abschied von Klasse und Schicht. Ideologische Gefahren der deutschen Sozialstrukturanalyse. Kölner Zeitschr Soziol Sozialpsych 48: 319–38 Hoffmeister H, Bellach BM (1995). Die Gesundheit der Deutschen. Ein Ost-West-Vergleich von Gesundheitsdaten. RKI-Hefte 7/95 Hoffmeister H, Hüttner H, Stolzenberg H, Lopez H, Winkler J (1992). Sozialer Status und Gesundheit. Nationaler GesundheitsSurvey 1984–1986. BGA Schriften MMV Medizin Verlag München Hüttner H, Wiesner G, Todzy-Wolf I (1996). Gesundheit und soziale Schicht. In: Bellach BM (Hrsg.). Die Gesundheit der Deutschen Band 2. RKI-Hefte 15/96 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S177 Sozialschicht und Gesundheit 7 Investment in health/Gesundheitsförderung – Eine Investition in die Zukunft. Internationale Konferenz Bonn 17.–19.12.1990. Konferenzbericht. WIAD Bonn 8 Jensen G, Nyboe J, Appleyard M et al. (1991). Risk factors for acute myocardial infarction in Copenhagen II: Smoking, alcohol intake, physical activity, obesity, oral contraception, diabetes, lipids, and blood pressure. Eur Heart J 12: 298–308 9 Jöckel KH, Babitsch B, Bellach BM, Bloomfield K, Hoffmeyer-Zlotnik J, Winkler J (1998). Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Epidemiologische Methoden“ in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Epidemiologie der Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) und der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) zur Messung und Quantifizierung soziodemographischer Merkmale in epidemiologischen Studien. In: Ahrens W, Bellach BM, Jöckel KH (Hrsg.). Messung soziodemographischer Merkmale in der Epidemiologie. RKI Schriften 1/98 MMV Medizin Verlag, München 10 Keys A, Aravanis CH, Blackburn HW, van Buchen FSP, Buzina R, Djordjevic BS, Dontas AS, Fidanza F, Karvonen NJ, Kimura N, Lokos D, Monti M, Puddu V, Taylor HL (1966). Epidemiological studies related to coronary heart disease: Characteristics of men aged 40–59 in seven countries. Acta med scand suppl 460 11 Li Zhan MS (1992). Quality of life: Conceptual and measurement issues. Journal of Advanced Nursing 17: 795–800 12 Marks HH (1960). Influence of obesity on morbidity and mortality. Bull New York Acad Med 36: 296–312 13 Mensink GBM, Deketh M, Mul MDM et al (1996). Physical activity and its association with cardiovascular risk factors and mortality. Epidemiology 7: 391–397 14 Powell KE, Thompson PD, Caspersen CJ et al. (1987). Physical activity and the incidence of coronary heart disease. Ann Rev Public Health 8: 253–287 15 The Pooling Project Research Group (1978). Relationship of blood pressure, serum cholesterol, smoking habit, relative weight and ECG abnormalities to incidence of major coronary events: Final report. J Chronic Dis 31: 201–306 16 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999). Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer, NonResponder-Analyse. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S57– S61 17 Zerssen v. D (1976). Die Beschwerden-Liste-Manual. Beltz Test GmbH, Weinheim Hildtraud Knopf Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin S178 WEITERE THEMEN Sozialschichtindex im Bundes›› Der Gesundheitssurvey Zusammenfassung: Es kann unterstellt werden, daß sich nach der erstmaligen Konstruktion des Sozialschichtindex im Rahmen der Nationalen Untersuchungssurveys relevante sozioökonomische Umstände, Einflüsse und Randbedingungen für die Indexbildung verändert haben. Bezogen auf den ersten Nationalen Untersuchungssurvey 1984/85 haben sich Entwicklungen ergeben, deren Wirkungen zu prüfen sind: Veränderungen der Einkommensverteilung und der Einkommenshöhen, erst einmal im Sinne einer Nominaleinkommenserhöhung im Westen und seit 1990 auch im Osten, Veränderungen im Bildungs- und Ausbildungsniveau, Veränderungen der Einkommenschancen der unterschiedlichen Berufsgruppen und dadurch bedingte mögliche Wandlungen im Sozialprestige. Trotz dieser zu konstatierenden und in ihrem Ausmaß zu prüfenden Veränderungen ist erst einmal davon auszugehen, daß es in den letzten zehn Jahren in der Sozialstruktur zwischen den sozialen Schichten relational zu keinen (wesentlichen) Veränderungen gekommen ist. Die Aufgabe, die sich hier stellt, besteht darin zu prüfen, inwieweit und in welcher Stärke sich die oben genannten Entwicklungen niedergeschlagen haben, ob sich daraus die Notwendigkeit ergibt, den Sozialschichtindex zu adjustieren und einen Vorschlag zu unterbreiten, wie diese Adjustierung aussieht und wie sie zu begründen ist. Schlüsselwörter: Nationaler Gesundheitssurvey – Sozialökonomische Umstände – Sozialschichtindex Social Status Scaling in the German National Health Interview and Examination Survey: Since the first scaling of social status for the German National Health Interview and Examination Survey, relevant socio-economical circumstances and constraints have changed. This prompted an examination of relevant developments such as changes in income distribution and increasing income in the West and since 1990 in the East of Germany, changes in educational levels, and changes in social prestige of professional groups. In spite of these changes we must assume that the relations between social strata remained constant over time. The task is to assess how and to what extend the developments mentioned above have been reflected and to examine the necessity of bringing social status scaling in line with these developments, as well as to adjust social status scaling. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S178–S183 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York J. Winkler, H. Stolzenberg Hochschule Wismar/Robert Koch-Institut Key words: German Health Survey – Socioeconomic Factors – Social Strata Index In der Epidemiologie wie in der Soziologie besteht eine eingehende Diskussion darüber, inwieweit zur Abbildung der sozialen Lage lediglich Einzelindikatoren oder multiple Indizes benutzt werden sollten. In einer Empfehlung der Arbeitsgruppe „Epidemiologische Methoden“ in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Epidemiologie, der Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention und der Deutschen Region der Internationalen Biometrischen Gesellschaft zur Messung und Quantifizierung soziodemographischer Merkmale in epidemiologischen Studien geht man davon aus, daß zur Confounder-Kontrolle aggregierte Indizes geeignet sind, und hält es für sinnvoll, „in Abhängigkeit von der Fragestellung der Studie hoch aggregierte Indizes (z.B. Scheuch – Winkler), aber auch disaggregierte Größen (wie der höchste Bildungsabschluß) darzustellen“ [Jöckel 1998]. Der seit 1993 in den Public Use Files der Nationalen Untersuchungssurveys des RKI enthaltene Schichtindex, der 1989 im Rahmen der DHP konstruiert wurde, wurde für die Anwendung im Bundes-Gesundheitssurvey auf Adjustierungsnotwendigkeiten, die sich aus neueren sozioökonomischen Veränderungen ergeben könnten, geprüft. Prinzipien und Güte des Sozialschichtindex Die Prinzipien der Gestaltung des Sozialschichtindex wurden in Winkler [1998] bereits eingehend beschrieben. Es soll hier lediglich die Grundidee und eine inzwischen (extern) erfolgte Güteprüfung skizziert werden. Seit der Untersuchung „Sozialprestige und soziale Schichtung“ von Scheuch werden in der „klassischen“ Schichtungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland drei zentrale Indikatoren verwendet: Einkommen, Bildung und berufliche Stellung. Scheuch betrachtete „differenzielles Sozialprestige als Substitut für Schichtzugehörigkeit“ [Scheuch 1970, erstmals 1960, S. 67]. „Prestige“ war dabei zerlegbar in die Dimensionen der „wirtschaftlichen Lage“, der „Berufszugehörigkeit“ und des „kulturellen Niveaus“. Als besonders erklärungskräftig erwiesen sich das Einkommen („wirtschaftliche Lage“), das Sozialprestige von Berufskreisen („Berufszugehörigkeit“) und die Schulbildung („kulturelles Niveau“), die in dem sogenannten Scheuch-Index Eingang fanden. Die meisten mehrdimensionalen Schichtindizes stellen Varianten Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S179 Der Sozialschichtindex im Bundes-Gesundheitssurvey dieses Index dar. Schichtindizes erweisen sich immer noch als erklärungskräftig für soziale Differenzen etwa bei der Verteilung von Gesundheitsrisiken, wie dies vielfach belegt wurde. Tab. 2 Die Korrelationen zwischen den Skalen und den abhängigen Variablen Der hier zu bearbeitende und zu adjustierende Schichtindex orientiert sich am Scheuch-Index. Entsprechend den Grundüberlegungen zum Sozialprestige wurde angenommen, daß das Einkommen (Haushaltseinkommen) die pekuniären Möglichkeiten und Restriktionen indiziert, daß Bildung (Schulund weitere Ausbildung) als Indikator hinsichtlich der Präferenzen für Verhalten gilt und daß die berufliche Stellung (des Hauptverdieners in der Familie) die Wirkungen des sozialen Umfeldes erfaßt. BMIa Zur Güte des Sozialschichtindex Der ursprüngliche Schichtindex von Scheuch gehört zu den Indizes, die eingehend auf ihre Validität geprüft wurden. Für den hier verwendeten Index liegen ähnliche Validitätsprüfungen vor, die von Wolf mit verschiedenen Statusmaßen durchgeführt wurden. Wolf [1997] verglich dabei folgende Skalen auf der Basis des Surveys Ost/West: ISEI (International SocioEconomic Index von Ganzeboom), MBP (Berufsprestige nach Mayer), BPN (Berufsprestige nach Wolf), HZA (Autonomie der Tätigkeit nach Hoffmeyer-Zlotnik) sowie SWI („ScheuchWinkler-Index“, wie Wolf den hier verwendeten Index nannte). Der SWI zeigt ein hohes Maß an Korrelation mit den anderen Skalen (siehe Tab. 1). Tab. 1 Korrelationen, Mittelwerte und Standardabweichungen sowie Missing-Value-Quoten* der Skalen SWI ISEI MBP BPN HZA ISEI MBP BPN HZA X S N MV (in %)* 0,63 0,77 0,73 0,76 0,73 0,97 0,73 0,62 0,90 0,88 11,7 54,7 131,3 39,6 2,6 3,8 15,2 60,0 19,5 1,1 7443 7130 7244 7366 7366 0,3 4,5 3,0 1,3 1,3 * Ergänzung durch den Autor; Quelle: Wolf 1997, 15 Dies kann als Beleg gewertet werden, daß diese Statusmaße den gleichen Gegenstand messen. Zudem ist darauf hinzuweisen, daß der hier verwendete Schichtindex die geringste Missing-Value-Quote mit 0,3% aufweist, d.h. dieses Maß nahezu allen Befragten einen Statusscore zuweist und so im Grunde kein Missing-Value-Problem besteht. Bezüglich der Prüfung der Diskriminationskraft bei bereits belegten empirischen Zusammenhängen setzte Wolf die epidemiologisch relevanten Risikomerkmale Bewegungsmangel und Body-Mass-Index in SWI ISEI MBP BPN HZA X s –0,20 –0,18 –0,18 –0,18 –0,14 26,6 4,6 7410 Bewegungs- –0,30 –0,22 –0,26 –0,25 –0,24 3,0 1,1 7454 mangelb a Body-Mass-Index in kg/m2; b Frage nach sportlicher Aktivität von 1 über 2 Std./Woche bis 4 kein Sport.; Quelle: Wolf 1997, 16 Beziehung, dabei ergaben sich für den Schichtindex für die beiden geprüften Variablen die jeweils stärksten Korrelationen (siehe Tab. 2). Als weiterer Test wurde die Linearitätsannahme überprüft (Inspektion der Streudiagramme bei Verwendung eines lokal gewichteten Regressionsverfahrens unter Kontrolle von Alter und Geschlecht). Für alle geprüften Maße konnten Interaktionseffekte und Nicht-Linearität ausgeschlossen werden. Zudem sinkt z.B. der Bewegungsmangel mit steigender Schicht, und es zeigt sich ein höherer Grad an Bewegungsmangel in den neuen Bundesländern. Wolf korrelierte die zu prüfenden Skalen auch mit den Hintergrundmerkmalen Ost/West, Alter, Geschlecht, Ausbildung und Äquivalenzeinkommen (siehe Tab. 3). Die Korrelationen zwischen den Status-Scores und den Variablen Ost/West, Alter und Geschlecht zeigen einige deutliche Unterschiede, die für den Schichtindex prägnant höher liegen, und auch große Relevanz für die Einschätzung der Validität unseres Instrumentes haben. Zu Ost/West: Man kann nicht davon ausgehen, daß zwei Jahre nach der Wiedervereinigung (Zeitpunkt der der Prüfung zugrundeliegenden Erhebungen war 1991 bzw. 1992) die Sozialstruktur der alten DDR mit der der alten Bundesrepublik identisch war, dies betrifft insbesondere die Berufs- und die Einkommensstruktur. Alle Statusmaße außer dem SWI bilden keine nennenswerten Unterschiede zwischen Ost und West ab. Hier liegt der SWI sicherlich näher an der Wirklichkeit als alle anderen Maße. Zum Alter: Die soziale Lage variiert auch mit dem Alter; auch hier diskriminiert der SWI am deutlichsten. Zum Geschlecht: Der ISEI findet keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, MBP und BPN nur geringfügige (beim letzten bedingt durch konstruktivistische Geschlechtsneutra- Tab. 3 Die Korrelationen der Skalen mit den anderen Hintergrundmerkmalen Osta Alter Mannb Ausbildungc Einkommend SWI ISEI MBP BPN HZA X S N –0,12 –0,19 –0,13 –0,73 –0,52 –0,01 –0,09 –0,00 –0,60 –0,29 –0,05 –0,11 –0,07 –0,65 –0,36 –0,06 –0,10 –0,02 –0,64 –0,36 –0,02 –0,08 –0,16 –0,59 –0,33 –0,21 45,2 –0,49 –3,7 –1,39 –0,41 12,9 –0,50 –1,5 –0,74 7466 7466 7466 7460 6680 a Dummyvariable: 0 „Westdeutschland“, 1 „Ostdeutschland“. b Dummyvariable: 0 „weiblich“, 1 „männlich“. c Kombination aus Schulbildung und beruflicher Bildung, 7stufige Skala. d Äquivalenzeinkommen in 1000 DM/Monat. Quelle: Wolf 1997, 19 N S180 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 J. Winkler, H. Stolzenberg lität). Der SWI liegt hier näher an der Wirklichkeit (in diesem Fall auch der HZA). löhne und -gehälter unter Berücksichtigung der Kaufkraftverluste um 956 DM. Zusammenfassend bedeutet dies, daß der Sozialschichtindex nicht nur die Zusammenhänge zwischen epidemiologisch relevanten Variablen, sondern auch mit relevanten sozioökonomischen Basisvariablen am klarsten wiedergibt. Es ist davon auszugehen, daß es zwischen 1985 und 1998 ungeachtet der Entwicklung der Preisindizes und der Steuerund Abgabenbelastung tendenziell zu einer Einkommensverbesserung gekommen ist. Diese hat aber aufgrund der Linearität von Tariferhöhungen nicht zu einer Veränderung der grundsätzlichen Relationen geführt, sondern eher zu einer Spreizung am unteren und oberen Ende der Einkommensskalen. Diese Umstände sind bei einer Adjustierung der Einkommensdimension des Sozialschichtindex zu berücksichtigen. Die theoretische Verankerung des Sozialschichtindex, seine extern überprüfte Güte und auch seine inzwischen häufige Anwendung mit guten Ergebnissen (siehe z.B. [Bellach, 1996]) führt uns dazu, an diesem einfachen und geprüften Instrument zur Abbildung der sozialen Lage festzuhalten. Es handelt sich inzwischen um ein bewährtes Instrument, das sich auch für zukünftige epidemiologische Bevölkerungsbefragungen als geeignet erweisen dürfte. Im weiteren geht es darum, die Dimensionen des Index in Beziehung zu den gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen zu setzen und daran anschließend die Abbildfähigkeit der Einzeldimensionen zu beleuchten. Gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen Mögliche sozialstrukturelle Veränderungen, die mit den Dimensionen des Sozialschichtindex korrespondieren und den Zeitraum seit dem ersten Nationalen Untersuchungssurvey 1984/85 und der ersten Sozialschichtindex-Konstruktion umfassen, sollen im folgenden einer kurzen Betrachtung unterzogen werden. Einkommen Die Entwicklung der Löhne und Gehälter in der Bundesrepublik ist gekennzeichnet durch ein stetiges Wachstum, betrachtet man die Bruttoverdienste. Der Nominallohnindex (1991=100) bewegt sich von 1985 mit 79,4 auf 116,1 in 1995. Unter Berücksichtigung der Preisentwicklung bewegen sich die Reallöhne (wiederum 1991=100) von 87,9 in 1985 nach 102,8 in 1995. Die Reallöhne zeigen eine wesentlich schwächere Entwicklung als die Nominallöhne und sind seit 1991 nahezu konstant (siehe Statistisches Bundesamt 1997, S. 343). Die dramatischen Steigerungen der Nominal- und Reallöhne in der Nachkriegszeit sind seit Beginn der 80er Jahre nicht mehr zu beobachten. Die Nominal- und Reallohnberechnungen basieren in der amtlichen Statistik auf den Bruttolöhnen. Eine weitere zu berücksichtigende Größe ist die Steuer- und Abgabenlast. Die Abgabenlast betrug 1990 30% und stieg bis 1995 auf knapp 36%. „Nach Modellrechnungen des statistischen Bundesamtes ist der Nettoverdienst im früheren Bundesgebiet real seit 1991 bei Arbeitnehmern ohne Kinder um gut 3% und mit Kindern – unter Berücksichtigung des erhöhten Kindergeldes – um 1 bis 2% zurückgegangen“ (Statistisches Bundesamt 1997, S. 344). Der Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte (1991=100) weist in Deutschland einen Anstieg auf 116,5 in 1996 aus (West: 114,1; Ost: 135,6). Zehrt an den bruttobezogenen Reallöhnen die Abgabenlast, zehrt an den Nettolöhnen die Preisentwicklung. Geißler (1996, S. 327) berechnete für die letzten drei Jahrzehnte (bis 1996) einen Anstieg der Netto- Bildung und Ausbildung Der Komplex der Bildung und Ausbildung ist in der Bundesrepublik gekennzeichnet durch die allgemeine Erweiterung der Bildungsgelegenheiten seit den 60er Jahren, in denen das Bild einer Bildungskatastrophe gemalt wurde. Die gemeinhin als Bildungsexpansion beschriebene Entwicklung führte zu einer Ausweitung des formalen Bildungsniveaus der Bevölkerung. So hat sich das Bildungsniveau in der Bundesrepublik Deutschland deutlich erhöht: 1995 verfügten unter den 20bis unter 30jährigen 56,4% über einen höherwertigen Bildungsabschluß (Realschulabschluß, Fachhochschulreife, Abitur), während sich dieser Anteil bei den ab 60jährigen lediglich auf 20,4% belief (Statistisches Bundesamt 1997, S. 69). Der postulierte „Bildungsnotstand“ bezog sich auf die unterproportionale Bildungsbeteiligung von Arbeiterkindern, Mädchen, Bewohnern ländlicher Regionen und Angehörigen der katholischen Konfession. In den 90er Jahren werden die Beseitigung dieser Bildungsdisparitäten im Sinne einer „allgemeinen Niveauanhebung in der Bildungsbeteiligung sowie der Abbau der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und Konfessionen“ ebenso wie der Abbau regionaler Differenzen empirisch nachgewiesen [Müller 1998, S. 89]. Allein die Ungleichheit aufgrund sozialer Herkunft befindet sich noch in einer kontroversen Diskussion zwischen „persistent inequalities“ und einer verringerten Abhängigkeit. Trotzdem kann nicht davon ausgegangen werden, daß „alle sozialen Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung verschwunden sind. Sie sind nach wie vor groß“ (Müller 1998, S. 90). Die Bildungsexpansion löste im Grunde in bestimmten Bereichen einen Verdrängungswettbewerb aus. Bildung führt nicht zu einer Egalisierung der Zutrittschancen zum Berufssystem, sondern es bleiben bestimmte Bildungserfordernisse für spezifische berufliche Stellungen bestehen. Müller (1998, S. 95) faßt seine Sammlung empirischer Befunde zur Bildungsexpansion wie folgt zusammen: „Insgesamt zeichnen diese Befunde ein Bild, das weder Begriffe von Bildungsinflation oder von Entkoppelung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem rechtfertigt noch die Vorstellung von Strukturbrüchen oder Zäsuren. Eine sehr allgemeine Charakterisierung würde eher nahelegen, von einem hohen Grad an Stabilität in den prägenden Grundstrukturen auszugehen.“ Für die Indexbildung läßt sich daraus der Schluß ziehen, daß für die gewählte Differenzierung der Bildungs-/Ausbildungsdimension keine Änderungen vonnöten sind. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S181 Der Sozialschichtindex im Bundes-Gesundheitssurvey Berufliche Stellung Einkommen Das Sozialprestige in einer Gesellschaft wird immer noch zentral an den Beruf bzw. die berufliche Tätigkeit geknüpft. Die Berufszugehörigkeit wird traditionell mit der „Stellung im Beruf“ erfaßt. Berechnet man die Indexdimension Einkommen im BundesGesundheitssurvey nach der Recodierungsanweisung der Fragebogenerfassung im Nationalen Untersuchungssurvey, kommt es zu eklatanten Verschiebungen in der Einkommensskala: Die Anteile in den unteren Einkommensklassen sinken und die in den höheren Einkommensklassen steigen und suggerieren einen immensen Wohlstandsanstieg. Hierbei schlägt sich die stetige Steigerung der Nominallöhne und -gehälter nieder. Zwar wird im Bundes-Gesundheitssurvey nach dem Haushaltsnettoeinkommen gefragt, so daß sich die Veränderungen in den Belastungen durch Steuern und Sozialabgaben zeigen. Die Angaben bleiben aber nominale Nettoangaben. Die Preisentwicklung ist dabei nicht berücksichtigt; d.h. die Veränderung der Kaufkraft zwischen 1984/85 und 1998. Genauere Berechnungen der realen Netto-Einkommensentwicklung liegen nicht vor. Zudem wirkt die Preisentwicklung in den Haushalten am stärksten, deren Einkommen überwiegend in den privaten Verbrauch geht, d.h., geringere Einkommen werden stärker belastet. Hinzu tritt, daß die Erfassung des Haushaltsnettoeinkommens nach der Standarddemographie durch Vorkategorisierung grob ist und dadurch Adjustierungen schwierig sind. Dadurch sind grundsätzliche Entwicklungen in der Wirtschaftsstruktur und der damit verknüpften Berufsstruktur beobachtbar, wie etwa in Deutschland die anteilsbezogene Abnahme der Selbständigen (von 1950 bis 1995 um 60% im Westen), das tendenzielle Sinken der Arbeiteranteile und die Dominanz der Angestellten und Beamten, deren Anteil sich zwischen 1950 und 1995 verdreifacht hat. Dies war bedingt durch einen Strukturwandel in den Berufspositionen, von denen heute 60% mit Dienstleistungen befaßt sind. Diese Prozesse laufen langfristig, und das Berufssystem weist allerdings dabei eine relative Konstanz auf bezüglich der Einschätzung des Prestiges, der zur Erlangung von Positionen notwendigen Bildung und der Einkommenschancen. In Deutschland (bei leichten Differenzen zwischen alten und neuen Bundesländern) sind 44,6% der männlichen Erwerbstätigen und 24,2% der weiblichen Erwerbstätigen Arbeiter, 34,7% bzw. 63% Angestellte, 8,5% bzw. 4,4% Beamte, 11,7% bzw. 5,8% Selbständige und 0,4% bzw. 2,6% mithelfende Angehörige [Statistisches Bundesamt 1997, S. 87; Zahlen von 1995]. Ein genaueres Bild bietet die in der empirischen Umfrageforschung verwendete, weiter differenzierte Variable der beruflichen Stellung, um die großen Schwankungsbreiten in der Art der Tätigkeiten, dem zugeschriebenen Sozialprestige wie im Einkommen der Berufe innerhalb dieser Kategorien abzubilden. Die Variable „Berufliche Stellung“ wird dabei innerhalb dieser Gruppen (Arbeiter, Selbständige einschließlich mithelfender Familienangehöriger, Angestellte, Beamte) weiter untergliedert. D.h., in den Ausgangsvariablen zur „Beruflichen Stellung“ werden die Selbständigen nach Zahl der Mitarbeiter, die Beamten nach Dienstebene, die Angestellten nach Qualifikation und die Arbeiter nach Ausbildungsgrad erfaßt. Dahinter steht letztendlich eine Ordinalisierung nach Einkommen: für Selbständige nach Umsatz (resp. Einkommen), für Beamte nach Besoldungsstufen, für Angestellte nach Gehaltsklassen und für Arbeiter nach Lohngruppen. Um bestimmte berufliche Stellungen zu erreichen, sind spezifische Ausbildungsstände aufzubauen. Personen mit höheren Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen sind häufiger unter Selbständigen und Beamten zu finden. Aufgrund der relativen Stabilität dieses Systems der beruflichen Stellungen ist von keinen gravierenden Änderungen auszugehen. Es ist allerdings zu prüfen, ob die kategorisierten Einstufungsmöglichkeiten zwischen den Teilgruppen korrekt abgebildet sind. Aus der Betrachtung der oben wiedergegebenen ökonomischen Veränderungen und den empirischen Ergebnissen ergibt sich die Notwendigkeit, die Einkommensdimension zu adjustieren. Begrenzt durch die Kategorisierung der Einkommensvariablen wurden drei Varianten berechnet. Im ursprünglichen Index konnte fast durchgehend eine Klassenbreite von h=1000 DM vorgegeben werden. Hätte man dieses Vorgehen angepaßt, hätte die Zahl der Kategorien erhöht werden müssen. Dadurch wäre zum einen die Einkommensvariable implizit stärker gewichtet worden, und zum anderen wären nur Steigerungseffekte abbildbar gewesen. Es war aber zu berücksichtigen, daß Personen mit gleichbleibenden nominalem Nettoeinkommen real über weniger Kaufkraft, d.h. relational über weniger Einkommen, verfügen. Dies implizierte, daß die erste, untere Einkommenskategorie zu verändern war, bei gleichzeitiger Entscheidung für eine prinzipielle Klassenbreite. Die erste Version der Einkommensgliederung für den Index mit den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys, die auch Eingang in den Index fand, umfaßt für die untere Einkommensklasse Einkommen bis DM 2000 und wird dann bis DM 6000 mit einer Klassenbreite von h=1000 konstruiert (die Kategorie 6 umfaßt 2000, die Kategorie 7 ist nach oben offen). Diese Version zeigt in der Verteilung gegenüber dem Nationalen Untersuchungssurvey 1985 eine leichte Wiedergabe eines generellen Steigerungseffektes: Die unteren Kategorien 1–3 (55,1% vs. 64,1%) nehmen tendenziell ab und die oberen Kategorien 5–7 tendenziell zu (24,6% vs. 15,4%). Die Verteilung zeigt aber auch einen vergrößerten Anteil von Geringverdienenden und einen vergrößerten Anteil von Hochverdienenden. Prüfung der Dimensionen des Sozialschichtindex Die einzelnen Dimensionen des Sozialschichtindex wurden eingehend mit Hilfe der bisherigen Konstruktion überprüft, und es wurde festgestellt, inwieweit diese noch tragfähig waren. Schul- und Ausbildung Die Verteilungen der Variablen zur Schulbildung und zur Ausbildung spiegeln den oben beschriebenen Umstand deutlich S182 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 J. Winkler, H. Stolzenberg wider. Es zeigte sich, bezogen auf die Schulbildung, ein deutliches Wachsen der mittleren Bildungsabschlüsse und ein weiteres tendenzielles Steigen der Abiturientenanteile. Zwischen Ost und West wird deutlich, daß sich die Relationen zwischen Hauptschulabschluß (Ost 27,9% vs. 47,1% West) und mittleren Abschlüssen (45,0% vs. 24,9%) vertauschen. führt uns dazu, bei der bestehenden, bisherigen Ordinalisierung der Skala der beruflichen Stellung zu verbleiben, da auch in diesem Zusammenhang von einer relativen Konstanz