Jahrbuch - Internationales Studienzentrum Berlin - Max-Kade-Haus
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Jahrbuch - Internationales Studienzentrum Berlin - Max-Kade-Haus
ISB-Jahrbuch 2011/12 | Studentenwerk Berlin Anstalt des öffentlichen Rechts Jahrbuch 2011/12 Schriften zur Hochschul-Sozialpolitik Das Studienjahr 2011 im Internationalen Studienzentrum Berlin / Max Kade-Haus www.studentenwerk-berlin.de www.isb-bln.de Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Inhalt: Grußwort 3 Mitglieder des Beirats Liste der Bewohnerinnen und Bewohner des ISB 4 5 Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner Kann eine Sprache eine andere beeinussen? Ein Beispiel des soziolinguistisch motivierten Sprachwechsels Otto Freundlich - Die abstrakte Kunst der Universalsprache Messestadt Berlin Light your Fire Familientherapie nach Virginia Satir Der Ehebruch in der Literatur Göttingen und seine Universität Health Systems in Transitions „Mord ist ein Verbrechen – keine Ehrensache!“ Der Rechtsstaat in der postsowjetischen Gegenwart Berlin, eine Stadt mit vielen Seiten Global Cities Geschichte der Menschenrechte als ein Drama ständigen Ringens und kontinuierlichen Fortschritts Wetterfühlig?! Stadtentwicklung und räumliche Visionen: Berlin und London Das Prinzip Babylon – in Geschichte, Gegenwart und Politik 17 19 23 27 31 33 41 43 47 53 57 61 65 67 71 73 Beiträge der Gäste ISB-Reise in Raum und Zeit: Breslau – Krakau – Auschwitz Das Inferno von Eisenhüttenstadt Polen in Berlin. Von Radziwi°° bis Kowalski. 79 83 87 Lyrik und Prosa Der Strand in Cuxhaven 89 Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Jahresprogramm 2011/12 Freitag, 14. Oktober, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Welcome-Party und Informationsabend von Tutoren und ISB für alte und neue ISB-BewohnerInnen Ab Montag, 17. Oktober wöchentlich 19:00 – 20:30 Uhr und 20:30 – 22:00 Uhr Max Kade-Saal Deutschkurs mit Dorota Cygan für Anfänger und Fortgeschrittene Donnerstag, 20. Oktober, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Delia Schaedel, ISB Global Cities Donnerstag, 27. Oktober, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Gastvortrag Detlef Ebel Feuer und Flamme – Vom Umgang mit dem Feuer Samstag, 29. Oktober, 10:00 Uhr Exkursion Bahnfahrt nach Naumburg Besuch der Landesausstellung Sachsen/ Anhalt Ab Sonntag, 30. Oktober, 20:00 Uhr 14-tägig, Max Kade-Saal )LOP-RXU[ mit der Tutorin Kathrin und Marina Abajian, ISB Freitag, 4. November Exkursion Potsdam-Tag Gärten Sanssouci, Siedlung Alexandrowka und russisch-orthodoxe Kirche, Holländisches Viertel, barocker Stadtkern Führung: Thomas Lukow Ab Mittwoch, 9. November, 20:00 Uhr 2 x wöchentlich Multifunktionsraum $HURH[ Spezielle Atemtechnik und Atemgymnastik Kursleitung: Anna Poghosyan, ISB Donnerstag, 10. November, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Dorota Cygan „…so wird der Deutsche dem Polen nie ein Bruder sein.“ Deutsche und Polen: Kurze Geschichte einer langen Annäherung Dienstag, 15. November, 18:00 Uhr Preußischer Landtag, Casino Festliche Übergabe der Stipendienurkunden an die StipendiatInnen der Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin durch den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland Donnerstag, 17. November, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Aneta Kozuchowska, Alumna des ISB: Was bringt uns die Zusammenarbeit in der Europäischen Union und an ihren Außengrenzen Donnerstag, 24. November, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Viktorya Sahakyan, ISB: Handlungsorientiertes Lernen als Erfordernis und Orientierung für Lernprozesse in der Berufsausbildung Freitag, 25. November, 13:00 Uhr Exkursion Führung durch das Kaufhaus des Westens – Wir schauen hinter die Kulissen des KaDeWe Freitag, 25. November, 20:00 Uhr Berliner Ensemble Die Kleinbürgerhochzeit von Bertolt Brecht Inszenierung: Philip Tiedemann anschl. Theaterführung durchs BE Freitag, 2. Dezember, 16:30 Uhr Exkursion Die vorweihnachtliche Prenzlauer Berg-Tour mit Glögi Donnerstag, 8. Dezember, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Ewa Maria Slaska, Schriftstellerin Von Radziwill bis Kowalski. Polen in Berlin Freitag, 9. Dezember, 19:30 Uhr Ballett Schwanensee in der Deutschen Oper Donnerstag, 15. Dezember, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Dr. Lidi Gluchowska, Kunsthistorikerin Polnische Künstler in Deutschand 1910 - 1933 Freitag, 16. Dezember, 16:00 Uhr Martin Gropius-Bau Ausstellungsbesuch Tür an Tür. Polen – Deutschland 1000 Jahre Kunst und Geschichte Samstag, 17. Dezember, 16:00 Uhr Multi-Funktion Raum Adventskonzert Am Klavier Alexander Kulikov, ISB Donnerstag, 12. Januar, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Länderabend Iza Kelenjeridze, Nino Mikelaishvili, Nino Inauri, Marika Turava, ISB “Das Moderne Georgien” Donnerstag, 19. Januar, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Annie Goh, Stipendiatin des Abgeordnetenhauses zu Berlin Die Dimension von Sound bei Vilém Flusser Freitag, 20. Januar, 15:00 Uhr Museumsbesuch Deutsches Technikmuseum Berlin Führung zum Thema:„Technik und Krieg“ Donnerstag, 26. Januar, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Natalia Banasik, ISB p.DQQHLQH6SUDFKHHLQHDQGHUHEHHLQXVsen?“ – Psycholinguistische und soziolinguistische Aspekte bei Sprachkontaktprozessen Freitag, 27. Januar, 16:00 Uhr Holocaust Gedenktag Jüdisches Museum Berlin „Mit Siebenmeilenstiefeln durchs Museum“ Donnerstag, 2. Februar, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Nino Mikelaishvili, ISB Healthsystems in Transitions Freitag, 3. Februar 16:00 Uhr Exkursion zum Gerhart Hauptmann Museum in der Villa Lassen in Erkner Ein Gesamtüberblick über Leben und Werk des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann Mittwoch, 8. Februar, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Thomas Lukow Jugend in der DDR – Vom Marschlied zum Punkrock Freitag, 10. Februar, 19:30 Uhr Theaterbesuch Gerhart Hauptmann „Die Weber“ im Deutschen Theater Donnerstag, 16. Februar, 18:30 Uhr Max Kade-Saal 5DLO6D\HY,6% Kuriositäten der azerbaidschanischen Justiz Freitag, 17. Februar, 16:00 Uhr Exkursion Käthe Kollwitz Museum Führung durch die ständige Ausstellung Freitag, 24. Februar, 15:00 Uhr Stadtspaziergang Berlin wird aufgeklärt Friedrich II, Lessing, Nicolai, Mendelssohn, Voltaire & Co Donnerstag, 8. März, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Marika Turava, ISB: Der Weg der Demokratie Freitag, 9. März, 9:00 Uhr Stadterkundung Auf den Spuren des MfS (Ministerium der Staatssicherheit der DDR) Begleitung: Thomas Lukow Donnerstag, 15. März, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Mustafa Yüksel, ISB: Der Harem bei den Osmanen Freitag, 16. – Sonntag, 18. März Exkursion Besuch des ehemaligen Deutschen Bundestag in Bonn und weiter zum Kölner Dom Donnerstag, 22. März, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Ignacio Lloret, ISB: Der Ehebruch in der Literatur Freitag, 23. März, 17:00 Uhr Exkursion Besuch beim Deutschen Bundestag im Reichstagsgebäude Montag, 26. – Freitag, 30. März, Beginn 20:00 Uhr Max Kade-Saal - 5x2 Stunden - Literarischer Workshop Leitung: Ignacio Lloret Donnerstag, 29. März, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Genevieve Debien, ISB: „Otto Freundlich (1878-1943). Die abstrakte Kunst als Universalsprache?“ Freitag, 30. März, 19:15 Uhr Theaterbesuch theaterforum kreuzberg „Ist er gut? Ist er böse?“ (Der Menschenfreund) Donnerstag, 12. April, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Länderabend Natalia Banasik, ISB: Reise durch Polen Donnerstag, 19. April, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Antoine Mandret-Degeilh, ISB: Belfort Geschichte einer Stadt – Eine Stadt in der Geschichte Freitag, 20. April, 14:45 Uhr Ausstellungsbesuch Neue Nationalgalerie Gerhard Richter Donnerstag, 26. April, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Rahel R. Mann Zeitzeugen Bericht Freitag, 27. April, 15:00 Uhr Ausstellungsbesuch Deutsches Historisches Museum Friedrich der Große – verehrt, verklärt, verdammt… Donnerstag, 3. Mai, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Francesca Weber Newth, ISB: Stadtentwicklung und räumliche „Visionen“: Hackney Wick, London und Mauerpark, Berlin Freitag, 4. Mai, ab 16:40 Uhr Friedrich der Große – Traditionell- Führung Schloss Charlottenburg und Berliner Residenzkonzert in der Orangerie des Schlosses Charlottenburg Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Jahresprogramm 2011/12 Donnerstag, 10. Mai, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Siarhei Bohdan, ISB: „ Ist der Iran ein Gottesstaat?“ 12.- 15. Mai 2012 Exkursion Reise nach Wroclaw (Breslau) und Krakow (Krakau) Freitag, 18. Mai, 15:00 Uhr Stadtspaziergang Thomas Lukow Das Regierungsviertel in Berlin - Vom Bundeskanzleramt zum Bundesrat - Freitag, 25. Mai, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Länderabend Nina Redmann, Jessica Beck, Derek Schäfer und Travis Mulroy, ISB: „If YOU can make it there, YOU’ll make it anywhere, it’s up to you. New York. New York! Donnerstag, 31. Mai, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Sultan Özaslan, ISB: „Ehrenmorde“ Donnerstag, 7. Juni, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Nino Inauri, ISB: Familientherapie nach Virginia Satir Freitag, 8. Juni, 16:00 Uhr Exkursion Führung zur deutschen Sport- und Architekturgeschichte im Olympiastadion und Olympiapark Donnerstag, 14. Juni, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Tinatin Erkvania, ISB: Georgische Verfassung – rechtlich/historisch - Samstag, 16. Juni, 8:00 Uhr Exkursion „Die Geschichts- und Kulturlandschaft der Mecklenburger Seenplatte zwischen Neustrelitz und Neubrandenburg“ Reiseleitung: Thomas Lukow Freitag, 22. Juni, 19:00 Uhr Max Kade-Saal Fariz Gasimli, ISB: Eurovisionsabend Samstag, 23. Juni + 24. Juni Exkursion Besuch der Autostadt Wolfsburg und der Universitätsstadt Göttingen Donnerstag, 28. Juni, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Marina Abaijan, ISB: Allergie - Ein bekanntes medizinisches Fremdwort? Donnerstag, 5. Juli, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Vasily Glushak, Alumni ISB: Wechselseitige Wahrnehmungen von Russen und Deutschen von den Anfängen bis zur Gegenwart Freitag, 6. Juli, ganztägig Exkursion Besuch der Planstadt Eisenhüttenstadt Donnerstag, 12. Juli, 18:30 Uhr Max Kade-Saal Nargiz Rzayeva, ISB: Prävention von Krebserkrankungen. Das Zusammenspiel von Schutz- und Risikofaktoren Mittwoch, 18. Juli, 15:00 Uhr Stadterkundung Unter den Brücken von Spree und Landwehrkanal - Auf dem Wasser durch Berlin Freitag, 20. Juli, 19:00 Uhr Max Kade-Saal Fariz Gasimli, ISB: Die Messestadt Berlin Anschließend Sommerfest Grußwort Willkommen im Internationalen Studienzentrum Berlin hieß es auch im Studienjahr 2011 / 2012 wieder für viele fortgeschrittene Stipendiatinnen und Stipendiaten, die aus den Ländern der ehemaligen Vier Alliierten kamen. Ihnen wurde ein umfangreiches kulturelles Programm geboten, dass Sie im vor Ihnen liegenden aktuellen Jahrbuch dokumentiert finden. Ein besonderer Schwerpunkt war in diesem Studienjahr das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen. Hierzu zählten der Besuch der Ausstellung „Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte“, Gastvorträge polnischer Wissenschaftlerinnen und als Höhepunkt die Exkursion nach Wroclaw und Krakow. Einen weiteren Schwerpunkt bildete das Thema Stadtarchitektur mit seinen unterschiedlichen systembedingten Auswirkungen im ehemals geteilten Deutschland. Dieses und vieles mehr wäre nicht möglich gewesen ohne die finanzielle Unterstützung des Deutschen Akademischen Ausstauchdienstes und des Senats von Berlin. Vielen Dank dafür! Auch trugen die Studierenden mit den Referaten zu ihren verschiedenen Forschungs- und Interessengebieten und den Länderabenden zum gelingen des Programms bei. Viele Stipendiaten genießen den Aufenthalt im ISB so sehr, dass sie sich um eine Verlängerung ihres Berlin-Aufenthaltes bemühen. Zurück in ihrer Heimat, empfinden sie das Leben im ISB als den entscheidenden Teil ihres Auslandsstudiums. Petra Mai-Hartung Geschäftsführerin 4 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB Beiratsmitglieder des ISB Institution Name Freie Universität Berlin Akademisches Auslandsamt Günter Schepker Vorsitzender Humboldt Universität zu Berlin Akademisches Auslandsamt Dr. Ursula Hans Stellvertretende Vorsitzende Deutscher Akademischer Austauschdienst – DAAD Daniel Zimmermann Auswärtiges Amt Referat 604 Wissenschaft und Hochschulen Technische Universität Berlin Akademisches Auslandsamt Ref. ID Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Guido Müntel Legationssekretär Alexander von Humboldt-Stiftung Dr. Katja Hartmann Universität der Künste Angelika Theuss Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin Prof. Dr. Herwig E. Haase Berlin Program for Advanced German and European Studies Karin Goihl Wissenschaftskolleg zu Berlin Dr. Joachim Nettelbeck Sekretär Studentenwerk Berlin Petra Mai-Hartung Geschäftsführerin Studentenwerk Berlin Ricarda Heubach Leiterin Studentisches Wohnen Dr. Carola Beckmeier Kenneth Frisse Senatsrat MARINA ABAJIAN 30.04.1984 – Tbilissi, Georgien Staatliche Medizinische Universität Medizin; Dermatologie und Allergologie DAAD Staatsexamen ANAIDA ABADJYAN 17.03.1986 – Tbilissi, Georgien Staatliche Medizinische UniversitätGermanistik Medizin DAAD MD Medizin NATALIA BANASIK 14.02.1983 – Warschau, Polen Warschauer UniversitätSozialwissenschaften, Interkulturelle Bildung DAAD M. A. JESSICA BECK 09.03.1981 – Lima, Peru 06.05.1988 - Memphis, USA University of Mississippi Internationale Beziehungen DAAD B. A. International Studies DR. DIANA BEECH 29.04.1983 – Stafford, Grossbritanien University of Cambridge Historische Urbanistik Studienstiftung des Abgeordnetenhaus von Berlin PhD Germanistik / Deutsche Geschichte SIARHEI BOHDAN 08.04.1982 – Maladzechna, Belarus Südasien und Südostasienstudien Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin M.A. Politikwissenschaft 5 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 6 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB KATHRIN BÖRGER 28.03.1981 – Bremervörde, Deutschland Universität Hamburg Geschichte und Geographie Wohnstipendium ISB M.A. DULGUN BUM-YALAGCH 01.10.1983 – Lutherstadt Wittenberg, Deutschland Mongolische Technische Universität Informationstechnologie IT- Ingenieur YVONNE DAMMERT 07.07.1973 FU Berlin Sinologie/Ostasiatische Kunstgeschichte Magister GENEVIÈVE DEBIEN 10.02.1983 – Pithiviers, Frankreich Sorbonne Kunstgeschichte Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin M. A. Kunstgeschichte SEBASTIEN DREYFUSS 17.04.1990 – Paris, Frankreich Ecole Polytechnique Chemie Ecole Polytechnique B.A. ANKE EISFELD 03.09.1985 – Naumburg , Deutschland Touro Colleg Berlin Holocaust Communication Wohnstipendium ISB B. A. TINATIN ERKVANIA 05.01.1985 – Gegechkori, Georgien Staatliche Universität Tbilissi Rechtswissenschaft DAAD B.A. Jura TIZIANA FUGGETTA 27.10.1979 – Brescia, Italien Universität „Aldo Moro“ Deutsche Literatur VUGAR GAFAROV 20.06.1985 – Gandscha, Aserbaidschan Universität Hamburg Politikwissenschaft Friedrich Ebert-Stiftung M. A. Internationale Beziehungen DR. PAVEL GAPEEV 15.11.1976 – Moskau, Russland Moskauer Staatliche Lomonossow Universität Mathematik DAAD Ph. D. Mathematik FARIZ GASIMLI 5.01. – Baku, Aserbaidschan Universität Khazan Wirtschaft und Management M. A. Wirtschaft und Management M. A. Public Administration DR. ALEXEY GOROBIY 06.07.1982 – Tver, Russland Staatliche Universität Philosophie DAAD Ph.D. 7 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 8 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB JULIE HEN 03.11.1991 – Sarreguemines, Frankreich Sciences Po Paris Politikwissenschaft Studienkolleg zu Berlin AGNIEZSKA HUDZIK 25.05.1988 – Lublin, Polen Universität Warschau Deutsche Philologie FU-Direktaustausch B. A. Germanistik DR. AHMED IBRAHIM 24.07.1976 - Ägypten Georgtown University Islamic Law & Modernity Wissenschaftskolleg zu Berlin PhD ANDRIY ILYUK 28.10.1973 – Kolomiya, Ukraine Lviv Rechtswissenschaft EU LL.M (Master of Law) NINO INAURI 21.06.1992 – Tbilissi, Georgien Psychologie DAAD PARI ISAKOVA 19.12.1983 – Baku, Aserbaidshan Aserbaidschanische Sprachenuniversität Germanistik Friedrich-Ebert-Stiftung DR. DMITRY IVANOV 204.10.1978 – Leningrad, Russland St. Petersburger Staatsuniversität Wirtschaftswissenschaft HWR Berlin PhD ANN KASRADZE 27.12.1990 – Tbilissi, Georgien Business Management and Administration IZA KELENJERIDZE 05.11.1980 – Khoni, Georgien Staatliche Universität Tbilissi Strafrecht DAAD Staatsexamen LEVANI KIKNAVELIDZE 07.06.1987 – Oziergeti, Georgien Akademie der Künste Tbilissi Architektur KAAD B.A. Architektur DR. VALENTINA KNEZEVIC 06.08.1980 – Sarajevo, Bosnien Herzegowina Universität Zagreb Jura, Europäisches Recht Friedrich Ebert-Stiftung Diplom in Germanistik und Russistik, LL.M in Europarecht INNA KOMARUK 25.02.1985 – Rivne, Ukraine Nationale Universität Internationales Privatrecht Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin M.A. Internationales Privatrecht 9 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 10 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB WASSILY KOMKOV 20.07.1975 – Nischnij Nowgorod, Rußland Medizinische Akademie Nishni Nowgorod Medizin Charité Dipl. Mediziner LIDIA KRUS 25.03.1985 – Oblast, Kaliningrad Russische Staatliche I. Kant Universität Informatik DAAD Diplom Germanistik DR. CECES KUDACINOVA 05.10.1972 – Gorno-Altaisk, Russland Staatliche Lomonossov Universität Moskau Geschichte PhD ALEXANDER KULIKOV 15.08.1988 – Balakhna, Russland Tschaikowski- Konservatorium Moskau Musik Diplom DIANA KULL 21.02.1978 – Tallinn, Estland Universität Tartu Rechtswissenschaft Ass.iur., LL.M. Rechtswissenschaft IGNACIO LLORET 16.11.1968 – Barcelona, Spanien Universität Baskenland Vittoria Literaturwissenschaft Diplom Germanistik und Jura XUE LI 22.01.1982 – Yangzhou, China City University of Hongkong Geschichte EED PhD AYNURA MAMMADOVA 26.10.1983 – Baku, Aserbaidschan Aserbaidschanische Sprachenuniversität Deutsche Sprache und Literatur FAZIT-Stiftung B. A.; M. A . ANTOINE MANDRET-DEGEILH 05.12.1984 – Befort, Frankreich Sciences Po Paris Politikwissenschaft Studienstiftung des Abgeordnetenhaus von Berlin Master Recherche „Politische Soziologie“ NINO MIKELAISHVILI 01.01.1986 – Tbilisi, Georgien Tbilisi State University Medizin M.A. GESINE MÜHLE 19.04.1960 – Reichenbach, Deutschland Technische Universität Berlin Informatik Wohnstipendium ISB Diplom-Mathematikerin und -Physikerin, Diplom-Informatikerin TRAVIS MULROY 14.11.1980 – Milwaukee, USA Tulane University Philosophie Freie Universität zu Berlin M.A. Social Sciences 11 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 12 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB CARLOS MAURICIO NUPIA-MARTINEZ 05.10.1971 – Neiva-Hulia, Kolumbien National University of Columbia Political Scienes DAAD M.A. Urban Studies SULTAN ÖZASLAN 13.01.1980 – Leverkusen, Deutschland Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin IUS - Recht OLGA PAVLOVSKAYA 17.05.1979 – Witebsk, Belarus Staatliche Universität Witebsk Anglistik und Germanistik M. A. Philologie DR. YULIA PODOROGA 14.05.1978 Université de Lille Philosophie Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin PhD ANNA POGHOSYAN 08.06.1979 – Erewan, Armenien Nationale Akademie Armenien Iranistik und Geschichte DAAD/OSI M. A. Philologie FLORINA POP 11.08.1988 – Nasaud, Rumänien Universität für Architektur Bukarest Architektur Studienkolleg zu Berlin Diplom VIKTORIIA POTISHUK 25.06.1987 – Kiew, Ukraine Kiewer Nationale Universität Innovation Management Studienstiftung des Abgeordnetenhaus von Berlin B.A., M.A. SMBAT RAFAYELYAN 31.10.1985 – Spitak, Armenien Nationale Hochschule für Gesundheit Zahnmedizin Diplom Zahnmedizin NINA REDMANN 30.07.1985 – Bremen, Deutschland Freie Universität, Humboldt Universität und Universität Potsdam Internationale Beziehungen Wohnstipendium ISB B.A. Politik NARGIZ RZAYEVA 215.08.1983 – Baku, Azerbaischan Public Health Pyschosoziale Prävention und Gesundheitsforschung B. Eng.