Macht statt Moneten Im Namen der Tarifautonomie
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Macht statt Moneten Im Namen der Tarifautonomie
Thema: Sterbebegleitung Vier Gesetzentwürfe in der Debatte SEITE 1-3 Berlin, Montag 06. Juli 2015 KOPF DER WOCHE Merkel zeigt Gelassenheit © picture-alliance/dpa Angela Merkel Darauf hatte die Weltöffentlichkeit diesmal besonders geschaut: Auf Angela Merkels (CDU) Auftritt in der großen GriechenlandDebatte des Bundestags vergangene Woche. Hatte die Kanzlerin bisher alle Rettungsaktionen für das verschuldete Hellas vor den Parlamentariern als „alternativlos“ verkündet, weil „sonst Europa scheitert“, trat sie diesmal auf die Bremse – mitten in einer turbulenten Woche hektischer Beratungen nach dem Auslaufen der Rettungspakete und der anberaumten Volksabstimmung der Griechen. Vor dem Plebiszit gebe es keinen Grund für neue Gespräche mit Athen, sagte sie – im Dissens zur Position Frankreichs, aber im großen Einvernehmen mit dem Koalitionspartner SPD. „Wir können auch in Ruhe abwarten“, sagte Merkel an die Adresse von Athens Ministerpräsident Tsipras, dem die Zeit weglief. kru T ZAHL DER WOCHE 317 Milliarden Euro Schulden hat der griechische Staat bisher angehäuft. Das sind Schulden in Höhe von rund 175 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts. Erlaubt sind nach den Maastrichter Euro-Stabilitätskriterien nur maximal 60 Prozent. Griechenlands Schulden je Einwohner betragen rund 28.840 Euro. ZITAT DER WOCHE »Europa ist auch und vor allem eine Friedensunion.« Norbert Lammert (CDU), Bundestagspräsident, zu Beginn der Bundestagsdebatte vergangene Woche über die Finanzkrise in Griechenland IN DIESER WOCHE INNENPOLITIK Rente Opposition will flexiblere Übergänge in den Altersruhestand Seite 5 EUROPA UND DIE WELT Israel Bundestagspräsident Lammert (CDU) spricht in der Knesset Seite 11 WIRTSCHAFT UND FINANZEN Elektrogeräte Alte Anlagen sollen besser wiederverwendet werden Seite 13 KEHRSEITE Bundestag Die Parlamentsstipendiaten Seite 14 werden verabschiedet MIT DER BEILAGE Das Parlament Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH 60268 Frankfurt am Main 13028 4 194560 401004 NEUORDNUNG UNORDNUNG Der Wiener Kongress schaffte vor 200 Jahren ein Friedenssystem für Europa SEITE Das griechische Schuldendrama macht SEITE Europas Politiker weitgehend ratlos 8 www.das-parlament.de 9 65. Jahrgang | Nr. 28-30 | Preis 1 € | A 5544 Das Sterben regeln SUIZIDASSISTENZ Abgeordnete debattieren intensiv über Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe F ür Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist es eines der „anspruchsvollsten und schwierigsten Gesetzgebungsprojekte dieser Legislaturperiode“: die Verrechtlichung der Sterbehilfe. Für das Vorhaben gelten ganz eigene Regeln. Fraktionsübergreifende Gruppen streiten über das Für und Wider ihrer Positionen. Partei-, Koalitions- oder Oppositionszugehörigkeit stehen zurück. Nach einer teils sehr emotionalen Orientierungsdebatte im November 2014 hat der Bundestag vergangenen Donnerstag eher sachorientiert vier Gesetzentwürfe (siehe unten) zu dem Thema in erster Lesung beraten. Fokus aller Entwürfe: Die Regelung der Hilfe zur Selbsttötung. Sie ist bisher nicht strafbar. Zwei Vorschläge (BrandGriese und Sensburg-Dörflinger) streben, grob gesagt, eine Einschränkung an. Die anderen beiden Entwürfe (Künast-Sitte und Hintze-Reimann) wollen diese Option rechtlich sicher