Jahrbuch - Internationales Studienzentrum Berlin - Max-Kade-Haus

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Jahrbuch - Internationales Studienzentrum Berlin - Max-Kade-Haus
ISB-Jahrbuch 2011/12 | Studentenwerk Berlin
Anstalt des öffentlichen Rechts
Jahrbuch
2011/12
Schriften zur Hochschul-Sozialpolitik
Das Studienjahr 2011 im Internationalen Studienzentrum Berlin / Max Kade-Haus
www.studentenwerk-berlin.de
www.isb-bln.de
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Inhalt:
Grußwort
3
Mitglieder des Beirats
Liste der Bewohnerinnen und Bewohner des ISB
4
5
Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner
Kann eine Sprache eine andere beein‹ussen?
Ein Beispiel des soziolinguistisch motivierten Sprachwechsels
Otto Freundlich - Die abstrakte Kunst der Universalsprache
Messestadt Berlin
Light your Fire
Familientherapie nach Virginia Satir
Der Ehebruch in der Literatur
Göttingen und seine Universität
Health Systems in Transitions
„Mord ist ein Verbrechen – keine Ehrensache!“
Der Rechtsstaat in der postsowjetischen Gegenwart
Berlin, eine Stadt mit vielen Seiten
Global Cities
Geschichte der Menschenrechte als ein Drama ständigen
Ringens und kontinuierlichen Fortschritts
Wetterfühlig?!
Stadtentwicklung und räumliche Visionen:
Berlin und London
Das Prinzip Babylon – in Geschichte, Gegenwart
und Politik
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Beiträge der Gäste
ISB-Reise in Raum und Zeit: Breslau – Krakau – Auschwitz
Das Inferno von Eisenhüttenstadt
Polen in Berlin. Von Radziwi°° bis Kowalski.
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Lyrik und Prosa
Der Strand in Cuxhaven
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Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Jahresprogramm 2011/12
Freitag, 14. Oktober, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Welcome-Party
und Informationsabend von Tutoren und ISB
für alte und neue ISB-BewohnerInnen
Ab Montag, 17. Oktober
wöchentlich
19:00 – 20:30 Uhr und
20:30 – 22:00 Uhr
Max Kade-Saal
Deutschkurs mit Dorota Cygan
für Anfänger und Fortgeschrittene
Donnerstag, 20. Oktober, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Delia Schaedel, ISB
Global Cities
Donnerstag, 27. Oktober, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Gastvortrag
Detlef Ebel
Feuer und Flamme – Vom Umgang mit dem
Feuer
Samstag, 29. Oktober, 10:00 Uhr
Exkursion
Bahnfahrt nach Naumburg
Besuch der Landesausstellung Sachsen/
Anhalt
Ab Sonntag, 30. Oktober, 20:00 Uhr
14-tägig, Max Kade-Saal
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mit der Tutorin Kathrin und Marina Abajian,
ISB
Freitag, 4. November
Exkursion
Potsdam-Tag
Gärten Sanssouci, Siedlung Alexandrowka
und russisch-orthodoxe Kirche, Holländisches
Viertel, barocker Stadtkern
Führung: Thomas Lukow
Ab Mittwoch, 9. November, 20:00 Uhr
2 x wöchentlich
Multifunktionsraum
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Spezielle Atemtechnik und Atemgymnastik
Kursleitung: Anna Poghosyan, ISB
Donnerstag, 10. November, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Dorota Cygan
„…so wird der Deutsche dem Polen nie ein
Bruder sein.“
Deutsche und Polen: Kurze Geschichte einer
langen Annäherung
Dienstag, 15. November, 18:00 Uhr
Preußischer Landtag, Casino
Festliche Übergabe der Stipendienurkunden
an die StipendiatInnen der Studienstiftung
des Abgeordnetenhauses von Berlin durch
den Präsidenten des Abgeordnetenhauses,
Ralf Wieland
Donnerstag, 17. November, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Aneta Kozuchowska, Alumna des ISB:
Was bringt uns die Zusammenarbeit in
der Europäischen Union und an ihren
Außengrenzen
Donnerstag, 24. November, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Viktorya Sahakyan, ISB:
Handlungsorientiertes Lernen als Erfordernis
und Orientierung für Lernprozesse in der
Berufsausbildung
Freitag, 25. November, 13:00 Uhr
Exkursion
Führung durch das Kaufhaus des Westens –
Wir schauen hinter die Kulissen des
KaDeWe
Freitag, 25. November, 20:00 Uhr
Berliner Ensemble
Die Kleinbürgerhochzeit von Bertolt Brecht
Inszenierung: Philip Tiedemann
anschl. Theaterführung durchs BE
Freitag, 2. Dezember, 16:30 Uhr
Exkursion
Die vorweihnachtliche Prenzlauer Berg-Tour
mit Glögi
Donnerstag, 8. Dezember, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Ewa Maria Slaska, Schriftstellerin
Von Radziwill bis Kowalski. Polen in Berlin
Freitag, 9. Dezember, 19:30 Uhr
Ballett
Schwanensee
in der Deutschen Oper
Donnerstag, 15. Dezember, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Dr. Lidi Gluchowska, Kunsthistorikerin
Polnische Künstler in Deutschand 1910 - 1933
Freitag, 16. Dezember, 16:00 Uhr
Martin Gropius-Bau
Ausstellungsbesuch
Tür an Tür. Polen – Deutschland
1000 Jahre Kunst und Geschichte
Samstag, 17. Dezember, 16:00 Uhr
Multi-Funktion Raum
Adventskonzert
Am Klavier Alexander Kulikov, ISB
Donnerstag, 12. Januar, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Länderabend
Iza Kelenjeridze, Nino Mikelaishvili, Nino
Inauri, Marika Turava, ISB
“Das Moderne Georgien”
Donnerstag, 19. Januar, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Annie Goh, Stipendiatin des
Abgeordnetenhauses zu Berlin
Die Dimension von Sound bei Vilém Flusser
Freitag, 20. Januar, 15:00 Uhr
Museumsbesuch
Deutsches Technikmuseum Berlin
Führung zum Thema:„Technik und Krieg“
Donnerstag, 26. Januar, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Natalia Banasik, ISB
p.DQQHLQH6SUDFKHHLQHDQGHUHEHHLQ‹XVsen?“ – Psycholinguistische und soziolinguistische Aspekte bei Sprachkontaktprozessen
Freitag, 27. Januar, 16:00 Uhr
Holocaust Gedenktag
Jüdisches Museum Berlin
„Mit Siebenmeilenstiefeln durchs Museum“
Donnerstag, 2. Februar, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Nino Mikelaishvili, ISB
Healthsystems in Transitions
Freitag, 3. Februar 16:00 Uhr
Exkursion zum
Gerhart Hauptmann Museum in der Villa
Lassen in Erkner
Ein Gesamtüberblick über Leben und Werk
des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann
Mittwoch, 8. Februar, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Thomas Lukow
Jugend in der DDR – Vom Marschlied zum
Punkrock
Freitag, 10. Februar, 19:30 Uhr
Theaterbesuch
Gerhart Hauptmann
„Die Weber“ im Deutschen Theater
Donnerstag, 16. Februar, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
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Kuriositäten der azerbaidschanischen Justiz
Freitag, 17. Februar, 16:00 Uhr
Exkursion
Käthe Kollwitz Museum
Führung durch die ständige Ausstellung
Freitag, 24. Februar, 15:00 Uhr
Stadtspaziergang
Berlin wird aufgeklärt
Friedrich II, Lessing, Nicolai, Mendelssohn,
Voltaire & Co
Donnerstag, 8. März, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Marika Turava, ISB:
Der Weg der Demokratie
Freitag, 9. März, 9:00 Uhr
Stadterkundung
Auf den Spuren des MfS
(Ministerium der Staatssicherheit der DDR)
Begleitung: Thomas Lukow
Donnerstag, 15. März, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Mustafa Yüksel, ISB:
Der Harem bei den Osmanen
Freitag, 16. – Sonntag, 18. März
Exkursion
Besuch des ehemaligen Deutschen
Bundestag in Bonn und weiter zum Kölner
Dom
Donnerstag, 22. März, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Ignacio Lloret, ISB:
Der Ehebruch in der Literatur
Freitag, 23. März, 17:00 Uhr
Exkursion
Besuch beim Deutschen Bundestag im
Reichstagsgebäude
Montag, 26. – Freitag, 30. März,
Beginn 20:00 Uhr
Max Kade-Saal - 5x2 Stunden -
Literarischer Workshop
Leitung: Ignacio Lloret
Donnerstag, 29. März, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Genevieve Debien, ISB:
„Otto Freundlich (1878-1943). Die abstrakte
Kunst als Universalsprache?“
Freitag, 30. März, 19:15 Uhr
Theaterbesuch
theaterforum kreuzberg
„Ist er gut? Ist er böse?“
(Der Menschenfreund)
Donnerstag, 12. April, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Länderabend
Natalia Banasik, ISB:
Reise durch Polen
Donnerstag, 19. April, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Antoine Mandret-Degeilh, ISB:
Belfort
Geschichte einer Stadt – Eine Stadt in der
Geschichte
Freitag, 20. April, 14:45 Uhr
Ausstellungsbesuch
Neue Nationalgalerie
Gerhard Richter
Donnerstag, 26. April, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Rahel R. Mann
Zeitzeugen Bericht
Freitag, 27. April, 15:00 Uhr
Ausstellungsbesuch
Deutsches Historisches Museum
Friedrich der Große – verehrt, verklärt, verdammt…
Donnerstag, 3. Mai, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Francesca Weber Newth, ISB:
Stadtentwicklung und räumliche „Visionen“:
Hackney Wick, London und Mauerpark, Berlin
Freitag, 4. Mai, ab 16:40 Uhr
Friedrich der Große – Traditionell-
Führung Schloss Charlottenburg und
Berliner Residenzkonzert in der Orangerie
des Schlosses Charlottenburg
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Jahresprogramm 2011/12
Donnerstag, 10. Mai, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Siarhei Bohdan, ISB:
„ Ist der Iran ein Gottesstaat?“
12.- 15. Mai 2012
Exkursion
Reise nach
Wroclaw (Breslau) und Krakow (Krakau)
Freitag, 18. Mai, 15:00 Uhr
Stadtspaziergang
Thomas Lukow
Das Regierungsviertel in Berlin - Vom
Bundeskanzleramt zum Bundesrat -
Freitag, 25. Mai, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Länderabend
Nina Redmann, Jessica Beck, Derek Schäfer
und Travis Mulroy, ISB:
„If YOU can make it there, YOU’ll make it anywhere, it’s up to you. New York. New York!
Donnerstag, 31. Mai, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Sultan Özaslan, ISB:
„Ehrenmorde“
Donnerstag, 7. Juni, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Nino Inauri, ISB:
Familientherapie nach Virginia Satir
Freitag, 8. Juni, 16:00 Uhr
Exkursion
Führung zur deutschen Sport- und
Architekturgeschichte im Olympiastadion
und Olympiapark
Donnerstag, 14. Juni, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Tinatin Erkvania, ISB:
Georgische Verfassung – rechtlich/historisch
-
Samstag, 16. Juni, 8:00 Uhr
Exkursion
„Die Geschichts- und Kulturlandschaft
der Mecklenburger Seenplatte zwischen
Neustrelitz und Neubrandenburg“
Reiseleitung: Thomas Lukow
Freitag, 22. Juni, 19:00 Uhr
Max Kade-Saal
Fariz Gasimli, ISB:
Eurovisionsabend
Samstag, 23. Juni + 24. Juni
Exkursion
Besuch der Autostadt Wolfsburg und der
Universitätsstadt Göttingen
Donnerstag, 28. Juni, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Marina Abaijan, ISB:
Allergie - Ein bekanntes medizinisches
Fremdwort?
Donnerstag, 5. Juli, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Vasily Glushak, Alumni ISB:
Wechselseitige Wahrnehmungen von Russen
und Deutschen von den Anfängen bis zur
Gegenwart
Freitag, 6. Juli, ganztägig
Exkursion
Besuch der Planstadt Eisenhüttenstadt
Donnerstag, 12. Juli, 18:30 Uhr
Max Kade-Saal
Nargiz Rzayeva, ISB:
Prävention von Krebserkrankungen.
Das Zusammenspiel von Schutz- und
Risikofaktoren
Mittwoch, 18. Juli, 15:00 Uhr
Stadterkundung
Unter den Brücken von Spree und
Landwehrkanal - Auf dem Wasser durch
Berlin
Freitag, 20. Juli, 19:00 Uhr
Max Kade-Saal
Fariz Gasimli, ISB: Die Messestadt Berlin
Anschließend Sommerfest
Grußwort
Willkommen im Internationalen Studienzentrum Berlin hieß es auch im Studienjahr
2011 / 2012 wieder für viele fortgeschrittene Stipendiatinnen und Stipendiaten, die aus
den Ländern der ehemaligen Vier Alliierten kamen. Ihnen wurde ein umfangreiches
kulturelles Programm geboten, dass Sie im vor Ihnen liegenden aktuellen Jahrbuch dokumentiert finden.
Ein besonderer Schwerpunkt war in diesem Studienjahr das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen. Hierzu zählten der Besuch der Ausstellung „Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte“, Gastvorträge polnischer Wissenschaftlerinnen
und als Höhepunkt die Exkursion nach Wroclaw und Krakow. Einen weiteren Schwerpunkt bildete das Thema Stadtarchitektur mit seinen unterschiedlichen systembedingten
Auswirkungen im ehemals geteilten Deutschland.
Dieses und vieles mehr wäre nicht möglich gewesen ohne die finanzielle Unterstützung
des Deutschen Akademischen Ausstauchdienstes und des Senats von Berlin. Vielen Dank
dafür!
Auch trugen die Studierenden mit den Referaten zu ihren verschiedenen Forschungs- und
Interessengebieten und den Länderabenden zum gelingen des Programms bei. Viele
Stipendiaten genießen den Aufenthalt im ISB so sehr, dass sie sich um eine Verlängerung
ihres Berlin-Aufenthaltes bemühen. Zurück in ihrer Heimat, empfinden sie das Leben im
ISB als den entscheidenden Teil ihres Auslandsstudiums.
Petra Mai-Hartung
Geschäftsführerin
4
Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
Beiratsmitglieder des ISB
Institution
Name
Freie Universität Berlin
Akademisches Auslandsamt
Günter Schepker
Vorsitzender
Humboldt Universität zu Berlin
Akademisches Auslandsamt
Dr. Ursula Hans
Stellvertretende Vorsitzende
Deutscher Akademischer
Austauschdienst – DAAD
Daniel Zimmermann
Auswärtiges Amt
Referat 604
Wissenschaft und Hochschulen
Technische Universität Berlin
Akademisches Auslandsamt
Ref. ID
Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Guido Müntel
Legationssekretär
Alexander von Humboldt-Stiftung
Dr. Katja Hartmann
Universität der Künste
Angelika Theuss
Studienstiftung des
Abgeordnetenhauses von Berlin
Prof. Dr. Herwig E. Haase
Berlin Program for Advanced
German and European Studies
Karin Goihl
Wissenschaftskolleg zu Berlin
Dr. Joachim Nettelbeck
Sekretär
Studentenwerk Berlin
Petra Mai-Hartung
Geschäftsführerin
Studentenwerk Berlin
Ricarda Heubach
Leiterin Studentisches Wohnen
Dr. Carola Beckmeier
Kenneth Frisse
Senatsrat
MARINA ABAJIAN
30.04.1984 – Tbilissi, Georgien
Staatliche Medizinische Universität
Medizin; Dermatologie und Allergologie
DAAD
Staatsexamen
ANAIDA ABADJYAN
17.03.1986 – Tbilissi, Georgien
Staatliche Medizinische UniversitätGermanistik
Medizin
DAAD
MD Medizin
NATALIA BANASIK
14.02.1983 – Warschau, Polen
Warschauer UniversitätSozialwissenschaften,
Interkulturelle Bildung
DAAD
M. A.
JESSICA BECK
09.03.1981 – Lima, Peru
06.05.1988 - Memphis, USA
University of Mississippi
Internationale Beziehungen
DAAD
B. A. International Studies
DR. DIANA BEECH
29.04.1983 – Stafford, Grossbritanien
University of Cambridge
Historische Urbanistik
Studienstiftung des Abgeordnetenhaus von Berlin
PhD Germanistik / Deutsche Geschichte
SIARHEI BOHDAN
08.04.1982 – Maladzechna, Belarus
Südasien und Südostasienstudien
Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin
M.A. Politikwissenschaft
5
Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
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Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
KATHRIN BÖRGER
28.03.1981 – Bremervörde, Deutschland
Universität Hamburg
Geschichte und Geographie
Wohnstipendium ISB
M.A.
DULGUN BUM-YALAGCH
01.10.1983 – Lutherstadt Wittenberg, Deutschland
Mongolische Technische Universität
Informationstechnologie
IT- Ingenieur
YVONNE DAMMERT
07.07.1973
FU Berlin
Sinologie/Ostasiatische Kunstgeschichte
Magister
GENEVIÈVE DEBIEN
10.02.1983 – Pithiviers, Frankreich
Sorbonne
Kunstgeschichte
Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin
M. A. Kunstgeschichte
SEBASTIEN DREYFUSS
17.04.1990 – Paris, Frankreich
Ecole Polytechnique
Chemie
Ecole Polytechnique
B.A.
ANKE EISFELD
03.09.1985 – Naumburg , Deutschland
Touro Colleg Berlin
Holocaust Communication
Wohnstipendium ISB
B. A.
TINATIN ERKVANIA
05.01.1985 – Gegechkori, Georgien
Staatliche Universität Tbilissi
Rechtswissenschaft
DAAD
B.A. Jura
TIZIANA FUGGETTA
27.10.1979 – Brescia, Italien
Universität „Aldo Moro“
Deutsche Literatur
VUGAR GAFAROV
20.06.1985 – Gandscha, Aserbaidschan
Universität Hamburg
Politikwissenschaft
Friedrich Ebert-Stiftung
M. A. Internationale Beziehungen
DR. PAVEL GAPEEV
15.11.1976 – Moskau, Russland
Moskauer Staatliche Lomonossow Universität
Mathematik
DAAD
Ph. D. Mathematik
FARIZ GASIMLI
5.01. – Baku, Aserbaidschan
Universität Khazan
Wirtschaft und Management
M. A. Wirtschaft und Management
M. A. Public Administration
DR. ALEXEY GOROBIY
06.07.1982 – Tver, Russland
Staatliche Universität
Philosophie
DAAD
Ph.D.
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Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
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Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
JULIE HEN
03.11.1991 – Sarreguemines, Frankreich
Sciences Po Paris
Politikwissenschaft
Studienkolleg zu Berlin
AGNIEZSKA HUDZIK
25.05.1988 – Lublin, Polen
Universität Warschau
Deutsche Philologie
FU-Direktaustausch
B. A. Germanistik
DR. AHMED IBRAHIM
24.07.1976 - Ägypten
Georgtown University
Islamic Law & Modernity
Wissenschaftskolleg zu Berlin
PhD
ANDRIY ILYUK
28.10.1973 – Kolomiya, Ukraine
Lviv
Rechtswissenschaft
EU
LL.M (Master of Law)
NINO INAURI
21.06.1992 – Tbilissi, Georgien
Psychologie
DAAD
PARI ISAKOVA
19.12.1983 – Baku, Aserbaidshan
Aserbaidschanische Sprachenuniversität
Germanistik
Friedrich-Ebert-Stiftung
DR. DMITRY IVANOV
204.10.1978 – Leningrad, Russland
St. Petersburger Staatsuniversität
Wirtschaftswissenschaft
HWR Berlin
PhD
ANN KASRADZE
27.12.1990 – Tbilissi, Georgien
Business Management and Administration
IZA KELENJERIDZE
05.11.1980 – Khoni, Georgien
Staatliche Universität Tbilissi
Strafrecht
DAAD
Staatsexamen
LEVANI KIKNAVELIDZE
07.06.1987 – Oziergeti, Georgien
Akademie der Künste Tbilissi
Architektur
KAAD
B.A. Architektur
DR. VALENTINA KNEZEVIC
06.08.1980 – Sarajevo, Bosnien Herzegowina
Universität Zagreb
Jura, Europäisches Recht
Friedrich Ebert-Stiftung
Diplom in Germanistik und Russistik, LL.M in Europarecht
INNA KOMARUK
25.02.1985 – Rivne, Ukraine
Nationale Universität
Internationales Privatrecht
Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin
M.A. Internationales Privatrecht
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Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
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Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
WASSILY KOMKOV
20.07.1975 – Nischnij Nowgorod, Rußland
Medizinische Akademie Nishni Nowgorod
Medizin
Charité
Dipl. Mediziner
LIDIA KRUS
25.03.1985 – Oblast, Kaliningrad
Russische Staatliche I. Kant Universität
Informatik
DAAD
Diplom Germanistik
DR. CECES KUDACINOVA
05.10.1972 – Gorno-Altaisk, Russland
Staatliche Lomonossov Universität Moskau
Geschichte
PhD
ALEXANDER KULIKOV
15.08.1988 – Balakhna, Russland
Tschaikowski- Konservatorium Moskau
Musik
Diplom
DIANA KULL
21.02.1978 – Tallinn, Estland
Universität Tartu
Rechtswissenschaft
Ass.iur., LL.M. Rechtswissenschaft
IGNACIO LLORET
16.11.1968 – Barcelona, Spanien
Universität Baskenland Vittoria
Literaturwissenschaft
Diplom Germanistik und Jura
XUE LI
22.01.1982 – Yangzhou, China
City University of Hongkong
Geschichte
EED
PhD
AYNURA MAMMADOVA
26.10.1983 – Baku, Aserbaidschan
Aserbaidschanische Sprachenuniversität
Deutsche Sprache und Literatur
FAZIT-Stiftung
B. A.; M. A
.
ANTOINE MANDRET-DEGEILH
05.12.1984 – Befort, Frankreich
Sciences Po Paris
Politikwissenschaft
Studienstiftung des Abgeordnetenhaus von Berlin
Master Recherche „Politische Soziologie“
NINO MIKELAISHVILI
01.01.1986 – Tbilisi, Georgien
Tbilisi State University
Medizin
M.A.
GESINE MÜHLE
19.04.1960 – Reichenbach, Deutschland
Technische Universität Berlin
Informatik
Wohnstipendium ISB
Diplom-Mathematikerin und -Physikerin,
Diplom-Informatikerin
TRAVIS MULROY
14.11.1980 – Milwaukee, USA
Tulane University
Philosophie
Freie Universität zu Berlin
M.A. Social Sciences
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Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
CARLOS MAURICIO NUPIA-MARTINEZ
05.10.1971 – Neiva-Hulia, Kolumbien
National University of Columbia
Political Scienes
DAAD
M.A. Urban Studies
SULTAN ÖZASLAN
13.01.1980 – Leverkusen, Deutschland
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
IUS - Recht
OLGA PAVLOVSKAYA
17.05.1979 – Witebsk, Belarus
Staatliche Universität Witebsk
Anglistik und Germanistik
M. A. Philologie
DR. YULIA PODOROGA
14.05.1978
Université de Lille
Philosophie
Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin
PhD
ANNA POGHOSYAN
08.06.1979 – Erewan, Armenien
Nationale Akademie Armenien
Iranistik und Geschichte
DAAD/OSI
M. A. Philologie
FLORINA POP
11.08.1988 – Nasaud, Rumänien
Universität für Architektur Bukarest
Architektur
Studienkolleg zu Berlin
Diplom
VIKTORIIA POTISHUK
25.06.1987 – Kiew, Ukraine
Kiewer Nationale Universität
Innovation Management
Studienstiftung des Abgeordnetenhaus von Berlin
B.A., M.A.