ausgegangen werden kann. Bezogen auf die Ausbildung, zeigt sich eine relative Konstanz zwischen Nationalem Untersuchungssurvey 1985, Ost/WestSurvey 1991 und Bundes-Gesundheitssurvey. Tendenziell steigen die Anteile der Abschlüsse an Fachhochschulen und Universitäten. Im Ost-West-Vergleich zeigt sich ein höherer Ausbildungsgrad in den neuen Bundesländern in der betrieblichen wie der akademischen Ausbildung. Mit verursacht wird dies durch den deutlich höheren Anteil an überhaupt nicht Ausgebildeten im Westen (16,5% gegenüber 9,8% im Osten). Bei der Indexbildung ist zu berücksichtigen, daß es sich bei den Nationalen Untersuchungssurveys 1984/85 bis 1991, dem Survey Ost 1992 und dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (und auch den zu erwartenden weiteren Bundes-Gesundheitssurveys) um Querschnittsuntersuchungen handelt. D.h., daß zu den jeweiligen Zeitpunkten die soziale Schichtzugehörigkeit und deren Verteilung gemessen wird und nicht die individuellen Veränderungen von Personen im Längsschnitt Gegenstand sind. Dies bedeutet für unsere Problematik: Wir gehen von einem Raum des Sozialprestiges aus, der durch drei Dimensionen (Einkommen, Bildung und berufliche Stellung) geprägt ist. Diesen mehrdimensionalen Raum haben wir auf den Einzeldimensionen und dem Gesamtindex skaliert (Einzeldimensionen jeweils 1–7, Gesamtindex 3–21 Skalenpunkte). Wir stellen zu den jeweiligen Zeitpunkten der Oneshot-Untersuchungen eine Relation der sozialen Schichtung auf. Bei Vergleichen der sozialen Schichtung und des Sozialprestiges über die Zeit mit Hilfe von Querschnittsuntersuchungen werden die Relationen der sozialen Schichtung verglichen, und das setzt technisch die Beibehaltung der Skalierungen voraus. Zur Prüfung der bisherigen Konstruktion der Bildungsvariablen im Schichtindex wurden Schulbildung und Ausbildung wiederum gekreuzt. Es zeigten sich dabei keine nennenswerten Veränderungen oder neue Strukturen. Aus diesen Gründen wurde das bisherige Modell beibehalten. Berufliche Stellung Die Ordinalisierung der Indexvariablen „Berufliche Stellung“ wurde in gleicher Weise wie in der ursprünglichen Indexkonstruktion überprüft. D.h., für die einzelnen vorgegebenen 19 Kategorien der beruflichen Stellung wurde ihre durchschnittliche Einkommensklassenzugehörigkeit berechnet (zur Begründung und zur Vorgehensweise siehe Winkler 1998). Als Datenbasis wurden dabei die Daten der „Hauptverdiener“ verwendet. Dadurch war der designbedingte hohe Anteil an noch in der Ausbildung befindlichen Personen („Sonstige“) berücksichtigt. Zusätzlich wurde diese Berechnung für die „westlichen“ Hauptverdiener durchgeführt, um etwaige Unterschiede zwischen Ost und West zu kontrollieren. Als Ergebnis wurde eine nahezu gleichbleibende Ordinalisierung wie im ursprünglichen Index reproduziert. Lediglich die Rangfolge für „gelernte und Facharbeiter“, „Angestellte mit einfachen Tätigkeiten“ und „mithelfende Familienangehörige“ war näher zu beleuchten, da dort unter Umständen eine mögliche Modifikation zu prüfen war, weil die Facharbeiter einen höheren Durchschnittswert erreichen als die beiden anderen genannten Gruppen. Bei genauer Inspektion stellt sich heraus, daß die Gruppen „mithelfende Familienangehörige“ und „Angestellte mit einfachen Tätigkeiten“ klassische Nicht-Hauptverdiener sind (zu 86,4% bzw. 68,2%). Die Personen, die in der Gruppe der Hauptverdiener sind, sind eher Geringverdienende, da jung, Frau und alleinlebend. Neben dieser Einschätzung muß zusätzlich beachtet werden, daß nach der Berufsprestigeskala BPN nach Wolf [1998], eine Zuordnung nach der bisherigen Ordinalisierung sinnvoll ist. Das gleiche gilt für die entsprechenden Werte der ISEI (International Socio-Economic Index; siehe hierzu ebenfalls Wolf 1998). Auch Berger [1996] kommt bezüglich der Einkommenshierarchie beruflicher Stellungen zu einem Ergebnis auf der Basis der Daten des SOEP (sozioökonomisches Panel), das für die bisherige Hierarchisierung spricht (S. 174 ff.). Dies Indexbildung Was variabel sein kann, ist dabei die Zuordnung empirischer Tatbestände zu den einzelnen Skalenwerten, und dies ist jeweils zu überprüfen. So sind 5000 DM Nettoeinkommen in 1984/85 nicht 5000 DM Nettoeinkommen in 1998, da sich der „Wert“ verändert hat. Unter Umständen ist der „Wert“ des Abiturs nicht mehr der gleiche etc. Mit anderen Worten, wir bewahren das numerisch relationale System sozialer Schichtung und passen das empirisch relationale System daran an, um säkulare Trends zu kontrollieren. Die Entscheidung für ein Maß bezieht sich nicht nur auf den Zeitvergleich, sondern auch auf die Ost-West-Problematik; wenn in den neuen Bundesländern geringere Einkommen erzielt werden, hat das eine Bedeutung für die Einordnung in den Raum der sozialen Schichtung. In unseren Prüfungen haben wir eine Anpassungsnotwendigkeit für die Einkommensdimension herausgearbeitet und umgesetzt, da diese Dimension von nominalen Veränderungen betroffen ist. Das System der Bildung und des Berufsprestiges ist aber weitaus stabiler und zäher bezogen auf Veränderungen, so daß sich dort keine Adjustierungsnotwendigkeiten ergaben. Ergebnisse des Sozialschichtindex Die Verteilung auf der Basis von drei Schichten sieht wie folgt aus (siehe Tab. 4). Aus diesen Daten läßt sich eine moderate Steigerung der Anteile der Oberschicht und ein moderates Sinken der Unterschicht bei Konstanz der Mittelschicht erkennen. Diese Veränderungen beruhen auf dem weiter oben beschriebenen Ansteigen des Bildungsniveaus und der Einkommen. Eine Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S183 Der Sozialschichtindex im Bundes-Gesundheitssurvey Tab. 4 Soziale Schichtzugehörigkeit Nationaler Untersuchungssurvey 1991 und Bundes-Gesundheitssurvey (25–69 Jahre) (in %) Schichtzugehörigkeit NUS 1985 BGS 1998 Unterschicht Mittelschicht Oberschicht 25,5 55,5 19,0 19,2 55,1 25,7 detaillierte Darstellung der Verteilung der sozialen Schicht in Deutschland befindet sich in diesem Heft (H. Knopf, Sozialschicht und Gesundheit). Anwendung des adjustierten Sozialschichtindex auf den OstWest-Survey 1991 Zur Vergleichbarkeit der sozialen Schicht zwischen dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 und dem Ost-West-Survey 1991 ist es unseres Erachtens angebracht, den adjustierten Sozialschichtindex im Prinzip auch auf den Ost-West-Survey anzuwenden, d.h. die Teildimension Einkommen zu adjustieren. Eine eindeutige gleichlautende Recodierung der Einkommensvariablen im Nationalen Untersuchungssurvey 1991 und im Survey Ost, aus denen der Ost-West-Survey zusammengesetzt ist, ist aufgrund der unterschiedlichen Kategorisierung nicht endgültig möglich. Wichtig für die Vergleichbarkeit ist aber vor allem, die untere Einkommensklasse an den BundesGesundheitssurvey-Index anzupassen (bis 2000 DM); im weiteren wird die Klassenbreite h=1000 verwendet bis zu der offenen Einkommensklasse (7000 DM und mehr für den Nationalen Untersuchungssurvey 1991 und 5000 DM und mehr für den Survey Ost). Durch diesen Umstand werden tendenziell im Nationalen Untersuchungssurvey diejenigen überschätzt, deren Einkommen zwischen 7000 und 8000 DM liegt (7000 und mehr=4,9%), und im Survey Ost diejenigen unterschätzt, die mehr als 6000 DM Einkommen erzielen (5000 und mehr=1,4%). Die jeweiligen Anteile bleiben aber gering, so daß dies in Kauf genommen werden kann. Auf der Basis des adjustierten Index des Bundes-Gesundheitssurveys ergibt sich im Vergleich zwischen 1991 und 1998 folgendes Bild (siehe Tab. 5). Soziale Schichtzugehörigkeit Ost-West-Survey (Gewicht: Tab. 5 WEIGHTOW) und Bundes-Gesundheitssurvey (Gewicht: W9198) (25–69 Jahre) gesamt und nach West/Ost (in %) Schichtzugehörigkeit Ost/West- O/W Survey West Gesamt O/W Ost BGS BGS Gesamt West BGS Ost Unterschicht Mittelschicht Oberschicht 31,2 50,9 17,9 38,6 50,4 11,0 18,2 57,1 24,7 19,1 60,4 20,5 29,0 51,0 20,0 18,0 56,2 25,8 Erkennbar sind die Steigerungen der Anteile der Oberschicht und das Sinken der Anteile der Unterschicht. Die stärkeren Veränderungen finden sich für die neuen Bundesländer. Diese sind in der Unterschicht bedingt durch gesetzliche und tarifliche Anpassungsprozesse der Einkommen. So erfolgte z.B. erst ab 1. Januar 1992 die Ausdehnung des Rentenrechts der Bundesrepublik Deutschland auf die neuen Bundesländer. Die Armutsrate dort halbierte sich von 1990 (26,5%) nach 1995 (11,6%). Die relative Einkommensposition in den neuen Bundesländern, bezogen auf das Netto-Äquivalenzeinkommen im Westen, betrug 1990 66% und 1995 bereits 86,5%. Die zahlenmäßig eklatante Differenz bei den Unterschicht-Anteilen (s. Tab. 5) erklärt sich u.a. durch diese Entwicklungen. Berücksichtigt werden muß, daß die Anwendung des adjustierten Schichtindex auf den Ost-West-Survey nur die Vergleichbarkeit mit dem Bundes-Gesundheitssurvey sicherstellt. Die Ergebnisse für den Ost-West-Survey sollten aber nicht in die Zeitreihe zwischen den Nationalen Untersuchungssurvey 1985 und den Bundes-Gesundheitssurvey gestellt werden. Literatur Ahrens W, Bellach BM, Jöckel KH (Hrsg.) (1998). Messung soziodemographischer Merkmale in der Epidemiologie, Schriften des Robert Koch-Institut 1/98, München Bellach BM (Hrsg.) (1996). Die Gesundheit der Deutschen. Band 2: Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Lebensstil, Umwelt und soziodemografischen Faktoren. RKI-Hefte 15/1996 Berger PA (1996). Individualisierung. Statusunsicherheit und Erfahrungsvielfalt, Opladen Geißler, R (1996). Kein Abschied von Klasse und Schicht. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jhrg. 48, 319– 338 Jöckel KH, Babitsch B, Bellach BM, Bloomfield K, Hoffmeyer-Zlotnik J, Winkler J, Wolf C (1998). Messung und Quantifizierung soziodemographischer Merkmale in epidemiologischen Studien. Empfehlungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Epidemiologie (DAE), der Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und der Deutschen Region der Internationalen Biometrischen Gesellschaft; in: Ahrens W, Bellach BM, Jöckel KH (Hrsg.), 7–38 Müller W (1998). Erwartete und unerwartete Folgen der Bildungsexpansion, in: Friedrichs J, Lepsius MR, Mayer KU (Hrsg.) Die Diagnosefähigkeit der Soziologie. 81–112. Opladen Scheuch EK (unter Mitarbeit von Hansjürgen Daheim) (1970). Sozialprestige und soziale Schichtung. 65–103 in: Glass DV, König R, (Hrsg.). Soziale Schichtung und soziale Moblilität. Sonderheft 5 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (1997). Datenreport 1997. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland. Bonn Winkler J (1998). Die Messung des sozialen Status mit Hilfe eines Index in den Gesundheitssurveys der DHP, in: Ahrens W, Bellach BM, Jöckel KH (1998), 69–74 Winkler J, Stolzenberg H. Sozialer Status und Gesundheit. Soziale Disparitäten im Gesundheitsstatuts der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland (erscheint demnächst) Wolf C (1997). Die Kosten des Prestige: Erhebungsaufwand und Datenqualität unterschiedlicher Statusskalen. Manuskript Köln Wolf C (1998). Zur Messung des sozialen Status in epidemiologischen Studien: Ein Vergleich unterschiedlicher Ansätze, in: Ahrens W, Bellach BM, Jöckel KH (1998), 75–86 Joachim Winkler Hochschule Wismar Postfach 1210 D-23952 Wismar S184 WEITERE THEMEN SF-36 im Bundes›› Der Gesundheitssurvey – Beschreibung U. Ellert, B.-M. Bellach Robert Koch-Institut, Berlin einer aktuellen Normstichprobe Zusammenfassung: Im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 wurde als Instrument zur Messung der subjektiv eingeschätzten gesundheitsbezogenen Lebensqualität der SF-36-Fragebogen (Short-Form-36-Questionnaire) eingesetzt. Im Ergebnis dieser Erhebung bei 6964 Probanden im Alter zwischen 18 und 80 Jahren kann hier eine neue Normstichprobe für die Bundesrepublik Deutschland vorgestellt werden. Die Beschreibung derselben statistischen Parameter wie bei der 1994 erhobenen Normstichprobe ermöglicht einen zeitlichen Vergleich. Schlüsselwörter: Gesundheitsbezogene Lebensqualität – SF-36 – Normstichprobe German National Health Survey 1998 – Description of an Update Random Sampling Test: The German National Health Interview and Examination Survey 1998 included the Short Form 36-Questionnaire as an instrument for measuring health-related quality of life. As a result of the subjective assessment by 6964 survey participants aged between 18 and 80 years a description of a new German normative population sample is given. Using the same statistical parameters as in the description of the normative German sample from 1994 a time comparison can be made. Key words: Health-Related Quality of Life – SF 36 – Normative Population Sample Einleitung Der Bundes-Gesundheitssurvey, der mit seinen vielfältigen Erhebungen zur gesundheitlichen Situation der erwachsenen Wohnbevölkerung der Bundesrepublik, deren gesundheitlich relevanten Verhaltensweisen und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen ein breites Spektrum an Informationen zur Gesundheit abdeckt, hat sich erstmalig auch der Erfassung der „gesundheitsbezogenen Lebensqualität“ (HRQL – Health Related Quality of Life) gewidmet. Dies trägt der Entwicklung der letzten Jahrzehnte Rechnung, daß entsprechend der Gesundheitsdefinition durch die Weltgesundheitsorganisation neben den körperlichen auch die psychischen und sozialen Komponenten von Gesundheit Berücksichtigung finden. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S184–S190 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 wurde mit dem SF-36Fragebogen (Short-Form-36 – Questionnaire) [Ware 1992] das inzwischen international wohl am häufigsten eingesetzte Instrument zur Messung der subjektiven Lebensqualität eingesetzt. Die deutsche Version dieses Fragebogens wurde im Rahmen des IQOLA-Projekts (International Quality of Life Assessment) entwickelt und getestet [Bullinger 1993, 1995, 1996, 1998]. Damit wurde zum einen die internationale Vergleichbarkeit der durch den Survey erhaltenen Ergebnisse gewährleistet, zum anderen ergibt sich die Möglichkeit, sechs Jahre nach Erhebung der ersten deutschen Normstichprobe für die Bundesrepublik Deutschland [Bullinger 1995] anhand einer neuen Normstichprobe auf zeitliche Trends zu untersuchen. Die Tatsache, daß zusätzlich zu den 36 Fragen des SF-36 weitere Informationen zum Gesundheitsverhalten und zum Inanspruchnahmeverhalten bei Leistungen des Gesundheitswesens erhoben wurden, ermöglicht es, mehrere Ziele von Lebensqualitätsforschung gleichzeitig zu verfolgen. So ist die Beschreibung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität einer gesamten Population, hier speziell der bundesdeutschen erwachsenen Bevölkerung, möglich. Dadurch erhält man Referenzdaten zur Einordnung klinischer Gruppen hinsichtlich ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Darüber hinaus können aber auch anhand derselben Stichprobe Untersuchungen zur Auswirkung bestimmter Erkrankungen auf die subjektive Einschätzung der Lebensqualität vorgenommen werden. Der zusätzliche Aspekt der Zusammenhangsanalyse zwischen Lebensqualität und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen ermöglicht es prinzipiell, auch gesundheitsökonomische Fragestellungen mit dem Instrument SF-36 abzubilden. Material und Methoden Die 36 Fragen des SF-36-Fragebogens werden von Befragten ab einem Alter von 14 Jahren selbst beantwortet. Damit spiegelt sich die subjektive Sicht auf die eigene Gesundheit in den verschiedenen Dimensionen wider. Von 6964 Probanden wurde der Fragebogen des Bundes-Gesundheitssurveys so weit vollständig ausgefüllt, daß die Angaben zu SF-36 vorlagen. Das Instrument SF-36 erfaßt acht Dimensionen von Gesundheit: Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S185 Der SF-36 im Bundes-Gesundheitssurvey körperliche (physikalische) Funktionsfähigkeit KÖFU Rollenverhalten wegen körperlicher Funktionsbeeinträchtigung KÖRO Schmerzen SCHM allgemeiner Gesundheitszustand AGES Vitalität und körperliche Energie VITA soziale Funktionsfähigkeit SOFU Männer Frauen Rollenverhalten wegen seelischer Funktionsbeeinträchtigung EMRO seelische (psychische) Funktionsfähigkeit arith. Mittel 100 90 80 70 PSYC 60 Mit diesen Daten wurde entsprechend der Beschreibung von Bullinger (1995) standardisiert vorgegangen. Nach Dateneingabe der vom Probanden eingekreisten Ziffern wurden die beschriebenen Umcodierungen, Umpolungen, Rekalibrierungen vorgenommen, und fehlende Werte wurden durch personenspezifische individuelle Schätzungen ersetzt, so daß im Ergebnis die entsprechenden Skalenrohwerte vorlagen. Nach Transformation dieser Werte auf eine Skala von 0 bis 100, die den niedrigst- und höchstmöglichen Wert in 0 beziehungsweise 100 umwandelt, wurde analog zur Vorgehensweise bei der ersten Normstichprobe [Bullinger 1995] eine Gewichtung der vorliegenden Daten entsprechend der Bevölkerungsstruktur in der Bundesrepublik 1998 vorgenommen. Die Resultate wurden getrennt für Männer und Frauen, unterteilt in 10-Jahres-Altersgruppen, dargestellt. Die strikte Einhaltung der im SF-36-Manual vorgegebenen Auswertungsalgorithmen ermöglicht einen zeitlichen Vergleich zwischen beiden Normstichproben. 50 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Abb. 1 Allgemeine Gesundheit. arith. Mittel 100 Männer Frauen 90 80 70 60 Ergebnisse 50 Das Durchschnittsalter der Befragten liegt bei 46,1 Jahren, der Anteil der Frauen ist entsprechend der Bevölkerungsstruktur mit 51,3% etwas höher als der der Männer mit 48,7%. Mit einem Partner lebten zum Zeitpunkt der Befragung 63,1% der Probanden zusammen. Über ein Haushaltsnettoeinkommen von bis zu 3000,– DM verfügen 50% der Befragten. Im Westen liegt der Anteil der weniger Verdienenden mit 33% deutlich unter dem im Osten mit 63,6%. Der am häufigsten angegebene Schulabschluß ist der Hauptschulabschluß (43,2%), gefolgt von Realschule (20,3%) und Abitur (16,1%). Voll berufstätig sind 45,5% der Befragten und knapp 40% sind derzeit nicht berufstätig. Da der Sozialstatus entsprechend den Empfehlungen der DAE erfaßt wurde (Ahrens, Bellach, Jöckel 1998), sind Aussagen zur Verteilung der Probanden auf die unterschiedlichen sozialen Schichten möglich. Der Oberschicht gehören 21,6%, der Mittelschicht 55,4% und der Unterschicht 22,2% der Studienteilnehmer an. Die Verteilung der sozialen Schicht nach Alter, Geschlecht sowie Ost und West wird im Kapitel „Sozialschicht und Gesundheit“ [Knopf, Ellert, Melchert 1999] beschrieben. In den nachfolgenden Tabellen sind die Werte für die SF-36Skalen, differenziert nach Alter und Geschlecht, dargestellt. In Abhängigkeit vom Alter der Befragten ergeben sich deutliche Unterschiede in allen Skalen (Tab. 1). Diese Altersabhängigkeit ist am deutlichsten bei den Skalen ausgeprägt, die mehr den körperlichen Aspekt von Befindlichkeit berücksichtigen. Je jünger die Probanden sind, desto hö- 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Abb. 2 Rollenverhalten wegen körperlicher Funktionsbeeinträchtigung. arith. Mittel 100 Männer Frauen 90 80 70 60 50 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Abb. 3 Seelische Funktionsfähigkeit. her ist ihre Lebensqualität in diesen Bereichen. Beispiele für zwei sehr altersabhängige Skalen zeigen die Abb. 1 und 2. Andere Skalen, wie die zur Messung der sozialen Funktionsfähigkeit oder der seelischen Funktionsfähigkeit (s. Abb. 3 und 4) weisen zwar geschlechtsspezifische Unterschiede auf, scheinen aber vom Alter weniger abhängig zu sein. S186 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 U. Ellert, B.-M. Bellach Tab. 1 Werte der acht SF 36-Skalen nach Alter und Geschlecht KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC 88,18 18,47 85,00 95,00 100,00 0/100 85,53 29,98 100,00 100,00 100,00 0/100 71,04 25,33 51,00 72,00 100,00 0/100 66,83 17,57 57,00 67,00 82,00 0/100 62,58 17,03 50,00 65,00 75,00 0/100 88,63 18,26 87,50 100,00 100,00 0/100 91,58 23,75 100,00 100,00 100,00 0/100 75,22 15,27 68,00 76,00 88,00 0/100 82,77 22,22 75,00 90,00 100,00 0/100 79,22 34,78 75,00 100,00 100,00 0/100 63,89 25,93 41,00 62,00 84,00 0/100 66,03 18,71 55,00 67,00 82,00 0/100 57,57 18,26 45,00 60,00 70,00 0/100 84,24 21,18 75,00 100,00 100,00 0/100 86,74 29,09 100,00 100,00 100,00 0/100 69,83 17,55 60,00 72,00 84,00 0/100 96,03 9,31 95,00 100,00 100,00 45/100 92,08 19,72 100,00 100,00 100,00 0/100 78,89 23,61 62,00 84,00 100,00 22/100 77,36 15,67 67,00 77,00 90,66 35/100 60,16 16,57 50,00 65,00 71,87 15/95 87,11 20,87 87,50 100,00 100,00 0/100 91,07 22,78 100,00 100,00 100,00 0/100 73,21 15,49 64,00 76,00 84,00 12/100 95,62 9,17 95,00 100,00 100,00 25/100 91,91 20,65 100,00 100,00 100,00 0/100 77,06 22,91 62,00 84,00 100,00 12/100 73,17 15,75 62,00 77,00 87,00 15/100 63,20 15,36 50,00 65,00 75,00 15/100 90,72 14,87 87,50 100,00 100,00 12,5/100 94,24 18,21 100,00 100,00 100,00 0/100 75,68 13,96 68,00 80,00 84,00 16/100 94,31 11,64 95,00 100,00 100,00 0/100 93,18 20,14 100,00 100,00 100,00 0/100 76,15 22,41 61,00 74,00 100,00 0/100 70,74 16,21 62,00 72,00 82,00 5/100 62,56 15,95 55,00 65,00 75,00 5/100 89,98 17,34 87,50 100,00 100,00 0/100 94,26 17,67 100,00 100,00 100,00 0/100 75,56 14,49 68,00 76,00 84,00 8/100 91,32 13,43 90,00 95,00 100,00 0/100 88,42 25,68 100,00 100,00 100,00 0/100 71,33 25,01 51,00 72,00 100,00 0/100 68,13 16,08 57,00 72,00 80,00 12/100 64,20 16,26 55,00 65,00 75,00 10/100 89,20 17,40 87,50 100,00 100,00 12,5/100 91,93 23,60 100,00 100,00 100,00 0/100 75,23 14,83 68,00 80,00 84,00 24/100 83,60 20,52 80,00 90,00 100,00 0/100 80,10 34,79 75,00 100,00 100,00 0/100 64,65 27,17 41,00 62,00 90,27 0/100 61,84 18,41 50,00 62,00 77,00 5/100 61,47 18,05 50,00 65,00 75,00 0/100 86,32 19,89 75,00 100,00 100,00 0/100 88,11 28,63 100,00 100,00 100,00 0/100 73,87 16,83 64,00 76,00 88,00 0/100 78,87 22,71 70,00 85,00 95,00 0/100 76,52 37,42 50,00 100,00 100,00 0/100 65,00 25,83 41,00 62,00 84,00 0/100 59,65 17,06 47,00 62,00 72,00 10/100 62,73 18,69 50,00 65,00 75,00 10/100 87,82 19,31 75,00 100,00 100,00 0/100 89,49 27,78 100,00 100,00 100,00 0/100 75,76 16,22 68,00 80,00 88,00 12/100 Männer Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Frauen Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Männer, 18–19 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Männer, 20–29 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Männer, 30–39 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Männer, 40–49 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Männer, 50–59 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Männer, 60–69 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S187 Der SF-36 im Bundes-Gesundheitssurvey Tab. 1 Werte der acht SF 36-Skalen nach Alter und Geschlecht KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC Arth. Mittel Standardabweichung 71,07 26,86 68,44 41,74 65,16 27,48 59,28 17,49 60,44 19,44 86,11 21,56 89,01 28,48 76,10 15,49 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum 55,00 80,00 95,00 0/100 25,00 100,00 100,00 0/100 41,00 62,00 100,00 0/100 50,00 61,72 72,00 0/92 45,00 60,00 75,00 10/100 75,00 100,00 100,00 12,5/100 100,00 100,00 100,00 0/100 68,00 80,00 88,00 28/100 95,29 9,00 95,00 100,00 100,00 45/100 95,03 15,00 100,00 100,00 100,00 0/100 73,01 23,23 51,26 72,00 100,00 12/100 73,21 14,26 67,00 77,00 82,00 30/100 57,07 14,97 50,00 59,56 65,00 15/95 83,89 20,21 71,24 91,45 100,00 25/100 88,15 23,67 87,59 100,00 100,00 0/100 68,02 16,27 57,31 69,70 80,00 24/96 93,26 13,22 90,00 100,00 100,00 15/100 88,87 26,26 100,00 100,00 100,00 0/100 70,07 23,95 51,00 72,00 100,00 0/100 73,04 15,92 62,00 77,00 82,00 15/100 57,77 17,03 45,00 60,00 70,00 0/100 86,65 19,65 75,00 100,00 100,00 0/100 90,36 23,50 100,00 100,00 100,00 0/100 70,86 16,09 60,00 76,00 84,00 16/100 91,90 13,12 90,00 95,00 100,00 5/100 85,65 28,48 75,00 100,00 100,00 0/100 67,92 24,55 51,00 71,26 84,00 0/100 71,77 16,85 62,00 72,00 87,00 10/100 56,96 17,72 45,00 60,00 70,00 10/100 84,93 20,21 75,00 100,00 100,00 12,5/100 87,82 26,33 100,00 100,00 100,00 0/100 70,13 16,43 60,00 72,00 84,00 8/100 87,29 17,14 80,00 95,00 100,00 5/100 82,58 31,21 75,00 100,00 100,00 0/100 63,69 24,23 42,00 62,00 84,00 0/100 66,40 18,30 55,00 67,00 82,00 0/100 57,44 18,81 45,00 60,00 70,00 0/100 84,17 20,67 75,00 87,50 100,00 12,5/100 86,93 28,30 100,00 100,00 100,00 0/100 69,47 17,73 60,00 72,00 84,00 0/100 79,13 22,45 70,00 85,00 95,00 0/100 74,05 37,65 50,00 100,00 100,00 0/100 58,47 25,84 41,00 52,00 74,00 0/100 62,67 18,88 50,58 65,00 77,00 5/100 57,67 18,77 45,00 60,00 70,00 0/100 83,00 22,08 75,00 87,50 100,00 0/100 84,84 31,88 100,00 100,00 100,00 0/100 68,78 18,52 56,00 72,00 84,00 0/100 72,82 24,93 60,00 80,00 95,00 0/100 73,54 38,28 50,00 100,00 100,00 0/100 60,65 26,68 41,00 61,00 84,00 0/100 60,26 18,90 45,00 62,00 73,34 5/100 60,27 17,50 50,00 60,00 75,00 10/100 85,37 19,90 75,00 100,00 100,00 0/100 88,38 28,59 100,00 100,00 100,00 0/100 70,72 17,13 60,00 72,00 84,00 8/100 62,59 27,46 45,00 70,00 85,00 0/100 62,31 43,34 0,00 75,00 100,00 0/100 59,36 29,38 41,00 52,00 84,00 0/100 57,52 19,08 45,00 60,00 71,52 5/100 55,17 20,27 40,00 55,00 70,00 10/100 80,64 25,02 62,50 87,50 100,00 0/100 80,35 36,79 66,67 100,00 100,00 0/100 69,34 20,07 53,81 76,00 84,00 12/100 Männer, 70–79 Jahre Frauen, 18–19 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Frauen, 20–29 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Frauen, 30–39 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Frauen, 40–49 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Frauen, 50–59 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Frauen, 60–69 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum Frauen, 70–79 Jahre Arth. Mittel Standardabweichung 25. Perzentil 50. Perzentil (Median) 75. Perzentil Minimum/Maximum S188 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 U. Ellert, B.