Berlin – Zentrum der Macht - Axel-Springer
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Berlin – Zentrum der Macht - Axel-Springer
12 Report * fl Sonntag, 16. November 2008 Berlin, Zentru Wenn sie da ist, vibriert das Haus. Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einer hitzigen Debatte im Bundestag. Die Koalitions-Abgeordneten scharen sich um ihren Star. Und sie lächelt, als wisse sie mehr Wie Politik wirklich funktioniert. Die Z-Reporter Jan Rentzow (Text) und Falko Siewert ein exklusives Porträt der großen und kleinen Deutschlandlenker. So nah und so menschlic José Cases (39) steht in der den Besuchern mit den grünen. Der einzige Linke beim FC BunUmkleidekabine des Deut- Wenn er auf den Türmen die destag spielt im Mittelfeld halb schen Bundestages und ist Flaggen hisst oder irgendwo rechts. Wenn er trifft, jubeln seiDeutschland. Die Hosenträger wartet, in den Katakomben un- ne Kumpels, auch die von der in schwarz-rot-gold. Die schö- ter der Spree. Immer, wenn je- CDU. nen Knöpfe mit dem Bundes- mand anruft. *** *** adler drauf, die feine Fliege Im Parlament zu arbeiten, ist seiner Uniform. Die Z durfte exklusiv hin- mehr als ein Job. Das Zentrum Stolz wie ein Torero guckt er ter die Kulissen des Parla- der Macht macht süchtig. „Wer sich an und kann nicht anders. ments – keine Tageszeitung einmal im Plenum sitzt, ist infi„Ja, du bist es“, sagt er. Seine Au- durfte je so frei hier recher- ziert“, sagt Bärbel Heising, Stegen leuchten, der Bauch ist ein- chieren. Woher kommt das Hä- nografin, auch für die Reden der gezogen. „Du bist ein Teil vom Bundestag.“ Dann verschwindet er in den Gängen. Es heißt, Frau Merkel soll gleich Alles perfekt? Letzte Handgriffe der Bulette Präsidial. Björn Waßmuth (27) ist kommen. Chefkoch im Deutschen Bundestag Saaldiener am Präsidententisch Er hat schon den Dalai Lama durchs keldeckchen auf dem Präsiden- Kanzlerin. 500 Silben in der MiHaus geführt, den berühmten tentisch? Von einem alten Ple- nute kann sie schreiben. Ihre genarsekretär in Bonn. Wie putzt sammelten Codes sind das Geistlichen, an seinem Arm. Wenn die Bundeskanzlerin man mit Stil? Mit schwarz-rot- Drehbuch jeder Kampf-Debatte. die Ohren spitzt, vielleicht kann goldenen Staubwedeln. Warum Die mächtigste Frau der Welt in sie seine Tochter Larissa (8) als darf die deutsche Flagge den Bo- Schnellschrift-Präzision. Heising Klingelton hören. „Papa. Dein den vorm Eingang nicht berüh- guckt auf den DeutschlandTelefon klingelt. Kling. Kling!“, ren? Eine Frage der Symbolik. Parkplatz. Blitzende Limousisagt ihre süße Stimme, wenn er Es sind die Saaldiener, die Bun- nen, Audi, BMW, Mercedes, der oben ist, auf der Plenar-Etage destagspräsident Norbert Lam- Fuhrpark der Mächtigen mit mit den blauen Türen oder bei mert seine Bleistifte anspitzen. Blaulicht auf dem Dach – dane- ben, an die Wand gelehnt, ein Fahrrad. Es könnte Sabine Arends (43) gehören, der Dame von der Ausgabe in der Bibliothek. „Ich wohne hier in Mitte, komme mit dem Rad.“ Mehr als 6000 Menschen drehen sich mit in der Maschine der Macht, verbrauchen 87,5 Millionen Blatt Papier im Jahr. 612 Abgeordnete, gewählt vom Deutschen Volke, haben im hart debattiert, über die CastorWut von Gorleben gestritten. Den Stand der Deutschen Einheit, das Kindergeld. Mittwochnacht um 1.00 Uhr standen mehr Rechte für Behinderte auf der Tagesordnung. Donnerstagnachmittag der Verkehrsminister auf der Abschussliste. Und um die Soldaten in Afghanistan ging es auch noch – Verlängerung des umstrittenen Mandats bis Ende nächsten Jahres. *** Hektisch eilen Mitarbeiter über die Flure, huschen mit Kaffeetassen in die Toiletten – zum Spülen. Friedrich Merz steht am Schuhputzautomaten Gut im Schuss. Am Dienstagabend kickt im Untergeder Bundestag mit vollem Körpereinsatz schoss, eine ReiBundestag Büros – im Schnitt 52 segruppe aus Baden-WürttemQuadratmeter groß. Von ihren berg staunt: Hier unten kann Fähigkeiten hängt Deutschland man sogar Flüge buchen. Beim ab. Und von ihren Stimmungen. Quick-Check-Inn der Lufthansa. „Dem Deutschen Volke“ steht Es gab doch mal den Wischam West-Portal. Ein großes Test, Kokain-Spuren auf dem Wort, wenn man darüber nach- Bundestags-Klo. Sucht die Bundenkt. destagspolizei die Toiletten der *** Abgeordneten nach Drogen ab? Über die Terrorbekämpfung Chefin Thea Bontjes (44): des BKA wurde diese Woche „Nein!“ Sonntag, 16. November 2008 Report 13 * um der Macht Wenn er so aussieht, stimmt einfach alles. José Cases (39) , Saaldiener im Deutschen Bundestag bei Dienstantritt. Manchmal kann er sein Glück gar nicht fassen, dass er ein Teil sein darf der Maschinerie Bundespolitik *** Zehn Uhr. Saaldienerin Sabine Bruhs, die so schöne Knickse machen kann, steht wie eine Stewardess, kerzengerade, mit Rock und Einstecktuch vor dem Osteingang. Der norwegische Parlamentspräsident kommt gleich, der Hausfotograf, die Sicherheitsleute, alle warten nur noch auf Norbert Lammert, den Hausherren. „Sabine, du musst ihn begrüßen, du musst ihn begrüßen, wenn der jetzt nicht kommt. Ruf doch mal oben an!“, fordert eine Kollegin. Doch dann läuft der Bundestagspräsident die Treppe runter, fröhlich fragt er: „Sitzt meine Krawatte ordentlich?“ Und die beiden Saaldienerinnen , die offiziell Plenarassistentinnen heißen, rufen erleichtert im Chor: „Guten Morgen, Herr Präsident!“ Punkt-Landung, pünktlich zum Shakehands mit Norwegen. Ein guter Morgen. *** Am Nachmittag sitzt die Kanzlerin auf der Regierungsbank und will gar nicht mehr aufstehen. Angela Merkel spricht mit Bildungsministerin Annette Schavan. Wie staatsmännisch sie sich die Haare hinter die Ohren streicht, nur manchmal lächelt sie. „Ich mache dann mal los. Komme aber nachher wieder Fortsetzung auf Seite 14 Wo der Präsident die Selters hat Die Flaggen auf den Türmen sind 35 Quadratmeter groß. Zerfleddern zuerst an den Spitzen Angela Merkel hat ein Büro im ersten Stock, nutzt es aber nur selten Schuhe sauber? Der Putz-Automat am Durchgang ins Jakob-KaiserHaus wird fast nur von Touristen genutzt 174 Scheinwerfer leuchten im Plenarsaal, am Rednerpult mit 700 Lux Ins KäferRestaurant dürfen nur Parlamentarier und ihre Gäste Der Bundestag, hier wird Zukunft gemacht. Und von der Dachkuppel guckt die Welt mittenrein. Alle 612 Abgeordneten können rund um die Uhr ihre Büros in Anspruch nehmen. 27 Millionen Touristen waren schon da, seit das Parlament 1999 einge- Im Plenarsaal gibt es einen Kühlschrank: ist aber nur Selters drin An den Gängen im Erdgeschoss und im ersten Stock kleben die GraffitiInschriften russischer WeltkriegsSoldaten Parlamentspräsident Lammerts Schreibtisch steht im 2. OG zogen ist, etwa drei Millionen auch dieses Jahr. Der letzte Abgeordnete, der ausschied, war Horst Seehofer, jetzt baye- rischer Ministerpräsident. 