SMBAT RAFAYELYAN
31.10.1985 – Spitak, Armenien
Nationale Hochschule für Gesundheit
Zahnmedizin
Diplom Zahnmedizin
NINA REDMANN
30.07.1985 – Bremen, Deutschland
Freie Universität, Humboldt Universität und Universität
Potsdam
Internationale Beziehungen
Wohnstipendium ISB
B.A. Politik
NARGIZ RZAYEVA
215.08.1983 – Baku, Azerbaischan
Public Health
Pyschosoziale Prävention und Gesundheitsforschung
B. Eng.-Clinical Engineering
VIKTORYA SAHAKYAN
07.10.1987 – Jerewan, Armenien
Jerewaner Staatliche Linguistische Universität
Deutsche Philologie
Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin
M.A.
DELIA SCHAEDEL
07.10.1980 - Hamburg
Hafen City Universität Hamburg
Architektur
DAAD
B. A.
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Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
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Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB
DEREK SCHAEFER
18.09.1980 – Hartford, USA
University of Illinois at Chicago
Deutsche Literatur – Germanistik
Humboldt Universität zu Berlin
M.A.
INNA SOCHNEVA
03.08.1983 – Brezhnev, Russland
Moskauer Philosophie Universität
Internationale Beziehungen
Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin
M.A. Political Science
NORMA SUVAK
21.10.1982 – Merced, USA
Washington University
Germanistik
Freie Universität
PhD
NÓRA SZABÓ
28.01.1987 – Békéscsaba, Ungarn
Semmelweis Universität
Medizin
Erasmus
JURGA TALLAT-KELPSAITE
12.06.1977 – Jonava, Litauen
Vytautas Magnus Universität
Umweltmanagement
B.A. Deutsche Sprache und Literatur; M.A. Recht; M.E.S.
VASILEIOS TRIANTAFYLLIDIS
25.09.1984 – Rhodos, Griechenland
Nationale Universität Athen
Germanistik
DAAD
LL.M. Rechtswissenschaft
MARIKA TURAVA
16.11.1991 – Zugdidi, Georgien
Rechtswissenschaft
DAAD
DR. CLAUDIA WASSMANN
31.08.1959 – Düsseldorf, Deutschland
University of Chicago
Geschichte der Gefühle
MPI
PhD
FRANCESCA WEBER-NEWTH
04.11.1984 – Aberdeen, Schottland
Aberdeen University
Soziologie
Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin
M.A.
MUSTAFA YÜKSEL
30.06.1964 – Istanbul, Türkei
Charité Berlin
Medizin
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Impressionen eines Jahres
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Studentenwerk Berlin
Kann eine Sprache eine andere
beeinflussen?
Ein Beispiel des soziolinguistisch motivierten
Sprachwechsels
Natalia Banasik
Die Sprache wird von verschiedenen
Prozessen im Laufe der Zeit beeinflusst
und verändert. Dies wird deutlich,
wenn man eine Beispielsprache diachronisch analysiert. Nehmen wir die
englische Sprache, die von Shakespeare
im sechzehnten Jahrhundert genutzt
wurde, und die englische Sprache, die
heutzutage in Großbritannien gesprochen wird (Baugh 2002; Fennel 2001;
Hogg 2001; Leith 1997).
Der Einfluss einer Sprache ist in
mehreren Kontexten zu beobachten;
es muss sich nicht unbedingt um
Prozesse handeln, die viele Jahrzehnte
oder Jahrhunderte dauern. Der Einfluss
einer Sprache ist zu beobachten, wenn
man eine Fremdsprache spricht. Oft
werden Elemente aus der Muttersprache übernommen, die in der Zielsprache überhaupt nicht existieren und die
trotzdem in diese integriert werden.
Durch Fehleranalyse ist es manchmal
relativ einfach zu bestimmen, welche
Erstsprache den Erwerb der Zweitsprache beeinflusst. Die englischen
Muttersprachler oder Menschen, die
oft Englisch verwenden, sagen oft „Das
macht keinen Sinn“. Auf Deutsch ist
der Ausdruck „keinen Sinn machen“
nicht korrekt. Es handelt sich um einen
Anglizismus, der sich von „to make sen-
se“ ableitet. Solche Redewendungen
werden oft aus der Erstsprache direkt
in die andere Sprache übersetzt, was
in der Linguistik als semantische Kopie
bezeichnet wird. Das ist ein Beispiel
davon, wie eine Sprache von einer
anderen Sprache beeinflusst sein kann,
und zwar zeigt das einen Transfer von
L1 (Erstsprache) auf L2 (Zweitsprache).
Dieser Prozess wurde gründlich erforscht und in der psycholinguistischen
und soziolinguistischen Literatur beschrieben (Kellerman 1986; MacWhinney 1992; Mueller 1998; Odlin 1989;
Ringbom 1987).
Der Transfer kann nicht nur auf der
Ebene der Lexik stattfinden, sondern
auch auf der Ebene der Grammatik
oder Phonologie (z. B. Brown 2000,
Riehl 2004). Hierzu kann man auch
den Prozess des Codeswitching zählen.
Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, in dem mehrere Sprachen in
einem Gespräch benutzt werden, bei
dem bestimmte Regeln und Muster
befolgt werden. Die Soziolinguistik
beschäftigt sich mit den funktionalen
Aspekten des Codeswitching.
Der Transfer kann aber auch in die
andere Richtung gehen, und zwar
kann die Zweitsprache die Erstsprache
beeinflussen. Das wurde z. B. in einer
17
Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
18
Studentenwerk Berlin
Studie bewiesen, in der die Sprache
der polnischen Migranten in den USA
erforscht wurde (Banasik, nicht publiziert). Bedeutende Einflüsse wurden
in der Lexik beobachtet. Besonders
deutlich waren die Lehnwörter, die die
Elemente der neuen Realität bezeichnen und die früher nicht benutzt oder
nicht bekannt waren, z. B. Halloween,
Brunch, Thanksgiving. Wenn Polnisch
gesprochen wurde, wurden diese
Fremdelemente in die Sprache integriert. Oft wurden auch die Wörter, die
Familienmitglieder bezeichnen, auf
Englisch genannt, hier aber wurde ein
anderes Muster beobachtet: Redundanz tritt auf – sowohl das polnische
als auch das englische Wort wurden
nebeneinander in demselben Satz
benutzt. Auch Haushaltsgegenstände
wurden oft auf Englisch genannt,
wenn Polnisch gesprochen wurde. Die
Phonetik wurde jedoch geändert und
an die polnische Aussprache angeglichen. Es wurde also von „eisbaks“ (ice
box) oder „baik“ (bike) gesprochen.
wenigen Jahren und sogar Monaten
deutlich wird. Die Sprache ändert sich
ständig und wird von anderen Sprachen beeinflusst.
Syntaktische Prozesse des Transfers
wurden auch beobachtet, und zwar
wurden den englischen Verben polnische Formanten zugefügt und wie
polnische Wörter benutzt, also nach
den polnischen Regeln dekliniert, z. B.
kenować– das englische Verb „can“,
die Aussprache des englischen c wird
im Polnischen als k markiert und wo
„ować“ ist ein polnischer Formant, der
typisch für Verben ist.
Quellen:
Auch semantische Kopien, die als
L1àL2-Transfer bezeichnet wurden,
sind als L2àL1-Transfer zu beobachten.
Englische Redewendungen wie „to
have a good time“ wurden direkt ins
Polnische übernommen: „Miałam dobry czas*“ („Ich hatte gute Zeit“ in der
Bedeutung: Ich hatte Spaß).
Solche Studien zeigen, dass ein
Sprachwandel nicht nur in langen Zeitperioden zu beobachten ist, sondern
schon innerhalb einer Generation, in
*Grammatikalisch nicht korrekt!
Brown, C. (2000)The interrelation between speech
perception and phonological acquisition from
infant to adult. In Second Language Acquisition and
Linguistic Theory, ed. J. Archibald. Oxford: Blackwell.
Pp. 4-63.
Fennel, B. (2001) A History of English: A sociolinguistic
approach. Oxford: Blackwell.
Hogg, R. (2001) The Cambridge History of the English
Language. Cambridge: Cambridge University Press.
Kellerman, E. und Sharwood Smith, M. (1986)
Crosslinguistic influence in second language
acquisition. New York: Oxford University Press.
Leith, D. (1997) A social History of English. 2nd edition.
London: Routledge.
MacWhinney, B. (1992) Transfer and competition in
L2 learning. In R.J. Jackson: Cognitive processing in
bilinguals. Amsterdam: North Holland. Pp. 371-390.
Mueller, N. (1998) Transfer in bilingual first language
acquisition. Bilingualism: Language and Cognition 1,
3: 151-171.
Odlin, T. (1989) Language transfer: cross-linguistic
influence in language learning. Cambridge:
Cambridge University Press.
Riehl, C. (2004) „Wirkungen des Sprachkontakts“,
chapter 2 of Sprachkontaktforschung, Tübingen: Narr.
Ringbom, H. (1987) The role of the first language in
foreign language learning. Clevedon: Multilingual
Matters.
Otto Freundlich (1878 - 1943)
Die abstrakte Kunst der Universalsprache
Geneviève Debien
Der Künstler und Kunsttheoretiker
Otto Freundlich hat bereits recht
früh verschiedene Ausbildungswege
beschritten. Vor diesem Hintergrund
hat er eine eng mit seinen politischen
und gesellschaftlichen Anschauungen
verknüpfte, kohärente Kunsttheorie
entwickelt, bei der er sich unter anderem für eine abstrakte und universelle
Kunst einsetzt, die die kulturellen
Grenzen und hierarchischen Hürden
überwinden soll. Aufgrund seiner Nähe
zu sozialistischen und marxistischen
Strömungen ist Freundlich davon
überzeugt gewesen, dass Kunst die
Gesellschaft zu ändern vermag und zu
einem harmonischen Zusammenleben
führen kann.1
Von seiner Geburt am 10. Juli 1878 an
verbringt er fast zwanzig Jahre in Stolp
(Ostpommern) in einer wohlhabenden
Familie jüdischer Herkunft, die ihn im
Protestantismus erzieht und es ihm
ermöglicht, schon früh seine musikalische Begabung für das Klavier zu
1 Zur Einführung in die Gedankenwelt sowie in
den Lebensweg Otto Freundlichs vgl. Heusinger
von Waldegg, Joachim (Hrsg.), Otto Freundlich
(1878–1943), Monographie mit Dokumentation und
Werkverzeichnis, Bonn, Rheinisches Landesmuseum,
1978–1979/Köln, Rheinland-Verlag, 1978 und Bohnen,
Uli, „Entwürfe zum kosmischen Kommunismus“. In:
ebd., Otto Freundlich Schriften, Ein Wegbereiter der
gegenstandslosen Kunst, Köln, DuMont Buchverlag,
1982, S. 9–51.
entfalten. Während des Studiums der
Philosophie und der Kunstgeschichte
in Berlin und München knüpft er die
ersten Kontakte mit Intellektuellen, die
schon auf frühere Ideen zurückgreifen,
wie die Gleichsetzung und die Korrespondenz der verschiedenen Künste
– Bildende Künste, Kunsthandwerk,
Musik, Literatur. In Florenz, wohin er zu
Fuß aus München kam, entscheidet er
sich dazu, eine künstlerische Laufbahn
als Plastiker anzutreten.2
Bis zum Kriegsanfang 1914 reist er
regelmäßig nach Paris und durch
Deutschland. So knüpft er Verbindungen zu Künstlern und Kunsthistorikern
in Köln, Hamburg und Berlin. Seine
Skulpturen zeigen seine Nähe zum
Expressionismus, gleichzeitig zeichnen
sich seine Bilder durch die Abwesenheit von räumlicher Perspektive und
eine durch Farbflächen strukturierte
Kompositionsweise aus. Schon um
1911 malt er sein erstes abstraktes
Bild, im gleichen Zeitraum wie Wassily
Kandinsky und František Kupka.3
2 Heusinger von Waldegg, J. (Hrsg.), Otto Freundlich
und die rheinische Kunstszene, mit Briefen an
Herwarth Walden und Wilhelm Niemeyer, Bonn,
August Macke Haus, 2006–2007/Schriftenreihe Nr. 50,
Verein August Macke Haus, 2006, S. 114–115.
3 Hochaufgelöste farbige Abbildungen sind im
folgenden Katalog zu finden: Duvivier, Christophe
(Hrsg.), Otto Freundlich 1878–1943, Pontoise, Musée
19
Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
20
Studentenwerk Berlin
Freundlichs Gedankenwelt ist zu diesem Zeitpunkt nicht wenig von starken
Persönlichkeiten geprägt: Er verbringt
im Jahr 1908 mehrere Monate in
einem Atelier des Bateau-Lavoir auf
dem Pariser Montmartre. In dieser Zeit
vervollständigt sein Nachbar Pablo
Picasso die ersten kubistischen Bilder.
Über ihn trifft Otto Freundlich weitere
Künstler und Schriftsteller, wie Georges
Braque und Guillaume Apollinaire.
Ein paar Jahre später, im Jahr 1911,
begegnet Otto Freundlich den expressionistischen Künstlern der Dresdener
Gruppe „Die Brücke“. Er befreundet
sich eng mit deren Mitglied Karl
Schmidt-Rottluff an und verfolgt über
diese Freundschaft sein schon früheres
Interesse für die außer-europäischen
Künste. Bald entfaltet sich auch seine
Interesse für das Licht, für die Farbe
und für deren Verbreitung im Raum:
So arbeitet der Künstler 1914 mehrere
Monate im Restaurierungsatelier der
bekannten Glasfenster der Kathedrale
von Chartres. Die Kriegsjahre sind für
seine Kunst keine große Unterbrechung. Schon 1915 schafft er in Köln
wieder, da er dem Sanitätsdienst zugewiesen wird. Dort hält er sich auch auf,
als die Novemberrevolution ausbricht.
Er setzt sich aktiv für deren Ideen ein,
insbesondere im künstlerischen Feld.
So engagiert er sich in reformwilligen
Künstlervereinigungen wie der Novembergruppe, dem Arbeitsrat für Kunst
oder auch der rheinischen Gruppe
progressiver Künstler. Er hält auch
enge Kontakte mit den Mitgliedern der
Dada-Bewegung in Köln und Berlin.
In diesem Umfeld wird er von Walter
Gropius 1920 als Bildhauerlehrer für
das neu gegründete Bauhaus vorgeschlagen, vergebens.4
In den Jahren 1924–1925 entschei-
Tavet-Delacour 2009/Paris, Somogy, 2009, hier S. 6.
Zum allgemeinen kunsthistorischen Kontext zur
Abstraktion vgl. Franz, Erich u. Malz, Friedemann, Otto
Freundlich, Kräfte der Farbe, Münster, Westfälisches
Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte,
2001, Köln, Wienand, 2001.
4 Heusinger von Waldegg, J., (2006), op. cit, S. 39, 218,
303–306.
det Otto Freundlich, Deutschland,
insbesondere Berlin, wo er wohnt,
zugunsten von Paris zu verlassen.
Die Enttäuschung über die Weimarer
Republik und der Reiz der Präsenz der
russischen Konstruktivisten in der
französischen Hauptstadt tragen zu
dieser Entscheidung bei. Seine Kunst,
zuerst seine Bilder, später seine Plastiken, nehmen dort fast ausschließlich
eine abstrakte Form an und werden so
entworfen, dass zusammengesetzte
Zellen – sei es durch Farbe und/oder
Form gekennzeichnet – eine gleichgewichtige Komposition bilden. Die
abstrakte Kunst soll durch ihr universelles Verständnispotenzial laut dem
Künstler einer Weltgemeinschaft zur
Erweckung verhelfen.
In Paris wird er bald zu einem wichtigen Akteur der Abstraktion, er
befreundet sich insbesondere mit
Theo und Nelly van Doesburg sowie
Hans Arp, wird in verschiedenen
Künstlervereinigungen aktiv und stellt
international aus.5 Diese fruchtbaren
Aktivitäten werden ab September
1939 schwer beeinträchtigt, da der
Künstler nach der Kriegserklärung als
deutscher Staatsbürger interniert wird.
Wieder frei im Jahre 1940 hielt er sich
in Südfrankreich auf und blieb dort
bis zu seiner Verhaftung im Februar
1943. Seine jüdische Herkunft, seine
plastische Ausdrucksweise und seine
ideologischen Standpunkte haben Otto
Freundlich zur Zielscheibe nationalsozialistischer Verfolgung werden lassen.
Seine Spur verliert sich nach einem
Aufenthalt im Sammellager Drancy
und der Deportation in Richtung Lublin
und Sobibor.6
5 Ebd., S. 311–318 und zeitgenössische Quellen
werden im folgenden Buch zitiert: Mettay, Joël u.
Maillet, Edda, Otto Freundlich et la France, un amour
trahi, Perpignan, Mare Nostrum, 2004, S. 45–73.
6 Thorsten Rodiek, „Verhaftet – Versteckt – Verraten
– Vernichtet. Die letzten vier Jahre im Leben Otto
Freundlichs“, in: Leistner, Gerhard u. Rodiek, Thorsten
(Hrsg.), Otto Freundlich, ein Wegbereiter der
abstrakten Kunst, Regensburg, Museum Ostdeutsche
Galerie1994/ [ohne Ortsangabe] [1994], S. 81–98 und
G. Debien (2012), op. cit.
21
Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Impressionen eines Jahres
22
Studentenwerk Berlin
Messestadt Berlin
Grüne Woche, Fruit Logistica und ITB im Fokus
Fariz Gasimli
Es ist kaum zu bestreiten, dass Berlin eine einzigartige Weltstadt ist:
Deutschlands Hauptstadt, kulturelles,
politisches und wissenschaftliches Zentrum Europas, die Stadt mit einmaliger
Weltgeschichte, das beliebte Touristenziel (über 9 Mio. Besucher jährlich)
und natürlich arm, aber sexy! Berlin ist
außerdem eine richtige Messestadt!
Jedes Jahr, jeden Monat finden viele
Messen, Ausstellungen und Kongresse
in Berlin statt. Zum Beispiel: die IFA
(Internationale Funkausstellung), die
ILA (Luft- und Raumfahrtausstellung),
die Bootmesse, die Hochzeitsmesse,
die Venus – erotische Messe – und
viele andere. In diesem Artikel möchte
ich über drei mich begeisternde und
für ein breites Publikum besonders
interessante Messen berichten: Grüne
Woche, ITB, und Fruit Logistica. Alle
drei Veranstaltungen haben ähnliche
Aspekte: internationalen Charakter,
großartige fachliche Vielfalt und eine
große Anerkennung und Bedeutung in
der Fachwelt.
Grüne Woche 2012
Die weltgrößte Schau für Ernährung,
Landwirtschaft und Gartenbau – die
Internationale Grüne Woche – existiert
seit 1926 und gehört damit zu den
ältesten Messen Deutschlands. So hat
diese Messe schon eine 86-jährige,
wechselvolle Geschichte! In diesem
Jahr fand die 77. Grüne Woche auf dem
Berliner Messegelände statt. Da diese
Messe eine jährliche Veranstaltung
ist, kann man sofort errechnen, dass
einige Jahre ausgefallen sein müssen.
In der Tat fand die Grüne Woche bis
1939 jährlich statt, ausgenommen das
Jahr 1938: Damals grassierten epidemische Krankheiten wie die Maul- und
Klauenseuche. Danach wurde die
Grüne Woche mehrere Jahren wegen
des Kriegs und der der folgenden Krise
nicht veranstaltet. Seit 1948 bis heute
gibt es die grüne Messe wieder! Jedes
Jahr bietet Deutschland als Hauptveranstalter diese grandiose Messe für
Tausende Besucher an. Jedes Jahr hat
die Messe auch ein Partnerland, das
den zweitgrößten Beitrag in der Organisation erbringt. Die Grüne Woche
wird von Jahr zu Jahr noch vielfältiger,
jedoch auch kommerzieller.
Im Rahmen der Ausstellung nehmen
Produkte wie Obst und Gemüse, Fisch,
Fleisch, Molkereiprodukte, Weine, Bier
und Spirituosen, Länderspezialitäten
und Gartenbau die bedeutenden Plätze ein. Darüber hinaus bietet die Messe
23
Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
verschiedene Land- und Forstwirtschaftsprodukte, Küchen- und Haushaltsgeräte, Leder und Pelz, Wellnessprodukte, eine Tierausstellung und
natürlich die berühmte Blumenhalle
mit der spektakulären Gartenausstellung, den Blumendekorationen mit
verschiedenen Pflanzen und Bäumen
und schließlich mit dem Samenverkauf. In einem Wort: Man denkt oft an
dem Begriff „Vielfalt“ bei der Grüne
Woche. Das großartige Produktspektrum der Grüne Woche verbunden
mit den internationalen Spezialitäten
lässt hier keine kulinarischen Wünsche
offen!
Die Messe zählte insgesamt mehr als
420 000 Besucher dieses Jahr, darunter
über 100 000 Fachbesucher – das beste
Ergebnis in den letzten vier Jahren.
Im vergangenen Jahr zum Beispiel
hatten 415 000 Menschen die Messe
besucht. Über 1600 Aussteller aus fast
60 Ländern präsentierten auf der Messe unter dem Berliner Funkturm ihre
Produkte. Die Pro-Kopf-Ausgaben der
Verbraucher lagen mit 111 Euro leicht
über dem Vorjahresniveau (2011: 110
EUR). Sie bescherten den Ausstellern
Umsätze von rund 47 Millionen Euro.
Das Partnerland der Grünen Woche
war dieses Jahr Rumänien. Rund 70
Landwirtschaftsminister aus aller
Welt sowie die Spitzenpolitiker der
Ernährungswirtschaft hatten sich am
Rande der Grünen Woche in Berlin
zum agrarpolitischen Dialog getroffen.
Zu den politischen Themen zählten in
diesem Jahr der Einsatz von Antibiotika
in Mastbetrieben, der Welthunger und
die weltweite Ernährungssituation.
Die Blumenhalle ist immer wieder ein
Highlight für Besucher der Grünen Woche. In diesem Jahr verwandelte sich
die Blumenhalle mit vielen Neuheiten
in eine „Schaustelle“.
Messesprecher Wolfgang Rogall zog ein
positives Fazit zum Erfolg der Grüne
Woche 2012: „Von Krise keine Spur“,
sagte er.
Fruit Logistica 2012
Die Fruit Logistica ist eine reine
Fachmesse für Produzenten von Obst
und Gemüse: Nur Fachbesucher und
professionelle Aussteller der gesamten
Fruchtlandbranche sind die Akteure
dieser Hochqualitätsveranstaltung.
Das Produktspektrum der Messe
besteht unter anderem aus Obst und
Gemüse aus der ganzem Welt sowie
aus Nüssen, Pilzen, Trockenobst, Cocktails und anderen Fruchtprodukten.
Da die Fruit Logistica eine Fachmesse
ist, ist das organisatorische Niveau
auch deutlich höher. Die Aussteller investieren extra Geld und Zeit, um ihre
Stände wirklich kreativ, interessant
und attraktiv zu machen. Man kann
hier vieles über Industrietrends lernen
und einfach die Kreativität, industrielle
Kunst würde ich sagen, genießen!