für Ärzte und/oder Sterbehilfevereine ermöglichen. Autonomie Im Kern geht es bei der Frage nach der Sterbehilfe um die Freiheit des Willens und die Autonomie der Sterbewilligen. Jene, die gegen eine Einschränkung sind, stellen auf die klassisch liberale Autonomie des Einzelnen ab. „Die Selbstbestimmung ist der Kern der Menschenwürde. Sie gilt gerade auch am Ende des Lebens“, sagte zum Beispiel Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) während der Debatte. Und Petra Sitte (Die Linke) fragte: „Wenn eine Gesellschaft wie unsere nicht müde wird, individuelle Verantwortung in der Lebensgestaltung und in der Lebensführung zu betonen, wieso soll diese beim Sterben aufhören?“ Es gebe Fälle, in denen die Palliativmedizin nicht mehr helfen könne, führte Karl Lauterbach (SPD) aus, auch wenn es wenige seien. Es gebe aber auch Menschen, die trotz möglicher Versorgung durch Palliativmedizin oder in Hospizen einen solchen Tod nicht erleben wollten. Das Wollen dieser Menschen müsste im Fokus der Debatte stehen und nicht das Wirken der umstrittenen, aber aus Sicht Lauterbachs ohnehin nicht sonderlich relevanten Sterbehilfevereine. Eine Einschränkung dieser Autonomie ist für dieses Lager der Abgeordneten nicht hinnehmbar. „Die Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie viel Leid und wie viel Kontrollverlust sie ertragen müssen“, sagte etwa Carola Reimann (SPD). Eine zu weite Einschränkung sei „quasi eine Rechtspflicht zum Erleiden von Qualen“, sagte Katherina Reiche (CDU). Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) Menschliches, Allzumenschliches: Fragen des Lebens, Sterbens und Todes beschäftigen die Menschheit in vielfacher Form. Hier zu sehen ist ein Ausschnitt eines Bildes des französischen Malers Paul Cézanne mit dem aussagekräftigen Titel „Drei Totenköpfe auf einem Orientteppich“. © picture-alliance/akg-images warnte die Abgeordneten davor, ihre eige- des assistieren Suizids“ könnte den Druck nen Wertvorstellungen ins Strafgesetzbuch auf verzweifelte Menschen erhöhen, sich schreiben zu wollen. bei absehbaren Leiden für den Suizid zu Die Gegner einer restriktiven Sterbehilfere- entscheiden, argumentierte Kerstin Griese gelung wollen stattdessen die Autonomie (SPD). Auch Katrin Göring-Eckardt (Bündder Patienten stärken und assistierten Sui- nis 90/Die Grünen) argumentierte in diese zid vor allem durch Ärzte erRichtung: Sollte eine solmöglichen. Das Komplettche gesellschaftliche Erverbot der Suizidbeihilfe wartungshaltung entstelehnen sie ohnehin ab, aber hen, handele ein Mensch auch das Verbot geschäftseben nicht mehr selbst-, mäßiger Suizidbeihilfe sondern fremdbestimmt. durch Ärzte oder Vereine seDaher sei eine organisierhen sie kritisch. Sie befürchte, geschäftsmäßige Sterten, dass Ärzte kriminalisiert behilfe abzulehnen. werden könnten, wenn sie Auch bei den Ärzten will Hilfe leisteten: „Nicht die Gruppe um den Staatsanwälte gehören ans Brand-Griese-Vorschlag Patrick Sensburg Krankenbett, sondern lieklare Grenzen setzen: „Ei(CDU) bende Angehörige und vernen Facharzt zur Lebenstrauensvoll zugewandte Ärzbeendigung wird es mit te“, sagte Hintze. diesem Entwurf nicht geben“, sagte Kathrin Vogler (Die Linke). Es sollte auch Druck Die Frage nach der Willensfreiheit kein Sonderrecht für Ärzte geben, stellte und Autonomie stellten allerdings auch Harald Terpe (B90/Die Grünen) klar. Medie Befürworter einer restriktiveren Rege- diziner sollten rechtlich genauso handeln lung der Suizidbeihilfe. Sie zweifelten in müssen und dürfen wie andere Staatsbürder Debatte an, ob diese Autonomie in ei- ger auch. Die Warnung vor Staatsanwälten ner solchen Extremsituation überhaupt ge- an Krankenbetten sei realitätsfern. Die palgeben wäre. Denn eine „Normalisierung liative Versorgung, auch oft lebensverkür- »Nur mit einem Verbot können wir grundsätzliche Klarheit schaffen.