2637 Menschen arbeiten in der Verwaltung des Parlamentes, etwa 2700 für die Abgeord- neten und noch einmal 900 in den Fraktionen. Siebeneinhalb Stunden dauert eine Plenarsitzung im Schnitt. Der letzte Einlass zur Kuppel ist abends um 22 Uhr. GRAFIK: KIRCHER/BURGHARDT t (Fotos) zeichnen ch wie nie 14 Report * fl Sonntag, 16. November 2008 Selbst der Staubwedel passt perfekt in das Gefühl Deutscher Bundestag. „Der macht gut sauber", sagt die Putzfrau im JakobKaiser-Haus und lächelt verlegen. „Wirklich gut." Das Gefühl Schwarz-RotGold regiert auf jedem Flur Fortsetzung von Seite 13 12 zum Klatschen“, sagt ein CDU-Bundestagsabgeordneter draußen in der Wandelhalle zu einem der Saaldiener. Verständnisvolles Kopfnicken. Der Ton, manchmal ist er sehr vertraut zwischen Saaldienern und Volksdienern. *** Sonne überm Reichstag, 20 Stunden später. Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Ministerin für Entwicklungshilfe, steht in der Kantinen-Schlange des Bundestages, der wahrscheinlich wichtigsten Buletten-Zone der Republik, und wedelt mit einem 50-Euro-Schein. „Ein Toast“, ruft sie „ein Toast!“ „Nicht alles durcheinander hier!“, zischt die Büffet-Dame, und die hungrige Ministerin muss warten. Franz Müntefering Kanzlerkandidat und Kanzlerin. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier hat’s noch eiliger. Der SPDChef schießt, eine Akte in der Hand, alleine am Osteingang die Treppen hoch. *** „Da oben kann die Welt abbrennen, und wir sitzen hier unten und kriegen das nicht mit“, sagen ein paar Meter weiter die, die ganz unten sind im Deutschen Bundestag. Zweites Untergeschoss. Elisabeth-Lüders-Haus, 12 Meter unter der Erde. Jede Menge Cremes auf dem Pausentisch, damit die Hände schön feucht bleiben. Es sind Gabriele (51) und Matthias (37), die Mitarbeiter des Magazins – stolz auf ihren Kellerjob in einer der größten Parlamentsbüchereien der Welt. „Das ahnt doch keiner, dass hier unten noch welche sitzen.“ *** 14.25 Uhr. Alle hetzen jetzt ins Parlament. Die Besucher oben lehnen sich ganz nach vorne, um den besten Blick zu haben, auf Minister Tiefensee. Ein Abwahlantrag ist gestellt, weil er die Prämiengier beim Bahnvorstand nicht bremste. „Ich werde dann mal reingehen, den Tiefensee retten“, sagt ein CDU-Abgeordneter und verschwindet für den Rest des Tages im Plenum. Die Kampflinien sind jetzt wieder die aus der Tagesschau: Ein Abgeordneter aus der FDP, der gestern Abend mit einem Kollegen aus der CDU auf einem Lobby-Abend war, stimmt gleich gegen den Minister, der andere für ihn. Am Ende steht es 414 zu 156. Tiefensee bleibt. *** Zu viel Politik macht krank. „Viele Parlamentarier vergessen über ihre Arbeit die Gesundheit“, sagt Doktor Barbara Vonneguth-Günther, die Parlamentsärztin im Erdgeschoss. Kandinsky im Warteraum. „Bluthochdruck, verschleppte Atemwegserkrankungen, Lungenentzündungen, Diabetes, Rückenschmerzen. Das sind die häufigsten Beschwerden der Parlamentarier“, sagt sie. Um manche macht sie sich ernsthafte Sorgen. *** José Cases, dem Mann, der für Deutschland Schwarz-RotGold anlegt, beim Flaggenwechsel. Auf einer ist KrähenKot. „Krk, krk, machen die und lachen mich von oben an.“ Einmal wollte er ein Foto. Mit Gerhard Schröder. Für die Mama. „Er sagte: ‚Kommen Sie!’ und hielt mich fest. Er fragte: ‚Was wird sie sagen, wer das ist, dieser Kauz neben Ihnen?’ Ich habe nur gesagt: ‚Da wird mir schon was einfallen’ und wir haben beide gelacht.“ Ein- mal hätte er den Kanzler fast überfahren, als der zu Fuß rüberkam vom Kanzleramt und er mit dem Wagen aus der Tiefgarage bog. „Da blieb mir vielleicht das Herz stehen.“ Frau Merkel komme häufiger mit dem Wagen. Das ist wohl sicherer für sie. *** Als wir uns am Abend aus dem Bundestag verabschieden, fragt uns noch eine Mitarbeiterin der Verwaltung: „Finden Sie nicht auch? Am Ende sind die hier drinnen ganz normal.“ Hinter den Kulissen der Demokratie. Ab morgen die große Z-Serie Berlin, Zentrum der Macht und die Z mittendrin. In einer bisher einmaligen Serie berichten wir ab morgen über die Geheimnisse aus dem Mekka der Mächtigen. Wie die Stenografin mit Angela Merkel mithält. Wie die Katakomben des Reichstags wirklich sind. Und warum der Parlaments-Koch Buletten hasst, und trotzdem die besten macht. Doch damit nicht ge- nug: In der Woche darauf erfahren Sie alles über die Stadt und wie die Politik sie regiert. Wo isst die Bundeskanzlerin? Wie wohnt ein Abgeordneter? Wer versteht sich mit wem und warum? Sie wollen wissen, wie stressig der Alltag eines Abgeordneten ist? Und wer der heimliche Ballack beim FC Bundestag ist? Lesen Sie, Ihre Z! 12 Serie * fl Montag, 17. November 2008 Diese Frau ist das Gedächtnis von Schwarz-Rot-Gold Dr. Bärbel Heising (47) schreibt mit, wenn Merkel im Bundestag redet. Wer klatscht wie stark? Wer guckt wen an? Auch das kommt ins Protokoll : ln Wer teno-Kringe se S in te h t ic h h c spri Gesc nkenkri Rede zur Ba hier ls e rk e M eigentlich? „Merkel“ Totale Konzentration. Stenografin Dr. Bärbel Heising (47) schreibt im Takt der Mächtigen. Bis zu 500 Silben in der Minute Die kleine Nase heißt: „Bundesregierung“ Zeichen für ase Die lange Nteu „d heißt: sches Volk“ VON JAN RENTZOW Ihre Finger flitzen über das Papier wie die einer Klavierspielerin über die Tasten. „Pass auf deine Steno-Hand auf“, sagt ihr Mann, wenn sie Tennis spielen. Dr. Bärbel Heising (47), studierte Germanistin, die Frau, die mit Angela Merkel mithält. „Meine Arbeit ist Hochkonzentration. Ich bin dann nur noch im Hier und Jetzt. Das ist ein Fluss“, sagt die Stenografin des Bundestages, der nichts, keine Beleidigung, kein „Hört, hört!“, kein Mucks in der Tagesschau-Welt des Parlaments entgeht. Ypsilanti schreibt sie mit Steno-Ü, das Kohl von Helmut ist ein Strich, das Schmidt von Helmut Schmidt ein Punkt. Weltpolitik in Bundestags-Kringeln und Codes. „Wollen Sie mal sehen, wie das geht?“, fragt sie uns, als wir sie besuchen dürfen. „Kurze Worte bringen nicht viel. Lange Worte, da kommt der Kick rein. hleife Die linke Sc/CSU“, U D „C t heiß PD“ die rechte „S Ich habe Abkürzungen für Buchstaben, Buchstabenfolgen wie SCH oder ST, ganze Wörter. Hier ist mal eine Rede von Frau Merkel ...“ Dann erklärt sie: Die Stenografen huschen von links ins Plenum, vorbei an der Regierungsbank. Fünf Minuten, bis zu 500 Silben pro Minute, zehnmal mehr als Normalos, schaffen sie. Heising ist Revisorin, kontrolliert die Arbeit der Kollegen. Sie kommt von rechts ins Parlament, bleibt länger – eine halbe Stunde. Die 612 Abgeordneten mögen es nicht, wenn man ihnen im Weg rumsteht. Auffallen für Stenografen verboten! „Wir sind ein Team von 30 Leuten“, sagt sie. „Die Nachwelt soll sehen, worum es gegangen ist.“ Es ist eine riesige Verant- wortung, erste Chronistin zu sein, wenn Geschichte passiert. Heising, Herrin des Stiftes. Mit 13 hat sie das SchnellSchreiben angefangen. Aus Spaß, abgeguckt von einer Tante. Fünf Jahre später war sie Deutsche Meisterin im Wettschreiben. Schwarz-Rot-Gold kann nur funktionieren, weil es Wettschreib-Vereine gibt wie Dortmund 1864 und Trainer, die Talente wie Heising hart ran nehmen. „Manchmal ist es so, dass ein Politiker eine Pause Damals in Bonn. Als SPD-Chef Herbert Wehner seine Stieftochter heiratete gen CDU-Abgeordneten Jürgen Todenhöfer (CDU) als „Hodentöter“ oder Jürgen Spitzenreiter unter den har- Wohlrabe (CDU) als „Übelten Typen der Bonner Repu- krähe“. Um sich nicht schon blik war Herbert Wehner, der wieder einen Ordnungsruf im Plenum einzufangen griff er gefürchtete SPD-Fraktionsauch zu neuen Wortschöpchef. Wenn er in der Lobby des alten Plenarsaals mit der fungen, beson- ders wenn es um seinen Pfeife in der LieblingsHand Journalisfeind, CSUten anschnauzte: Chef Franz „Sie, Sie Herr, Sie“ Josef Strauß (mit gerolltem R), ging: „Sie wagte man kaum Abschaum, noch ein Frage zu äh -Bild“. stellen. Legendär Aber es ist die Beschimp1980. 