-M. Bellach Tab. 2 Körperliche Funktionsfähigkeit West Alter 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Ost Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. 95,46 95,46 94,55 91,03 83,38 78,56 71,05 10,45 9,49 10,88 13,48 20,62 23,05 26,71 96,40 93,37 92,01 87,78 79,50 72,72 62,37 7,38 12,94 12,39 16,57 21,96 25,35 27,13 97,67 96,22 93,31 92,33 84,49 80,08 71,15 4,55 7,82 14,31 13,27 20,15 21,40 27,92 92,06 92,78 91,43 86,24 77,67 73,21 63,55 12,22 14,41 15,81 19,10 24,32 23,33 28,99 Tab. 3 Körperliche Rollenfunktion West Alter 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Ost Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. 91,19 91,71 93,38 87,76 79,83 75,92 67,70 20,47 21,48 19,92 26,15 34,83 37,72 42,27 96,72 88,00 84,60 83,10 73,87 72,75 60,29 11,71 27,55 28,95 30,52 37,54 38,21 43,58 94,57 92,65 92,36 90,80 81,15 78,85 72,14 17,56 17,23 21,08 23,85 34,76 36,32 39,31 90,13 92,56 89,95 80,67 74,75 76,65 70,86 21,53 19,54 26,13 33,65 38,23 38,61 41,49 Tab. 4 Schmerzen West Alter 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Ost Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. 77,69 77,32 75,67 70,65 64,39 63,77 64,86 23,96 22,56 22,37 25,21 27,17 25,80 27,38 75,41 70,24 67,59 62,98 58,20 60,00 59,27 21,88 23,78 24,45 23,87 25,35 26,81 29,84 82,21 76,09 78,10 73,81 65,69 69,80 66,61 22,71 24,25 22,53 24,22 27,29 25,51 28,78 66,05 69,35 69,30 66,33 59,50 63,19 59,72 26,04 24,77 24,97 25,43 27,72 26,14 27,50 Tab. 5 Allgemeine Gesundheitswahrnehmung West Alter 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Ost Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. 77,40 72,96 70,72 67,80 62,25 59,97 59,13 15,49 15,75 15,96 16,27 18,24 16,72 17,40 73,83 72,97 71,75 66,50 63,30 60,66 56,91 12,87 15,84 17,13 18,72 19,09 18,69 19,08 77,23 73,97 70,80 69,37 60,23 58,35 59,98 16,48 15,80 17,23 15,35 19,06 18,37 18,14 71,41 73,31 71,84 66,03 60,27 58,70 60,09 17,86 16,33 15,73 16,73 17,91 19,72 19,00 Ein Versuch der Modellierung der Alters- und Geschlechtsabhängigkeit der Einzelskalen des SF-36 wird bei Radoschewski, Bellach 1999 (in diesem Heft) unternommen. Ost-West-Vergleich Da die Stichprobenerhebung für den Bundes-Gesundheitssurvey so angelegt war, daß sie nicht nur für Deutschland insge- samt, sondern auch getrennt für Ost- und Westdeutschland jeweils repräsentativ ist, können Ost-West-Vergleiche in den einzelnen Skalen des SF-36 angestellt werden. In den Tab. 2 bis 9 sind die Mittelwerte und Standardabweichungen für die acht Einzelskalen für Ost und West, getrennt nach Alter und Geschlecht, dargestellt. Die dabei festgestellten Unterschiede unterscheiden sich kaum von den bei Bullinger (1995) gefundenen. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S189 Der SF-36 im Bundes-Gesundheitssurvey Tab. 6 Vitalität West Alter 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Ost Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. 60,66 63,23 62,16 64,13 61,13 62,33 60,52 15,97 15,62 15,79 16,59 18,05 18,64 19,36 57,55 57,35 56,22 56,99 57,43 60,28 54,87 14,49 17,07 17,92 19,02 18,82 17,18 20,19 58,76 63,07 64,17 64,47 62,81 64,33 60,05 18,39 14,41 16,55 15,09 18,05 18,90 20,05 55,70 59,52 60,05 59,10 58,59 60,22 56,40 16,52 16,83 16,56 18,01 18,60 18,78 20,65 Tab. 7 Soziale Funktionsfähigeit West Alter 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Ost Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. 85,70 90,20 89,73 88,42 85,88 87,53 86,07 22,67 15,29 17,32 18,33 19,96 19,63 21,43 84,14 85,61 84,30 83,82 82,54 85,30 79,16 20,46 20,60 20,67 21,28 22,14 19,70 25,68 91,00 92,70 91,00 92,00 88,04 89,00 86,29 14,49 13,05 17,45 13,23 19,60 18,03 22,43 83,17 91,03 87,51 85,47 84,77 85,62 86,88 19,86 14,27 18,00 18,27 21,84 20,74 21,01 Tab. 8 Emotionale Rollenfunktion West Alter 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Ost Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. 88,71 93,65 93,81 91,01 87,70 88,80 88,34 25,48 19,19 18,34 24,86 28,78 28,54 29,09 88,84 90,02 88,87 86,85 84,47 89,47 86,48 21,59 24,06 27,21 28,45 32,33 27,10 31,81 97,57 96,45 96,13 95,23 89,76 92,18 92,27 10,60 13,81 14,49 18,09 28,07 24,53 25,36 86,21 91,76 91,73 87,21 86,29 84,17 86,48 29,21 21,03 22,01 27,84 30,17 33,53 31,81 Tab. 9 Psychisches Wohlbefinden West Alter 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Ost Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. Männer Mittelwert Std.abw. Frauen Mittelwert Std.abw. 73,05 74,95 75,25 74,76 73,73 75,32 75,78 15,13 14,28 14,59 15,10 16,75 16,30 14,97 67,89 70,35 70,00 69,06 68,70 70,24 69,00 16,40 16,14 16,67 18,13 18,66 16,85 20,29 73,66 78,42 76,84 76,90 74,40 77,52 77,70 16,76 12,40 14,09 13,73 17,21 15,86 17,97 68,38 73,00 70,71 70,98 69,10 72,61 70,78 16,22 15,77 15,40 16,13 18,04 18,16 19,18 Während sich sowohl die Männer als auch die Frauen in Ost und West kaum unterscheiden in der Einschätzung ihres allgemeinen Gesundheitszustandes (AGES), differieren die übrigen Skalenmittelwerte für beide Geschlechter in unterschiedlicher Ausprägung. Bei den Männern haben dabei die Ostdeutschen durchweg im Mittel die besseren Werte, wobei es bei der Vitalität und der körperlichen Energie (VITA) kaum Unterschiede gibt. Bei der Einschätzung ihrer seelischen Funktionsfähigkeit (EMRO), ihrer sozialen Funktionsfähigkeit (SOFU) und bei den Schmerzen liegen die Unterschiede in der Größenordnung von ein bis zwei Prozentpunkten. Die Frauen in Ost- und Westdeutschland haben jeweils schlechtere Skalenwerte als die entsprechenden Männer, unterscheiden sich aber wiederum untereinander. Auch hier weisen die Ostdeutschen bis auf die Skala der körperlichen Funktionsfähigkeit (KÖFU) im Mittel durchweg die besseren Werte auf. Insbesondere beim Rollenverhalten wegen körperlicher Funktionsbeeinträchtigung (KÖRO), bei der sozialen S190 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 U. Ellert, B.-M. Bellach arith. Mittel 100 Männer Frauen 90 80 70 des allgemeinen Gesundheitszustandes (AGES)), entspricht dieses Ergebnis den bereits bei den Surveyerhebungen 1991/ 92 anhand der Zerssen-Skala festgestellten Unterschiede in der subjektiven Reflexion gesundheitlicher Beschwerden [Hoffmeister 1995]. Eine genauere Untersuchung der Unterschiede über die verschiedenen Altersgruppen und der Ansatz einer tiefergehenden Interpretation erfolgt an späterer Stelle [Radoschewski, Bellach 1999] in diesem Band. Vergleiche mit der Normstichprobe von 1994 90 Beim Vergleich der Skalenmittelwerte der Normstichprobe von 1994 mit der von 1998 ergibt sich die überraschende Situation, daß zwar kaum ein Unterschied über die Zeit in der Einschätzung der allgemeinen Gesundheit (AGES) festzustellen ist, daß sich aber die Mittelwerte anderer Einzelskalen, wie beim Schmerz (SCHM) und der Vitalität (VITA), spürbar verschlechtert haben (Abb. 6). Bei der sozialen und seelischen Funktionsfähigkeit (SOFU, EMRO) haben sich die mittleren Skalenwerte insbesondere bei den Frauen verschlechtert. Eine tiefergehende Untersuchung dieser Unterschiede mit einem Erklärungsansatz findet sich bei Radoschewski, Bellach 1999 (in diesem Heft). 80 Literatur 60 50 18–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Abb. 4 Soziale Funktionsfähigkeit. 100 arith. Mittel Männer West Männer Ost Frauen West Frauen Ost 1 70 60 50 KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC Abb. 5 Ost-West-Vergleich der verschiedenen Skalen des SF-36. 100 arith. Mittel Männer 1994 Männer 1998 Frauen 1994 Frauen 1998 90 80 70 60 50 KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC Abb. 6 Zeitlicher Vergleich. Funktionsfähigkeit (SOFU) sowie bei Vitalität und körperlicher Energie (VITA) schätzen sich die ostdeutschen Frauen besser ein als ihre westdeutschen Geschlechtsgenossinnen. Da es hinsichtlich tatsächlich vorhandener Morbidität keine Grundlage gibt für die hier festgestellten Unterschiede (dies wird ja auch adäquat reflektiert in der gleichen Einschätzung Ahrens W, Bellach BM, Jöckel KH (Hrsg.) (1998). Messung soziodemographischer Merkmale in der Epidemiologie. RKISchriften 1/1998. München: MMV Medizin Verlag 2 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/1998. Gesundheitswesen 60: S59–S68 3 Bullinger M (1993). German Translation and Psychometric Testing of the SF-36 Health Survey: Preliminary Results from the IQOLA Project. Soc Sci Med 41: 1359–1366 4 Bullinger M (1996). Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität mit dem SF-36 Health Survey. Die Rehabilitation 35: 17–27 5 Bullinger M, Kirchberger I (1995). Der SF-36-Fragebogen zum Gesundheitszustand: Handbuch für die deutschsprachige Fragebogenversion. Medical Outcome Trust 6 Bullinger M, Kirchberger I (1998). Der SF-36-Fragebogen zum Gesundheitszustand: Handbuch für die deutschsprachige Fragebogenversion. Hogrefe-Verlag für Psychologie 7 Hoffmeister H, Todzy-Wolff I, Wiesner G (1995). Körperliche und Allgemeinbeschwerden (nach v. Zerssen). Die Gesundheit der Deutschen, RKI-Hefte 7/1995, Robert Koch-Institut Berlin, 111–116 8 Knopf H, Ellert U, Melchert HU (1999). Sozialschicht und Gesundheit. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S168–176 9 Radoschewski M, Bellach BM (1999). Der SF-36 – Ein Instrument zur Messung der Lebensqualität von Populationen: Möglichkeiten und Grenzen. Gesundheitswesen 61 10 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellsach BM (1999). Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer, NonResponder-Analyse. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S57– S61 11 Ware JE, Sherbourne CD (1992). The MOS 36-item Short-Form Health Survey (SF-36): I. Conceptual framework and item selection. Medical Care 30: 473–83 Ute Ellert Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin S191 WEITERE THEMEN SF-36 im Bundes-Gesundheits›› Der Survey – Möglichkeiten und M. Radoschewski, B.-M. Bellach Robert Koch-Institut, Berlin Anforderungen der Nutzung auf der Bevölkerungsebene Zusammenfassung: Der SF-36-Fragebogen ist als Instrument zur Messung von Therapieerfolgen mittels subjektiver Einschätzung gesundheitsbezogener Lebensqualität durch Patientengruppen konzipiert und international anerkannt. Inwieweit sich dieses Instrument auch eignet, um den subjektiven Gesundheitszustand auf Bevökerungsebene zu messen sowie Veränderungen in periodischen Querschnittserhebungen abzubilden, ist noch umstritten. Der Einsatz des SF-36 im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 bei gleichzeitiger Erfassung anderer gesundheitlich relevanter Parameter ermöglicht eine tiefergehende Untersuchung der Eigenschaften dieses Instruments. Es wird ein Versuch der Modellierung des Zusammenhangs zwischen Alter, Sozialschichtzugehörigkeit, Morbidität und Inanspruchnahmeverhalten unternommen. Schlüsselwörter: SF-36 – Lebensqualität – Bundes-Gesundheitssurvey – Sozialschicht – GLIM The SF-36 Questionnaire in the German National Health Interview and Examination Survey – Chances and Demands to be Made on the Usefullness for the Population: The SF-36 Questionnaire is an internationally accepted instrument for measuring therapeutic success by subjective assessment of health-related quality of life, done by patient groups. It remains to be seen to what extent this instrument is suitable for measuring the subjective health status of population groups or changes thereof. The answers to the SF-36 Questionnaire in the German National Health Examination and Interview Survey together with information about other health parameters allow deeper evaluation of the features of this instrument. A new approach to establishing a model revesling the association between age, social status, morbidity and the SF-36 Scales is discussed. Key words: SF-36 Questionnaire – Life Quality – German National Health Interview and Examination Survey – Social Status – GLIM. Einleitung Der SF-36-Questionnaire ist inzwischen zum sicher weitverbreitetsten und meisterprobten, auf jeweilige nationale Bedingungen angepaßten und nicht zuletzt auch deshalb inGesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S191–S199 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York ternational vergleichbare Ergebnisse liefernden, generischen Instrument zur Messung des subjektiven Gesundheitszustandes bzw. der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQOL – Health Related Quality of Life) geworden [Stadnyk et al. 1998; McDowell et al. 1996]. Er wird hinsichtlich seiner psychometrischen Qualität und Ökonomie als das international führende Meßinstrument bezeichnet [Bullinger 1996]. Die Sensitivität der SF-36-Dimensionen für Veränderungen in Patientenpopulationen ist nachgewiesen [Bullinger 1996; Bullinger et al. 1998]; für bestimmte Erkrankungen wird ihm die höchste Veränderungssensitivität unter vergleichbaren generischen Maßen bescheinigt [Beaton et al. 1997]. Die Wirkung chronischer Erkrankungen auf die Indizes des SF-36 ist insbesondere in der älteren Bevölkerung deutlich [Kempen et al. 1997; Kempen et al. 1998; Lamb 1997]. Die Messung und Beurteilung von Veränderungen auf Bevölkerungsebene in periodischen Querschnittsuntersuchungen mit Hilfe des SF-36 ist jedoch, über das mehr deskriptive „Assessment“ hinaus, wenig untersucht. In Längsschnittstudien auf Bevölkerungsebene ist seine Sensitivität für gesundheitliche Veränderungen offenbar gegeben [Hemingway et al. 1997]. Auch in diesen Untersuchungen fungierte die mit dem SF-36 ermittelte gesundheitsbezogene Lebensqualität jedoch immer als Maß, Parameter bzw. als Resultante von „Medical Outcome“. Manche Autoren halten die gebräuchlichsten HRQOL-Maße generell für ein gesundheitliches Monitoring auf Bevölkerungsebene für weniger geeignet [Ebrahim 1995], für andere resultieren ernstzunehmende Interpretationsprobleme u.a. aus der Konstruktion der Maße selbst, da subjektive Werte und Einstellungen eine analytisch schwer abzugrenzende eigene Dynamik aufweisen [Allison et al. 1997]. Material und Methoden Der SF-36-Fragebogen enthält acht Konzepte/Dimensionen/ Skalen sowie die Bewertung der Gesundheitstendenz in insgesamt 36 Items (siehe Tab. 1). Er mißt dabei, wie alle HRQOLInstrumente, in Erweiterung des klassischen medizinischen Krankheitskonzeptes vor allem die Folgen von Gesundheit oder Krankheit, operationalisiert in ihren Auswirkungen, auf die subjektiv erlebte physische und psychische Funktionsfähigkeit auf individueller und sozialer Ebene. Für die Auswertung werden, nach einheitlicher Polarisierung der Items durch Umkodierung, additiv die rohen Punktsummen der Dimensionen ermittelt und in Skalenspannen von 0 Beitrag: 371.fm Ausdruck vom 25.5.00 S192 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 M. Radoschewski, B.-M. Bellach Tab. 1 Aufbau und Konzepte des SF-36 (nach: Bullinger/Kirchberger(1997) Abk. Konzept/Dimension Items Skala Dimensionsstufen spanne KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC TEND Körperliche Funktionsfähigkeit (Mobilität/ADL) Körperliche Rollenfunktion (Allg. Indik. reduz. Leist.fähigk.) Körperliche Schmerzen (Schmerzint./funktion. Wirkungen) Allgemeine Gesundheit (Gesundheitsperzeption/Vergleich) Vitalität (Polarität: Elan – Müde) Soziale Funktionsfähigkeit (Wirk. auf Einschränk. sozial. Kontakte) Emotionale Rollenfunktion (Allg. Indik. reduz. Leist.fähigk.) Psychisches Wohlbefinden (Emotion.Grundstimmungen) Veränderung der Gesundheit (Tendenz – Vorjahr/heute) 10 4 2 5 4 2 3 5 1 1 bis 3 1 bis 2 1 bis 6; 1 bis 5 1 bis 5 1 bis 6 1 bis 5 1 bis 2 1 bis 6 1 bis 5 21 5 11 21 21 9 4 26 5 36 Gesamt bis 100 transformiert, um das unterschiedliche Staging der Dimensionen in einem einheitlich dimensionierten, leichter vergleichbaren Skalen-Profil auszudrücken (die Dimensionsskalen sind, wie die Skalen der zugrundeliegenden Items selbst, Ordinalskalen mit diskreten Meßwerten). Ausführliche Darstellungen zur Methodik finden sich im Handbuch zur deutschen Version des SF-36 [Bullinger et al. 1995; Bullinger et al. 1998], nach dessen Vorgaben auch die im weiteren vorgestellten Ergebnisse berechnet wurden. Die im folgenden verwendeten Daten sind Ergebnis der SF-36-Erhebung bei 6964 Probanden des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 (s. auch [Ellert et al. 1999]). Es wurden dabei die auf die Bevölkerungsstruktur der Bundesrepublik 1998 gewichteten Werte (Thefeld, Stolzenberg, Bellach 1999, in diesem Heft) verwendet, sofern sie nicht explizit als ungewichtet ausgewiesen wurden. Mit der über Bevölkerungsstichproben erfolgten Normierung des SF-36 in Deutschland 1994 und der Erhebung im Rahmen des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 stehen nunmehr zwei Datenkörper zur Verfügung, die neben deskriptiv-vergleichenden Analysen der mit diesem Instrument gemessenen gesundheitsbezogenen Lebensqualität in der deutschen Bevölkerung auch eingehendere Überprüfungen seiner Meßeigenschaften auf der Bevölkerungsebene ermöglichen. Zudem sind Erkenntnisse zur epidemiologisch-analytischen Wertigkeit des SF-36-Instruments für die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bzw. der subjektiven Gesundheit selbst, ihrer so gemessenen Verteilung und Veränderung in der Bevölkerung sowie deren Determinanten oder auch zu 100,00 Arith.Mittel in % (gew.) 90,00 Frauen Männer 88,19 91,58 88,63 82,77 80,00 85,54 86,74 84,24 79,22 75,21 71,03 70,00 66,83 63,86 66,04 69,85 62,57 60,00 57,60 50,00 KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC Skala Abb. 1 SF-36-Profile der deutschen Bevölkerung (18 bis < 80 Jahre) 1998 – nach Geschlecht. 10 4 2 5 4 2 3 5 1 bis bis bis bis bis bis bis bis bis 30 8 12 25 24 10 6 30 5 möglichen prädiktiven Eigenschaften zu erwarten. Hier soll dazu nur ein erster Schritt erfolgen, der die Meßeigenschaften und die Differenzierungsfähigkeit des Instruments auf der Bevölkerungsebene betrifft. Die vorgestellten Ergebnisse sind unter diesem Aspekt ausgewählte Beispiele. Ergebnisse Die Verteilungen der SF-36-Skalen auf der Bevölkerungsebene Der SF-36-Fragebogen ist primär ein Profilmaß, welches ein über die acht Skalen (Abb. 1) abgebildetes HRQOL-Profil erzeugt (wenngleich inzwischen auch die Möglichkeit der Reduktion auf zwei aggregierte Summenskalen ausgewiesen ist [Bullinger et al. 1998]). Wird dieses Profil in einer Patientenoder Untersuchungspopulation vor und nach dem Einsatz von therapeutischen, rehabilitativen oder anderen kontrolliert intervenierenden Maßnahmen ermittelt, so genügt der prüfende Profilvergleich, um deren Wirksamkeit einschätzen zu können. Eine weiter differenzierende Analyse der jeweiligen Verteilungen in den Einzelskalen oder Profilen erübrigt sich zumeist. Wird der SF-36 jedoch als Maß der subjektiven Gesundheit und der HRQOL auf Bevölkerungsebene verwendet, so interessiert natürlich, wie diese Variablen in der Bevölkerung verteilt sind und wovon diese Verteilungen bestimmt werden. Das Maß muß demnach auch wesentlich erweiterten analytischen Anforderungen und Funktionen genügen. Männer und Frauen zeigen 1998 (charakterisiert durch die Mittelwerte der Skalenscores bei Optimalwerten von 100%) über alle Altersgruppen hinweg erwartungsgemäß deutliche Unterschiede im Skalenprofil, sind sich in der globalen Bewertung ihrer Gesundheit (Skala-AGES) allerdings recht ähnlich (Abb. 1 und 2). Die Profile weisen aber zugleich auch auf offensichtlich erhebliche Verteilungsunterschiede der Einzelskalen in der erwachsenen Bevölkerung hin. In der emotionalen Rollenfunktion und sozialen Funktionsfähigkeit sind nur geringe Beeinträchtigungen durch den Gesundheitszustand zu verzeichen, die Vitalität wird hingegen als am deutlichsten eingeschränkt erlebt. Im Altersgang verstärken sich die Einschränkungen insbesondere in den Skalen körperliche Funktionsfähigkeit, körperliche Rollenfunktion, körperliche Schmerzen und allgemeine Gesundheit, die Vitalität bleibt auf niedrigerem Level, während auch im höheren Alter soziale Funktionsfähigkeit, emotionale Rollenfunktion und psychische Befindlichkeit deutlich geringer beinträchtigt sind. Die Skalen unterscheiden sich offensichtlich in ihrer „Sensitivität“ Beitrag: 371.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S193 Der SF-36 im Bundes-Gesundheits-Survey 100,00 100,0 F 20 - <30 F 70 - <80 M 20 - <30 M 70 - <80 KÖRO EMRO SOFU 80,0 %–Anteil der Altersgruppe Arith.Mittel in % (gew.) 90,00 KÖFU 80,00 70,00 60,0 40,0 60,00 20,0 50,00 KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC 0,0 20 –<25 25 –<30 30 –<35 35 –<40 40 –<45 45 –<50 50 –<55 55 –<60 60 –<65 65 –<70 70 –<75 75 –<80 Skala Altersgruppe Abb. 2 SF-36 Profile ausgewählter Altersgruppen 1998. Abb. 4 Deckeneffekte ausgewählter SF-36-Skalen – Frauen nach Alter 1998. im Altersgang, bzw. die jeweils gemessenen Dimensionen sind in unterschiedlichen Ausmaß altersabhängig. Die für Indikatoren des Gesundheitszustandes typische Altersabhängigkeit und Geschlechtsspezifik weisen auch die Dimensionen des SF-36 auf. Dabei zeigen sich jedoch wesentliche Unterschiede. So geht im Altersgang auch in den SF-36Skalen mit großen Deckeneffekten deren Anteil zurück (Abb. 4), allerdings ist dieser Rückgang nur in der Dimension KÖFU gravierend, bei KÖRO noch deutlich, aber moderater, bei SOFU und EMRO tendenziell vorhanden, aber gering ausgeprägt. Ein weitgehend analoges Bild zeigt sich bei den Männern, wenngleich die Skalenwerte jeweils um einige Prozentpunkte über denen der Frauen liegen. Die Skalen des SF-36 weisen sogenannte Boden- und Deckeneffekte auf, die sich aus der Operationalisierung der zugrundeliegenden Items und den dabei gewählten Begrenzungen des Meßbereiches ergeben. Bei einer Spanne von 0 Prozentpunkten (schlechtester möglicher Wert =maximale Beeinträchtigung durch Gesundheitszustand in dieser Dimension=Boden) bis zu 100 Prozentpunkten (bestmöglicher Wert=keine Beeinträchtigung durch Gesundheitszustand in dieser Dimension=Decke) in jeder Skala befindet sich jeweils ein mehr oder minder großer Teil der Respondenten an den Endpunkten der Skalen. Wie bereits aufgrund der Mittelwert-Profile anzunehmen ist, sind dabei enorme Unterschiede zwischen den SF-36-Dimensionen zu verzeichnen, die beispielhaft für die Frauenpopulation des BundesGesundheitssurveys aufgezeigt sind (Abb. 3). In drei Skalen ergeben sich Deckeneffekte von 50% und mehr (EMRO=80%; KÖRO=67%; SOFU=50%), die bei den Männern noch deutlich höher ausfallen (EMRO=87%; KÖRO=75%; SOFU=60%). Auch hinsichtlich der körperlichen Funktionsfähigkeit ist es immerhin noch nahezu ein Drittel der Frauen (Männer: KÖFU=40%), das sich in dieser SF-36-Dimension nicht beeinträchtigt fühlt, beim Körperschmerz ist ca. ein Fünftel nicht betroffen (Männer: SCHM=31,2%). Lediglich drei Skalen (AGES; VITA; PSYC) weisen nur minimale Boden- und Dekkeneffekte auf, differenzieren die Untersuchungspopulation also nahezu vollständig. Boden(0 Pkt.) Skala Decke(100 Pkt.) 68,4 KÖFU KÖRO 30,8 21,4 SCHM 66,7 77,6 21,7 99,0 VITA 99,1 0,9 Skala AGES 0,7 49,5 SOFU 50,0 79,3 13,4 EMRO 1,5 98,4 PSYC 0,0 25,0 50,0 75,0 In den Skalen mit großen Deckeneffekten dominieren diese zwangsläufig auch die Gesamtverteilungen der von den Respondenten jeweils erreichten Prozentpunkte in den gegebenen Skalenspannen und führen zu z.T. extremen Rechtssteilverteilungen in diesen Skalen. Dies betrifft nicht nur die Gesamtverteilungen über alle Altersgruppen hinweg, sondern auch die der Altersgruppen bei Frauen wie Männern. Bei den deutlich altersabhängigen Dimensionen KÖFU und KÖRO verschieben sich die Verteilungen (und dementsprechend auch ihre Parameter) zwar mit dem Alter zunehmend nach links in niedrigere Punktwertbereiche, bleiben aber Schiefverteilungen, wie das Beispiel der Häufigkeitsverteilung der erreichten %-Punkte in der KÖFU-Dimension für Frauen zeigt (Abb. 5). In allen Altersgruppen liegt der überwiegende Teil der Respondenten in der oberen Hälfte der Dimensionsskala. 58% der 20bis <30jährigen Frauen weisen einen Skalenwert von 100% auf, aber auch in der Altergruppe der 70- bis unter 80jährigen erreicht jede zweite Frau noch 65 und mehr %-Punkte in der körperlichen Funktionsfähigkeit. In den Dimensionen AGES, VITA und PSYC sind die Skalen sensitiver operationalisiert und differenzieren nahezu die gesamte Untersuchungspopulation innerhalb des Skalenbereiches. Auch in diesen Skalen liegen asymmetrische, rechtssteile Häufigkeitsverteilungen der erreichten Punktwerte vor, die sich altersabhängig hin zu niedrigeren Punktwerten verschieben. Die Dimension allgemeine Gesundheit steht hier exemplarisch für diese Verteilungsmuster. Deutlich zeigt sich die altersabhängige Linksverschiebung der Verteilungen sowohl bei Frauen als auch bei Männern (Abb. 6). 100,0 Anteil der Frauen Abb. 3 Boden- und Deckeneffekte der SF-36-Skalen – Frauen 1998. Beitrag: 371.fm Ausdruck vom 25.5.00 S194 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 M. Radoschewski, B.-M. Bellach spiegelt den auf Grund der Angaben zur subjektiven Morbidität und zum Gesundheitsverhalten ebenfalls im Rahmen der Surveyerhebungen festgestellten schlechteren Gesundheitszustand von Probanden der unteren sozialen Schicht wider [Knopf et al. 1999]. 100,0 90,0 20 –<30 30 –<40 40 –<50 50 –<60 60 –<70 70 –<80 80,0 Kumulierte Häufigkeit in % 70,0 60,0 Ein Modellierungsansatz für die Alters-, Geschlechts- und Sozialschichtabhängigkeit der Skalen des SF-36 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 Skalenwert der Dimension KÖFU in % Abb. 5 Kumulierte Skalenwertverteilungen der Dimension KÖFU – Frauen 1998. 