Die 20. Auflage dieser Messe fand dieses Jahr vom 08. bis 10. Februar in der
Messe Berlin statt. Trotz schwieriger
wirtschaftlicher Rahmenbedingungen
in Europa hat die Fruit Logistica ihre
Rekordzahlen wieder erneuert: 56 000
Fachbesucher aus 139 Ländern und
2537 Aussteller aus 84 Ländern weltweit, ein Produktionssektor mit einem
Volumen in Höhe von 1,575 Milliarden
Tonnen! Die Obst- und Gemüse- sowie
andere Landwirtschaftsproduzenten
aus aller Welt nutzen die Fruit Logistica zur kreativen Vorstellung ihrer
Produktmärkte und als Absatz- und
Testmarkt sowie zur Imagefestigung
im Weltmarkt. Mit einem Anteil von
90 Prozent ausländischer Aussteller
ist diese Messe der internationale
Branchentreffpunkt von Fachleuten
der Fruchthandelswelt – vom Global
Player bis zu kleinen Anbietern. Drei
Tage lang bietet die Fruchtmesse eine
hervorragende Plattform für Geschäftsanbahnungen,
ausgezeichnete Möglichkeiten zur
Knüpfung weltweiter Geschäftskontakte, die einmalige Gelegenheit,
einen vollständigen Überblick über
die aktuellsten Trends der Branche zu
erhalten. Dr. Christian Göke, Geschäftsführer der Messe Berlin GmbH, sagt
über die Messe: „Die Internationalität
der Messe, der globale Marktüberblick
im Ausstellungsbereich sowie die
hohe Entscheidungskompetenz der
Branchenvertreter machen die Fruit
Logistica zu einem Premiumprodukt
der Güteklasse A.“
Mein Top-Tipp: getrocknete Physalis
aus Kolumbien – eine Rarität, die man
kaum in Europa im Verkauf finden
kann. Ich habe sie erstmals dieses Jahr
auf der Fruit Logistica probiert und sie
sofort besonders geliebt. Achtung: Sie
sind extrem suchterzeugend!
ITB 2012
Die Internationale Tourismusbörse ist
sicherlich die bedeutendste Reisemesse
Deutschlands und zugleich die ultimative Reiseveranstaltung der Welt. Die
ITB-Teilnehmer sind Reisebüros, Hotels,
Touristikfirmen, Tourismusministerien,
Fluggesellschaften, Vergnügungsparks,
Anbieter von Wellnessreisen, von Ferienimmobilien, Autovermietungen und
viele andere direkte und indirekte Akteure der Reiseindustrie weltweit. Die
ITB läuft traditionell unter dem Motto
„Die Welt in 5 Tagen erleben“.
Das Partnerland der ITB 2012 war
Ägypten. In der derzeitigen wechselvollen und kritischen Situation war
dies ein wichtiges Projekt für Ägypten,
um die eigene Marktposition zu verbessern. Das Partnerland spürte eine
große Solidarität seitens der internationalen Reiseindustrie. Mounir Fahkry
Abdel Nour, Tourismusminister Ägyptens, sagte: „Die ITB war großartig!
Ich habe jede Minute genossen und
interessante, großartige Menschen getroffen. Neben der Unterstützung, die
wir erfahren haben, bin ich sehr froh,
dass die Probleme in den politischen
Beziehungen nicht im Geringsten die
allgemeine Stimmung beeinträchtigt
haben – im Gegenteil.“ In der ÄgyptenHalle konnten sich die Besucher bei
den unterschiedlichen sozialen Institutionen über die politische Lage im Land
informieren.
Rund 11 000 Aussteller aus 187 Ländern, rund 190 000 Besucher (davon
113 066 Fachbesucher) und 7000 akkreditierte Journalisten aus 94 Ländern
haben die ITB 2012 besucht.
Die Teilnehmer der Messe nutzen
die ITB nicht nur als Treffpunkt und
Produktmarkt. In Form von Ländergemeinschaftsschauen stellten sie ihre
Länder, ihre jeweilige nationale Kultur
und Gastronomie vor. Es war z. B. eine
besondere Freude für mich, dass die
aserbaidschanische Halle dieses Jahr in
erster Linie die Eurovision thematisiert
hat! Aber auch unser Hauptfest – Novruz Bayram – das Frühlingfest war
Thema. Die ITB läuft immer während
der Vornovruz-Zeit.
Die nächste ITB Berlin findet vom 06.
bis 10. März 2013 statt. Die ersten drei
Tage werden wie üblich nur für Fachbesucher geöffnet sein, wobei das normale Publikum die Messe am 09. und
10. März besuchen kann. Das offizielle
Partnerland wird Indonesien sein.
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Impressionen eines Jahres
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Studentenwerk Berlin
Light your Fire
Backstage bei der Eurovision Song Festival 2012 in Baku
Fariz Gasimli
Der 57. Eurovision Song Contest fand
dieses Jahr in Aserbaidschans Hauptstadt Baku statt – in meinem Heimatland! Es ist wahrscheinlich kaum
jemand zu finden, der sich darüber
mehr freut als ich. Als erster Aserbaidschaner, der zum Grand Prix einen Weg
gefunden hat, nämlich als Aserbaidschans Eurovision-Club-Präsident und
dieses Jahr auch als Veranstalter, habe
ich dieses Ereignis als nationales und
persönliches Fest wahrgenommen! Das
sagte ich sofort nach dem Sieg letztes
Jahr und ich bestätige das jetzt gerne
nach dem erfolgreichen Song Contest
in Baku. Ursprünglich ging ich als Zuschauer und Fan zur Eurovision im Jahr
2003. Damals hätte niemand gedacht,
dass Aserbaidschan dem EurovisionWettbewerb überhaupt beitreten
würde, geschweige denn ihn so bald
gewinnen würde!
Der jährliche Besuch als Zuschauer
und das aktive Engagement als akkreditierter Berichterstatter und Mitglied
der aserbaidschanischen Delegation
bei der Eurovision ist schon seit neun
Jahren eine Tradition in meinem Leben.
So freue ich mich ganz besonders, dass
meine 10. Eurovision in meinem Land
stattgefunden hat. Dieses Jahr war
vieles anders. Ich habe für die Eurovi-
sion als Mitglied des offiziellen Organisationsausschusses (Eurovision Core
Team) gearbeitet. Das war für mich ein
bedeutender professioneller Schritt
sowie eine einmalige und wertvolle Erfahrung: Wir haben nicht einfach den
Eurovision Song Contest veranstaltet,
sondern das ganze Projekt von null an
entwickelt – von einem Eurovision-Museum über die allgemeine Verwaltung
bis zur Arena und dem Pressezentrum.
Die Eurovision 2012 wurde deutlich
eines der groß angelegten Projekte in
Aserbaidschan. Es wurde ein spezieller
Organisationsausschuss für die Projektverwaltung und die Veranstaltung
gegründet, das Eurovision Core Team.
Die Projektbetreuerin (Staat) war Frau
Mehriban Aliyeva – Aserbaidschans
First Lady und Vorsitzende der HeydarAliyev-Stiftung, Herr Adil Karimov (Core
Team) war der Produktionsleiter der
Eurovision.
Die Eurovision 2012 fand deshalb in
Aserbaidschan statt, weil letztes Jahr
das aserbaidschanische Gesangsduo
Ell und Nikki mit dem magischen
Lied „Runing Scared“ in Düsseldorf
den Grand Prix gewann. Das offizielle
Motto der Veranstaltung lautete „Light
your Fire!“ Die aserbaidschanischen
Vorentscheidungen zur Eurovision
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
heißen traditionell „Land of Fire“. Als
optische Ergänzung bzw. als Logo zum
Eurovision-Schriftzug wurde eine
Art Blumenflamme entworfen. Das
Feuerthema hat bei der aserbaidschanischen Eurovision einen guten Grund:
Schon seit Jahrzehnten nennt man
Aserbaidschan das „Land des Feuers“
und das ist nicht nur lautmalerisch zu
verstehen, sondern auch ganz wörtlich.
Schon immer brannte es in Aserbaidschan leicht und lichterloh, denn dicht
unter der Erdkruste liegen gewaltige
Öl- und Gasvorkommen. Am Hang des
„Brennenden Berges“ (Yanardag) auf
der Halbinsel Abscheron, nicht weit
von Baku, kann man es heute noch
sehen: Fauchend schlagen dort die
Flammen aus dem Erdboden – eine
spektakuläre Naturschau! So sind die
ewigen Feuer ein Teil des aserbaidschanischen Nationalstolzes – präsent auch
im Staatswappen der Republik.
Zwei Monaten nach dem Sieg wurde
offiziell der Bau der „Baku Concert
Arena“ am Platz der Nationalflagge
bekannt gegeben – der Staat hatte alle
verfügbaren Austragungsorte in Baku
abgelehnt und sich damit für einen
ganz neuen Saal entschieden. Einen
Monat vor dem Konzert war die grandiose Halle bereit – Baku Crystall Hall:
modern, stilvoll, und einfach grandios!
Bei der Eurovision hatte die Baku Crystal Hall aufgrund der Bühnenaufbauten ein Fassungsvermögen von nur ca.
17 000 Personen statt der potenziellen
25 000 – so eine Einschränkung wird
bei jeder Eurovision vorgenommen,
um die Bühne noch schöner und größer zu machen.
Das erste Halbfinale fand am 22., das
zweite Halbfinale am 24. Mai und das
Finale am 26. Mai statt. So ist Baku in
die Welt der Eurovision eingetaucht
– mit seinen Attributen wie dem Pressezentrum für Journalisten und die
Delegationen, dem Eurocafé für Fans,
dem Eurovillage für Stadtbürger und
Touristen und dem Euroclub für alle
akkreditierten und engagierten Mitglieder des Festivals. Zehn Länder aus
jedem Halbfinale hatten sich für das
Finale qualifiziert. Insgesamt 26 Länder haben am Finale teilgenommen.
Das war die höchste Zahl seit 2003!
Der schwedische Beitrag „Euphoria“,
vorgetragen von der Sängerin Loreen,
hat den ersten Platz gewonnen! Beim
Finale haben die folgenden Länder
die ersten fünf Plätze besetzt: Albanien mit 146, Aserbaidschan mit 150,
Serbien mit 214, Russland mit 259
und der Sieger Schweden mit 372
Punkten. Kurz nach der schwedischen
Vorentscheidung ist „Euphoria“ schnell
ein deutlicher Favorit des Contests
geworden. Zusammen mit russischen
Omas war Loreen die gefragteste Teilnehmerin im Pressezentrum. Mit 372
Punkten erreichte sie die zweithöchste
Punktzahl in der Geschichte des Eurovision Song Contests nach Alexander
Rybak (Norwegen) im Jahr 2009. Damit
wird der 58. ESC am 18. Mai 2013 in
Malmö stattfinden – jedoch ist das
eine Enttäuschung für diejenigen, die
schon lange von einer Eurovision in
Stockholm geträumt haben.
Deutschland wurde von dem jungen
Sänger Roman Lob (22) vertreten. Mit
seinem Song „Standing Still“ nahm Roman den achten Platz ein. Der Sänger
war damit total glücklich: „Top Ten war
immer mein Ziel, jetzt haben wir den
achten Platz gemacht, das ist supergeil,
was will man mehr?“ Auf der Bühne
habe er sich sehr wohl gefühlt, sagte
er außerdem. „Ein Auftritt vor 17 000
in der Halle und 120 Millionen quasi
weltweit, das wünscht sich doch jeder
Musiker!“
Interview mit Sabina Babayeva
(Aserbaidschan 2012) für das
ISB-Magazin
Aserbaidschan wurde von Sabina
Babayeva mit der Popballade „When
the music dies“ bei der Eurovision 2012
vertreten. Sabina wurde am 2. Dezember 1979 in Baku geboren und studierte Gesang an der Musikhochschule
Asaf Zynally. Neben ihrem Abschluss
am Music College hat sie auch einen
Universitätsabschluss in Jura geschafft.
Die Sängerin hat bereits zahlreiche
Gesangswettbewerbe gewonnen (z. B.,
Grand Prix im Slawischen Wettbewerb
[Russland, 2009] und Amberstar
[Lettland, 2009]), beim ESC hatte sie
sich 2011 schon einmal als Kandidatin
beworben. Ihre kräftige Stimme passt
sehr gut zu starken Balladen: Bei der
Vorentscheidung 2012 hat Sabina mit
Whitney Houstons „Greatest Love of
All“ das Publikum beeindruckt.
ISB-Magazin: Hallo, Sabina! Es ist ein
ganz besonderes Jahr. Du vertrittst
Aserbaidschan bei der Eurovision, damit
vertrittst du auch das Gastgeberland!
Wie fühlst du dich?
Sabina: Stimmt! Ich habe auch letztes
Jahr beim Land of Fire (aserbaidschanische Vorentscheidung) teilgenommen.
Ich habe Interesse für diesen großartigen Wettbewerb und dieses Jahr habe
ich es wieder probiert und gewonnen!
Und natürlich ist es eine besonders
große Ehre, dieses Jahr mein Land als
Gastgeber in meiner Geburtsstadt zu
vertreten!
ISB-Magazin: Wie hast du dich dafür
vorbereitet?
Sabina: Viel gearbeitet natürlich! Seit
ich die Vorentscheidung gewonnen
habe, war ich viel unterwegs mit Werbetouren durch Europa.
ISB-Magazin: Woran kannst du dich
erinnern?
Sabina: Das war eine sehr interessante
und wichtige professionelle Erfahrung.
Besonders interessant war die Teilnahme beim „Eurovision in Concert“ in
Amsterdam. Das ist eine relativ neue,
jährliche Veranstaltung, die einen Monat vor der Eurovision in Amsterdam
stattfindet.
ISB-Magazin: Ein Werbekonzert wie
Eurovisionsatellit.
Sabina: Ganz genau. Wir haben uns
dort getroffen.
ISB-Magazin: Stimmt, ich wollte, dass
du dich daran erinnerst!
Sabina (lächelt): Ja, das war wie eine
Mini-Eurovision. 24 Länder haben
teilgenommen. Ich habe mein Lied
„When the music dies“ teilweise auch
auf Aserbaidschanisch gesungen. Auch
dort konnte ich schon einige andere
teilnehmende Sänger treffen, zum Beispiel habe ich Anguun aus Frankreich
und Mandinga aus Rumänien kennen
gelernt.
ISB-Magazin: Ja, ihr gemeinsames Interview mit Anguun war insbesondere
cool: Zwei sehr hübsche Frauen und
potenzielle Konkurrenten zusammen!
Sabina, was ist jetzt das Ziel bei der
Eurovision 2012?
Sabina: Zuerst habe ich immer gesagt,
dass die Musik selbst mir wichtiger ist
als der Wettbewerb. Das Ziel ist eine
würdige Vertretung meines Landes:
ein schöner Auftritt mit einer rührenden Ballade. Und natürlich möchte ich
gerne die erfolgreiche Bilanz Aserbaidschans beim Eurovision Song Contest
fortsetzen!
ISB-Magazin: Ich bin sicher, du wirst das
schaffen! Vielen Dank, liebe Sabina, und
natürlich viel Erfolg!
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Familientherapie nach
Virginia Satir
Nino Inauri
Virginia Satir (1916 - 1988) war eine
der bedeutendesten Familientherapeutinnen, die oft als Mutter der Familientherapie bezeichnet wird.
Das Modell des Kommunikationsprozesses, das sie entwickelt hat, ist ein
wichtiger Teil der Familientherapie.
Nach diesem Modell kann jede verbale
oder nonverbale Kommunikation als
Stellungnahme zu den Bereichen:
Selbst (S), Andere (A) und Kontext (K)
aufgefasst werden.
Ist jemand nicht in der Lage, einen
oder mehrere dieser Bereiche in seiner
Kommnikation zum Ausdruck zu bringen bzw. bewusst zu erleben, so führt
dies zu Einschränkungen in seinem
Leben. Das Ziel ist die Wiedergewinnung der gelöschten Inhalte.
Die vier Satir-Typen (Überlebenshaltungen):
Virginia Satir hat vier Kategorien der
Haltungen entdeckt, die Menschen
dann annehmen, wenn sie unter Spannung stehen. Jede dieser Kategorien
von Satir ist gekennzeichnet durch eine
besondere Körperhaltung, eine spezielle Gestik, begleitende Körpergefühle
und eine spezifische Syntax.
1. Beschwichtigen: Das heißt, unsere
Gefühle über unseren Wert zu miss-
achten, unsere Macht dem anderen
zu überantworten und zu allem ja zu
sagen. Der Beschwichtigende berücksichtigt Andere (A) und den Kontext (K),
aber sich selbst nicht.
2. Anklagen: Hierbei handelt es sich
um das Gegenteil von beschwichtigen.
Der Anklagende ist ein „Fehler-Sucher“,
ein Diktator. Der Anklagende berücksichtigt das Selbst (S) und den Kontext
(K), aber nicht den Anderen (A).
3. Ablenken (irrelevantes Reagieren):
Das ist ein Versuch, die Aufmerksamkeit von den zur Diskussion stehenen
Themen abzulenken. Das Selbst (S),
Andere (A) und der Kontext (K) werden
nicht berücksichtigt.
4. Rationalisieren: Das Selbst (S) und
Andere (A) bleiben unberücksichtigt.
Der Rationalisierende richtet sich beim
Handeln nur nach den Kontext (K),
meist auf der Ebene von Information
und Logik.
Virginia Satir war der Ansicht, dass ein
großer Teil der Fehlkommunikation auf
Inkongruenzen in der Kommunikation
zurückgeht (Die Inkongruenzen entstehen oft aufgrund der vier Typen s. o.).
Um den Menschen zu helfen, die fünfte
Haltung anzunehmen - die „Kongruenz“ -, hat sie eine Liste von wichtigen
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Anhaltspunkten zusammengestellt:
Man sollte sich (S), (A) und (K) bewusst
sein, anderen die volle Aufmerksamkeit schenken und sich der Botschaften
des eigenen Körpers bewusst sein.
Eine weitere Technik von Virginia Satir
ist Parts-Party, wobei es sich um ein
komplexes „Integrations-Rollenspiel“
handelt. Für eine Person, den „Gastgeber“, wird durch die Gruppe ein Fest
seiner Persönlichkeitsanteile dargestellt. Die Personen sind namhafte
Gestalten der Gegenwart und der Vergangenheit, die jeweils positive oder
negative Eigenschaften des Gastgebers
verkörpern. So wird das positive und
das negative Wunschbild des Selbst
des Gastgebers dargestellt.
Das Ziel einer Parts-Party ist es, besser
mit unseren vielen verschiedenen Teilen und Verhaltenstendenzen umzugehen und sie in Ressourcen für Ganzheit
und Kongruenz umzuwandeln. Durch
die Parts-Party werden unsere inneren
Ressourcen identifiziert, transformiert
und integriert.
Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Virginia_Satir
http://www.nlp-bibliothek.de/nlp-master/m-12-00virginia-satir.html
Der Ehebruch in der Literatur
Ignacio lloret
Der Ehebruch ist eins der herkömmlichen
Schwerpunkte in der Literatur. Anders
als bei anderen Themen, die mittlerweile
literarisch veraltet sind, ist der Ehebruch
immer noch aktuell. Doch hat sich dieser
Belang an jede Zeit angepasst, anpassen
müssen. Nachfolgend werden wir sehen,
aus welchen Blickpunkten es angesehen
worden ist, so dass es ständig eine brisante Angelegenheit der Romane bleibt.
Dazu habe ich willkürlich 10 Beispiele
ausgesucht, in denen man beobachten
kann, welche Nuancen die Autoren
hervorgehoben haben, um das leidige
Thema in ihren Büchern zu behandeln.
Bei dieser Auswahl ist meinerseits kein
Anspruch auf Volllständigkeit. Man hätte
andere bzw. mehr Titel auswählen können. Wichtig ist es, anhand dieser 10 Beispiele verstehen zu können, wie der Seitensprung in jeder Gesellschaft, in jedem
Zeitalter bewertet, geschätzt, beurteilt...
verurteilt worden ist. Denn wir wissen
längst, dass das Leben der Menschen
besser durch die Romane zu verstehen ist
als durch die offizielle Geschichte.
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Göttingen und seine
Universität
Antoine Mandret-Degeilh
Bei der Besichtigung Göttingens ging
es um das Thema Universität.
Am Sonntagvormittag zeigte eine
Führung durch die Stadt, wie eng die
Geschichte der Stadt Göttingen und
die der 1734 gegründeten Universität
Göttingen miteinander verbunden
sind. Viele Stationen der Stadtführung
zeugen davon: zum Beispiel die alte
Stadt- und Universitätsbibliothek, die
mit ihrem damals bahnbrechenden
Fernleihsystem sowie der Ausleihmöglichkeit an Studenten rasch zum Ruhm
der Universität beitrug. Zu den „Zeugen“ gehört auch der 1901 auf dem
Marktplatz vor dem mittelalterlichen,
sogenannten „Alten“ Rathaus aufgestellte Brunnen der Gänseliesel, die
noch heute als Wahrzeichen der Stadt
gilt und nach altem (ursprünglich
wahrscheinlich sexistischem) Brauch
von jedem frisch promovierten Doktor
geküsst wird. Hier reiht sich auch das
Bismarck-Häuschen am äußeren Rande
der Stadtbefestigung ein, wo der spätere Reichskanzler als agitierender Student nach seinem Ausschluss aus der
Universität und der Stadt Göttingen
einige Zeit wohnte. Weitere Stationen
waren das 1790 als erste universitäre
Entbindungsklinik des deutschsprachigen Raums gegründete Accouchierhaus, die Aula am Wilhelmsplatz, die
zum 100. Jahrestag der Universitätsgründung als zentrales repräsentatives
Gebäude der Universität gebaut
wurde, der alte (universitäre) botanische Garten und letztendlich das 1865
erbaute Auditorium Maximum.
Die zwei folgenden Teile des Besichtigungsprogramms am Sonntagmittag
und -nachmittag illustrierten ebenfalls, wie die Universität das Leben
der Stadt prägte bzw. noch prägt. Zunächst nahmen wir an einer Führung
durch die reiche Kunstsammlung der
Göttinger Universität teil, die den Einwohnern und Besuchern Göttingens
offensteht. Eine schöne und interessante Auswahl an Werken der Malerei
aus der Zeit zwischen dem 16. und 19.
Jahrhundert wurde den ISB-Teilnehmern durch eine Studentin der Kunstgeschichte vorgestellt. Wir warfen
auch einen Blick in die provisorische
Ausstellung über die akademischen
Strenge, Zwänge und die künstlerische
Freiheit. Die letzte Etappe des Göttinger Ausflugs bildete eine spannende
Stadtführung zum Thema Göttingen
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im Nationalsozialismus.
Wobei diese dritte Führung selbstverständlich über das Thema „Universität“
hinausging und von außeruniversitären Themen wie der Göttinger SS und
der Verfolgung der Juden in Göttingen
handelte. Bereits bei der Besichtigung
der Aula wurde der geschichtliche
Aspekt der damals verfolgten und von
der Universität ausgeschlossenen Professoren vorgestellt.
Zu den besichtigten Sehenswürdigkeiten gehörten auch die Dorntze im Alten Rathaus (ehemaliger Ratssaal und
jetziges Trauzimmer) sowie der Karzer
der ehemaligen Göttinger universitären Gerichtsbarkeit.
Obwohl es sich um einen äußerst abwechslungsreichen Ausflug handelte,
wird sich eine Rückkehr nach Wolfsburg und Göttingen in den nächsten
Jahren zweifellos lohnen!