1980. Mit Mit Herbert Herbert Wehner Wehner gab da fung des damali(1905-1990) (1905-1990) im im Bonner Bonner VON FRIEDEMANN WECKBACH-MARA .............................................................................. Bundestag Bundestag auch den ganz anderen Wehner im Umgang mit seiner Stieftochter Greta Burmester. Am 17. Mai 1983 erfuhr ich durch einen Zufall, dass beide in aller Stille geheiratet haben. Wehner ganz ungewohnt liebevoll: „Das ist die Frau, ohne die der, der vor Ihnen steht, heute nicht mehr leben würde.“ Er war nicht einmal böse über die Veröffentlichung. Obwohl in der Bonner Republik das Privatleben gern unter dem Siegel der Verschwiegenheit gehalten wurde: Als sich Hans-Dietrich Genscher scheiden ließ – aber darüber morgen mehr. So funk tioniert Politik wirklic h. -Serie macht, dann gucke ich schnell, wer klatscht und wie stark. Ich schreibe mir auch auf, wer wen anguckt, wenn es wichtig ist.“ Duzt sie die Abgeordneten? Nein, dafür ist sie zu professionell. Wann ist Deutschland-Politik niederschreiben besonders schwierig? „Wenn es viel Applaus gibt und der Abgeordnete starken Dialekt spricht.“ Heißt das, die gebürtige Hamburgerin Merkel ist ein Klacks im Vergleich zum Bayern Michael Glos? Keine Antwort. Wir sehen sie kurz darauf, wie sie ins Parlament kommt. Die Ehrfurcht in ihren Augen. Wir sehen sie sitzen mit ihrer fliegenden Hand. Wir fragen uns, was sie wohl abends macht, die Frau, die schneller schreiben kann als lesen. „Mir Zeit nehmen fürs Genießen …“ *** Und morgen lesen Sie: Wo der Präsident die Parlamentsglocke versteckt FOTO: FALKO SIEWERT Das ist das „Beifall“ Serie 13 Dienstag, 18. November 2008 Die der Demokratie dienen Wasser für den Präsidenten, Würde für Deutschland. Die Plenarassistenten sind die guten Seelen im Deutschen Bundestag Wenn der Kanzler wechselt, bringen sie das Namensschild an. Wenn einer Ministerin ein Nagel reißt, holen sie das Pflaster. Und wenn die Herren Abgeordneten kommen, gibt es ein Weingummi. *** Ganz leise, fast auf Zehenspitzen schleichen sie ins Haus. Niemand soll sie hören, sie sollen da sein und doch nicht da. Die stillen Diener an der Macht. *** Dienen unterm Adler. Die 60 Plenarassistenten des Bundestages sind DeutschlandHelfer an der Werkbank der Demokratie. Das hat auch etwas mit Würde zu tun, sagen sie. Es sei wichtig, wie sich Deutschland präsentiert. Ihre Kunst: Der Stil. Im Frack stellen sie Norbert Lammert, dem Präsidenten des Hohen Hauses, das Wasser hin. Sie richten ihm die Krawatte vor Staatsbesuchen – und wenn ein neuer Abgeordneter ins Parlament kommt, begrüßen sie ihn mit seinem Titel noch bevor er ihn selber kennt. Da! Ulla Schmidt, die Gesundheitsministerin, mit einer schweren Tasche. Sie müssten es nicht, es ist nicht ihre Aufgabe, doch sie tragen sie ihr. „Ein bisschen Service muss schon sein“, sagt José Cases (39), einer der Saaldiener. „Ohne die Saaldiener würde hier nichts gehen“, sagt Laurenz Meyer (CDU). *** Eine Woche haben wir sie begleitet. Wie sie Störenfriede von der Tribüne bitten, höflich. Hun- So funktioniert Politik wirklich. -Serie derte von Stimmkarten sortieren, geduldig. Schnelle Reparaturen in der Lobby vornehmen, leise. 27 Männer und ihre 33 Kolleginnen im Zentrum der Macht. Und natürlich, als sie Hand anlegten, ans Herz der Demokratie: Bei der Vorbereitung des Präsidententisches, kurz bevor er rein kommt, die Parlamentarier begrüßt, „Sehr geehrte Damen und Herren“, und sich im Plenum alle erheben. Nichts soll die Arbeit der Abgeordneten stören. Nichts. Um Himmels Willen! *** „Wollen Sie wissen, wo die Glocke ist?“, fragt uns Brigitte Rubbel (48), knielanger Rock, geklöppeltes Einstecktuch, zwei goldene Knöpfchen mit Adler an der schneeweißen Frack-Bluse. „Zweite Schublade im Präsidententisch. Wir stellen sie ihm so hin, dass er den Adler sieht!“ Warum? „Tradition!“ *** Nur noch eine Stunde. Brigitte (48), Regine (47), Monika (57) und Ralph (43) gehen besser gekleidet als mancher Abgeordnete durch die Tür mit der Aufschrift: „Nur Präsidium“. Sie spitzen auch die Bleistifte an – unmittelbar vor der Sitzung, mitten im Plenarsaal. Testen die Kugelschreiber. „Hier das schwarz-rot- Bonner Doppelmoral. Genscher, ein tödlicher Unfall und die Wahrheit VON FRIEDEMANN WECKBACH-MARA Scheidungen waren in der Bonner Republik seltener als heute. Die vierte oder fünfte Hochzeit wie bei Gerhard Schröder und Joschka Fischer konnte sich kaum jemand vorstellen. Als sich Hans-Dietrich Genscher scheiden ließ, um seine Sekretärin Barbara zu heiraten, war das Thema lange tabu. Dabei gab sich der Daueraußenminister sonst sehr offen, wenn es um Publicity ging. Am 1. September 1976 war der FDP-Chef im Wahlkampf unterwegs. Journalisten fuhren im Kreis Uelzen dem Promi-Tross hinterher. Ihr BMW stieß mit einem „Triumph“-Sportwagen frontal zusammen. Zwei wurden schwer verletzt, einer starb. Sofort rief ich bei Genschers Büroleiter Klaus Kinkel an und erfuhr: „Herr Genscher war schon weg, als der Unfall Genscher und Weckbach-Mara FOTO: PRIVAT passierte, er hat davon nichts mitbekommen.“ Trotzdem hatte Genscher selbst nichts dagegen, dass am nächsten Tag einer schrieb: „Genscher kniete im Gras – sein Freund starb. Kreidebleich, am ganzen Körper zitternd, kniete Außenminister Genscher im Gras, nacheinander hielt er die Hand der schwer verletzten Journalisten.“ Im Wahlkampf kam das an und besiegelte die Freundschaft mit dem Autor. Aus anderem Holz war da Otto Graf Lambsdorff geschnitzt. Doch darüber morgen mehr. Häkel-Untersetzer und Saalglocke am Präsidententisch goldene Häkeldeckchen kommt beim Herrn Präsidenten auf den Tisch. Da kommt sein Wasserglas drauf.“ *** Oben auf der Besucher-Tribüne treffen wir ihren Kollegen José Cases. „Ich habe den Dalai Lama durchs Haus begleitet. Danach gab es Leute, die haben mich angefasst, hielten mich für gesegnet“, erzählt er. Hans-Christian Ströbele spricht gerade, der Grüne. „Ich war früher auch öfter im Plenum drinnen“, sagt Cases. „Aber dort ist man immer nur umgeben von den Menschen und hat keinen unmittelbaren Kontakt. Das ist hier oben anders.“ *** „Wissen Sie, ob die Kanzlerin noch da ist?“, fragt eine Besucherin im Anorak und zupft ihn am Arm. „Das hoffe ich für Sie.“ *** Lesen Sie morgen: Warum der Bundestagskoch Buletten hasst, und trotzdem die besten macht FOTOS: FALKO SIEWERT VON JAN RENTZOW Thomas Krappe und Brigitte Rubbel sind während des Plenums am Präsidententisch. Manchmal sehen sie sich in der Tagesschau 12 Serie fl Mittwoch, 19. November 2008 Björn Waßmuth ist Chefkoch bei Käfer im Bundestag Der Mann, der Deutschland würzt Hausmannskost als große Küche: Der Buletten-Teller, den die Minister wollen diger, stünde die Ministerin in der Schlange mit der Sekretärin. Als wir da sind, sitzt ein Ex-Generalsekretär der CDU da – mit zwei Wiener Würstchen und Kartoffelsalat. Und eine Bundesministerin, beim Essen die Tasche auf dem Tisch. „Tut es Ihnen nicht weh, wenn die Politiker beim Essen Akten lesen?