Helixförmiger Schaft dämpft... CITplus

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Helixförmiger Schaft dämpft... CITplus
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Verfahrens- und Chemieingenieure
Wirbelbrecher in der Strömung
Helixförmiger Schaft dämpft Schwingungsanregung bei Thermometer-Schutzrohren
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Mess-,
RegelteSteuer-,
Automachnik |
Antrieb tion |
stechni
k
Was haben eine Ölbohrplattform, ein Industrieschornstein und eine
­Autoantenne mit einem Thermometer-Schutzrohr gemeinsam? Auf den
ersten Blick nicht viel, vergleicht man Zweck und Abmessungen. Aber
der Grund für ihr physikalisches Versagen, sprich: einstürzen, abreißen
oder brechen, kann identisch sein: Schwingungen. Was sich in der
Offshore-Technologie, der Architektur und im Automobilbau bewährt hat,
um Schwingungsanregungen auf ein gefahrloses Maß zu reduzieren,
nutzt auch bei Schutzrohren: eine Helix.
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WIKA Alexander Wiegand SE & Co. KG
Alexander-Wiegand-Straße 30
63911 Klingenberg
Tel.: +49 9372 132-0 · info@wika.de
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Wirbelbrecher in der Strömung
Helixförmiger Schaft dämpft Schwingungsanregung bei Thermometer-Schutzrohren
Was haben eine Ölbohrplattform, ein Industrieschornstein und eine
­Autoantenne mit einem Thermometer-Schutzrohr gemeinsam? Auf den
ersten Blick nicht viel, v­ ergleicht man Zweck und Abmessungen. Aber
der Grund für ihr physikalisches Versagen, sprich: einstürzen, abreißen
oder brechen, kann identisch sein: Schwingungen. Was sich in der
Offshore-Technologie, der Architektur und im Automobilbau bewährt hat,
um Schwingungsanregungen auf ein gefahrloses Maß zu reduzieren,
Kai Grabenauer, Produkt Manager Elektrische Temperaturmess­
technik
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nutzt auch bei Schutzrohren: eine Helix.
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Abb 1.: Darstellung der Kármánsche Wirbelstraße hinter angeströmten Schutzrohr
Wird ein Körper umströmt wie die Autoantenne vom Fahrtwind, eine Offshore-Steigleitung
vom Meerwasser oder eben das Schutzrohr
vom Prozessmedium, entwickelt sich in Folge
die sogenannte Kármánsche Wirbelstraße. Bei
diesem Phänomen bilden sich bei bestimmten Strömungsbedingungen hinter einem Körper, z. B. einem Thermometer-Schutzrohr in
einer Rohrleitung, zwei Reihen von Wirbeln mit
entgegengesetztem Drehsinn aus. Die Wirbel
können sich phasenverschoben rechts und
links am Schutzrohr ablösen und dieses zur
Schwingung anregen, s. Abb.1. Ist die Ablösefrequenz der Wirbel gleich der Eigenfrequenz
des Schutzrohres, kann dies zum Resonanzfall führen: Bei unzureichender Widerstandsfähigkeit ist der Körper der wechselnden Biegebeanspruchung, die durch das Aufschwingen
entsteht, ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht
mehr gewachsen und versagt in Bereich der
Befestigung.
Neuer Standard nach Reaktor-Unfall
Techniker und Ingenieure arbeiten seit Mitte
des vergangenen Jahrhunderts an der Entwicklung von Berechnungsgrundlagen, um schwingungsbedingte Ausfälle von Schutzrohren zu
verhindern. Verstärkt wurden diese Bestrebungen durch den Unfall im japanischen Atomkraftwerk Monju im Jahr 1995. In dem Reaktor trat
eine große Menge Natrium durch ein Leck im
Kühlkreislauf aus, das durch einen von Turbulenzen verursachten Schutzrohrabriss entstanden war. Die 2010 von der American Society
of Mechanical Engineers (ASME) veröffentlichte
PTC 19.3 TW-2010 wurde als Reaktion auf den
Monju-Zwischenfall erstellt. Dieser „Performance Test Code“ gilt als international anerkannter
Standard, um die Stabilität von Schutzrohren
sowohl unter statischen als auch unter dynamischen Gesichtspunkten bei bestimmten Strömungsverhältnissen zu berechnen.
