2015-05-06 AD Wolf zu Befreiung am 8. Mai 1945 - CDU
Transcription
2015-05-06 AD Wolf zu Befreiung am 8. Mai 1945 - CDU
15. LANDTAG VON BADEN-WÜRTTEMBERG 128. Sitzung Mittwoch. 6. Mai 2015, 10:00 Uhr TOP 2 Aktuelle Debatte Die Befreiung am 8. Mai 1945 als europäische Geburtsstunde – Erinnerung, Verpflichtung, Aufgaben Rede von Guido Wolf MdL Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort. Guido Wolf MdL, CDU: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man einen Blick auf den Debattentitel wirft, mag man kurz stutzen, ob dies wirklich Thema einer Aktuellen Debatte sein kann, und kommt dann sofort zu dem Ergebnis: Dies ist eine Thematik, die aktueller ist denn je. Deshalb will ich mich bei der SPD-Fraktion ausdrücklich für die Benennung des Themas in dieser Aktuellen Debatte bedanken. Es gibt Momente einer gemeinsamen Verantwortung jenseits tagespolitischer Auseinandersetzungen. Dies ist ein solcher Moment. Es ist deshalb ein wichtiges und gutes Signal dieses Hauses, dass wir heute über alle Fraktionsgrenzen hinweg über dieses Thema diskutieren. Richard von Weizsäcker wurde heute von der Kollegin schon mehrfach erwähnt. Auch ich will ihn erwähnen und zitieren: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Von Weizsäcker hat mit dieser bedeutenden Rede vom 8. Mai 1985 einen wichtigen Beitrag für das Nachkriegsdeutschland geleistet und hat darin erstmals von einer Befreiung Deutschlands vom NS-Regime gesprochen, nicht aber von einer Befreiung aus der Verantwortung. Diesen Neustart hat er damit auch ins Licht des Leids gestellt, das für viele auch nach dem 8. Mai begonnen hat. Flucht, Vertreibung, Gefangenschaft hat viele Familienbiographien geprägt. Auch dieser Leiden gedenken wir. Geschichte, die uns zur Verantwortung veranlasst, Verantwortung für die Zukunft, wir müssen daran arbeiten, dass dies nicht nur eine Worthülse bleibt. Es bedeutet einerseits, sich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen, mit der Geschichte des National- sozialismus, der Konzentrationslager, der Verfolgung von Minderheiten, Andersdenkenden und mit der Geschichte des Holocaust. So sage ich klar: Es ist eine Schande, wenn vor jüdischen Einrichtungen in Deutschland Polizisten stehen müssen, um sie zu bewachen, und es ist eine Schande, wenn Andersdenkende oder anders aussehende Menschen Rassismus und Extremismus ausgesetzt sind. Hier heißt erinnern: Wehret den Anfängen. Das gilt für die Politik wie auch für jeden Einzelnen. Europa steht vor großen Herausforderungen. Vor dem Hintergrund der beiden Weltkriege, die inmitten Europas wüteten und benachbarte Staaten zu erbitterten Feinden machten, ist eine Geschichte umso beachtlicher: Aus verfeindeten Völkern wurden Freunde, die sich in einem historisch einmaligen Prozess zusammenschlossen, um eine gemeinsame friedvolle Zukunft aufzubauen. Bei dieser Fortschreibung eines geeinten Europas muss es uns darum gehen, auf die Befindlichkeiten der Menschen in heutiger Zeit Rücksicht zu nehmen, dieses Europa auch erlebbar zu machen für nachfolgende Generationen, es denen zu vermitteln, die es nur aus den Berichten anderer kennen. Bei der Fortschreibung der europäischen Idee sind wir gefordert wie wohl nie in der Geschichte der Europäischen Union. Finanz- und Wirtschaftskrisen mit all ihren vielfältigen Auswirkungen beuteln viele Mitgliedstaaten. Stimmen für eine Spaltung Europas gewinnen immer mehr Zulauf. Europa braucht Akzeptanz bei den Menschen in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung. Nicht alles, was in Europa ein Thema ist, ist auch ein Thema für Europa. Deshalb wollen wir gemeinsam diesen Tag nutzen, uns mit der Verantwortung für Europa auseinanderzusetzen. Ich sage, der 8. Mai soll uns auch im Gedächtnis bleiben mit Blick auf Krieg, Verfolgung, Vertreibung von Minderheiten, die keine Rechte haben. Das gibt es leider noch