“ Waßmuth antwortet nur: „Berufsschicksal.“ Als wir ihn das nächste Mal treffen, steht er in einem der Lichthöfe und raucht. Drinnen bimmelt es wie verrückt, Aufruf zu einer Ab- stimmung. Früher dachte er an Feueralarm. Das war sein erster Klops. Jetzt weiß er, das sind die Gesetze, wenn sie heiß sind. *** Lesen Sie morgen: Warum zwölf Meter unter der Erde ein Pausentisch steht Die FDP geht fremd. Und ein Interview macht Geschichte VON FRIEDEMANN WECKBACH-MARA he. Innenminister Gerhart Baum vom linken FDP-Flügel beklagte sich auf offener StraDas gab es bisher nur in der ße: „Mir sagt ja keiner was.“ Und einer handelte. Lambsalten Bonner Republik – den Koalitionswechsel der dorff schrieb seine WirtFDP von der SPD zur CDU schaftsthesen auf, um zu zeimitten in der Legislaturperi- gen, dass es mit der SPD nicht ode ohne Neuwahl. Diesen weiter gehen kann. Mehr Regierungswechsel betrieb noch. Am 29. August traf ich 1982 der damalige Wirtihn in seinem Büro des Wirtschaftsminister Otto Graf schaftsministeriums. Zum EntLambsdorff (FDP) noch setzen seines Sprechers Dieter energischer als sein Partei- Vogel machte der Graf klar, chef Hans-Dietrich Genscher. In der sozialliberalen Koalition ging es in dem Wendejahr zu wie im Bienenhaus. Im Bundestagsrestaurant mit Blick auf den Rhein fragten führende Genossen wie Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (SPD) immer wieder Journalisten, wie es mit Journalist Weckbach-Mara, der Koalition wohl weiter ge- FDP-Politiker Graf Lambsdorff dass die FDP an einem Koalitionswechsel nicht zerbrechen wird und fügte hinzu: „Ich gehe davon aus, dass die Union zu einer Koalition mit der FDP bereit ist.“ Schon im Rausgehen brummte Vogel: „Das Interview segne ich nicht ab.“ Da aber traditionell in Deutschland Zeitungsinterviews vor der Veröffentlichung dem Gesprächspartner oder seinem Bevollmächtigten noch einmal zur Freigabe vorgelegt werden, hatte ich ein Problem. Als der Interview-Text fertig war, fuhr ich damit zum Ministerium. Auf halbem Weg sah ich einen gepanzerten Mercedes auf der Gegenfahrbahn kommen. Vorn saß klar erkennbar der Graf. Was tun? – Die Antwort folgt morgen. FOTO: PRIVAT Deutschland-Koch. „Wir machen deutsche Küche. Nur hohe Qualität, einfache ZuEr ist ein Karriere-Typ mit taten. Und bodenständig.“ Sein Geheimnis: Mögen fliegenden Pfannen. Hat für Putin gekocht in Moskau. Boris Becker verwöhnt in St. Moritz. Als Lehrling machte er Theo Waigel ein Kanapee. Björn Waßmuth (27) heißt der Mann, der Deutschland die Würze gibt. -Serie So funktioniert Politik wirklich. Sein Arbeitsplatz: KäferRestaurant, erster Stock des sie sich drinnen streiten, die Bundestages. Die 612 Abge- Herren und Damen von der ordneten lieben ihn, er ser- CDU/CSU, der SPD, der viert ihnen Klopse und Dis- FDP, den Grünen und der kretion. Die Tische hübsch Linken. Wenn die Sitzungen eingedeckt, eckige Tafeln – vorbei sind, kommen sie alle zu langen Bahnen zusam- raus. Alle auf einmal. Er wismengeschoben, feine, se nie wann, könne nicht schwarze Lederstühle mit planen. Nur eines: „Schnitzel Blick auf das weiße Kanzler- und Buletten gehen immer! amt. Rouladen-Runden, die Wenn ich die Buletten vom niemals an die Öffentlichkeit Plan nehme, steinigen die kommen. Es ist voll hier, mich.“ Wir sollten doch mal rüber doch vom Ton her ganz leer, in die Kantine gehen, da sei Stille. „Kommen Sie, kommen die Küche noch bodenstänSie“, sagt er. „Machen Sie schnell!“ Dann stehen wir in der Küche des Parlamentes, in einer Edelstahl-Welt mit Balkon. „Wir sind ein deutscher Bundestag“, sagt der VON JAN RENTZOW FOTOS: FALKO SIEWERT Björn Waßmuth (27) ist berühmt im Bundestag. Vor allem für seine saftigen Buletten 16 Serie * fl Donnerstag, 20. November 2008 Oben Joop, unten Jeans. Der Untergrund des Bundestags ist das Fundament der Politik Herr Sobierajczyk flitzt durchs Hirn der Republik PausentischGemütlichkeit im Untergrund kommen jeden Tag vier Tonnen Pakete und Päckchen an, erklärt uns Logistiker Winfried Goedecke, 15 000 Briefe. Ein sogenanntes „Eisenschwein“ rauscht gerade vorbei – ein vol- ler, schwerer Metallwagen mit noch mehr Post. „Einmal hat einer einen Stahlhelm für Joschka Fischer geschickt, als der noch Außenminister war. Aber unsere Röntgenanlagen haben das erkannt.“ Oben Joop, unten leger. Der Hauselektriker ist ein schweigsamer Herr. „Ich mache Ihnen mal den Schrank auf, dann kriegen sie das RaumschiffFeeling“, sagt Thomas Schmidt (49) in einem der 45 Schalträume im Reichstag. Der Mann, der den Politikern Licht macht, sagt: „Man braucht drei Monate, alleine um die Schaltpläne hier zu kapieren.“ Noch einmal zurück im Bü- Ein brisantes Interview und der feste Griff der Grenzschützer im Kanzleramt Da gab ich einfach Vollgas. Zu meinem Glück fiel kein Schuss. Vor dem Kanzlerbau hielten Mit dem brisanten Interwir an. Ich sprang aus dem Auview fuhr ich am 29. August to, Grenzschützer packten 1982 durch Bonn. mich, als der Graf sich umdrehAls mir Wirtschaftsministe und den befreienden Satz ter Otto Graf Lambsdorff ent- sagte: „Ach ja, wir müssen noch gegenkam, fuhr ich über den das Interview absegnen.“ GeDoppelstreifen der Stadtauto- meinsam gingen wir zum Kabibahn hinter ihm her Richnettsaal: „Ich tung nehme den Text Kanzlermit rein, warten amt. Dort Sie so lange vor salutierten der Tür.“ die GrenzDa sah mich schützer, der SchlagWeckbachbaum ging Mara (li.) mit hoch. Die Helmut Panzer-LiSchmidt (M.) mousinen am Strand fuhren durch. von Florida VON FRIEDEMANN WECKBACH-MARA FOTO: PRIVAT Referent Bruns (Spitzname: Kugelblitz) und legte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) einen Zettel auf den Tisch: „Die Sitzung ist nicht mehr geheim zu halten, draußen sitzt ein Redakteur.“ Drei Minuten später kam Lambsdorff, gab das Interview frei. Eine halbe Stunde später liefen seine Zitate vom Wunsch nach Wechsel des Regierungspartners über die Agenturen. Schmidts Versuch zur Rettung der sozialliberalen Regierung war dahin. Ich hatte Glück. Ob mir in Berlin heute die Polizei die Reifen zerschießen würde, will ich lieber nicht prüfen. Morgen lesen Sie, wie Rudolf Scharping seine Frau wechselte. So funktioniert Politik wirklich. -Serie cher-Magazin – ein Pausengespräch. Matthias holt ein paar Bonbons aus einer Bücherkiste, die von oben kommt und aus der Wand rollt. Die Damen aus der Bibliothek meinen es mal wieder gut. „Guckt mal, was die uns von oben geschickt haben“, sagt er. „Sonst kann da oben sonst was passieren, und wir kriegen das nicht mit.“ Seine Kollegin Gabi: „Vielleicht ist das manchmal besser so.“ Sie lacht dabei. Als Chef Michael zurück ist, mit dem Wälzer von Helmut Schmidt, setzt er sich dazu und plaudert gemütliche Unter-Tage-Geheimnisse aus: „Bei uns hier unten ist immer Stimmung. Manchmal gute, dann kommen sogar Leute von oben runter.