Abb 2.: Darstellung der Funktionsweise des ScrutonWell-Design
Beide Teile der Berechnung können mit
einem negativen Ergebnis enden. Soll das
Schutzrohr anschließend im Gültigkeitsbereich
der ASME PTC 19.3 TW2010 optimiert werden, lässt dieser Standard nur zwei Möglichkeiten zu: das Kürzen der freien Einbaulänge
oder das Verstärken des Schutzrohr-Durchmessers. Beide Alternativen weisen potenzielle Nachteile auf: Entweder ragt im Extremfall das Schutzrohr nicht mehr weit genug in
die Rohrleitung hinein, um dem Temperaturfühler ein qualifiziertes Messergebnis zu ermöglichen. Oder der größere Durchmesser
des Tauchschaftes beeinträchtigt durch seine
dicke Wandstärke die Ansprechzeit des Thermometers. Um aus einer solchen Situation herauszukommen, greifen Anlagenbetreiber und
Zulieferer weltweit häufig zu einer Abstützung
im Flanschstutzen mittels Anker. Damit geben
sie dem Schutzrohr zusätzlichen Halt und verringern auf diese Weise die freie Einbaulänge.
Diese Lösung liegt jedoch außerhalb des Gültigkeitsbereichs der PTC 19.3 TW-2010. Außerdem fordert ASME für ein solches Konstrukt
eine spielfreie Passung, den „interferrence fit“:
Da jeder Stützanker Übermaß besitzt, muss er
individuell in den Flanschstutzen eingepasst
werden; ein zeitintensives und damit teures
Vorgehen. Diese Methode verlangt ein äußerst
exaktes Arbeiten. Wenn z. B.nur einige Zehntelmillimeter zu viel Material vom Anker abgetragen werden, war der Aufwand vergebens, und
das Schutzrohr ist unbrauchbar.
Design folgt Scruton
Bei dieser Problematik können Anwender mittlerweile auf eine weitere Lösung zurückgreifen:
Wika hat Schutzrohre im ScrutonWell-Design
auf den Markt gebracht, die sich durch einen
helixförmigen Schaft auszeichnen. Die Bezeichnung ScrutonWell liefert einen Hinweis, auf
welchen Grundlagen das Schutzrohr-Design
beruht. Der englische Wissenschaftler Christopher Scruton untersuchte 1963 in London
die Stabilisierung von Gebäudestrukturen wie
Schornsteinen bezüglich der Schwingungsanregung durch Wirbelablösung. Nach ihm ist die
Scrutonzahl NSc benannt. Dieser Massedämpfungsparameter wird in der ASME PTC 19.3
TW-2010 zur Bewertung der dynamischen Berechnungsergebnisse verwendet.
Die konstruktionstechnische Folge von
Scrutons Forschung bestand darin, angeströmte zylindrische Körper mit einer Spirale zu
umwinden. Typische Beispiele dafür sind, wie
bereits erwähnt, Steigleitung und Auftriebskörper von Offshore-Bohrplattformen, metallene
Industrieschornsteine oder Autoantennen. Auf
das Schutzrohr übertragen bewirkt der „Scruton-Effekt“, dass die helixförmige Wendel die
Strömung des Prozessmediums bricht und in
verschiedene Richtungen ableitet. Auf diese
Weise entstehen die Wirbelablösungen nicht
mehr an der gleichen Stelle des Schutzrohrs
und zugleich werden deren Amplituden reduziert. Somit kann das Schutzrohr nicht mehr
in Schwingung versetzt werden. Die Ursache
der meisten Schutzrohrausfälle, der dynamische Schwingungsbruch, wird somit verhindert, siehe Abb. 2
Tests an der TU Freiberg
Wika hat die Wirksamkeit des neuen Schutzrohr-Designs wissenschaftlich untersuchen
lassen. In unabhängigen Laborversuchen prüfte das Institut für Mechanik und Fluiddynamik
der Technischen Universität Bergakademie
Freiberg das dynamische Schwingungsverhalten von Schutzrohrmodellen mit konventionellem Tauchschaft und mit ScrutonWell-Design im Strömungskanal. Die Modelle waren
aus Ersatzwerkstoffen mit genau definierten
Parametern gefertigt, um die Ergebnisse auf
gebräuchliche Edelstähle oder Sonderwerk-
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stoffe übertragen zu können. Die Tests im
Strömungskanal wurden auf zwei unterschiedliche Arten durchgeführt. Mit der Methode der
„backlit illumination“ untersuchten die Wissenschaftler die Schwingungsbewegungen des
Schutzrohres. Die genauen Strömungsverhältnisse des Fluids analysierten sie mit laserinduzierter Fluoreszenz.