-Clinical Engineering VIKTORYA SAHAKYAN 07.10.1987 – Jerewan, Armenien Jerewaner Staatliche Linguistische Universität Deutsche Philologie Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin M.A. DELIA SCHAEDEL 07.10.1980 - Hamburg Hafen City Universität Hamburg Architektur DAAD B. A. 13 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 14 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB DEREK SCHAEFER 18.09.1980 – Hartford, USA University of Illinois at Chicago Deutsche Literatur – Germanistik Humboldt Universität zu Berlin M.A. INNA SOCHNEVA 03.08.1983 – Brezhnev, Russland Moskauer Philosophie Universität Internationale Beziehungen Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin M.A. Political Science NORMA SUVAK 21.10.1982 – Merced, USA Washington University Germanistik Freie Universität PhD NÓRA SZABÓ 28.01.1987 – Békéscsaba, Ungarn Semmelweis Universität Medizin Erasmus JURGA TALLAT-KELPSAITE 12.06.1977 – Jonava, Litauen Vytautas Magnus Universität Umweltmanagement B.A. Deutsche Sprache und Literatur; M.A. Recht; M.E.S. VASILEIOS TRIANTAFYLLIDIS 25.09.1984 – Rhodos, Griechenland Nationale Universität Athen Germanistik DAAD LL.M. Rechtswissenschaft MARIKA TURAVA 16.11.1991 – Zugdidi, Georgien Rechtswissenschaft DAAD DR. CLAUDIA WASSMANN 31.08.1959 – Düsseldorf, Deutschland University of Chicago Geschichte der Gefühle MPI PhD FRANCESCA WEBER-NEWTH 04.11.1984 – Aberdeen, Schottland Aberdeen University Soziologie Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin M.A. MUSTAFA YÜKSEL 30.06.1964 – Istanbul, Türkei Charité Berlin Medizin 15 Alphabetisches BewohnerInnen-Verzeichnis des ISB Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 16 Studentenwerk Berlin Kann eine Sprache eine andere beeinflussen? Ein Beispiel des soziolinguistisch motivierten Sprachwechsels Natalia Banasik Die Sprache wird von verschiedenen Prozessen im Laufe der Zeit beeinflusst und verändert. Dies wird deutlich, wenn man eine Beispielsprache diachronisch analysiert. Nehmen wir die englische Sprache, die von Shakespeare im sechzehnten Jahrhundert genutzt wurde, und die englische Sprache, die heutzutage in Großbritannien gesprochen wird (Baugh 2002; Fennel 2001; Hogg 2001; Leith 1997). Der Einfluss einer Sprache ist in mehreren Kontexten zu beobachten; es muss sich nicht unbedingt um Prozesse handeln, die viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern. Der Einfluss einer Sprache ist zu beobachten, wenn man eine Fremdsprache spricht. Oft werden Elemente aus der Muttersprache übernommen, die in der Zielsprache überhaupt nicht existieren und die trotzdem in diese integriert werden. Durch Fehleranalyse ist es manchmal relativ einfach zu bestimmen, welche Erstsprache den Erwerb der Zweitsprache beeinflusst. Die englischen Muttersprachler oder Menschen, die oft Englisch verwenden, sagen oft „Das macht keinen Sinn“. Auf Deutsch ist der Ausdruck „keinen Sinn machen“ nicht korrekt. Es handelt sich um einen Anglizismus, der sich von „to make sen- se“ ableitet. Solche Redewendungen werden oft aus der Erstsprache direkt in die andere Sprache übersetzt, was in der Linguistik als semantische Kopie bezeichnet wird. Das ist ein Beispiel davon, wie eine Sprache von einer anderen Sprache beeinflusst sein kann, und zwar zeigt das einen Transfer von L1 (Erstsprache) auf L2 (Zweitsprache). Dieser Prozess wurde gründlich erforscht und in der psycholinguistischen und soziolinguistischen Literatur beschrieben (Kellerman 1986; MacWhinney 1992; Mueller 1998; Odlin 1989; Ringbom 1987). Der Transfer kann nicht nur auf der Ebene der Lexik stattfinden, sondern auch auf der Ebene der Grammatik oder Phonologie (z. B. Brown 2000, Riehl 2004). Hierzu kann man auch den Prozess des Codeswitching zählen. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, in dem mehrere Sprachen in einem Gespräch benutzt werden, bei dem bestimmte Regeln und Muster befolgt werden. Die Soziolinguistik beschäftigt sich mit den funktionalen Aspekten des Codeswitching. Der Transfer kann aber auch in die andere Richtung gehen, und zwar kann die Zweitsprache die Erstsprache beeinflussen. Das wurde z. B. in einer 17 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 18 Studentenwerk Berlin Studie bewiesen, in der die Sprache der polnischen Migranten in den USA erforscht wurde (Banasik, nicht publiziert). Bedeutende Einflüsse wurden in der Lexik beobachtet. Besonders deutlich waren die Lehnwörter, die die Elemente der neuen Realität bezeichnen und die früher nicht benutzt oder nicht bekannt waren, z. B. Halloween, Brunch, Thanksgiving. Wenn Polnisch gesprochen wurde, wurden diese Fremdelemente in die Sprache integriert. Oft wurden auch die Wörter, die Familienmitglieder bezeichnen, auf Englisch genannt, hier aber wurde ein anderes Muster beobachtet: Redundanz tritt auf – sowohl das polnische als auch das englische Wort wurden nebeneinander in demselben Satz benutzt. Auch Haushaltsgegenstände wurden oft auf Englisch genannt, wenn Polnisch gesprochen wurde. Die Phonetik wurde jedoch geändert und an die polnische Aussprache angeglichen. Es wurde also von „eisbaks“ (ice box) oder „baik“ (bike) gesprochen. wenigen Jahren und sogar Monaten deutlich wird. Die Sprache ändert sich ständig und wird von anderen Sprachen beeinflusst. Syntaktische Prozesse des Transfers wurden auch beobachtet, und zwar wurden den englischen Verben polnische Formanten zugefügt und wie polnische Wörter benutzt, also nach den polnischen Regeln dekliniert, z. B. kenować– das englische Verb „can“, die Aussprache des englischen c wird im Polnischen als k markiert und wo „ować“ ist ein polnischer Formant, der typisch für Verben ist. Quellen: Auch semantische Kopien, die als L1àL2-Transfer bezeichnet wurden, sind als L2àL1-Transfer zu beobachten. Englische Redewendungen wie „to have a good time“ wurden direkt ins Polnische übernommen: „Miałam dobry czas*“ („Ich hatte gute Zeit“ in der Bedeutung: Ich hatte Spaß). Solche Studien zeigen, dass ein Sprachwandel nicht nur in langen Zeitperioden zu beobachten ist, sondern schon innerhalb einer Generation, in *Grammatikalisch nicht korrekt! Brown, C. (2000)The interrelation between speech perception and phonological acquisition from infant to adult. In Second Language Acquisition and Linguistic Theory, ed. J. Archibald. Oxford: Blackwell. Pp. 4-63. Fennel, B. (2001) A History of English: A sociolinguistic approach. Oxford: Blackwell. Hogg, R. (2001) The Cambridge History of the English Language. Cambridge: Cambridge University Press. Kellerman, E. und Sharwood Smith, M. (1986) Crosslinguistic influence in second language acquisition. New York: Oxford University Press. Leith, D. (1997) A social History of English. 2nd edition. London: Routledge. MacWhinney, B. (1992) Transfer and competition in L2 learning. In R.J. Jackson: Cognitive processing in bilinguals. Amsterdam: North Holland. Pp. 371-390. Mueller, N. (1998) Transfer in bilingual first language acquisition. Bilingualism: Language and Cognition 1, 3: 151-171. Odlin, T. (1989) Language transfer: cross-linguistic influence in language learning. Cambridge: Cambridge University Press. Riehl, C. (2004) „Wirkungen des Sprachkontakts“, chapter 2 of Sprachkontaktforschung, Tübingen: Narr. Ringbom, H. (1987) The role of the first language in foreign language learning. Clevedon: Multilingual Matters. Otto Freundlich (1878 - 1943) Die abstrakte Kunst der Universalsprache Geneviève Debien Der Künstler und Kunsttheoretiker Otto Freundlich hat bereits recht früh verschiedene Ausbildungswege beschritten. Vor diesem Hintergrund hat er eine eng mit seinen politischen und gesellschaftlichen Anschauungen verknüpfte, kohärente Kunsttheorie entwickelt, bei der er sich unter anderem für eine abstrakte und universelle Kunst einsetzt, die die kulturellen Grenzen und hierarchischen Hürden überwinden soll. Aufgrund seiner Nähe zu sozialistischen und marxistischen Strömungen ist Freundlich davon überzeugt gewesen, dass Kunst die Gesellschaft zu ändern vermag und zu einem harmonischen Zusammenleben führen kann.1 Von seiner Geburt am 10. Juli 1878 an verbringt er fast zwanzig Jahre in Stolp (Ostpommern) in einer wohlhabenden Familie jüdischer Herkunft, die ihn im Protestantismus erzieht und es ihm ermöglicht, schon früh seine musikalische Begabung für das Klavier zu 1 Zur Einführung in die Gedankenwelt sowie in den Lebensweg Otto Freundlichs vgl. Heusinger von Waldegg, Joachim (Hrsg.), Otto Freundlich (1878–1943), Monographie mit Dokumentation und Werkverzeichnis, Bonn, Rheinisches Landesmuseum, 1978–1979/Köln, Rheinland-Verlag, 1978 und Bohnen, Uli, „Entwürfe zum kosmischen Kommunismus“. In: ebd., Otto Freundlich Schriften, Ein Wegbereiter der gegenstandslosen Kunst, Köln, DuMont Buchverlag, 1982, S. 9–51. entfalten. Während des Studiums der Philosophie und der Kunstgeschichte in Berlin und München knüpft er die ersten Kontakte mit Intellektuellen, die schon auf frühere Ideen zurückgreifen, wie die Gleichsetzung und die Korrespondenz der verschiedenen Künste – Bildende Künste, Kunsthandwerk, Musik, Literatur. In Florenz, wohin er zu Fuß aus München kam, entscheidet er sich dazu, eine künstlerische Laufbahn als Plastiker anzutreten.2 Bis zum Kriegsanfang 1914 reist er regelmäßig nach Paris und durch Deutschland. So knüpft er Verbindungen zu Künstlern und Kunsthistorikern in Köln, Hamburg und Berlin. Seine Skulpturen zeigen seine Nähe zum Expressionismus, gleichzeitig zeichnen sich seine Bilder durch die Abwesenheit von räumlicher Perspektive und eine durch Farbflächen strukturierte Kompositionsweise aus. Schon um 1911 malt er sein erstes abstraktes Bild, im gleichen Zeitraum wie Wassily Kandinsky und František Kupka.3 2 Heusinger von Waldegg, J. (Hrsg.), Otto Freundlich und die rheinische Kunstszene, mit Briefen an Herwarth Walden und Wilhelm Niemeyer, Bonn, August Macke Haus, 2006–2007/Schriftenreihe Nr. 50, Verein August Macke Haus, 2006, S. 114–115. 3 Hochaufgelöste farbige Abbildungen sind im folgenden Katalog zu finden: Duvivier, Christophe (Hrsg.), Otto Freundlich 1878–1943, Pontoise, Musée 19 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 20 Studentenwerk Berlin Freundlichs Gedankenwelt ist zu diesem Zeitpunkt nicht wenig von starken Persönlichkeiten geprägt: Er verbringt im Jahr 1908 mehrere Monate in einem Atelier des Bateau-Lavoir auf dem Pariser Montmartre. In dieser Zeit vervollständigt sein Nachbar Pablo Picasso die ersten kubistischen Bilder. Über ihn trifft Otto Freundlich weitere Künstler und Schriftsteller, wie Georges Braque und Guillaume Apollinaire. Ein paar Jahre später, im Jahr 1911, begegnet Otto Freundlich den expressionistischen Künstlern der Dresdener Gruppe „Die Brücke“. Er befreundet sich eng mit deren Mitglied Karl Schmidt-Rottluff an und verfolgt über diese Freundschaft sein schon früheres Interesse für die außer-europäischen Künste. Bald entfaltet sich auch seine Interesse für das Licht, für die Farbe und für deren Verbreitung im Raum: So arbeitet der Künstler 1914 mehrere Monate im Restaurierungsatelier der bekannten Glasfenster der Kathedrale von Chartres. Die Kriegsjahre sind für seine Kunst keine große Unterbrechung. Schon 1915 schafft er in Köln wieder, da er dem Sanitätsdienst zugewiesen wird. Dort hält er sich auch auf, als die Novemberrevolution ausbricht. Er setzt sich aktiv für deren Ideen ein, insbesondere im künstlerischen Feld. So engagiert er sich in reformwilligen Künstlervereinigungen wie der Novembergruppe, dem Arbeitsrat für Kunst oder auch der rheinischen Gruppe progressiver Künstler. Er hält auch enge Kontakte mit den Mitgliedern der Dada-Bewegung in Köln und Berlin. In diesem Umfeld wird er von Walter Gropius 1920 als Bildhauerlehrer für das neu gegründete Bauhaus vorgeschlagen, vergebens.4 In den Jahren 1924–1925 entschei- Tavet-Delacour 2009/Paris, Somogy, 2009, hier S. 6. Zum allgemeinen kunsthistorischen Kontext zur Abstraktion vgl. Franz, Erich u. Malz, Friedemann, Otto Freundlich, Kräfte der Farbe, Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, 2001, Köln, Wienand, 2001. 4 Heusinger von Waldegg, J., (2006), op. cit, S. 39, 218, 303–306. det Otto Freundlich, Deutschland, insbesondere Berlin, wo er wohnt, zugunsten von Paris zu verlassen. Die Enttäuschung über die Weimarer Republik und der Reiz der Präsenz der russischen Konstruktivisten in der französischen Hauptstadt tragen zu dieser Entscheidung bei. Seine Kunst, zuerst seine Bilder, später seine Plastiken, nehmen dort fast ausschließlich eine abstrakte Form an und werden so entworfen, dass zusammengesetzte Zellen – sei es durch Farbe und/oder Form gekennzeichnet – eine gleichgewichtige Komposition bilden. Die abstrakte Kunst soll durch ihr universelles Verständnispotenzial laut dem Künstler einer Weltgemeinschaft zur Erweckung verhelfen. In Paris wird er bald zu einem wichtigen Akteur der Abstraktion, er befreundet sich insbesondere mit Theo und Nelly van Doesburg sowie Hans Arp, wird in verschiedenen Künstlervereinigungen aktiv und stellt international aus.5 Diese fruchtbaren Aktivitäten werden ab September 1939 schwer beeinträchtigt, da der Künstler nach der Kriegserklärung als deutscher Staatsbürger interniert wird. Wieder frei im Jahre 1940 hielt er sich in Südfrankreich auf und blieb dort bis zu seiner Verhaftung im Februar 1943. Seine jüdische Herkunft, seine plastische Ausdrucksweise und seine ideologischen Standpunkte haben Otto Freundlich zur Zielscheibe nationalsozialistischer Verfolgung werden lassen. Seine Spur verliert sich nach einem Aufenthalt im Sammellager Drancy und der Deportation in Richtung Lublin und Sobibor.6 5 Ebd., S. 311–318 und zeitgenössische Quellen werden im folgenden Buch zitiert: Mettay, Joël u. Maillet, Edda, Otto Freundlich et la France, un amour trahi, Perpignan, Mare Nostrum, 2004, S. 45–73. 6 Thorsten Rodiek, „Verhaftet – Versteckt – Verraten – Vernichtet. Die letzten vier Jahre im Leben Otto Freundlichs“, in: Leistner, Gerhard u. Rodiek, Thorsten (Hrsg.), Otto Freundlich, ein Wegbereiter der abstrakten Kunst, Regensburg, Museum Ostdeutsche Galerie1994/ [ohne Ortsangabe] [1994], S. 81–98 und G. Debien (2012), op. cit. 21 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 22 Studentenwerk Berlin Messestadt Berlin Grüne Woche, Fruit Logistica und ITB im Fokus Fariz Gasimli Es ist kaum zu bestreiten, dass Berlin eine einzigartige Weltstadt ist: Deutschlands Hauptstadt, kulturelles, politisches und wissenschaftliches Zentrum Europas, die Stadt mit einmaliger Weltgeschichte, das beliebte Touristenziel (über 9 Mio. Besucher jährlich) und natürlich arm, aber sexy! Berlin ist außerdem eine richtige Messestadt! Jedes Jahr, jeden Monat finden viele Messen, Ausstellungen und Kongresse in Berlin statt. Zum Beispiel: die IFA (Internationale Funkausstellung), die ILA (Luft- und Raumfahrtausstellung), die Bootmesse, die Hochzeitsmesse, die Venus – erotische Messe – und viele andere. In diesem Artikel möchte ich über drei mich begeisternde und für ein breites Publikum besonders interessante Messen berichten: Grüne Woche, ITB, und Fruit Logistica. Alle drei Veranstaltungen haben ähnliche Aspekte: internationalen Charakter, großartige fachliche Vielfalt und eine große Anerkennung und Bedeutung in der Fachwelt. Grüne Woche 2012 Die weltgrößte Schau für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau – die Internationale Grüne Woche – existiert seit 1926 und gehört damit zu den ältesten Messen Deutschlands. So hat diese Messe schon eine 86-jährige, wechselvolle Geschichte! In diesem Jahr fand die 77. Grüne Woche auf dem Berliner Messegelände statt. Da diese Messe eine jährliche Veranstaltung ist, kann man sofort errechnen, dass einige Jahre ausgefallen sein müssen. In der Tat fand die Grüne Woche bis 1939 jährlich statt, ausgenommen das Jahr 1938: Damals grassierten epidemische Krankheiten wie die Maul- und Klauenseuche. Danach wurde die Grüne Woche mehrere Jahren wegen des Kriegs und der der folgenden Krise nicht veranstaltet. Seit 1948 bis heute gibt es die grüne Messe wieder! Jedes Jahr bietet Deutschland als Hauptveranstalter diese grandiose Messe für Tausende Besucher an. Jedes Jahr hat die Messe auch ein Partnerland, das den zweitgrößten Beitrag in der Organisation erbringt. Die Grüne Woche wird von Jahr zu Jahr noch vielfältiger, jedoch auch kommerzieller. Im Rahmen der Ausstellung nehmen Produkte wie Obst und Gemüse, Fisch, Fleisch, Molkereiprodukte, Weine, Bier und Spirituosen, Länderspezialitäten und Gartenbau die bedeutenden Plätze ein. Darüber hinaus bietet die Messe 23 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 24 Studentenwerk Berlin verschiedene Land- und Forstwirtschaftsprodukte, Küchen- und Haushaltsgeräte, Leder und Pelz, Wellnessprodukte, eine Tierausstellung und natürlich die berühmte Blumenhalle mit der spektakulären Gartenausstellung, den Blumendekorationen mit verschiedenen Pflanzen und Bäumen und schließlich mit dem Samenverkauf. In einem Wort: Man denkt oft an dem Begriff „Vielfalt“ bei der Grüne Woche. Das großartige Produktspektrum der Grüne Woche verbunden mit den internationalen Spezialitäten lässt hier keine kulinarischen Wünsche offen! Die Messe zählte insgesamt mehr als 420 000 Besucher dieses Jahr, darunter über 100 000 Fachbesucher – das beste Ergebnis in den letzten vier Jahren. Im vergangenen Jahr zum Beispiel hatten 415 000 Menschen die Messe besucht. Über 1600 Aussteller aus fast 60 Ländern präsentierten auf der Messe unter dem Berliner Funkturm ihre Produkte. Die Pro-Kopf-Ausgaben der Verbraucher lagen mit 111 Euro leicht über dem Vorjahresniveau (2011: 110 EUR). Sie bescherten den Ausstellern Umsätze von rund 47 Millionen Euro. Das Partnerland der Grünen Woche war dieses Jahr Rumänien. Rund 70 Landwirtschaftsminister aus aller Welt sowie die Spitzenpolitiker der Ernährungswirtschaft hatten sich am Rande der Grünen Woche in Berlin zum agrarpolitischen Dialog getroffen. Zu den politischen Themen zählten in diesem Jahr der Einsatz von Antibiotika in Mastbetrieben, der Welthunger und die weltweite Ernährungssituation. Die Blumenhalle ist immer wieder ein Highlight für Besucher der Grünen Woche. In diesem Jahr verwandelte sich die Blumenhalle mit vielen Neuheiten in eine „Schaustelle“. Messesprecher Wolfgang Rogall zog ein positives Fazit zum Erfolg der Grüne Woche 2012: „Von Krise keine Spur“, sagte er. Fruit Logistica 2012 Die Fruit Logistica ist eine reine Fachmesse für Produzenten von Obst und Gemüse: Nur Fachbesucher und professionelle Aussteller der gesamten Fruchtlandbranche sind die Akteure dieser Hochqualitätsveranstaltung. Das Produktspektrum der Messe besteht unter anderem aus Obst und Gemüse aus der ganzem Welt sowie aus Nüssen, Pilzen, Trockenobst, Cocktails und anderen Fruchtprodukten. Da die Fruit Logistica eine Fachmesse ist, ist das organisatorische Niveau auch deutlich höher. Die Aussteller investieren extra Geld und Zeit, um ihre Stände wirklich kreativ, interessant und attraktiv zu machen. Man kann hier vieles über Industrietrends lernen und einfach die Kreativität, industrielle Kunst würde ich sagen, genießen! Die 20. Auflage dieser Messe fand dieses Jahr vom 08. bis 10. Februar in der Messe Berlin statt. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in Europa hat die Fruit Logistica ihre Rekordzahlen wieder erneuert: 56 000 Fachbesucher aus 139 Ländern und 2537 Aussteller aus 84 Ländern weltweit, ein Produktionssektor mit einem Volumen in Höhe von 1,575 Milliarden Tonnen! Die Obst- und Gemüse- sowie andere Landwirtschaftsproduzenten aus aller Welt nutzen die Fruit Logistica zur kreativen Vorstellung ihrer Produktmärkte und als Absatz- und Testmarkt sowie zur Imagefestigung im Weltmarkt. Mit einem Anteil von 90 Prozent ausländischer Aussteller ist diese Messe der internationale Branchentreffpunkt von Fachleuten der Fruchthandelswelt – vom Global Player bis zu kleinen Anbietern. Drei Tage lang bietet die Fruchtmesse eine hervorragende Plattform für Geschäftsanbahnungen, ausgezeichnete Möglichkeiten zur Knüpfung weltweiter Geschäftskontakte, die einmalige Gelegenheit, einen vollständigen Überblick über die aktuellsten Trends der Branche zu erhalten. Dr. Christian Göke, Geschäftsführer der Messe Berlin GmbH, sagt über die Messe: „Die Internationalität der Messe, der globale Marktüberblick im Ausstellungsbereich sowie die hohe Entscheidungskompetenz der Branchenvertreter machen die Fruit Logistica zu einem Premiumprodukt der Güteklasse A.