“ Die Politik kann ohne die Menschen hier nicht funktionieren, denken wir. Und fahren mit einem kleinen Lift zurück ans Tageslicht. Wir blinzeln kurz und eilen zu einem Termin ins Plenum. *** Lesen Sie morgen: Warum der Präsident des Bundestags so gerne im Parlament ist FOTOS FALKO SIEWERT VON JAN RENTZOW Miezekatzen-Postkarten. Pausentische mit Rohren drüber weg. Das in der Ecke zischt immer, wenn es oben regnet. Sch, sch macht es und unterbricht das Dröhnen der Aggregate. Die Z am tiefsten Punkt der Demokratie in den Kellern des Bundestags. Dort, wo die unterirdischen Adern fließen, die unsere Politik zusammenhalten. Marie-Elisabeth-LüdersHaus, zwölf Meter unter der Erde. „Räumlich gesehen sind wir hier ganz unten“, sagt Michael Sobierajczyk, Chef des Bücherei-Magazins. In 13 Räumen auf 8500 Quadratmetern stehen die 1,3 Millionen Bücher des Parlaments und sieben Angestellte gehen alle paar Minuten hinein ins Hirn und holen eins raus. „Ohne uns wären die Informationen in manchen Reden nur halb so fundiert“, sagt Michael und steigt auf seinen Roller-Scooter, das neue Buch holen von Helmut Schmidt. Das ist bei den Politikern besonders gefragt gerade. Neonstrahler, Altpapierlager, 23 Laderampen. 400 Meter Straßen gibt es unter dem Bundestag, zweispurig. Gänge vom Reichstag ins Jakob-KaiserHaus, ins Paul-Löbe-Haus. Vom Jakob-Kaiser-Haus ins Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Keinen zum Kanzleramt, das ist Regierung und hier ist Parlament. Ein paar Untergrund-Meter weiter, die Poststelle. „Hier Michael Sobierajczyk flitzt zu Helmut Schmidt – im Büchermagazin 12 Serie fl Freitag, 21. November 2008 Norbert Lammert (60) über den Stolz und die Verantwortung, Bundestagspräsident zu sein Norbert Lammert (60) und Z-Reporter Jan Rentzow So funktion iert Politik wirklich. -Serie VON JAN RENTZOW Er ist der oberste Parlamentarier, die Nummer zwei im deutschen Staat – nach Horst Köhler und noch vor Angela Merkel. Bundestagspräsident Norbert Lammert (60, CDU): Der Z erklärt er sein Leben an der Macht. Wann waren Sie das letzte Mal richtig stolz, Bundestagspräsident zu sein? Lammert: Stolz ist eine Haltung, die mir ein bisschen fremd ist. Aber z.B. der Umgang von Parlament und Regierung nach der dramatischen globalen Finanzkrise war auch bei nüchterner Betrachtung eine außerordentliche Leistung. Es hat bestätigt, dass unsere Verfassungsinstitutionen in einer Weise leistungs- und kooperationsfähig sind, wie das manche offenkundig nicht für möglich gehalten haben. Ein solches Paket in einer beispiellos kurzen Zeit in einer beispiellosen Größenordnung zu beraten und zu beschließen, um eine beispiellose mögliche Katastrophe abzuwähren, da soll sich mal einer melden und sagen: Das machen wir mühelos nach. Was macht Ihnen bei Ihrer Arbeit am meisten Spaß? Es gibt gelegentlich Parlamentsdebatten, an denen auch ich nicht so viel Spaß habe, und es gibt solche, da könnte ich mich geradezu dran begeistern. Es gibt Staatsbesuche, die machen richtig Freude, und solche, da hätte nichts gefehlt, wenn sie nicht stattgefunden hätten. Was insgesamt das Amt für mich so interessant macht, ist die Vielfältigkeit. Warum haben Politiker so einen schlechten Ruf? Die wichtigste Einzelerklärung ist vielleicht: Die meisten Politiker kennt man eben nicht persönlich. Die gleichen Leute, die die Kaste der Politiker eher zweifelhaft finden, antworten auf die Frage, was mit ihrem Wahlkreisabgeordneten ist, regelmäßig: Der ist in Ordnung, den kenne ich. Kann man nach 28 Jahren im Bundestag noch Humor haben? Wahrscheinlich nur so. Ihr letzter Termin? Ein Vortrag in einem College in Oxford. Da ich selber vor grauer Zeit während meines Studiums eine kurze Zeit in Oxford verbracht habe, war das auch eine schöne Gelegenheit, einen alten Tatort zu betreten. Waren Sie auch im Pub? Nein. Ich käme auch zu Hause in meinem Heimatort (Bochum, Anm. d. Red.) nicht auf die Idee, abends in eine Pinte zu gehen. Wie viele Abende in der Woche sitzen Sie auf Ihrem Sofa? Auf meinem Berliner Sofa jeden Abend oder besser gesagt Scharpings zweiter Frühling und ein Herz aus Gummibären für seine Gräfin VON FRIEDEMANN WECKBACH-MARA Zum Ende der Bonner Republik stand Verteidigungsminister Rudolf Scharping (damals 52) mit seiner Trennung von Ehefrau Jutta in den Schlagzeilen und das Rätselraten über seine Neue begann. Am 26. August 2000 hakte ich nach („Sie haben mir doch die Story exklusiv versprochen“), da kam die überraschende Antwort: „O.K., treffen wir uns morgen am Köln-Bonner Flughafen.“ Vergebens hielt ich Ausschau nach Ministerlimousinen, bis ich einen roten VW einsam auf dem Parkplatz sah mit einem heftig winkenden Mann am Steuer. Er war es. Zu zweit fuhren wir in Richtung Taunus. Konspirativ musste ich den Fotografen hinter uns herlotsen („verraten sie den Ort niemanScharping (re.), Weckbach-Mara dem“). Vor dem einsamen Wochenendhaus erwartete uns Kristina Gräfin PilatiBorggreve (51). Was dann kam, stellte jeden HerzSchmerz-Roman in den Schatten. Scharping hatte für seine große Liebe Gummibärchen in Herzform auf einem Tablett arrangiert, liebevoll blickte er seine Tina an: „Kopf und Herz sind sehr jung. So passen wir beide sehr gut zusammen. Wir wollen zusammenleben, so lange uns der liebe Gott lässt.“ Morgen: Wie Ritas Rache in den Reichstag kam. jede Nacht. Weil es jede Nacht 23 Uhr plus X ist, wenn ich anfange, Zeitungen zu lesen, die ich bisher nur in Form von Presseauszügen gesehen habe, oder vielleicht beginne, wichtige Unterlagen für den nächsten Tag durchzugucken. Der zweite Mann im Staat wohnt im Plattenbau. Warum? Warum nicht? Irgendwo muss ich ja wohl wohnen. Also habe ich nach einem Domizil gesucht, dass möglichst zentral gelegen sein sollte. In einer geradezu typischen Wohnlage in Berlin Mitte, von der aus ich alle für mich wichtigen Ziele auch zu Fuß erreichen kann. Soweit das BKA mich lässt. Sie sind doch Pfeifenraucher oder haben Sie mit dem Rauchverbot aufgehört? Nein, nein, ich bin’s noch. Aber in meinem Büro rauche ich selbstverständlich nicht mehr. Das hat meinen eigenen Konsum sicher halbiert. Was wären Sie ohne Ihre Mitarbeiter im Bundestag? Der gute Ruf, den man mir nachsagt, hängt ganz wesentlich mit der unauffälligen Arbeit der Mitarbeiter zusammen, die kein Mensch wahrnimmt, die aber ganz wesentlich die Leistungsfähigkeit des Bundestages und ganz sicher auch meine ermöglichen. FOTO: SIEWERT Hier erklärt der zweite Mann im Staate dem Z-Reporter die Macht 12 Report ** fl Sonntag, 23. November 2008 Wo die Macht t Deutschlands Spitzenpolitiker inside: Ihre Büros, ihre Kneipen, ihr Zuhause Das „Cabinett“ In der PolitikerSiedlung „Schlange“ bewirtet Monika Bollenberg (64) die Abgeordneten. Mit viel Liebe und Schnitzeln bis Mitternacht. Angela Merkel war auch schon da VON JAN RENTZOW Heidemarie WieczorekZeul kann ganz schön ruppig werden, wenn sie Hunger hat. Es soll Ministerinnen geben, die flitzen in ein Lokal, bestellen einen Salat, flitzen raus, und kommen später mit dem leeren Teller wieder: Vielleicht sollten wir so beginnen. Wie unsere Politiker essen. Und wo. Gesetze fangen auch nicht hinten an. *** Große Politik mit Milchschaum. Kontakthöfe, die niemand für möglich halten würde. Politiker, die abends zusammen sitzen in einer