Health Systems in Transitions
Nino Mikelaishvili
Der Weltgesundheitsbericht 2000
hat die Finanzierung, neben der
Leistungserbringung, der Erzeugung
von Ressourcen und der Steuerung
(stewardship) als eine von vier Funktionen des Gesundheitssystems herausgestellt. Diese Funktionen dienen
dem Erreichen der Ziele in Bezug auf
die Gesamtleistungen der Gesundheitssysteme: z. B. die Verbesserung
der Gesundheit der Bevölkerung, ein
höheres Maß an Bedarfsgerechtigkeit
des Systems hinsichtlich der Erwartungen der Bevölkerung (responsiveness)
und größere „Fairness“ hinsichtlich der
finanziellen Beiträge der Bevölkerung
zum Gesundheitssystem.
Die folgenden zwei Ziele der Gesundheitsfinanzierung sind mit den allgemeinen Zielen der Gesundheitssysteme identisch und lauten: Förderung
a) einer Absicherung gegen finanzielle
Risiken und b) einer gerechten Verteilung der Finanzierungslasten des Systems. Derselbe Weltgesundheitsbericht
2000 empfiehlt, ein hohes Maß an Vorauszahlung (prepayment) sicherzustellen, um diese finanzielle Absicherung
und gerechte Finanzierung zu gewährleisten. Es wurde auch anerkannt,
dass eine Vorschussfinanzierung aus
Pflichtbeiträgen (wie z. B. allgemeine
steuer- oder lohnabhängige Beiträge)
tendenziell gerechter ist als die privaten Zahlungen. Diese werden als am
wenigsten gerecht erachtet. Deshalb
geben die Erkenntnisse aus aller Welt,
die ein hohes Niveau an Zahlungen
aus den Taschen der Kranken (out-ofpocket payments) belegen, Anlass zu
Besorgnis. Dies kann auch in Georgien
der Fall sein.
Georgien hat ein Gesundheitssystem,
das überwiegend durch private Ausgaben in Form von „out-of-pocket“Zahlungen finanziert wird. Diese
Ausgaben machten 2008 69,1 Prozent
aller Geldmittel innerhalb des Gesundheitssystems aus. Im internationalen
Vergleich, insbesondere im Vergleich
zum EU-Durchschnitt von 25 Prozent,
ist dies ein relativ hoher Wert. Der
staatliche Beitrag zur Finanzierung
der gesamten Gesundheitsausgaben
beträgt 20 Prozent. Als Anteil am
BIP ausgedrückt, beträgt der staatlich finanzierte Anteil 1,8 Prozent,
während die Gesamtsumme der
Gesundheitsausgaben 7,8 Prozent des
BIP ausmacht. Hierbei handelt es sich
um gepoolte Werte und um Angaben
darüber, wie viel Geldmittel für die
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Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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staatlich finanzierten Gesundheitsprogramme ausgegeben werden, also
für die Krankenversicherung der einkommensschwachen Bevölkerung und
der Beamten, die Grundversorgung
und für die Notfall- und Krankenhausversorgung für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Wer keinen Anspruch
auf diese Programme hat, muss jede
Gesundheitsleistung, sei es eine Impfung oder eine größere Operation, aus
eigener Tasche bezahlen. Bei der immer
noch weitverbreiteten Armut und
den durchschnittlich sehr niedrigen
Einkommen der Georgier wundert es
nicht, dass 75 Prozent der Bevölkerung
gar keine Krankenversicherung besitzen.
Private Ausgaben stellen eine finanzielle Barriere dar und behindern die
Bevölkerung am Zugang zu einer ihren
Bedürfnissen entsprechenden Gesundheitsversorgung.
Die Fragestellung meiner Masterarbeit
lautet wie folgt:
Welche Gestaltungsmöglichkeiten von
Versicherungssystemen im Bereich
der Gesundheit, die einen größeren
Anteil der Bevölkerung abdecken und
ein hohes Maß an Vorauszahlung
(prepayment) gewährleisten, gibt es in
Georgien?
Für die Datenerhebung wähle ich
die Methode qualitativer Interviews.
Dazu werde ich sieben offene Leitfadeninterviews durchführen. Nachdem
Einverständniserklärungen eingeholt
wurden, werden die verbalen Äußerungen mit einem Tonbandgerät
aufgezeichnet und vor der interpretativen Auswertung verschriftet (transkribiert). Ich habe folgende Punkte für
den Interviewleitfaden festgelegt:
- Wie ist der gegenwärtige Stand der
Gesundheitsfinanzierung (Schwäche,
Stärke)?
- Mit welcher Methode kann ein er-
höhtes Pooling erreicht werden?
- Wieso wird nicht mehr auf die 1995
eingeführte und 2004 gescheiterte
„Soziale Versicherung“ gesetzt und
welche Alternativen gibt es?
Die Experten sollten genügend
Kenntnisse über alle Kontextfaktoren
innerhalb und außerhalb des Gesundheitssystems haben. Das betrifft
vor allem das fiskalische Umfeld, die
Auswirkungen auf die Umsetzung
bestimmter Reformoptionen oder auf
deren Folgen ebenso wie das Benennen
und Vorhersagen wahrscheinlicher
Szenarien. Infrage kommen daher
hauptsächlich Gesundheits- und Wirtschaftsexperten, wie z. B Professoren
oder Mitarbeiter der Gesundheits- und
Finanzministerien, die auch den Zugang zu weiteren Informationsquellen
verschaffen können.
Es muss herausgefunden werden
- ob und wie es möglich ist, ein höheres
Maß an Vorauszahlung zu schaffen
(prepayment)
- welche Hindernisse und welche
Hemmnisse vorhanden sind (fiskalisches Umfeld, Bereitschaft des
Gesundheitsministerium Verbesserungen vorzunehmen, Kenntnisse
über Schwäche und Stärke des Systems)
- welche Gründe es für das Scheitern
der Einführung der sozialen Versicherung gab. Ist die Lage heutzutage
besser als damals und wenn ja, warum wird nicht nochmals eine solche
Reform unternommen? Was könnten
mögliche Folgen einer solchen Reform
sein?
Aus der Interviewsituation heraus, ist
es auch möglich, spontan neue Fragen
einzubeziehen.
Ziel der Interviews im Rahmen meiner
Masterarbeit ist es, den aktuellen
Stand des Wissens, der Problematiken
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Quellen:
Forschungsmethoden und Evaluation für Humanund Sozialwissenschaftler; 4. Auflage; Bortz J., Döring
N.
Health Financing Policy: a guide for decision-makers;
Health Financing Policy Paper 2008/1; WHO; http://
www.euro.who.int/en/what-we-do/health-topics/
Health-systems/health-systems-financing/
publications2/2008/20081-health-financing-policy-aguide-for-decision-makers
Health systems in transition; Georgia; Vol. 11; 2009
Household catastrophic health expenditure: evidence
from Georgia and its policy implications; Gotsadze G,
Zoidze A, Rukhadze N, , Biomed Central
The World Health Report 2000; Health Systems:
Improving Performance; WHO 2000;
World Health Statistics 2011; Health Expenditure;
WHO; http://www.who.int/whosis/whostat/en/
Berichte der BewohnerInnen
und Lösungskonzepte durch die Experten selbst zu erfassen. Ich erwarte, dass
durch die Experteninterviews sowohl
deskriptive Aussagen (Beschreibungen
von Sachverhalten) als auch normative
Aussagen (Beurteilungen durch den
Experten) erfasst werden. Der Vergleich
der Aussagen verschiedener Experten
wird einen Wissensstand zur Fragestellung schaffen, der hilfreich für die
spätere Umsetzung von Reformen der
Gesundheitsfinanzierung sein könnte.
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Studentenwerk Berlin
„Mord ist ein Verbrechen –
keine Ehrensache!“
Sultan Özalan
I. Einleitung
7. Februar 2005: Hatun Sürücü wird
vor ihrer Wohnung an einer Bushaltestelle an der Tempelhofer Oberlandstraße mit drei Kopfschüssen getötet.
Als Tatverdächtige nimmt die Polizei
drei ihrer Brüder fest. Als Motiv wurde
ein „Ehrenmord“ vermutet, da Hatun
ihren Ehemann und ihre Familie
verlassen und sich entschlossen hatte,
ein selbstständiges Leben zu führen.
Als Hatun Sürücü von ihrem Bruder
getötet wurde, war der Begriff „Ehrenmord“ in Deutschland wohl den
wenigsten geläufig. Es folgten jedoch
noch weitere Ehrenmorde. Auch die
Medien machten immer mehr auf dieses Thema aufmerksam. Mittlerweile
hat der Begriff der „Ehrenmorde“ sogar Eingang in den Duden gefunden.
Nach einer im Jahre 2006 veröffentlichen Studie des Bundeskriminalamts
wurden in Deutschland im Zeitraum
von 1996 bis 2006 55 Fälle als Ehrenmorde verzeichnet. Dabei sind
insgesamt 70 Opfer, davon 48 weibliche und 22 männliche, registriert. Es
handelt sich hierbei um 48 vollendete
und 22 versuchte Tötungshandlungen.Weltweit sollen nach Angaben
der Menschenrechtskommission der
Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000
ca. 5000 weibliche Personen jedes Jahr
Opfer von Ehrenmorden werden.
Die Dunkelziffer dürfte diese Zahl noch
um ein Vielfaches übersteigen, da
Ehrenmorde häufig von den beteiligten
Familienangehörigen als Unfall getarnt
oder einfach verschwiegen werden.
II. „Ehrenmord“ – Begriff und
kultureller Ursprung
Nach der Definition des Bundeskriminalamts (BKA) handelt es sich bei Ehrenmorden um Tötungsdelikte, die aus
vermeintlich kultureller Verpflichtung
heraus innerhalb des eigenen Familienverbandes verübt werden, um der
Familienehre gerecht zu werden.
Ehrenmorde kommen vor allem in
patriarchalischen, konservativen Gesellschaften vor, in denen das Ansehen
und der Ruf einer Familie von großer
Bedeutung sind und das Leben des
Mannes und seine Ehre höher bewertet
werden als das Leben einer Frau. Dabei
ist dieses Phänomen nicht nur in islamisch geprägten Ländern zu finden,
sondern auch unter Christen, beispielsweise im Libanon und in Syrien oder in
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asiatischen, kommunistisch geprägten
Ländern, z. B. in Vietnam.
Hier in Deutschland stammen die
Täter und Opfer von Ehrenmorden
ausschließlich aus Migrantenfamilien,
zumeist türkischer Herkunft. Dies
könnte damit begründet werden, dass
die türkischen Mitbürger den größten
Ausländeranteil in Deutschland bilden.
Besonders für junge Frauen, die in
Deutschland geboren oder aufgewachsen sind und aus der dritten und
vierten Generation von Einwandererfamilien stammen, ist es besonders
schwierig. Denn sie bewegen sich oft
zwischen der traditionell islamischen
und der modernen westlichen Welt. Sie
müssen den Spagat zwischen dem traditionellen Elternhaus und dem westlichen Lebensstil bewältigen, der ihnen
z. B. in der Schule und Ausbildung
vorgelebt wird. Während die „Älteren“
noch stark an ihren Traditionen und
Wertevorstellungen festhalten, passen
sich die jungen Leute immer mehr der
westlichen Lebensweise an. Genau dies
führt dann zu Konflikten innerhalb der
Familie, da die neuen Lebensgewohnheiten nicht akzeptiert werden. Dabei
dreht es sich im türkischen Kulturkreis
hauptsächlich um den Begriff der
„Ehre“. Das türkische Ehrkonzept besteht aus drei Elementen.
III. Der Begriff der Ehre im
türkischen Kulturkreis
1. „Namus“ (Ehre)
„Namus“ ist die geschlechtsspezifische
Rolle von Mann und Frau. Man versteht
darunter die Verletzung der geltenden
Normen. Die Ehre kann nicht erworben, sondern nur verteidigt werden.
Die Ehre definiert sich u. a. über die
sexuelle Integrität der Frauen in der
Familie, insbesondere über die sexuelle
Enthaltsamkeit. Familienehre ist also
abhängig vom „richtigen“ Verhalten
der weiblichen Familienmitglieder.
Hintergrund des Ganzen ist die Kontrolle der weiblichen Sexualität, denn
Sexualität wird nur innerhalb der
Ehe toleriert. Das Verständnis für den
Begriff der Ehre ist abhängig von der
geografischen Lage innerhalb der Türkei: Die Regeln im Osten basieren auf
strengeren Maßstäben als im Westen
des Landes. Demnach ist das Ehrverständnis in den Städten lockerer als in
dörflichen Gebieten.
2. Achtung und Würde
Weitere, mit dem türkischen Ehrbegriff („namus“) eng verbundene
Begriffe sind „saygi“(Achtung) und
„seref“(Würde).
Die Achtung („saygi“) bestimmt das
Verhältnis zwischen Älteren und Jüngeren. Die Jüngeren sind verpflichtet,
Achtung gegenüber Älteren zu haben.
Dies soll durch verschiedene Verhaltensweisen zum Ausdruck gebracht
werden, z. B. steht ein Jüngerer auf,
wenn ein Älterer den Raum betritt,
oder dem Jüngeren ist es verboten, einem Älteren zu widersprechen. Durch
das Einhalten dieser Regeln, bringen
die Jüngeren den Respekt gegenüber
Älteren zum Ausdruck.
Mit der Würde („seref“) ist der gesellschaftliche Achtungsanspruch des
Einzelnen oder der Familie gemeint.
Sie hat im Vergleich zu „namus“ nichts
mit der Geschlechterehre zu tun. Unter
diesem Begriff versteht man vielmehr
einen durch persönliche Fähigkeiten
und Tugenden erlangten guten Ruf.
Eine Parallele zu „namus“ und „saygi“
besteht insofern, dass auch hier die
Auffassung der Gemeinschaft maßgeblich ist.
Fraglich ist nun, was genau in patriarchalischen Gesellschaften eine
„Ehrverletzung“ darstellt? Hier einige
Beispiele:
a) Formen möglicher Ehrverletzung
• der Verlust der Jungfräulichkeit vor
•
•
•
•
•
der Ehe
eine außereheliche oder durch die
Eltern nicht geduldete Beziehung
einzugehen
die Trennung oder die beabsichtigte Trennung vom Ehemann
könnte auch eine Ehrverletzung
darstellen
Untergraben der Rolle des Mannes
als Beschützer und Versorger der
Familie
Ablehnung eines durch die Familie ausgewählten Ehemannes
(Zwangsheirat)
Abkehr von Traditionen/Lebensweisen des Herkunftslandes und
Orientierung am westlichen
Lebensstil
b) Auswirkungen des Ehrbegriffs
Kommt es infolge eines „Fehlverhaltens“ zu einer Verletzung der
Familienehre, so ist es Aufgabe der
männlichen Familienmitglieder, diese
wiederherzustellen. Dies geschieht in
der Regel mittels Gewalt, in einigen
Fällen leider mittels tödlicher Gewalt.
IV. Ehrenmorde aus islamischer Sicht
Das Thema „Ehrenmorde“ wird in den
Medien meistens im Zusammenhang
mit dem Islam gebracht. Daher soll im
Folgenden die Frage erörtert werden,
ob tatsächlich eine Verbindung zwischen „Ehrenmorden“ und dem Islam
besteht.
Im Koran ist keine konkrete Stelle
über Ehrenmorde zu finden. Der
Koran ist auch gegen die Tötung eines
Menschen. Die Ehre im Koran ist
überwiegend durch die voreheliche
Keuschheit und die eheliche Treue beider Geschlechter gekennzeichnet.
„Die Unzüchtigen und den Unzüchtigen, peitscht jeden von beiden mit
hundert Hieben aus [...]“
(Sure 24, Vers 2).
Aus dieser Sure geht hervor, dass
der Koran für die „Unzüchtigen eine
Bestrafung vorsieht. Dies gilt für
beide Geschlechter, für Mann und
Frau. Im Koran sind, wie man erkennt,
Sanktionsformen in Form von Gewalt
vorgesehen. Aber eine Bestrafung mit
dem Tod wird keinesfalls erwähnt.
Ein weitere Sure aus dem Koran lautet:
„Die Männer stehen den Frauen vor,
weil Gott die einen vor den anderen
ausgezeichnet hat und weil sie von
ihrem Vermögen ausgegeben haben.
Die rechtschaffenen Frauen sind gehorsam und wahren das Verborgene,
da Gott es wahrt. Die, deren Widerwille ihr fürchtet, die ermahnt, meidet
in Betten und schlagt sie! Wenn sie
euch dann gehorchen, dann geht nicht
weiter gegen sie vor!“
(Koran, Sure 4, Vers 34).
In dieser Sure ist erkennbar, dass im
Koran differenziert wird zwischen der
Stellung des Mannes und der einer
Frau. Hier wird deutlich, dass der
Mann über die Frau dominiert und
Sanktionsformen in Form von Gewalt
vorgesehen sind. Eine Bestrafung
mit dem Tod wird jedoch keinesfalls
erwähnt. Somit könnte der Verdacht
naheliegen, dass Aussagen des Korans
über die weibliche Sexualität durch
Auslegung missbraucht und als
Rechtfertigungsgrund für Ehrenmorde
genutzt werden. Daher könnten sich
Männer aus streng patriarchalischen
Gesellschaften aus diesen Überlieferungen das Recht ableiten, solche
Taten zu begehen.
V. Der „Ehrenmord“ aus strafrechtlicher Sicht
Ob ein „Ehrenmord“ auch strafrechtlich als Mord bewertet wird oder ob
der Täter mit einer Strafe wegen Totschlags bestraft wird, ist die entscheidende Frage bei dieser Untersuchung.
Die Strafgesetzgebung unterscheidet
bei den vorsätzlichen Tötungsdelikten
u. a. zwischen Totschlag und Mord:
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Als Totschlag gem. § 212 StGB wird die
vorsätzliche Tötung bezeichnet; sie
ist mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Eine vorsätzliche
Tötung ist dann als Mord gem. § 211
StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe
zu bestrafen, wenn ein sogenanntes
Mordmerkmal vorliegt.
Mörder ist, wer aus Mordlust, zur
Befriedigung des Geschlechtstriebs,
aus Habgier oder sonst aus niedrigen
Beweggründen heimtückisch oder
grausam oder mit gemeingefährlichen
Mitteln oder, um eine andere Straftat
zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet (§ 211 Abs. 2
StGB).
Ehrenmorde werden häufig als Tötung
aus niedrigen Beweggründen eingestuft und damit als Mord bestraft. Der
Täter handelt aus niedrigen Beweggründen, weil er das Leben des Opfers
für geringwertiger erachtet als die
Familienehre. Der sogenannte „Ehrenmord“ stellt also auch im strafrechtlichen Sinne regelmäßig einen Mord dar.
Nur in einigen Ausnahmefällen
kann die Bewertung als „niedriger
Beweggrund“ entfallen. Und zwar
dann, wenn die Täter außer Stande
sind, ihre Taten zu kontrollieren; hier
kann der Täter ausnahmsweise wegen
Totschlags verurteilt werden. Das heißt
ein von seinen heimatlichen Wertvorstellungen stark beherrschter Täter,
der sich von ihnen zur Tatzeit aufgrund
seiner Persönlichkeit und seinen
Lebensumstände nicht lösen konnte,
kann somit ausnahmsweise wegen
Totschlags verurteilt werden.
VI. Prävention
Im Folgenden sollen die Möglichkeiten
der Prävention dargestellt werden.
1. „Hennamond“ und Projekt
„Hippy“
Durch Ehrverbrechen bedrohte Mädchen und Frauen haben die Möglichkeit, sich über den Verein Hennamond
e. V. Hilfe zu holen. Ziel dieses Vereins
ist es, jungen Frauen, die von häuslicher Gewalt, Zwangsheirat oder
Ehrenmorden bedroht sind, mit Rat
und Tat zur Seite zu stehen. Eine gute
Bildung ist die präventiv wirksamste
Maßnahme, um Verbrechen im Namen
der Ehre vorzubeugen. Denn nur, wer
von Kindesbeinen an über seine Rechte
und Pflichten aufgeklärt ist, kann ein
standhaftes Selbstbewusstsein entwickeln und sich hierbei an „westliche“
Wertvorstellungen annähern. Um
dies zu erreichen, wurde das Projekt
„Hippy“ ins Leben gerufen. Die Kinder
werden in Feinmotorik, Konzentrationsfähigkeit und Sprachentwicklung
geschult. Sie werden spielerisch für die
Schule vorbereitet. Auch die Mütter
profitieren von dem Programm, indem
sie Deutsch lernen und ihre Kinder
stärken können.
2. Verpflichtung zur Integrationsbereitschaft
Der Schwerpunkt in der Arbeit zur
Vermeidung von Ehrverbrechen liegt
im Bereich der Integration, die bereits
ganz früh, ab dem Kindergartenalter
ins Auge gefasst werden sollte.
Die Kenntnis der Deutschen Sprache
und das uneingeschränkte Bekenntnis
zur freiheitlich demokratischen Grundund Werteordnung sind dabei ganz
wichtige Faktoren.
3. Mögliche Ansatzpunkte
•
sozialer Wohnungsbau (Verhinde-
•
Betreuungsplätze
•
allgemeine Kindergartenpflicht
•
allgemeine Schulpflicht
•
Frauenberatung
•
Erweiterung sozialer Angebote
rung einer „Ghettoisierung“)
VII. Fazit
Fazit ist, dass eine Besserung der gesamten
Situation und ein wirksames Entgegenwirken nur dann möglich sind, wenn
konsequent an einer erfolgreichen Integration unserer ausländischen Mitbürger in
Deutschland gearbeitet wird!
(Koran, übersetzt von Max Henning)
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Der Rechtsstaat in der
postsowjetischen Gegenwart
Rail Safiyev
Das Recht stellt ein Gebiet des Zusammenschlusses der Staatsangehörigen
und Rechtsinhaber dar. Somit erfüllt
es eine Verrechtlichungs- und Verstaatlichungsfunktion. Das öffentliche
Wissen darüber, dass jedem in dem
Staat das Mitsprache- bzw. Mitwirkungsrecht zusteht, ist Carothers zufolge die Voraussetzung für die effektive
Durchsetzung und Allgemeingeltung
des Rechtsstaats.
Das Recht ist nicht eine autonome,
separate Gesellschaftssphäre. Daher
hinterließ der gesellschaftliche
Normenwandel, der sich nach
der Wende 1989 vollzogen
hatte, weit reichenden Folgen
für das Rechtssystem der
ehemaligen Sowjetstaaten. Durch
Internationalisierung des Rechts und
in der Welle der wirtschaftlichen und
kulturellen Transformation erhob
sich der Rechtsstaat, worauf jetzt in
den Staaten des postsowjetischen
Raums die Verfassung und allgemein
staatliche Existenz stützen, zum
allgemeingültigen Etalon eines
Staatlichkeitsverständnisses. Die
faktisch absolute Ideenhoheit
des Rechtstaats entspringt seiner
Verankerung in universellen
Menschenrechtsakten. Im idealen
Modell des Rechtsstaates, das
sich aus der westlichen Erfahrung
herausgebildet hat, ist eine Autonomie
des Einzelnen für die Ausübung seiner
Grundrechte und Verpflichtungen
vorgesehen, d.h., ein Individuum in
der Interaktion mit dem Staat sowie
in anderer vertraglicher Form kann als
legale Persönlichkeit auftreten.
Für die reibungslose Funktion des
Rechtsstaats wird die bürgerliche
Partizipation als unerlässlich
angesehen. Dies erklärt Habermas
mit dem internen Zusammenhang
zwischen Demokratie und Rechtsstaat.