30,0 F 20 –<30 Der durchgängig über alle Skalen des SF-36 festgestellte monotone Zusammenhang zwischen Summenscores und Alter sowie Sozialschichtzugehörigkeit bei beiden Geschlechtern legt es nahe, diesen über den Ansatz verallgemeinerter linearer Modelle [Mc Cullagh, Nelder 1991] zu modellieren. Dies eröffnet zum einen die Möglichkeit, die unterschiedlichen Einflußstärken der genannten Variablen auf die verschiedenen Skalen zu quantifizieren, zum anderen könnten die Skalen um den durch Alter und Schichtzugehörigkeit bereits erklärten Anteil bereinigt werden, um die Differenzierung der verbleibenden, sozusagen „bereinigten“ Anteile weiter untersuchen zu können. F 70 –<80 25,0 M 20 –<30 Die Ergebnisse der mit der SAS-Prozedur (General Linear Models Procedure) durchgeführten Modellierungen sind in den nachfolgenden Tabellen dargestellt. M 70 –<80 Häufigkeit in % 20,0 15,0 10,0 5,0 0,0 0–10 11–20 21–30 31–40 41–50 51–60 61–70 71–80 81–90 91–100 Skalenwert der Dimension AGES in % Abb. 6 Skalenwertverteilung der Dimension AGES für ausgewählte Altersgruppen 1998. Anders als bei der Normstichprobe von 1994 wurde bei der Erhebung 1998 der Sozialstatus der Probanden entsprechend der Empfehlungen der DAE ([Winkler, Stolzenberg 1999], in diesem Heft) erfaßt. Dies ermöglicht es nunmehr, die verschiedenen Dimensionen des SF-36 in Abhängigkeit von der Schichtzugehörigkeit zu untersuchen. Festzustellen ist, daß alle SF-36-Dimensionen unabhängig von Alter und Geschlecht eine Schichtabhängigkeit aufweisen. Während Oberund Mittelschicht nur wenig in den Mittelwert-Profilen differieren, weist die Unterschicht in allen Altersgruppen und bei beiden Geschlechtern geringere und zumeist deutlich niedrigere Summenscores in den Dimensionen auf (Tab. 2). Dies SF36 Dimension KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC Frauen Es wird bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Sozialschicht und regionaler Zugehörigkeit in einem multivariaten Modell deutlich, daß bei allen Skalen des SF-36 ein signifikanter Einfluß des Alters und der Sozialschichtzugehörigkeit vorhanden ist. Dabei gibt es, wie schon im deskriptiven Ansatz vermerkt, Skalen, die kaum altersabhängig sind, wie beispielsweise das Psychische Wohlbefinden (PSYC) und Körperliche Schmerzen (SCHM). Ein starker Altersgang ist über alle Schichten hinweg bei der Körperlichen Funktionsfähigkeit (KÖFU), bei der Körperlichen Rollenfunktion (KÖRO), bei der Sozialen Funktionsfähigkeit (SOFU) sowie bei der Allgemeinen Einschätzung der Gesundheit festzustellen. Dies sind identisch diejenigen Skalen, für die auch die soziale Differenzierung am stärksten ausgeprägt ist. Bei den Männern sind bei allen Skalen signifikante Unterschiede in den drei Sozialschichten zu finden, bei den Frauen findet man lediglich bei der Körperlichen Rollenfunktion (KÖRO) und bei der Sozialen Funktionsfähigkeit (SOFU) keine sozialen Unterschiede mehr. Nach Adjustierung für Alter, Geschlecht und Schichtzugehörigkeit erscheinen auch die Ost-West-Unterschiede in einem genaueren Licht: Signifikant bessere Skalenwerte haben die Ostdeutschen bei der subjektiven Bewertung des körperliTab. 2 SF36-Profile nach Geschlecht und sozialer Schicht Männer Schicht Unter Mittel Ober Schicht Unter Mittel Ober 76,26 76,12 61,64 61,54 55,84 82,29 84,43 67,18 84,50 79,99 64,65 66,90 57,67 84,31 86,88 70,14 87,51 81,68 64,73 70,06 59,90 86,70 90,05 72,60 85,41 83,05 70,01 64,35 60,98 88,09 89,89 73,69 87,53 84,53 69,43 66,17 61,91 87,71 91,06 75,02 91,65 89,59 75,24 70,12 65,14 91,04 93,91 76,84 Beitrag: 371.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S195 Der SF-36 im Bundes-Gesundheits-Survey Tab. 3 Verallgemeinerte lineare Modelle (GLIM) für den Zusammenhang zwischen den Einzelskalen des SF-36 und Alter, sozialer Schicht sowie regionaler Zugehörigkeit der Probanden: Schätzung der Koeffizienten und erklärte Varianz KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC Männer Schicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Alter (in Jahren) –8,53* –6,09* –0 –0,49* –8,87* –7,06* –0 –0,49* –3,43* –3,75* –0 –0,09* –7,43* –5,36* –0 –0,36* –3,21* –1,88* –0 –0 –6,88* –7,23* –0 –0,34 –4,74* –3,50* –0 –0,14* –4,33* –3,95* –0 –0,03* Region West Ost R2 –0 –0,96 –0,19 –0 –1,53 –0,07 –0 –2,94* –0,02 –0 –0,16* –0,11 –0 –2,02* –0,01 –0 –2,47* –0,06 –0 –3,34* –0,02 –0 –1,14 –0,01 Frauen Schicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Alter (in Jahren) –6,87* –2,41* –0 –0,58* –2,16 –1,37 –0 –0,50* –4,17* –2,49* –0 –0,06* –6,20* –2,86* –0 –0,31* –5,58* –2,54* –0 –0,01 –1,41 0,08 –0 –0,24* –4,95* –3,16* –0 –0,11* –4,31* –2,34* –0 –0,02 Region West Ost R2 –0 –0,31 –0,22 –0 –3,435* –0,06 –0 –3,20* –0,01 –0 –0,23 –0,10 –0 –1,88* –0,01 –0 –1,36 –0,03 –0 –1,80 –0,01 –0 –2,02* –0,01 * signifikant mit p<0,05 chen Schmerzes (SCHM) und der Vitalität (VITA). Die ostdeutschen Männer haben darüber hinaus signifikant bessere Skalenwerte als ihre Geschlechtsgenossen in Westdeutschland bei der sozialen Funktionsfähigkeit (SOFU) und der emotionalen Rollenfunktion (EMRO). Die ostdeutschen Frauen hingegen weisen signifikant günstigere Werte bei der Schmerzskala (SCHM) und beim psychischen Wohlbefinden (PSYC) auf als die westdeutschen Frauen. Es gibt keine Skala, für die die Ostdeutschen gegenüber den Westdeutschen eine signifikant schlechtere Befindlichkeit aufweisen. Schaut man sich den durch die Einflußfaktoren erklärten Varianzanteil an (R2), so ist dieser bis auf die allgemeine Gesundheit (AGES) und die körperliche Funktionsfähigkeit (KÖFU) relativ gering. Dies wiederum läßt genügend Freiraum für die Differenzierung der Skalen des SF-36 durch verschiedene Krankheiten oder andere Gesundheitsparameter. SF-36-Profile und „Außenkriterien“ Um auch einen „quantitativen“ Eindruck von der Sensitivität des SF-36-Instrumentes hinsichtlich wesentlicher gesundheitsrelevanter Indikatoren zu erlangen, wurden die Dimensionsprofile nach zwei Kriteriengruppen differenziert. Einerseits wurden die im „Erhebungsbogen für die ärztliche Befragung zu Krankheiten“ des Bundes-Gesundheitssurveys enthaltenen Angaben zu Krankheiten so aggregiert, daß folgende Gruppen entstanden: – Respondenten, die zumindest eine der erfragten Krankheiten in den letzten vier Wochen hatten – solche, die keine in den letzten vier Wochen, aber zumindest eine in den letzten zwölf Monaten hatten – diejenigen, die keine in den letzten zwölf Monaten hatten. Andererseits wurde der Zeitraum der letzten Arztinanspruchnahme als Indikatorvariable ausgewählt. In beiden Fällen ist zu erwarten, daß deutliche Unterschiede in den SF-36-Profilen bestehen, zumal der SF-36-Fragebogen mit dem „Zeitfenster vier Wochen“ zum Einsatz kam. Die Abhängigkeit von speziellen prävalenten Krankheiten ist schon an den Daten der Normstichprobe von 1994 nachgewiesen worden [Bullinger et al. 1998]. Das Vorliegen einer Krankheit in den letzten vier Wochen hat sowohl bei Männern als auch bei Frauen die stärksten Auswirkungen auf die mit dem SF-36 gemessene gesundheitsbezogene Lebensqualität. Vor allem die physisch ausgerichteten Dimensionen weisen Unterschiede von mehr als 10%-Punkten gegenüber den Gruppen mit einer Krankheit in den letzten zwölf Monaten bzw. keiner Krankheit im letzten Jahr auf. Deren Differenzen zueinander wiederum sind gegenüber jenen mit erhebungsnaher Erkrankung eher geringfügig. In nahezu gleicher Weise und quantitativer Ausprägung sind verständlicherweise die Profile nach dem Zeitraum des letzten Arztbesuches unterschieden, da ein weitgehender Zusammenhang zwischen Zeitraum der letzten Krankheit und Zeitraum des letzten Arztbesuches vorausgesetzt werden kann. Die auf deskriptiver Ebene festgestellten Zusammenhänge legen es wiederum nahe, ein multivariates verallgemeinertes, lineares Modell anzusetzen, um den Einfluß der hier sehr allgemein erfassten Morbidität quantifizieren zu können. Die Ergebnisse sind in Tab. 6 zusammengefaßt: Obwohl die Gruppierung nach einer beliebigen Krankheit in bestimmten Zeitintervallen sehr grob ist, zeigen alle Skalen des SF-36 eine sehr starke (und durchgängig signifikante) Differenzierung zwischen Probanden ohne eine Erkrankung im letzten Jahr und Probanden mit einer Erkrankung in den letzten vier Wochen. Hier erweist der SF-36 seine Eignung als In- Beitrag: 371.fm Ausdruck vom 25.5.00 S196 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 M. Radoschewski, B.-M. Bellach Tab. 4 SF-36 – Profile nach prävalenten Krankheiten 1998 KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC Frauen, prävalente Krankheiten Männer, prävalente Krankheiten mindest. 1 Krh. in letzt. 4 Wochen letzt. 12 Monate keine Krh. letzt. 12 Monate mindest. 1 Krh. in letzt. 4 Wochen letzt. 12 Monate keine Krh. letzt. 12 Monate 78,20 71,77 58,84 62,34 55,55 82,08 84,02 68,09 92,07 88,50 71,59 72,12 60,98 88,37 91,01 72,72 92,79 87,12 76,01 74,77 62,44 89,11 93,29 74,01 82,95 78,24 63,61 61,83 59,82 85,94 88,49 73,19 95,33 94,36 82,14 73,88 66,61 92,47 96,12 78,01 strument zur Messung der Auswirkung von Krankheit auf bestimmte Komponenten der Lebensqualität. Die gleichzeitige Kontrolle für Alter, Geschlecht, Schicht- und Regionalzugehörigkeit macht deutlich, daß Krankheit in den letzten vier Wochen in diesem Modell durchgängig der Einfluß ist, der gesundheitsbezogene Lebensqualität verändert. Dennoch bleiben Schichtdifferenzierung, Alterseinfluß und Ost-WestUnterschiede erhalten, wenn auch in leicht abgeschwächter Form. Damit erweist sich der SF-36 durchaus als ein Instrument, das sensitiv für gesundheitliche Veränderungen auf Bevölkerungsebene ist. Die relative Stabilität über eine gewisse Zeit kann dann auch als ein Zeichen stabilerer Morbidität in einer Bevölkerung interpretiert werden. Der Gesundheitssurvey bietet mit seinen zusätzlich zum SF-36 erfaßten vielfältigen Gesundheitsparametern noch viele Möglichkeiten für spezifischere und tiefergehende Untersuchungen. Zeitvergleich – Veränderungssensitivität Obgleich in einem Zeitraum von nur vier Jahren entscheidende Veränderungen des Gesundheitszustandes und auch des subjektiven Gesundheitszustandes auf Bevölkerungsebene eher nicht zu erwarten sind, ist ein Vergleich aus methodischen Gründen interessant, zeigt er doch, ob die zur Verfügung stehenden Daten in dieser Hinsicht überhaupt ergiebig sind. Die Unterschiede zwischen den 1994 und 1998 gemessenen Werten der Ausprägung der SF36-Profile in den vergleichbaren Altersbereichen sind eher moderat. Die Grundstruktur der Profile, die Relationen der Dimensionen zueinander, stimmen weitgehend überein. Der Vergleich der in diesen Erhebungsjahren jeweils zu verzeichnenden Dekkeneffekte charakterisiert bereits die auch in den Mittelwertprofilen festzustellenden wesentlichen Differenzen (Abb. 7a 95,16 94,06 77,25 72,62 65,09 91,52 94,50 77,68 Boden(0 Pkt.) KÖFU-98 Skala Decke(100 Pkt.) 68,4 30,8 61,5 KÖFU-94 KÖRO-98 21,4 KÖRO-94 20,0 37,4 66,7 67,9 77,6 SCHM-98 SF36-Dimension / Jahr SF-36-Dimension 21,7 49,2 SCHM-94 49,3 0,9 AGES-98 99,0 AGES-94 98,7 1,1 VITA-98 99,1 0,7 VITA-94 99,2 0,5 49,5 SOFU-98 50,0 45,8 SOFU-94 EMRO-98 13,4 EMRO-94 12,4 53,4 79,3 80,4 PSYC-98 98,4 1,5 PSYC-94 98,0 1,9 0% 25% 50% 75% 100% Anteil der Frauen Abb. 7a Boden- und Deckeneffekte der SF-36-Dimensionen – Frauen 1994 und 1998. und 7b). Eine leichte Minderung dieser Anteile der nicht Beeinträchtigten im Jahre 1998 gegenüber 1994 ist zwar in nahezu allen Dimensionen und bei beiden Geschlechtern zu verzeichnen, in der Dimension Körperschmerz sind die Unterschiede allerdings gravierend. Prüft man die zeitlichen Veränderungen auf der Ebene von 5Jahres-Altersgruppen bei beiden Geschlechtern, so ergeben sich (T-Test zur Prüfung der Mittelwertunterschiede/α=0,01) folgende beachtenswerte Unterschiede: – in den Dimensionen KÖFU, KÖRO, EMRO, SOFU und PSYC sind sowohl bei Frauen als auch bei Männern lediglich einzelne, punktuelle Differenzen (sowohl Erhöhungen als auch Verminderungen gegenüber den Ergebnissen der Tab. 5 SF-36 – Profile nach dem Zeitraum der letzten Arzt-Inanspruchnahme SF36 Dimension KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC Frauen Männer Inanspruchnahme eines Arztes in den letzt. vor vor 4 Wochen 1–3 Monaten 4–12 Monaten vor 1–5 Jahren Inanspruchnahme eines Arztes in den letzt. vor vor 4 Wochen 1–3 Monaten 4–12 Monaten vor 1–5 Jahren 76,69 69,91 57,97 61,66 54,65 80,81 84,19 67,83 92,82 91,54 79,76 73,59 63,46 89,29 91,99 73,75 80,99 73,24 61,41 60,96 59,34 84,40 87,27 72,80 95,21 96,61 82,49 74,20 68,12 94,22 95,76 79,32 86,54 86,00 66,43 68,44 58,81 86,56 87,34 70,79 91,26 91,48 71,22 72,18 61,78 88,77 91,00 72,61 Beitrag: 371.fm Ausdruck vom 25.5.00 89,73 89,11 71,46 67,00 62,64 89,54 92,75 75,49 93,22 93,69 77,73 70,84 63,93 90,92 94,21 76,26 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S197 Der SF-36 im Bundes-Gesundheits-Survey Tab. 6 Verallgemeinerte lineare Modelle (GLIM) für den Zusammenhang zwischen den Einzelskalen des SF-36 und Alter, sozialer Schicht, regionaler Zugehörigkeit sowie den prävalenten Krankheiten der Probanden: Schätzung der Koeffizienten und erklärte Varianz KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA SOFU EMRO PSYC Männer Schicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Alter (in Jahren) –7,92* –5,69* –0 –0,40* –7,96* –6,44* –0 –0,36* –2,94* –3,43* –0 –0,19* –6,71* –4,89* –0 –0,25* –2,77* –1,57* –0 –0,06* –5,66* –6,46 –0 –0,16* –4,23* –3,16* –0 –0,06* –3,77* –3,03* –0 –0,05* Region West Ost –0 –0,55 –0 –1,27 –0 –1,95* –0 –0,35 –0 –1,73* –0 –1,55 –0 –2,94* –0 –0,74 Mind. 1 Krankheit letzte 4 Wochen letzte 12 Monate keine letztes Jahr R2 –7,49* –0,56 –0 –0,22 –11,53* –1,06 –0 –0,10 –6,24* –0,98 –0 –0,04 –9,05* –1,66 –0 –0,17 –2,77* –1,57 –0 –0,03 –16,62* –5,35* –0 –0,14 –6,79* –1,49* –0 –0,03 –7,39* –1,72 –0 –0,05 Frauen Schicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Alter (in Jahren) –6,68* –2,29* –0 –0,51* –1,91 –1,21 –0 –0,39* –4,02* –2,40* –0 0,00 –6,04* –2,74* –0 –0,24* –5,45* –2,47* –0 0,62* –1,08 0,32 –0 –0,11* –4,78* –3,03* –0 –0,03 –4,16* –2,26* –0 –0,08* Region West Ost –0 –0,66 –0 –2,89* –0 –2,90* –0 –0,60 –0 –1,60* –0 –0,72 –0 –1,44 –0 –1,69* Mind. 1 Krankheit letzte 4 Wochen letzte 12 Monate keine letztes Jahr R2 –8,22* –1,45 –0 –0,25 –11,65* –1,08 –0 –0,08 –6,78* –0,83 –0 –0,03 –9,38* –2,97* –0 –0,14 –6,32* –1,32 –0 –0,04 –15,78* –4,54* –0 –6,01 –8,51* –2,34 –0 –0,02 –7,59* –1,41 –0 –0,04 * signifikant mit p<0,05 Normstichprobe von 1994) ohne einheitliche Grundtendenz zu erkennen – in der Dimension AGES erreichen die jüngeren Männer im Altersbereich von 20 bis unter 40 Jahren 1998 deutlich geringere Werte als 1994 – bei den gleichen Altersgruppen der Männer und bei den Frauen im Alter von 30 bis unter 50 Jahren ist 1998 gegenüber 1994 eine Reduktion in der Dimension VITA zu verzeichnen – in der Körperschmerz-Dimension werden erhebliche Unterschiede im Sinne höherer Beeinträchtigungen im Jahre Boden(0 Pkt.) 48,2 5,8 3,4 KÖRO-94 77,0 90,00 68,4 SCHM-98 31,2 40,4 SCHM-94 3,1 VITA-98 98,7 VITA-94 97,3 1,2 2,1 39,6 SOFU-98 59,8 32,8 SOFU-94 66,1 9,2 EMRO-98 88,2 4,5 95,4 PSYC-94 0% 25% 50% 75,00 70,00 60,00 2,7 97,1 PSYC-98 80,00 65,00 86,6 7,7 EMRO-94 nicht signif. 0,7 96,3 AGES-94 85,00 58,2 99,1 AGES-98 F–1998 M–1998 F–1994 M–1994 95,00 75,3 Arithm. Mittel in % KÖRO-98 100,00 40,0 50,1 KÖFU-94 Beim gegenwärtigen Stand der Auswertung und Datenanalyse sind vorschnelle Hypothesenbildungen zur Erklärung der festzustellenden Unterschiede oder ihre Interpretation im Sinne Trends signalisierender, zeitlicher Veränderungen unangemessen. Im Hinblick auf die erheblichen Unterschiede in der Körperschmerz-Dimension muß allerdings angemerkt werden, daß im Fragebogen des Bundes-Gesundheitssurveys unmittelbar vor den Fragen des SF-36 (Zeitfenster: vier Wo- Decke(100 Pkt.) 58,9 KÖFU-98 SF36-Dimension / Jahr Skala 1998 in nahezu allen Altersgruppen bei Frauen als auch bei Männern in den Mittelwerten (Abb. 7a und 7b) als auch in den Deckeneffekten sichtbar (Abb. 8). 75% 55,00 100% Anteil der Männer 50,00 20 –<25 25 –<30 30 –<35 35 –<40 40 –<45 45 –<50 50 –<55 55 –<60 60 –<65 65 –<70 70 –<75 75 –<80 Abb. 7b Boden- und Deckeneffekte der SF-36-Dimensionen – Männer 1994 und 1998. Altersgruppe Abb. 8 Altersverlauf der Körperschmerz-Dimension 1994 und 1998. Beitrag: 371.fm Ausdruck vom 25.5.00 S198 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 M. Radoschewski, B.-M. Bellach chen) zusätzlich ein spezieller Schmerzfragegebogen eingeschaltet war, der zwei Zeitfenster (letzte zwölf Monate; letzte sieben Tage) zu Schmerzen enthält. Die Untersuchungssituation (Erinnerungsvermögen, thematische Sensibilisierung etc.) wurde dadurch zweifellos tendenziell beeinflußt. Diskussion Durch die Einbeziehung des SF-36-Instruments in den Gesundheitssurvey sind neue Erkenntnisse über die Wirkungen und Verteilungen von Gesundheits-/Krankheitsfolgen möglich. Anders als beim Einsatz dieses Meßinstruments in der Medical-Outcome-Messung interessieren auf der Bevölkerungsebene auch die Verteilungscharakteristiken der SF-36Dimensionen als Abstufungen des subjektiven Gesundheitszustandes bzw. der HRQOL. Die mit dem SF-36-Fragebogen ermittelten Häufigkeitsverteilungen der Punktwerte in den Einzelskalen/Dimensionen des HRQOL-Profils für die erwachsene Bevölkerung unterscheiden sich erheblich. Auch in den alters- und geschlechtsspezifischen Verteilungen handelt es sich um Schiefverteilungen mit z.T. extremer Rechtsschiefe. Derartige Verteilungen sind durch arithmetische Mittel und Standardabweichungen nicht hinreichend repräsentiert. In den Dimensionsskalen mit hohen Deckeneffekten dominieren diese die Gesamtverteilungen und deren Parameter. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zumindest auf Bevölkerungsebene, über Kriterien für die Bestimmung von „Normwerten“ der SF-36-Dimensionen und der so gemessenen HRQOL nachzudenken. Für derartig extreme Schiefverteilungen sind die darzustellenden Verteilungsparameter neu zu überdenken. Um festgestellte Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen (z.B. Alter, Geschlecht, soziale Schicht) oder zeitliche Veränderungen zu verifizieren, genügt es offensichtlich nicht, nur die Mittelwertdifferenzen der Dimensionsscores zu bewerten, da diese etwaige Veränderungen der Gesamtverteilungen nicht hinreichend charakterisieren. Ist es aber so abwegig, einen Skalenwert von 100%, den weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung erreicht, als den „Normalwert“ dieser Dimensionsscores anzusehen? Damit würden allerdings zwangsläufig die in den Items der Skalen vorgegebenen Level der physischen, psychischen oder sozialen Funktionsfähigkeit nicht nur die Grenzen festlegen, in denen die Skalen sensibel messen, sondern auch die „Norm“ definieren. Die hohen Deckeneffekte in den SF-36-Dimensionen belassen einen großen Teil der Bevölkerung in dieser Dimension undifferenziert, obgleich andererseits vorausgesetzt werden kann, daß gesundheitlich bedingte Einschränkungen der HRQOL-Dimensionen gegeben sind, wenn z.B. ein größeres Zeitfenster als Meßzeitraum oder eine differenziertere Operationalisierung der Items gegeben wäre. Offen bleiben muß bislang auch die Frage, wie belastbar sich Unterschiede in den Dimensionsscores zwischen Gruppen und im Zeitvergleich bewerten und sichern lassen? Hadorn et al. vertreten die Meinung, daß beim SF-36 in den ordinalen Skalen der einzelnen Items Wertveränderungen von einem Punkt sehr unterschiedlich präferierte Gewichte bei den Probanden haben, die in die Dimensionsscores aber mit gleichem Gewicht eingehen. „Die meisten existierenden (HRQOL-)Fragebögen wurden ohne explizite Referenz zu den relativen Prioritäten konstruiert, die Menschen zwischen und innerhalb der einzelnen Dimensionen der HRQOL setzen [Hadorn, Uebersax 1995A; Hadorn et al. 1995B]“. Die im SF-36 gewünschte Sensitivität der Skalen wurde, wenngleich es als generisches HRQOL-Instrument gilt, auf die Messung von Veränderungen in Krankenpopulationen „geeicht“. Ob diese Sensitivität auch auf der Bevölkerungsebene einer deskriptiv und analytisch ergiebigen Charakterisierung und Differenzierung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität genügt, bedarf weiterer eingehender Prüfungen. So wäre es wohl mehr als leichtfertig (ohne die Operationalisierung der Dimension SOFU im Instrument zu berücksichtigen), aus den Ergebnissen z.B. zu schlußfolgern, daß lediglich ca. 15% der erwachsenen deutschen Bevölkerung ihre soziale Funktionsfähigkeit für gesundheitsbedingt eingeschränkt halten. Gerade auf der Bevölkerungsebene wird es bedeutsam, den Meßbereich des Instruments nicht mit dem Wirklichkeitsbereich gleichzusetzen, den abzubilden es anstrebt [Sevenhuysen, Trumble-Waddell 1997]. Für ein Monitoring der gesundheitsbedingten Lebensqualität in der Bevölkerung wäre eine höhere Sensitivität (eventuell mittels ergänzender Items) wünschenswert. Auch Untersuchungen anderer Autoren verweisen auf Forschungsbedarf zur methodischen Optimierung der Bildung der Dimensionsscores des SF-36, um deren Diskriminationsfähigkeit und Sensitivität insbesondere in den niedrigsten und höchsten Skalenbereichen zu verbessern [Mc Horney et al. 1997]. Es sind auch der jeweilige Einfluß und die Abhängigkeiten der Einzelskalen und Dimensionen einer eingehenderen Prüfung zu unterziehen. Kempen et al. konnten beispielsweise feststellen, daß die einzelnen Dimensionsskalen des SF-36 durchaus unterschiedlichen Einfluß auf den Summenscore der allgemeinen gesundheitlichen Befindlichkeit haben. Die deutlichen Zusammenhänge der SF-36-Profile mit Alter und Sozialschichtzugehörigkeit einerseits sowie mit Krankheitsprävalenz und Inanspruchnahme andererseits verdeutlichen nicht nur ihre grundsätzlich gegebene Plausibilität und auch Validität, sondern darüber hinaus auch ihre potentielle analytische Nutzbarkeit als Surrogat- bzw. Prognosevariablen für die sehr viel aufwendiger zu erhebende Morbidität oder das Inanspruchnahmeverhalten. Dies ist hier lediglich auf einige Demonstrationsbeispiele reflektiert und bleibt ein Untersuchungsfeld künftiger Arbeiten. Literatur 1 2 3 4 Ahrens W, Bellach B-M, Jöckel K-H (1998). Messung soziographischer Merkmale in der Epidemiologie. RKI-Schriften 1/98, Robert Koch-Institut Berlin Allison PJ, Locker D, Feine JS (1997). Quality of Life: A Dynamic Construct. Soc Sci Med 45: 221–230 Beaton DE, Hogg-Johnson S, Bombardier C (1997). Evaluating Changes in Health Status: Reliability and Responsiveness (Empfänglichkeit/Empfindlichkeit) of Five Generic Health Status Measures in Workers with Musculoskeletal Disorders. J Clin Epidemiol 50: 79–93 Bullinger M (1996). Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität mit dem SF-36 Health Survey. Die Rehabilitation 35: 17–27 Beitrag: 371.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S199 Der SF-36 im Bundes-Gesundheits-Survey 5 Bullinger M, Kirchberger I (1995). Der SF-36-Fragebogen zum Gesundheitszustand: Handbuch für die deutschsprachige Fragebogenversion. Medical Outcome Trust 6 Bullinger M, Kirchberger I (1998). Der SF-36-Fragebogen zum Gesundheitszustand: Handbuch für die deutschsprachige Fragebogenversion. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen 7 Ebrahim S (1995). Clinical and Public Health Perspectives and Application of Health-Related Quality of Life Masurement. Soc Sci Med 41: 1383–1394 8 Ellert U, Bellach BM (1999). Der SF-36 im Bundes-Gesundheitssurvey – Beschreibung einer aktuellen Normstichprobe. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S183–S189 9 Hadorn DC, Uebersax J (1995A). Large-Scale Health Outcomes Evaluation: How should Quality of Life be measured? – Part I – Calibration of a brief Questionaire and a Search for Preference Subgroups. J Clin Epidemiol 48: 607–618 10 Hadorn DC, Sorensen J, Holte J (1995B). Large-Scale Health Outcomes Evaluation: How should Quality of Life be measured? – Part II – Questionaire Validation in a Cohort of Patients with advanced Cancer. J Clin Epidemiol 48: 619–629 11 Hemingway H, Staffort M, Stansfield S, Shipley M, Marmot M (1997). Is the SF-36 a valid measure of change in population health? Results from the Whithall II Study. BMJ 315: 1273–1279 12 Kempen GIJM, Ormel J, Brilman EI, Relyveld J (1997). Adaptive Responses among Dutch Elderly: The Impact of Eight Chrinic Medical Conditions on Health-Related Quality of Life. Am J Public Health 87: 38–44 13 Kempen GIJM, Miedema I, Van den Bos GAM, Ormel J (1998). Relationship of Domain-Spezific Measures of Health to Perceived Overall Health among Older Subjects. J Clin Epidemiol 51: 11–18 14 Knopf H, Ellert U, Melchert HU (1999). Sozialschicht und Gesundheit. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S168–S176 15 Lamb VL (1997). A Cross-national Study of Quality of Life Factors associated with Patterns of Elderly Disablement. Soc Sci Med 42: 363–377 16 McCullagh P, Nelder JA (1991). Generalized Linear Models – Second Edition. Chapman & Hall 17 McDowell I, Nevell C (1996). Measuring Health: A Guide to Rating Scales and Questionaires. New York: Oxfort University Press 18 McHorney CA, Haley SM, Ware Jr JE (1997). Evaluation of the MOS SF-36 Physical Functioning Scale (PF-10): II. Comparison of Relative Precision Using Likert and Rasch Scoring Methods. J Clin Epidemiol 50: 451–461 19 Sevenhuysen GP, Trumble-Waddell J (1997). A new Perspective on Quality of Life. J Clin Epidemiol 50: 231–232 20 Stadnyk K, Caldere J, Rockwood K (1998). Testing the Measurement Properties of the Short Form – 36 in a Frail Elderly Population. J Clin Epidemiol 51: 827–835 21 Winkler J, Stolzenberg H (1999). Der Schichtindex 1998. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S177–S182 B.