Eckkneipe, die „Cabinett“ heißt, und sich Schattenkabinett nennen. Politiker, die in Prenzlauer Berg Fußball spielen gegen eine Bürgermeisterauswahl aus Rheinland-Pfalz und nach dem Duschen zur Dritten Halbzeit gehen. Politiker, völlig übermüdet, hohläugig, mit 14 Terminen am Tag. Die Z war im Zentrum der Macht. Im Strudel, der sich dreht, zehn, zwölf Stunden am Tag, noch länger, noch weiter. Vom Frühstücksfernsehen bis zum Nachtjournal, vom Adenauer-Haus bis Udo Walz, immer für Deutschland und ein bisschen auch für sich selbst. *** Politik ist, wenn wir über den Gendarmenmarkt schlendern, und Barack Obama kommt aus dem Promi-Lokal „Borchardt“ nach seinem Besuch bei der Kanzlerin. Politik ist, was in der Parlamentarischen Gesellschaft gleich neben dem Reichstag passiert, während wir die Tagesschau einschalten. Politik ist, wenn Politiker abends unter sich bleiben, weil sie nur sich kennen und auch in der Opposition Freunde haben. Politik in Berlin sind politische Abende mit Buletten. Von Firmen und Verbänden. Bei Vodafone, VW – speziell für Politiker organisiert. Entscheidungen anfüttern beim Bier mit persönlichem Handschlag. *** Wer macht was? Wer entscheidet wo? Die Politik verändert Berlin, Berlin verändert die Politik. Doch wie? 13 17 18 Hauptbahnhof Damit die Pendler ihren ICE noch erwischen, enden die Debatten im Bundestag freitags früher 1 2 18 Kanzleramt Schaltzentrale der Macht, Merkels Repräsentanz 2 Schloss Bellevue Amtssitz von Bundespräsident Horst Köhler und Ehefrau Eva Luise Interconti Am Freitag steigt hier der Bundespresseball. Hier Wirtschaftsminister michael Glos mit Ehefrau Ilse 2007 14 14 5 21 11 21 11 5 Udo Walz Kanzlerin Merkel kommt vor Staatsbesuchen in seinen Salon im Kempinski Plaza in der Uhlandstraße. In der Woche hat sie eine Dame, die ihr die Haare fönt. Auch die CDU-Abgeordnete Dagmar Wöhrl geht zu Star-Friseur Udo *** „Die Berliner Machtzentren sind das Bundeskanzleramt, der Bundestag, der Bundesrat und das Finanzministerium. Mit größerem Abstand das Auswärtige Amt“, sagt Parteienforscher Gero Neugebauer über die aktuelle Einstein Kurfürstenstraße Bis zu ihrer Wahl zur Kanzlerin war Merkel oft Gast Konrad-Adenauer-Haus Die Machtzentrale der CDU politische Machtkarte in Berlin. Danach gibt es noch viele kleinere Punkte, die Ministerien, Parteizentralen. Und die Lokale der Berliner Gesellschaft – Machtzentren alleine deshalb, weil man dort gesehen wird, und nur wer gesehen wird, ist wichtig. Im „Cinque“, in das Guido Westerwelle so gerne geht, weil es so nah an der Parteizentrale der FDP liegt. Dem „Café Einstein“, in das Gerhard Schröder oft auf einen Kaffee kommt, weil er sein neues Büro gleich um die Ecke hat. Cem Öz- demir, der neue Parteichef der Grünen, die SPD-Linke Andrea Nahles, Otto Schily. Im „Grill Royal“ an der Friedrichstraße feierte Joschka Fischer im August seinen 60. Geburtstag mit Claudia Roth und Marius-MüllerWesternhagen. In die „Eins“ im Sonntag, 23. November 2008 Report 13 * tagt und tafelt 3 Parlamentarische Gesellschaft Hier dürfen nur Abgeordnete essen. Und ihre Gäste 6 Grünen-Zentrale Neuer Chef seit letzter Woche: Cem Özdemir 6 7 16 Reinhardtstraße Die Ausgehmeile der Abgeordneten. Hier das „Kanzlereck“ 17 9 FDP-Zentrale Opposition unter Führung von Guido Westerwelle Reichtstag Draußen Touristen, oben Touristen, drinnen 612 Abgeordnete, die um die Zukunft von Deutschland ringen 8 7 1 10 12 9 8 Karl-LiebknechtHaus Sitz des Parteivorstandes der Linken (Bisky und Lafontaine) 16 13 12 19 20 Paul-LöbeHaus Es beherbergt Ausschüsse des Bundestages 10 Marie-Elisabeth-Lüders-Haus Das Informations- und Dienstleistungszentrum des Parlaments 15 3 19 3 Finanzministerium Nächste Woche soll der neue Haushalt durchs Parlament 20 4 15 4 Bundesrat Vertritt die Interessen der Bundesländer. Fast alle wichtigen Gesetze sind von seiner Zustimmung abhängig Hauptstadtbüro der ARD kommt Ottmar Schreiner vom SPD-Arbeitnehmerflügel oft mit dem Fahrrad, und Franz Müntefering war früher häufiger hier, zusammen mit seiner Frau. *** Angela Merkel. Die Frau mit der harten Hand und dem sanften Lächeln, hat keine Angst vor Deftigkeit. Bei nächtlichen Machtrunden im Kanzleramt stellt sie schon mal das „Kanzlerin-Buffet“ hin. Mit Buletten. So lange hört sie dann zu, wägt ab und steuert, bis es genug ist. Ber- Einstein Beliebtes Caféhaus Unter den Linden. Eines der wichtigsten Frühstückszimmer der Politik SPDZentrale Alter Chef ist neuer Chef. Seit Beck weg ist, ist Müntefering wieder Herr im Haus lin oder die Frage, wer mit wem aß. Die Kanzlerin, das Kabinett und das Spiel der Macht in Mitte. *** Feines Tischtuch, Kellner, die noch Fliege tragen, „Einstein“, zweiter Hinterraum. „Ich bin diese Woche schon das dritte Mal hier“, sagt Renate Künast, die frisch gewählte Spitzenkandidatin der Grünen. Und lobt: „Die Bedienung strahlt aus: Auf Sie haben wir schon gewartet. Es gibt Rucola-Salat hier. Heute versuche ich es mal mit einem Borchardt Thomas Gottschalk und Iris Berben. Und dazu die große Politik. Berlin. Deutschland, die Welt: Auch Obama war schon da Ei im Glas.“ Die “M“ heißt die Merkel, „P“ der Steinbrück, Peer. An den Tischen, an denen die Wichtigen speisen. Kommen sei nur bedingt ein Vergnügen, sagt Fortsetzung auf Seite 14 FOTOS: FALKO SIEWERT, (LAIF/BISKUP, WECKBACH-MARA, KARADSHOW, BECHER, DPA, EVENTPRESS HERMANN, SUCCO MEDIA) 14 Report ** fl Axel Fischer (CDU, li.) und Detlef Parr (FDP, 2. v. re.): „Wir üben schon mal die nächste Koalition“, sagen die Abgeordneten. Und trinken Wasser statt Wein, weil sie gleich weiter müssen. Zum nächsten Abendtermin Die Woche der Mächtigen Wasser statt Wein. Und danach nicht ins Bett ministerin. „Der habe ich was erzählt.“ *** Unterhalten sich zwei Hinterbänkler. „Kennst Du den Unterschied zwischen der Legehenne und dem Kaninchen des Jahres?“ Nein, sagt der andere und denkt an seinen letzten Termin. „Das Karnickel können wir wenigstens noch streicheln.“ Ein 14-Stunden-Tag, zehn Termine am Tag“, sagt Axel Fischer, gelernter Elektroinstallateur – seit elf Jahren Volksdiener von der CDU-Hinterbank. „Ich trinke lieber keinen Wein, sonst halte ich den nächsten Termin nicht durch.“ Sein FDPKollege Detlef Parr nickt und steht neben ihm am Tresen: „Mir macht sie Spaß, die Politik“, sagt er, „sonst würde ich Dienstagnachmittag, 17.30 Uhr. Ein Reisebus fährt vom Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Dieter Wollstein, der Gedem Verwaltungsgebäude des schäftsführer des „Einstein“, Bundestags in den Szene-Kiez Arbeit, die morgens um 7 Uhr Prenzlauer Berg. Die letzten mit dem ersten Frühstück beAbgeordneten des FC Bundesginne. tag ziehen sich einfach unter*** wegs um. „Die verlieren doch“, Wir folgen den Spuren in die Hinterzimmer der Macht, sagt der Busfahrer. „Kriegen Regierungsviertel, Reinhardtdoch keine Luft!“ Am Spielfeldstraße. „Wirtshaus Mitte“. rand wenig später: „Seid ihr „Wir würden bei der Fraktionssitzung heute auch so hart rangenommen gerne sitzen, wo worden?“, fragt ein AbgeordneHerr Lafontaine ter den anderen am Spielfeldimmer sitzt“, rand. „Bei uns ging es heute bitten wir. Das richtig zur Sache.