viel zu viel auf der Welt. Weltweit sind derzeit mehr als 50 Millionen Menschen auf der Flucht, eine Zahl, die so erstmals wieder seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht wurde. Deshalb appelliere ich auch an diese europäische Solidarität. Es darf nicht dabei bleiben, dass sich nur zehn von 28 Mitgliedstaaten an der Aufnahme von Menschen, die in ihrer Heimat um Leib und Leben befürchten, beteiligen. Da ist eine europäische Solidarität gefragt. Europa hat sich verändert, aber die Gründungsideen bleiben gleich. Es ist das Europa der Religionen, es ist das Europa der Regionen, wo wir Subsidiarität befördern müssen und starke Kommunen vor Ort brauchen, die ihre Probleme im Sinne der Menschen lösen, und es ist das Europa der Sprachen. Ich wünsche mir, dass wir in Baden-Württemberg, in Frankreich, in Rumänien, allüberall immer wieder hören und stolz sagen können: Ich bin ein Europäer. Herzlichen Dank. 2. Runde Guido Wolf MdL, CDU: Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch diese sogenannte zweite Runde hat sicherlich einen etwas anderen Charakter als die in sonst üblichen Aktuellen Debatten. In dieser Debatte geht es ja nicht darum, streitig aufeinander zu reagieren, sondern nochmals den spürbaren und wohltuenden Schulterschluss zu dokumentieren. Mir ist es noch wichtig – vielleicht ist das in der bisherigen Debatte noch etwas zu kurz gekommen –, an diejenigen, für die das Leiden an jenem 8. Mai erst seinen Ursprung genommen hat – an die Vertriebenen –, herzlichen Dank und Anerkennung für ihre großartige Aufbauleistung in unserem Land und für unser Land zu sagen. Sie sind zu ganz wichtigen Leistungsträgern geworden. Ich finde, das hat in dieser Debatte auch Wertschätzung und Dank verdient. Diesem Dank folgt ein Appell, der von verschiedenen Rednern bereits benannt wurde. Ich will ihn aber unterstreichen. Bei dieser Diskussion um Europa scheinen fiskalische Probleme im Vordergrund zu stehen – Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik. Natürlich berührt das die Menschen, natürlich treibt das die Menschen um. Wir dürfen diese Themen auch nicht tabuisieren. Aber es muss immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden, dass Europa mehr ist als Geld und Zinsen. Europa ist über Jahrzehnte zu einer Werte- und Friedensgemeinschaft geworden. Das ist Europa, und das muss immer wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Mit Blick auf das, was die Kollegin Haller-Haid soeben gesagt hat, wünsche ich mir auch diesen Schulterschluss aller demokratischen Parteien in diesem Haus. Ich will für meine Partei ausdrücklich zusagen: Diesen Schulterschluss gegen diejenigen, die sich veranlasst sehen, mit rechtsradikalen Parolen auf unsere Straßen zu ziehen oder sich im Netz zu bewegen – – Davon distanzieren wir uns, und gemeinschaftlich protestieren wir und wehren wir uns gegen solche radikalen Auswüchse. Das darf es in unserem Land BadenWürttemberg nicht geben. Dem Dank und dem Appell folgt die Hoffnung, dass diese wichtige Debatte hier keine Binnendiskussion bleibt, sondern dass es uns gelingt, das Ganze nach außen zu tragen, dass das, worin zwischen uns hier Einigkeit besteht, auch hinausgeht in die junge Generation, zu den Schülerinnen und Schülern, die heute hier diese Debatte zum Teil verfolgen können, dass die Schüleraustausche, die Städtepartnerschaften. Der Minister hat den europäischen Wettbewerb angesprochen. Manches scheint zur Routine zu werden, aber es ist notwendiger, wichtiger und aktueller denn je, dass auch in der Zukunft immer wieder neu motiviert erneut gestaltet wird. Deswegen ist eine Hoffnung auch mit Blick auf die junge Generation: Lassen Sie uns aus dieser Debatte, aus diesem Plenarsaal den Geist dieses geeinten Europa ins Land hinaustragen, damit in der gesamten Gesellschaft allgegenwärtig spürbar wird: Wir sind Europa. Herzlichen Dank.