« zende, aber schmerzlindernde Sedierung, und die passive Sterbehilfe seien von den Einschränkungen nicht betroffen, betonte dieses Lager der Abgeordneten. Befürworter restriktiverer Regelungen verwiesen zudem auf die Erfahrungen in den Niederlanden, der Schweiz oder Belgien, wo Sterbehilfe inzwischen sehr weitgehend erlaubt ist. Diese ausufernde Entwicklung müsste vermieden werden, sagte Michael Brand (CDU). In Gesetzen vorgesehene „vermeintlich enge Kriterien“ böten dafür keine Sicherheit, „sie werden immer weiter gedehnt“, sagte Brand. Auch das Sensburg-Dörflinger-Lager begründete seinen Vorschlag unter anderem mit den internationalen Erfahrungen. „Wir glauben, dass wir nur mit einem Verbot grundsätzliche Klarheit schaffen können“, betonte Patrick Sensburg (CDU) im Hinblick auf das von ihm favorisierte strafbewehrte Komplettverbot der Suizidbeihilfe. In besonderen, sehr wenigen Ausnahmefällen wäre die straffreie Beihilfe trotzdem noch möglich, sagte Sensburg. Es sei aber keine „humanitäre Tat“, beim Suizid eines Menschen zu assistieren. „Es ist eine humanitäre Tat, ihm in einer schweren Lebenslage zur Seite zu stehen“, sagte der Christdemokrat. Sören Christian Reimer T Die Details der vier Gesetzentwürfe STERBEHILFE Vom Totalverbot der Beihilfe zum Suizid bis zur rechtlichen Freigabe für die Ärzte I n der Debatte um die Sterbehilfe geht es vornehmlich um die Frage nach der Hilfe zur Selbsttötung. Suizid und auch die Hilfe zum Suizid sind in Deutschland aktuell nicht strafbar. Der Vorschlag von Patrick Sensburg (CDU), Thomas Dörflinger (CDU) sowie 33 weiteren Abgeordneten (18/5376) sieht eine radikale Änderung der Rechtslage vor. Anstiftung und Beihilfe zum Suizid sollen unter Strafe gestellt werden. Bei einer Verurteilung droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Die Gruppe weist in der Begründung darauf hin, dass die Beihilfe in „extremen Ausnahmefällen“ entschuldet sein könnte, das heißt, es würde keine Strafe verhängt. Nur im Einzelfall Der Gesetzentwurf von Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD) sowie 208 weiteren Abgeordneten (18/5373) sieht vor, die geschäftsmäßige Suizidassistenz durch Ärzte, Einzelpersonen oder Organisationen unter Strafe zu stellen. Es droht eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Dabei sollt es egal sein, ob die Betroffenen mit Gewinnerzielungsabsicht oder karitativ Die Hilfe zur Selbsttötung insbesondere durch Mediziner ist im Bundestag weiterhin umstritten. © picture alliance/chromorange handeln. Nur in Einzelfällen beziehungsweise durch Angehörige oder dem Sterbewilligen nahestehende Personen soll die Hilfe zur Selbsttötung erlaubt bleiben. Regeln für Ärzte Ein Entwurf von Peter Hintze (CDU), Carola Reimann (SPD) sowie 105 weiteren Abgeordneten (18/5374) sieht vor, durch eine Änderung im Bürger- lichen Gesetzbuch die Suizidbeihilfe für Ärzte zu ermöglichen und zu regeln. Voraussetzung dafür soll unter anderem eine irreversible, tödliche Krankheit sein, deren erwartbare Leiden ein Patient