“ Mein Top-Tipp: getrocknete Physalis aus Kolumbien – eine Rarität, die man kaum in Europa im Verkauf finden kann. Ich habe sie erstmals dieses Jahr auf der Fruit Logistica probiert und sie sofort besonders geliebt. Achtung: Sie sind extrem suchterzeugend! ITB 2012 Die Internationale Tourismusbörse ist sicherlich die bedeutendste Reisemesse Deutschlands und zugleich die ultimative Reiseveranstaltung der Welt. Die ITB-Teilnehmer sind Reisebüros, Hotels, Touristikfirmen, Tourismusministerien, Fluggesellschaften, Vergnügungsparks, Anbieter von Wellnessreisen, von Ferienimmobilien, Autovermietungen und viele andere direkte und indirekte Akteure der Reiseindustrie weltweit. Die ITB läuft traditionell unter dem Motto „Die Welt in 5 Tagen erleben“. Das Partnerland der ITB 2012 war Ägypten. In der derzeitigen wechselvollen und kritischen Situation war dies ein wichtiges Projekt für Ägypten, um die eigene Marktposition zu verbessern. Das Partnerland spürte eine große Solidarität seitens der internationalen Reiseindustrie. Mounir Fahkry Abdel Nour, Tourismusminister Ägyptens, sagte: „Die ITB war großartig! Ich habe jede Minute genossen und interessante, großartige Menschen getroffen. Neben der Unterstützung, die wir erfahren haben, bin ich sehr froh, dass die Probleme in den politischen Beziehungen nicht im Geringsten die allgemeine Stimmung beeinträchtigt haben – im Gegenteil.“ In der ÄgyptenHalle konnten sich die Besucher bei den unterschiedlichen sozialen Institutionen über die politische Lage im Land informieren. Rund 11 000 Aussteller aus 187 Ländern, rund 190 000 Besucher (davon 113 066 Fachbesucher) und 7000 akkreditierte Journalisten aus 94 Ländern haben die ITB 2012 besucht. Die Teilnehmer der Messe nutzen die ITB nicht nur als Treffpunkt und Produktmarkt. In Form von Ländergemeinschaftsschauen stellten sie ihre Länder, ihre jeweilige nationale Kultur und Gastronomie vor. Es war z. B. eine besondere Freude für mich, dass die aserbaidschanische Halle dieses Jahr in erster Linie die Eurovision thematisiert hat! Aber auch unser Hauptfest – Novruz Bayram – das Frühlingfest war Thema. Die ITB läuft immer während der Vornovruz-Zeit. Die nächste ITB Berlin findet vom 06. bis 10. März 2013 statt. Die ersten drei Tage werden wie üblich nur für Fachbesucher geöffnet sein, wobei das normale Publikum die Messe am 09. und 10. März besuchen kann. Das offizielle Partnerland wird Indonesien sein. 25 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 26 Studentenwerk Berlin Light your Fire Backstage bei der Eurovision Song Festival 2012 in Baku Fariz Gasimli Der 57. Eurovision Song Contest fand dieses Jahr in Aserbaidschans Hauptstadt Baku statt – in meinem Heimatland! Es ist wahrscheinlich kaum jemand zu finden, der sich darüber mehr freut als ich. Als erster Aserbaidschaner, der zum Grand Prix einen Weg gefunden hat, nämlich als Aserbaidschans Eurovision-Club-Präsident und dieses Jahr auch als Veranstalter, habe ich dieses Ereignis als nationales und persönliches Fest wahrgenommen! Das sagte ich sofort nach dem Sieg letztes Jahr und ich bestätige das jetzt gerne nach dem erfolgreichen Song Contest in Baku. Ursprünglich ging ich als Zuschauer und Fan zur Eurovision im Jahr 2003. Damals hätte niemand gedacht, dass Aserbaidschan dem EurovisionWettbewerb überhaupt beitreten würde, geschweige denn ihn so bald gewinnen würde! Der jährliche Besuch als Zuschauer und das aktive Engagement als akkreditierter Berichterstatter und Mitglied der aserbaidschanischen Delegation bei der Eurovision ist schon seit neun Jahren eine Tradition in meinem Leben. So freue ich mich ganz besonders, dass meine 10. Eurovision in meinem Land stattgefunden hat. Dieses Jahr war vieles anders. Ich habe für die Eurovi- sion als Mitglied des offiziellen Organisationsausschusses (Eurovision Core Team) gearbeitet. Das war für mich ein bedeutender professioneller Schritt sowie eine einmalige und wertvolle Erfahrung: Wir haben nicht einfach den Eurovision Song Contest veranstaltet, sondern das ganze Projekt von null an entwickelt – von einem Eurovision-Museum über die allgemeine Verwaltung bis zur Arena und dem Pressezentrum. Die Eurovision 2012 wurde deutlich eines der groß angelegten Projekte in Aserbaidschan. Es wurde ein spezieller Organisationsausschuss für die Projektverwaltung und die Veranstaltung gegründet, das Eurovision Core Team. Die Projektbetreuerin (Staat) war Frau Mehriban Aliyeva – Aserbaidschans First Lady und Vorsitzende der HeydarAliyev-Stiftung, Herr Adil Karimov (Core Team) war der Produktionsleiter der Eurovision. Die Eurovision 2012 fand deshalb in Aserbaidschan statt, weil letztes Jahr das aserbaidschanische Gesangsduo Ell und Nikki mit dem magischen Lied „Runing Scared“ in Düsseldorf den Grand Prix gewann. Das offizielle Motto der Veranstaltung lautete „Light your Fire!“ Die aserbaidschanischen Vorentscheidungen zur Eurovision 27 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 28 Studentenwerk Berlin heißen traditionell „Land of Fire“. Als optische Ergänzung bzw. als Logo zum Eurovision-Schriftzug wurde eine Art Blumenflamme entworfen. Das Feuerthema hat bei der aserbaidschanischen Eurovision einen guten Grund: Schon seit Jahrzehnten nennt man Aserbaidschan das „Land des Feuers“ und das ist nicht nur lautmalerisch zu verstehen, sondern auch ganz wörtlich. Schon immer brannte es in Aserbaidschan leicht und lichterloh, denn dicht unter der Erdkruste liegen gewaltige Öl- und Gasvorkommen. Am Hang des „Brennenden Berges“ (Yanardag) auf der Halbinsel Abscheron, nicht weit von Baku, kann man es heute noch sehen: Fauchend schlagen dort die Flammen aus dem Erdboden – eine spektakuläre Naturschau! So sind die ewigen Feuer ein Teil des aserbaidschanischen Nationalstolzes – präsent auch im Staatswappen der Republik. Zwei Monaten nach dem Sieg wurde offiziell der Bau der „Baku Concert Arena“ am Platz der Nationalflagge bekannt gegeben – der Staat hatte alle verfügbaren Austragungsorte in Baku abgelehnt und sich damit für einen ganz neuen Saal entschieden. Einen Monat vor dem Konzert war die grandiose Halle bereit – Baku Crystall Hall: modern, stilvoll, und einfach grandios! Bei der Eurovision hatte die Baku Crystal Hall aufgrund der Bühnenaufbauten ein Fassungsvermögen von nur ca. 17 000 Personen statt der potenziellen 25 000 – so eine Einschränkung wird bei jeder Eurovision vorgenommen, um die Bühne noch schöner und größer zu machen. Das erste Halbfinale fand am 22., das zweite Halbfinale am 24. Mai und das Finale am 26. Mai statt. So ist Baku in die Welt der Eurovision eingetaucht – mit seinen Attributen wie dem Pressezentrum für Journalisten und die Delegationen, dem Eurocafé für Fans, dem Eurovillage für Stadtbürger und Touristen und dem Euroclub für alle akkreditierten und engagierten Mitglieder des Festivals. Zehn Länder aus jedem Halbfinale hatten sich für das Finale qualifiziert. Insgesamt 26 Länder haben am Finale teilgenommen. Das war die höchste Zahl seit 2003! Der schwedische Beitrag „Euphoria“, vorgetragen von der Sängerin Loreen, hat den ersten Platz gewonnen! Beim Finale haben die folgenden Länder die ersten fünf Plätze besetzt: Albanien mit 146, Aserbaidschan mit 150, Serbien mit 214, Russland mit 259 und der Sieger Schweden mit 372 Punkten. Kurz nach der schwedischen Vorentscheidung ist „Euphoria“ schnell ein deutlicher Favorit des Contests geworden. Zusammen mit russischen Omas war Loreen die gefragteste Teilnehmerin im Pressezentrum. Mit 372 Punkten erreichte sie die zweithöchste Punktzahl in der Geschichte des Eurovision Song Contests nach Alexander Rybak (Norwegen) im Jahr 2009. Damit wird der 58. ESC am 18. Mai 2013 in Malmö stattfinden – jedoch ist das eine Enttäuschung für diejenigen, die schon lange von einer Eurovision in Stockholm geträumt haben. Deutschland wurde von dem jungen Sänger Roman Lob (22) vertreten. Mit seinem Song „Standing Still“ nahm Roman den achten Platz ein. Der Sänger war damit total glücklich: „Top Ten war immer mein Ziel, jetzt haben wir den achten Platz gemacht, das ist supergeil, was will man mehr?“ Auf der Bühne habe er sich sehr wohl gefühlt, sagte er außerdem. „Ein Auftritt vor 17 000 in der Halle und 120 Millionen quasi weltweit, das wünscht sich doch jeder Musiker!“ Interview mit Sabina Babayeva (Aserbaidschan 2012) für das ISB-Magazin Aserbaidschan wurde von Sabina Babayeva mit der Popballade „When the music dies“ bei der Eurovision 2012 vertreten. Sabina wurde am 2. Dezember 1979 in Baku geboren und studierte Gesang an der Musikhochschule Asaf Zynally. Neben ihrem Abschluss am Music College hat sie auch einen Universitätsabschluss in Jura geschafft. Die Sängerin hat bereits zahlreiche Gesangswettbewerbe gewonnen (z. B., Grand Prix im Slawischen Wettbewerb [Russland, 2009] und Amberstar [Lettland, 2009]), beim ESC hatte sie sich 2011 schon einmal als Kandidatin beworben. Ihre kräftige Stimme passt sehr gut zu starken Balladen: Bei der Vorentscheidung 2012 hat Sabina mit Whitney Houstons „Greatest Love of All“ das Publikum beeindruckt. ISB-Magazin: Hallo, Sabina! Es ist ein ganz besonderes Jahr. Du vertrittst Aserbaidschan bei der Eurovision, damit vertrittst du auch das Gastgeberland! Wie fühlst du dich? Sabina: Stimmt! Ich habe auch letztes Jahr beim Land of Fire (aserbaidschanische Vorentscheidung) teilgenommen. Ich habe Interesse für diesen großartigen Wettbewerb und dieses Jahr habe ich es wieder probiert und gewonnen! Und natürlich ist es eine besonders große Ehre, dieses Jahr mein Land als Gastgeber in meiner Geburtsstadt zu vertreten! ISB-Magazin: Wie hast du dich dafür vorbereitet? Sabina: Viel gearbeitet natürlich! Seit ich die Vorentscheidung gewonnen habe, war ich viel unterwegs mit Werbetouren durch Europa. ISB-Magazin: Woran kannst du dich erinnern? Sabina: Das war eine sehr interessante und wichtige professionelle Erfahrung. Besonders interessant war die Teilnahme beim „Eurovision in Concert“ in Amsterdam. Das ist eine relativ neue, jährliche Veranstaltung, die einen Monat vor der Eurovision in Amsterdam stattfindet. ISB-Magazin: Ein Werbekonzert wie Eurovisionsatellit. Sabina: Ganz genau. Wir haben uns dort getroffen. ISB-Magazin: Stimmt, ich wollte, dass du dich daran erinnerst! Sabina (lächelt): Ja, das war wie eine Mini-Eurovision. 24 Länder haben teilgenommen. Ich habe mein Lied „When the music dies“ teilweise auch auf Aserbaidschanisch gesungen. Auch dort konnte ich schon einige andere teilnehmende Sänger treffen, zum Beispiel habe ich Anguun aus Frankreich und Mandinga aus Rumänien kennen gelernt. ISB-Magazin: Ja, ihr gemeinsames Interview mit Anguun war insbesondere cool: Zwei sehr hübsche Frauen und potenzielle Konkurrenten zusammen! Sabina, was ist jetzt das Ziel bei der Eurovision 2012? Sabina: Zuerst habe ich immer gesagt, dass die Musik selbst mir wichtiger ist als der Wettbewerb. Das Ziel ist eine würdige Vertretung meines Landes: ein schöner Auftritt mit einer rührenden Ballade. Und natürlich möchte ich gerne die erfolgreiche Bilanz Aserbaidschans beim Eurovision Song Contest fortsetzen! ISB-Magazin: Ich bin sicher, du wirst das schaffen! Vielen Dank, liebe Sabina, und natürlich viel Erfolg! 29 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 30 Studentenwerk Berlin Familientherapie nach Virginia Satir Nino Inauri Virginia Satir (1916 - 1988) war eine der bedeutendesten Familientherapeutinnen, die oft als Mutter der Familientherapie bezeichnet wird. Das Modell des Kommunikationsprozesses, das sie entwickelt hat, ist ein wichtiger Teil der Familientherapie. Nach diesem Modell kann jede verbale oder nonverbale Kommunikation als Stellungnahme zu den Bereichen: Selbst (S), Andere (A) und Kontext (K) aufgefasst werden. Ist jemand nicht in der Lage, einen oder mehrere dieser Bereiche in seiner Kommnikation zum Ausdruck zu bringen bzw. bewusst zu erleben, so führt dies zu Einschränkungen in seinem Leben. Das Ziel ist die Wiedergewinnung der gelöschten Inhalte. Die vier Satir-Typen (Überlebenshaltungen): Virginia Satir hat vier Kategorien der Haltungen entdeckt, die Menschen dann annehmen, wenn sie unter Spannung stehen. Jede dieser Kategorien von Satir ist gekennzeichnet durch eine besondere Körperhaltung, eine spezielle Gestik, begleitende Körpergefühle und eine spezifische Syntax. 1. Beschwichtigen: Das heißt, unsere Gefühle über unseren Wert zu miss- achten, unsere Macht dem anderen zu überantworten und zu allem ja zu sagen. Der Beschwichtigende berücksichtigt Andere (A) und den Kontext (K), aber sich selbst nicht. 2. Anklagen: Hierbei handelt es sich um das Gegenteil von beschwichtigen. Der Anklagende ist ein „Fehler-Sucher“, ein Diktator. Der Anklagende berücksichtigt das Selbst (S) und den Kontext (K), aber nicht den Anderen (A). 3. Ablenken (irrelevantes Reagieren): Das ist ein Versuch, die Aufmerksamkeit von den zur Diskussion stehenen Themen abzulenken. Das Selbst (S), Andere (A) und der Kontext (K) werden nicht berücksichtigt. 4. Rationalisieren: Das Selbst (S) und Andere (A) bleiben unberücksichtigt. Der Rationalisierende richtet sich beim Handeln nur nach den Kontext (K), meist auf der Ebene von Information und Logik. Virginia Satir war der Ansicht, dass ein großer Teil der Fehlkommunikation auf Inkongruenzen in der Kommunikation zurückgeht (Die Inkongruenzen entstehen oft aufgrund der vier Typen s. o.). Um den Menschen zu helfen, die fünfte Haltung anzunehmen - die „Kongruenz“ -, hat sie eine Liste von wichtigen 31 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 32 Studentenwerk Berlin Anhaltspunkten zusammengestellt: Man sollte sich (S), (A) und (K) bewusst sein, anderen die volle Aufmerksamkeit schenken und sich der Botschaften des eigenen Körpers bewusst sein. Eine weitere Technik von Virginia Satir ist Parts-Party, wobei es sich um ein komplexes „Integrations-Rollenspiel“ handelt. Für eine Person, den „Gastgeber“, wird durch die Gruppe ein Fest seiner Persönlichkeitsanteile dargestellt. Die Personen sind namhafte Gestalten der Gegenwart und der Vergangenheit, die jeweils positive oder negative Eigenschaften des Gastgebers verkörpern. So wird das positive und das negative Wunschbild des Selbst des Gastgebers dargestellt. Das Ziel einer Parts-Party ist es, besser mit unseren vielen verschiedenen Teilen und Verhaltenstendenzen umzugehen und sie in Ressourcen für Ganzheit und Kongruenz umzuwandeln. Durch die Parts-Party werden unsere inneren Ressourcen identifiziert, transformiert und integriert. Quellen: http://de.wikipedia.org/wiki/Virginia_Satir http://www.nlp-bibliothek.de/nlp-master/m-12-00virginia-satir.html Der Ehebruch in der Literatur Ignacio lloret Der Ehebruch ist eins der herkömmlichen Schwerpunkte in der Literatur. Anders als bei anderen Themen, die mittlerweile literarisch veraltet sind, ist der Ehebruch immer noch aktuell. Doch hat sich dieser Belang an jede Zeit angepasst, anpassen müssen. Nachfolgend werden wir sehen, aus welchen Blickpunkten es angesehen worden ist, so dass es ständig eine brisante Angelegenheit der Romane bleibt. Dazu habe ich willkürlich 10 Beispiele ausgesucht, in denen man beobachten kann, welche Nuancen die Autoren hervorgehoben haben, um das leidige Thema in ihren Büchern zu behandeln. Bei dieser Auswahl ist meinerseits kein Anspruch auf Volllständigkeit. Man hätte andere bzw. mehr Titel auswählen können. Wichtig ist es, anhand dieser 10 Beispiele verstehen zu können, wie der Seitensprung in jeder Gesellschaft, in jedem Zeitalter bewertet, geschätzt, beurteilt... verurteilt worden ist. Denn wir wissen längst, dass das Leben der Menschen besser durch die Romane zu verstehen ist als durch die offizielle Geschichte. 33 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 34 Studentenwerk Berlin 35 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 36 Studentenwerk Berlin 37 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 38 Studentenwerk Berlin 39 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 40 Studentenwerk Berlin Göttingen und seine Universität Antoine Mandret-Degeilh Bei der Besichtigung Göttingens ging es um das Thema Universität. Am Sonntagvormittag zeigte eine Führung durch die Stadt, wie eng die Geschichte der Stadt Göttingen und die der 1734 gegründeten Universität Göttingen miteinander verbunden sind. Viele Stationen der Stadtführung zeugen davon: zum Beispiel die alte Stadt- und Universitätsbibliothek, die mit ihrem damals bahnbrechenden Fernleihsystem sowie der Ausleihmöglichkeit an Studenten rasch zum Ruhm der Universität beitrug. Zu den „Zeugen“ gehört auch der 1901 auf dem Marktplatz vor dem mittelalterlichen, sogenannten „Alten“ Rathaus aufgestellte Brunnen der Gänseliesel, die noch heute als Wahrzeichen der Stadt gilt und nach altem (ursprünglich wahrscheinlich sexistischem) Brauch von jedem frisch promovierten Doktor geküsst wird. Hier reiht sich auch das Bismarck-Häuschen am äußeren Rande der Stadtbefestigung ein, wo der spätere Reichskanzler als agitierender Student nach seinem Ausschluss aus der Universität und der Stadt Göttingen einige Zeit wohnte. Weitere Stationen waren das 1790 als erste universitäre Entbindungsklinik des deutschsprachigen Raums gegründete Accouchierhaus, die Aula am Wilhelmsplatz, die zum 100. Jahrestag der Universitätsgründung als zentrales repräsentatives Gebäude der Universität gebaut wurde, der alte (universitäre) botanische Garten und letztendlich das 1865 erbaute Auditorium Maximum. Die zwei folgenden Teile des Besichtigungsprogramms am Sonntagmittag und -nachmittag illustrierten ebenfalls, wie die Universität das Leben der Stadt prägte bzw. noch prägt. Zunächst nahmen wir an einer Führung durch die reiche Kunstsammlung der Göttinger Universität teil, die den Einwohnern und Besuchern Göttingens offensteht. Eine schöne und interessante Auswahl an Werken der Malerei aus der Zeit zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert wurde den ISB-Teilnehmern durch eine Studentin der Kunstgeschichte vorgestellt. Wir warfen auch einen Blick in die provisorische Ausstellung über die akademischen Strenge, Zwänge und die künstlerische Freiheit. Die letzte Etappe des Göttinger Ausflugs bildete eine spannende Stadtführung zum Thema Göttingen 41 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 42 Studentenwerk Berlin im Nationalsozialismus. Wobei diese dritte Führung selbstverständlich über das Thema „Universität“ hinausging und von außeruniversitären Themen wie der Göttinger SS und der Verfolgung der Juden in Göttingen handelte. Bereits bei der Besichtigung der Aula wurde der geschichtliche Aspekt der damals verfolgten und von der Universität ausgeschlossenen Professoren vorgestellt. Zu den besichtigten Sehenswürdigkeiten gehörten auch die Dorntze im Alten Rathaus (ehemaliger Ratssaal und jetziges Trauzimmer) sowie der Karzer der ehemaligen Göttinger universitären Gerichtsbarkeit. Obwohl es sich um einen äußerst abwechslungsreichen Ausflug handelte, wird sich eine Rückkehr nach Wolfsburg und Göttingen in den nächsten Jahren zweifellos lohnen! Health Systems in Transitions Nino Mikelaishvili Der Weltgesundheitsbericht 2000 hat die Finanzierung, neben der Leistungserbringung, der Erzeugung von Ressourcen und der Steuerung (stewardship) als eine von vier Funktionen des Gesundheitssystems herausgestellt. Diese Funktionen dienen dem Erreichen der Ziele in Bezug auf die Gesamtleistungen der Gesundheitssysteme: z. B. die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, ein höheres Maß an Bedarfsgerechtigkeit des Systems hinsichtlich der Erwartungen der Bevölkerung (responsiveness) und größere „Fairness“ hinsichtlich der finanziellen Beiträge der Bevölkerung zum Gesundheitssystem. Die folgenden zwei Ziele der Gesundheitsfinanzierung sind mit den allgemeinen Zielen der Gesundheitssysteme identisch und lauten: Förderung a) einer Absicherung gegen finanzielle Risiken und b) einer gerechten Verteilung der Finanzierungslasten des Systems. Derselbe Weltgesundheitsbericht 2000 empfiehlt, ein hohes Maß an Vorauszahlung (prepayment) sicherzustellen, um diese finanzielle Absicherung und gerechte Finanzierung zu gewährleisten. Es wurde auch anerkannt, dass eine Vorschussfinanzierung aus Pflichtbeiträgen (wie z. B. allgemeine steuer- oder lohnabhängige Beiträge) tendenziell gerechter ist als die privaten Zahlungen. Diese werden als am wenigsten gerecht erachtet. Deshalb geben die Erkenntnisse aus aller Welt, die ein hohes Niveau an Zahlungen aus den Taschen der Kranken (out-ofpocket payments) belegen, Anlass zu Besorgnis. Dies kann auch in Georgien der Fall sein. Georgien hat ein Gesundheitssystem, das überwiegend durch private Ausgaben in Form von „out-of-pocket“Zahlungen finanziert wird. Diese Ausgaben machten 2008 69,1 Prozent aller Geldmittel innerhalb des Gesundheitssystems aus. Im internationalen Vergleich, insbesondere im Vergleich zum EU-Durchschnitt von 25 Prozent, ist dies ein relativ hoher Wert. Der staatliche Beitrag zur Finanzierung der gesamten Gesundheitsausgaben beträgt 20 Prozent. Als Anteil am BIP ausgedrückt, beträgt der staatlich finanzierte Anteil 1,8 Prozent, während die Gesamtsumme der Gesundheitsausgaben 7,8 Prozent des BIP ausmacht. Hierbei handelt es sich um gepoolte Werte und um Angaben darüber, wie viel Geldmittel für die 43 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 44 Studentenwerk Berlin staatlich finanzierten Gesundheitsprogramme ausgegeben werden, also für die Krankenversicherung der einkommensschwachen Bevölkerung und der Beamten, die Grundversorgung und für die Notfall- und Krankenhausversorgung für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Wer keinen Anspruch auf diese Programme hat, muss jede Gesundheitsleistung, sei es eine Impfung oder eine größere Operation, aus eigener Tasche bezahlen. Bei der immer noch weitverbreiteten Armut und den durchschnittlich sehr niedrigen Einkommen der Georgier wundert es nicht, dass 75 Prozent der Bevölkerung gar keine Krankenversicherung besitzen. Private Ausgaben stellen eine finanzielle Barriere dar und behindern die Bevölkerung am Zugang zu einer ihren Bedürfnissen entsprechenden Gesundheitsversorgung. Die Fragestellung meiner Masterarbeit lautet wie folgt: Welche Gestaltungsmöglichkeiten von Versicherungssystemen im Bereich der Gesundheit, die einen größeren Anteil der Bevölkerung abdecken und ein hohes Maß an Vorauszahlung (prepayment) gewährleisten, gibt es in Georgien? Für die Datenerhebung wähle ich die Methode qualitativer Interviews. Dazu werde ich sieben offene Leitfadeninterviews durchführen. Nachdem Einverständniserklärungen eingeholt wurden, werden die verbalen Äußerungen mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet und vor der interpretativen Auswertung verschriftet (transkribiert). Ich habe folgende Punkte für den Interviewleitfaden festgelegt: - Wie ist der gegenwärtige Stand der Gesundheitsfinanzierung (Schwäche, Stärke)? - Mit welcher Methode kann ein er- höhtes Pooling erreicht werden? - Wieso wird nicht mehr auf die 1995 eingeführte und 2004 gescheiterte „Soziale Versicherung“ gesetzt und welche Alternativen gibt es? Die Experten sollten genügend Kenntnisse über alle Kontextfaktoren innerhalb und außerhalb des Gesundheitssystems haben. Das betrifft vor allem das fiskalische Umfeld, die Auswirkungen auf die Umsetzung bestimmter Reformoptionen oder auf deren Folgen ebenso wie das Benennen und Vorhersagen wahrscheinlicher Szenarien. Infrage kommen daher hauptsächlich Gesundheits- und Wirtschaftsexperten, wie z. B Professoren oder Mitarbeiter der Gesundheits- und Finanzministerien, die auch den Zugang zu weiteren Informationsquellen verschaffen können. Es muss herausgefunden werden - ob und wie es möglich ist, ein höheres Maß an Vorauszahlung zu schaffen (prepayment) - welche Hindernisse und welche Hemmnisse vorhanden sind (fiskalisches Umfeld, Bereitschaft des Gesundheitsministerium Verbesserungen vorzunehmen, Kenntnisse über Schwäche und Stärke des Systems) - welche Gründe es für das Scheitern der Einführung der sozialen Versicherung gab. Ist die Lage heutzutage besser als damals und wenn ja, warum wird nicht nochmals eine solche Reform unternommen? Was könnten mögliche Folgen einer solchen Reform sein? Aus der Interviewsituation heraus, ist es auch möglich, spontan neue Fragen einzubeziehen. Ziel der Interviews im Rahmen meiner Masterarbeit ist es, den aktuellen Stand des Wissens, der Problematiken Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Quellen: Forschungsmethoden und Evaluation für Humanund Sozialwissenschaftler; 4. Auflage; Bortz J., Döring N. Health Financing Policy: a guide for decision-makers; Health Financing Policy Paper 2008/1; WHO; http:// www.euro.who.int/en/what-we-do/health-topics/ Health-systems/health-systems-financing/ publications2/2008/20081-health-financing-policy-aguide-for-decision-makers Health systems in transition; Georgia; Vol. 11; 2009 Household catastrophic health expenditure: evidence from Georgia and its policy implications; Gotsadze G, Zoidze A, Rukhadze N, , Biomed Central The World Health Report 2000; Health Systems: Improving Performance; WHO 2000; World Health Statistics 2011; Health Expenditure; WHO; http://www.who.int/whosis/whostat/en/ Berichte der BewohnerInnen und Lösungskonzepte durch die Experten selbst zu erfassen. Ich erwarte, dass durch die Experteninterviews sowohl deskriptive Aussagen (Beschreibungen von Sachverhalten) als auch normative Aussagen (Beurteilungen durch den Experten) erfasst werden. Der Vergleich der Aussagen verschiedener Experten wird einen Wissensstand zur Fragestellung schaffen, der hilfreich für die spätere Umsetzung von Reformen der Gesundheitsfinanzierung sein könnte. 45 46 Studentenwerk Berlin „Mord ist ein Verbrechen – keine Ehrensache!“ Sultan Özalan I. Einleitung 7. Februar 2005: Hatun Sürücü wird vor ihrer Wohnung an einer Bushaltestelle an der Tempelhofer Oberlandstraße mit drei Kopfschüssen getötet. Als Tatverdächtige nimmt die Polizei drei ihrer Brüder fest. Als Motiv wurde ein „Ehrenmord“ vermutet, da Hatun ihren Ehemann und ihre Familie verlassen und sich entschlossen hatte, ein selbstständiges Leben zu führen. Als Hatun Sürücü von ihrem Bruder getötet wurde, war der Begriff „Ehrenmord“ in Deutschland wohl den wenigsten geläufig. Es folgten jedoch noch weitere Ehrenmorde. Auch die Medien machten immer mehr auf dieses Thema aufmerksam. Mittlerweile hat der Begriff der „Ehrenmorde“ sogar Eingang in den Duden gefunden. Nach einer im Jahre 2006 veröffentlichen Studie des Bundeskriminalamts wurden in Deutschland im Zeitraum von 1996 bis 2006 55 Fälle als Ehrenmorde verzeichnet. Dabei sind insgesamt 70 Opfer, davon 48 weibliche und 22 männliche, registriert. Es handelt sich hierbei um 48 vollendete und 22 versuchte Tötungshandlungen.Weltweit sollen nach Angaben der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000 ca. 5000 weibliche Personen jedes Jahr Opfer von Ehrenmorden werden. Die Dunkelziffer dürfte diese Zahl noch um ein Vielfaches übersteigen, da Ehrenmorde häufig von den beteiligten Familienangehörigen als Unfall getarnt oder einfach verschwiegen werden. II. „Ehrenmord“ – Begriff und kultureller Ursprung Nach der Definition des Bundeskriminalamts (BKA) handelt es sich bei Ehrenmorden um Tötungsdelikte, die aus vermeintlich kultureller Verpflichtung heraus innerhalb des eigenen Familienverbandes verübt werden, um der Familienehre gerecht zu werden. Ehrenmorde kommen vor allem in patriarchalischen, konservativen Gesellschaften vor, in denen das Ansehen und der Ruf einer Familie von großer Bedeutung sind und das Leben des Mannes und seine Ehre höher bewertet werden als das Leben einer Frau. Dabei ist dieses Phänomen nicht nur in islamisch geprägten Ländern zu finden, sondern auch unter Christen, beispielsweise im Libanon und in Syrien oder in 47 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 48 Studentenwerk Berlin asiatischen, kommunistisch geprägten Ländern, z. B. in Vietnam. Hier in Deutschland stammen die Täter und Opfer von Ehrenmorden ausschließlich aus Migrantenfamilien, zumeist türkischer Herkunft. Dies könnte damit begründet werden, dass die türkischen Mitbürger den größten Ausländeranteil in Deutschland bilden. Besonders für junge Frauen, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind und aus der dritten und vierten Generation von Einwandererfamilien stammen, ist es besonders schwierig. Denn sie bewegen sich oft zwischen der traditionell islamischen und der modernen westlichen Welt. Sie müssen den Spagat zwischen dem traditionellen Elternhaus und dem westlichen Lebensstil bewältigen, der ihnen z. B. in der Schule und Ausbildung vorgelebt wird. Während die „Älteren“ noch stark an ihren Traditionen und Wertevorstellungen festhalten, passen sich die jungen Leute immer mehr der westlichen Lebensweise an. Genau dies führt dann zu Konflikten innerhalb der Familie, da die neuen Lebensgewohnheiten nicht akzeptiert werden. Dabei dreht es sich im türkischen Kulturkreis hauptsächlich um den Begriff der „Ehre“. Das türkische Ehrkonzept besteht aus drei Elementen. III. Der Begriff der Ehre im türkischen Kulturkreis 1. „Namus“ (Ehre) „Namus“ ist die geschlechtsspezifische Rolle von Mann und Frau. Man versteht darunter die Verletzung der geltenden Normen. Die Ehre kann nicht erworben, sondern nur verteidigt werden. Die Ehre definiert sich u. a. über die sexuelle Integrität der Frauen in der Familie, insbesondere über die sexuelle Enthaltsamkeit. Familienehre ist also abhängig vom „richtigen“ Verhalten der weiblichen Familienmitglieder. Hintergrund des Ganzen ist die Kontrolle der weiblichen Sexualität, denn Sexualität wird nur innerhalb der Ehe toleriert. Das Verständnis für den Begriff der Ehre ist abhängig von der geografischen Lage innerhalb der Türkei: Die Regeln im Osten basieren auf strengeren Maßstäben als im Westen des Landes. Demnach ist das Ehrverständnis in den Städten lockerer als in dörflichen Gebieten. 2. Achtung und Würde Weitere, mit dem türkischen Ehrbegriff („namus“) eng verbundene Begriffe sind „saygi“(Achtung) und „seref“(Würde). Die Achtung („saygi“) bestimmt das Verhältnis zwischen Älteren und Jüngeren. Die Jüngeren sind verpflichtet, Achtung gegenüber Älteren zu haben. Dies soll durch verschiedene Verhaltensweisen zum Ausdruck gebracht werden, z. B. steht ein Jüngerer auf, wenn ein Älterer den Raum betritt, oder dem Jüngeren ist es verboten, einem Älteren zu widersprechen. Durch das Einhalten dieser Regeln, bringen die Jüngeren den Respekt gegenüber Älteren zum Ausdruck. Mit der Würde („seref“) ist der gesellschaftliche Achtungsanspruch des Einzelnen oder der Familie gemeint. Sie hat im Vergleich zu „namus“ nichts mit der Geschlechterehre zu tun. Unter diesem Begriff versteht man vielmehr einen durch persönliche Fähigkeiten und Tugenden erlangten guten Ruf. Eine Parallele zu „namus“ und „saygi“ besteht insofern, dass auch hier die Auffassung der Gemeinschaft maßgeblich ist. Fraglich ist nun, was genau in patriarchalischen Gesellschaften eine „Ehrverletzung“ darstellt? Hier einige Beispiele: a) Formen möglicher Ehrverletzung • der Verlust der Jungfräulichkeit vor • • • • • der Ehe eine außereheliche oder durch die Eltern nicht geduldete Beziehung einzugehen die Trennung oder die beabsichtigte Trennung vom Ehemann könnte auch eine Ehrverletzung darstellen Untergraben der Rolle des Mannes als Beschützer und Versorger der Familie Ablehnung eines durch die Familie ausgewählten Ehemannes (Zwangsheirat) Abkehr von Traditionen/Lebensweisen des Herkunftslandes und Orientierung am westlichen Lebensstil b) Auswirkungen des Ehrbegriffs Kommt es infolge eines „Fehlverhaltens“ zu einer Verletzung der Familienehre, so ist es Aufgabe der männlichen Familienmitglieder, diese wiederherzustellen. Dies geschieht in der Regel mittels Gewalt, in einigen Fällen leider mittels tödlicher Gewalt. IV. Ehrenmorde aus islamischer Sicht Das Thema „Ehrenmorde“ wird in den Medien meistens im Zusammenhang mit dem Islam gebracht. Daher soll im Folgenden die Frage erörtert werden, ob tatsächlich eine Verbindung zwischen „Ehrenmorden“ und dem Islam besteht. Im Koran ist keine konkrete Stelle über Ehrenmorde zu finden. Der Koran ist auch gegen die Tötung eines Menschen. Die Ehre im Koran ist überwiegend durch die voreheliche Keuschheit und die eheliche Treue beider Geschlechter gekennzeichnet. „Die Unzüchtigen und den Unzüchtigen, peitscht jeden von beiden mit hundert Hieben aus [...]“ (Sure 24, Vers 2). Aus dieser Sure geht hervor, dass der Koran für die „Unzüchtigen eine Bestrafung vorsieht. Dies gilt für beide Geschlechter, für Mann und Frau. Im Koran sind, wie man erkennt, Sanktionsformen in Form von Gewalt vorgesehen. Aber eine Bestrafung mit dem Tod wird keinesfalls erwähnt. Ein weitere Sure aus dem Koran lautet: „Die Männer stehen den Frauen vor, weil Gott die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen ausgegeben haben. Die rechtschaffenen Frauen sind gehorsam und wahren das Verborgene, da Gott es wahrt. Die, deren Widerwille ihr fürchtet, die ermahnt, meidet in Betten und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, dann geht nicht weiter gegen sie vor!“ (Koran, Sure 4, Vers 34). In dieser Sure ist erkennbar, dass im Koran differenziert wird zwischen der Stellung des Mannes und der einer Frau. Hier wird deutlich, dass der Mann über die Frau dominiert und Sanktionsformen in Form von Gewalt vorgesehen sind. Eine Bestrafung mit dem Tod wird jedoch keinesfalls erwähnt. Somit könnte der Verdacht naheliegen, dass Aussagen des Korans über die weibliche Sexualität durch Auslegung missbraucht und als Rechtfertigungsgrund für Ehrenmorde genutzt werden. Daher könnten sich Männer aus streng patriarchalischen Gesellschaften aus diesen Überlieferungen das Recht ableiten, solche Taten zu begehen. V. Der „Ehrenmord“ aus strafrechtlicher Sicht Ob ein „Ehrenmord“ auch strafrechtlich als Mord bewertet wird oder ob der Täter mit einer Strafe wegen Totschlags bestraft wird, ist die entscheidende Frage bei dieser Untersuchung. Die Strafgesetzgebung unterscheidet bei den vorsätzlichen Tötungsdelikten u. a. zwischen Totschlag und Mord: 49 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 50 Studentenwerk Berlin Als Totschlag gem. § 212 StGB wird die vorsätzliche Tötung bezeichnet; sie ist mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Eine vorsätzliche Tötung ist dann als Mord gem. § 211 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen, wenn ein sogenanntes Mordmerkmal vorliegt. Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet (§ 211 Abs. 2 StGB). Ehrenmorde werden häufig als Tötung aus niedrigen Beweggründen eingestuft und damit als Mord bestraft. Der Täter handelt aus niedrigen Beweggründen, weil er das Leben des Opfers für geringwertiger erachtet als die Familienehre. Der sogenannte „Ehrenmord“ stellt also auch im strafrechtlichen Sinne regelmäßig einen Mord dar. Nur in einigen Ausnahmefällen kann die Bewertung als „niedriger Beweggrund“ entfallen. Und zwar dann, wenn die Täter außer Stande sind, ihre Taten zu kontrollieren; hier kann der Täter ausnahmsweise wegen Totschlags verurteilt werden. Das heißt ein von seinen heimatlichen Wertvorstellungen stark beherrschter Täter, der sich von ihnen zur Tatzeit aufgrund seiner Persönlichkeit und seinen Lebensumstände nicht lösen konnte, kann somit ausnahmsweise wegen Totschlags verurteilt werden. VI. Prävention Im Folgenden sollen die Möglichkeiten der Prävention dargestellt werden. 1. „Hennamond“ und Projekt „Hippy“ Durch Ehrverbrechen bedrohte Mädchen und Frauen haben die Möglichkeit, sich über den Verein Hennamond e. V. Hilfe zu holen. Ziel dieses Vereins ist es, jungen Frauen, die von häuslicher Gewalt, Zwangsheirat oder Ehrenmorden bedroht sind, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Eine gute Bildung ist die präventiv wirksamste Maßnahme, um Verbrechen im Namen der Ehre vorzubeugen. Denn nur, wer von Kindesbeinen an über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt ist, kann ein standhaftes Selbstbewusstsein entwickeln und sich hierbei an „westliche“ Wertvorstellungen annähern. Um dies zu erreichen, wurde das Projekt „Hippy“ ins Leben gerufen. Die Kinder werden in Feinmotorik, Konzentrationsfähigkeit und Sprachentwicklung geschult. Sie werden spielerisch für die Schule vorbereitet. Auch die Mütter profitieren von dem Programm, indem sie Deutsch lernen und ihre Kinder stärken können. 2. Verpflichtung zur Integrationsbereitschaft Der Schwerpunkt in der Arbeit zur Vermeidung von Ehrverbrechen liegt im Bereich der Integration, die bereits ganz früh, ab dem Kindergartenalter ins Auge gefasst werden sollte. Die Kenntnis der Deutschen Sprache und das uneingeschränkte Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundund Werteordnung sind dabei ganz wichtige Faktoren. 3. Mögliche Ansatzpunkte • sozialer Wohnungsbau (Verhinde- • Betreuungsplätze • allgemeine Kindergartenpflicht • allgemeine Schulpflicht • Frauenberatung • Erweiterung sozialer Angebote rung einer „Ghettoisierung“) VII. Fazit Fazit ist, dass eine Besserung der gesamten Situation und ein wirksames Entgegenwirken nur dann möglich sind, wenn konsequent an einer erfolgreichen Integration unserer ausländischen Mitbürger in Deutschland gearbeitet wird! (Koran, übersetzt von Max Henning) 51 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 52 Studentenwerk Berlin Der Rechtsstaat in der postsowjetischen Gegenwart Rail Safiyev Das Recht stellt ein Gebiet des Zusammenschlusses der Staatsangehörigen und Rechtsinhaber dar. Somit erfüllt es eine Verrechtlichungs- und Verstaatlichungsfunktion. Das öffentliche Wissen darüber, dass jedem in dem Staat das Mitsprache- bzw. Mitwirkungsrecht zusteht, ist Carothers zufolge die Voraussetzung für die effektive Durchsetzung und Allgemeingeltung des Rechtsstaats. Das Recht ist nicht eine autonome, separate Gesellschaftssphäre. Daher hinterließ der gesellschaftliche Normenwandel, der sich nach der Wende 1989 vollzogen hatte, weit reichenden Folgen für das Rechtssystem der ehemaligen Sowjetstaaten. Durch Internationalisierung des Rechts und in der Welle der wirtschaftlichen und kulturellen Transformation erhob sich der Rechtsstaat, worauf jetzt in den Staaten des postsowjetischen Raums die Verfassung und allgemein staatliche Existenz stützen, zum allgemeingültigen Etalon eines Staatlichkeitsverständnisses. Die faktisch absolute Ideenhoheit des Rechtstaats entspringt seiner Verankerung in universellen Menschenrechtsakten. Im idealen Modell des Rechtsstaates, das sich aus der westlichen Erfahrung herausgebildet hat, ist eine Autonomie des Einzelnen für die Ausübung seiner Grundrechte und Verpflichtungen vorgesehen, d.h., ein Individuum in der Interaktion mit dem Staat sowie in anderer vertraglicher Form kann als legale Persönlichkeit auftreten. Für die reibungslose Funktion des Rechtsstaats wird die bürgerliche Partizipation als unerlässlich angesehen. Dies erklärt Habermas mit dem internen Zusammenhang zwischen Demokratie und Rechtsstaat. Dieser Zusammenhang impliziert zum einen die Rechtspositivität, also dass das Recht seine Legitimität und Anwendung lediglich aus dem ihm übergeordneten, höheren Recht, z.B. der Verfassung bezieht. Zum anderen trägt es aber der eigenständigen Entscheidung und Mitbeteiligung des freien Bürgers an der Rechtswirkung Rechnung. Dadurch wird von Habermas argumentiert; das Recht in der modernen Auffassung nimmt die dem subjektiven Gewissen überantwortete Morallast der sich in seinen Pflichten verwirrenden Menschen ab. 53 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 54 Studentenwerk Berlin Im alltäglichen Leben ist das Recht sowohl das substantielle als auch symbolische Werkzeug des Staates. Im legalen Feld werden die politischen Kämpfe entscheidend für das Wesen des Rechts, wie Machtverhältnisse, Interessen, Werte und Ideologien. Dem Staat obliegt es, die stabilen Rahmenbedingungen zu schaffen, und zwar so interessen- und wertneutral wie möglich, damit die Rechtsinhaber ihre Ziele realisieren können. Dem gesetzlich handelnden Beamtenapparat wird von den Bürgern der Respekt gezollt, wenn ihren Beschwerden angemessene Beachtung geschenkt wird und ihre Erwartungen erfüllt werden. Das trägt auch zu einem Idealbild und den positiven Einstellungen über den Rechtsstaat bei. Man kann eine weitere Dimension des Rechts und Rechtsstaats einschlagen, nämlich damit, wie Herrschaft durch Recht (rule by law) erhalten bzw. gesichert wird. In einem autoritären Umfeld, wie es in vielen alten Sowjetländern heutzutage der Fall ist, kann es besonders leicht fallen, die vorgetäuschte Wahrheit über die Herrschaft des Rechts zum Staatlichkeitsprinzip zu erheben.1 Bereits in dem sowjetischen System waren die Grundlagen des machtkalkulatorischen Nutzens des Rechts geschaffen worden. Das Recht kann wohl in jeder Gesellschaft den konkreten politischen Interessen angepasst werden, so dass es als unterdrückender Herrschaftsmechanismus eingesetzt wird. Ein Herrschaftsinstrument, dem „man nach Möglichkeit auch ausweicht.