Dieser Zusammenhang impliziert
zum einen die Rechtspositivität, also
dass das Recht seine Legitimität und
Anwendung lediglich aus dem ihm
übergeordneten, höheren Recht, z.B.
der Verfassung bezieht. Zum anderen
trägt es aber der eigenständigen
Entscheidung und Mitbeteiligung des
freien Bürgers an der Rechtswirkung
Rechnung. Dadurch wird von
Habermas argumentiert; das Recht
in der modernen Auffassung nimmt
die dem subjektiven Gewissen
überantwortete Morallast der sich
in seinen Pflichten verwirrenden
Menschen ab.
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Im alltäglichen Leben ist das Recht
sowohl das substantielle als auch
symbolische Werkzeug des Staates. Im
legalen Feld werden die politischen
Kämpfe entscheidend für das Wesen
des Rechts, wie Machtverhältnisse,
Interessen, Werte und Ideologien. Dem
Staat obliegt es, die stabilen Rahmenbedingungen zu schaffen, und zwar
so interessen- und wertneutral wie
möglich, damit die Rechtsinhaber ihre
Ziele realisieren können. Dem gesetzlich handelnden Beamtenapparat wird
von den Bürgern der Respekt gezollt,
wenn ihren Beschwerden angemessene Beachtung geschenkt wird und
ihre Erwartungen erfüllt werden. Das
trägt auch zu einem Idealbild und
den positiven Einstellungen über den
Rechtsstaat bei.
Man kann eine weitere Dimension des
Rechts und Rechtsstaats einschlagen,
nämlich damit, wie Herrschaft durch
Recht (rule by law) erhalten bzw.
gesichert wird. In einem autoritären
Umfeld, wie es in vielen alten Sowjetländern heutzutage der Fall ist, kann
es besonders leicht fallen, die vorgetäuschte Wahrheit über die Herrschaft
des Rechts zum Staatlichkeitsprinzip
zu erheben.1 Bereits in dem sowjetischen System waren die Grundlagen
des machtkalkulatorischen Nutzens
des Rechts geschaffen worden. Das
Recht kann wohl in jeder Gesellschaft
den konkreten politischen Interessen
angepasst werden, so dass es als unterdrückender Herrschaftsmechanismus
eingesetzt wird. Ein Herrschaftsinstrument, dem „man nach Möglichkeit
auch ausweicht.“ (Küpper: 391)
Bislang wuchs das Recht in der postsowjetischen Realität nicht zu einer
autoritären Kraft, die den Menschen
das rechtgemäße Handeln beibringt.
Galligan u. a. begründen dieses Versagen durch den Aushöhlungscharakter
1 Carothers verdeutlicht es am Beispiel von
südostasiatischen Staaten, wo die Rechtsreformen
gewisse Erfolge zeitigen, jedoch die Politik der
rechtlichen Verantwortung ausweicht.
der bestehenden sozialen Normen in
diesen Gesellschaften und die damit
einhergehenden Lähmung der effektiven Rechtswirkung. Die Annahme besteht darin, dass die sozialen Normen
in der Gesellschaft das Recht und die
Rechtswahrnehmung unterstützen. In
mehreren post-sowjetischen Gesellschaften hat man stattdessen aus der
sowjetischen Hypothek die verzerrten
Werte übernommen. Weiterhin hat die
totale Korrumpierung der Gesellschaft
und des Staatsapparates den negativen Mythos über das Recht verstärkt,
hinter dem der Bürger immer etwas
Suspektes zu erfahren gelernt hat.
Somit hat das Recht die antizipierte
positive, stabilisierende und regulative
Rolle in der Gesellschaft verfehlt.
In einem Staat, in dem die Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle
an der Willkür der Herrschaft und
Machterhaltungsideologie scheitert,
fungiert das staatliche Feld des Rechts
nicht seiner genuinen Logik nach,
d. h., unabhängig. Das Recht bildet
in diesem Staat eine abgrenzende
Sprache, die die Machthaber zu handhaben verstehen. Deshalb sind sie aber
diejenigen, die „unrechtlichen“ Kommunikationsformen, mit einem Wort
das informale Recht beherrschen und
richtungweisend für ihre Machtsziele
anwenden. Ebenso dient die symbolische Differenzierung des Rechts, die im
Sinne für die Gemeinwohl der Gesellschaft deklariert wird, zur Einkreisung
und Behütung der eigens gesteuerten
Machtsphäre, in die der Zugang lediglich den Staatsverwaltenden möglich
ist und die sie ermächtigt, Sanktion
bzw. Suspension des Rechts nach
eigenem Gutdünken (in diesem Fall
faktisch rechtloser Menschen gegenüber) einzusetzen. Die vorhin erwähnte
Autonomisierung des Rechts für den
Einzelnen, die die Obrigkeit der Staatsnormen und Gesetzesanwendung
sowohl für Staatsbürgern wie auch
für das Beamtenapparat aufzwingen
soll, wird im Grunde zum von Beamten
und Staatsoligarchie im strategischen
Umgang gegenüber den Bürgern
beschützte Bollwerk der staatlichen
Kriminalität. Das Gesetz selbst ist, so
sonderbar das auch klingen mag, der
Schutzschild einer Bande Krimineller.
Daraus schlussfolgert Gel’man am Beispiel Russlands das Wesen der „Diktatur des Rechts“, die dem Wortlaut Putin
entnommen wurde, als er damit stabile und berechenbare legale Verhältnisse für Russland versprach. Für Gel’man
ist eine strenge Rechtsdiktatur, wie es
in der Sowjetzeit zum Teil üblich war,
aus der Kosten-Nutzen Kalkül der heutigen Machthaber Russlands weniger
attraktiv. Daher stellt bargaining, also
das Aushandeln des Rechts die bessere
Option dar. Aber gerade dann gelangen
m. E. diese Herrschaftssysteme an totalitäre Formen, wenn als demokratisch
vorgaukelten Institutionen zur Unterwerfung und totalen Gehorsamkeit im
Namen der Rechtstaatlichkeit führen.
Die dem Rechtstaat zugrunde liegende
kooperative und mitbestimmende
Haltung des Bürgers geht in die Bestechungsdeals auf.
Daher leitet sich und dies ist die
Grundthese in diesem Artikel, aus der
normativ implizierten und von vielen
Liberalismusbefürwortern romantisch
propagierten Rechtsstaatsidee die
Komplexität eines zu erwartenden
Widerstands gegen autoritär regierten
Regime ab. Denn einerseits knüpft
der Rechtsstaat an unwidersprüchlich
geltende und demokratische Universalstandards an, andererseits eröffnet
aber dem Regime eine Möglichkeit für
Tarnungsmanöver, die sich gut eignen,
die „Wahrheit und Gerechtigkeit“ im
eigenen Machtinteresse zu reproduzieren. Anders und Nuijten sehen in
dieser statisch wiederholenden Unbestimmtheit des Rechts die Ausbeutungschance für diejenigen, die sich
in den alltäglichen Lebenssituationen
- wenn sich zwischen der Abstraktheit
und Realität des Rechts eine tiefe Kluft
auftaut - „besser“ auskennen. In dem
mal kollidierenden, mal komplementierenden Normen und Regelkomplex
entscheidet der Herrscherwille, wie
ausdehnbar die normative Anwendbarkeit des Rechts ist, und wann es
sich anbietet, auf das ohnehin regulär
bediente Regelwerk des „Rechtsstaats“
zurückzugreifen.
Quellen:
Anders,Gerhard/Nuijten, Monique (2007). Corruption
and the Secret of Law: An Introduction. In. Anders,
Gerhard (Hg.), Corruption and the Secret of Law:
A Legal Anthropological Perspective. Burlington:
Ashgate. (1-27)
Brodocz, Andre (2009). Die Macht der Judikative.
Wiesbaden: VS Verlag.
Carothers, Thomas (1998). The Rule of Law Revival.
Foreign Affairs 77 (2): 95-106.
Galligan, Denis J. (2003). Law and Informal Practices:
The Post-Communist Experience. Oxford: Oxford
University Press
Gel’man: Vladimir (2000). The Dictatorship of Law in
Russia. Nether Dictatorship, Nor Rule of Law. PONARS
Policy Memo No.146. Online: www.csis.org/rusera/
ponars/policymemos/pm_0146.pdf [25.10.2011]
Habermas, Jürgen (1994). Über den internen
Zusammenhang von Rechtstaat und Demokratie.
In Preuß, Ulrich (Hg.), Zum Begriff der Verfasssung.
Frankfurt am Main: Fischer Verlag (83-94)
O’Donnel, Guillermo (1998). Polyarchies and the (Un)
rule of Law in Latin America. Paper presented at the
Meeting of the Latin American Studies Association.
O’Donnell, Guillermo (2010). Democracy, Agency, and
the State. New York: Oxford University Press.
Kurchiyan, Marina (2003). The Illegitimacy of Law
in Post-Soviet Societies. In Galligan Denis J. (Hg.):
Law and Informal Practices: The Post-Communist
Experience. Oxford: Oxford University Press (25-47)
Küpper, Herbert (1999). Rechtskultur und
Modernisierung in Osteuropa. Osteuropa 49 (4):
337-354
55
Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Impressionen eines Jahres
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Studentenwerk Berlin
Berlin, eine Stadt mit vielen
Seiten – die schönste Zeit
meines Lebens
Viktorya Sahakyan
Endlich komme ich dazu, hier etwas zu
schreiben und ein wenig zu berichten,
wie es mir geht und was ich in Berlin in
meinem akademischen Jahr 2011/2012
als Stipendiatin der Studienstiftung
des Abgeordnetenhauses von Berlin
erlebt habe.
Berlin ist eine Stadt, die viele Grenzen
hatte und jetzt keine mehr. Berlin ist
eine Weltstadt, weil sie Menschen aus
der ganzen Welt in ihren Bann zieht.
Berlin ist eine Baustelle, die nicht enden will. Und Berlin ist auf dem Weg in
eine neue Zeit.
Schon bevor ich mit meinem Forschungsprojekt in Berlin begonnen
hatte, wusste ich, dass ich im Ausland,
und zwar in Deutschland, studieren
wollte. Auch im Nachhinein bereue ich
meine Entscheidung nicht. Ich kann
es jedem nur empfehlen. Die vielen
Erfahrungsberichte, die man vor der
Abreise oder der Bewerbung vielleicht
liest, kommen einem manchmal leicht
übertrieben vor, wenn dort steht, dass
dieses Jahr in Berlin das beste Jahr
im Leben würde. Auf jeden Fall kann
ich sagen, dass ich es sofort wieder
machen würde und am liebsten gleich
noch einmal.
Ich bin ein ganzes Jahr in einem sehr
netten und herzlichen Haus namens
Internationales Studienzentrum Berlin
(ISB) untergekommen, wo ich viele
Studenten aus der ganzen Welt kennen
gelernt habe, von denen die meisten
meine Freunde geworden sind.
Das vielseitige kulturelle Programm im
ISB, z. B. mit Vorträgen und Exkursionen durch die historische Stadt Berlin,
das die unterschiedlichsten Interessen
und Vorlieben der Studierenden zu
befriedigen vermochte, hat mich am
meisten fasziniert. Das ISB wurde
durch Frau Manuela Ebel vertreten –
mein besonderer Dank gilt ihr.
Die Wahl des Landes, der Stadt und
der Universität war sehr gut. Die Freie
Universität zu Berlin, wo ich meine
Forschung durchgeführt habe, ist eine
sehr schöne und gute Universität.
Berlin ist eine schöne, lebhafte Stadt
und mit Sicherheit einen Besuch wert.
Die Stadt entspricht insgesamt dem
Klischee: viel Regen, unglaublich grüne
Wiesen, gute Stimmung. Ich kann nur
wiederholen: Berlin ist sehr schön,
besonders in der Nacht.
Das Berliner Lebensgefühl hat mich
innerhalb eines Jahres zu etwas ganz
Besonderem und Einzigartigem
gemacht: Begeistert bin ich von der
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
Kultur und von den faszinierenden
Bauwerken und Plätzen, welche Berlin
mir zu bieten hatte. Ein weiterer faszinierender Aspekt dieser wunderbaren
Stadt besteht in ihrer enormen Vielseitigkeit. Jedes einzelne Stadtviertel Berlins hat seinen ganz eigenen Charakter
und seinen ganz eigenen Charme, man
kann Berlin von vielen verschiedenen
Seiten und Blickwinkeln betrachten.
Berlin kann als vielfältige Stadt erlebt
werden. Die Facetten der Stadt reichen
von nobel, modern und elegant über
traditionell und historisch bis hin zu
ausgeflippt, neumodisch, jung und
verrückt. Die Gesichter der Stadt sind
eben vielseitig.
Es ist für mich immer noch nicht so
leicht zu formulieren, was ich in Berlin
erlebt habe. Ich weiß gar nicht, wo ich
anfangen soll, die Stadt an der Spree
zu entdecken. Und wo soll ich wieder
aufhören? Berlin hat eine Fülle von
historischen und modernen Sehenswürdigkeiten, Kirchen und Museen:
Zu nennen sind hier die Gedächtniskirche, das Brandenburger Tor, das
auch das Wahrzeichen der Stadt ist, die
fantastischen Ausstellungen auf der
Museumsinsel, der Reichstag mit seiner markanten Glaskuppel, der Fernsehturm am Alexanderplatz und die
wunderschönen restaurierten Häuser
in den Hackeschen Höfen, die meine
Eindrücke und Erlebnisse in Berlin so
besonders gemacht haben.
Berlin, ich werde dich vermissen. Du
warst, bist und wirst für immer in meinem Herzen bleiben…
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Impressionen eines Jahres
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Studentenwerk Berlin
Global Cities
Delia Schaedel
Deutsche Zusammenfassung
Der Vortrag zum Thema „Transnationale Städtesysteme, Großstadtmetropolen und Globalisierung der Weltwirtschaft“ basiert auf dem Buch The
Global City: New York, London, Tokyo
der Stadtsoziologin Saskia Sassen
Wirtschaftswandel der Großstadtmetropolen in hoch entwickelten Ländern:
Von der Produktion und Industrie zu
hoch spezialisierten Dienstleistungen
im Zuge der Globalisierung der Weltwirtschaft mithilfe neuer Technologien
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Globale Städte:
- beziehen sich auf ein transnationales
Netz
- zentraler Standort von Finanz und
Wirtschaft, Großkonzernen und internationalen Unternehmen mit weltweiten Steuerungsfunktionen über
transnationale Produktionsnetzwerke
und globale Märkte
- Konzentration von hoch entwickelten
unternehmensorientierten Dienstleistungen im Informations-, Kommuni-
kations-, und Finanzbereich
- Innovationszentren mit gut ausgebildeten Arbeitskräften
- Ziel von ausländischen Direktinvestitionen
- wichtige Transport- und Verkehrszentren
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
- wachsende Ungerechtigkeit und
Unterschiede zwischen Hochlohn
und Niedriglohn, Reich und Arm,
die Mittelklasse verschwindet
- transnationale Migration in den
Großstädten: Suche nach Arbeit
- hohe Bodenpreise im Central
Business District fordern die
Hochhaus-Gebäudetypologie
Zur Diskussion: Welche Stadt ist
Deutschlands Global City: Frankfurt am Main oder Berlin?
- Frankfurt a. M.: Wirtschafts - und
Finanzzentrum, Dienstleistungen,
internationale Unternehmen,
Hochhaus-Typologie, internationales Verkehrszentrum (Flughafen)
- Berlin: viele renommierte Universitäten, gut ausgebildete Arbeitskräfte, internationale Unternehmen, Innovationen, Kreativität,
Großstadtmetropole mit hoher
Einwohnerzahl
English
This presentation on major contemporary cities and globalization
is based on the book The Global
City: New York, London, Tokyo by
Saskia Sassen
“There is no such thing as one global city. The global city is a function
of a network of cities. In that sense
it is different from the capitals of
old empires where you have one
city at the top.” Saskia Sassen
“The more globalized the economy
becomes, the higher the agglomeration of central functions in relatively few sites, the global cities.”
Saskia Sassen
1960s: transformation in organization of economic activity
- de-industrialization in US, UK, Japan
Post industrial society:
- industrialization of third world
- economic polarization in income
distribution
- internationalization of financial
industry
1980s: Proliferation of financial institutions, rapid internationalization
and deregulation of financial markets
because international division of labor
is cost effective
Economic shift to services from manufacturing in industrialized countries
facilitated by technology
Advanced services and finance fastest
growing sectors in the economy of
their countries
Specialized service activities manage
and control global networks.
Function of global cities:
- highly concentrated command points
in the organization of the world economy
- key locations for finance and specialized service firms (replacing manufacturing as leading economic sector)
- sites of production (of innovations)
- markets for products and innovations
Advanced producer services:
- not dependent on proximity to the
consumers served, but such specialized firms benefit from and need
proximity to other firms:
- high density in central business districts is the spatial expression
- urban form: skyscraper building
typology
- urban renewal: gentrification, decline
of low rent housing market, rise in
homelessness
- rich: highly specialized skilled workers
in management, control and planning, benefit from super profits in the
finance sector
- poor: rise in poverty and low wages,
serve the rich in residential & commercial settings
- disappearance of the middle class
- increase in immigration and emergence of informal economy
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Impressionen eines Jahres
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Studentenwerk Berlin
Geschichte der Menschenrechte als ein Drama
ständigen Ringens
und kontinuierlichen
Fortschritts
Marika Turava
Menschenrechte sind subjektive
Rechte, die jedem Menschen gleichermaßen zustehen. Sie beruhen
auf dem Prinzip der Achtung vor
dem Einzelnen. Man geht davon aus,
dass jede Person ein moralisches und
vernunftbegabtes Wesen ist und es
verdient, mit Würde behandelt zu
werden. Sie werden Menschenrechte
genannt, weil sie allgemein sind. Während Länder oder besondere Gruppen
bestimmte Rechte genießen, die nur
auf sie zutreffen, sind Menschenrechte
die Rechte, auf die jeder Anspruch
hat – unabhängig von Nationalität,
Rasse, Religion,Geschlecht, Alter. In
vergangenen Zeitaltern gab es keine
Menschenrechte. Allmählich konnte
die Idee Fuß fassen, dass die Menschen
bestimmte Freiheiten genießen sollten.
Die Vorstellung von angeborenen Menschenrechten und ihr rechtmäßiger
Schutz entwickelten sich nach und
nach im Laufe der Geschichte. Erst im
Jahre 1948 wurde als Reaktion auf die
Ereignisse des Zweiten Weltkrieges
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (The Universal Declaration
of Human Rights) von den Vereinten
Nationen verabschiedet. Die Besonderheit der Erklärung lag darin, dass
zum ersten Mal in der Geschichte der
Menschheit 30 Menschenrechte erklärt
wurden, die allgemein und universell
für alle Menschen auf der ganzen
Welt gelten sollten, unabhängig von
der Rasse, Religion, Geschlecht, Alter,
Sozialem Status. Diese Erklärung
bildete Grundlage für die modernen
Menschenrechtsbewegungen und Verfassungen Dutzender Nationen.
Menschenrechte existieren, wie in der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im gesamten internationalen Menschenrechtsgesetz dargestellt.
Sie werden zumindest im Prinzip von
den meisten Nationen anerkannt und
bilden das Herzstück vieler nationaler
Verfassungen. Dennoch ist die aktuelle Lage auf der Welt weit von den in
der Erklärung vorgesehenen Idealen
entfernt.
Vollständige Verwirklichung der Menschenrechte ist ein entferntes und unerreichbares Ziel. Sogar international
gültige Menschenrechtsgesetze sind
schwierig durchzusetzen, und die Verfolgung einer Klage kann Jahre dauern
und viel Geld kosten. Die internationalen Gesetze sind aber unzureichend,
um einen angemessenen Schutz der
Menschenrechte zu gewährleisten.
Sichtbare Wirklichkeit täglicher Menschenrechtsverletzungen belegt dies
mit den Tatsachen vom Völkermord
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
in Afrika bis zum Datenschutz in
den USA und Deutschland. Diskriminierung nimmt weltweit überhand.
Tausende sind im Gefängnis, nur weil
sie ihre Meinung kundgetan haben.
Folter und politische Gefangene,
denen oft keine Gerichtsverhandlung
zugestanden wurde, sind an der
Tagesordnung. Solche Praktiken werden geduldet und sogar in einigen
demokratischen Staaten praktiziert.
Viele Teile der Welt befinden sich
am Rande eines Krieges. Gleichzeitig
steigt die Gewalt gegen verschiedene
Religionen und ethnische Gruppen.
Offensichtlich ist der Kampf um die
Menschenrechte noch nicht beendet.
Die Forderung, die Menschenrechte
durchzusetzen, kann aber nicht nur
von den Regierungen kommen, sie
muss vielmehr von den Menschen
ausgehen. Dafür ist es wichtig, dass
die Menschen ihre grundlegende
Rechte kennen und darauf bestehen,
dass sie zur Geltung kommen. Nur so
ist es möglich, dass die allgemeinen
Menschenrechte in großen und kleinen
Gemeinschaften Wirklichkeit werden.
Quellen:
Pötzsch, Horst: Die deutsche Demokratie, Bonn 1999
Menschenrechte (Informationen zur politischen
Bildung 297), Bonn 2007
Wetterfühlig?!
Claudia Wassmann
Warum sind wir wetterfühlig?
Woher kommt das Stimmungsbarometer?
Seit wann leiden wir unter Frühjahrsmüdigkeit, sind indisponiert
und haben einen Biorhythmus?
Vielleicht lässt sich das alles darauf
zurückführen, dass Wissenschaftler vor
gut hundert Jahren fragten: „Wie wirkt
das Wetter auf unser Befinden?“
1907 erschien ein Buch mit dem Titel
„Das Wetter und unsere Arbeit“. Die
Autoren sind heute vergessen. Alfred
Lehmann war Leiter des psychophysischen Laboratoriums der Universität
Kopenhagen. Er hatte bei dem damals
berühmten Psychologen Wilhelm
Wundt in Leipzig Psychologie studiert
und 1892 eine Monographie über die
Hauptgesetze des menschlichen Gefühlslebens verfasst, die die Goldmedaille der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften gewann. Sein
Koautor war der Volksschullehrer R. H.
Pedersen, dessen Schüler als Versuchspersonen an den Untersuchungen
mitwirkten. Volksschullehrer waren
um die Jahrhundertwende stark an
der sich neu etablierenden experimen-
tellen Psychologie interessiert und in
die Forschung involviert, zumindest in
Leipzig, Paris und Kopenhagen.
Was untersuchten die Wissenschaftler und zu welchen Schlussfolgerungen kamen sie?
Bevor Lehmann und Pedersen ihre Untersuchungen über die Auswirkungen
des Wetters auf unsere körperliche
und seelische Arbeitsfähigkeit begannen, hatten bereits einige Studien
biologische Rhythmen für bestimmte
Körpervorgänge nachgewiesen. Zum
Beispiel wurden periodische Schwankungen der Atmung, des Hämoglobingehalts des Blutes und Änderungen
der Herztätigkeit auf die direkte
Einwirkung der Sonne sowie auf Temperaturschwankungen zurückgeführt.