durch einen Suizid abwenden möchte. Damit sollen Verbote im ärztlichen Standesrecht umgangen werden. Regelungen im Strafgesetzbuch sieht dieser Vorschlag nicht vor. Auch der Vorschlag von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Petra Sitte (Die Linke) sowie 51 weiteren Unterzeichnern (18/5375) sieht vor, die bestehende Straffreiheit der Suizidbeihilfe fortzuschreiben. Davon umfasst ist auch die Beihilfe durch Ärzte als auch durch Organisationen, sofern sie keine gewerbsmäßigen Absichten verfolgen. Der Vorschlag sieht nicht vor, auf bestimmte Krankheitskriterien abzustellen. Ein strafbewehrtes Verbot – bis zu drei Jahren Freiheits- oder Geldstrafe – sieht der Entwurf hingegen für gewerbsmäßige Sterbehilfe vor. Bei allen Unterschieden, die Debatte am vergangenen Donnerstag machte auch deutlich: Eine Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung, ein Gesetz ist aktuell auf dem Weg, als auch der Suizidprävention (siehe auch Seite 4) wird von allen Abgeordneten grundsätzlich unterstützt. scr T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper EDITORIAL Den Tod im Blick VON JÖRG BIALLAS Der Tod ist Thema im Land. Nachdenklich, mitunter leidenschaftlich, fast immer vernünftig und verantwortungsbewusst wird über das Ende des Lebens und die Frage, ob und wie der Mensch diesen Prozess medizinisch beeinflussen darf, diskutiert. Hintergrund ist die politische Debatte zur Sterbebegleitung, die in der vergangenen Woche abermals auf der Tagesordnung des Bundestages stand. Die Qualität der Wortbeiträge im Plenarsaal wurde der öffentlichen Aufmerksamkeit gerecht. Im Anschluss war allenthalben von einer Sternstunde des Parlamentes die Rede. Zu Recht. In diesen Sternstunden treten die Abgeordneten nicht zuvorderst als Parteipolitiker an das Mikrofon. Es ist guter parlamentarischer Brauch, bei Fragen von Leben und Tod das ordnende Gerüst der Fraktionsdisziplin abzubauen und Meinungen über die Lagergrenzen hinweg zuzulassen. Bei der Sterbehilfe hat sich ein Spektrum von mehreren Vorschlägen entwickelt, die sich im Einzelnen zwar unterscheiden (siehe nebenstehender Beitrag), aber in vielerlei Hinsicht auf einem gemeinsamen Fundament beruhen. Beispielsweise gibt es in der Politik abseits der aktuellen Debatte einen breiten Konsens darüber, dass mehr Geld für Palliativmedizin zur Verfügung stehen muss. Auch wird der Ausbau von Hospiz-Diensten gefördert. Beides ist in einer alternden Gesellschaft notwendig und richtig. Bei der noch ungelösten Frage, wie künftig mit der Sterbehilfe zu verfahren ist, gilt ein wichtiger Grundsatz, der nicht angetastet werden soll: Das Töten auf Verlangen bleibt strafrechtlich verboten. Nach dem aktuellen Stand der politischen Meinungsbildung will diesen Weg in Deutschland niemand freigeben und damit eine Möglichkeit eröffnen, wie sie beispielsweise in Belgien und den Niederlanden besteht. Ob am Ende ein Gesetz beschlossen wird, das Beihilfe zum Suizid generell verbietet, eines, das Sterbehilfe-Organisationen erlaubt, oder eines, das irgendwo dazwischen steht: Niemand muss bange sein, dass die dann verabschiedete Regelung hohen ethischen und moralischen Ansprüchen nicht genügt. Das Lebensende ist eine sehr persönliche und eine sehr sensible Angelegenheit. Die Politik weiß, dass allenfalls Rahmenbedingungen zu formulieren sind, die für die Betroffenen, deren Angehörige sowie Mediziner Freiheit und Verantwortung gleichermaßen festschreiben.