“ (Küpper: 391) Bislang wuchs das Recht in der postsowjetischen Realität nicht zu einer autoritären Kraft, die den Menschen das rechtgemäße Handeln beibringt. Galligan u. a. begründen dieses Versagen durch den Aushöhlungscharakter 1 Carothers verdeutlicht es am Beispiel von südostasiatischen Staaten, wo die Rechtsreformen gewisse Erfolge zeitigen, jedoch die Politik der rechtlichen Verantwortung ausweicht. der bestehenden sozialen Normen in diesen Gesellschaften und die damit einhergehenden Lähmung der effektiven Rechtswirkung. Die Annahme besteht darin, dass die sozialen Normen in der Gesellschaft das Recht und die Rechtswahrnehmung unterstützen. In mehreren post-sowjetischen Gesellschaften hat man stattdessen aus der sowjetischen Hypothek die verzerrten Werte übernommen. Weiterhin hat die totale Korrumpierung der Gesellschaft und des Staatsapparates den negativen Mythos über das Recht verstärkt, hinter dem der Bürger immer etwas Suspektes zu erfahren gelernt hat. Somit hat das Recht die antizipierte positive, stabilisierende und regulative Rolle in der Gesellschaft verfehlt. In einem Staat, in dem die Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle an der Willkür der Herrschaft und Machterhaltungsideologie scheitert, fungiert das staatliche Feld des Rechts nicht seiner genuinen Logik nach, d. h., unabhängig. Das Recht bildet in diesem Staat eine abgrenzende Sprache, die die Machthaber zu handhaben verstehen. Deshalb sind sie aber diejenigen, die „unrechtlichen“ Kommunikationsformen, mit einem Wort das informale Recht beherrschen und richtungweisend für ihre Machtsziele anwenden. Ebenso dient die symbolische Differenzierung des Rechts, die im Sinne für die Gemeinwohl der Gesellschaft deklariert wird, zur Einkreisung und Behütung der eigens gesteuerten Machtsphäre, in die der Zugang lediglich den Staatsverwaltenden möglich ist und die sie ermächtigt, Sanktion bzw. Suspension des Rechts nach eigenem Gutdünken (in diesem Fall faktisch rechtloser Menschen gegenüber) einzusetzen. Die vorhin erwähnte Autonomisierung des Rechts für den Einzelnen, die die Obrigkeit der Staatsnormen und Gesetzesanwendung sowohl für Staatsbürgern wie auch für das Beamtenapparat aufzwingen soll, wird im Grunde zum von Beamten und Staatsoligarchie im strategischen Umgang gegenüber den Bürgern beschützte Bollwerk der staatlichen Kriminalität. Das Gesetz selbst ist, so sonderbar das auch klingen mag, der Schutzschild einer Bande Krimineller. Daraus schlussfolgert Gel’man am Beispiel Russlands das Wesen der „Diktatur des Rechts“, die dem Wortlaut Putin entnommen wurde, als er damit stabile und berechenbare legale Verhältnisse für Russland versprach. Für Gel’man ist eine strenge Rechtsdiktatur, wie es in der Sowjetzeit zum Teil üblich war, aus der Kosten-Nutzen Kalkül der heutigen Machthaber Russlands weniger attraktiv. Daher stellt bargaining, also das Aushandeln des Rechts die bessere Option dar. Aber gerade dann gelangen m. E. diese Herrschaftssysteme an totalitäre Formen, wenn als demokratisch vorgaukelten Institutionen zur Unterwerfung und totalen Gehorsamkeit im Namen der Rechtstaatlichkeit führen. Die dem Rechtstaat zugrunde liegende kooperative und mitbestimmende Haltung des Bürgers geht in die Bestechungsdeals auf. Daher leitet sich und dies ist die Grundthese in diesem Artikel, aus der normativ implizierten und von vielen Liberalismusbefürwortern romantisch propagierten Rechtsstaatsidee die Komplexität eines zu erwartenden Widerstands gegen autoritär regierten Regime ab. Denn einerseits knüpft der Rechtsstaat an unwidersprüchlich geltende und demokratische Universalstandards an, andererseits eröffnet aber dem Regime eine Möglichkeit für Tarnungsmanöver, die sich gut eignen, die „Wahrheit und Gerechtigkeit“ im eigenen Machtinteresse zu reproduzieren. Anders und Nuijten sehen in dieser statisch wiederholenden Unbestimmtheit des Rechts die Ausbeutungschance für diejenigen, die sich in den alltäglichen Lebenssituationen - wenn sich zwischen der Abstraktheit und Realität des Rechts eine tiefe Kluft auftaut - „besser“ auskennen. In dem mal kollidierenden, mal komplementierenden Normen und Regelkomplex entscheidet der Herrscherwille, wie ausdehnbar die normative Anwendbarkeit des Rechts ist, und wann es sich anbietet, auf das ohnehin regulär bediente Regelwerk des „Rechtsstaats“ zurückzugreifen. Quellen: Anders,Gerhard/Nuijten, Monique (2007). Corruption and the Secret of Law: An Introduction. In. Anders, Gerhard (Hg.), Corruption and the Secret of Law: A Legal Anthropological Perspective. Burlington: Ashgate. (1-27) Brodocz, Andre (2009). Die Macht der Judikative. Wiesbaden: VS Verlag. Carothers, Thomas (1998). The Rule of Law Revival. Foreign Affairs 77 (2): 95-106. Galligan, Denis J. (2003). Law and Informal Practices: The Post-Communist Experience. Oxford: Oxford University Press Gel’man: Vladimir (2000). The Dictatorship of Law in Russia. Nether Dictatorship, Nor Rule of Law. PONARS Policy Memo No.146. Online: www.csis.org/rusera/ ponars/policymemos/pm_0146.pdf [25.10.2011] Habermas, Jürgen (1994). Über den internen Zusammenhang von Rechtstaat und Demokratie. In Preuß, Ulrich (Hg.), Zum Begriff der Verfasssung. Frankfurt am Main: Fischer Verlag (83-94) O’Donnel, Guillermo (1998). Polyarchies and the (Un) rule of Law in Latin America. Paper presented at the Meeting of the Latin American Studies Association. O’Donnell, Guillermo (2010). Democracy, Agency, and the State. New York: Oxford University Press. Kurchiyan, Marina (2003). The Illegitimacy of Law in Post-Soviet Societies. In Galligan Denis J. (Hg.): Law and Informal Practices: The Post-Communist Experience. Oxford: Oxford University Press (25-47) Küpper, Herbert (1999). Rechtskultur und Modernisierung in Osteuropa. Osteuropa 49 (4): 337-354 55 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 56 Studentenwerk Berlin Berlin, eine Stadt mit vielen Seiten – die schönste Zeit meines Lebens Viktorya Sahakyan Endlich komme ich dazu, hier etwas zu schreiben und ein wenig zu berichten, wie es mir geht und was ich in Berlin in meinem akademischen Jahr 2011/2012 als Stipendiatin der Studienstiftung des Abgeordnetenhauses von Berlin erlebt habe. Berlin ist eine Stadt, die viele Grenzen hatte und jetzt keine mehr. Berlin ist eine Weltstadt, weil sie Menschen aus der ganzen Welt in ihren Bann zieht. Berlin ist eine Baustelle, die nicht enden will. Und Berlin ist auf dem Weg in eine neue Zeit. Schon bevor ich mit meinem Forschungsprojekt in Berlin begonnen hatte, wusste ich, dass ich im Ausland, und zwar in Deutschland, studieren wollte. Auch im Nachhinein bereue ich meine Entscheidung nicht. Ich kann es jedem nur empfehlen. Die vielen Erfahrungsberichte, die man vor der Abreise oder der Bewerbung vielleicht liest, kommen einem manchmal leicht übertrieben vor, wenn dort steht, dass dieses Jahr in Berlin das beste Jahr im Leben würde. Auf jeden Fall kann ich sagen, dass ich es sofort wieder machen würde und am liebsten gleich noch einmal. Ich bin ein ganzes Jahr in einem sehr netten und herzlichen Haus namens Internationales Studienzentrum Berlin (ISB) untergekommen, wo ich viele Studenten aus der ganzen Welt kennen gelernt habe, von denen die meisten meine Freunde geworden sind. Das vielseitige kulturelle Programm im ISB, z. B. mit Vorträgen und Exkursionen durch die historische Stadt Berlin, das die unterschiedlichsten Interessen und Vorlieben der Studierenden zu befriedigen vermochte, hat mich am meisten fasziniert. Das ISB wurde durch Frau Manuela Ebel vertreten – mein besonderer Dank gilt ihr. Die Wahl des Landes, der Stadt und der Universität war sehr gut. Die Freie Universität zu Berlin, wo ich meine Forschung durchgeführt habe, ist eine sehr schöne und gute Universität. Berlin ist eine schöne, lebhafte Stadt und mit Sicherheit einen Besuch wert. Die Stadt entspricht insgesamt dem Klischee: viel Regen, unglaublich grüne Wiesen, gute Stimmung. Ich kann nur wiederholen: Berlin ist sehr schön, besonders in der Nacht. Das Berliner Lebensgefühl hat mich innerhalb eines Jahres zu etwas ganz Besonderem und Einzigartigem gemacht: Begeistert bin ich von der 57 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 58 Studentenwerk Berlin Kultur und von den faszinierenden Bauwerken und Plätzen, welche Berlin mir zu bieten hatte. Ein weiterer faszinierender Aspekt dieser wunderbaren Stadt besteht in ihrer enormen Vielseitigkeit. Jedes einzelne Stadtviertel Berlins hat seinen ganz eigenen Charakter und seinen ganz eigenen Charme, man kann Berlin von vielen verschiedenen Seiten und Blickwinkeln betrachten. Berlin kann als vielfältige Stadt erlebt werden. Die Facetten der Stadt reichen von nobel, modern und elegant über traditionell und historisch bis hin zu ausgeflippt, neumodisch, jung und verrückt. Die Gesichter der Stadt sind eben vielseitig. Es ist für mich immer noch nicht so leicht zu formulieren, was ich in Berlin erlebt habe. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, die Stadt an der Spree zu entdecken. Und wo soll ich wieder aufhören? Berlin hat eine Fülle von historischen und modernen Sehenswürdigkeiten, Kirchen und Museen: Zu nennen sind hier die Gedächtniskirche, das Brandenburger Tor, das auch das Wahrzeichen der Stadt ist, die fantastischen Ausstellungen auf der Museumsinsel, der Reichstag mit seiner markanten Glaskuppel, der Fernsehturm am Alexanderplatz und die wunderschönen restaurierten Häuser in den Hackeschen Höfen, die meine Eindrücke und Erlebnisse in Berlin so besonders gemacht haben. Berlin, ich werde dich vermissen. Du warst, bist und wirst für immer in meinem Herzen bleiben… 59 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 60 Studentenwerk Berlin Global Cities Delia Schaedel Deutsche Zusammenfassung Der Vortrag zum Thema „Transnationale Städtesysteme, Großstadtmetropolen und Globalisierung der Weltwirtschaft“ basiert auf dem Buch The Global City: New York, London, Tokyo der Stadtsoziologin Saskia Sassen Wirtschaftswandel der Großstadtmetropolen in hoch entwickelten Ländern: Von der Produktion und Industrie zu hoch spezialisierten Dienstleistungen im Zuge der Globalisierung der Weltwirtschaft mithilfe neuer Technologien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Globale Städte: - beziehen sich auf ein transnationales Netz - zentraler Standort von Finanz und Wirtschaft, Großkonzernen und internationalen Unternehmen mit weltweiten Steuerungsfunktionen über transnationale Produktionsnetzwerke und globale Märkte - Konzentration von hoch entwickelten unternehmensorientierten Dienstleistungen im Informations-, Kommuni- kations-, und Finanzbereich - Innovationszentren mit gut ausgebildeten Arbeitskräften - Ziel von ausländischen Direktinvestitionen - wichtige Transport- und Verkehrszentren 61 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 62 Studentenwerk Berlin - wachsende Ungerechtigkeit und Unterschiede zwischen Hochlohn und Niedriglohn, Reich und Arm, die Mittelklasse verschwindet - transnationale Migration in den Großstädten: Suche nach Arbeit - hohe Bodenpreise im Central Business District fordern die Hochhaus-Gebäudetypologie Zur Diskussion: Welche Stadt ist Deutschlands Global City: Frankfurt am Main oder Berlin? - Frankfurt a. M.: Wirtschafts - und Finanzzentrum, Dienstleistungen, internationale Unternehmen, Hochhaus-Typologie, internationales Verkehrszentrum (Flughafen) - Berlin: viele renommierte Universitäten, gut ausgebildete Arbeitskräfte, internationale Unternehmen, Innovationen, Kreativität, Großstadtmetropole mit hoher Einwohnerzahl English This presentation on major contemporary cities and globalization is based on the book The Global City: New York, London, Tokyo by Saskia Sassen “There is no such thing as one global city. The global city is a function of a network of cities. In that sense it is different from the capitals of old empires where you have one city at the top.” Saskia Sassen “The more globalized the economy becomes, the higher the agglomeration of central functions in relatively few sites, the global cities.” Saskia Sassen 1960s: transformation in organization of economic activity - de-industrialization in US, UK, Japan Post industrial society: - industrialization of third world - economic polarization in income distribution - internationalization of financial industry 1980s: Proliferation of financial institutions, rapid internationalization and deregulation of financial markets because international division of labor is cost effective Economic shift to services from manufacturing in industrialized countries facilitated by technology Advanced services and finance fastest growing sectors in the economy of their countries Specialized service activities manage and control global networks. Function of global cities: - highly concentrated command points in the organization of the world economy - key locations for finance and specialized service firms (replacing manufacturing as leading economic sector) - sites of production (of innovations) - markets for products and innovations Advanced producer services: - not dependent on proximity to the consumers served, but such specialized firms benefit from and need proximity to other firms: - high density in central business districts is the spatial expression - urban form: skyscraper building typology - urban renewal: gentrification, decline of low rent housing market, rise in homelessness - rich: highly specialized skilled workers in management, control and planning, benefit from super profits in the finance sector - poor: rise in poverty and low wages, serve the rich in residential & commercial settings - disappearance of the middle class - increase in immigration and emergence of informal economy 63 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 64 Studentenwerk Berlin Geschichte der Menschenrechte als ein Drama ständigen Ringens und kontinuierlichen Fortschritts Marika Turava Menschenrechte sind subjektive Rechte, die jedem Menschen gleichermaßen zustehen. Sie beruhen auf dem Prinzip der Achtung vor dem Einzelnen. Man geht davon aus, dass jede Person ein moralisches und vernunftbegabtes Wesen ist und es verdient, mit Würde behandelt zu werden. Sie werden Menschenrechte genannt, weil sie allgemein sind. Während Länder oder besondere Gruppen bestimmte Rechte genießen, die nur auf sie zutreffen, sind Menschenrechte die Rechte, auf die jeder Anspruch hat – unabhängig von Nationalität, Rasse, Religion,Geschlecht, Alter. In vergangenen Zeitaltern gab es keine Menschenrechte. Allmählich konnte die Idee Fuß fassen, dass die Menschen bestimmte Freiheiten genießen sollten. Die Vorstellung von angeborenen Menschenrechten und ihr rechtmäßiger Schutz entwickelten sich nach und nach im Laufe der Geschichte. Erst im Jahre 1948 wurde als Reaktion auf die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (The Universal Declaration of Human Rights) von den Vereinten Nationen verabschiedet. Die Besonderheit der Erklärung lag darin, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit 30 Menschenrechte erklärt wurden, die allgemein und universell für alle Menschen auf der ganzen Welt gelten sollten, unabhängig von der Rasse, Religion, Geschlecht, Alter, Sozialem Status. Diese Erklärung bildete Grundlage für die modernen Menschenrechtsbewegungen und Verfassungen Dutzender Nationen. Menschenrechte existieren, wie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im gesamten internationalen Menschenrechtsgesetz dargestellt. Sie werden zumindest im Prinzip von den meisten Nationen anerkannt und bilden das Herzstück vieler nationaler Verfassungen. Dennoch ist die aktuelle Lage auf der Welt weit von den in der Erklärung vorgesehenen Idealen entfernt. Vollständige Verwirklichung der Menschenrechte ist ein entferntes und unerreichbares Ziel. Sogar international gültige Menschenrechtsgesetze sind schwierig durchzusetzen, und die Verfolgung einer Klage kann Jahre dauern und viel Geld kosten. Die internationalen Gesetze sind aber unzureichend, um einen angemessenen Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Sichtbare Wirklichkeit täglicher Menschenrechtsverletzungen belegt dies mit den Tatsachen vom Völkermord 65 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 66 Studentenwerk Berlin in Afrika bis zum Datenschutz in den USA und Deutschland. Diskriminierung nimmt weltweit überhand. Tausende sind im Gefängnis, nur weil sie ihre Meinung kundgetan haben. Folter und politische Gefangene, denen oft keine Gerichtsverhandlung zugestanden wurde, sind an der Tagesordnung. Solche Praktiken werden geduldet und sogar in einigen demokratischen Staaten praktiziert. Viele Teile der Welt befinden sich am Rande eines Krieges. Gleichzeitig steigt die Gewalt gegen verschiedene Religionen und ethnische Gruppen. Offensichtlich ist der Kampf um die Menschenrechte noch nicht beendet. Die Forderung, die Menschenrechte durchzusetzen, kann aber nicht nur von den Regierungen kommen, sie muss vielmehr von den Menschen ausgehen. Dafür ist es wichtig, dass die Menschen ihre grundlegende Rechte kennen und darauf bestehen, dass sie zur Geltung kommen. Nur so ist es möglich, dass die allgemeinen Menschenrechte in großen und kleinen Gemeinschaften Wirklichkeit werden. Quellen: Pötzsch, Horst: Die deutsche Demokratie, Bonn 1999 Menschenrechte (Informationen zur politischen Bildung 297), Bonn 2007 Wetterfühlig?! Claudia Wassmann Warum sind wir wetterfühlig? Woher kommt das Stimmungsbarometer? Seit wann leiden wir unter Frühjahrsmüdigkeit, sind indisponiert und haben einen Biorhythmus? Vielleicht lässt sich das alles darauf zurückführen, dass Wissenschaftler vor gut hundert Jahren fragten: „Wie wirkt das Wetter auf unser Befinden?“ 1907 erschien ein Buch mit dem Titel „Das Wetter und unsere Arbeit“. Die Autoren sind heute vergessen. Alfred Lehmann war Leiter des psychophysischen Laboratoriums der Universität Kopenhagen. Er hatte bei dem damals berühmten Psychologen Wilhelm Wundt in Leipzig Psychologie studiert und 1892 eine Monographie über die Hauptgesetze des menschlichen Gefühlslebens verfasst, die die Goldmedaille der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften gewann. Sein Koautor war der Volksschullehrer R. H. Pedersen, dessen Schüler als Versuchspersonen an den Untersuchungen mitwirkten. Volksschullehrer waren um die Jahrhundertwende stark an der sich neu etablierenden experimen- tellen Psychologie interessiert und in die Forschung involviert, zumindest in Leipzig, Paris und Kopenhagen. Was untersuchten die Wissenschaftler und zu welchen Schlussfolgerungen kamen sie? Bevor Lehmann und Pedersen ihre Untersuchungen über die Auswirkungen des Wetters auf unsere körperliche und seelische Arbeitsfähigkeit begannen, hatten bereits einige Studien biologische Rhythmen für bestimmte Körpervorgänge nachgewiesen. Zum Beispiel wurden periodische Schwankungen der Atmung, des Hämoglobingehalts des Blutes und Änderungen der Herztätigkeit auf die direkte Einwirkung der Sonne sowie auf Temperaturschwankungen zurückgeführt. Lehmann und Pedersen untersuchten dann systematisch von 1904 bis 1907 die Auswirkung der jahreszeitlichen Schwankungen von Lichtintensität, Temperatur und Luftdruck auf die Veränderungen der Muskelkraft, der Additionsgeschwindigkeit und der Gedächtnisleistung – zum Beispiel beim Auswendiglernen von Wortlisten. Sie begannen mit wöchentlichen Messungen der Muskelkraft bei 21 Schülern 67 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 68 Studentenwerk Berlin einer Jungenklasse. Regelmäßig einmal in der Woche, immer am gleichen Wochentag morgens zwischen 9 und 10 Uhr, zog jeder Schüler in einem festgelegten Tempo mit jeweils vier Sekunden Pause viermal am Ergometer. Das Ergometer hatte Lehmann eigens für den Zweck konstruiert. Der Handgriff konnte auf die Hand des Kindes individuell eingestellt werden, damit es den Griff bequem fassen konnte. Von 1905 bis 1906 erfolgten die Messungen dann täglich immer um die gleiche Uhrzeit bei Schülern im Alter von 10 bis 14 Jahren von insgesamt acht Schulklassen. 