-M. Bellach Robert Koch-Institut Postfach 65 02 80 D-13302 Berlin Beitrag: 371.fm Ausdruck vom 25.5.00 S200 WEITERE THEMEN ›› Die Ernährung in Deutschland 1998 Zusammenfassung: Als Ergänzung zum Bundes-Gesundheitssurvey 1998 wurde in einer Unterstichprobe von 4030 Teilnehmern der Ernährungssurvey 1998 durchgeführt. Mit diesen Personen wurde ein ausführliches Ernährungsinterview, unterstützt durch das Computerprogramm DISHES 98, geführt. Der durchschnittliche Energieanteil von Fetten in der Ernährung hat sich mit derzeit 33–34% deutlich verringert gegenüber den 40%, die noch vor 10 Jahren ermittelt wurden. Generell ist die Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen ausreichend. Lediglich für Ballaststoffe, Vitamin D und E, Folatäquivalenten, Zink, Jod und bei Frauen zusätzlich Vitamin B1, B2, B6, Eisen und Phosphor liegt die mittlere tägliche Aufnahme bei einem Teil der Bevölkerung unter dem optimalen Niveau. Die betrachteten Differenzen im Ernährungsverhalten in Ost- und Westdeutschland zeigen kein eindeutig günstigeres Bild für einen der beiden Teile Deutschlands. Schlüsselwörter: Ernährung – Nährstoffe – Lebensmittel – Vitamine – Mineralstoffe G. B. M. Mensink, M. Thamm, K. Haas Robert Koch-Institut, Berlin Einleitung Unsere tägliche Ernährung liefert dem Körper Energie und Aufbaustoffe und spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung unserer Gesundheit. Der Einfluß bestimmter Nahrungsbestandteile auf die Prävention und den Verlauf einer Vielzahl von Krankheiten ist unbestritten. Informationen über das Ernährungsverhalten einer Bevölkerung können deshalb wichtige Beiträge zur Optimierung der Gesundheit liefern. Durch eine frühzeitige Erkennung von möglichen Defiziten in der Nährstoffversorgung können rechtzeitig Vorbeugemaßnahmen für die betreffenden Gruppen eingeleitet werden. Für die alten Bundesländer wurden letztmalig 1985/86 umfassende Daten zum Ernährungsverhalten der Bevölkerung [Heseker et al. 1994; FDG 1991] und für die neuen Bundesländer 1991/92 retrospektiv für die Zeit vor der Wende, also etwa 1989, erhoben [Hermann-Kunz 1996]. Methoden und Felderfahrung Dietary Intake in Germany 1998: In addition to the German National Health Interview and Examination Survey, the German Nutrition Survey 1998 (GeNuS) was conducted in a subsample of 4030 participants. Among these persons, a comprehensive dietary interview was performed with use of the software DISHES 98. The proportion of 33–34% energy from fat is considerably less than the 40% energy from fat which was estimated about ten years ago. In general, the supply of most vitamins, minerals and trace elements is sufficient. For a part of the population, the intake of dietary fibre, vitamins D and E, folate, zinc, iodine and, among women, also vitamins B1, B2, B6, iron and phosphorus is on a suboptimal level. Observed differences in dietary habits in the eastern and western part of Germany did not have an obviously more favourable dietary pattern in any part of Germany. Key words: Nutrition – Nutrients – Foods – Vitamins – Minerals Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erfolgte als Zusatzmodul des Bundes-Gesundheitssurveys (BGS) [Bellach et al. 1998; Thefeld et al. 1999] die Durchführung des Ernährungssurveys 1998 [Mensink et al. 1998b]. Dabei wurde eine zufällig ausgewählte Unterstichprobe von 4030 Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren ausführlich zu ihrem Ernährungsverhalten befragt. Der modulare Aufbau ermöglicht eine Verknüpfung der Ernährungsdaten mit dem gesamten erfaßten Spektrum an Gesundheitsdaten des BGS und somit eine Erweiterung unseres Wissensstandes über den Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit. Der Bundes-Gesundheitssurvey wurde von Oktober 1997 bis März 1999 durchgeführt. Dabei wurde eine repräsentative Stichprobe von insgesamt 7124 Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren in die Untersuchung aufgenommen. Diese Personen wurden ausführlich über ihre gesundheitliche Vorgeschichte, ihr Gesundheitsverhalten und weitere gesundheitsrelevante Parameter befragt und untersucht. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S200–S206 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Das Ernährungsinterview wurde auf der Basis der Dietary-History-Methode mit dem Computerprogramm DISHES 98 (Diet Interview Software for Health Examination Studies) durchgeführt [Mensink et al. 1998a; Mensink et al. 1998b]. Diese Methode ist eine retrospektive Ernährungserhebungsmethode, d.h., man ist auf das Erinnerungsvermögen der Probanden angewiesen. Während der Befragung wird der Proband gedanklich durch den täglichen Ablauf seiner Mahlzeiten und Zwi- Beitrag: 372.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S201 Die Ernährung in Deutschland 1998 schenmahlzeiten geführt und die Nahrungsaufnahme pro Mahlzeit erfaßt. Außerdem wird versucht, Interviewer-Bias durch eine weitestgehend standardisierte Vorgabe der Abfragen gering zu halten. Ursprünglich als Papierversion entwikkelt, ist diese Methode in einer Computer-Fassung wesentlich effizienter durchzuführen. Eine ausführliche Beschreibung wurde bereits an anderer Stelle veröffentlicht [Mensink et al. 1998b]. Die Ergebnisse einer ebenfalls 1998 durchgeführten Validierungsstudie werden demnächst publiziert und zeigen bezüglich der Makronährstoffe eine relativ gute Übereinstimmung von DISHES 98 mit einem 3-Tage-Wiegeprotokoll und einem 24-Stunden-Recall [Voss et al. 1998]. Die Daten wurden während der Feldphase auf Disketten gespeichert und einmal pro Woche an das Robert-Koch-Institut versandt. Noch während der Feldphase erhielten die Personen eine schriftliche persönliche Auswertung ihrer Ernährung. Alle Daten wurden auf Plausibilität geprüft und offensichtliche Fehler bei der Eingabe nachträglich mit den Probanden geklärt und gegebenenfalls korrigiert. Außerdem wurde die Gesamtkalorienaufnahme anhand des geschätzten Bedarfs mit Hilfe der sog. Schofield-Formel [Schofield 1985] bezüglich ihrer Plausibilität bewertet. Mit dieser Vorgehensweise konnten grobe Eingabefehler korrigiert werden. Die gesamten Angaben der Interviews wurden in einer Datenbank gesammelt und anschließend zur weiteren Auswertung in eine SAS-Datei umgewandelt. Diese Datei wurde anschließend mit dem Bundeslebensmittelschlüssel (BLS) II.3 verknüpft, um aus den Lebensmittelangaben entsprechende Nährstoffmengen pro Tag zu errechnen. Die nachfolgenden Auswertungen basieren auf diesen Berechnungen. Von den ursprünglich insgesamt 4032 Probanden wurden zwei Probanden von vornherein ausgeschlossen, da sie angaben, eine Formula-Diät einzuhalten. Die entsprechenden Inhalte dieser Diät waren uns nicht bekannt, und somit sind diese gespeicherten Interviews für uns unvollständig und nicht auswertbar. Ebenso sind die Angaben zu Nahrungsergänzungsmitteln in der hier aufgeführten Auswertung noch nicht berücksichtigt. Es wird daran gearbeitet, dies mit einer entsprechenden Präparate-Datenbank zu quantifizieren und in einer späteren Auswertung zu berücksichtigen [Mensink, Ströbel 1999; Schellhorn et al. 1998]. Durch die hochstandardisierte und automatisierte Vorgehensweise des DISHES 98-Programms betrug die mittlere Interviewdauer im Feld nach einer gewissen Anlaufphase etwa 35 Minuten. Im Einsatz waren insgesamt fünf Interviewerinnen, bei denen es sich um ausgebildete Ökotrophologinnen handelte. Zwischen ihnen zeigte sich ein Unterschied in der mittleren Interviewzeit von 29,8 bis 37,6 Minuten. Die Interviews der Interviewerin mit der höchsten durchschnittlichen Interviewzeit wiesen außerdem auch die höchsten durchschnittlichen Gesamtenergieaufnahmen auf. Für die Gesamtenergieaufnahme war sie die einzige, die signifikant von den anderen Interviewerinnen abwich. Nach Adjustierung für Alter und Geschlecht beträgt der Mittelwert bei den von ihr durchgeführten Interviews 2409 kcal (Konfidenzintervall (KI) 2369–2449) gegenüber 2267 (KI 2225–2302) bei der Interviewerin mit dem nächsthöherem Mittelwert. Ausführliche Auswertungen hierzu sollen im Rahmen der Validierung noch stattfinden. Die Differenzen sind jedoch gegenüber der intraindividuellen Varianz eher gering. Im Gegensatz zu den meisten anderen deskriptiven Darstellungen der Ergebnisse des Bundes-Gesundheitssurveys wurden die hier präsentierten Daten nicht gewichtet. Ergebnisse In Abb. 1 ist die Altersverteilung der Teilnehmer am BGS sowie die Altersverteilung der Teilnehmer am Ernährungssurvey 1998 dargestellt. Es wird deutlich, daß Frauen in der Unterstichprobe überproportional vertreten sind. Dies betrifft alle Altersklassen, ist jedoch besonders bei den jungen Frauen ausgeprägt. Die Ursache hierfür liegt in der Anbindung der Studie „Folsäureversorgung von Frauen im gebärfähigen Alter“ an den Ernährungssurvey [Thamm et al. 1998; Thamm et al. 1999]. 800 Personen Männer Teilnehmer Ernährungssurvey Frauen 600 400 200 0 18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–79 18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–79 Altersklassen Abb. 1 Altersverteilung der Teilnehmer am Ernährungssurvey 1998 im Vergleich zum gesamten Bundes-Gesundheitssurvey. In Abb. 2 sind die Energieverhältnisse der Makronährstoffe für Männer und Frauen im Westen und Osten Deutschlands im Vergleich zur VERA-Studie [Heseker et al. 1994] und zu den DGE-Empfehlungen dargestellt. Was das Verhältnis der Makronährstoffe angeht, essen die Deutschen immer noch zu fett- und sehr eiweißreich. Die Werte sind gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die eine Relation von etwa 60% der Energie aus Kohlenhydraten, 25–30% aus Fetten und ungefähr 10% aus Protein als wünschenswert erachtet, immer noch als ungünstig anzusehen. Was den Fettanteil betrifft, ist man allerdings mit 33– 34% schon auf gutem Wege in Richtung der DGE-Empfehlung. Dies ist durchgängig in den einzelnen Altersklassen, bei beiden Geschlechtern und im Osten und Westen Deutschlands zu beobachten. Im Durchschnitt nimmt der weibliche Bevölkerungsteil 48% der Energie in Form von Kohlenhydraten, 34% in Form von Fetten, 16% in Form von Protein und 2% aus Alkohol auf. Bedingt durch einen höheren Alkoholkonsum, verschieben sich die Relationen bei den Männern: Nur 45% der Energie werden durch Kohlenhydrate, 33% durch Fette, 16% mittels Protein und 5% aus Alkohol aufgenommen. Vor etwa 10 Jahren wurde in der VERA-Studie noch ein Fettanteil von 40% gemessen. Der Rückgang der Fettaufnahme ist zum Teil auf neue Fettgehaltswerte im BLS II.3 zurückzuführen. Davon betroffen sind vor allem die im BLS enthaltenen Rezepte. Berechnungen mit der alten Version (II.2) ergaben einen entsprechenden Fettanteil von 36%. Die restlichen 3% Beitrag: 372.fm Ausdruck vom 25.5.00 S202 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 100% 80% Fett Kohlenhydrate tersklassen ungefähr konstant ist. Da aber die Gesamtenergieaufnahme über die Jahre abnimmt, nehmen auch die absoluten Grammengen der einzelnen Makronährstoffe mit den Jahren ab. Alkohol 4,5 5,1 2 1,7 45,5 45,3 47,6 48,1 4 41 Protein G. B. M. Mensink, M. Thamm, K. Haas 60 60% 40% 20% 0% 14 40 VERA (1987/88) 15,8 15,7 15,5 15,8 33,2 33 33,8 33,2 30 Frauen Ost Empfehlung Männer West Männer Frauen Ost West Ernährungssurvey 1998 10 Abb. 2 Energieanteile der Makronährstoffe. sind auf Veränderungen in der Auswahl der persönlichen Nahrungsmittel zurückzuführen und/oder durch Veränderungen des Lebensmittelangebotes zu erklären. Zu einem geringen Teil könnte dieser Trend auf die unterschiedlichen Erhebungsmethoden zurückzuführen sein. Der Proteinanteil hat im Vergleich zur VERA-Studie zugenommen, und es gilt nach wie vor, den Kohlenhydrat- und Ballaststoffanteil an der Nahrung zu vergrößern. Der Proteinanteil in der Ernährung ist über die Altersklassen relativ konstant. Es zeigt sich bei den Männern nur eine geringe Zunahme mit steigendem Alter, bei den Frauen ist vor allem bei den Jüngeren ein deutlicher Anstieg zu sehen. Der Fettanteil ist über die Altersklassen ebenfalls ziemlich stabil. Bei den Männern über 65 Jahre ist der relative Fettanteil am geringsten. Sowohl für Protein als auch für Fett gilt, daß der relative Anteil für Männer und Frauen in etwa gleich ist. Bei den Frauen ist die relative Kohlenhydrataufnahme etwas höher als bei den Männern, besonders bei den Jüngeren ist die Differenz zwischen den Geschlechtern am deutlichsten. Es zeigen sich auch für Kohlenhydrate nur geringe Schwankungen über die Altersklassen, die niedrigsten Werte liegen eher in den mittleren Altersgruppen. Zusammenfassend gilt, daß, Alkohol ausgenommen, der Energieanteil der Makronährstoffe über die Al- In Tab. 1 sind für Männer und Frauen die Medianwerte mit 25. und 75. Perzentile der täglichen Energie- und Makronährstoff-Aufnahmen dargestellt. Im nachfolgenden Abschnitt werden zusätzlich Mittelwerte aufgeführt. Die durchschnittliche tägliche Proteinaufnahme beträgt 73 g für Frauen und 101 g für Männer. Gesundheitliche Schäden aufgrund einer mäßig überhöhten Zufuhr an Protein sind bei einem gesunden Menschen bisher nicht bekannt. Da aber eine hohe Proteinaufnahme in der Regel eine hohe Aufnahme an tierischem Protein bedeutet, führt dies fast zwangsläufig zu einer hohen Aufnahme an Fett und Cholesterin, die kritisch zu beurteilen ist. Die durchschnittliche tägliche Fettaufnahme beträgt bei Frauen 74 g, bei Männern 99 g. Damit nehmen Männer etwa ein Drittel mehr Fett zu sich als Frauen, was aber vollständig auf die höhere Gesamtaufnahme zurückzuführen ist. Die mittlere Aufnahme an gesättigten Fettsäuren beträgt für Frauen 32 g, an einfach ungesättigten Fettsäuren 26 g und an mehrfach ungesättigten Fettsäuren 11 g. Männer nehmen 42,2 g gesättigte Fettsäuren, 36 g einfach ungesättigte Fettsäuren und 14 g mehrfach ungesättigte Fettsäuren zu sich. Der P/S-Quotient liegt mit 0,36 für beide Geschlechter unterhalb des erwünschten Verhältnisses von >0,5. Der P/S-Quotient ist in den höheren Altersklassen im Mittel günstiger. Im Durchschnitt liegt die tägliche Cholesterinaufnahme in der weiblichen Bevölkerungsgruppe bei 304 mg, in der männlichen bei 403 mg. Die mittlere Zufuhr an Kohlenhydraten beträgt für Frauen 225 g, und für Männer 294 g. Die Kohlenhydrataufnahme der Frauen besteht zu 48% (109 g) aus Poly-, zu 31% (69 g) aus Diund zu 20% (44 g) aus Monosacchariden, die der Männer zu 50% (147 g) aus Poly-, 29% (85 g) aus Di- und 17% (51 g) aus Monosacchariden. Tab. 1 Tägliche mittlere Aufnahme von Energie und Makronährstoffen, Männer und Frauen, Median (und 25. und 75. Perzentil) Männer Energie (kcal) (MJ) Protein (g) Fett (g) gesät.FS (g) einf.u.FS (g) mehrf.u.FS (g) Cholesterin (mg) P/S-Quotient (%) Kohlenhydrate (g) Monosaccharide (g) Disaccharide (g) Polysaccharide (g) Ballaststoffe (g) Alkohol (g) Frauen Median Perzentile 25–75 Median Perzentile 25–75 2501,73 10,48 95,95 93,46 39,73 33,57 12,78 374,35 32,86 275,32 41,89 73,21 139,99 26,92 11,54 (2034,70–3073,29) (8,52–12,86) (78,67–116,49) (73,51–117,73) (30,84–50,79) (26,05–42,64) (10,13–17,00) (290,36–487,33) (26,47–41,25) (219,35–347,64) (28,05–63,93) (49,29–106,10) (114,85–172,44) (21,64–33,11) (3,55–24,85) 1847,79 7,74 70,55 70,19 30,36 24,45 9,95 287,56 32,59 214,96 37,90 62,04 105,68 23,57 2,35 (1540,32–2212,04) (6,45–9,26) (58,63–83,51) (55,59–087,62) (23,69–38,75) (18,99–30,42) (7,94–12,59) (221,41–368,57) (26,26–40,99) (177,00–263,43) (27,16–54,00) (44,46–82,71) (85,52–128,62) (19,21–28,54) (0,42–6,60) Beitrag: 372.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S203 Die Ernährung in Deutschland 1998 Gemessen an der Empfehlung, 30 g Ballaststoffe täglich aufzunehmen, ist die Zufuhr sowohl bei den Männern mit durchschnittlich 28 g als auch bei den Frauen mit 24,5 g zu gering. Lediglich bei 36% der Männer und bei 20% der Frauen liegt die ermittelte Ballaststoffzufuhr oberhalb von 30 g. Die mittlere Ballaststoffaufnahme von Frauen liegt um 13,7% niedriger als die der Männer. Im Vergleich dazu liegt die Gesamtenergieaufnahme aber um 26,9% niedriger. Frauen scheinen daher eher ballaststoffreichere Lebensmittel, z.B. mehr Obst und Gemüse, auszuwählen. Durchschnittlich nehmen Männer über dreimal soviel Alkohol zu sich wie Frauen (17,4 g zu 5,2 g). Für beide Geschlechter gleichermaßen wird der höchste Alkoholkonsum im mittleren Altersbereich von 45 bis 54 Jahren festgestellt (siehe Abb. 3). Es ist auffällig, daß die Differenz zwischen Ost und West ausschließlich aus dem höheren Konsum bei Männern von 25 bis 54 Jahren im Osten resultiert. Der Anteil derjenigen, die keinerlei Alkoholkonsum angeben, beträgt bei den Frauen 7,4%, bei den Männern 3,8%. Mehr als durchschnittlich 20 g Alkohol täglich nehmen 4,8% der Frauen zu sich, jedoch nehmen 11% der Männer mehr als 40 g Alkohol pro Tag zu sich. Bezogen auf Energieprozente, nehmen zwei Drittel der weiblichen Bevölkerung weniger als 2% Energie durch Alkohol, aber ein Drittel der männlichen Bevölkerung mehr als 5% Energie in Form von Alkohol zu sich. Energie Protein Fett Ballaststoffe Vitamin A* Vitamin D Vitamin E Vitamin B1 Vitamin B2 Vitamin B3** Vitamin B6 Folatäquivalent Vitamin B12 Vitamin C Kalium Calcium Magnesium Eisen Zink Phosphor Jod 0% 50% 100% 150% 200% 250% 300% 350% * Retinol Äquivalent ** Niacin Äquivalent Abb. 4 Nährstoffaufnahme im Vergleich zu DGE-Empfehlungen – Männer, Mediane sowie 25. und 75. Perzentile. g/Tag 28 West Ost kann nicht als optimal bezeichnet werden. Bei Frauen betrifft die suboptimale Versorgung die gleichen Nährstoffe. Außerdem erreicht etwa die Hälfte der Frauen nicht die Empfehlung für die Vitamine B1, B2 und B6 sowie für Eisen und Phospor. Das bedeutet jedoch nicht, daß für diese Nährstoffe eine Mangelversorgung vorliegt. Die DGE-Empfehlungen haben einen gewissen Sicherheitszuschlag, bei einigen Nährstoffen bis zu 50%. Außerdem wurde die Aufnahme über Nahrungsergänzungsmittel sowie Jodsalz in diesen Berechnungen noch nicht berücksichtigt. Inzwischen nehmen immerhin 22% der Frauen und 18% der Männer mehr als einmal pro Woche solche Präparate zu sich [Mensink, Ströbel 1999]. Männer 24 20 16 Frauen 12 8 4 0 18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–79 18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–79 Altersklassen Abb. 3 Alkoholkonsum in Gramm pro Tag nach Alter, Geschlecht und Ost/West-Zugehörigkeit, Mittelwerte. Durch die in der deutschen Bevölkerung grundsätzlich ausreichende Gesamtnahrungsaufnahme ist die Versorgung für die meisten Vitamine, Mineralien und Spurenelemente gewährleistet. In den Abb. 4 und 5 sind für Männer und Frauen die täglichen Aufnahmen einzelner Nährstoffe im Vergleich zu den derzeitigen DGE-Empfehlungen dargestellt. Hierzu wurde die jeweilige individuelle Aufnahme in ein prozentuales Verhältnis zu der individuell zutreffenden Empfehlung (bezogen auf Alter, Geschlecht und evtl. bestehende Schwangerschaft) gesetzt und diese Werte für die Gesamtgruppen als Mediane mit Interquartilbereich dargestellt. Die Aufnahmen der einzelnen Nährstoffe als Prozente der betreffenden DGE-Empfehlung zeigen, daß bei den Männern lediglich eine suboptimale Versorgung für die Ballaststoffe, für Vitamin D und Folsäureäquivalente besteht. Außerdem ist bei etwa der Hälfte der Männer die Vitamin E- Aufnahme unterhalb der Empfehlung. Auch die Versorgung mit Zink und Jod Dennoch nehmen die Menschen hauptsächlich natürliche Lebensmitteln zu sich. Daher ist ein Vergleich der Mengen an verzehrten Lebensmitteln von besonderem Interesse [FAO/ WHO Report 1998]. Der Verzehr von Obst und Gemüse ist z.B. in den jüngeren Altersklassen sehr niedrig, obwohl die jüngeren insgesamt mehr Energie aufnehmen (siehe Abb. 6). Nur die Älteren erreichen im Durchschnitt die laut WHO wünschenswerte Obst- und Gemüsemenge von ca. 400 g pro Tag. Auch bei einem Ost-West-Vergleich zeigen die lebensmittelbezogenen Ergebnisse interessante Tendenzen. In den Tab. 2 und 3 werden die durchschnittlich konsumierten Grammengen von den wichtigsten Lebensmittelgruppen für ost- und westdeutsche Männer und Frauen dargestellt. Da diese Lebensmittelgruppen in ihrer Verteilung stark von einer Normalverteilung abweichen, wurden in den Tabellen die Mediane und Quartile dargestellt. Trotzdem wird auch hiermit die sehr abweichende Verteilung einiger Lebensmittel nicht ausreichend beschrieben, es vermittelt aber einen ersten Eindruck. Die Mengen wurden auf signifikante Differenzen zwischen Ost und West mit einem Mediantest geprüft. Beitrag: 372.fm Ausdruck vom 25.5.00 S204 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 G. B. M. Mensink, M. Thamm, K. Haas Tab. 2 Einnahme der wichtigste Lebensmittelgruppen in Gramm pro Tag, Männer in West- und Ost- Deutschland, Median (und 25. und 75. Perzentil) West-Deutschland Brot Getreide Teigwaren Kuchen, Kekse Süßwaren Gemüse, Pilze Blattgemüse, Kräuter Kohlgemüse Kartoffeln Obst tierische Fette pflanzliche Fette Eier Milch, Käse Fleisch, Wild Geflügel Wurstwaren Fisch 1) Ost-Deutschland Median Perzentile 25–75 Median Perzentile 25–75 Mediantest1) 161,9 51,0 30,8 20,0 38,3 138,8 30,3 37,2 129,6 134,8 10,7 15,5 19,0 236,7 104,4 14,1 50,4 16,1 (116,3–217,8) (26,6– 87,8) (14,2– 57,9) (5,0– 42,9) (20,0– 67,2) (96,8–206,6) (12,8– 55,3) (20,4– 59,6) (86,0–182,5) (66,5–228,8) (5,0– 19,6) (10,6– 23,4) (10,2– 31,4) (134,0–408,6) (68,7–148,8) (6,4– 25,7) (27,8– 76,3) (6,3– 27,0) 184,6 26,3 18,8 26,4 33,6 137,8 15,6 39,3 128,2 168,9 9,3 16,1 20,4 209,0 101,4 12,9 66,4 18,9 (141,4–244,0) (13,5– 51,0) (5,6– 37,7) (5,0– 57,1) (15,6– 61,5) (89,8–203,6) (5,8– 30,6) (23,0– 59,2) (85,6–174,5) (100,3–279,1) (4,3– 20,4) (8,5– 24,1) (11,2– 32,2) (120,0–364,5) (71,9–142,8) (6,4– 24,0) (43,8– 98,5) (8,4– 32,7) *** *** *** * * NS *** NS NS *** NS NS NS * NS * *** ** Statistisch signifikante Differenz in den Medianwerten mit * p<0,05, ** p<0,01, *** p<0,001, NS nicht signifikant Der Brotkonsum ist bei Männern und Frauen im Osten höher als im Westen. Der Getreidekonsum (einschl. Reis) hingegen liegt im Osten für beide Geschlechter etwa bei der Hälfte des Getreidekonsums im Westen. Auch der Verzehr von Teigwaren ist in Ostdeutschland für Männer und Frauen wesentlich geringer. Die Männer im Osten konsumieren einen signifikant höheren Anteil an Kuchen und Keksen, bei Frauen ist keine Differenz zwischen Ost und West festzustellen. Bei Süßigkeiten ist für beide Geschlechter die Aufnahme im Osten nur etwas, aber signifikant geringer. Bei Gemüse und Pilzen wird lediglich bei den ostdeutschen Frauen ein geringerer Konsum gefunden. Der Verzehr von Blattgemüse ist für beide Geschlechter im Osten geringer, es gibt aber keine Unterschiede zwischen Ost und West im Verzehr von Kohlgemüse. Der Kartoffelkonsum ist hingegen nur bei den Frauen signifikant unterschiedlich, und zwar ist im Osten die verzehrte Menge deutlich geringer. Obst wird von beiden Geschlechtern in Ostdeutschland deutlich häufiger gegessen, was gesundheitlich betrachtet wünschenswert ist. Die Aufnahme von Fetten pflanzlichen Ursprungs ist nicht signifikant unterschiedlich, und der von Fetten tierischen Ursprungs ist nur bei ostdeutschen Frauen signifikant geringer. Für den Eierverbrauch ist keine Differenz zwischen Ost und West zu beobachten. Der Verzehr von Milch und Käse ist bei Männern in Ostdeutschland geringer als im Westen, bei den Tab. 3 Einnahme der wichtigste Lebensmittelgruppen in Gramm pro Tag, Frauen in West- und Ost- Deutschland, Median (und 25. und 75. Perzentil) West-Deutschland Brot Getreide Teigwaren Kuchen, Kekse Süßwaren Gemüse, Pilze Blattgemüse, Kräuter Kohlgemüse Kartoffeln Obst tierische Fette pflanzliche Fette Eier Milch, Käse Fleisch, Wild Geflügel Wurstwaren Fisch 1) Ost-Deutschland Median Perzentile 25–75 Median Perzentile 25–75 Mediantest1) 117,0 45,2 27,2 20,4 32,6 143,3 32,0 38,6 100,8 162,5 9,2 12,8 16,6 220,6 69,2 12,9 25,8 12,9 (85,9–158,1) (24,9– 76,8) (12,8– 48,0) (7,1– 42,7) (17,1– 54,3) (97,9–212,6) (15,6– 57,9) (20,8– 60,4) (63,6–142,1) (92,7–261,5) (4,6– 16,2) (8,3– 18,6) (8,6– 27,6) (138,6–351,1) (43,2– 98,7) (5,7– 22,1) (11,4– 42,5) (4,3– 22,5) 132,7 27,9 18,5 22,9 28,1 134,3 19,8 38,4 88,4 220,7 6,4 13,0 17,3 229,9 70,8 11,9 36,1 16,4 (96,7–165,5) (13,7– 48,8) (9,1– 35,4) (8,5– 44,1) (15,7– 47,6) (87,6–192,6) (9,3– 35,9) (23,5– 60,7) (58,3–125,8) (141,1–335,4) (3,5– 12,6) (7,7– 18,9) (9,7– 25,9) (142,2–358,5) (49,3– 99,4) (5,4– 22,0) (21,4– 53,6) (7,1– 26,7) *** *** *** NS ** * *** NS *** *** *** NS NS NS NS NS *** *** Statistisch signifikante Differenz in den Medianwerten mit * p<0,05, ** p<0,01, *** p<0,001, NS nicht signifikant Beitrag: 372.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S205 Die Ernährung in Deutschland 1998 was größeren Mengen gegessen. Wurstwaren und auch Fisch werden wiederum im Osten mehr verzehrt. Energie Protein Fett Ballaststoffe Es zeigt sich, daß bei einigen Lebensmitteln der Verzehr im Osten höher ist, bei anderen im Westen, und daß dies wiederum nicht eindeutig bei gesundheitlich zu präferierenden Lebensmittelgruppen in eine Richtung geht, d.h., daß es im Osten generell günstiger oder ungünstiger ist. Die Differenzen sind wahrscheinlich zum Teil auf die geographische Lage zurückzuführen. Sicherlich kann man hier durch gezielte Aufklärung dort, wo die Mengen im Osten oder Westen in eine falsche Richtung gehen, noch Verbesserungen erreichen. Vitamin A* Vitamin D Vitamin E Vitamin B1 Vitamin B2 Vitamin B3** Vitamin B6 Folatäquivalent Vitamin B12 Vitamin C Die Ernährung in Deutschland ist immer noch gekennzeichnet durch eine Überversorgung und einen zu hohen Anteil an Fett und Alkohol. Dies führt zusammen mit einer zu geringen körperlichen Aktivität dazu, daß Übergewicht immer noch ein großes gesundheitliches Problem darstellt [Bergmann, Mensink 1999]. Über 50% der Frauen und sogar fast 70% der Männer haben einen Body-Mass-Index (BMI) über 25, was als leichtes Übergewicht betrachtet wird. Um die 20% der Männer und Frauen sind stark übergewichtig (BMI≥30). Kalium Calcium Magnesium Eisen Zink Phosphor Jod 0% 50% 100% 150% 200% 250% 300% 350% Literatur * Retinol Äquivalent ** Niacin Äquivalent 1 Abb. 5 Nährstoffaufnahme im Vergleich zu DGE-Empfehlungen – Frauen, Mediane sowie 25. und 75. Perzentile. 