Lehmann und Pedersen untersuchten
dann systematisch von 1904 bis 1907
die Auswirkung der jahreszeitlichen
Schwankungen von Lichtintensität,
Temperatur und Luftdruck auf die
Veränderungen der Muskelkraft, der
Additionsgeschwindigkeit und der Gedächtnisleistung – zum Beispiel beim
Auswendiglernen von Wortlisten. Sie
begannen mit wöchentlichen Messungen der Muskelkraft bei 21 Schülern
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
einer Jungenklasse. Regelmäßig einmal
in der Woche, immer am gleichen
Wochentag morgens zwischen 9 und
10 Uhr, zog jeder Schüler in einem festgelegten Tempo mit jeweils vier Sekunden Pause viermal am Ergometer. Das
Ergometer hatte Lehmann eigens für
den Zweck konstruiert. Der Handgriff
konnte auf die Hand des Kindes individuell eingestellt werden, damit es
den Griff bequem fassen konnte. Von
1905 bis 1906 erfolgten die Messungen
dann täglich immer um die gleiche
Uhrzeit bei Schülern im Alter von
10 bis 14 Jahren von insgesamt acht
Schulklassen. 1906 und 1907 wurden
zusätzlich bei sieben Studenten die
Reaktionsgeschwindigkeit, die Muskelkraft, die Additionsgeschwindigkeit
und die Gedächtnisleistung beim Auswendiglernen von Wörtern gemessen.
Außerdem protokollierten drei einzelne Versuchspersonen verschiedenen
Alters, Lehmann (47 Jahre), Pedersen
(36 Jahre) und eine Abiturientin (18
Jahre), täglich ihre eigene Muskelkraft
und die Additionsgeschwindigkeit.
Die Messungen erfolgten jeweils
morgens. Zuerst wurde die Kraft gemessen und dann folgte der Blick auf
das Barometer, um eine suggestive
Beeinflussung auszuschließen. Um die
Abhängigkeit unserer geistigen und
physischen Leistungsfähigkeit von den
jahreszeitlichen Klimaschwankungen
zu ermitteln, wurden die Daten des
meteorologischen Instituts und des
botanischen Gartens in Kopenhagen
verwendet.
Die drei Versuchspersonen reisten
außerdem in den Monaten Juli und
August nach Norwegen auf eine Höhe
von 960 m, sodass der Einfluss der
Luftdruckverminderung auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit
und die Adaptationserscheinungen bei
Luftdruckwechsel untersucht werden
konnten. Bei ihren Untersuchungen
in Norwegen sahen sie den Effekt,
den Sportler heute immer noch zum
Training nutzen: die Erhöhung der
Muskelkraft bei der Rückkehr aus
der Höhe zum Meeresniveau. Dieser
Effekt wurde bereits damals mit der
Zunahme der Hämoglobinmenge
durch verstärkte Blutbildung als Reaktion auf die Abnahme des Luftdrucks
in der Höhe erklärt. „Kurzdauernde
Luftdruckverminderung habe keinen
nachweisbaren Einfluss auf die Muskelkraft,“ notierten die Forscher.
Jahreszeitliche Schwankungen der
Leistungsfähigkeit
Nur im Frühjahr sei die Muskelkraft
vom Luftdruck abhängig. Mit steigendem Luftdruck (> 763) steige die
Muskelkraft und bei sinkendem Luftdruck (< 762) nehme sie ab und sei bei
Normaldruck fast konstant. Im Herbst
hingegen hätten die Veränderungen
des Luftdrucks anscheinend keinen
Einfluss auf die Muskelkraft.
Generell fanden die Wissenschaftler
einen allmählichen Anstieg der Muskelkraft im Frühjahr. Die Kraft steige
mit der zunehmenden Intensität der
kurzwelligen aktinischen Strahlen
ab Januar. Im Sommer trete bei den
jugendlichen Versuchspersonen ein
Stillstand ein und bei den Älteren
eine Abnahme der Muskelkraft. Die
Kraft werde durch die hohen Temperaturen trotz der Intensität des Lichts
gehemmt. Im September und Oktober
steige die Muskelkraft plötzlich wieder
stark an und ab November stagniere
oder sinke sie bis Mitte Januar wegen
der geringen Lichtstärke und Temperatur. Wobei das Temperaturoptimum
bei jedem Menschen individuell
verschieden sei, doch jeweils nur innerhalb weniger Grade schwanke.
Das durchschnittliche Temperaturoptimum für die Muskelkraft lag für die
in Kopenhagen lebenden Versuchspersonen zwischen 12 und 15 Grad.
Die optimale Rechentemperatur lag
jedoch niedriger. Die Messungen der
Additionsgeschwindigkeit bei den
Wissenschaftlern ergaben individuelle
Temperaturoptima bei 7 oder 10 Grad.
Zum Rechnen braucht man einen
kühlen Kopf.
Die periodischen Schwankungen der
Muskelkraft, so das Argument der
Wissenschaftler, spiegelten in Wirklichkeit die Abhängigkeit der Gehirnzentren von den meteorologischen
Verhältnissen. Nicht die Kraft der
Muskeln lasse bei den beobachteten
jahreszeitlichen Schwankungen nach,
sondern die Kraft des Gehirns. Geistige
Präzisionsarbeit, definiert als das
„Unterscheiden und die Reproduktion
assoziierter Vorstellungsreihen“ – wie
das Addieren mehrstelliger Zahlenreihen, Multiplizieren oder das Ergänzen
lückenhafter Texte – erwies sich als
besonders störanfällig.
Die allgemeine Leistungsfähigkeit
des Gehirns, gemeinhin Disposition
genannt, lasse sich schlecht untersuchen, doch sei deutlich, dass die
„Geneigtheit zum Arbeiten“ oder
„subjektive Leistungsfähigkeit“ „vom
Wetter“ abhänge. Ob man „mehr oder
weniger disponiert“ sei, erkenne man
meist daran, ob einem die Arbeit leicht
oder schwer von der Hand gehe, ob
man sich „matt und müde“ fühle, der
Kopf schwer sei oder umgekehrt, man
„sich leicht und frisch“ fühle und der
Kopf „klar“ sei. (172) Ein Kopenhagener Geografieprofessor, der unter starker Migräne litt und fünf Jahre lang
täglich sein Befinden auf einer Skala
von V = ausgezeichnet bis I = schlecht
protokollierte und anschließend den
Barometerstand des Tages nach den
Angaben des meteorologischen Instituts notierte, fand eine klare Abhängigkeit des Befindens vom Luftdruck.
„Ausgezeichnet“ kam um so häufiger
vor, je höher der Luftdruck war.
In seinem Lehrbuch Grundzüge der
Psychophysiologie aus dem Jahr 1912
notierte Lehmann: „Eine Abweichung
der Temperatur von nur wenigen
Graden entweder nach oben oder nach
unten führt bald eine Herabsetzung
der Arbeitsfähigkeit herbei, und diese
Verminderung der Leistungsfähigkeit
ist als Trägheit, allgemeine Indisposition leicht merklich.“
Die Wissenschaftler schlossen aus ihren Untersuchungen, dass wir nicht zu
allen Zeiten gleich leistungsfähig sind.
Die Schwankungen der Muskelkraft,
der Rechenleistung und „wahrscheinlich auch der Gedächtnisleistungen“
hingen von der Lichtstärke, der Temperatur und dem Luftdruck ab. Die
Ergebnisse, so meinten sie, hätten eine
praktisch-pädagogische Bedeutung.
Es könnten „nicht immer dieselben
Leistungen von den Schülern gefordert
werden“. Die Untersuchungen hätten
deutlich gezeigt, dass die Arbeitsfähigkeit zu bestimmten Jahreszeiten
und durch gewisse Kombinationen von
Temperatur- und Luftdruckveränderungen herabgesetzt sei.
Während heute wohl kein Lehrer so
nachsichtig ist, schlechte Leistungen
seiner Schüler auf das Wetter zu schieben, behalten wir dank dieser Untersuchungen als Rechner einen kühlen
Kopf, kommen in den Genuss von
Hitzefrei und leisten Präzisionsarbeit.
Vielleicht erklären sie auch, warum in
den Wohnungen unserer Großeltern
immer ein Barometer hing.
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Berichte der BewohnerInnen
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Impressionen eines Jahres
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Studentenwerk Berlin
Stadtentwicklung und
räumliche Visionen: Berlin
und London
Francesca Weber-Newth
Wem gehört die Stadt? Wer profitiert
von der Stadtentwicklung? Dies waren
u. a. Fragen, die mich dieses Jahr während meiner Feldforschung in Berlin
beschäftigt haben. Als Doktorandin im
Fachgebiet Stadtsoziologie habe ich
Berlin als ein lebendiges „Forschungslabor“ wahrgenommen. Im Umfeld
sind Zeichen der Machtverhältnisse
und Ungerechtigkeit zu sehen sowie
Strategien, diese Mechanismen zu
überwinden oder zu manipulieren.
Wie in allen Metropolen ist deren
besondere Geschichte in die Kieselsteine und Wände „geschrieben“, man
muss nur wissen, dass die Gassen und
Brachflächen, die sich hinter dem Spektakel der Touristenmeilen verstecken,
dies ausstrahlen. Hier findet man die
Geschichten des Alltagslebens, die sozialen und ethnischen Verhältnisse, die
Konsummoden und Jugendkulturen.
Meine Forschung befasst sich mit der
„Regeneration“ [Stadtentwicklung] von
zwei urbanen Gebieten: zum einen mit
„Hackney Wick“, einer Nachbarschaft
in Ost-London, zum anderen mit dem
„Rudolfkiez“, einem Gebiet in OstBerlin, das sich während meines Jahres
am ISB als Forschungsfeld herauskristallisiert hat. Der Rudolfkiez (Bezirk
Friedrichshain-Kreuzberg) weist wich-
tige Merkmale auf, die sich mit denen
meiner Londoner Fallstudie in Hackney
Wick vergleichen lassen.
Beide Bezirke, Hackney Wick und der
Rudolfkiez, werden als Fallstudien innerhalb eines soziologischen Rahmens
analysiert, die u. a. folgenden Fragen
nachgehen: Wenn Raum – entsprechend der Theorie von der Produktion
des Raumes, wie ihn der französische
Theoretiker Henri Lefebvre versteht
– durch drei Formen von Praktiken
hergestellt wird: 1. dem wahrgenommenen Raum, 2. dem gedachten Raum
und 3. den Repräsentationen des Raumes, wie sehen dann diese Prozesse in
meinen Fallstudien aus? Was sind die
verschiedenen Visionen des „regenerierten“ Raumes?
In meiner Forschung folge ich einem
Ansatz der – nach den Ideen der Chicago School of Sociology – sowohl theorie
– wie auch praxisorientiert ist. Dies
schließt eine methodische Vorgehensweise ein, die die Erfahrungen der von
„Regeneration“ betroffenen Menschen
durch deren Teilnahme sammelt und
die Stadt selbst als ein Forschungslabor
betrachtet. Dazu zählen aber auch
Ansätze „von oben“, d. h., die Einbeziehung der „Visionen“ der Stadtplaner,
Architekten und Politiker.
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
72
Studentenwerk Berlin
Im Kiez habe ich das Alltagsleben auf
den Straßen beobachtet und in Form
von Text und Fotos festgehalten. Ich
habe Kontakte zu vielen Anwohnern
aufgebaut und mit einigen von ihnen
Tiefeninterviews zu ihren Alltagserfahrungen im Kiez durchgeführt.
Dabei hat sich herausgestellt, dass
das Narva Glühlampenwerk (1994
endgültig geschlossen) nicht nur ein
architektonisch interessantes Gebäude
ist, sondern vor allem ein soziales
„Objekt“. Der Rudolfkiez ist von diesem
Werk und dem früheren OsthafenGelände geschichtlich stark geprägt,
seine Grenzen sind in die Infrastruktur
eingeschrieben und bestimmen noch
heute die Bewegungen der Anwohner.
Hier wird die Wichtigkeit von einer
Regeneration, die die dort lebenden
Menschen einbezieht, besonders
deutlich: Sie sollte versuchen, Ansätze
zu finden, die existierenden Barrieren
durchlässig werden zu lassen, sodass
die vorherrschende Marginalisierung
und soziale Ungleichheit aufgelöst
werden können. Durch meinen Kontakt
mit dem Rudi Nachbarschaftszentrum
und der Kita Die Nische habe ich die
Strukturen des Kiezes ebenso durch
eine zeitgenössische Perspektive erfahren können.
Am ISB hatte ich das Glück, mit Studierenden internationaler Herkunft zu
leben und befreundet zu sein, die eine
Vielfalt von akademischen Disziplinen
und Weltanschauungen repräsentieren. Ich hatte Gelegenheit, ihnen
meinen Kurz-Dokumentarfilm über
den Kampf um den Berliner Mauerpark
zu zeigen und einen Vortrag über den
Stand meiner Forschung zu geben.
Die umfangreichen Diskussionen, die
folgten, stellten ein wichtiges Feedback
dar, aus dem ich Anregungen für
meine weitere Arbeit bekommen habe
und die ich in weitere Überlegungen
einbauen konnte.
Vielen Dank für ein stimulierendes
Jahr im ISB!
Das Prinzip Babylon – in
Geschichte, Gegenwart und
Politik
Yüksel Mustafa
Als Erbauer des Turmes zu Babel wird
im Allgemeinen Nimrod im Christentum (1. Buch Mose 10,8–10) und
nach islamischen Quellen Namrud
ibn Kan`an (Kuran Sure al-Anbiya 21,
68–69) genannt. Im Christentum wie
auch im Islam wird Nimrod oder auch
Namrud als eine negative Figur charakterisiert, die sich als „Gott“ verehren
ließ. Um seinem gotteslästerlichen Tun
ein Symbol zu verleihen, ließ er einen
Turm bauen, der bis in den Himmel
reichen sollte (Turmbau zu Babel).
„Gott“ strafte Nimrod und die Babylonier mit der Sprachverwirrung. Bis zu
diesem Zeitpunkt hatte die Menschheit
eine einheitliche Sprache, die dann
in zahlreiche Sprachen zerfiel. Dieser
Zeitpunkt wird auch als Startpunkt der
Besiedlung der gesamten Erde durch
den Menschen bezeichnet (religiöse
Geschichtsschreibung).
Der Turmbau zu Babel als ein Gleichnis
für eine Machttechnik, die mit den
Mitteln der Verschleierung, Ablenkung
und Orientierung auf ein Ziel zusteuert, dessen Erfüllung unmöglich und
das Streben nach Verwirklichung sinnlos ist, und letztlich als Resultat immer
in die Katastrophe führt.
Hier sind Parallelen zur Utopie
(griech.: ein „Ort“, der nicht existiert)
unausweichlich. Die Utopie als die
Verknüpfung von Traum und Wirklichkeit, Illusion und Wahn, die Hand
im Politischen mit dem Bezug zur
Realität. Auch wenn der Turmbau zu
Babel und die Utopie nur im weiteren
Sinne vergleichbar sind, weisen sie
doch Strukturen und Techniken auf, die
deckungsgleich sind.
Das Streben der Utopisten nach einer
idealen Gesellschaft und die Orientierung der Menschen auf solch ein
Ziel, ob verblendet durch den Wunsch
mit dem Ziel etwas Gutes zu tun („Eu
topia“: der Ort alles Guten) oder durch
den Wahn der Machtgier, ideologisiert
den Menschen und lässt ihn zu einem
Werkzeug der Macht werden, so wird
er selbst zu einem Teil des bigotten
Spiels. Der Utopist scheut die Natur
im Rohzustand (er scheut alles Natürliche). Für den Utopisten ist die Natur
nur hinnehmbar, wenn sie Gestell im
Sinne Martin Heideggers ist „…wie sich
Technik der Natur bemächtigt…“. Für
den Utopisten ist der Mensch instinktiv
schlecht, daher muss er überwacht,
kontrolliert und erzogen werden.
Durch ständiges Korrigieren soll ein
neuer Mensch geschaffen werden. Diese Gedanken sind bei Thomas Morus,
Tommaso Campanella und bei den
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
Marxisten, aber auch bei den Faschisten wiederzufinden (Mussolini gründete 1913 die Zeitschrift „Utopia“). Die
Utopie birgt die Idee, die Natur des
Menschen bessern zu können. Um dies
zu erreichen, bedarf es Institutionen,
die den Menschen bessern und seine
Natur ändern soll. Daher bedienen sich
die Utopisten auch gerne fremder Ideologien oder auch Theologien, um sich
solcher Institutionen zu bemächtigen.
Das Christentum scheint ein beliebter
Tummelplatz zu sein. Beispiele sind der
Versuch der Jesuiten, die Gründung
eines Gottesstaat in Uruguay, oder
Tomas de Torquemadas Bestrebung, in
Spanien einen Gottesstaat zu gründen.
Alle diese Versuche sind gescheitert.
Aus der Perspektive eines Außenstehenden erkennt man, dass das Christentum für diese Leute nur ein Mittel
zum Zweck war. Sie bedienten sich nur
der Strukturen und verzerrten den Inhalt bis zur Unkenntlichkeit, das führte
unter anderem zu folgenden Betrachtungen, die von allen Utopisten formuliert werden. Der Utopist reduziert den
Menschen auf seine Bedürftigkeit, was
zu einer Gleichmacherei bis zur Uniformität statt zu Gleichheit führt. Auch
lässt sich ein weiter historischer Bogen
schlagen bis hin zur griechischen Mythologie mit Verbindung nach Babylon.
Prokrustes ist eine Figur aus der
griechischen Mythologie, ein Unhold
und Wegelagerer, der Reisenden ein
Bett anbot, auf das er sie legte. Wenn
die Gliedmaßen über das Bett hingen,
hackte er ihnen diese ab, wenn sie
zu klein waren, streckte er sie. Diese
Erzählung tritt auch im babylonischen
Talmud (Traktat Sanhedrin 109a) auf,
wo dem Haussklaven von Abraham
eine Begegnung mit Prokrustes zugeschrieben wird.
Ein weiteres Beispiel ist der Sonnenstaat von Tommaso Campanella
(Dominikaner), wo theologische und
architektonische Komponenten eine
Einheit bilden – Campanella zettelte
einen Aufstand an mit dem Ziel, einen
theokratischen Staat zu gründen.
Sein Entwurf des Stadtstaates Palmanova im Jahre 1593 ist eine perfekte
Stadt, ein Ideal, typisch für die Städte
der Utopisten. Sie beruhen auf den
Gesetzen der Geometrie und nicht auf
den Gesetzen der Natur (auch wenn
die Natur geometrische Strukturen
aufweist, sieht der Utopist eher den
Wildwuchs im Allgemeinen statt das filigrane Zusammenspiel der Natur) und
erst recht nicht auf den Gesetzen der
Menschheit und ihren Bedürfnissen.
Die strenge geometrische Struktur
soll die Natur verbannen und den
Zufall ausschalten. Der unvollkommene Mensch soll zu seinem Wohle
durch die Geometrie in eine geistige
Gussform gezwungen werden, um
das Überschüssige, das Schlechte und
das Verwerfliche zu verlieren. Es soll
makellos neu geboren werden durch
gelenkte Generationenfolge und mit
den Mitteln der Eugenik.
Dass die Verwirklichung von solchen
Gedanken bizarre Formen annehmen
kann, zeigen die Romane von G. Orwell
„1984“ und Huxleys „Schöne neue
Welt“. Eine konkretere Beschreibung
findet sich in dem Roman „Wir“ von
Jewgeni Samjatin aus dem Jahr 1920,
der im Grunde den Sowjetstaat vorwegnimmt.
Jewgeni Samjatin beschreibt in seinem
Roman eine totale Kontrolle mittels der
Transparenz der Gebäude, die zu einer
zum Überwachungsstaat mutierten
Gesellschaft führt.
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird
Utopie auch als Synonym für einen
Traum, Fantasie gebraucht oder für
Visionen, die nicht zu verwirklichen
sind.
Wenn man die Entwicklung der
utopischen Ideen auf Babylon zurückdatiert, stellt sich die grundsätzliche
Frage nach der Gesellschaft und deren
unreflektierte Ergebenheit gegenüber
Gedanken, die ihn, den Menschen, zum
Selbstzweck von Ideologien machen,
aus denen seine eigene Sklaverei entsteht.
Es stellt sich die Frage, ob utopische
Gedanken und Ideen jedem Menschen
und in jedem Kulturkreis natürlich
innewohnen (Ernst Bloch, Th. W. Adorno). Wenn ja, finden sie überhaupt
einen gesellschaftlichen Niederschlag
oder gewinnen sie erst dann an Relevanz, wenn sie auf theologische und
ideologische Fundamente aufbauen
und durch eine Macht- und WissensOligarchie modifiziert werden, also auf
einen Personenkreis beschränkt sind,
der die Mittel und die Macht hat, Utopien zu verwirklichen? Das wäre nach
umgangssprachlichem Verständnis
des Wortes Utopie „mehr als nur der
Wunsch“. Dies scheint zum Beispiel
im Schlusskapitel des Buches „Utopia“
(„Utopia“ ist der erste Roman der Utopisten) von Thomas Morus durch den
zweideutigen Satz seine Bestätigung
zu finden: “…ich wünsche, dass es
geschieht …“ Das wäre der Traum, aber
Thomas Morus fährt fort und schließt
mit dem Satz: „… freilich wünsche ich
es mehr, als ich es hoffe …“ Das geht
eher in Richtung der Verwirklichung
des Vorhabens.
Ein weiteres Beispiel wäre der englische Philosoph, Staatsmann und als
Wissenschaftler Wegbereiter des Empirismus, Francis Bacon (1509–1579). In
seinem Roman „Neu-Atlantis“ (1626)
beschreibt er U-Boote, Klone (Hinweis
auf heutige Genetik) und Kammern,
in denen Blitze erzeugt werden. Hier
herrscht ein klares technisches Verständnis des Machbaren, das über ein
allgemeines Verständnis von Utopie
hinausgeht. Hier lässt sich auch erkennen, dass nicht nur eine Akkumulation
von Kapital (Karl Marx) stattgefunden
hat, sondern auch von Wissen.
So scheint es, als hätte vielmehr die
zielgerichtete, zeitlich abgestimmte
Dosierung von Wissen eine Bedeutung
und nicht die willkürliche Verbreitung,
da sie ein unmittelbarer Machtfaktor
ist. Dieses Beispiel zeigt auch ein zentrales Element der Utopisten, nämlich
dass die Utopien im engeren Sinne zur
Zeit ihrer Entstehung als nicht sofort
realisierbar gelten. Die Gründe für eine
nicht sofortige Umsetzung werden von
den Utopisten wie folgt gegeben. Die
Utopie ist technisch nicht ausführbar,
d. h., es wird erkannt, dass die technischen Möglichkeiten noch lange nicht
so weit sind.
Hier ist auch zu erkennen, dass die Unterteilung von utopischen Ideen und
die daraus resultierende Literatur in
verschiedenen Sparten nur eine Seite
ist, da die Veränderung des Menschen
und der Gesellschaft erst durch die
Mittel des wissenschaftlichen und
technischen Fortschritts möglich sein
wird.
Auch wenn dies wie Hausfrauenweisheit klingt, es geht hier nicht um die
Erkenntnis, dass es verschiedene Ebenen von Wissen gibt, diesen Verdacht
hatten die Menschen schon immer,
sondern es stellt sich eher die Frage
nach dem Umfang und der Entfernung
des Wissens von der Allgemeinheit.
Beispiele: Christoph Kolumbus Fahrt
ins Ungewisse wurde auf Grundlage
jahrhundertlang gesammelten Wissens verschiedener Disziplinen ermöglicht, das wie ein Augapfel gehütet
wurde.
Die Französische Revolution wurde erst
mit der allmählichen Verbreitung eines
schon längst vorhandenen Diskurses
durch die bürgerliche Oberschicht, des
Klerus und der Aristokratie möglich.
Der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki veränderte das
Bewusstsein der Menschen bezüglich
des Krieges und formulierte unsere
jetzige Moderne.