1906 und 1907 wurden zusätzlich bei sieben Studenten die Reaktionsgeschwindigkeit, die Muskelkraft, die Additionsgeschwindigkeit und die Gedächtnisleistung beim Auswendiglernen von Wörtern gemessen. Außerdem protokollierten drei einzelne Versuchspersonen verschiedenen Alters, Lehmann (47 Jahre), Pedersen (36 Jahre) und eine Abiturientin (18 Jahre), täglich ihre eigene Muskelkraft und die Additionsgeschwindigkeit. Die Messungen erfolgten jeweils morgens. Zuerst wurde die Kraft gemessen und dann folgte der Blick auf das Barometer, um eine suggestive Beeinflussung auszuschließen. Um die Abhängigkeit unserer geistigen und physischen Leistungsfähigkeit von den jahreszeitlichen Klimaschwankungen zu ermitteln, wurden die Daten des meteorologischen Instituts und des botanischen Gartens in Kopenhagen verwendet. Die drei Versuchspersonen reisten außerdem in den Monaten Juli und August nach Norwegen auf eine Höhe von 960 m, sodass der Einfluss der Luftdruckverminderung auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und die Adaptationserscheinungen bei Luftdruckwechsel untersucht werden konnten. Bei ihren Untersuchungen in Norwegen sahen sie den Effekt, den Sportler heute immer noch zum Training nutzen: die Erhöhung der Muskelkraft bei der Rückkehr aus der Höhe zum Meeresniveau. Dieser Effekt wurde bereits damals mit der Zunahme der Hämoglobinmenge durch verstärkte Blutbildung als Reaktion auf die Abnahme des Luftdrucks in der Höhe erklärt. „Kurzdauernde Luftdruckverminderung habe keinen nachweisbaren Einfluss auf die Muskelkraft,“ notierten die Forscher. Jahreszeitliche Schwankungen der Leistungsfähigkeit Nur im Frühjahr sei die Muskelkraft vom Luftdruck abhängig. Mit steigendem Luftdruck (> 763) steige die Muskelkraft und bei sinkendem Luftdruck (< 762) nehme sie ab und sei bei Normaldruck fast konstant. Im Herbst hingegen hätten die Veränderungen des Luftdrucks anscheinend keinen Einfluss auf die Muskelkraft. Generell fanden die Wissenschaftler einen allmählichen Anstieg der Muskelkraft im Frühjahr. Die Kraft steige mit der zunehmenden Intensität der kurzwelligen aktinischen Strahlen ab Januar. Im Sommer trete bei den jugendlichen Versuchspersonen ein Stillstand ein und bei den Älteren eine Abnahme der Muskelkraft. Die Kraft werde durch die hohen Temperaturen trotz der Intensität des Lichts gehemmt. Im September und Oktober steige die Muskelkraft plötzlich wieder stark an und ab November stagniere oder sinke sie bis Mitte Januar wegen der geringen Lichtstärke und Temperatur. Wobei das Temperaturoptimum bei jedem Menschen individuell verschieden sei, doch jeweils nur innerhalb weniger Grade schwanke. Das durchschnittliche Temperaturoptimum für die Muskelkraft lag für die in Kopenhagen lebenden Versuchspersonen zwischen 12 und 15 Grad. Die optimale Rechentemperatur lag jedoch niedriger. Die Messungen der Additionsgeschwindigkeit bei den Wissenschaftlern ergaben individuelle Temperaturoptima bei 7 oder 10 Grad. Zum Rechnen braucht man einen kühlen Kopf. Die periodischen Schwankungen der Muskelkraft, so das Argument der Wissenschaftler, spiegelten in Wirklichkeit die Abhängigkeit der Gehirnzentren von den meteorologischen Verhältnissen. Nicht die Kraft der Muskeln lasse bei den beobachteten jahreszeitlichen Schwankungen nach, sondern die Kraft des Gehirns. Geistige Präzisionsarbeit, definiert als das „Unterscheiden und die Reproduktion assoziierter Vorstellungsreihen“ – wie das Addieren mehrstelliger Zahlenreihen, Multiplizieren oder das Ergänzen lückenhafter Texte – erwies sich als besonders störanfällig. Die allgemeine Leistungsfähigkeit des Gehirns, gemeinhin Disposition genannt, lasse sich schlecht untersuchen, doch sei deutlich, dass die „Geneigtheit zum Arbeiten“ oder „subjektive Leistungsfähigkeit“ „vom Wetter“ abhänge. Ob man „mehr oder weniger disponiert“ sei, erkenne man meist daran, ob einem die Arbeit leicht oder schwer von der Hand gehe, ob man sich „matt und müde“ fühle, der Kopf schwer sei oder umgekehrt, man „sich leicht und frisch“ fühle und der Kopf „klar“ sei. (172) Ein Kopenhagener Geografieprofessor, der unter starker Migräne litt und fünf Jahre lang täglich sein Befinden auf einer Skala von V = ausgezeichnet bis I = schlecht protokollierte und anschließend den Barometerstand des Tages nach den Angaben des meteorologischen Instituts notierte, fand eine klare Abhängigkeit des Befindens vom Luftdruck. „Ausgezeichnet“ kam um so häufiger vor, je höher der Luftdruck war. In seinem Lehrbuch Grundzüge der Psychophysiologie aus dem Jahr 1912 notierte Lehmann: „Eine Abweichung der Temperatur von nur wenigen Graden entweder nach oben oder nach unten führt bald eine Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit herbei, und diese Verminderung der Leistungsfähigkeit ist als Trägheit, allgemeine Indisposition leicht merklich.“ Die Wissenschaftler schlossen aus ihren Untersuchungen, dass wir nicht zu allen Zeiten gleich leistungsfähig sind. Die Schwankungen der Muskelkraft, der Rechenleistung und „wahrscheinlich auch der Gedächtnisleistungen“ hingen von der Lichtstärke, der Temperatur und dem Luftdruck ab. Die Ergebnisse, so meinten sie, hätten eine praktisch-pädagogische Bedeutung. Es könnten „nicht immer dieselben Leistungen von den Schülern gefordert werden“. Die Untersuchungen hätten deutlich gezeigt, dass die Arbeitsfähigkeit zu bestimmten Jahreszeiten und durch gewisse Kombinationen von Temperatur- und Luftdruckveränderungen herabgesetzt sei. Während heute wohl kein Lehrer so nachsichtig ist, schlechte Leistungen seiner Schüler auf das Wetter zu schieben, behalten wir dank dieser Untersuchungen als Rechner einen kühlen Kopf, kommen in den Genuss von Hitzefrei und leisten Präzisionsarbeit. Vielleicht erklären sie auch, warum in den Wohnungen unserer Großeltern immer ein Barometer hing. 69 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 70 Studentenwerk Berlin Stadtentwicklung und räumliche Visionen: Berlin und London Francesca Weber-Newth Wem gehört die Stadt? Wer profitiert von der Stadtentwicklung? Dies waren u. a. Fragen, die mich dieses Jahr während meiner Feldforschung in Berlin beschäftigt haben. Als Doktorandin im Fachgebiet Stadtsoziologie habe ich Berlin als ein lebendiges „Forschungslabor“ wahrgenommen. Im Umfeld sind Zeichen der Machtverhältnisse und Ungerechtigkeit zu sehen sowie Strategien, diese Mechanismen zu überwinden oder zu manipulieren. Wie in allen Metropolen ist deren besondere Geschichte in die Kieselsteine und Wände „geschrieben“, man muss nur wissen, dass die Gassen und Brachflächen, die sich hinter dem Spektakel der Touristenmeilen verstecken, dies ausstrahlen. Hier findet man die Geschichten des Alltagslebens, die sozialen und ethnischen Verhältnisse, die Konsummoden und Jugendkulturen. Meine Forschung befasst sich mit der „Regeneration“ [Stadtentwicklung] von zwei urbanen Gebieten: zum einen mit „Hackney Wick“, einer Nachbarschaft in Ost-London, zum anderen mit dem „Rudolfkiez“, einem Gebiet in OstBerlin, das sich während meines Jahres am ISB als Forschungsfeld herauskristallisiert hat. Der Rudolfkiez (Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg) weist wich- tige Merkmale auf, die sich mit denen meiner Londoner Fallstudie in Hackney Wick vergleichen lassen. Beide Bezirke, Hackney Wick und der Rudolfkiez, werden als Fallstudien innerhalb eines soziologischen Rahmens analysiert, die u. a. folgenden Fragen nachgehen: Wenn Raum – entsprechend der Theorie von der Produktion des Raumes, wie ihn der französische Theoretiker Henri Lefebvre versteht – durch drei Formen von Praktiken hergestellt wird: 1. dem wahrgenommenen Raum, 2. dem gedachten Raum und 3. den Repräsentationen des Raumes, wie sehen dann diese Prozesse in meinen Fallstudien aus? Was sind die verschiedenen Visionen des „regenerierten“ Raumes? In meiner Forschung folge ich einem Ansatz der – nach den Ideen der Chicago School of Sociology – sowohl theorie – wie auch praxisorientiert ist. Dies schließt eine methodische Vorgehensweise ein, die die Erfahrungen der von „Regeneration“ betroffenen Menschen durch deren Teilnahme sammelt und die Stadt selbst als ein Forschungslabor betrachtet. Dazu zählen aber auch Ansätze „von oben“, d. h., die Einbeziehung der „Visionen“ der Stadtplaner, Architekten und Politiker. 71 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 72 Studentenwerk Berlin Im Kiez habe ich das Alltagsleben auf den Straßen beobachtet und in Form von Text und Fotos festgehalten. Ich habe Kontakte zu vielen Anwohnern aufgebaut und mit einigen von ihnen Tiefeninterviews zu ihren Alltagserfahrungen im Kiez durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Narva Glühlampenwerk (1994 endgültig geschlossen) nicht nur ein architektonisch interessantes Gebäude ist, sondern vor allem ein soziales „Objekt“. Der Rudolfkiez ist von diesem Werk und dem früheren OsthafenGelände geschichtlich stark geprägt, seine Grenzen sind in die Infrastruktur eingeschrieben und bestimmen noch heute die Bewegungen der Anwohner. Hier wird die Wichtigkeit von einer Regeneration, die die dort lebenden Menschen einbezieht, besonders deutlich: Sie sollte versuchen, Ansätze zu finden, die existierenden Barrieren durchlässig werden zu lassen, sodass die vorherrschende Marginalisierung und soziale Ungleichheit aufgelöst werden können. Durch meinen Kontakt mit dem Rudi Nachbarschaftszentrum und der Kita Die Nische habe ich die Strukturen des Kiezes ebenso durch eine zeitgenössische Perspektive erfahren können. Am ISB hatte ich das Glück, mit Studierenden internationaler Herkunft zu leben und befreundet zu sein, die eine Vielfalt von akademischen Disziplinen und Weltanschauungen repräsentieren. Ich hatte Gelegenheit, ihnen meinen Kurz-Dokumentarfilm über den Kampf um den Berliner Mauerpark zu zeigen und einen Vortrag über den Stand meiner Forschung zu geben. Die umfangreichen Diskussionen, die folgten, stellten ein wichtiges Feedback dar, aus dem ich Anregungen für meine weitere Arbeit bekommen habe und die ich in weitere Überlegungen einbauen konnte. Vielen Dank für ein stimulierendes Jahr im ISB! Das Prinzip Babylon – in Geschichte, Gegenwart und Politik Yüksel Mustafa Als Erbauer des Turmes zu Babel wird im Allgemeinen Nimrod im Christentum (1. Buch Mose 10,8–10) und nach islamischen Quellen Namrud ibn Kan`an (Kuran Sure al-Anbiya 21, 68–69) genannt. Im Christentum wie auch im Islam wird Nimrod oder auch Namrud als eine negative Figur charakterisiert, die sich als „Gott“ verehren ließ. Um seinem gotteslästerlichen Tun ein Symbol zu verleihen, ließ er einen Turm bauen, der bis in den Himmel reichen sollte (Turmbau zu Babel). „Gott“ strafte Nimrod und die Babylonier mit der Sprachverwirrung. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Menschheit eine einheitliche Sprache, die dann in zahlreiche Sprachen zerfiel. Dieser Zeitpunkt wird auch als Startpunkt der Besiedlung der gesamten Erde durch den Menschen bezeichnet (religiöse Geschichtsschreibung). Der Turmbau zu Babel als ein Gleichnis für eine Machttechnik, die mit den Mitteln der Verschleierung, Ablenkung und Orientierung auf ein Ziel zusteuert, dessen Erfüllung unmöglich und das Streben nach Verwirklichung sinnlos ist, und letztlich als Resultat immer in die Katastrophe führt. Hier sind Parallelen zur Utopie (griech.: ein „Ort“, der nicht existiert) unausweichlich. Die Utopie als die Verknüpfung von Traum und Wirklichkeit, Illusion und Wahn, die Hand im Politischen mit dem Bezug zur Realität. Auch wenn der Turmbau zu Babel und die Utopie nur im weiteren Sinne vergleichbar sind, weisen sie doch Strukturen und Techniken auf, die deckungsgleich sind. Das Streben der Utopisten nach einer idealen Gesellschaft und die Orientierung der Menschen auf solch ein Ziel, ob verblendet durch den Wunsch mit dem Ziel etwas Gutes zu tun („Eu topia“: der Ort alles Guten) oder durch den Wahn der Machtgier, ideologisiert den Menschen und lässt ihn zu einem Werkzeug der Macht werden, so wird er selbst zu einem Teil des bigotten Spiels. Der Utopist scheut die Natur im Rohzustand (er scheut alles Natürliche). Für den Utopisten ist die Natur nur hinnehmbar, wenn sie Gestell im Sinne Martin Heideggers ist „…wie sich Technik der Natur bemächtigt…“. Für den Utopisten ist der Mensch instinktiv schlecht, daher muss er überwacht, kontrolliert und erzogen werden. Durch ständiges Korrigieren soll ein neuer Mensch geschaffen werden. Diese Gedanken sind bei Thomas Morus, Tommaso Campanella und bei den 73 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 74 Studentenwerk Berlin Marxisten, aber auch bei den Faschisten wiederzufinden (Mussolini gründete 1913 die Zeitschrift „Utopia“). Die Utopie birgt die Idee, die Natur des Menschen bessern zu können. Um dies zu erreichen, bedarf es Institutionen, die den Menschen bessern und seine Natur ändern soll. Daher bedienen sich die Utopisten auch gerne fremder Ideologien oder auch Theologien, um sich solcher Institutionen zu bemächtigen. Das Christentum scheint ein beliebter Tummelplatz zu sein. Beispiele sind der Versuch der Jesuiten, die Gründung eines Gottesstaat in Uruguay, oder Tomas de Torquemadas Bestrebung, in Spanien einen Gottesstaat zu gründen. Alle diese Versuche sind gescheitert. Aus der Perspektive eines Außenstehenden erkennt man, dass das Christentum für diese Leute nur ein Mittel zum Zweck war. Sie bedienten sich nur der Strukturen und verzerrten den Inhalt bis zur Unkenntlichkeit, das führte unter anderem zu folgenden Betrachtungen, die von allen Utopisten formuliert werden. Der Utopist reduziert den Menschen auf seine Bedürftigkeit, was zu einer Gleichmacherei bis zur Uniformität statt zu Gleichheit führt. Auch lässt sich ein weiter historischer Bogen schlagen bis hin zur griechischen Mythologie mit Verbindung nach Babylon. Prokrustes ist eine Figur aus der griechischen Mythologie, ein Unhold und Wegelagerer, der Reisenden ein Bett anbot, auf das er sie legte. Wenn die Gliedmaßen über das Bett hingen, hackte er ihnen diese ab, wenn sie zu klein waren, streckte er sie. Diese Erzählung tritt auch im babylonischen Talmud (Traktat Sanhedrin 109a) auf, wo dem Haussklaven von Abraham eine Begegnung mit Prokrustes zugeschrieben wird. Ein weiteres Beispiel ist der Sonnenstaat von Tommaso Campanella (Dominikaner), wo theologische und architektonische Komponenten eine Einheit bilden – Campanella zettelte einen Aufstand an mit dem Ziel, einen theokratischen Staat zu gründen. Sein Entwurf des Stadtstaates Palmanova im Jahre 1593 ist eine perfekte Stadt, ein Ideal, typisch für die Städte der Utopisten. Sie beruhen auf den Gesetzen der Geometrie und nicht auf den Gesetzen der Natur (auch wenn die Natur geometrische Strukturen aufweist, sieht der Utopist eher den Wildwuchs im Allgemeinen statt das filigrane Zusammenspiel der Natur) und erst recht nicht auf den Gesetzen der Menschheit und ihren Bedürfnissen. Die strenge geometrische Struktur soll die Natur verbannen und den Zufall ausschalten. Der unvollkommene Mensch soll zu seinem Wohle durch die Geometrie in eine geistige Gussform gezwungen werden, um das Überschüssige, das Schlechte und das Verwerfliche zu verlieren. Es soll makellos neu geboren werden durch gelenkte Generationenfolge und mit den Mitteln der Eugenik. Dass die Verwirklichung von solchen Gedanken bizarre Formen annehmen kann, zeigen die Romane von G. Orwell „1984“ und Huxleys „Schöne neue Welt“. Eine konkretere Beschreibung findet sich in dem Roman „Wir“ von Jewgeni Samjatin aus dem Jahr 1920, der im Grunde den Sowjetstaat vorwegnimmt. Jewgeni Samjatin beschreibt in seinem Roman eine totale Kontrolle mittels der Transparenz der Gebäude, die zu einer zum Überwachungsstaat mutierten Gesellschaft führt. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Utopie auch als Synonym für einen Traum, Fantasie gebraucht oder für Visionen, die nicht zu verwirklichen sind. Wenn man die Entwicklung der utopischen Ideen auf Babylon zurückdatiert, stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Gesellschaft und deren unreflektierte Ergebenheit gegenüber Gedanken, die ihn, den Menschen, zum Selbstzweck von Ideologien machen, aus denen seine eigene Sklaverei entsteht. Es stellt sich die Frage, ob utopische Gedanken und Ideen jedem Menschen und in jedem Kulturkreis natürlich innewohnen (Ernst Bloch, Th. W. Adorno). Wenn ja, finden sie überhaupt einen gesellschaftlichen Niederschlag oder gewinnen sie erst dann an Relevanz, wenn sie auf theologische und ideologische Fundamente aufbauen und durch eine Macht- und WissensOligarchie modifiziert werden, also auf einen Personenkreis beschränkt sind, der die Mittel und die Macht hat, Utopien zu verwirklichen? Das wäre nach umgangssprachlichem Verständnis des Wortes Utopie „mehr als nur der Wunsch“. Dies scheint zum Beispiel im Schlusskapitel des Buches „Utopia“ („Utopia“ ist der erste Roman der Utopisten) von Thomas Morus durch den zweideutigen Satz seine Bestätigung zu finden: “…ich wünsche, dass es geschieht …“ Das wäre der Traum, aber Thomas Morus fährt fort und schließt mit dem Satz: „… freilich wünsche ich es mehr, als ich es hoffe …“ Das geht eher in Richtung der Verwirklichung des Vorhabens. Ein weiteres Beispiel wäre der englische Philosoph, Staatsmann und als Wissenschaftler Wegbereiter des Empirismus, Francis Bacon (1509–1579). In seinem Roman „Neu-Atlantis“ (1626) beschreibt er U-Boote, Klone (Hinweis auf heutige Genetik) und Kammern, in denen Blitze erzeugt werden. Hier herrscht ein klares technisches Verständnis des Machbaren, das über ein allgemeines Verständnis von Utopie hinausgeht. Hier lässt sich auch erkennen, dass nicht nur eine Akkumulation von Kapital (Karl Marx) stattgefunden hat, sondern auch von Wissen. So scheint es, als hätte vielmehr die zielgerichtete, zeitlich abgestimmte Dosierung von Wissen eine Bedeutung und nicht die willkürliche Verbreitung, da sie ein unmittelbarer Machtfaktor ist. Dieses Beispiel zeigt auch ein zentrales Element der Utopisten, nämlich dass die Utopien im engeren Sinne zur Zeit ihrer Entstehung als nicht sofort realisierbar gelten. Die Gründe für eine nicht sofortige Umsetzung werden von den Utopisten wie folgt gegeben. Die Utopie ist technisch nicht ausführbar, d. h., es wird erkannt, dass die technischen Möglichkeiten noch lange nicht so weit sind. Hier ist auch zu erkennen, dass die Unterteilung von utopischen Ideen und die daraus resultierende Literatur in verschiedenen Sparten nur eine Seite ist, da die Veränderung des Menschen und der Gesellschaft erst durch die Mittel des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts möglich sein wird. Auch wenn dies wie Hausfrauenweisheit klingt, es geht hier nicht um die Erkenntnis, dass es verschiedene Ebenen von Wissen gibt, diesen Verdacht hatten die Menschen schon immer, sondern es stellt sich eher die Frage nach dem Umfang und der Entfernung des Wissens von der Allgemeinheit. Beispiele: Christoph Kolumbus Fahrt ins Ungewisse wurde auf Grundlage jahrhundertlang gesammelten Wissens verschiedener Disziplinen ermöglicht, das wie ein Augapfel gehütet wurde. Die Französische Revolution wurde erst mit der allmählichen Verbreitung eines schon längst vorhandenen Diskurses durch die bürgerliche Oberschicht, des Klerus und der Aristokratie möglich. Der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki veränderte das Bewusstsein der Menschen bezüglich des Krieges und formulierte unsere jetzige Moderne. Wo glauben wir zu stehen, jetzt in der 75 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 76 Studentenwerk Berlin Gegenwart, mit unserem Wissen? Wo stehen wir tatsächlich mit unserem Wissen über unser Wissen? Einen Hinweis auf solche Fragen scheint der Historiker und Philosoph Michel Foucault zu geben. In seinem Buch „Die Ordnung des Diskurses“ weist er auf etwas längst Bekanntes, aber auch immer Verdrängtes hin. „Es sei hier nur symbolisch an das alte griechische Prinzip erinnert: Dass die Arithmetik in den demokratischen Städten betrieben werden kann, da in ihr Gleichheitsbeziehungen gelehrt werden, dass aber die Geometrie nur in den Oligarchien unterrichtet werden darf, da sie die Proportionen in der Ungleichheit aufzeigt.