700 Gramm/Tag Frauen Männer 600 500 400 300 200 100 0 18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–79 18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–79 Altersklassen Abb. 6 Obst- und Gemüsekonsum in Deutschland 1998 nach Alter und Geschlecht, Mediane sowie 25. und 75. Perzentile. Frauen ist es umgekehrt, es wird jedoch keine signifikante Differenz gefunden. Beim Fleischverbrauch wird keine Differenz beobachtet, bei Geflügel ein etwas geringerer Konsum bei den ostdeutschen Männern. Wurst wird von Männern und Frauen im Osten häufiger gegessen als im Westen. Der Fischkonsum ist im Osten Deutschlands etwas höher, vielleicht auch weil der Osten anteilmäßig einen großen Küstenbereich hat. Zusammengefaßt ist der Konsum von Brot im Osten Deutschlands deutlich höher, der von Getreide, Teigwaren und Blattgemüse jedoch im Westen. Obst wird im Osten deutlich mehr verzehrt – vor allen von Frauen. Milch und Käse werden von den westdeutschen Männern und ostdeutschen Frauen in et- Bellach BM, Knopf H, Thefeld W (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/98. Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: 59– 68 2 Bergmann KE, Mensink GBM (1999). Körpermaße und Übergewicht. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S115–S120 3 FAO/WHO Report of a Joint FAO/WHO Consultation (1998). Preparation and use of food-based dietary guidelines. WHO Technical Report Series 880 4 FDG Forschung im Dienste der Gesundheit (1991). Die Nationale Verzehrsstudie – Ergebnisse der Basisauswertung. Hrsg.: Projektträgerschaft Forschung im Dienste der Gesundheit in der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Schriftenreihe zum Programm der Bundesregierung Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit. Materialien zur Gesundheitsforschung, Band 18 5 Hermann-Kunz E (1996). Energie- und Nährstoffaufnahme in den neuen Bundesländern. In: Bellach B (Hrsg.). Die Gesundheit der Deutschen. Band 2, RKI-Heft 15. Berlin: Robert Koch-Institut, 89–100 6 Heseker H, Adolf T, Eberhardt W, et al. (1994). Lebensmittelund Nährstoffaufnahme Erwachsener in der Bundesrepublik Deutschland. Zweite, überarbeitete Auflage. Niederkleen: Wissenschaftlicher Fachverlag Dr. Fleck, VERA-Schriftenreihe III 7 Mensink GBM, Thamm M, Hermann-Kunz E (1998a). A new age of diet history. Eur J Clin Nutr 52 (Suppl. 2): 15 8 Mensink GBM, Hermann-Kunz E, Thamm M (1998b). Der Ernährungssurvey. Gesundheitswesen 60: 83–86 9 Mensink GBM, Ströbel A (1999). Einnahme von Nahrungsergänzungspräparaten und Ernährungsverhalten. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S132–S137 10 Schellhorn B, Döring A, Stieber J (1998). Zufuhr an Vitaminen und Mineralstoffen aus Nahrungsergänzungspräparaten in der MONICA-Querschnittsstudie 1994/95 der Studienregion Augsburg. Z Ernährungswiss 37: 198–206 11 Schofield W (1985). Predicting basal metabolic rate, new standards and review of previous work. Human Nutrition: Clinical Nutrition 39 C (Suppl 1): 5–41 Beitrag: 372.fm Ausdruck vom 25.5.00 S206 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 12 G. B. M. Mensink, M. Thamm, K. Haas Thamm M, Mensink GBM, Hermann-Kunz E (1998). Untersuchungen zum Folsäurestatus. Gesundheitswesen 60; Suppl 2: 87–88 13 Thamm M, Mensink GBM, Thierfelder W (1999). Folsäureversorgung von Frauen im gebärfähigen Alter. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S90–S93 14 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999) Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer, NonResponder-Analyse. Gesundheitswesen 61; Sonderheft 2: S57– S61 15 Voss S, Charrondiere UR, Slimani N, et al. (1998). EPIC-SOFT- ein europaweites Erfassungs- und Koordinierungssystem für 24Stunden-Erinnerungsprotokolle. Z Ernährungswiss 37: 227–233 G.B.M. Mensink Robert Koch-Institut Postfach 65 02 80 D-13302 Berlin Beitrag: 372.fm Ausdruck vom 25.5.00 S207 WEITERE THEMEN von Frauen im ›› Folsäureversorgung gebärfähigen Alter Zusammenfassung: Ein optimaler Folsäurestatus in den ersten Schwangerschaftswochen senkt das Risiko, ein Kind mit einer Spaltfehlbildung des zentralen Nervensystems zur Welt zu bringen. Um den Folsäurestatus bei Frauen im Alter von 18 bis 40 Jahren abschätzen zu können, wurde bei 1266 Teilnehmerinnen am Bundesgesundheitssurvey 1998 u.a. Erythrozytenfolat und Folsäure im Serum gemessen. Durch den Einsatz der Ernährungserhebungssoftware DISHES 98 war es außerdem möglich, die individuelle Folsäureaufnahme durch die Nahrung zu berechnen. Dabei zeigten sich bei einem hohen Prozentsatz der Teilnehmerinnen sub-optimale Erythrozytenfolatspiegel sowie eine unterhalb den Empfehlungen liegende Folataufnahme. Schlüsselwörter: Folsäure – Neuralrohrdefekte – Bundes-Gesundheitssurvey – Ernährung – Prävention – Epidemiologie Folate supply of women in childbearing age: An optimal maternal folate status reduces the risk of neural tube defects in the offspring. In the German National Health Interview and Examination Survey, red cell folate and serum folate levels have been measured in 1,266 women aged between 18 and 40 years. Applying the dietary assessment software DISHES 98 made it possible to estimate the individual folate intake. A high proportion of the participants showed sub-optimal red cell folate levels as well as folate intakes below the recommendations. Key words: Folate – Neural Tube Defects – German National Health Interview and Examination Survey – Nutrition – Prevention – Epidemiology Einführung Das Robert Koch-Institut wurde vom Bundesministerium für Gesundheit beauftragt, eine Untersuchung zum Folsäurestatus bei Frauen durchzuführen. Hintergrund war der in ausländischen Studien postulierte Zusammenhang zwischen einer unzureichenden Folsäureversorgung (bzw. einem unzureichenden Folatstatus) und der erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit von Neuralrohrdefekten bei Neugeborenen [Czeizel et al. 1992]. Für Deutschland existieren bislang weder aktuelle und verläßliche Daten zur Folsäureaufnahme noch Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S207–S212 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York M. Thamm, G. B. M. Mensink, W. Thierfelder Robert Koch-Institut, Berlin zum Folsäurestatus (gemessen in Erythrozyten). Diese Wissenslücken sollten mit der nun beendeten Studie geschlossen werden, um gegebenenfalls in Zukunft die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen überprüfen zu können. Die Studie wurde als Teil des Bundes-Gesundheitssurveys durchgeführt, so daß die Möglichkeit besteht, zu Auswertungszwecken in Zukunft noch weitere Daten heranzuziehen. Hintergrund Folsäure (Pteroylmonoglutaminsäure) ist ein wasserlösliches Vitamin, das früher dem Vitamin-B-Komplex zugerechnet wurde (Vitamin B9). Es bildet die Ausgangssubstanz für die Gruppe der Folate, die für den Menschen essentiell zur Aufrechterhaltung des Stoffwechsels sind. Folate sind Bestandteil verschiedener Enzymsysteme, deren Gemeinsamkeit es ist, als Donoren bzw. Akzeptoren von Kohlenstoff zu fungieren. Da es sich hierbei um sehr universelle Reaktionen handelt, sind sie an einer Vielzahl von Stoffwechselvorgängen beteiligt. Die Körperspeicher betragen beim Erwachsenen 5–10 mg, davon werden ca. 50% in der Leber gespeichert [Bässler et al. 1997]. Für den Menschen stellen Leber, Eier, grüne Blattgemüse und Milch gute Quellen für Folate dar. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Jugendlichen und Erwachsenen derzeit noch eine tägliche Folataufnahme von 150 μg Folatäquivalenten/Tag (DGE 1991), doch ist eine Überarbeitung dieser Empfehlung geplant [Hages et al. 1999]. Bei erhöhter Stoffwechselaktivität (Wachstum, Schwangerschaft) steigt auch der tägliche Bedarf an, so daß besonders bei Säuglingen, Jugendlichen und Schwangeren die Gefahr der Unterversorgung groß ist. Eine Unterversorgung führt zunächst zu Blutbildveränderungen (hypersegmentierte Granulozyten), in schwereren Fällen zu einer makrozytären Anämie und gastrointestinalen Blutungen. Folatmangel wird von verschiedenen Autoren als der häufigste Vitaminmangel in Industriestaaten bezeichnet [Friedrich 1987, Herbert 1980, Kitay, 1969]. Neuralrohrdefekte Über die oben beschriebenen Blutbildveränderungen hinaus wird eine ungenügende Versorgung mit Folsäure neben genetischen Faktoren heute allgemein als Risikofaktor für Neuralrohrdefekte angesehen. Aus dem Neuralrohr beim Embryo entwickeln sich Gehirn und Rückenmark, die aufgrund eines Folsäuremangels bei Schwangeren von schwersten Mißbildungen betroffen sein können. In Deutschland treten Neuralrohrdefekte mit einer Häufigkeit von ca. 1 bis 1,5 pro 1000 S208 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 Geburten auf und gehören damit zu den häufigsten schweren, angeborenen Fehlbildungen [Rinke et al. 1995]. Neuralrohrdefekte führen häufig zu Fehl- bzw. Totgeburten und zu schwersten Behinderungen bei lebend geborenen Säuglingen. Die Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie aus Irland zeigen eine direkte Abhängigkeit zwischen dem Folsäuregehalt in Erythrozyten und dem Risiko von Neuralrohrdefekten [Daly et al. 1995]. Frauen mit dem niedrigsten Folsäuregehalt in Erythrozyten (<150 μg/l) hatten, verglichen mit Frauen mit den höchsten Folsäuregehalten (≥400 μg/l), ein mehr als achtfach erhöhtes Risiko, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen. Die kritische Phase für die Entstehung von Neuralrohrdefekten liegt in den ersten vier Schwangerschaftswochen, einer Zeit, in der viele Frauen noch gar nichts von ihrer Schwangerschaft wissen. Es ist daher nicht ausreichend, lediglich Frauen, die wissen, daß sie ein Kind erwarten, entsprechend zu beraten. Vielmehr müßten im Falle einer sub-optimalen Folsäureversorgung alle Frauen, die eine Schwangerschaft planen bzw. nicht sicher ausschließen können, ihre Folsäureaufnahme optimieren. Da, wie oben ausgeführt, nicht der Folsäurestatus während der Schwangerschaft, sondern der zu Beginn der Schwangerschaft entscheidend ist für das Auftreten von Neuralrohrdefekten, war es folgerichtig, nicht gezielt Schwangere, sondern generell alle Teilnehmerinnen des Bundes-Gesundheitssurveys im gebärfähigen Alter (18 bis 40 Jahre) zu untersuchen. Studiendesign und Methoden Die Untersuchung des Folsäurestatus wurde in den BundesGesundheitssurvey eingegliedert, bei dem insgesamt 7124 Personen einer repräsentativ ausgewählten Bevölkerungsstichprobe untersucht und befragt wurden [Bellach et al 1998, Thefeld et al. 1999]. Eine Unterstichprobe, die annähernd alle am Bundes-Gesundheitssurvey teilnehmenden Frauen im Alter von 18–40 Jahren umfaßt, wurde in die Folsäurestudie aufgenommen. Bei 1508 Teilnehmerinnen des Kernsurveys in der entsprechenden Altersklasse liegen von 1266 Frauen Daten zum Folsäurestatus vor. Dies entspricht einer internen Ausschöpfung von 84% (bezogen auf den Kernsurvey). Bei diesen Frauen wurde zusätzlich zu den Laborparametern des Kernsurveys der Folsäurestatus ermittelt (Folsäure in Serum und Erythrozyten). Dabei entspricht der Erythrozytenfolatspiegel einem Langzeitparameter, der die Folsäureversorgung während der vergangenen 120 Tage widerspiegelt. Zusätzlich zu den aufgeführten Laboranalysen wurde das ausführliche computergestützte Ernährungsinterview DISHES 98 [Mensink 1998] durchgeführt, mit dessen Hilfe die durchschnittliche Ernährung der vorangegangenen vier Wochen erfaßt wird. Durch das Ernährungsinterview soll herausgefunden werden, welche Lebensmittel bei heutiger Ernährungsweise hauptsächlich zur Folsäureversorgung beitragen, wie sich die Folsäureversorgung durch die Nahrung verbessern ließe und wieviel Prozent der untersuchten Frauen die Aufnahmeempfehlungen erreichen. Mit einem Zusatzfragebogen wurden über den Kernsurvey hinausgehende spezifische Daten zum Thema Folsäure und Neuralrohrdefekte erhoben. Die Blutentnahme erfolgte am sitzenden Probanden. Zur Serumgewinnung wurden Gel-Vacutainer und für Vollblut M. Thamm, G. B. M. Mensink EDTA-Vacutainer der Fa. Becton Dickinson verwendet. Die Probanden waren zum Zeitpunkt der Blutentnahme in der Regel nicht nüchtern. Die Folsäurebestimmungen (Erythrozytenfolat und Serumfolat) wurden in zwei getrennten Proben mittels eines Enzymimmunoassays der Fa. Abbott auf dem Gerät IMx und die Vitamin-B12-Messungen ebenfalls mit einem Enzymimmunoassay der Fa. Abbott auf einem AxsymGerät durchgeführt. Vitamin B12 wurde gemessen, um eine generelle Beurteilung der Vitamin-B12-Versorgung vornehmen zu können, da im Falle einer Folatsupplementierung eine durch Vitamin-B12-Mangel verursachte perniziöse Anämie kaschiert werden kann. Weiterhin sollte geprüft werden, ob Zusammenhänge zwischen Folat- und Vitamin-B12-Status bestehen. Der in den Auswertungen benutzte Wert „korrigiertes Erythrozytenfolat“ ist ein errechneter Wert, der wie folgt entsteht: Erythrozytenfolat = (IMx-Wert * 21 * 100)/Hämatokrit Korr. Erythrozytenfolat = Eryfolat–Serumfolat * (100–Hämatokrit)/Hämatokrit Die Korrektur für den Hämatokrit ist notwendig, da es sich bei Erythrozytenfolat um eine Konzentrationsangabe handelt, die davon abhängig ist, wie viele Zellen sich tatsächlich in einer Volumeneinheit Vollblut befinden. Dieser Wert muß dann nochmals korrigiert werden für das Folat, das sich im Serum befindet (und in einer separaten Probe analysiert wird), da das Vollblut vor der Analyse hämolysiert wird und sich somit der Folatgehalt beider Kompartimente (Serum und Erythrozyten) vermischt. Im folgenden wird für „korrigiertes Erythrozytenfolat“ nur noch der Begriff Erythrozytenfolat verwendet, da dies der üblichen Nomenklatur entspricht. Bei dem zur Ernährungserhebung eingesetzten DISHES 98 handelt es sich um ein computergestütztes Interview, bei dem die Lebensmittel- und Getränkezufuhr retrospektiv für die vergangenen vier Wochen erfaßt wird. Dabei werden die Probanden mahlzeitenorientiert durch den Tag geführt, um das Erinnerungsvermögen zu unterstützen und eine standardisierte Abfrage zu ermöglichen. Zur Mengenschätzung dient ein Satz Mustergeschirr bzw. wird auf Standardportionen zurückgegriffen, die in einer vom RKI entwickelten Portionsgrößendatei gespeichert sind. Die Verknüpfung mit den entsprechenden Codes des Bundeslebensmittelschlüssels (BLS) erfolgt direkt bei der Eingabe während des Interviews. Dadurch werden spätere Übertragungsfehler vermieden, und es ergibt sich eine bedeutende Zeitersparnis gegenüber einer späteren Kodierung der Angaben. Der Einsatz des gleichen Instruments wie im Ernährungssurvey führte zu bedeutenden Synergieeffekten, da einerseits geprüft werden kann, wie stark sich die in der Folsäurestudie untersuchten Frauen von denen in höheren Altersklassen unterscheiden, andererseits können die vorliegenden Interviews im Rahmen beider Studien genutzt werden. Mit einem 11 Fragen umfassenden Selbstausfüllfragebogen wurden Informationen zu Einstellungen in bezug auf Ernährung, den Hauptinformationsquellen über Folsäure sowie zur Parität und eventuellen Mißbildungen in der Familie gewonnen. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S209 Folsäureversorgung von Frauen im gebärfähigen Alter Laboranalysen Ergebnisse Folsäurefragebogen Nennungen Die Auswertung der Zusatzfragebogen ergibt, daß sich 76% der Studienteilnehmerinnen ausreichend über Ernährung informiert fühlen. Knapp 90% halten eine gesunde Ernährungsweise für wichtig oder sehr wichtig. Die Informationsquellen für Ernährungsfragen sind in Abb. 1 dargestellt. Die Anzahl der Nennungen übersteigt die Anzahl der Teilnehmerinnen, da Mehrfachangaben möglich waren. 700 600 500 400 300 200 100 0 620 575 428 273 168 Fernsehen Illustrierte Freunde 121 Krankenkasse Zeitung Arzt 112 Radio Abb. 1 Informationsquellen bezüglich Ernährung. Annähernd 40% der Befragten geben an, schon einmal etwas über die Bedeutung der Folsäure gehört oder gelesen zu haben. Die entsprechenden Informationsquellen bezüglich der Bedeutung von Folsäure sind in Abb. 2 dargestellt. Dabei wird deutlich, daß auf dem Gebiet der Einzelmaßnahmen, wie z.B. der Folsäureversorgung, die Beratung durch den Arzt eine wichtige Rolle spielt. Nennungen 200 165 150 In einer großen irischen Studie, die 1995 veröffentlicht wurde, konnte ein positiver Zusammenhang zwischen niedrigen Werten für Erythrozytenfolat und dem Auftreten von Neuralrohrdefekten nachgewiesen werden [Daly et al. 1995]. Teilt man unsere Studienteilnehmerinnen in die entsprechenden Erythrozytenfolatklassen ein, so zeigt sich, daß nur 13,3% über einen optimalen Folatstatus verfügen (Tab. 3). Unter der Annahme, daß die irischen Risikoberechnungen auch auf Deutschland übertragbar sind, würde sich bei 21,6% der Probandinnen eine Verdopplung des Risikos für Neuralrohrdefekte ergeben, bei 48,4% eine Verdreifachung, bei 13,8% ein vierfach und bei 2,8% ein mehr als achtfach erhöhtes Risiko. Ernährungserhebung 100 83 51 50 0 158 Die Mediane der Erythrozytenfolatwerte(Tab. 1) sind in allen Altersklassen relativ ähnlich und lassen keinen Zusammenhang mit dem Alter erkennen. Betrachtet man die Perzentilen in Tab. 2, so erkennt man, daß die individuellen Meßwerte über einen weiten Bereich verteilt sind und immerhin 5 Prozent der Werte unter 161,5 μg/l bzw. über 498,3 μg/l liegen. Die Mediane des Serumfolats zeigen ebenfalls keinen Zusammenhang mit dem Alter, und für die Verteilung gilt ähnliches wie bei Erythrozytenfolat. Auffällig ist hier das sehr hohe Maximum von 40 μg/l. Auch die Mediane von Vitamin B12 unterliegen keiner deutlichen Beeinflussung durch das Alter, doch ist die noch größere Spannbreite der vorkommenden Werte beachtenswert. Dies gilt nicht nur für die einzelnen Perzentilen, sondern ganz besonders auch für den Maximalwert von 14.839 ng/l. Eine Überprüfung der Daten ergab, daß es sich hier um eine Probandin handelt, die über einen längeren Zeitraum täglich hohe Dosen Vitamin B12 in Form von Supplementen zu sich genommen hat. Auf die weiteren Analysen hat dies jedoch keinen Einfluß, da bei allen Auswertungen, die einen Zusammenhang zwischen dem Folat- bzw. Vitamin-B12Status und der entsprechenden Aufnahme betreffen, diejenigen Probandinnen ausgeschlossen wurden, die Folsäure-, Vitamin-B12- oder Multivitaminpräparate eingenommen haben. Arzt 48 40 17 Fernsehen Zeitung Radio Illustrierte Freunde Krankenkasse Abb. 2 Informationsquellen bezüglich Folsäure. Bei 40% der befragten Frauen besteht jetzt oder in Zukunft ein Kinderwunsch, 15% geben an, derzeit nicht zu wissen, ob noch Kinder geplant sind. Nur 23% der Frauen zeigen sich informiert über die Präventionsempfehlungen bezüglich Folsäure und Schwangerschaft, und 77% haben keine derartigen Kenntnisse. 9% der Befragten hatten mindestens eine Fehlgeburt, und 1,6% berichten von einer Abtreibung wegen Behinderung oder Krankheit des ungeborenen Kindes. Von den Studienteilnehmerinnen haben zwei Drittel ein oder mehr Kinder, davon 5% mit Behinderungen oder Krankheiten. Die täglichen Verzehrsmengen wurden anhand der Ernährungserhebungen mit DISHES 98 und dem aktuellen BLS Version II.3 berechnet. Im Vergleich zur BLS-Version II.2 wurden in dem Update aufgrund eines Fehlers in der alten BLS-Version unter anderem die Folatgehalte zahlreicher Lebensmittel zum Teil deutlich nach unten korrigiert. Es ist davon auszugehen, daß diese Korrektur eine Verbesserung der Datenqualität des BLS darstellt und validere Berechnungen der Folataufnahme zuläßt, als dies mit der Version II.2 möglich war. Keine Berücksichtigung konnten die durch Supplemente bzw. durch speziell angereicherte Lebensmittel und Getränke zugeführten Vitamine finden, da der BLS keine entsprechenden Daten enthält. Die mittlere Aufnahme von freiem Folsäureäquivalentbeträgt 111,9 μg/Tag und unterscheidet sich nicht wesentlich in den verschiedenen Altersgruppen (Tab. 1). Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine tägliche Aufnahme von 150 μg/Tag (dies entspricht 300 μg Gesamtfolat/Tag). Damit liegen alle Altersgruppen im Mittel deutlich unter diesem Wert. Bei individueller Betrachtung erkennt man, daß 80,6% der untersuchten Frauen unter den Empfehlungen liegen. Für S210 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 M. Thamm, G. B. M. Mensink Tab. 1 Labormeß- und Zufuhrwerte nach Altersklassen – Median und Interquartilbereich Meß-/Zufuhrwert 18–20 (n = 147) 25% Median 75% 21–25 (n = 164) 25% Median 75% 26–30 (n = 266) 25% Median 75% Erythrozytenfolat (μg/l) Folsäure i. S. (μg/l) Vitamin B12 i. S. (μg/l) Folsäureäquivalent-Zufuhr* Gesamt-Folsäure-Zufuhr* Vitamin-B12-Zufuhr* 220,5 6,5 211,2 83,0 177,1 2,7 325,5 10,0 422,6 138,5 275,0 5,9 216,9 5,8 229,3 84,8 174,0 3,2 337,2 9,5 401,3 136,7 278,5 5,3 209,1 5,8 238,1 88,9 188,0 3,2 311,4 9,7 416,8 134,2 273,7 5,8 Meß-/Zufuhrwert 31–35 (n = 362) 25% Median 75% 36–40 (n = 305) 25% Median 75% 18–40 (n = 1244) 25% Median 75% Erythrozytenfolat (μg/l) Folsäure i. S. (μg/l) Vitamin B12 i. S. (μg/l) Folsäureäquivalent-Zufuhr* Gesamt-Folsäure-Zufuhr* Vitamin-B12-Zufuhr* 222,2 5,8 235,1 96,6 201,4 3,6 337,7 9,8 408,1 147,6 292,0 6,8 226,2 6,0 238,0 94,9 196,7 3,9 335,6 9,8 417,8 143,1 286,0 6,7 218,3 5,9 234,4 92,0 191,2 3,4 328,6 9,8 412,8 140,0 282,2 6,3 265,0 8,1 307,1 108,6 222,9 4,3 269,1 7,5 312,6 116,0 236,4 5,0 268,7 7,4 302,4 107,6 221,4 4,3 271,7 7,7 321,2 112,9 226,9 5,1 256,3 7,3 304,5 110,6 228,3 4,3 266,3 7,6 310,6 111,9 228,5 4,7 * in μg/d Tab. 2 Verteilung von Labormeß- und Zufuhrwerten – Perzentile Meß-/Zufuhrwert Min 1% 5% 25% 50% 75% 95% 99% Max Erythrozytenfolat (μg/l) Folsäure i. S. (μg/l) Vitamin B12 i. S. (μg/l) Folsäureäquivalent-Zufuhr* Gesamt Folsäure-Zufuhr* Vitamin-B12-Zufuhr* 87,9 2,1 67,0 25,9 61,0 0,4 132,3 3,3 117,7 44,8 98,5 1,1 161,5 4,2 157,5 63,7 137,1 2,0 218,3 5,9 234,4 92,0 191,2 3,4 266,3 7,6 310,6 111,9 228,5 4,7 328,6 9,8 412,8 140,0 282,2 6,3 498,3 12,9 652,9 192,6 376,0 10,6 702,8 14,7 871,3 264,6 499,5 15,0 986,2 40,0 14839,0 389,8 694,1 26,8 * in μg/d Vitamin B12 stellt sich die Versorgung deutlich besser dar, auch wenn über 17% der Frauen unter der empfohlenen Mindestaufnahme von 3 μg/Tag liegen. Hier sind die über dreißigjährigen Frauen etwas günstiger zu beurteilen, was allerdings nicht mit einer höheren Energieaufnahme in den oberen Altersklassen erklärt werden kann, sondern eher an einer unterschiedlichen Nahrungszusammensetzung liegen könnte (Vitamin B12 kommt hauptsächlich in tierischen Lebensmitteln vor). Die für die Folataufnahme wichtigsten Lebensmittelgruppen sind in Tab. 4 dargestellt. Dabei wurden alle 4030 Teilnehmer des Ernährungssurveys berücksichtigt, um eine Aussage auf Bevölkerungsebene treffen zu können. Es fällt auf, daß bei Männern auch Bier eine relevante Folatquelle darstellt. Nachfolgend werden Zusammenhänge zwischen kontinuierlichen Variablen beschrieben, wobei der Korrelationskoeffizient (r) nach Pearson berechnet wurde. P-Werte <0,05 wurden als signifikant angesehen. Erythrozytenfolat korreliert mit r=,499 signifikant mit Serumfolat (p<,001). Eine sehr schwache, aber dennoch signifikante Korrelation ergibt sich zwischen Vitamin B12 im Serum und Erythrozytenfolat. Keine Korrelationen ergeben sich zwischen der Erythrozytenfolatkonzentration und der jeweiligen Zufuhr von Folsäure, Vitamin B12, Vitamin C und Alkohol. Auch zeigen Alter und BodyMass-Index (BMI) keine Korrelation mit Erythrozytenfolat. Schwache Korrelationen bestehen zwischen Serumfolat und Folsäurezufuhr, Vitamin-C-Aufnahme und BMI. Außerdem korreliert die Folsäurezufuhr mit der Vitamin-B12- sowie der Vitamin-C-Aufnahme. Zur Prüfung der Zusammenhänge zwischen kontinuierlichen Variablen und bestimmten Verhaltensparametern mit ja/ nein-Ausprägung wurde der non-parametrische Test nach Mann und Whitney verwendet. Es zeigten sich bei den Raucherinnen signifikant niedrigere Werte für Erythrozytenfolat, Serumfolat, Vitamin B12 im Serum und Folsäureaufnahme. Die Anwenderinnen oraler Kontrazeptiva weisen signifikant Tab. 3 Erythrozytenfolatklassen und Risiken für Neuralrohrdefekte (NTD) Erythrozytenfolat 0–149 150–199 200–299 300–399 ≥400 gesamt * Nach Daly et al. (1995) ( μg/l) Häufigkeit Prozent kumulierte Prozente Risiko für NTD * 35 172 602 269 166 1244 2,8 13,8 48,4 21,6 13,3 100,0 2,8 16,6 65,0 86,7 100,0 8,25 4,00 2,88 2,00 1,00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S211 Folsäureversorgung von Frauen im gebärfähigen Alter Tab. 4 Hauptquellen von Folsäure (Folsäure-Äquivalent [μg/Tag]) Männer Mittelwert μg/d) (μ Anteil an Gesamtaufnahme in % Milch, Käse Gemüse, Pilze* Brot Obst, Früchte Bier Kohlgemüse Eier Blattgemüse, Kräuter Kartoffeln Erfrischungsgetränke Getreide gesamt 22,9 21,3 17,5 12,5 12,4 8,2 7,4 6,8 5,7 4,7 3,0 122,4 16,3 15,1 12,4 8,9 8,8 5,8 5,3 4,8 4,0 3,3 2,1 86,8 Frauen Mittelwert μg/d) (μ Anteil an Gesamtaufnahme in % Milch, Käse Gemüse, Pilze* Obst, Früchte Brot Kohlgemüse Blattgemüse, Kräuter Eier Erfrischungsgetränke Kartoffeln gesamt 21,6 21,0 14,6 13,2 8,2 7,1 6,0 4,6 4,1 100,4 18,1 17,6 12,2 11,4 6,9 5,9 5,2 3,8 3,4 84,5 wertung des Ernährungssurveys sowohl mit BLS-Version II.2 als auch mit Version II.3 durchgeführt. Diese ergab im Ernährungssurvey bei Frauen eine um mehr als 20% geringere Aufnahme an Folatäquivalent pro 1000 kcal. niedrigere Werte für Vitamin B12 im Serum, Folsäureaufnahme und Vitamin-B12-Zufuhr auf. Darüber hinaus wurden bei Frauen aus den neuen Bundesländernsignifikant höhere Erythrozyten- und Serumfolatwerte sowie eine deutlich höhere Vitamin-B12-Zufuhr ermittelt. Betrachtet man die Folataufnahme vor dem Hintergrund einer möglichen Schwangerschaft dieser Frauen, so sind die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung ernüchternd, zumal nur 23% der untersuchten Frauen angeben, über die positiven Effekte von Folsäure in der Schwangerschaft informiert zu sein. Da der Bedarf in der Schwangerschaft deutlich erhöht ist, wird zur Prävention von Neuralrohrdefekten heute generell eine tägliche Supplementation von 300 bis 400 μg Folsäure empfohlen [Bässler et al. 1998]. Eine Untersuchung an 118 Wöchnerinnen im Raum München ergab, daß 1998 nur 9,3% eine Folsäuresupplementation gemäß den Empfehlungen (vier Wochen vor Eintritt der Schwangerschaft für insgesamt acht Wochen) durchgeführt haben [Egen 1999]. Somit kann also davon ausgegangen werden, daß ein hoher Prozentsatz der Frauen durch die Nahrung unzureichend mit Folsäure versorgt in eine Schwangerschaft geht, und in der Regel auch nicht rechtzeitig und ausreichend supplementiert. So ist aus dem Ernährungssurvey bekannt, daß lediglich 2,3% der Frauen von 18–40 Jahren mindestens einmal wöchentlich Folsäurepräparate zu sich nehmen. Dieser sehr niedrige Wert steht aus unserer Sicht nicht im Widerspruch zu dem oben genannten Wert von 9,3%, da es sich dabei um eine städtische Bevölkerungsgruppe handelte, die überdies auch noch schwanger war. Vor dem Hintergrund der bereits zitierten irischen Studie, bei der für bestimmte Erythrozytenfolatklassen konkrete Risikoerhöhungen für Neuralrohrdefekte ermittelt wurden, kann man, selbst wenn die gefundenen Risiken nicht in vollem Umfang auf Deutschland übertragbar wären, auf ein substantielles Präventionspotential schließen. Diskussion Literatur Die DGE empfiehlt Erwachsenen (nicht schwanger und nicht stillend) eine tägliche Zufuhr von 150 μg Folsäureäquivalent pro Tag (DGE 1991). Diese empfohlene Aufnahme wird von 81% der untersuchten Frauen unterschritten. Berücksichtigt man den Sicherheitszuschlag von 50% der in dem o.g. Wert enthalten ist, so kommt man auf eine Minimalzufuhr von 100 μg pro Tag. Auch dieser Wert wird von 34% der untersuchten Frauen unterschritten. Bezogen auf die Nährstoffdichte, d.h. die Nährstoffaufnahme bezogen auf 1000 kcal, stellt sich die Folatversorgung ebenfalls ungünstig dar. Von den untersuchten Frauen lagen 76% unterhalb der Empfehlungen der DGE (71,4 μg/1000 kcal). 