Wo glauben wir zu stehen, jetzt in der
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Berichte der BewohnerInnen
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Gegenwart, mit unserem Wissen? Wo
stehen wir tatsächlich mit unserem
Wissen über unser Wissen? Einen
Hinweis auf solche Fragen scheint
der Historiker und Philosoph Michel
Foucault zu geben. In seinem Buch
„Die Ordnung des Diskurses“ weist er
auf etwas längst Bekanntes, aber auch
immer Verdrängtes hin. „Es sei hier
nur symbolisch an das alte griechische
Prinzip erinnert: Dass die Arithmetik in
den demokratischen Städten betrieben
werden kann, da in ihr Gleichheitsbeziehungen gelehrt werden, dass aber
die Geometrie nur in den Oligarchien
unterrichtet werden darf, da sie die
Proportionen in der Ungleichheit aufzeigt.“ Hier wird darauf hingewiesen,
dass der Diskurs hauptsächlich in den
Oligarchien unabhängig geführt werden kann. Da sie durch ihre Macht die
Institutionen bilden, die den Diskurs
bestimmen, lenken, beschränken oder
auch öffnen. Auch wenn es hier nicht
explizit um die Utopie geht, gilt diese
historische Wahrheit auch für die Utopie. Die Utopie als ein orientierendes
Machtinstrument, unabhängig ihres
Verständnisses von ihrem eigenem
Postulat, von Traum und Illusion. Dass
sie eher die Verwirklichung sucht mit
bedachten Schritten und planerischem
Eifer, zeigt das folgende Beispiel von
der Fabian Society. Die Fabian Society
ist wohl eines der eindrucksvollsten
Beispiele einer zielgerichteten Umsetzung von Utopien. Gegründet
1884 und hervorgegangen aus The
Followship of the New Life, ist sie eine
britische, sozialistische Denkschule, die
durch beständige Einflussnahme auf
intellektuelle und administrative Kreise die Gesellschaft verändern will. Die
Gruppe, die evolutionär statt revolutionär vorgehen wollte, wurde zu Ehren
des römischen Generals Fabius Maximus Verrucosus (genannt der Zögerer)
benannt, der die Strategie vertrat,
durch Störmanöver und durch lange
einkalkulierte Zeiträume den Feind
mürbe zu machen und ihn dadurch zu
besiegen. Aus der Fabian-Gesellschaft
ging die Labour Party im Jahre 1900
hervor, deren Satzung fast deckungsgleich ist mit Gründungsdokument
der Labour Party. Viele Fabianisten sind
Mitglied in der Labour Party wie auch
umgekehrt, eines der berühmtesten
Mitglieder unserer Zeit ist der ehemalige englischen Premier Tony Blair. Die
Mitgliederliste der Fabian Society liest
sich wie das Who‘s Who der britischen
Gesellschaft, Personen wie Karl Marx,
Charles Darwin, H. G. Wells, (der den
Klassiker des utopischen Romans „Die
Zeitmaschine“ schrieb), E. Carpenter,
John Davidson, der Sexualforscher
Havelock, Beatrice Webb, Bertrand
Russel etc.. Ideen, die von der FabianGesellschaft postuliert wurden, wie die
Utopie des Sozialismus oder des Kommunismus und die den Faschismus
mit der Idee der Eugenik beeinflussten
Rassegesetze des Dritten Reiches, somit
trägt die Fabian Society eine wesentliche Verantwortung für die Katastrophen des 19. und des 20. Jahrhunderts
mit, die uns bis heute prägen.
Die vorrausgegangenen Beispiele
zeigen, dass die Utopie schon längst
den Bereich der Illusion verlassen hat
und bewusst oder unmerklich ein
Bestandteil unseres Lebens geworden
ist, sei es durch das Streben nach
ständigem wirtschaftlichen Wachstum
oder durch das Geldschöpfen aus dem
Nichts mit den Mitteln des Zinses. Und
wo bleibt der große Wurf der heutigen
Utopisten – ist es die Globalisierung
oder die neue Weltordnung oder der
„Zeitgeist Addentum“ –Retortenstädte,
streng geometrisch und funktional,
Käfighaltung für Menschen, an dem
Campanella und Th. Morus ihre helle
Freude gehabt hätten.
Der Gegenentwurf – der Osmanische
Staat: utopische Elemente
Ohne Utopie – die zwanghaft ungeometrische Beschaffenheit der Topkai
Sarays in Istanbul ist die architektoni-
sche Umsetzung einer nach Aufgaben
und Bedürfnissen gewachsenen Stadt,
die den Menschen in seiner Gesamtheit annimmt.
Die strikte Verneinung einer hierarchischen Geometrie suggeriert dem
Individuum, dass es in seinem Stadtviertel ist. Die zweistöckige Bauweise
vermeidet eine erdrückende Dominanz
gegenüber dem Einzelnen. All dies geschieht ohne Verneinung einer inneren
Ordnung, die zugeschnitten ist nach
den Aufgaben der einzelnen Gebäude.
Eine fließende Architektur drückt die
nicht feudale Gesellschaftsstruktur des
Osmanischen Staates aus.
Die Ordnung wird über das Verständnis der Aufgaben definiert, beginnend
vom Sultan bis hinunter zum Bettler.
Die Enderun-Schulen (Palastschulen),
die sich im dritten Hof des Sarays befanden, dienten der Nachwuchsausbildung für die Staats- und Verwaltungsberufe. Um Korruption zu verhindern,
gab es für junge Männer, die aus dem
Osmanischen Staat – teilweise auch
als Sklaven – zur Ausbildung in die
Palastschule aufgenommen wurden,
drei unabdingbare Bedingungen: 1. Sie
durften keine Türken sein – was unter
der Regentschaft von Sultan Süleyman
dem Gesetzgeber (der Prächtige) verändert wurde, von da an wurden auch
türkische Knaben in die Palastschule
aufgenommen. 2. Sie mussten Waisen
sein. 3. Es durften keine Verwandten
im Palast beschäftigt sein. Hier wäre
der Vorwurf erlaubt, dass diese drei
Bedingungen typische Elemente
einer Utopie sind. Loslösung von der
eigenen Identität, um einen Prototyp
eines idealen (Menschen) Beamten zu
bekommen, aber mit einem eklatanten
Unterschied, der Mensch sollte nicht
verändert werden, sondern lediglich
nach seinen Begabungen gefördert
werden. Gewiss mit dem Wissen, dass,
da sie Waisen waren, ihre Abhängigkeit höher wäre und dies die Bindung
zum Staat stärke.
Das ist womöglich einer der Gründe,
warum dieser Staat unterging. Eines
der Stabilitätsmerkmale des Osmanischen Staates war, dass er Rahmenbedingungen vorgab, in denen man
sich bewegen konnte. Mit Blick auf
das Konfliktpotenzial kultureller und
religiöser Art nach dem kalten Krieg,
wird der Osmanische Staat mit seinem
Millet-System oft als Beispiel für ausgleichende Politik empfohlen. Die wichtigste These der Vertreter des „Kampfes
der Kulturen“ lautet: „ Es ist möglich,
Konflikte zwischen Zivilisationen auszubalancieren.“ Tatsächlich gab es in der
osmanischen Geschichte keine Konflikte
zwischen den Glaubensgemeinschaften.
Auch gab der Osmanische Staat den
religiösen Konfessionen eingeschränkt
eine eigene Gerichtsbarkeit, die sogenannten Dhimmi, dennoch bemühten
sie, insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert, die muslimischen Gerichte.
Auch die Sumpfte-Ordnung des Osmanischen Staates (Lonca) ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie der Einzelne
seine individuellen Rechte bewahren
und schützen konnte.
Es gab im Osmanischen Staat 248
Sumpfte, darunter waren auch die
Bettler, die der Sumpfte-Ordnung
angehörten. Das wäre ein klassisches
Beispiel, wie der Osmanische Staat versuchte, durch Einbindung in Strukturen
Ordnung zu gewährleisten. Sie waren
ebenfalls steuerpflichtig wie jede andere Sumpft auch. Die Sumpfte bildeten
ein Gremium bestehend aus dem Ältestenrat und den Meistern der Sumpfte,
sie nahmen unter anderem auch die
Lehrlingsprüfungen ab, unabhängig
von Betrieb und Meister des Lehrlings.
Sie stellten ein wichtiges Sprachrohr der
Gesellschaft dar, eine Aufgabe, die sie
auch gegenüber dem Staat wahrnahmen.
Sie hatten ihr eigenes Strafregister, sie
gaben den Standard vor und prüften
die Qualität.
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Berichte der BewohnerInnen
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Der Osmanische Staat schaffte Strukturen gemäß den Eigenarten des zu
Strukturierenden, immer sticht der
Einzelne aus der Menge heraus durch
seine Begabung und Fertigkeit und
schafft, z. B. im Handwerk, eine neue
Zielvorgabe.
ISB-Reise in Raum und Zeit:
Breslau – Krakau – Auschwitz
Manuela Ebel und Dorota Cygan
Bevor alles beginnt, muss es einen Anlauf nehmen. Am besten einen langen,
damit das stufenweise Heranführen
an die fremde Wirklichkeit eine maximale Vorfreude bedeutet. Ja, es war
diesmal eine lange Vorfreude, lang genug, um ins philosophische Grübeln zu
kommen. Der IC Berlin-Breslau-Krakau
bildet nicht nur eine räumliche Verbindung zwischen zwei Ländern, sondern
hat auch eine zeitliche Dimension: Dieses Vehikel führt uns dank seiner stolz
zur Schau gestellten Unmodernität in
die weit zurück liegende Vergangenheit.
Der Zug ist ein wunderbares Relikt des
Alten. Mittlerweile herrscht sonst unter den Touristen bereits der Eindruck
vor, in Polen sei alles „so normal“. Fast
vermissen sie die einstige Exotik des
Rückständigen, die Romantik des Abgelegenen und den Stillstand des Provinziellen. Ein deutscher Professor meinte
vor wenigen Jahren, er finde den in
Polen spielenden Roman Die Welt hinter Dukla von Andrzej Stasiuk so schön,
weil darin „so wunderbar absolut
nichts passiert“ (Liebhaber solcher Prosa dürfen diese Stelle als Einladung zur
Lektüre oder als verkappte Werbung
ansehen und das Buch sofort bei Amazon bestellen, bitte sehr). So passierte
auch während unserer Bahnfahrt nach
Breslau „so herrlich nichts“ – zu sehen
war aus dem Fenster stundenlang
meist eine den Geist der Stadtneurotiker gesund machende Ödnis.
Ob für die ISB-ler diese Bahnfahrt
den besagten Charme hatte oder
nur beschwerlich war, kann man aus
Gründen der politischen Korrektheit
kaum direkt erfragen. Für eine der
Reiseleiterinnen, eine gebürtige Polin
des Jahrgangs 19XX (mhm, das will
eigentlich niemand so genau wissen)
war diese Fahrt in einem ungarischen
Großraumwagen aus der direkten
Nachwendezeit ein metaphorischer
Trip in die Vergangenheit und in sich.
Den Zwängen des Alltags unterworfen
und beruflich ständig im ICE unterwegs, verdrängt sie sonst leicht, dass
ihr eigenes Lebenstempo mehr mit
diesem Tukku-Tukku-Zug zu tun hat
als mit der rekorderprobten Deutschen
Bahn. Dass der Tempostress des Alltags
eine ungeheure Zumutung ist, leuchtet sofort jedem ein, der in diesem Zug
in den Schlaf gewiegt wird. Von der
Bannkraft der Langsamkeit angezogen,
möchte man spontan öfters mal auf
diese Weise „aus der Zeit“ herausfallen: Monotones Knattern des Wagens,
vom leichten Wind gestreichelte Gräser
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Berichte der Gäste
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Studentenwerk Berlin
draußen und die statische Sonne
über einer reglosen Landschaft – was
braucht man mehr, um Ruhe zu spüren? Die Teilnehmer der ISB-Exkursion
schienen diese Ansicht zu teilen, jedenfalls beschwerten sie sich nicht
laut. Dass solche Erlebnisse aber auch
Anlass geben können zum abendfüllenden Unterhaltungsprogramm mit
satirischer Zuspitzung, kann man sich
überzeugen, wenn man sich Steffen
Möllers Gastauftritt Berlin-WarschauExpress im Kabaretttheater Wühlmäuse anschaut. (Auch hier handelt es sich
um eine Werbeinfo – denn Wühlmäuse
sind lediglich 1 Minute Fußweg vom
ISB entfernt – gehen Sie hin!).
Breslau stellte sich den beiden Reiseleiterinnen nach fünf Stunden Bahnfahrt
jeweils anders dar. Während sich Manuela sichtbar freute, dass der Service
stimmte, die Menschen ihre Arbeit
professionell machten, die Häuserfassaden eine recht schöne Kulisse boten
und die Kneipen einladend wirkten,
klärte Dorotas kritischer Blick hinter
die Fassade auf, dass der polnische
Boom teuer erkauft ist: Menschen
hier haben jeweils drei Jobs und sind
für diese überqualifiziert, weil die
Hochschulen zu viele Absolventen
ausspucken, für die es keine sinnvolle
Beschäftigung auf höherem Niveau
gibt, also nehmen sie aus Mangel an
Alternativen unspektakuläre Jobangebote an, um als Traditionalisten und
Familienmenschen über Jahrzehnte
ihre Eigenheime finanzieren zu können. Denn – und das sieht man auch
als Außenstehender – gebaut wird
sehr viel, sowohl in privater als auch
in öffentlicher Trägerschaft. Von der
ominösen Euro-Krise ist folglich weder
in Breslau noch in Krakau etwas zu
spüren. Und im Allgemeinen hat man
nicht im mindesten den Eindruck,
dass alles bergab geht. Die Straßen
sind voll von jungen Menschen, die
viel Lebensenergie und frischen Wind
einbringen. Anders als in Berlin sind es
allerdings keine Spanier oder Italiener
auf der Flucht vor der Arbeitslosigkeit in der Heimat, sondern junge
Einwohner des ethnisch weitgehend
homogenen Landes, das die einmalige
Gunst der Stunde nutzt, um langjährige Versäumnisse struktureller oder
finanzieller Art aufzuarbeiten und
die EU-Finanzinstrumente für sich
arbeiten zu lassen. Mit einigem Erfolg,
muss man ohne Neid zugeben. Und
auch bei zunehmender Anerkennung
der Nachbarländer, deren Blicke auf die
Wirtschaftsdaten gerichtet sind. Die
Floskel von der „Polnischen Wirtschaft“
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Berichte der Gäste
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
verliert zur allgemeinen Erleichterung
an Wirkungskraft und gehört bald in
die Ablage der Geschichte.
Ein ähnliches Bild wie Breslau bot
anschließend auch Krakau: Eine stolze
Kulturstadt, gleichzeitig ein Ort zum
Verweilen, Flanieren und Schlemmen
– ein Stück Polen ohne Minderwertigkeitskomplexe, eben „irgendwie
normal“ , fast würde man sagen
„langweilig-normal“, weil europäischoffen, mit ausgeprägter Kneipenkultur
und aufregendem Kulturangebot, eine
Stadt ohne die interessante Exotik des
Disfunktionalen und Hinterweltlerischen.
Wo steht Polen eigentlich im Augenblick? Gleicherweise im Hier und Jetzt,
auch wenn die verzwickte Geschichte
des Landes mit all den Systemwechseln
und historischen Pannen stets anwesend ist – in Gemäuern, in narrativen
Strukturen von der Art wie „vor der
Wende“ versus „nach der Wende“ oder
„vor 1939“ versus „nach 1945“. So überwiegt hierzulande das geschäftliche
Treiben eines auf EM-Vorbereitungen
fixierten Gastlandes, das dieses Event
als Prüfstein der eigenen Effizienz und
Organisationsfähigkeit ansieht. Heute,
im September, wissen wir längst, dass
alles gut gelaufen ist und Polen diese
Prüfung gut bestanden hat, ohne dass
die befürchteten Ausschreitungen der
Hooligans dieses große Medienereignis
gestört hätten.
Die leidvolle Geschichte sowie die
beschämende, teilweise den widrigen
historischen Umständen verschuldete
Rückständigkeit sind passé. Selbst
den Besuch in Auschwitz kann man
als Teilnehmer aus Deutschland
überstehen, ohne dass einem ein
bitterer Beigeschmack einer allzu
aufdringlichen, pädagogischen Geschichtsaufklärung in die eigene,
persönliche Auseinandersetzung mit
der NS-Zeit störend hineinspielt. Denn
aus Deutschland kommend ist man als
Reiseleiter immer etwas mehr betroffen, als wenn man von woanders her
kommt. Exkursionen wie diese zeigen
einmal mehr, dass es weit weniger
Klippen zu umschiffen gilt als man es
annimmt. Glücklicherweise ist das für
die ISB-Reiseleitung keine ganz neue
Erkenntnis. Wir beiden freuen uns sehr,
diese Wahrheit auch den nächsten
ISB-Jahrgängen künftig vermitteln zu
können.
Impressionen eines Jahres
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Studentenwerk Berlin
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
Berichte der Gäste
Das Inferno von
Eisenhüttenstadt
Eugen Zentner
Wer den Bahnhof von Eisenhüttenstadt verlässt, versteht nicht sofort,
was mit ihm passiert. Die Atmosphäre
ist „schwer“ von provinzieller Luft
und ruft ein Gefühl der Verlassenheit
hervor. Im grauen Dunst sind in der
Ferne Gebäude zu sehen, ein paar
Menschen laufen zielstrebig auseinander, der eine nimmt den Bus, andere
werden abgeholt. Ansonsten bleibt
es recht ruhig, kein Lärm, kein reger
Menschenverkehr. Auch vom Bahnhof
hört man keinen Ton mehr. Die Züge
haben wieder Fahrt aufgenommen, die
Passagiere sind aus- und eingestiegen.
Ansonsten gibt es auch keinen Grund,
am Bahnhof zu bleiben. Wer sich mit
einem Brötchen stärken will, muss
einen anderen Ort aufsuchen. Vergeblich ist auch die Suche nach Kaffee,
den man sich schon selber mitbringen
muss. Das gilt auch für Reisende,
die den Bahnhof mit der Hoffnung
betreten, schnell noch eine Zuglektüre
kaufen zu können. Nein, mit all dem
kann der Bahnhof von Eisenhüttenstadt nicht aufwarten. Folglich spricht
nicht viel dafür, hier unnötig viel Zeit
zu verbringen.
Die brandenburgische Industriemetropole an der polnischen Grenze wirkt
auf den ersten Blick verschlafen. Das
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ist so richtig wie falsch, denn während
Touristen wie wir sensationslüstern
nach Unterhaltung verlangen und
etwas geboten bekommen wollen,
schuften die Nachfahren des einstigen DDR-Proletariats hart für ihren
Lebensunterhalt. Vor nun mehr als
vier Stunden hat im Hüttenwerk,
dem größten Arbeitgeber der Stadt,
die Frühschicht begonnen. Um Punkt
sechs Uhr wurden Kollegen abgelöst,
die in der Nacht dafür Sorge zu tragen hatten, dass mittels moderner
Industriealchemie aus Eisenerz feiner,
sich formender Stahl wird. Nun ist es
Aufgabe des Frühschichtpersonals, den
Produktionsprozess am Laufen zu halten, bis am späten Abend die nächste
Ablösung kommt. Der Bahnhof mag
schlafen, das Hüttenwerk tut es nicht.
Die schläfrige Atmosphäre, die sich
dem touristischen Besucher zunächst
aufdrängt, ist also nichts anderes als
Lug und Trug, ist tückische Täuschung
und Verzerrung der Realität, eine
optische List und Verkehrung der
Tatsachen. Man könnte glauben, der
geschichtsträchtige Ort inhaliert noch
immer die Luft aus Zeiten, in denen
SED-Schergen aus ideologischer Verblendung das Volk zum Narren hielten
und das Land auf fatale Weise herun-
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Studentenwerk Berlin
terwirtschafteten. Dafür legt nicht nur
der kleine unwirtliche Bahnhof Zeugnis
ab. Auch die Straßen, durch die wir in
das Hüttenwerk gebracht werden, erinnern mit jedem Meter, den wir an leer
stehenden, sanierungsbedürftigen, ja
völlig zerstörten Häusern vorbeifahren,
an den Kalten Krieg, die Planwirtschaft
und die Rückständigkeit der neuen
Bundesländer, für die sie, die Planwirtschaft, letztendlich verantwortlich ist.
Man bekommt nicht gerade den Eindruck, dass zu Hochzeiten des DDR-Sozialismus viel Wert auf Planung gelegt
wurde, wenn man sich die Geschichte
des Hüttenwerks im Schnelldurchlauf
anhört. Genau das tun wir, als wir das
Hüttenwerk betreten. Herr Müller und
Herr Schulz, zwei ehemalige Mitarbeiter, die im Hüttenwerk mehr als 40 Jahre gearbeitet haben, sind nämlich mit
der Unternehmensgeschichte bestens
vertraut und wollen sie auch für uns
zum Besten geben.
Wir werden in einen extra für Besucher
vorbereiteten Raum gebracht, der an
Seminare an der Uni erinnert. Der Tag
hat erst begonnen, die Sonne kommt
allmählich zum Vorschein. Alle sind
guter Laune, das Hüttenwerk ist nur
die erste Attraktion, mittags folgt
ein Stadtrundgang, dann ein Besuch
des Dokumentationszentrums. Herr
Müller, ebenfalls gut gelaunt, begrüßt
alle freundlich und gibt ein paar einleitende Worte von sich. Sein Kollege
Herr Schulz, der hinter uns am anderen
Ende des Raumes sitzt, ist mit der
Aufgabe betraut worden, zu assistieren
und den einen oder anderen Terminus
technicus anhand einer Karte verständlich zu machen. Und damit keiner
Zweifel hinsichtlich der Fachkompetenz
der beiden hat, erinnert Herr Müller an
die lange Zeit, die beide im Dienste des
Hüttenwerks standen. „Es ist also etwas da“, sagt er verschmitzt und fängt
mit seinem nicht uninteressanten
Vortrag an.
Die Geschichte des Hüttenwerks ist
schnell erzählt: Nach dem Zweiten
Weltkrieg wird Deutschland in vier Besatzungszonen geteilt. Mit der Teilung
entstehen aber auch zwei deutsche
Staaten, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische
Republik, die von Väterchen Stalin zu
einem sozialistischen Staat geformt
wird. Die sowjetische Besatzungszone,
die die DDR anfangs noch ist, hat
jedoch ein Problem: Die Filetstücke der
Industrialisierung kommen den westlichen Besatzungsmächten zu, während
das von der Sowjetmacht eroberte
Gebiet keine nennenswerten Produktionsstätten hat, um der Volkswirtschaft
mit Stahlerzeugnissen zum Aufschwung zu verhelfen. Also entschließt
man sich 1950 auf dem dritten Parteitag der SED, unweit vom Fürstenberg
an der Oder ein Eisenhüttenkombinat
aus dem Boden zu stampfen. Um dieses herum, so der Plan, soll schließlich
eine Wohnstatt entstehen, damit das
Proletariat es nicht weit zur Arbeit
hat. Im sozialistischen Eifer wird sofort
mit der Umsetzung dieses Beschlusses
begonnen. Das Gebiet an der polnischen Grenze ist stark bewaldet, sodass
zunächst Rodungen dem Hüttenwerk
den Weg ebnen sollen. Dann wird
schließlich der erste Hochofen errichtet
und 1951 bringt man die Industriemaschinerie mit großen Erwartungen
endlich in Gang.