“ würde aber *** schwierig, sagt „Das schreiben Sie doch die Kellnerin: nicht“, sagt Monika Bollenberg „Der mietet sich (64), Wirtin vom „Cabinett“, immer die Bider Eckkneipe gleich bei den bliothek!“ Wir Abgeordnetenwohnungen in sitzen noch der Politiker-Schlange von nicht, da Tiergarten. „Das schreiben Sie kommt Lothar doch nicht, wie die hier sind. Bisky rein und Die wollen doch ihre Ruhe hageht gleich ben hier. Sonst kommen die nach hinten doch nicht mehr. Schreiben Sie durch. Allein. mal nicht, dass mir das Bild Kurz darauf von Kurt Beck von der Wand kommen Oskar Ein Abgeordneter nach dem Freundschaftsspiel. „Deutscher Bundestag“ gefallen ist! Der hat doch schon Lafontaine und steht auf seinem durchgeschwitzten Trikot genug zu tun. . .“ Gregor Gysi, zuPolitiker-Alltags-Witz, der sie das nicht machen.“ Und trotz*** sammen. „Heute Mittag war Herr de erträglich macht, die Realität. dem: „Der Stil der Politik ver„Natürlich kommen sie zu *** Maizière da, der Kanzlerändert sich, das Netzwerken, mir“, sagt Ercan Akbal (37), Montag Landesgruppe, die Kungelei zum Aufbau der Betreiber des Feinkostladens amtsminister“, verrät die Kellnerin im „Kanzlereck“, ein Dienstag, Mittwoch, Don- Machstrukturen ist stärker ge- zwei Eingänge weiter. Frau paar Häuser weiter. „Gestern nerstag Lobby-Abende, einer, worden.“ Dann muss er weiter. Nahles, Herr Seehofer, alle. der Kanzlerkandidat. Der zwei, drei am Stück. Freitag Um 22 Uhr soll er sich den „Ist doch normal. Die kriegen sitzt immer unten im Grup- nach dem Parlament ab in Apothekern stellen. Nett wird ihr Brot und ihre Milch ja penraum.“ Neulich war Ulla den Wahlkreis. Angst, etwas das nicht, sagt sein Gesicht. auch nicht vom Himmel geSchmidt da, die Gesundheits- zu verpassen. „Ich habe einen *** schickt.“ Fortsetzung von Seite 13 12 Sonntag, 23. November 2008 MONTAG D SPD-Präsidium: 10 Uhr. Unter Führung von Franz Müntefering, Willy-Brandt-Haus, 6. Stock. D CDU-Präsidium mit Angela Merkel. Fällt aber morgen aus, weil am Wochenende CDU-Parteitag ist. D Treffen der Fraktionsvorstände von CDU/CSU, SPD, FDP, Linkspartei, Grünen. D Fraktionssitzungen: Üblicherweise finden sie dienstags statt. Diese Woche ist aber Haushaltswoche im Parlament, deshalb vorgezogen auf Montag. Ein langer Tag für die Abgeordneten. DIENSTAG D Erste Plenarsitzung, Beginn 10 Uhr. Bereits heute, weil große Haushaltswoche ist. Sonst findet die erste Sitzung immer mittwochs statt. Diese Woche müssen alle Etats durchgepeitscht werden. Die letzte Debatte findet 18.10 Uhr statt: Etat für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, bis 19.30 Uhr. MITTWOCH D Der Kanzler-Etat, Höhepunkt der politischen Woche: Angela Merkel und ihre Richtlinienkompetenz, Generalangriff der Opposition auf die Politik der Großen Koalition. Ab 9 Uhr vier Stunden lang. 13 Uhr: Die Wahl des Datenschutzbeauftragten. DONNERSTAG D 9 Uhr: Plenumsdebatte über die Erbschaftssteuer. D Letzte Sitzung bis 20.45 Uhr: Umwelt-Etat. FREITAG D Die monatliche Bundesratssitzung. D Parlament von 9 bis 13.40 Uhr. Früherer Feierabend als sonst aus Rücksicht auf die Termine im Wahlkreis. D Abends: Bundespresseball im Interconti mit 2500 Gästen aus Wirtschaft, Politik. Feiern und gesehen werden. SONNTAG D Beginn des Bundesparteitags der CDU in Stuttgart (bis Dienstag). Sonntag, 23. November 2008 * Bonn, Krieg der Sterne und eine geheime Akte Wie Journalist Friedemann Weckbach-Mara den SDI-Vertrag öffentlich machte Der Regierungsumzug von sehen“. Am nächsten Tag um verschwiegen. Die Sensation war perfekt, Bonn (310 000 Einwohner) 15.10 Uhr trafen wir uns auf nach Berlin (3,4 Millionen der Straße, gingen gemeinsam meine Zeitung konnte weltexEinwohner) hat in den Köpfen in die Nähe der Geheim- klusiv die Geheimverträge zu der handelnden Personen ei- schutzstelle. Ich wartete zwei SDI drucken – bis zu dem Hinne Menge verändert. Die Zeit Räume weiter. Als „Ausrüs- weis, dass „sehr bedeutende der rheinischen Lösung mit tung“ hatte ich eine kleine Mi- technologische, wissenschaftlischlitzohrigem Kompromiss nox, wie sie in jedem bessern che und industrielle Talente, ist vorbei. Am 6. November Spionagefilm vorkam, und ein für die Berlin sehr wohl be1999 beklagte sich der damali- Tonbandgerät. Nur zur Erinne- kannt ist, dazu gebracht werge Außenminister und Ober- rung: Handy und Digitalkame- den, das SDI-Programm mitzutragen“. grüne Joschka Fischer in der ra gab es Noch in Dienstvilla des Auswärtigen noch nicht. der Nacht Amtes: „Es ist US-Verteidigungshabe ich furchtbar hier in minister Caspar alle UnterBerlin. Man Weinberger bestätigt lagen per kann kein verden Geheimvertrag an trauliches Gemit Deutschland Post mich selbst spräch mehr geschickt. führen. Das war Dadurch in Bonn noch waren sie ganz anders.“ für 24 StunDa ist schon etden unerwas dran. reichbar für Die Dimensiden Fall, on wird besondass die ders deutlich, Staatsanwenn man an Weinberger mit waltschaft eidie Zeit des Kal- Weckbach-Mara ne Durchsuten Krieges im Pentagon. chung anorddenkt. So hatte Rechts die Minox net. Aber am am 23. März zum Kopieren der nächsten 1983 US-Präsi- Geheimverträge Morgen rief dent Ronald GeneralbundesReagan eine anwalt Kurt Rebstrategische Vermann (1977 bis teidigungsinitia1990 im Amt) bei tive unter dem mir an: „Erstens: englischen Kürzel SDI angeordIch gratuliere Ihnet. Killersatellinen zu Ihrem ten sollten anJagderfolg. Zweigreifende Sowtens: Ich nehme jetraketen in der an, Sie machen Luft zerstören. von Ihrem ZeugAm 18. April nisverweigeAußenminister Joschka Fischer 1985 kündigte rungsrecht Ge(heute 60, r.) mit WeckbachBundeskanzler brauch.“ Meine Mara in der Toskana Helmut Kohl Antwort war (CDU) die deut- FOTOS: PRIVAT, BILD AM SONNTAG/NIELS STARNICK (1) schlicht „Ja“. sche Beteiligung am Krieg der Und in Reichweite der Ge- Freund Rebmann trocken: Sterne an und einigte sich ein heimschutzstelle stand aus Si- „Dann ist die Sache für mich Jahr später mit US-Verteidi- cherheitsgründen kein Kopie- erledigt.“ gungsminister Caspar Wein- rer. Nicht so für den Bundestag, berger (von 1981 bis 1987 im Mein Freund kam raus: „Wir der eine Woche darüber deAmt) auf die Bedingungen. haben nur wenige Minuten.