“ Hier wird darauf hingewiesen, dass der Diskurs hauptsächlich in den Oligarchien unabhängig geführt werden kann. Da sie durch ihre Macht die Institutionen bilden, die den Diskurs bestimmen, lenken, beschränken oder auch öffnen. Auch wenn es hier nicht explizit um die Utopie geht, gilt diese historische Wahrheit auch für die Utopie. Die Utopie als ein orientierendes Machtinstrument, unabhängig ihres Verständnisses von ihrem eigenem Postulat, von Traum und Illusion. Dass sie eher die Verwirklichung sucht mit bedachten Schritten und planerischem Eifer, zeigt das folgende Beispiel von der Fabian Society. Die Fabian Society ist wohl eines der eindrucksvollsten Beispiele einer zielgerichteten Umsetzung von Utopien. Gegründet 1884 und hervorgegangen aus The Followship of the New Life, ist sie eine britische, sozialistische Denkschule, die durch beständige Einflussnahme auf intellektuelle und administrative Kreise die Gesellschaft verändern will. Die Gruppe, die evolutionär statt revolutionär vorgehen wollte, wurde zu Ehren des römischen Generals Fabius Maximus Verrucosus (genannt der Zögerer) benannt, der die Strategie vertrat, durch Störmanöver und durch lange einkalkulierte Zeiträume den Feind mürbe zu machen und ihn dadurch zu besiegen. Aus der Fabian-Gesellschaft ging die Labour Party im Jahre 1900 hervor, deren Satzung fast deckungsgleich ist mit Gründungsdokument der Labour Party. Viele Fabianisten sind Mitglied in der Labour Party wie auch umgekehrt, eines der berühmtesten Mitglieder unserer Zeit ist der ehemalige englischen Premier Tony Blair. Die Mitgliederliste der Fabian Society liest sich wie das Who‘s Who der britischen Gesellschaft, Personen wie Karl Marx, Charles Darwin, H. G. Wells, (der den Klassiker des utopischen Romans „Die Zeitmaschine“ schrieb), E. Carpenter, John Davidson, der Sexualforscher Havelock, Beatrice Webb, Bertrand Russel etc.. Ideen, die von der FabianGesellschaft postuliert wurden, wie die Utopie des Sozialismus oder des Kommunismus und die den Faschismus mit der Idee der Eugenik beeinflussten Rassegesetze des Dritten Reiches, somit trägt die Fabian Society eine wesentliche Verantwortung für die Katastrophen des 19. und des 20. Jahrhunderts mit, die uns bis heute prägen. Die vorrausgegangenen Beispiele zeigen, dass die Utopie schon längst den Bereich der Illusion verlassen hat und bewusst oder unmerklich ein Bestandteil unseres Lebens geworden ist, sei es durch das Streben nach ständigem wirtschaftlichen Wachstum oder durch das Geldschöpfen aus dem Nichts mit den Mitteln des Zinses. Und wo bleibt der große Wurf der heutigen Utopisten – ist es die Globalisierung oder die neue Weltordnung oder der „Zeitgeist Addentum“ –Retortenstädte, streng geometrisch und funktional, Käfighaltung für Menschen, an dem Campanella und Th. Morus ihre helle Freude gehabt hätten. Der Gegenentwurf – der Osmanische Staat: utopische Elemente Ohne Utopie – die zwanghaft ungeometrische Beschaffenheit der Topkai Sarays in Istanbul ist die architektoni- sche Umsetzung einer nach Aufgaben und Bedürfnissen gewachsenen Stadt, die den Menschen in seiner Gesamtheit annimmt. Die strikte Verneinung einer hierarchischen Geometrie suggeriert dem Individuum, dass es in seinem Stadtviertel ist. Die zweistöckige Bauweise vermeidet eine erdrückende Dominanz gegenüber dem Einzelnen. All dies geschieht ohne Verneinung einer inneren Ordnung, die zugeschnitten ist nach den Aufgaben der einzelnen Gebäude. Eine fließende Architektur drückt die nicht feudale Gesellschaftsstruktur des Osmanischen Staates aus. Die Ordnung wird über das Verständnis der Aufgaben definiert, beginnend vom Sultan bis hinunter zum Bettler. Die Enderun-Schulen (Palastschulen), die sich im dritten Hof des Sarays befanden, dienten der Nachwuchsausbildung für die Staats- und Verwaltungsberufe. Um Korruption zu verhindern, gab es für junge Männer, die aus dem Osmanischen Staat – teilweise auch als Sklaven – zur Ausbildung in die Palastschule aufgenommen wurden, drei unabdingbare Bedingungen: 1. Sie durften keine Türken sein – was unter der Regentschaft von Sultan Süleyman dem Gesetzgeber (der Prächtige) verändert wurde, von da an wurden auch türkische Knaben in die Palastschule aufgenommen. 2. Sie mussten Waisen sein. 3. Es durften keine Verwandten im Palast beschäftigt sein. Hier wäre der Vorwurf erlaubt, dass diese drei Bedingungen typische Elemente einer Utopie sind. Loslösung von der eigenen Identität, um einen Prototyp eines idealen (Menschen) Beamten zu bekommen, aber mit einem eklatanten Unterschied, der Mensch sollte nicht verändert werden, sondern lediglich nach seinen Begabungen gefördert werden. Gewiss mit dem Wissen, dass, da sie Waisen waren, ihre Abhängigkeit höher wäre und dies die Bindung zum Staat stärke. Das ist womöglich einer der Gründe, warum dieser Staat unterging. Eines der Stabilitätsmerkmale des Osmanischen Staates war, dass er Rahmenbedingungen vorgab, in denen man sich bewegen konnte. Mit Blick auf das Konfliktpotenzial kultureller und religiöser Art nach dem kalten Krieg, wird der Osmanische Staat mit seinem Millet-System oft als Beispiel für ausgleichende Politik empfohlen. Die wichtigste These der Vertreter des „Kampfes der Kulturen“ lautet: „ Es ist möglich, Konflikte zwischen Zivilisationen auszubalancieren.“ Tatsächlich gab es in der osmanischen Geschichte keine Konflikte zwischen den Glaubensgemeinschaften. Auch gab der Osmanische Staat den religiösen Konfessionen eingeschränkt eine eigene Gerichtsbarkeit, die sogenannten Dhimmi, dennoch bemühten sie, insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert, die muslimischen Gerichte. Auch die Sumpfte-Ordnung des Osmanischen Staates (Lonca) ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie der Einzelne seine individuellen Rechte bewahren und schützen konnte. Es gab im Osmanischen Staat 248 Sumpfte, darunter waren auch die Bettler, die der Sumpfte-Ordnung angehörten. Das wäre ein klassisches Beispiel, wie der Osmanische Staat versuchte, durch Einbindung in Strukturen Ordnung zu gewährleisten. Sie waren ebenfalls steuerpflichtig wie jede andere Sumpft auch. Die Sumpfte bildeten ein Gremium bestehend aus dem Ältestenrat und den Meistern der Sumpfte, sie nahmen unter anderem auch die Lehrlingsprüfungen ab, unabhängig von Betrieb und Meister des Lehrlings. Sie stellten ein wichtiges Sprachrohr der Gesellschaft dar, eine Aufgabe, die sie auch gegenüber dem Staat wahrnahmen. Sie hatten ihr eigenes Strafregister, sie gaben den Standard vor und prüften die Qualität. 77 Berichte der BewohnerInnen Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 78 Studentenwerk Berlin Der Osmanische Staat schaffte Strukturen gemäß den Eigenarten des zu Strukturierenden, immer sticht der Einzelne aus der Menge heraus durch seine Begabung und Fertigkeit und schafft, z. B. im Handwerk, eine neue Zielvorgabe. ISB-Reise in Raum und Zeit: Breslau – Krakau – Auschwitz Manuela Ebel und Dorota Cygan Bevor alles beginnt, muss es einen Anlauf nehmen. Am besten einen langen, damit das stufenweise Heranführen an die fremde Wirklichkeit eine maximale Vorfreude bedeutet. Ja, es war diesmal eine lange Vorfreude, lang genug, um ins philosophische Grübeln zu kommen. Der IC Berlin-Breslau-Krakau bildet nicht nur eine räumliche Verbindung zwischen zwei Ländern, sondern hat auch eine zeitliche Dimension: Dieses Vehikel führt uns dank seiner stolz zur Schau gestellten Unmodernität in die weit zurück liegende Vergangenheit. Der Zug ist ein wunderbares Relikt des Alten. Mittlerweile herrscht sonst unter den Touristen bereits der Eindruck vor, in Polen sei alles „so normal“. Fast vermissen sie die einstige Exotik des Rückständigen, die Romantik des Abgelegenen und den Stillstand des Provinziellen. Ein deutscher Professor meinte vor wenigen Jahren, er finde den in Polen spielenden Roman Die Welt hinter Dukla von Andrzej Stasiuk so schön, weil darin „so wunderbar absolut nichts passiert“ (Liebhaber solcher Prosa dürfen diese Stelle als Einladung zur Lektüre oder als verkappte Werbung ansehen und das Buch sofort bei Amazon bestellen, bitte sehr). So passierte auch während unserer Bahnfahrt nach Breslau „so herrlich nichts“ – zu sehen war aus dem Fenster stundenlang meist eine den Geist der Stadtneurotiker gesund machende Ödnis. Ob für die ISB-ler diese Bahnfahrt den besagten Charme hatte oder nur beschwerlich war, kann man aus Gründen der politischen Korrektheit kaum direkt erfragen. Für eine der Reiseleiterinnen, eine gebürtige Polin des Jahrgangs 19XX (mhm, das will eigentlich niemand so genau wissen) war diese Fahrt in einem ungarischen Großraumwagen aus der direkten Nachwendezeit ein metaphorischer Trip in die Vergangenheit und in sich. Den Zwängen des Alltags unterworfen und beruflich ständig im ICE unterwegs, verdrängt sie sonst leicht, dass ihr eigenes Lebenstempo mehr mit diesem Tukku-Tukku-Zug zu tun hat als mit der rekorderprobten Deutschen Bahn. Dass der Tempostress des Alltags eine ungeheure Zumutung ist, leuchtet sofort jedem ein, der in diesem Zug in den Schlaf gewiegt wird. Von der Bannkraft der Langsamkeit angezogen, möchte man spontan öfters mal auf diese Weise „aus der Zeit“ herausfallen: Monotones Knattern des Wagens, vom leichten Wind gestreichelte Gräser 79 Berichte der Gäste Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 80 Studentenwerk Berlin draußen und die statische Sonne über einer reglosen Landschaft – was braucht man mehr, um Ruhe zu spüren? Die Teilnehmer der ISB-Exkursion schienen diese Ansicht zu teilen, jedenfalls beschwerten sie sich nicht laut. Dass solche Erlebnisse aber auch Anlass geben können zum abendfüllenden Unterhaltungsprogramm mit satirischer Zuspitzung, kann man sich überzeugen, wenn man sich Steffen Möllers Gastauftritt Berlin-WarschauExpress im Kabaretttheater Wühlmäuse anschaut. (Auch hier handelt es sich um eine Werbeinfo – denn Wühlmäuse sind lediglich 1 Minute Fußweg vom ISB entfernt – gehen Sie hin!). Breslau stellte sich den beiden Reiseleiterinnen nach fünf Stunden Bahnfahrt jeweils anders dar. Während sich Manuela sichtbar freute, dass der Service stimmte, die Menschen ihre Arbeit professionell machten, die Häuserfassaden eine recht schöne Kulisse boten und die Kneipen einladend wirkten, klärte Dorotas kritischer Blick hinter die Fassade auf, dass der polnische Boom teuer erkauft ist: Menschen hier haben jeweils drei Jobs und sind für diese überqualifiziert, weil die Hochschulen zu viele Absolventen ausspucken, für die es keine sinnvolle Beschäftigung auf höherem Niveau gibt, also nehmen sie aus Mangel an Alternativen unspektakuläre Jobangebote an, um als Traditionalisten und Familienmenschen über Jahrzehnte ihre Eigenheime finanzieren zu können. Denn – und das sieht man auch als Außenstehender – gebaut wird sehr viel, sowohl in privater als auch in öffentlicher Trägerschaft. Von der ominösen Euro-Krise ist folglich weder in Breslau noch in Krakau etwas zu spüren. Und im Allgemeinen hat man nicht im mindesten den Eindruck, dass alles bergab geht. Die Straßen sind voll von jungen Menschen, die viel Lebensenergie und frischen Wind einbringen. Anders als in Berlin sind es allerdings keine Spanier oder Italiener auf der Flucht vor der Arbeitslosigkeit in der Heimat, sondern junge Einwohner des ethnisch weitgehend homogenen Landes, das die einmalige Gunst der Stunde nutzt, um langjährige Versäumnisse struktureller oder finanzieller Art aufzuarbeiten und die EU-Finanzinstrumente für sich arbeiten zu lassen. Mit einigem Erfolg, muss man ohne Neid zugeben. Und auch bei zunehmender Anerkennung der Nachbarländer, deren Blicke auf die Wirtschaftsdaten gerichtet sind. Die Floskel von der „Polnischen Wirtschaft“ 81 Berichte der Gäste Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin verliert zur allgemeinen Erleichterung an Wirkungskraft und gehört bald in die Ablage der Geschichte. Ein ähnliches Bild wie Breslau bot anschließend auch Krakau: Eine stolze Kulturstadt, gleichzeitig ein Ort zum Verweilen, Flanieren und Schlemmen – ein Stück Polen ohne Minderwertigkeitskomplexe, eben „irgendwie normal“ , fast würde man sagen „langweilig-normal“, weil europäischoffen, mit ausgeprägter Kneipenkultur und aufregendem Kulturangebot, eine Stadt ohne die interessante Exotik des Disfunktionalen und Hinterweltlerischen. Wo steht Polen eigentlich im Augenblick? Gleicherweise im Hier und Jetzt, auch wenn die verzwickte Geschichte des Landes mit all den Systemwechseln und historischen Pannen stets anwesend ist – in Gemäuern, in narrativen Strukturen von der Art wie „vor der Wende“ versus „nach der Wende“ oder „vor 1939“ versus „nach 1945“. So überwiegt hierzulande das geschäftliche Treiben eines auf EM-Vorbereitungen fixierten Gastlandes, das dieses Event als Prüfstein der eigenen Effizienz und Organisationsfähigkeit ansieht. Heute, im September, wissen wir längst, dass alles gut gelaufen ist und Polen diese Prüfung gut bestanden hat, ohne dass die befürchteten Ausschreitungen der Hooligans dieses große Medienereignis gestört hätten. Die leidvolle Geschichte sowie die beschämende, teilweise den widrigen historischen Umständen verschuldete Rückständigkeit sind passé. Selbst den Besuch in Auschwitz kann man als Teilnehmer aus Deutschland überstehen, ohne dass einem ein bitterer Beigeschmack einer allzu aufdringlichen, pädagogischen Geschichtsaufklärung in die eigene, persönliche Auseinandersetzung mit der NS-Zeit störend hineinspielt. Denn aus Deutschland kommend ist man als Reiseleiter immer etwas mehr betroffen, als wenn man von woanders her kommt. Exkursionen wie diese zeigen einmal mehr, dass es weit weniger Klippen zu umschiffen gilt als man es annimmt. Glücklicherweise ist das für die ISB-Reiseleitung keine ganz neue Erkenntnis. Wir beiden freuen uns sehr, diese Wahrheit auch den nächsten ISB-Jahrgängen künftig vermitteln zu können. Impressionen eines Jahres 82 Studentenwerk Berlin Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Berichte der Gäste Das Inferno von Eisenhüttenstadt Eugen Zentner Wer den Bahnhof von Eisenhüttenstadt verlässt, versteht nicht sofort, was mit ihm passiert. Die Atmosphäre ist „schwer“ von provinzieller Luft und ruft ein Gefühl der Verlassenheit hervor. Im grauen Dunst sind in der Ferne Gebäude zu sehen, ein paar Menschen laufen zielstrebig auseinander, der eine nimmt den Bus, andere werden abgeholt. Ansonsten bleibt es recht ruhig, kein Lärm, kein reger Menschenverkehr. Auch vom Bahnhof hört man keinen Ton mehr. Die Züge haben wieder Fahrt aufgenommen, die Passagiere sind aus- und eingestiegen. Ansonsten gibt es auch keinen Grund, am Bahnhof zu bleiben. Wer sich mit einem Brötchen stärken will, muss einen anderen Ort aufsuchen. Vergeblich ist auch die Suche nach Kaffee, den man sich schon selber mitbringen muss. Das gilt auch für Reisende, die den Bahnhof mit der Hoffnung betreten, schnell noch eine Zuglektüre kaufen zu können. Nein, mit all dem kann der Bahnhof von Eisenhüttenstadt nicht aufwarten. Folglich spricht nicht viel dafür, hier unnötig viel Zeit zu verbringen. Die brandenburgische Industriemetropole an der polnischen Grenze wirkt auf den ersten Blick verschlafen. Das 83 ist so richtig wie falsch, denn während Touristen wie wir sensationslüstern nach Unterhaltung verlangen und etwas geboten bekommen wollen, schuften die Nachfahren des einstigen DDR-Proletariats hart für ihren Lebensunterhalt. Vor nun mehr als vier Stunden hat im Hüttenwerk, dem größten Arbeitgeber der Stadt, die Frühschicht begonnen. Um Punkt sechs Uhr wurden Kollegen abgelöst, die in der Nacht dafür Sorge zu tragen hatten, dass mittels moderner Industriealchemie aus Eisenerz feiner, sich formender Stahl wird. Nun ist es Aufgabe des Frühschichtpersonals, den Produktionsprozess am Laufen zu halten, bis am späten Abend die nächste Ablösung kommt. Der Bahnhof mag schlafen, das Hüttenwerk tut es nicht. Die schläfrige Atmosphäre, die sich dem touristischen Besucher zunächst aufdrängt, ist also nichts anderes als Lug und Trug, ist tückische Täuschung und Verzerrung der Realität, eine optische List und Verkehrung der Tatsachen. Man könnte glauben, der geschichtsträchtige Ort inhaliert noch immer die Luft aus Zeiten, in denen SED-Schergen aus ideologischer Verblendung das Volk zum Narren hielten und das Land auf fatale Weise herun- 84 Studentenwerk Berlin terwirtschafteten. Dafür legt nicht nur der kleine unwirtliche Bahnhof Zeugnis ab. Auch die Straßen, durch die wir in das Hüttenwerk gebracht werden, erinnern mit jedem Meter, den wir an leer stehenden, sanierungsbedürftigen, ja völlig zerstörten Häusern vorbeifahren, an den Kalten Krieg, die Planwirtschaft und die Rückständigkeit der neuen Bundesländer, für die sie, die Planwirtschaft, letztendlich verantwortlich ist. Man bekommt nicht gerade den Eindruck, dass zu Hochzeiten des DDR-Sozialismus viel Wert auf Planung gelegt wurde, wenn man sich die Geschichte des Hüttenwerks im Schnelldurchlauf anhört. Genau das tun wir, als wir das Hüttenwerk betreten. Herr Müller und Herr Schulz, zwei ehemalige Mitarbeiter, die im Hüttenwerk mehr als 40 Jahre gearbeitet haben, sind nämlich mit der Unternehmensgeschichte bestens vertraut und wollen sie auch für uns zum Besten geben. Wir werden in einen extra für Besucher vorbereiteten Raum gebracht, der an Seminare an der Uni erinnert. Der Tag hat erst begonnen, die Sonne kommt allmählich zum Vorschein. Alle sind guter Laune, das Hüttenwerk ist nur die erste Attraktion, mittags folgt ein Stadtrundgang, dann ein Besuch des Dokumentationszentrums. Herr Müller, ebenfalls gut gelaunt, begrüßt alle freundlich und gibt ein paar einleitende Worte von sich. Sein Kollege Herr Schulz, der hinter uns am anderen Ende des Raumes sitzt, ist mit der Aufgabe betraut worden, zu assistieren und den einen oder anderen Terminus technicus anhand einer Karte verständlich zu machen. Und damit keiner Zweifel hinsichtlich der Fachkompetenz der beiden hat, erinnert Herr Müller an die lange Zeit, die beide im Dienste des Hüttenwerks standen. „Es ist also etwas da“, sagt er verschmitzt und fängt mit seinem nicht uninteressanten Vortrag an. Die Geschichte des Hüttenwerks ist schnell erzählt: Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Deutschland in vier Besatzungszonen geteilt. Mit der Teilung entstehen aber auch zwei deutsche Staaten, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik, die von Väterchen Stalin zu einem sozialistischen Staat geformt wird. Die sowjetische Besatzungszone, die die DDR anfangs noch ist, hat jedoch ein Problem: Die Filetstücke der Industrialisierung kommen den westlichen Besatzungsmächten zu, während das von der Sowjetmacht eroberte Gebiet keine nennenswerten Produktionsstätten hat, um der Volkswirtschaft mit Stahlerzeugnissen zum Aufschwung zu verhelfen. Also entschließt man sich 1950 auf dem dritten Parteitag der SED, unweit vom Fürstenberg an der Oder ein Eisenhüttenkombinat aus dem Boden zu stampfen. Um dieses herum, so der Plan, soll schließlich eine Wohnstatt entstehen, damit das Proletariat es nicht weit zur Arbeit hat. Im sozialistischen Eifer wird sofort mit der Umsetzung dieses Beschlusses begonnen. Das Gebiet an der polnischen Grenze ist stark bewaldet, sodass zunächst Rodungen dem Hüttenwerk den Weg ebnen sollen. Dann wird schließlich der erste Hochofen errichtet und 1951 bringt man die Industriemaschinerie mit großen Erwartungen endlich in Gang. So weit, so gut. Spektakulär war es nicht, was uns die Eisenhüttenstadt bis jetzt geboten hat. Doch das ändert sich schlagartig, als Herr Müller uns Laien erklärt, wie der Produktionsprozess im Detail aussieht. Im Detail sitzt aber auch der Teufel, oder besser in dem, was im Hüttenwerk von 1951 bis 1997 fabriziert wird. Denn am Beispiel des Hüttenwerks wird überdeutlich, dass die sozialistische Planwirtschaft in der DDR gar nicht so planerisch war. Das zu verstehen, ist gar nicht so schwer, wenn man weiß, in welchem Ablauf Stahl eigentlich hergestellt wird und wie es in der DDR-Zeit gemacht wurde. Wir wissen es noch nicht, doch Herr Müller, der zunehmend auf Touren kommt, klärt uns gerne auf. Und plötzlich wird aus anfänglicher Tristesse aberwitzige Unterhaltung. Um aus Eisenerz feinen Stahl herzustellen, muss der Produktionsprozess vier enorm wichtige Stationen durchlaufen. Zunächst wird in den Hochöfen das Eisenerz durch extreme Hitze von nicht eisenhaltigem Gestein befreit, um Eisen in Reinform zu erhalten. Im Folgeschritt muss das Eisen zu Stahl verarbeitet werden. Es versteht sich von selbst, dass man hierfür ein Stahlwerk benötigt. „Damit kein Missverständnis entsteht“, sagt Herr Müller alarmierend, „der hergestellte Stahl ist noch lange nicht der am Ende benötigte Feinstahl!