So weit, so gut. Spektakulär war es
nicht, was uns die Eisenhüttenstadt bis
jetzt geboten hat. Doch das ändert sich
schlagartig, als Herr Müller uns Laien
erklärt, wie der Produktionsprozess
im Detail aussieht. Im Detail sitzt aber
auch der Teufel, oder besser in dem,
was im Hüttenwerk von 1951 bis 1997
fabriziert wird. Denn am Beispiel des
Hüttenwerks wird überdeutlich, dass
die sozialistische Planwirtschaft in der
DDR gar nicht so planerisch war. Das
zu verstehen, ist gar nicht so schwer,
wenn man weiß, in welchem Ablauf
Stahl eigentlich hergestellt wird und
wie es in der DDR-Zeit gemacht wurde.
Wir wissen es noch nicht, doch Herr
Müller, der zunehmend auf Touren
kommt, klärt uns gerne auf. Und plötzlich wird aus anfänglicher Tristesse
aberwitzige Unterhaltung.
Um aus Eisenerz feinen Stahl herzustellen, muss der Produktionsprozess
vier enorm wichtige Stationen durchlaufen. Zunächst wird in den Hochöfen
das Eisenerz durch extreme Hitze von
nicht eisenhaltigem Gestein befreit,
um Eisen in Reinform zu erhalten.
Im Folgeschritt muss das Eisen zu
Stahl verarbeitet werden. Es versteht
sich von selbst, dass man hierfür
ein Stahlwerk benötigt. „Damit kein
Missverständnis entsteht“, sagt Herr
Müller alarmierend, „der hergestellte
Stahl ist noch lange nicht der am
Ende benötigte Feinstahl!“ „Ach nein“,
wundern wir uns und blicken Herr
Müller erwartungsvoll an. „Nein, um
Flachstahl zu erhalten, muss der Stahl
auf einem Warmbreitband erst flach
gewalzt werden. Also wird ein Warmwalzwerk benötigt, damit man Warmbreitbänder überhaupt produzieren
kann. Das Warmwalzwerk ist also die
dritte Station im Produktionsprozess“,
sagt Herr Müller, während sich Herr
Schulz am anderen Ende des Raumes
mittels plastischer Vereinfachung
des Informationsflusses um unsere
Aufmerksamkeit bemüht. „Das ist aber
noch nicht alles“, erklärt Herr Müller
schließlich und erläutert uns noch den
letzten Akt in dem Produktionsdrama
von Eisenhüttenstadt. Erst nachdem
das Warmbreitband plattgewalzt
worden ist, kommt das Werkstück in
das Kaltwalzwerk, das gleichsam die
Endstation der Eisen-Stahl-Rundfahrt
darstellt. Hier wird der Flachstahl so
umgeformt, wie es für die Herstellung
eines Produkts notwendig ist.
Aus Herr Müllers Mund hört sich der
ganze Prozess ziemlich logisch an:
Das Werkstück passiert zunächst den
Hochofen, wird in das Stahlwerk trans-
portiert, gelangt von dort aus in das
Warmwalzwerk und beendet seinen
Transformationsprozess schließlich
im Kaltwalzwerk. Nun ist es aber so,
dass die Planwirtschaft der ehemaligen sozialistischen DDR für logische
Zusammenhänge nichts übrig hatte.
Anders kann man sich nämlich nicht
erklären, warum in der damals wichtigsten Stahl-Produktionsstätte des
Landes entgegen der Reihenfolge des
Produktionsprozesses in den 50ern die
Hochöfen, in den 60er-Jahren erst das
Kaltwalzwerk, in den 80ern dann das
Stahlwerk und erst 1997 das Warmwalzwerk gebaut werden. Ratlos ist
auch Frau Ebel und fragt bei Herr Müller nach, ob sie das richtig verstanden
hat. „Für Außenstehende hört sich das
merkwürdig an“, gibt Herr Müller zu.
Das kann man wohl sagen. Nicht mehr
merkwürdig, sondern völlig abstrus
wirkt die ganze Sache schließlich, als
Herr Müller erklärt, dass der vorher in
dem Hüttenwerk produzierte Stahl in
die Sowjetunion transportiert werden
musste, um ihn nach einem Durchlauf
im sowjetischen Warmwalzwerk
erneut in Zugwagons zurückzubekommen. Im Raum macht sich Erstaunen
und völlige Unverständnis breit. Frau
Ebel versucht weiterhin der enormen
Sinnlosigkeit, die darin steckt, Nachdruck zu verleihen und bekommt Hilfe
von den sie begleitenden Studenten,
deren Fragen sich häufen. „Damals
war das wahrscheinlich die beste
Option, es so zu machen“, versucht
sich Herr Müller zu rechtfertigen.
„Viele schlaue Männer wurden damals beordert und sie rechneten alle
Möglichkeiten durch. Sie grübelten
und grübelten, bis man sich für diese
Möglichkeit entschieden hat.“ Und um
unserer Verblüffung eine weitere Steigerung zu geben, erklärt Herr Müller,
dass das Hüttenwerk aufgrund dieser
Anti-Logik bis zum Jahr 1997 rote Zahlen schrieb. „Erst dann“, also sieben
Jahre nach der Wende, „konnten endlich Gewinne eingefahren werden.“
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Berichte der Gäste
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
Jetzt fällt es uns wie Schuppen von den
Augen und wir verstehen, warum der
Sozialismus und die Planwirtschaft
nicht funktionierten, ja geradezu mit
Sicherheit scheitern mussten. Na immerhin, wir sind jetzt um eine Erkenntnis reicher.
Der Besuch hat sich gelohnt, auch
wenn der anschließende Durchgang
durch das Warmwalzwerk einem
mehrstündigen Saunagang in Klamotten gleicht. Alle schwitzen, röcheln
und stöhnen. Das wird auch die
Hauptbeschäftigung für die nächsten
sechs Stunden bleiben, denn gegen
Mittag verwandelt sich die ganze Stadt
in ein Warmwalzwerk. Was danach als
Informationen über die Stadt, ihrer
Architektur, ihren Menschen, deren
Gewohnheiten, Liebreize und Verschrobenheit durchsickert, kann beim
besten Willen nicht aufgenommen
werden. Zu nah baumelt die Sonne
über unseren Köpfen und rötet unsere
in dem Warmwalzwerk ohnehin überstrapazierten Glieder. Wir hören noch,
dass die Bäckerei „Dreißig“ als lokaler
Großkapitalist die armen Eisenhüttenstädter seit Jahren jeden Tag die
gleichen Brötchen essen lässt, dass das
eine oder andere Haus heute unbezahlbar ist, dass hier früher mal Autos
nach Bestellung gestohlen wurde, aber
all das interessiert uns nicht mehr. Wir
wollen bloß der Sonne entkommen, die
Hitze endlich abschütteln, wir wollen
nach Hause, bald, jetzt, sofort.
Auch der abschließende Besuch im
Dokumentationszentrum, wo man
ein Bild von der Alltagskultur der
DDR bekommt, bleibt letztendlich
ohne Eindruck. Zu stark hat sich das
Hüttenwerk in unsere Gefühlswelt eingebrannt, zu deutlich hat es seine Dominanz in der Stadt demonstriert. Es
war, ist und bleibt das Wahrzeichen der
Stadt. Jeder, der die ehemalige Stalinstadt besucht, wird vom Hüttenwerk
vereinnahmt. Das ist auch gut so, denn
ansonsten besteht vermutlich wirklich
die Gefahr, kurzerhand einzunicken.
Zum Schlafen aber eignen sich andere
Städte besser.
Polen in Berlin.
Von Radziwiłł bis Kowalski.
Ewa Maria Slaska
Seit 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts
(Beginn der Teilung Polens) kamen die
Polen nach Berlin. Der erste historisch
vermerkte Pole in der deutschen
Hauptstadt war Teofil Lubieniecki, dem
ein hoher Amt auf dem Hof vom König
Friedrich I. zuteil wurde. Nach ihm
kamen andere polnische Adligen, darunter Anton Rdziwiłł, ein Komponist,
der 20 Jahre lang die Musik zu „Faust“
verfasst und Nichte des Königs, Luise
Hohenzollern, geheiratet hat. Sein
Palast in der heutigen Wilhelmstraße
wurde in Bismarckzeit Reichskanzlei
und somit auch später die Kanzlei, wo
Hitler residiert hat. Ein anderer, Antonius Graf von Raczynski, Kunstmäzen
und -historiker, bewahrte seine Kunstsammlung in einem Palast, der ihm die
Regierung Bismarcks abgekauft hat,
um auf dieser Stelle den Reichstag zu
errichten.
In der königlichen Zeit sind mehrere
Militärschulen für polnische Jugend
entstanden - so entstanden die Regimenter der Ulanen, die zwar ein Teil
der preußischen Armee waren, aber
mit polnischen Uniformen ausgestattet
wurden.
Gleich danach begannen aus allen Teilen Polens nach Berlin junge Menschen
zu kommen, um hier zu studieren.
Auch die ersten Arbeiter sind gekommen, allerdings waren sie zuerst als
Feldarbeiter in den Dörfer um Berlin
herum tätig und nicht in der Stadt
selber.
Als 1870 Berlin Reichshauptstadt wurde
und einen enormen Bau- und Industrialisierungsboom erlebte, kamen die
Polen massenweiße, um hier als Aushilfekräfte zu arbeiten. Die Hauptzeit
dieser Bewegung, die übrigens keine
Immigration war, sondern eine Binnenbewegung, weil Großpolen, Pommern,
Schlesien die Teile des Reichs waren,
fällt auf Jahre 1870-1900. Die Polen
bauten Tausende von Mietskaseren,
aber auch den Reichstag und die SBahn-Linien und gruben den Teltower
Kanal aus. Die Polen standen zu ihrer
Religion (sie waren Katholiker), Kultur
und Sprache, gründeten polnische
Vereine, bauten polnische Schulen und
Kirchen auf. Es war eine Minderheit,
die zwar sehr gut integriert war, aber
trotzdem sehr sichtbar.
Auf dem Kaiserhof gab es mehrere
polnische Hofmaler, darunter Wojciech
Kossak, der sich im Verfassen von
Schlachtbildern spezialisierte und
Julian Fałat, vor allem als Jagd- und
Landschaftsmaler berühmt.
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Berichte der Gäste
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
Zu Ende des I Weltkriegs (1918) verminderte sich die offiziell berechnete Zahl
der Polen in Berlin, z.T., weil die Polen
zurück nach Polen gingen, im größten
Teil aber, weil sie sich eingedeutscht haben. Was geblieben ist, sind die Namen.
Bis heute hat mindestens jeder 10er
Berliner einen polnischen Namen. Die
relativ kleine Gruppe der Berliner Polen
war jedoch gut organisiert – bis September 1939 gab es in Berlin polnische
Schulen, Kirchen, Banken, Sport- und
Kulturvereine.
Die neue Welle der Zuwanderer aus
Polen kam nach Berlin zum Beginn des
II Weltkriegs. Sie wurden hier in Hunderttausenden zugeschleppt, damit
sie als Zwangsarbeiter die fehlenden
deutschen Arbeitskräfte ersetzen. Dazu
kamen natürlich politische Gefangenen
und am Ende des Krieges, als es um
Berlin gekämpft wurde, auch Soldaten
aus der polnischen Armee, die ein Teil
der sowjetischen Armee war.
Von all diesen Gruppen sind nach dem
Ende des Krieges viele zurück nach
Polen gegangen, viele aber, die gemeinsamen Namen displaced persons erhielten, blieben in Berlin. Sie standen aber
nicht zu ihrer polnischen Identität und
die polnische Minderheit in Berlin ist
beinahe verschwunden. Erst 1980 kam
nach Berlin eine neue Zuwandererwelle – die sog. Solidarnosz-Flüchtlinge.
Das sind diese Polen, die man heute in
Berlin sieht. Sie begannen vor 30 Jahren
ganz unten – die Männer arbeiteten
illegal auf den Baustellen, Frauen als
Putzfrauen. Im Laufe der letzten 30
Jahren hat sich diese Gruppe einerseits
aus der Randposition herausgearbeitet
und zugleich sehr gut integriert. Genauso wie vor 100 Jahren – sind Polen
im heutigen Berlin eine gut geprägte
Minderheit, die man sieht, die jedoch
keinerlei Probleme verursacht. Wie der
Thilo von Sarrazin sagte: eine Mustergruppe der Immigranten. Ob uns diese
Meinung von einem Mann, der sich
kompromittierte, schmeichelt, ist dahin
gestellt. Aber Recht hatte er. Wir sind
Polen und wir sind super gut integriert.
Somit sind wir Berliner geworden.
Der Strand in Cuxhaven
Juli 2012 (aus dem spanischen Buch „Tu alma en la orilla“,
Ignacio Lloret)
Ignacio lloret
Nun haben wir uns in einen Strandkorb gesetzt, in eine Kabine, in der man sich
sonnen kann, ohne vom Wind gestört zu werden. Unserer ist blau, aber es gibt sie in
verschiedenen Farben, sie sind wie auf dem Sand liegengebliebene Autos. Einige Körbe
sind privat, andere sind zu vermieten, wir haben unseren für den ganzen Nachmittag
gebucht. Letizia lacht und sagt mir, dass sie sich fühlt wie in einem Autoskooter, wenn
die Hupe ertönt und schlagartig alle Autos mitten auf der Strecke stehen bleiben.
Auf einer Seite sehen wir das offene Meer und auf der anderen ist die Biegung, wo die
Elbe einmündet. Dort fahren die Schiffe hinein und die Tanker heraus, die mit vollen
Containern von Hamburg kommen. Auf dieser Flussstrecke müssen sie zwischen Bojen
fahren, ausserhalb ist der Wasserpegel nicht hoch genug und sie könnten sich festsetzen. Die Landregierung will das Flussbett ausbaggern, damit grö ere Kreuzfahrtschiffe kommen können, doch die Grünen warnen vor einer ökologischen Katastrophe.
Manchmal lesen wir solche Nachrichten und schweigen, ohne sie ganz zu verstehen.
Wir hören den Begriff „ökologisches Desaster“ und trauen uns nicht zu fragen,
worum es geht. Eigentlich sollten wir uns für diesen Belang interessieren, bis wir verstehen, dass ein Ausbaggern die Pflanzen zerstört, die ganz unten im Fluss leben, dass
diese das Futter der Fische sind, dass die Fische ohne sie sterben würden. Es klingt erst
einmal nicht schlimm, den Fluss zu erweitern, wenn er nicht aus diesem Grund zu
einer leblosen Grube werden würde. Das ist die Botschaft, die wir empfangen sollten.
„Du lenkst vom Thema ab“ – wirft Letizia mir vor -. „Du sollst über uns schreiben“.
„Es ist aber auch wichtig, den Ort zu beschreiben“ – antworte ich.
Cuxhaven ist eine deutsche Stadt an der Nordsee, einer der wenigen Zugänge Niedersachsens zum Meer. Heutzutage ist es ein ruhiger Ort, aber es gab eine Zeit, in der
die Auswanderer von hier aus nach Amerika zogen. Nach dem Krieg und bevor die
deutsche Wirtschaft sich erholte, kamen viele Leute mit dem Zug hierher und bestiegen Schiffe in diesem Hafen, um eine bessere Zukunft zu haben. Bis in die Sechziger
Jahre hinein fuhr jede Woche ein Schiff ab, am Kai winkten viele mit Tüchern. Und da
die meisten niemals zurückkehrten, müssen diese Abschiede ziemlich traurig gewesen
sein.
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Lyrik & Prosa
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
Wir haben eine Fotoausstellung und einen Film über diese Reisen gesehen. Wir haben
Koffer, Stöcke, Schnurrbärte gesehen, lange Frauenkleider und Männer, die seit einem
halben Jahrhundert tot sind. Beim Betrachten der Fotos habe ich gedacht, dass
während der letzten Kriegsjahre, kurz bevor diese Fahrten begannen, die Alliierten
ähnliche Kreuzfahrtschiffe zerstörten, an Bord Zivilisten, die vom Festland flüchteten.
Günter Grass hat vor ein paar Jahren ein Buch über dieses Drama geschrieben, in
dem er den Untergang der Gustloff beschreibt.
„Worauf wartest du?“ – sagt Letizia – „Ich dachte, wir sind hierher gekommen, um
über uns zu reden“.
„Und das mache ich gerade“.
„Es scheint aber nicht so“.
Von unserem steckengebliebenen Korb aus sieht man die Promenadenhäuser und die
Straße auf der wir hierhergefahren sind. Wir sind die letzte Strecke an der Elbe entlanggefahren, den ausgeschilderten Weg, der von Hamburg kommt. Es sind hundertfünfzig Kilometer ohne Anhöhen, ein flacher Pfad, der parallel zum Deich verläuft.
Zunächst haben wir in Blankenese mit der Fähre aufs linke Ufer übergesetzt. Dann
sind wir durch das Alte Land geradelt, das ein riesiger Obstgarten ist. Es war so als
wären wir durch einen Park gefahren, nur Rasen und Wiesen an beiden Wegrändern.
Und dies ist auch ein Land der Pferde. Letizia wollte alle Tiere streicheln, denen wir
begegnet sind. Sie lehnte das Fahrrad an einen Baum und umarmte jedes Pferd.
Wenn wir später diese Fotos sehen, werden wir eine Sondersammlung, ein Sonderalbum haben. Ich traue mich nicht, die Viecher anzufassen, mich erschrecken diese
hervorstehenden Zähne, die feste Gräser ausreissen können.
Ich denke immer, dass der Umgang mit Tieren angeboren sein muss, er lässt sich
nicht erlernen. Es freut mich, wenn Letizia zu einem Esel oder einer Kuh, einer Katze
oder einem Hund kommt, wie sie sofort mit ihnen klarkommt. Es rührt mich nicht
sonderlich, wenn sie mich umarmt, bei Tieren umsomehr, wenn sie sich ihnen nähert
und ihnen nette Worte zuflüstert.
„Ist es das, was du erwartest hast?“ – frage ich sie.
„In etwa“, – antwortet sie- „aber ich will nicht, dass du mir nur zuschaust. Du sollst
auch mitmachen“.
Wenn niemand am Strand spazieren geht, bleiben wir völlig isoliert, die Korbwände
schotten uns ab. Nun könnte es anfangen zu regnen, der Strand wäre leer und wir
würden hier sitzen bis es wieder heiter wäre. Es könnte sein, dass jemand mal in so
einem Korb nach einer einsamen bzw. lasterhaften Nacht gestorben ist und man erst
viel später davon erfahren hat. Es sind Einrichtungen, die einen vor dem Wind schützen sollen, aber gleichzeitig trennen sie uns auch von der Umgebung.
Wir werden zwei Tage an der Küste verbringen und dann mit der Bahn die gleiche
Strecke fahren, die wir mit dem Fahrrad zurücklegten. Wir werden mehrere Kilometer auf dem Watt laufen, einer feuchten Fläche, die erst auftaucht, wenn die Ebbe
kommt. Wir werden den Sand mit nackten Füßen treten und schnell zurückkehren
müssen, damit das Meer uns nicht erwischt. Man wird uns sagen, dass man diesen
Abschnitt auch mit einer Kutsche befährt, dass man bis zu einer Insel pilgert, aber
es wird uns unglaubwürdig erscheinen, dass das Wasser so viel Zeit braucht, um
zurückzukommen.
Im Jahr 1962 überschwemmte das Meer die Küste. An der Elbe stieg der Wasserpegel
und es kam zu Überflutungen in Hamburg. In wenigen Stunden stand die Stadt völlig unter Wasser und tausende Einwohner kamen ums Leben. Zu der Zeit war Helmut
Schmidt Oberbürgermeister. Jahre später wurde er Bundeskanzler, teilweise dank
seines Einsatzes bei der Naturkatastrophe.
„Siehst du? Du zerstreust dich schon wieder“ – sagt Letizia – „Du kannst dich nicht
auf das Wesentliche konzentrieren“.
„Es geht aber um Ereignisse, die passiert sind“.
„Und die nichts mit uns zu tun haben“.
Umbral schreibt, dass die Liebe einen Inhalt haben muss. Ich frage mich, ob die Reisen
diesen Inhalt darstellen können. Ich nehme an, dass ein Zeitpunkt kommt, wo die
Beziehung einen Spielraum auswählt, ein beliebiges Umfeld aussucht und beginnt,
von diesem Raum aus zu kämpfen. Und damit sie gedeiht, reichen die glücklichen
Momente nicht aus, irgendwann einmal muss das Leiden auftauchen. Man kämpft
um ein neues Haus, um ein schwieriges Kind oder darum, eine Krankheit zu besiegen, die zu lange dauert. Die Niederlagen sollten nie fehlen.
Und wenn diese Gefechte entscheidend sind, ist es darauf zurückzuführen, dass sie
unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Es ist oft so, dass unser Partner eine Gefühllosigkeit zeigt, die wir von ihm nicht erwartet haben, er blickt einfach woanders
hin. Wir dachten, er würde sich vor dem Unglück fühlen wie wir, dass er gleichzeitig
aufstehen würde, um es zu überwinden, aber seine Haltung enttäuscht uns. Normalerweise können wir mit dieser Person nicht mehr weiterleben, der Schmerz bringt
uns auseinander. Wenn es aber mitten im Leid zu einer Eintracht kommt, findet diese
Beziehung einen endgültigen Inhalt.
Wir, Letizia und ich, wissen noch nicht, welche unsere Handlung sein wird. Wir werden sie nicht aussuchen können. Sie muss auch nicht unbedingt negativ sein. Es ist
auch nicht sicher, dass sie kommt. Nun schaue ich auf ein anderes Schiff und denke,
dass die von uns unternommenen Reisen uns nicht verbinden können, ihnen fehlt
es an einem notwendigen Element. Stimmt. Wir werden an all diese Strände fahren,
wir werden zusammen atmen, unsere Wunden zusammen heilen, aber das Wichtigste wird woanders geschehen.
„Das hört sich schon viel besser an“ – sagt sie, als sie ihren Kopf an meine Schulter
lehnt.
„Eigentlich ist dir einerlei, was ich schreibe, solange es von dir und von mir handelt“.
Dann schaut sie mich an und lächelt ohne etwas zu sagen. Ich blicke auch die schimmernden Wellen an, die sich erneut nach innen zurückziehen. Ich sehe den Korb und
stelle mir einen winzigen Satelliten vor, in einem Raum, wo nur wir reinpassen. Ich
stelle mir vor, dass wir nicht mehr leben, dass wir uns bei den Händen halten und mit
geschlossenen Augen schweben. Wir fliegen nirgendwo hin, wir bleiben schwebend in
der Luft, so dass sich nur die Landschaften im Hintergrund ändern. Zuerst sieht man
Berge und Flächen, aber auch riesige Wiesen mit glänzenden Bäumen. Ich wei , dass
das Bild traurig erscheinen kann und dennoch ist es eine fröhliche Erinnerung. Wir
sind nie so glücklich und gleichzeitig so tot gewesen.
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Lyrik & Prosa
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Impressionen eines Jahres
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Impressionen eines Jahres
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Studentenwerk Berlin
Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin
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Studentenwerk Berlin
Anstalt des öffentlichen Rechts
ISB-Jahrbuch 2011/12
Schriften zur Hochschulsozialpolitik
Das Studienjahr 2011/12 im Internationalen Studienzentrum Berlin / Max Kade-Haus
Herausgeber:
Studentenwerk Berlin – Öffentlichkeitsarbeit –
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V.i.S.d.P.: Petra Mai-Hartung (Geschäftsführerin)
Redaktion: Manuela Ebel | Studentenwerk Berlin
Lektorat: Heike Herfart | Wortschliff
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