1 * ohne Kohl- und Blattgemüse Die Tatsache, daß in dieser Studie im Vergleich zu älteren Studien eine so niedrige Folataufnahme festgestellt wurde, bedeutet nicht, daß sich die Folsäureversorgung verschlechtert hat. Wie eingangs erwähnt, ist eine wesentliche Ursache für die niedrigeren ermittelten Folatwerte eine Korrektur der entsprechenden Werte im BLS, da in den älteren Versionen (vor Version II.3) ein systematischer Fehler enthalten war, der alle Lebensmittel betraf, die Hefe enthielten. Wir gehen somit davon aus, daß es sich bei dieser Fehlerkorrektur um eine substantielle Verbesserung der in der Vergangenheit häufig als zu hoch kritisierten Folatwerte im BLS handelt. Um einen Eindruck über das Ausmaß der Korrekturen auf die ermittelte Folataufnahme zu erhalten, wurde eine vergleichende Aus- Bässler KH et al. (1997). Vitamin-Lexikon. G. Fischer; Frankfurt/ Main: Govi-Verlag 2 Bellach BM et al. (1998). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1997/ 98. Das Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: 59–68 3 Czeizel AE (1992). Prevention of the first occurrence of neuraltube defects by periconceptional vitamin supplementation. N Engl J Med 327: 1832–1835 4 Daly LE, Kirke PN, Molloy A, Weir DG, Scott JM (1995). Folate Levels and Neural Tube Defects. JAMA 274: 1698–1702 5 Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)(1991). Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr. Umschau Verlag, Frankfurt/Main 6 Egen V (1999). Umsetzung medizinischer Forschungsergebnisse in die Praxis am Beispiel der Prophylaxe von Neuralrohrdefekten durch Folsäure. Gesundheitswesen 61: A63–A64 7 Friedrich W (1987). Folsäure und unkonjugierte Pteridine. In: Friedrich W (Hrsg.). Handbuch der Vitamine. Urban und Schwarzenberg, München/Wien/Baltimore 8 Hages M et al. (1999). Zur Aktualisierung der deutschen Empfehlungen für die Folatzufuhr Teil 1: Ernährungs-Umschau 46: 248–251 9 Herbert V (1980). The Nutritional Anemias. Hosp Pract 15: 65– 89 10 Kitay DZ (1969) Folic Acid Deficiency in Pregnancy. Am J Obstet Gynecol 104: 1067–1107 11 Mensink GBM, Hermann-Kunz E, Thamm M (1998) Der Ernährungssurvey. Gesundheitswesen 60: Sonderheft 2: S83–S86 S212 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 12 Rinke U Koletzko B (1994) Prävention von Neuralrohrdefekten durch Folsäurezufuhr in der Frühschwangerschaft. Deutsches Ärzteblatt 91: A-30–37 13 Thefeld W, Stolzenberg H, Bellach BM (1999) Bundes-Gesundheitssurvey: Response, Zusammensetzung der Teilnehmer, NonResponder-Analyse. Gesundheitswesen 61: Sonderheft 2: S57– S61 M. Thamm, G. B. M. Mensink M. Thamm Robert Koch-Institut Postfach 650280 D-13302 Berlin S213 WEITERE THEMEN 1998 – ›› Umwelt-Survey Erste Ergebnisse Zusammenfassung: In enger Kooperation mit dem ersten gesamtdeutschen Bundes-Gesundheitssurvey 1998 wurde bei einer zufällig ausgewählten Unterstichprobe von etwa 4500 Fällen der Umwelt-Survey durchgeführt. Das Umweltbundesamt führte den Umwelt-Survey im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit durch. Die Probanden im Alter von 18 bis 69 Jahren unterzogen sich dabei einer umwelthygienischen/-medizinischen Untersuchung. Zur Interpretation der Meßergebnisse wurden Informationen zu umweltrelevanten Verhaltensweisen und belastungsrelevanten Bedingungen in den Haushalten und im Wohnumfeld erhoben. Erste vorläufige Ergebnisse weisen auf eine Reduzierung der korporalen Belastung mit Schwermetallen im Jahr 1998 gegenüber 1990/92 hin. Dennoch werden in Einzelfällen Belastungen ermittelt, bei denen eine gesundheitliche Beeinträchtigung möglich ist oder nicht ausreichend sicher ausgeschlossen werden kann. Für die Konzentrationen von Organochlorverbindungen im Blut können erstmalig auf der Grundlage der bevölkerungsrepräsentativen Erhebung Referenzwerte festgelegt werden. Im Bereich der Belastung des häuslichen Trinkwassers ist auch für 1998 festzustellen, daß die Richt- und Grenzwerte der Trinkwasserverordnung nicht immer eingehalten sind. Dies gilt vor allem für die Elemente Blei, Kupfer und Zink, die u.a. durch das Material der Hausinstallationen in das Trinkwasser gelangen können. Schlüsselwörter: Human-Biomonitoring – Pb – Cd – Hg – As – PCB – DDE – HCB – HCH – Trinkwasser – Bundesweit German Environmental Survey 1998 – Preliminary Results: In close connection with the German National Health Interview and Examination Survey 1998, a third round of the German Environmental Survey (GerES III) was carried out using a random subsample of about 4,500 subjects, which are representative for the German population aged 18 to 69 years. The GerES was carried out by the Federal Environmental Agency on behalf of the Federal Ministry for Environment, Nature Conservation and Reactor Safety. The participants had to undergo an examination in human-biomonitoring. An environmental questionnaire was used to get exposure-related information. Preliminary results indicate a reduction of the body burden with metals in 1998 compared with 1990/92. However, some individuals showed elevated values. For those people health effects are possible or cannot be excluded with sufficient certainty. Using the results of GerES III it will be possible for the Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S213–S215 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York C. Schulz, K. Becker, D. Helm, C. Krause Umweltbundesamt, Berlin first time to establish reference values for organochlorine compounds on a representative data basis. The examination of the tap water used in the subjects households shows that the limit and guideline values of the German Drinking Water Ordinance have not always been met in 1998. This holds especially for lead, copper, and zinc which are being used as pipematerial for domestic plumbing. Key words: Human Biological Monitoring – Pb – Cd – Hg – As – PCB – DDE – HCB – HCH – Tap Water – Nation Wide Einleitung Nach den Umwelt-Surveys 1985/86 und 1990/91 in den alten Bundesländern und 1991/92 in den neuen Bundesländern wird mit dem jetzt im Feld abgeschlossenen Umwelt-Survey 1998 ein weiterer Beitrag für eine regelmäßige Erfassung der Belastung der Bevölkerung mit Umweltschadstoffen geleistet. Mit der erneuten Bereitstellung repräsentativer Daten für eine gesundheitsbezogene Umweltberichterstattung auf nationaler Ebene ist eine Aktualisierung der bisherigen Daten möglich. Darüber hinaus können Daten zu Organochlorverbindungen im Blut sowie zu Bioziden, Flammenschutzmitteln und Weichmachern im Hausstaub zur Verfügung gestellt werden. Die aufwendigen Analysen und intensiven Auswertungen werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Im folgenden werden die ersten vorläufigen Ergebnisse, die Aussagen zu zeitlichen Trendentwicklungen erlauben, vorgestellt. Ferner wird eine erste Einschätzung dieser Ergebnisse anhand von Referenz-, Human-Biomonitoring-, Grenz- und Richtwerten vorgenommen. Eine ausführliche Darstellung und Diskussion der Ergebnisse kann erst im Zusammenhang mit den weiteren, tiefergehenden und endgültigen Auswertungen sowie im Rahmen der Berichterstellung vorgenommen werden. Ergebnisse An einer zufälligen Unterstichprobe des Bundes-Gesundheitssurveys wurden im Rahmen des Umwelt-Surveys 1998 knapp 4500 Erwachsene im Alter von 18 bis 69 Jahren auf ihre umweltbedingten korporalen Schadstoffbelastungen und ihre Schadstoffbelastungen im häuslichen Wohnbereich untersucht [Krause et al. 1998]. S214 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 Erste Ergebnisse zum Human-Biomonitoringweisen auf einen deutlichen Rückgang der Bleibelastungen im Blut und der Arsenausscheidung mit dem Urin im Jahr 1998 gegenüber 1990/ 92 für die erwachsene Bevölkerung sowohl in den alten als auch in neuen Ländern hin. Damit setzt sich der in den Jahren 1990/91 gegenüber 1985/86 in den alten Ländern festgestellte Trend einer ca. 30%igen Reduzierung der korporalen Blei- und Arsenbelastung [Krause et al. 1996] auf gesamtdeutscher Ebene fort. Eine weitere Minderung der korporalen Belastung ist für die Quecksilberausscheidung im Urin – insbesondere bei der Bevölkerung in den neuen Ländern – feststellbar. Ferner sind 1998 gegenüber 1990/92 kaum Veränderungen der korporalen Belastung mit Quecksilber im Blut und Cadmium im Urin zu erkennen. Die korporale Belastung mit Organochlorverbindungen im Blut (HCB, α-HCH, β-HCH, γ-HCH, DDE, PCB-138, PCB-153, PCB-180) wurde erstmalig in diesem Umwelt-Survey bei einem Unterkollektiv von ca. 2000 Fällen untersucht. Die Auswertungen der ersten 1200 Fälle ergeben zunehmende Gehalte mit zunehmendem Lebensalter, höhere mittlere DDEGehalte bei der Bevölkerung der neuen Länder, höhere mittlere PCB-Konzentrationen im Blut bei der Bevölkerung der alten Länder und höhere mittlere HCB-Gehalte bei den Frauen. Diese Ergebnisse decken sich mit den in der Literatur von kleineren Kollektiven her bekannten Zusammenhängen [Kappos et al. 1998, Kommission „Human-Biomonitoring“ 1999]. Die Belastung des häuslichen Trinkwassers mit Blei, Kupfer und Zink hat sich 1998 gegenüber 1990/92 hauptsächlich in den neuen Ländern verändert. Während hier eine Reduzierung der mittleren Bleibelastung zu beobachten ist, sind deutliche Zunahmen der Kupfer- und Zinkbelastung feststellbar. Die 1998 ermittelten Cadmiumgehalte im häuslichen Trinkwasser weisen gegenüber der Belastung in den Jahren 1990/ 92 keine wesentliche Veränderung auf. C. Schulz, K. Becker, D. Helm, C. Krause ebenfalls nicht vor. Um jedoch eine Orientierung für die umweltmedizinische Praxis zu geben, hat die Kommission die aus verschiedenen Laboratorien vorliegenden Daten, die nach 1994 ermittelt wurden, als Grundlage für eine Abschätzung der damaligen Hintergrundbelastung und zur Festlegung von Referenzwerten für β-HCH, HCB, PCB-138, -153 und -180 genutzt [Kappos et al. 1998, Ewers et al. 1999]. Ein Vergleich dieser altersspezifischen Referenzwerte mit den aus dem Umweltsurvey 1998 vorliegenden, noch nicht endgültigen 95% Perzentil-Werten zeigt eine recht gute Übereinstimmung, wobei eine Tendenz zu niedrigeren Referenzwerten für die PCBs im Jahr 1998 erkennbar wird. Jeder Untersuchungsteilnehmer erhielt ein Befundungsschreiben, welches die Analysenergebnisse und eine umwelthygienische Bewertung beinhaltete. Allen Probanden mit erhöhten Schwermetallgehalten im Blut oder im Urin wurden Nachuntersuchungen zur Kontrolle der Befunde angeboten. Im Falle von erhöhten Organochlorverbindungen erfolgte der Hinweis auf lokale Umweltambulanzen. Zwischen 3% (Blutentnahme), 20% (Morgenurin) und 40% (Trinkwasser) dieser Personen nahmen das Angebot einer Nachuntersuchung an. Wie bereits in den vorangegangenen Umwelt-Surveys [Becker et al. 1997] ist auch für 1998 festzustellen, daß die Grenz-/ Richtwerte der Trinkwasserverordnung [TrinkwV 1990] am häuslichen Zapfhahn in Deutschland nicht immer eingehalten werden. Überschreitungen der Richtwerte für Zink und Kupfer sind bei rund 1% und 2% der untersuchten Haushalte zu beobachten. Bei Blei wird der derzeit gültige Grenzwert der Trinkwasserverordnung (40μg/l) in knapp 1% der Fälle nicht eingehalten. Wie bereits aus dem Umwelt-Survey 1990/92 bekannt ist, treten in den neuen Ländern häufiger Bleiwerte >40μg/l im häuslichen Trinkwasser auf. Legt man den Parameterwert der neuen EU-Richtlinie (EU 1998) von 10μg/l für Blei zugrunde, ist in Deutschland von gut 5% Überschreitungen auszugehen. Umweltmedizinische bzw. -hygienische Bewertung Gemessen an den von der Kommission „Human-Biomonitoring“ des Umweltbundesamtes erarbeiteten Human-Biomonitoring (HBM)-Werten [Ewers et al. 1999] sind für 1998 bei etwa 0,5% der erwachsenen Bevölkerung korporale Belastungen (Blei oder Quecksilber im Blut sowie Quecksilber oder Cadmium im Urin) zu erwarten, bei denen eine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht ausreichend sicher ausgeschlossen werden kann. In Einzelfällen werden Werte ermittelt, insbesondere Bleigehalte im Blut, ab denen eine gesundheitliche Beeinträchtigung möglich ist. Bei rund 7 % der Probanden werden auffällige Arsengehalte [zur Definition s.: Krause et al. 1987] im Urin beobachtet. Aufgrund der Ergebnisse der Nachuntersuchungen, die im Rahmen der vorangegangenen Umwelt-Surveys durchgeführt wurden [Seiwert et al. 1999], dürfte es sich bei Arsen auch in diesem Survey um akute und nicht um chronische Belastungen handeln. Für eine Beurteilung von Konzentrationen an Organochlorverbindungen im Blut hat die Kommission „Human-Biomonitoring“ des Umweltbundesamtes aufgrund der bisher nicht ausreichenden umweltmedizinischen Datenlage keine HBMWerte abgeleitet. Repräsentative Untersuchungen für die deutsche Bevölkerung zur Beurteilung der Hintergrundbelastung und damit zur Festlegung von Referenzwerten lagen Ausblick In Analogie zu den vorangegangenen Umwelt-Surveys ist geplant, diverse Berichtsbände zu den Themen „Methodenbeschreibung“, „Fragebogenerhebung“, „Human-Biomonitoring“, „Trinkwasser“ und „Hausstaub“ zu publizieren. Diese Veröffentlichungen werden vor allem die deskriptiven Auswertungen beinhalten, da diese Form der Auswertung am besten dem Hauptziel des Umwelt-Surveys – Ermittlung und Aktualisierung von repräsentativen Daten über bestehende Schadstoffbelastungen der Bevölkerung – gerecht wird. Die Verteilungen der Stoffe in den jeweiligen Medien werden sowohl für die gesamte Bevölkerung als auch für diverse, unterschiedlich belastete Bevölkerungsgruppen dargestellt werden. Die Ergebnisse dienen u.a. einer bundeseinheitlichen Vorgehensweise bei Bewertungsfragen in der umweltmedizinischen Praxis. Darüber hinaus wird die Kommission „Human-Biomonitoring“ anhand der aktuellen Daten die bisherigen Referenzwerte aktualisieren und Referenzwerte für weitere Stoffe erstmalig festlegen können. Umwelt-Survey 1998 – Erste Ergebnisse Literatur 1 Becker K, Müssig-Zufika M, Hoffmann K, Krause C, Nöllke P, Schulz C, Seiwert M (1997). Umwelt-Survey 1990/92, Band V: Trinkwasser, Deskription der Spurenelementgehalte im Haushalts- und Wasserwerks-Trinkwasser der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. WaBoLu-Heft 5/97. Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Umweltbundesamtes, Berlin 2 EU (1998). Richtlinie des Rates über die Qualität des Wassers für den menschlichen Gebrauch (98/83/EG) vom 3. November 1998. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. L330 vom 5.12.1998, 32–54 3 Ewers U, Krause C, Schulz C, Wilhelm M (1999). Reference values and human biological biomonitoring values for environmental toxin. Int Arch Occup Environ Health 72: 255–260 4 Kappos AD, Schümann M, Angerer J (1998). Referenzwerte für die PCB-Kongenere Nr. 138, 153 und 180 und deren Summe in Humanblut. Versuch einer Bewertung der Datenlage in Deutschland 1996. Umweltmed Forsch Prax 3, 3: 135–143 5 Krause C, Thron HL, Wagner HM, Flesch-Janys D, Schümann M (1987). Ergebnisse aus Feldstudien über die Belastung der Bevölkerung mit Schwermetallen durch industrielle Quellen, Schr.-Reihe Verein WaBoLu 74, Fischer Verlag, Stuttgart, 105– 111 6 Krause C, Babisch W, Becker K, Bernigau W, Hoffmann K, Nöllke P, Schulz C, Schwabe R, Seiwert M, Thefeld W (1996). UmweltSurvey 1990/92, Band Ia: Studienbeschreibung und HumanBiomonitoring: Deskription der Spurenelementgehalte in Blut und Urin der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. WaBoLu-Heft 1/96. Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Umweltbundesamtes, Berlin 7 Krause C, Seifert B, Schulz C (1998). Umwelt-Survey 1997/98. Gesundheitswesen 60; Sonderheft 2: 577–582 8 Kommission „Human-Biomonitoring“ (1999). Statusbericht zur Hintergrundbelastung mit Organochlorverbindungen in Humanblut. Empfehlungen des Instituts für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Umweltbundesamtes, Kommission „HumanBiomonitoring“ des Umweltbundesamtes. Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 42, 5: 446–448 9 Seiwert M, Becker K, Friedrich C, Helm D, Hoffmann K, Krause C, Nöllke P, Schulz C, Seifert B (1999). Umwelt-Survey 1990/92, Band VIII: Arsen – Zusammenhangsanalyse. WaBoLu-Heft 3/99. Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Umweltbundesamtes, Berlin 10 TrinkwV. Verordnung über Trinkwasser und Wasser für Lebensmittelbetriebe (Trinkwasserverordnung vom 5. Dezember 1990). Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1990, Teil I, 2612–2629 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S215 C. Schulz, K. Becker Umweltbundesamt Corrensplatz 1 D-14195 Berlin S216 WEITERE THEMEN somatoforme und ›› Affektive, Angststörungen in Deutschland – Erste Ergebnisse des bundesweiten Zusatzsurveys „Psychische Störungen“ Zusammenfassung: Hintergrund und Fragestellungen: Bislang fehlten bundesweite epidemiologische Studien, die eine verläßliche Prävalenzabschätzung psychischer Störungen in der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen. Im folgenden werden erste Prävalenzbefunde aus dem Zusatzsurvey „Psychische Störungen“ des bundesweiten Gesundheitssurveys vorgestellt und folgende Fragestellungen untersucht: 1) Wie ist die 4-Wochen-Querschnitts-Prävalenz von affektiven, somatoformen und Angststörungen in Deutschland? 2) Wie häufig sind diese Störungen in verschiedenen Altersgruppen bei Frauen und Männern? 3) Lassen sich Prävalenzunterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern nachweisen? 4) Welche Auswirkungen haben psychische Störungen auf die Arbeitsproduktivität? Methode: Aufbauend auf dem Datensatz des Bundes-Gesundheitssurveys wurden in einem 2-Stufen-Design zunächst alle 7124 Teilnehmer des Kernsurveys mit einem ScreeningFragebogen (CID-S) und daraufhin n=4181 Probanden (100% der Screen-Positiven und 50% der Screen-Negativen) mit dem Composite International Diagnostic Interview (DIA-X-M-CIDI) untersucht. Die Ausschöpfungsrate betrug 87,6%. Ergebnisse: Affektive (6,3%), Angst- (9%) und somatoforme Störungen (7,5%) sind in allen Altersgruppen (zwischen 18 und 65 Jahren) der deutschen Allgemeinbevölkerung weit verbreitet; Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Der Vergleich der neuen mit den alten Bundesländern ergab geringere Prävalenzraten für somatoforme und affektive Erkrankungen in den neuen Bundesländern. Affektive Störungen wiesen mit im Mittel 1,3 Tagen/Monat vollständiger und 7,2 Tagen/Monat teilweise eingeschränkter Arbeitsproduktivität bedeutsam höhere Werte auf als Angst- und somatoforme Störungen. Schlußfolgerungen: Psychische Störungen in Form von affektiven, somatoformen und Angststörungen sind mit 17,3% in Deutschland weit verbreitet. Der Befund einer geringeren Morbiditätsrate an affektiven und somatoformen Störungen in den neuen Bundesländern widerspricht einer Reihe nicht epidemiologischer Untersuchungen mit anderer Methodik. Die Befunde zur Einschränkung der Arbeitsproduktivität verdeutlichen die gesundheitsökonomische Bedeutung psychischer Störungen. H.-U. Wittchen, N. Müller, H. Pfister, S. Winter, B. Schmidtkunz Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Klinische Psychologie und Epidemiologie German National Health Interview and Examination Survey – Mental Health Supplement (GHS-MHS): Background and aims: The paper informs about methods and field survey procedures used in the German National Health Interview and Examination Survey – Mental Health Supplement (GHS-MHS) – and provides 12-month prevalence estimates of affective, anxiety and somatoform disorders in the general population. Such data have previously not been available for Germany on a nationwide level. Methods: Findings are based on a two-stage design: In the first stage all the 7124 participants of the German National Health Interview and Examination Survey (core survey) completed the Composite International Diagnostic-Screener (CIDS) for mental disorders. In the second stage 4181 probands (all screen-positive and a random sample of 50% of the screennegative subjects) were interviewed with the full Composite International Diagnostic Interview (DIA-X-M-CIDI) by clinical interviewers. The overall response rate was 87.6%. Results: Affective (12-months prevalence estimate: 6.3%), anxiety (9%) and somatoform disorders (7.5%) are widespread in all age groups (18 to 65 years) of the German population; women are significantly more often affected than men. The prevalence rates of somatoform and affective disorders were found to be significantly lower in the former East German Länder as compared to the former West, whereas no such difference was found with regard to anxiety disorders. All disorders resulted in considerable reduction of work productivity during the past month; affective disorders reported on average 1.3 days/month total impairment and 7.2 days/month partial impairment, indicated significantly higher reduction in work productivity than anxiety and somatoform disorders. Conclusions: Affective, somatoform and anxiety disorders are highly prevalent mental disorders (total: 17.3%) in the German population. The result of a lower morbidity of affective and somatoform disorders in former East Germany was unexpected and requires further clarification. The findings on impairment of work productivity emphasize the economic impact of psychiatric disorders on society . Key words: Prevalence – Mental Disorders – Depression – Somatoform Disorders Schlüsselwörter: Prävalenz – Psychische Störungen – Angst – Depression – Somatoforme Störungen Einleitung Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S216–S222 © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York Psychische Störungen, insbesondere verschiedene Formen depressiver und Angsterkrankungen, gehören nach den Abschätzungen neuerer epidemiologischer Studien zu den besonders häufigen, kostenintensiven und sehr stark und oft dauerhaft die Lebensführung Betroffener einschränkenden Beitrag: 373.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S217 Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland Formen von Erkrankungen. Neuere, methodisch besonders sorgfältig durchgeführte Untersuchungen in den USA [Kessler et al. 1994], Kanada [Lin et al. 1997] und Australien [Andrews et al. 1999] lassen erkennen, daß fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung im Verlauf eines Jahres von einer psychiatrischen Erkrankung betroffen ist – jüngere Altersgruppen ebenso wie ältere. Diese Studien konnten auch aufzeigen, daß [Andrews et al. 1999] psychiatrische Erkrankungen häufig mit erheblichen psychosozialen Einschränkungen, insbesondere hinsichtlich Arbeitsproduktivität und Lebensgestaltung, wie auch mit deutlich erhöhten Arbeitsunfähigkeitszeiten verbunden sind und [Lin et al. 1997] nur ungefähr ein Drittel aller Betroffenen auch eine Behandlung erhält. Auch Hochrechnungen der WHO im Rahmen der Global Burden of Disease Studie [Murray, Lopez 1996] haben darauf aufmerksam gemacht, daß psychische Störungen insgesamt und depressive Störungen im besonderen bereits jetzt zu der Spitzengruppe der kostenintensivsten und am meisten beeinträchtigenden Krankheiten gehören und offensichtlich deutlich zunehmen; so wird geschätzt, daß vermutlich im Jahre 2020 allein Depressionen den zweiten Rangplatz unter den am stärksten belastenden Krankheitsformen einnehmen werden. Während die herausragende Bedeutung psychischer Störungen international seit vielen Jahren zunehmend politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit findet und psychische Störungen in der internationalen Public-Health-, epidemiologischen und Grundlagenforschung einen hohen Stellenwert einnehmen, wurde diese Thematik in Deutschland lange Zeit vernachlässigt. Mit Ausnahme einer Reihe regionaler bevölkerungsepidemiologischer Studien an Kindern und Jugendlichen [Döpfner et al. 1997; Schmidt et al. 1995; Wittchen et al. 1998], Erwachsenen [Fichter 1990, Wittchen et al. 1998; John] und Erwachsenen in höherem Alter [Bickel 1995; Fichter et al. 1996; Mayer, Baltes 1996; Weyerer 1995] fehlen verläßliche bundesweite Abschätzungen auf der Grundlage moderner diagnostischer Kriterien (ICD-10 [World, Health Organization 1991] oder DSM-IV [APA 1994]) völlig. Die genannten Studien liefern zwar einige wenige für die aktuelle Public-Health-Forschung relevante Informationen, aber sie erlauben aufgrund ihrer methodischen Eigenheiten und Grenzen weder eine bundesweite Abschätzung der Gesamtprävalenz psychischer Störungen noch Aussagen über einzelne Störungsformen und Prävalenzunterschiede zwischen neuen und alten Bundesländern, Behandlungsraten oder das Ausmaß der mit psychiatrischen Störungen einhergehenden psychosozialen Beeinträchtigungen und Behinderungen. Diese Ausführungen machen deutlich, daß der den bundesweiten Kernsurvey [Bellach et al. 1998] ergänzende bundesweite Zusatzsurvey „Psychische Störungen“ [Wittchen et al. 1998] eine signifikante klinische, deskriptiv-epidemiologische und gesundheitspolitische Aufwertung des Gesamtvorhabens bedeutet, die den aktuell diskutierten internationalen Forschungsprioritäten in besonderem Maße Rechnung trägt. Ziele und Fragestellungen Ziel dieses Beitrags ist es, die Methodik, das Untersuchungsvorgehen, die Ausschöpfung wie auch einige erste grob orientierende Prävalenzbefunde für drei besonders häufige Störungsgruppen zu berichten. Im einzelnen werden folgende Fragestellungen angesprochen: 1. Wie ist die 4-Wochen-Querschnitts-Prävalenz von affektiven, somatoformen und Angststörungen in Deutschland? 