“ „Ach nein“, wundern wir uns und blicken Herr Müller erwartungsvoll an. „Nein, um Flachstahl zu erhalten, muss der Stahl auf einem Warmbreitband erst flach gewalzt werden. Also wird ein Warmwalzwerk benötigt, damit man Warmbreitbänder überhaupt produzieren kann. Das Warmwalzwerk ist also die dritte Station im Produktionsprozess“, sagt Herr Müller, während sich Herr Schulz am anderen Ende des Raumes mittels plastischer Vereinfachung des Informationsflusses um unsere Aufmerksamkeit bemüht. „Das ist aber noch nicht alles“, erklärt Herr Müller schließlich und erläutert uns noch den letzten Akt in dem Produktionsdrama von Eisenhüttenstadt. Erst nachdem das Warmbreitband plattgewalzt worden ist, kommt das Werkstück in das Kaltwalzwerk, das gleichsam die Endstation der Eisen-Stahl-Rundfahrt darstellt. Hier wird der Flachstahl so umgeformt, wie es für die Herstellung eines Produkts notwendig ist. Aus Herr Müllers Mund hört sich der ganze Prozess ziemlich logisch an: Das Werkstück passiert zunächst den Hochofen, wird in das Stahlwerk trans- portiert, gelangt von dort aus in das Warmwalzwerk und beendet seinen Transformationsprozess schließlich im Kaltwalzwerk. Nun ist es aber so, dass die Planwirtschaft der ehemaligen sozialistischen DDR für logische Zusammenhänge nichts übrig hatte. Anders kann man sich nämlich nicht erklären, warum in der damals wichtigsten Stahl-Produktionsstätte des Landes entgegen der Reihenfolge des Produktionsprozesses in den 50ern die Hochöfen, in den 60er-Jahren erst das Kaltwalzwerk, in den 80ern dann das Stahlwerk und erst 1997 das Warmwalzwerk gebaut werden. Ratlos ist auch Frau Ebel und fragt bei Herr Müller nach, ob sie das richtig verstanden hat. „Für Außenstehende hört sich das merkwürdig an“, gibt Herr Müller zu. Das kann man wohl sagen. Nicht mehr merkwürdig, sondern völlig abstrus wirkt die ganze Sache schließlich, als Herr Müller erklärt, dass der vorher in dem Hüttenwerk produzierte Stahl in die Sowjetunion transportiert werden musste, um ihn nach einem Durchlauf im sowjetischen Warmwalzwerk erneut in Zugwagons zurückzubekommen. Im Raum macht sich Erstaunen und völlige Unverständnis breit. Frau Ebel versucht weiterhin der enormen Sinnlosigkeit, die darin steckt, Nachdruck zu verleihen und bekommt Hilfe von den sie begleitenden Studenten, deren Fragen sich häufen. „Damals war das wahrscheinlich die beste Option, es so zu machen“, versucht sich Herr Müller zu rechtfertigen. „Viele schlaue Männer wurden damals beordert und sie rechneten alle Möglichkeiten durch. Sie grübelten und grübelten, bis man sich für diese Möglichkeit entschieden hat.“ Und um unserer Verblüffung eine weitere Steigerung zu geben, erklärt Herr Müller, dass das Hüttenwerk aufgrund dieser Anti-Logik bis zum Jahr 1997 rote Zahlen schrieb. „Erst dann“, also sieben Jahre nach der Wende, „konnten endlich Gewinne eingefahren werden.“ 85 Berichte der Gäste Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 86 Studentenwerk Berlin Jetzt fällt es uns wie Schuppen von den Augen und wir verstehen, warum der Sozialismus und die Planwirtschaft nicht funktionierten, ja geradezu mit Sicherheit scheitern mussten. Na immerhin, wir sind jetzt um eine Erkenntnis reicher. Der Besuch hat sich gelohnt, auch wenn der anschließende Durchgang durch das Warmwalzwerk einem mehrstündigen Saunagang in Klamotten gleicht. Alle schwitzen, röcheln und stöhnen. Das wird auch die Hauptbeschäftigung für die nächsten sechs Stunden bleiben, denn gegen Mittag verwandelt sich die ganze Stadt in ein Warmwalzwerk. Was danach als Informationen über die Stadt, ihrer Architektur, ihren Menschen, deren Gewohnheiten, Liebreize und Verschrobenheit durchsickert, kann beim besten Willen nicht aufgenommen werden. Zu nah baumelt die Sonne über unseren Köpfen und rötet unsere in dem Warmwalzwerk ohnehin überstrapazierten Glieder. Wir hören noch, dass die Bäckerei „Dreißig“ als lokaler Großkapitalist die armen Eisenhüttenstädter seit Jahren jeden Tag die gleichen Brötchen essen lässt, dass das eine oder andere Haus heute unbezahlbar ist, dass hier früher mal Autos nach Bestellung gestohlen wurde, aber all das interessiert uns nicht mehr. Wir wollen bloß der Sonne entkommen, die Hitze endlich abschütteln, wir wollen nach Hause, bald, jetzt, sofort. Auch der abschließende Besuch im Dokumentationszentrum, wo man ein Bild von der Alltagskultur der DDR bekommt, bleibt letztendlich ohne Eindruck. Zu stark hat sich das Hüttenwerk in unsere Gefühlswelt eingebrannt, zu deutlich hat es seine Dominanz in der Stadt demonstriert. Es war, ist und bleibt das Wahrzeichen der Stadt. Jeder, der die ehemalige Stalinstadt besucht, wird vom Hüttenwerk vereinnahmt. Das ist auch gut so, denn ansonsten besteht vermutlich wirklich die Gefahr, kurzerhand einzunicken. Zum Schlafen aber eignen sich andere Städte besser. Polen in Berlin. Von Radziwiłł bis Kowalski. Ewa Maria Slaska Seit 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts (Beginn der Teilung Polens) kamen die Polen nach Berlin. Der erste historisch vermerkte Pole in der deutschen Hauptstadt war Teofil Lubieniecki, dem ein hoher Amt auf dem Hof vom König Friedrich I. zuteil wurde. Nach ihm kamen andere polnische Adligen, darunter Anton Rdziwiłł, ein Komponist, der 20 Jahre lang die Musik zu „Faust“ verfasst und Nichte des Königs, Luise Hohenzollern, geheiratet hat. Sein Palast in der heutigen Wilhelmstraße wurde in Bismarckzeit Reichskanzlei und somit auch später die Kanzlei, wo Hitler residiert hat. Ein anderer, Antonius Graf von Raczynski, Kunstmäzen und -historiker, bewahrte seine Kunstsammlung in einem Palast, der ihm die Regierung Bismarcks abgekauft hat, um auf dieser Stelle den Reichstag zu errichten. In der königlichen Zeit sind mehrere Militärschulen für polnische Jugend entstanden - so entstanden die Regimenter der Ulanen, die zwar ein Teil der preußischen Armee waren, aber mit polnischen Uniformen ausgestattet wurden. Gleich danach begannen aus allen Teilen Polens nach Berlin junge Menschen zu kommen, um hier zu studieren. Auch die ersten Arbeiter sind gekommen, allerdings waren sie zuerst als Feldarbeiter in den Dörfer um Berlin herum tätig und nicht in der Stadt selber. Als 1870 Berlin Reichshauptstadt wurde und einen enormen Bau- und Industrialisierungsboom erlebte, kamen die Polen massenweiße, um hier als Aushilfekräfte zu arbeiten. Die Hauptzeit dieser Bewegung, die übrigens keine Immigration war, sondern eine Binnenbewegung, weil Großpolen, Pommern, Schlesien die Teile des Reichs waren, fällt auf Jahre 1870-1900. Die Polen bauten Tausende von Mietskaseren, aber auch den Reichstag und die SBahn-Linien und gruben den Teltower Kanal aus. Die Polen standen zu ihrer Religion (sie waren Katholiker), Kultur und Sprache, gründeten polnische Vereine, bauten polnische Schulen und Kirchen auf. Es war eine Minderheit, die zwar sehr gut integriert war, aber trotzdem sehr sichtbar. Auf dem Kaiserhof gab es mehrere polnische Hofmaler, darunter Wojciech Kossak, der sich im Verfassen von Schlachtbildern spezialisierte und Julian Fałat, vor allem als Jagd- und Landschaftsmaler berühmt. 87 Berichte der Gäste Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 88 Studentenwerk Berlin Zu Ende des I Weltkriegs (1918) verminderte sich die offiziell berechnete Zahl der Polen in Berlin, z.T., weil die Polen zurück nach Polen gingen, im größten Teil aber, weil sie sich eingedeutscht haben. Was geblieben ist, sind die Namen. Bis heute hat mindestens jeder 10er Berliner einen polnischen Namen. Die relativ kleine Gruppe der Berliner Polen war jedoch gut organisiert – bis September 1939 gab es in Berlin polnische Schulen, Kirchen, Banken, Sport- und Kulturvereine. Die neue Welle der Zuwanderer aus Polen kam nach Berlin zum Beginn des II Weltkriegs. Sie wurden hier in Hunderttausenden zugeschleppt, damit sie als Zwangsarbeiter die fehlenden deutschen Arbeitskräfte ersetzen. Dazu kamen natürlich politische Gefangenen und am Ende des Krieges, als es um Berlin gekämpft wurde, auch Soldaten aus der polnischen Armee, die ein Teil der sowjetischen Armee war. Von all diesen Gruppen sind nach dem Ende des Krieges viele zurück nach Polen gegangen, viele aber, die gemeinsamen Namen displaced persons erhielten, blieben in Berlin. Sie standen aber nicht zu ihrer polnischen Identität und die polnische Minderheit in Berlin ist beinahe verschwunden. Erst 1980 kam nach Berlin eine neue Zuwandererwelle – die sog. Solidarnosz-Flüchtlinge. Das sind diese Polen, die man heute in Berlin sieht. Sie begannen vor 30 Jahren ganz unten – die Männer arbeiteten illegal auf den Baustellen, Frauen als Putzfrauen. Im Laufe der letzten 30 Jahren hat sich diese Gruppe einerseits aus der Randposition herausgearbeitet und zugleich sehr gut integriert. Genauso wie vor 100 Jahren – sind Polen im heutigen Berlin eine gut geprägte Minderheit, die man sieht, die jedoch keinerlei Probleme verursacht. Wie der Thilo von Sarrazin sagte: eine Mustergruppe der Immigranten. Ob uns diese Meinung von einem Mann, der sich kompromittierte, schmeichelt, ist dahin gestellt. Aber Recht hatte er. Wir sind Polen und wir sind super gut integriert. Somit sind wir Berliner geworden. Der Strand in Cuxhaven Juli 2012 (aus dem spanischen Buch „Tu alma en la orilla“, Ignacio Lloret) Ignacio lloret Nun haben wir uns in einen Strandkorb gesetzt, in eine Kabine, in der man sich sonnen kann, ohne vom Wind gestört zu werden. Unserer ist blau, aber es gibt sie in verschiedenen Farben, sie sind wie auf dem Sand liegengebliebene Autos. Einige Körbe sind privat, andere sind zu vermieten, wir haben unseren für den ganzen Nachmittag gebucht. Letizia lacht und sagt mir, dass sie sich fühlt wie in einem Autoskooter, wenn die Hupe ertönt und schlagartig alle Autos mitten auf der Strecke stehen bleiben. Auf einer Seite sehen wir das offene Meer und auf der anderen ist die Biegung, wo die Elbe einmündet. Dort fahren die Schiffe hinein und die Tanker heraus, die mit vollen Containern von Hamburg kommen. Auf dieser Flussstrecke müssen sie zwischen Bojen fahren, ausserhalb ist der Wasserpegel nicht hoch genug und sie könnten sich festsetzen. Die Landregierung will das Flussbett ausbaggern, damit grö ere Kreuzfahrtschiffe kommen können, doch die Grünen warnen vor einer ökologischen Katastrophe. Manchmal lesen wir solche Nachrichten und schweigen, ohne sie ganz zu verstehen. Wir hören den Begriff „ökologisches Desaster“ und trauen uns nicht zu fragen, worum es geht. Eigentlich sollten wir uns für diesen Belang interessieren, bis wir verstehen, dass ein Ausbaggern die Pflanzen zerstört, die ganz unten im Fluss leben, dass diese das Futter der Fische sind, dass die Fische ohne sie sterben würden. Es klingt erst einmal nicht schlimm, den Fluss zu erweitern, wenn er nicht aus diesem Grund zu einer leblosen Grube werden würde. Das ist die Botschaft, die wir empfangen sollten. „Du lenkst vom Thema ab“ – wirft Letizia mir vor -. „Du sollst über uns schreiben“. „Es ist aber auch wichtig, den Ort zu beschreiben“ – antworte ich. Cuxhaven ist eine deutsche Stadt an der Nordsee, einer der wenigen Zugänge Niedersachsens zum Meer. Heutzutage ist es ein ruhiger Ort, aber es gab eine Zeit, in der die Auswanderer von hier aus nach Amerika zogen. Nach dem Krieg und bevor die deutsche Wirtschaft sich erholte, kamen viele Leute mit dem Zug hierher und bestiegen Schiffe in diesem Hafen, um eine bessere Zukunft zu haben. Bis in die Sechziger Jahre hinein fuhr jede Woche ein Schiff ab, am Kai winkten viele mit Tüchern. Und da die meisten niemals zurückkehrten, müssen diese Abschiede ziemlich traurig gewesen sein. 89 Lyrik & Prosa Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 90 Studentenwerk Berlin Wir haben eine Fotoausstellung und einen Film über diese Reisen gesehen. Wir haben Koffer, Stöcke, Schnurrbärte gesehen, lange Frauenkleider und Männer, die seit einem halben Jahrhundert tot sind. Beim Betrachten der Fotos habe ich gedacht, dass während der letzten Kriegsjahre, kurz bevor diese Fahrten begannen, die Alliierten ähnliche Kreuzfahrtschiffe zerstörten, an Bord Zivilisten, die vom Festland flüchteten. Günter Grass hat vor ein paar Jahren ein Buch über dieses Drama geschrieben, in dem er den Untergang der Gustloff beschreibt. „Worauf wartest du?“ – sagt Letizia – „Ich dachte, wir sind hierher gekommen, um über uns zu reden“. „Und das mache ich gerade“. „Es scheint aber nicht so“. Von unserem steckengebliebenen Korb aus sieht man die Promenadenhäuser und die Straße auf der wir hierhergefahren sind. Wir sind die letzte Strecke an der Elbe entlanggefahren, den ausgeschilderten Weg, der von Hamburg kommt. Es sind hundertfünfzig Kilometer ohne Anhöhen, ein flacher Pfad, der parallel zum Deich verläuft. Zunächst haben wir in Blankenese mit der Fähre aufs linke Ufer übergesetzt. Dann sind wir durch das Alte Land geradelt, das ein riesiger Obstgarten ist. Es war so als wären wir durch einen Park gefahren, nur Rasen und Wiesen an beiden Wegrändern. Und dies ist auch ein Land der Pferde. Letizia wollte alle Tiere streicheln, denen wir begegnet sind. Sie lehnte das Fahrrad an einen Baum und umarmte jedes Pferd. Wenn wir später diese Fotos sehen, werden wir eine Sondersammlung, ein Sonderalbum haben. Ich traue mich nicht, die Viecher anzufassen, mich erschrecken diese hervorstehenden Zähne, die feste Gräser ausreissen können. Ich denke immer, dass der Umgang mit Tieren angeboren sein muss, er lässt sich nicht erlernen. Es freut mich, wenn Letizia zu einem Esel oder einer Kuh, einer Katze oder einem Hund kommt, wie sie sofort mit ihnen klarkommt. Es rührt mich nicht sonderlich, wenn sie mich umarmt, bei Tieren umsomehr, wenn sie sich ihnen nähert und ihnen nette Worte zuflüstert. „Ist es das, was du erwartest hast?“ – frage ich sie. „In etwa“, – antwortet sie- „aber ich will nicht, dass du mir nur zuschaust. Du sollst auch mitmachen“. Wenn niemand am Strand spazieren geht, bleiben wir völlig isoliert, die Korbwände schotten uns ab. Nun könnte es anfangen zu regnen, der Strand wäre leer und wir würden hier sitzen bis es wieder heiter wäre. Es könnte sein, dass jemand mal in so einem Korb nach einer einsamen bzw. lasterhaften Nacht gestorben ist und man erst viel später davon erfahren hat. Es sind Einrichtungen, die einen vor dem Wind schützen sollen, aber gleichzeitig trennen sie uns auch von der Umgebung. Wir werden zwei Tage an der Küste verbringen und dann mit der Bahn die gleiche Strecke fahren, die wir mit dem Fahrrad zurücklegten. Wir werden mehrere Kilometer auf dem Watt laufen, einer feuchten Fläche, die erst auftaucht, wenn die Ebbe kommt. Wir werden den Sand mit nackten Füßen treten und schnell zurückkehren müssen, damit das Meer uns nicht erwischt. Man wird uns sagen, dass man diesen Abschnitt auch mit einer Kutsche befährt, dass man bis zu einer Insel pilgert, aber es wird uns unglaubwürdig erscheinen, dass das Wasser so viel Zeit braucht, um zurückzukommen. Im Jahr 1962 überschwemmte das Meer die Küste. An der Elbe stieg der Wasserpegel und es kam zu Überflutungen in Hamburg. In wenigen Stunden stand die Stadt völlig unter Wasser und tausende Einwohner kamen ums Leben. Zu der Zeit war Helmut Schmidt Oberbürgermeister. Jahre später wurde er Bundeskanzler, teilweise dank seines Einsatzes bei der Naturkatastrophe. „Siehst du? Du zerstreust dich schon wieder“ – sagt Letizia – „Du kannst dich nicht auf das Wesentliche konzentrieren“. „Es geht aber um Ereignisse, die passiert sind“. „Und die nichts mit uns zu tun haben“. Umbral schreibt, dass die Liebe einen Inhalt haben muss. Ich frage mich, ob die Reisen diesen Inhalt darstellen können. Ich nehme an, dass ein Zeitpunkt kommt, wo die Beziehung einen Spielraum auswählt, ein beliebiges Umfeld aussucht und beginnt, von diesem Raum aus zu kämpfen. Und damit sie gedeiht, reichen die glücklichen Momente nicht aus, irgendwann einmal muss das Leiden auftauchen. Man kämpft um ein neues Haus, um ein schwieriges Kind oder darum, eine Krankheit zu besiegen, die zu lange dauert. Die Niederlagen sollten nie fehlen. Und wenn diese Gefechte entscheidend sind, ist es darauf zurückzuführen, dass sie unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Es ist oft so, dass unser Partner eine Gefühllosigkeit zeigt, die wir von ihm nicht erwartet haben, er blickt einfach woanders hin. Wir dachten, er würde sich vor dem Unglück fühlen wie wir, dass er gleichzeitig aufstehen würde, um es zu überwinden, aber seine Haltung enttäuscht uns. Normalerweise können wir mit dieser Person nicht mehr weiterleben, der Schmerz bringt uns auseinander. Wenn es aber mitten im Leid zu einer Eintracht kommt, findet diese Beziehung einen endgültigen Inhalt. Wir, Letizia und ich, wissen noch nicht, welche unsere Handlung sein wird. Wir werden sie nicht aussuchen können. Sie muss auch nicht unbedingt negativ sein. Es ist auch nicht sicher, dass sie kommt. Nun schaue ich auf ein anderes Schiff und denke, dass die von uns unternommenen Reisen uns nicht verbinden können, ihnen fehlt es an einem notwendigen Element. Stimmt. Wir werden an all diese Strände fahren, wir werden zusammen atmen, unsere Wunden zusammen heilen, aber das Wichtigste wird woanders geschehen. „Das hört sich schon viel besser an“ – sagt sie, als sie ihren Kopf an meine Schulter lehnt. „Eigentlich ist dir einerlei, was ich schreibe, solange es von dir und von mir handelt“. Dann schaut sie mich an und lächelt ohne etwas zu sagen. Ich blicke auch die schimmernden Wellen an, die sich erneut nach innen zurückziehen. Ich sehe den Korb und stelle mir einen winzigen Satelliten vor, in einem Raum, wo nur wir reinpassen. Ich stelle mir vor, dass wir nicht mehr leben, dass wir uns bei den Händen halten und mit geschlossenen Augen schweben. Wir fliegen nirgendwo hin, wir bleiben schwebend in der Luft, so dass sich nur die Landschaften im Hintergrund ändern. Zuerst sieht man Berge und Flächen, aber auch riesige Wiesen mit glänzenden Bäumen. Ich wei , dass das Bild traurig erscheinen kann und dennoch ist es eine fröhliche Erinnerung. Wir sind nie so glücklich und gleichzeitig so tot gewesen. 91 Lyrik & Prosa Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin Impressionen eines Jahres 92 Studentenwerk Berlin Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 93 Impressionen eines Jahres 94 Studentenwerk Berlin Jahrbuch 2011/12 des Internationalen Studienzentrums Berlin 95 96 Studentenwerk Berlin Anstalt des öffentlichen Rechts ISB-Jahrbuch 2011/12 Schriften zur Hochschulsozialpolitik Das Studienjahr 2011/12 im Internationalen Studienzentrum Berlin / Max Kade-Haus Herausgeber: Studentenwerk Berlin – Öffentlichkeitsarbeit – Hardenbergstraße 34, 10623 Berlin V.i.S.d.P.: Petra Mai-Hartung (Geschäftsführerin) Redaktion: Manuela Ebel | Studentenwerk Berlin Lektorat: Heike Herfart | Wortschliff Cover und Layout: Jürgen Morgenstern | Studentenwerk Berlin Fotos: Studentenwerk Berlin; Privat Druck: Format 1. Auage (2012) – 200 Stück Internationales Studienzentrum Berlin Max Kade-Haus Theodor-Heuss-Platz 5 . 14052 Berlin Fon: 030 – 93939 8330 und 8332 Fax: 030 – 93939 8331 isb@studentenwerk-berlin.de www.isb-bln.de www.isb-bln.de Der persönliche Zugang für Alumni zu Programm, Veröffentlichungen, Fotos und Kommilitonen: www.isb-bln.de/alumni