Die Ergebnisse beider Methoden zusammengenommen belegen, dass das neue ScrutonWell-Design die Anregung zur Schwingung
um mehr als 90 % reduziert. Sie bestätigen
damit den Inhalt eines bei der ASME publizierten Fachartikels „Experimental Investigations of
the Efficiency of Round-Sectioned Helical Strakes in Suppressing Vortex Induced Vibrations“
der Norwegian University of Science and Technology. Die Universität hatte in umfangreichen
Untersuchungen eine Dämpfung der Schwingungsamplitude von 96 % in der Hauptresonanz quer zur Fließrichtung und 97 % in der InLine Resonanz in Fließrichtung nachgewiesen.
Das ScrutonWell-Design beugt zwar möglichen Schwingungen vor, bei der statischen Berechnung des Schutzrohrs gilt es allerdings zu
berücksichtigen, dass die Wendel den Durchmesser des angeströmten Schutzrohrquerschnitts vergrößern. Dadurch erhöht sich die
statische Biegelast am Übergang zum Prozessanschluss im Bereich des Wurzeldurchmessers. Auf die Druckbelastung der Wandstärke
des Schutzrohrs wirkt sich das neue Design jedoch nicht aus. Diese beiden statischen Belastungsparameter des Schutzrohrschafts können
auf Basis der ASME PTC 19.3 TW-2010 berechnet werden.
Zwei Fertigungsarten
Die Dimensionierung der Wendel im ScrutonWell-Design entspricht dem aktuellen Stand der
Technik, wie er in unterschiedlichsten Patenten,
Normen und Fachartikeln niedergelegt ist. So
beschreibt zum Beispiel die DIN EN 1993-3-2
eine dreigängige Scruton-Spirale mit einer Steigung des fünffachen Schutzrohr-Durchmessers
und einer Wendelabmessung von ca. 0,12 bis
0,15 des Durchmessers.
Thermometer-Schutzrohre in ScrutonWell-Ausführung werden aus einem Stück oder
mit aufgeschweißten Rundstäben gefertigt. Als
Prozessanschlüsse kommen bevorzugt Flansche zum Einsatz, das Design eignet sich aber
auch für Schutzrohre zum Einschrauben oder
Einschweißen. Installation und Demontage
sind ebenso schnell und unproblematisch wie
bei Standard-Schutzrohren.
Fazit
Dass Schutzrohre mit helixförmigen Schaft tatsächlich eine effektive Alternative zu Ausführungen mit Stützanker, verkürzter freier Einbaulänge oder verstärktem Durchmesser bilden, hat
sich wissenschaftlich bestätigt. Bei kritischen
Messstellen können Anwender damit einem
Kompromiss zwischen Stabilität und Anspruch
an die Temperaturmessung vermeiden. Bei
Betrachtung der Gesamtbetriebskosten stellen
ScrutonWell-Schutzrohre trotz eines höheren
Anschaffungspreises in Vergleich zum Standardmodell die beste Lösung dar, da aufwendige Montagearbeiten entfallen.
Achema
Halle D 11.1, Stand C3
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