2. Wie häufig sind diese Störungen in verschiedenen Altersgruppen bei Frauen und Männern? 3. Lassen sich Prävalenzunterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern nachweisen? 4. Welche Auswirkungen haben psychische Störungen auf die Arbeitsproduktivität? Methodik Design und Vorgehen Das Studiendesign und die Untersuchungsinstrumente wurden kürzlich ausführlicher in einer gesonderten Publikation beschrieben, so daß hier nur kurz auf das Design eingegangen wird. Der Zusatzsurvey „Psychische Störungen“ wurde vom MaxPlanck-Institut für Psychiatrie auf der Grundlage der Stichprobe des Bundes-Gesundheitssurveys (Kernsurvey) des Robert-Koch-Instituts (RKI) in einer zeitlich getrennten, persönlichen Zusatzuntersuchung durchgeführt. Dabei kam aus Effizienzüberlegungen heraus ein 2stufiges Untersuchungsdesign zum Einsatz: Es füllten zunächst alle 7124 Teilnehmer des Kernsurveys einen Screening-Fragebogen (Composite International Diagnostic-Screener [CID-S]) [Wittchen et al. 1999] aus, der im Rahmen des Arztinterviews im Kernsurvey vorgegeben wurde. Alle Screen-Positiven und eine Zufallsauswahl von 50% der Screen-Negativen wurden dann zu einem gesonderten, knapp einstündigen klinisch-psychiatrischen Untersuchungsgespräch eingeladen, das mittels des computergestützten Composite International Diagnostic Interviews (DIA-X-M-CIDI) [Wittchen, Semler 1991] durchgeführt wurde. Untersucht wurden alle Teilnehmer des Kernsurveys mit Ausnahme der Altersgruppe 66–79jähriger, da das CIDI für diese Altersgruppe nur unzureichend validiert ist. Diagnostische Fallfindung mit dem CIDI Die Untersuchungsteilnehmer wurden mit einer leicht modifizierten Fassung des computerisierten DIA-X-CIDI untersucht [Wittchen, Pfister 1997]. Das DIA-X Composite International Diagnostic Interview Schedule ist eine modifizierte Version des World Health Organization – CIDI [World, Health Organization 1991; World Health Organization 1997], das in einer Papier- und Bleistiftversion und einer computerisierten Version verfügbar ist. Für die Studie wurde aus Gründen der Kosteneffizienz und besseren Qualität der Daten die computerisierte Version eingesetzt. Das CIDI erlaubt die standardisierte Erfassung von Symptomen, Syndromen und Diagnosen ausgewählter psychischer Störungen gemäß den Kriterien von ICD-10 [World Health Organization 1991] und DSM-IV [APA 1994], die Beurteilung von Beginn, Dauer und Verlauf der Syndrome sowie des klinischen und psychosozialen Schweregrades und resultierender Komplikationen. Ferner werden standardisiert für alle „Schlüsselsyndrome“ das Hilfesuchverhalten bei Ärzten und anderen sowie die Medikamenteneinnahme erfragt und kodiert. Zusätzliche Standard-Prüffragen ermöglichen zudem die Beschreibung von körperlichen Faktoren und Erkrankungen, die im Zusammenhang mit den vom Probanden beschriebenen Symptomen stehen. Die Auswertung erfolgt computerisiert über das Standard-DIA-X-CIDI-Programm ge- Beitrag: 373.fm Ausdruck vom 25.5.00 S218 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H.-U. Wittchen et al. Abb. 1 Die Stichprobe des Zusatzsurveys „Psychische Störungen“. Kernsurvey-Stichprobe (RKI) 7124 Neutrale Ausfälle 965 zu alt 962 Ausgangsstichprobe Zusatzsurvey Psychische Störungen 6159 fehlend 3 verweigert 71 unauffällig 2614 nicht ausgewählt 1313 auffällig 3474 ausgewählt 1301 Ausfall 423 durchgeführt 3051 durchgeführt 1130 Ausfall 171 mäß den Kriterien von DSM-IV und den Forschungskriterien der ICD-10 und ist somit auswerterobjektiv. ren; der Zeitabstand zwischen Kernsurvey und Zusatzsurvey betrug im Mittel (Median) 24 Tage. Die Reliabilität und prozedurale Validität des CIDI-Ansatzes wurden in verschiedenen Untersuchungen überprüft [Lachner et al. 1998, Reed et al. 1998, Wittchen 1994, Wittchen et al. 1998]. Zusätzlich wurde auch die Reliabilität und prozedurale Validität des CIDI mit seinen Ergänzungen überprüft. Die mittlere Dauer der Durchführung des Interviews beträgt 45 Minuten. Ausschöpfung und untersuchte Stichprobe Interviewer, Training und Durchführung der Feldarbeit Insgesamt 24 klinisch erfahrende Interviewer(innen) – überwiegend klinische Psychologinnen (n=18; 75%) – führten die Untersuchungsgespräche im Feldarbeits-Zeitraum November 1997 bis April 1999 durch. Alle Interviewer – ungeachtet ihrer Vorerfahrungen mit dem Studieninstrument – nahmen an zumindest einem der insgesamt fünf zweitägigen DIA-X-CIDIStudientrainings teil, die im Studienverlauf zur Qualitätssicherung, Nachschulung alter und Erstschulung neuer Interviewer stattfanden. Über den gesamten Studienverlauf hinweg nahmen alle Interviewer jeweils nach 25 Interviews an klinischen Editoren-Sitzungen mit erfahrenen Feld-Supervisoren der Arbeitsgruppe teil, welche die abgegebenen Interviews auf formale und inhaltliche Korrektheit prüften. Darüber hinaus wurden alle Interviewer durch die I+G Gesundheitsforschung über Datenschutz und Feldarbeitsbelange belehrt und trainierten in Rollenspielübungen das Kontaktverhalten, um eine möglichst hohe Ausschöpfung zu erzielen. Die Feldarbeit und Kontaktaufnahme mit den Zielprobanden wurde in Abstimmung mit der Kernsurvey-Organisation möglichst bald nach Beendigung der Arbeiten des Kernsurveyteams begonnen. Dabei berichteten die Kernsurvey-Interviewer der Studienzentrale die untersuchten Personen und übergaben die für den Zusatzsurvey notwendigen Daten (Screening-Fragebogen und Krankheitsliste, Einverständniserklärung). Daraufhin wurden auf der Grundlage der Screening-Befunde die Zielpersonen ausgewählt und möglichst innerhalb von 3 Wochen nach der Kernsurvey-Befragung nochmals von der Einsatzzentrale und den Interviewern zur Vereinbarung eines Untersuchungstermins kontaktiert. Die Interviewer reisten dann in den jeweiligen Sample point und führten innerhalb von etwa 10 Tagen die Zielpersonen-Interviews durch. Es wurden bis zu 15 telefonische, briefliche oder persönliche Kontaktversuche unternommen, um ein Interview zu realisie- Die Kernsurvey-Stichprobe bestand aus n=7124 Teilnehmern, aus welchen nach Ausschluß aller älteren Teilnehmer (neutrale Ausfälle insgesamt n=965) die für den Zusatzsurvey relevante Ausgangsstichprobe von n=6159 resultiert (Abb. 1). N=71 Probanden verweigerten bereits vor der Kontaktaufnahme grundsätzlich die Teilnahme am Zusatzsurvey und wurden nicht kontaktiert. Kontaktiert wurden alle Screen-Positiven (n=3474) und 50% der insgesamt 2614 Screen-Negativen. Mit insgesamt 4181 Personen wurden vollständige Interviews realisiert, mit einer außerordentlich hohen Ausschöpfungsrate von 87,6%. Bezüglich der Screen-Positiven und -Negativen ergaben sich keine wesentlichen Unterschiede in der Ausschöpfung (87,8% vs. 86,9%). Allerdings variierten die Ausschöpfungsraten leicht zwischen den Bundesländern; die niedrigste Ausschöpfungsrate ergab sich für MecklenburgVorpommern (78,5%), die höchsten Raten mit über 90% ergaben sich für das Saarland (92,2%), Thüringen (91,7%), Niedersachsen (90,6%) und Baden-Württemberg (90,3%). Unter den Ausfallgründen dominierte die Verweigerung (n=418; 70,4% der Ausfälle) und das Nicht-Antreffen irgendeiner Person im Haushalt (n=93; 15,7% der Ausfälle); alle übrigen Ausfallgründe lagen unter 7%. Soziodemographische Charakteristik Tab. 1 zeigt die Charakteristik der Untersuchungsstichprobe im Vergleich zur deutschen Gesamtbevölkerung vor sowie nach Gewichtung der Daten (entsprechend Screening-Status und der Demographiegewichtung des Gesamtsurveys). Obwohl sich insgesamt nur marginale Unterschiede unserer Untersuchungsstichprobe gegenüber der Ausgangsstichprobe (Kernsurvey) sowie der Gesamtbevölkerung ergeben, ist doch tendenziell die höhere Nichtteilnahmerate der Männer, insbesondere in den Altersgruppen 25–44, bemerkenswert. Tab. 2 gibt eine grobe soziodemographische Charakteristik nach neuen und alten Bundesländern. Dabei fällt insbesondere eine Reihe von Unterschieden hinsichtlich des aktuellen Berufstätigkeitsstatus auf. In den neuen Bundesländern sind deutlich mehr Studienteilnehmer arbeitslos (12,6% vs. 4,1%) oder vorzeitig berentet (6,6 vs. 4,6), allerdings geben in den neuen Bundesländern signifikant weniger an, Hausfrau/ -mann zu sein (1,8% vs. 9,7%). Beitrag: 373.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S219 Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland Tab. 1 Soziodemographische Verteilung der Bundesdeutschen Bevölkerung, der Ausgangsstichprobe und der Probanden (ungewichtet und gewichtet) deutsche Bevölkerung 31.12.97 Ausgangsstichprobe Untersuchungsstichprobe (Zusatzsurvey) Alter n %total (Kernsurvey) n %total gesamt n %total % aus Screen positiv1 n %total %Pos Screen negativ1 n %total & Neg gesamt Nw %w gesamt 48623582 100,0 6159 100,0 4181 100,0 67,9 3051 100,0 1130 100,0 4181 100,0 18–19 20–24 25–29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65 1555877 3726957 5120766 6429299 6162182 5408909 4992542 4156613 5577400 4745123 747914 3,2 7,7 10,5 13,2 12,7 11,1 10,3 8,5 11,5 9,8 1,5 267 454 562 755 800 668 644 561 795 601 52 4,3 7,4 9,1 12,3 13,0 10,8 10,5 9,1 12,9 9,8 0,8 181 296 374 513 555 460 454 399 525 389 35 24450239 50,3 3034 49,3 1913 18–19 20–24 25–29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65 796858 1902813 2613438 3276986 3129616 2740595 2521729 2071472 2751744 2292016 352972 1,6 3,9 5,4 6,7 6,4 5,6 5,2 4,3 5,7 4,7 0,7 142 242 262 372 395 320 310 288 387 290 26 2,3 3,9 4,3 6,0 6,4 5,2 5,0 4,7 6,3 4,7 0,4 94 152 165 230 254 215 199 190 234 165 15 Frauen 24173343 49,7 3125 50,7 2268 18–19 20–24 25–29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65 759019 1824144 2507328 3152313 3032566 2668314 2470813 2085141 2825656 2453107 394942 1,6 3,8 5,2 6,5 6,2 5,5 5,1 4,3 5,8 5,0 0,8 125 212 300 383 405 348 334 273 408 311 26 2,0 3,4 4,9 6,2 6,6 5,7 5,4 4,4 6,6 5,0 0,4 87 144 209 283 301 245 255 209 291 224 20 Männer 1 4,3 7,1 8,9 12,3 13,3 11,0 10,9 9,5 12,6 9,3 0,8 87,8 43,2 67,8 65,2 66,5 67,9 69,4 68,9 70,5 71,1 66,0 64,7 67,3 131 215 251 369 396 347 331 296 406 284 25 4,3 7,0 8,2 12,1 13,0 11,4 10,8 9,7 13,3 9,3 0,8 88,5 82,1 86,6 89,1 90,2 88,5 88,3 90,0 85,5 88,5 86,2 50 81 123 144 159 113 123 103 119 105 10 4,4 7,2 10,9 12,7 14,1 10,0 10,9 9,1 10,5 9,3 0,9 42,7 43,5 47,1 43,1 44,9 42,6 47,5 45,0 37,9 38,6 43,5 134 320 440 553 530 465 429 357 480 408 64 3,2 7,7 10,5 13,2 12,7 11,1 10,3 8,5 11,5 9,8 1,5 45,8 63,1 1255 41,1 85,9 658 58,2 42,7 2102 50,3 66,2 62,8 63,0 61,8 64,3 67,2 64,2 66,0 60,5 56,9 57,7 60 100 99 152 165 146 126 128 158 109 12 2,0 3,3 3,2 5,0 5,4 4,8 4,1 4,2 5,2 3,6 0,4 88,2 80,0 86,8 86,4 86,8 90,7 86,3 87,1 81,0 87,2 85,7 34 52 66 78 89 69 73 62 76 56 3 3,0 4,6 5,8 6,9 7,9 6,1 6,5 5,5 6,7 5,0 0,3 45,9 46,0 46,2 40,4 44,1 45,7 45,3 44,0 40,2 34,6 25,0 69 164 225 282 269 236 217 178 237 197 30 1,6 3,9 5,4 6,7 6,4 5,6 5,2 4,3 5,7 4,7 0,7 54,2 72,6 1796 58,9 89,2 472 41,8 44,0 2079 49,7 71 115 152 217 231 201 205 168 248 175 13 2,3 3,8 5,0 7,1 7,6 6,6 6,7 5,5 8,1 5,7 0,4 88,8 83,9 86,4 91,2 92,8 87,0 89,5 92,3 88,6 89,3 86,7 16 29 57 66 70 44 50 41 43 49 7 1,4 2,6 5,0 5,8 6,2 3,9 4,4 3,6 3,8 4,3 0,6 37,2 39,7 48,3 46,8 46,1 38,6 51,0 46,6 34,4 44,5 63,6 65 157 216 271 261 229 212 179 243 211 34 1,6 3,8 5,2 6,5 6,2 5,5 5,1 4,3 5,8 5,0 0,8 2,2 3,6 3,9 5,5 6,1 5,1 4,8 4,5 5,6 3,9 0,4 2,1 3,4 5,0 6,8 7,2 5,9 6,1 5,0 7,0 5,4 0,5 69,6 67,9 69,7 73,9 74,3 70,4 76,3 76,6 71,3 72,0 76,9 Screen positiv = mindestens eine der CID-S Fragen wurde bejaht, Screen negativ = keine der CID-S Fragen wurde bejaht Ergebnisse Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland Im folgenden werden die 4-Wochen-Querschnitts-Prävalenzen für drei Hauptstörungsgruppen (affektive, Angst- und somatoforme Störungen) berichtet. Die affektiven Störungen umfassen folgende spezifische Diagnosen gemäß der ICD-10Klassifikation: F30 Manische Episode, F31 Bipolare affektive Störung, F32 Depressive Episode, F33 Rezidivierende depressive Störung sowie F34.1 Dysthymie. Dabei werden alle Subtypen der ICD-10 (Kodierungen an 3. und 4. Stelle) berücksichtigt. Die Angststörungen umfassen F40.0 Agoraphobie, F40.1 Soziale Phobie, F40.2 Spezifische Phobie, F40.8 Sonstige phobische Störungen, F41.0 Panikstörung, F41.1 Generalisierte Angststörung sowie F42.0 Zwangsstörung. Bezüglich somatoformer Störungen werden hier F45.0 Somatisierungsstörung, F45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung, F45.2 Hypochondrische Störung und F45.4 Anhaltende somatoforme Schmerzstörung berücksichtigt. Abb. 2 berichtet die Prävalenzraten zusammen mit ihren 95% Konfidenzintervallen; 9% aller 18–65jährigen erfüllten zum Untersuchungszeitpunkt die Kriterien einer Angsterkrankung, 7,5% einer somatoformen und 6,3% die einer affektiven Störung. Insgesamt waren 17,2% oder bevölkerungsbezogen 8,35 Millionen der deutschen Bevölkerung in dieser Altersgruppe betroffen. Dabei muß berücksichtigt werden, daß ein bedeutsamer Prozentsatz der Untersuchten die Kriterien von mehr als einer psychischen Störung erfüllte. Frauen waren insgesamt – mit Ausnahme 18–35jähriger mit affektiven Störungen – von jeder Störungsgruppe signifikant häufiger betroffen als Männer (Tab. 3). Deutlich wird auch, daß psychische Störungen in jeder der untersuchten Alters- Beitrag: 373.fm Ausdruck vom 25.5.00 S220 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H.-U. Wittchen et al. Tab. 2 Soziodemographische Beschreibung der Stichprobe des Zusatzsurveys gesamt n Nw %w 95% KI1 alte Bundesländer n Nw %w 95% KI1 neue Bundesländer n Nw %w 95% KI1 1913 2268 2102 2079 50,28 49,72 (48,57 – 52,00) (48,00 – 51,43) 1301 1669 1512 1656 50,20 49,80 (48,17 – 52,22) (47,78 – 51,83) 612 434 756 423 50,63 (47,68 – 53,57) 49,37 (46,43 – 52,32) 1466 992 1723 1542 981 1659 36,9 23,46 39,67 (35,20 – 38,58) (22,03 – 24,94) (37,99 – 41,37) 1017 1236 663 773 1133 1316 37,17 23,25 39,58 (35,21 – 39,18) (21,59 – 24,99) (37,61 – 41,59) 449 306 329 208 590 343 35,73 (32,89 – 38,67) 24,27 (21,80 – 26,92) 40,00 (37,18 – 42,89) 2617 97 991 277 119 80 2625 95 1021 244 114 83 62,79 2,27 24,41 5,83 2,72 1,98 (61,11 – 64,44) (1,83 – 2,82) (22,95 – 25,94) (5,11 – 6,64) (2,21 – 3,35) (1,53 – 2,54) 1738 2085 74 81 695 815 168 182 82 90 56 70 62,73 2,44 24,53 5,47 2,72 2,11 (60,74 – (1,92 – (22,82 – (4,65 – (2,13 – (1,59 – 64,67) 3,10) 26,32) 6,42) 3,47) 2,81) 879 23 296 109 37 24 540 14 205 62 23 12 63,04 (60,10 – 65,87) 1,61 (1,03 – 2,52) 23,96 (21,43 – 26,68) 7,21 (5,89 – 8,81) 2,74 (1,90 – 3,93) 1,44 (0,93 – 2,23) Berufstätigkeit nein 1531 Schule 77 Hochschule 78 Altersh. Rente 175 Vorz. Rente 216 arbeitslos 307 Hausfrau/-mann 322 Wehr-/Zivildienst 9 Umschulung 34 nichts davon 228 missing 85 ja 2650 <15 h 228 15–34 h 391 2031 ≥ 35 h 1466 65 87 187 211 244 340 9 24 214 86 2715 246 362 2107 35,06 1,55 2,07 4,48 5,04 5,85 8,12 0,21 0,58 5,11 2,06 64,94 5,88 8,66 50,40 (33,44 – 36,72) (1,21 – 1,98) (1,62 – 2,65) (3,74 – 5,36) (4,34 – 5,85) (5,14 – 6,65) (7,25 – 9,09) (0,10 – 0,42) (0,40 – 0,82) (4,43 – 5,90) (1,61 – 2,62) (63,28 – 66,56) (5,11 – 6,76) (7,77 – 9,65) (48,67 – 52,12) 988 1136 62 55 53 68 98 140 126 154 120 136 296 324 7 8 16 14 150 165 60 73 1825 2188 197 225 279 300 1349 1663 34,18 1,65 2,06 4,20 4,63 4,09 9,74 0,23 0,42 4,97 2,18 65,82 6,75 9,04 50,03 (32,28 – (1,26 – (1,54 – (3,35 – (3,84 – (3,36 – (8,66 – (0,11 – (0,25 – (4,18 – (1,66 – (63,87 – (5,82 – (7,98 – (48,00 – 36,13) 2,17) 2,74) 5,27) 5,58) 4,98) 10,93) 0,50) 0,69) 5,90) 2,88) 67,72) 7,83) 10,22) 52,07) 543 15 25 77 90 187 26 2 18 78 25 825 31 112 682 330 9,7 18 48 57 108 16 1 10 49 13 527 21 62 444 38,49 1,13 2,14 5,55 6,62 12,64 1,84 0,13 1,20 5,69 1,55 61,51 2,49 7,20 51,82 Geschlecht Männer Frauen Alter 18–35 36–45 45–65 Familienstand verheiratet getrennt ledig geschieden verwitwet missing 1 (35,66 (0,64 (1,34 (4,34 (5,28 (10,85 (1,19 (0,03 (0,74 (4,47 (1,02 (58,60 (1,67 (5,89 (48,86 – – – – – – – – – – – – – – – 41,40) 2,01) 3,40) 7,06) 8,27) 14,67) 2,83) 0,51) 1,95) 7,20) 2,36) 64,34) 3,69) 8,78) 54,76) (Konfidenzintervall) Tab. 3 Prävalenz von psychischen Störungen in der Bundesrepublik in den letzten 4 Wochen nach Alter und Geschlecht DSM-IV Störung Alter Männer Nw %w Frauen Nw %w 95% KI2 95% KI2 Frauen vs. Männer OR1 95% KI2 affektive Gesamt 18–35 36–45 46–65 100 32 17 51 4,75 4,08 3,40 6,24 (3,82 (2,71 (2,01 (4,65 – – – – 5,89) 6,10) 5,70) 8,33) 163 43 36 84 7,82 5,57 7,78 9,89 (6,71 (4,11 (5,67 (7,96 – 9,10) – 7,50) – 10,58) – 12,24) 1,69* 1,39* 2,40* 1,65* (1,27 (0,81 (1,27 (1,11 – 2,24) – 2,36) – 4,53) – 2,44) Gesamt 18–35 36–45 46–65 110 42 25 43 5,25 5,46 4,92 5,27 (4,37 (3,99 (3,39 (3,92 – – – – 6,30) 7,41) 7,08) 7,05) 265 102 59 104 12,74 13,32 12,64 12,27 (11,38 (11,10 (9,93 (10,18 – 14,24) – 15,92) – 15,94) – 14,71) 2,64* 2,66* 2,79* 2,52* (2,09 (1,80 (1,74 (1,73 – 3,34) – 3,93) – 4,49) – 3,66) Gesamt 18–35 36–45 46–65 104 24 23 56 4,93 3,14 4,53 6,90 (4,05 (2,08 (3,04 (5,25 – – – – 5,99) 4,70) 6,68) 9,01) 208 68 52 88 9,99 8,87 11,09 10,40 (8,68 (6,91 (8,45 (8,33 – 11,48) – 11,32) – 14,43) – 12,91) 2,13* 3,01* 2,63* 1,57* (1,64 (1,82 (1,58 (1,07 – 2,76) – 4,95) – 4,39) – 2,29) Gesamt 18–35 36–45 46–65 245 81 51 113 11,65 10,42 9,94 13,89 (10,25 (8,25 (7,55 (11,50 –13,21) –13,08) –12,98) –16,68) 473 169 107 197 22,75 21,96 23,01 23,31 (20,92 (19,04 (19,33 (20,40 – 24,69) – 25,19) – 27,17) – 26,50) 2,23* 2,42* 2,71* 1,88* (1,86 (1,76 (1,86 (1,43 – 2,67) – 3,31) – 3,94) – 2,48) Angst somatoforme irgendeine 1 2 Odds Ratio kontrolliert nach Alter (Konfidenzintervall) gruppe ähnlich häufig auftreten und nur bei den Männern tendenziell höhere Prävalenzraten im Alter von 45–65 Jahren beobachtet werden. Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität Abb. 3 verdeutlicht, daß psychische Störungen mit deutlich verringerter Arbeitsproduktivität einhergehen. Auf die Frage, an Beitrag: 373.fm Ausdruck vom 25.5.00 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S221 Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland tio: 1,4; 95% KI: 1,06–1,87) Störungen sind in den alten Bundesländern signifikant häufiger als in den neuen Ländern (Tab. 4). Dieser Unterschied ist sowohl bei Männern wie auch bei Frauen nachzuweisen. Demgegenüber ergeben sich keine Unterschiede hinsichtlich der Prävalenz von Angststörungen. Daraus ergibt sich unter ausschließlicher Berücksichtigung dieser drei Störungsgruppen, daß Personen in den neuen Bundesländern eine signifikant niedrigere Prävalenzrate aufweisen (Odds ratio: 1,2; 95% KI: 1,0–1,5). 4-Wochen Prävalenz in % 18,0 16,0 17,2 (16,0-18,4) 14,0 12,0 10,0 8,0 9,0 (8,2-9,9) 6,0 7,5 (6,6-8,3) 6,3 (5,5-7,1) 4,0 Diskussion 2,0 0,0 Affektive Störungen Angststörungen Somatoforme Störungen Irgendeine Störung Abb. 2 4-Wochen-Prävalenz affektiver, Angst- und somatoformer Störungen. Diagnose 0,3 keine psych. Störung 0,1 3,5 Irgendeine 0,6 eingeschränkt arbeitsunfähig 2,7 Die ersten Befunde aus dem Zusatzsurvey „Psychische Störungen“ unterstreichen zunächst, daß ungeachtet der Ausschöpfung im Kernsurvey das 2-Stufen-Vorgehen im Zusatzsurvey erfolgreich realisiert wurde. Die erzielte hohe Ausschöpfung von 87,6% macht es – auch unter Berücksichtigung unserer zusätzlichen Prüfprozeduren hinsichtlich verschiedener soziodemographischer Variablen – unwahrscheinlich, daß gegenüber dem Kernsurvey weitere systematische Ausfalleffekte aufgetreten sind. Weiter eröffnen sich mit dieser hohen Ausschöpfungsrate auch methodisch attraktive Möglichkeiten zukünftiger vertiefender Analysen gemeinsam mit den Daten des Kernsurveys. Somatoforme 0,7 4,6 Angst 0,8 7,2 Affektive 1,3 0,0 2,0 4,0 6,0 8,0 Abb. 3 Tage mit teilweise oder vollständig eingeschränkter Arbeitsproduktivität (in den letzten 4 Wochen) bei affektiven, Angst- und somatoformen Störungen. wie vielen Tagen in den vergangenen 4 Wochen Betroffene „wegen ihrer psychischen Probleme überhaupt nicht in der Lage“ bzw. „zumindest leicht eingeschränkt“ waren, ihrer Arbeit und ihren beruflichen/Haushalts-Verantwortlichkeiten nachzugehen, gaben Personen mit affektiven Störungen im Mittel 1,3 (95% KI: 0,70–1,80) Arbeitsunfähigkeitstage und 7,2 (95% KI: 5,81–8,53) Tage mit eingeschränkter Arbeitsproduktivität an. Bei Angststörungen lagen die Werte mit 0,8 bzw. 4,6 Tagen und bei somatoformen Störungen mit 0,7 bzw. 2,7 Tagen deutlich niedriger. Alle Angaben sind jedoch gegenüber Personen ohne eine dieser Störungen (0,1 bzw. 0,3 Tage) deutlich erhöht. Sind psychische Störungen in den neuen Bundesländern häufiger? Somatoforme (alte 8,0% vs. neue 5,5%; Odds ratio: 1,5; 95% KI: 1,13–1,99) und affektive (alte 6,7% vs. neue 4,8%; Odds ra- Zugleich liefert dieses Ergebnis auch einen weiteren Nachweis der Realisierbarkeit differenzierter epidemiologischer Datenerhebungen zu einem weiten Spektrum psychischer Störungen auf der Grundlage des standardisierten Composite International Diagnostic Interviews als Fallfindungsinstrument in Allgemeinbevölkerungsstudien. Damit stehen erstmals auch für die Bundesrepublik, ähnlich wie in den angloamerikanischen Ländern, reliable und international direkt vergleichbare Bezugsdaten zur psychiatrischen Morbidität zur Verfügung. Obwohl wir in diesem ersten Auswertungsschritt nur diagnostisch aggregierte Daten für drei Störungsgruppen berichten können, deuten auf der inhaltlichen Ebene unsere Befunde schon jetzt an, daß affektive, Angst- und somatoforme Störungen in der deutschen Allgemeinbevölkerung in allen Altersstufen weit verbreitet sind. Nahezu jeder fünfte Bundesbürger litt zum Befragungszeitpunkt an einer der hier untersuchten psychischen Störungen. Die ermittelte Gesamtprävalenz wie auch die Häufigkeit der einzelnen Störungen decken sich weitgehend mit entsprechenden Daten aus den USA, Kanada sowie Australien und Großbritannien [Andrews et al. 1999; Kessler et al. 1994; Lin et al. 1997; Meltzer et al. 1995] und stehen auch im Einklang mit unseren regionalen Daten aus der EDSP [Wittchen et al. 1998]. Bemerkenswert ist, daß die Prävalenzbefunde mit geringen Variationen in allen Altersgruppen ähnlich ausfallen; dies unterstreicht, daß affektive, Angst- und somatoforme Störungen kein alters- Tab. 4 Prävalenz von psychischen Störungen in der Bundesrepublik in den letzten 4 Wochen DSM-IV Störung alte Bundesländer Nw %w 95% KI2 affektive Angst somatoforme irgendeine 221 298 265 589 1 2 6,65 8,97 7,96 17,73 (5,76 (8,01 (7,00 (16,34 neue Bundesländer Nw %w 95% KI2 – 7,67) – 10,04) – 9,04) – 19,20) 41 77 47 128 4,82 8,98 5,46 14,99 (3,84 (7,58 (4,33 (13,17 Odds Ratio kontrolliert nach Geschlecht und Alter (Konfidenzintervall) Beitrag: 373.fm Ausdruck vom 25.5.00 alte vs. neue Bundesländer OR1 95% KI2 – – – – 6,04) 10,60) 6,86) 17,03) 1,41* 1,00* 1,50* 1,22* (1,06 (0,79 (1,13 (1,02 – – – – 1,87) 1,25) 1,99) 1,47) S222 Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 H.-U. Wittchen et al. gruppenspezifisches Phänomen sind bzw. nicht auf krisenhafte entwicklungspsychologische oder -biologische Phasen begrenzt sind. Bemerkenswert sind auch die eindrücklichen Befunde zur vollständig und teilweise eingeschränkten Arbeitsproduktivität bei allen Formen psychischer Störungen, insbesondere aber bei affektiven Störungen, unter denen die Typische Depression (Major depression) die häufigste Einzeldiagnose ist. Dies verdeutlicht die Größenordnung und die gesundheitsökonomische Bedeutung psychischer Störungen in unserer Gesellschaft. Wie auch schon in früheren Untersuchungen kurz nach der Wiedervereinigung [Wittchen et al. 1994] finden wir, daß die Prävalenz psychischer Störungen in den neuen Bundesländern im Vergleich zu den alten Bundesländern eher niedriger als höher ist. Signifikant niedriger fällt in unserer Untersuchung sowohl die Prävalenz affektiver als auch somatoformer Störungen aus. Dieser Befund ist bemerkenswert und steht durchaus im Gegensatz zu einer Reihe von nicht-epidemiologischen Untersuchungen mit anderer Methodik, die auf eine höhere oder gar ansteigende Prävalenz in den neuen Bundesländern hingewiesen haben. Wir können nur mutmaßen, daß diese Divergenz auf unterschiedliche Definitionen und Kriterien psychischer Störung rückführbar ist. So könnte es sein, daß zwar subjektiv geäußerte und über Fragebogen ermittelte psychische Beschwerden in den neuen Bundesländern durchaus häufiger sind; nach unseren Befunden scheint dies aber nicht für manifeste Formen psychischer Störungen zu gelten. Literatur 1 Andrews G, Hall W, Teesson M, Henderson S (1999). The mental health of Australians: National Survey of Mental Health and Wellbeing Report 2. Commonwealth Mental Health Branch, Canberra Act 2 APA. Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders [4th ed] (DSM-IV) (1994). Deutsch: Saß H, Zaudig M, Wittchen HU. Hogrefe (1996) 3 Bellach BM, Knopf H, Thefeld W. 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