“ battierte – mit dem Ergebnis, Der deutsch-amerikanische Ich fotografierte ein paar Sei- es sei gut, dass die SDI-VerträSDI-Vertrag verschwand in der ten und las den gesamten Text ge nicht länger geheim sind. Das hat nur aus zwei GrünBonner Geheimschutzstelle. ins Tonband. Bereits nach weVor allem Mitglieder des Si- nigen Minuten gingen wir aus- den funktioniert: 1. Der Politiker wollte, dass der Vertrag cherheitskabinetts wie die Mi- einander. Ich fuhr zu meinem Chefre- trotz Verpflichtung zur Genister für Äußeres, Inneres, Verteidigung und Wirtschaft dakteur, der bereits mit dem heimhaltung öffentlich wird. 2. hatten Zugang. Und ganz Bonn Verleger zusammensaß. Recht- Er hat mir vertraut, denn bei liche Bedenken – es ging um der kleinsten Indiskretion wäwollte wissen, was drin stand. Am 16. April 1986 rief mich nicht weniger als glatten Lan- re er öffentlich zum Landesein zugangsberechtigter Politi- desverrat im Kalten Krieg – verräter geworden. Das war ker an mit dem schlichten Hin- wurden ausgeräumt. Die Quel- die Bonner Republik – und weis, wir sollten uns „morgen le habe ich selbstverständlich der Kalte Krieg. Report 15 Lesen Sie ab morgen neue Folgen der großen Z-Serie Berlin, Zentrum der dachtsraum des BundesMacht, Stadt der Entschei- tags. Wie entsteht Politik, dungen. Die Z ist für Sie was beeinflusst sie? Wie auf den Spuren der Politik. wird sie gemacht? Was Was passiert in den Hinterspürt man, wenn man sie zimmern der Mächtigen? hat, die Verantwortung für Was hat eine DeutschAbgeordland? nete im Berlin, Kühldas ist schrank? Ringen Wie ist es, um Ge-Serie . über das Parsetze litik wirklich Po t ier on funkti lament zu 80 So rund um Millionen Deutschen zu die Uhr. Und wir wollen zeisprechen? gen, wie sie funktioniert: Die Z besucht die Politik die Politik mitten unter uns. zu Hause und im Hotel. Die Lesen Sie morgen: Wie Z begleitet Abgeordnete der FC Bundestag gegen elf Bürgermeister aus 24 Stunden, trifft sie, in Rheinland Pfalz antrat. persönlichen Momenten, Kicken als Politik. sogar beim Beten im An- 14 Berlin * fl Montag, 24. November 2008 Dienstags in Prenzlauer Berg tauschen die Parlamentarier Anzug gegen kurze Hose Kick mal! Der FC Bundestag „So, und jetzt wählen wir den Knackarsch der Mannschaft“, ruft einer durch die Kabine und zieht das Trikot aus. „Ach“, sagt ein anderer. „Da gewinnt wieder die SPD.“ Sie albern herum, So funktioniert Politik wirklich. -Serie Politiker wie kleine Jungen. Doch nicht erst jetzt. Es passierte schon vorhin im Bus. Im Bus auf dem Weg zum Stadion in Prenzlauer Berg, als die letzten den Schlips ablegten. *** Die Z auf den Spuren der Macht. Politik, so ehrlich wie sie wirklich ist. Heute mit dem FC Bundestag beim Kick nach dem Parlament. Zwei Mal dreißig Minuten gegen Bürgermeister aus Rheinland-Pfalz. „Gut warmlaufen! Das Wetter ist tückisch für die Muskeln“, warnt Captain Klaus Riegert (49, CDU) Sportausschuss. „Ich spiele mit der 13. Wie Ballack!“, sagt Michael Grosse-Brömer (48, CDU), Rechtsexperte. Hat da eben noch einer Erbschaftssteuer gesagt? Streber. *** 18.14 Uhr. Die Bürgermeister erleichtert. Da seid Ihr ja. Nach- her Dritte Halbzeit? Klar. Anpfiff. 18.15 Uhr. Dirk Fischer (64) am Ball. Die „Blutgrätsche“ der CDU. Parteifreund Marcus Weinberg (41), erst seit drei Jahren im Bundestag, vertändelt. 18.17 Uhr. Angriff Weiß. Für die Bürgermeister geht es um die Ehre. „Spielen die öfter zusammen? Verdammt!“ 18.19 Uhr. Die Bundespolitik verliert den Humor. Offener Koalitionsgraben im Strafraum. 0:1! Wird schon noch. 18.24 Uhr. „Sind das wirklich Politiker?“, fragen die beiden Jungen am Spielfeldrand. „Bundestag, Bundestag!“, rufen sie der Kicker-Koalition zu. Freistoß, Captain Riegert. Vorbei. 18.29 Uhr. Innenexperte Alois Karl (58) von der CSU allein vorm Tor. Den muss er doch machen. Konter der Bürgermeister über rechtsaußen. 18.31 Uhr. Schon wieder dieser Pfälzer. „Der Bomber aus der Pfalz“, jetzt hat er seinen Spitznamen weg. Gemurmel, Rufe: „Wieso kommt der immer wieder durch?“ 18.35 Uhr. Die Spielerfrauen der Bürgermeister feixen. „Wir wussten, dass unsere Männer gut sind.“ Frauenvorteil. 18.45 Uhr. Halbzeit. Schulterklopfen, Mut zusprechen. „Wer einmal zusammen geduscht hat“, redet anders miteinander“, sagt Riegert, der Captain. 18.50 Uhr. Anpfiff. Zweite Amts- ähm, Halbzeit. 18.52 Uhr. Die Bürgermeister drücken Berlin an die Wand. Tor! Doch nicht. Abseits. 18.59 Uhr. Paul Schäfer (59), der einzige Linke im Team wird ungeduldig auf der Bank. Verdammte Zerrung. „Ich würde so gerne spielen“, sagt er. Mosert: „Wir brauchen einen Einwurf- herbei gelaufen: „Jungs, seid wenigstens ehrlich!“ 19.12 Uhr. Links mehr als rechts. Die Politiker hecheln. Nur noch acht Minuten. 19.13 Uhr. Ein Bürgermeister alleine vorm Tor. Glanzparade des Bundestags-Keepers. 19.15 Uhr. Wieder von Stetten Das Abc der Politik (Teil 1) A wie Abgeordneter. Jeder Wahlberechtigte ab 18 Jahren kann für den Bundestag kandidieren. Dazu wird er normalerweise von einer Partei, deren politische Ziele er teilt, aufgestellt. Parlamentarier sind Abgesandte auf Zeit. Bei jeder Bundestagswahl müssen sie sich erneut dem Wählervotum stellen. wie Bundestag. Der Bundestag ist das höchste Verfassungsorgan Deutschlands. Und das einzige, das auf Bundesebene direkt vom Volk gewählt wird. wie CDU. An der Spitze der Christlich Demokratischen Union Deutschlands steht seit dem 10. April 2000 die Parteivorsitzende Dr. Angela Merkel. Seit dem 22. November 2005 ist sie Bundeskanzlerin der Großen Koalition aus CDU und SPD. wie Demokratie. Alle Staatsgewalt geht in einer Demokratie vom Volk aus. Wer das Land regiert, wer die Gesetze macht, hängt von den beiden Kreuzen ab, die die Wahlberechtigten auf ihre Stimmzettel machen. Damit geben die Wähler ihre Macht auf Zeit an ihre Volksvertreter ab. wie Erststimme. Jeder Kandidat, der in seinem Wahlkreis die Mehrheit der Erststimmen erhält, kommt mit einem Direktmandat in den Bundestag. B C Der Bundestag erschöpft und erleichtert nach dem Spiel. Wenigstens nicht verloren trainer.“ 19.02 Uhr. Freistoß. Wieder die Chance, alles besser zu machen. Jetzt wächst zusammenwachsen, was zusammen gehört, Teamgeist. 19.04 Uhr. Finanzpolitiker Christian von Stetten (38, CDU) kommt an den Spielfeldrand. „Wie Butter gehe ich da durch die Linien durch.“ 19.05 Uhr. Die Butter macht ernst. Schöne Flanke. 19.09 Uhr. Noch elf Minuten. Latte. Linie. Ein Tor, das keins war. Der Bundestag jubelt. Der Bürgermeister-Coach kommt am Spielfeldrand: „Wie lange ist noch?“ 19.22 Uhr. „Ich hab’ keinen Bock mehr“, ruft Ballack, Michael Grosse-Brömer. Doch dann kriegt er den Ball vor die Füße. Läuft, läuft, tänzelt, läuft. Hämmert aus 20 Metern. Der Ball fliegt. 1:1! 19:25 Uhr. Das war’s. Abpfiff. 19.28 Uhr. „Wir waren wie Ribery und Ze Roberto, sagt Grosse-Brömer zu Captain Riegert. „Nur der eine zu langsam und der andere zu weiß…“ 20.00 Uhr. Das mit der Dusche wissen Sie ja schon. D E FOTO: FALKO SIEWERT VON JAN RENTZOW 1:0 liegen die Bürgermeister aus RheinlandPfalz vorne. Doch der Bundestag in Rot gibt nicht auf * fl Dienstag, 25. November 2008 Mein Leben in der PolitikerPlatte Christine Scheel (51) beim Frühstück in ihrer Dreizimmerwohnung. Unten im Haus ist ein Feinkostladen Die Politikerschlange. Das Zuhause von 50 Bundespolitikern 50 Abgeordnete wohnen in Tiergarten in der Schlange. Auch Christine Scheel (51) von den Grünen VON JAN RENTZOW Wer kann schon aufs Kanzleramt gucken? Herrlich die Spree, die Weite. „Ich wüsste nicht, warum ich hier ausziehen sollte“, sagt Christine Scheel (51), eine von 50 Parlamentariern in der PolitikerSchlange von Tiergarten. „Von außen denkt man Hasenkasten, aber von innen. Kommen sie rein“, sagt die Vize-Vorsitzende der GrünenFraktion, die sieben Jahre Chefin des mächtigen Finanzausschusses war. Die Z im Zentrum der Macht. Heute, wo die Politik zu Hause ist, in der Politiker-Platte bei Christine Scheel. 70 Quadratmeter. Drei Zimmer, offene Küche – das kleine Reich der Parlamentarierin in der Hauptstadt. 570 Kilometer Entfernung bis nach Aschaffenburg, ihrer Heimat. Ein kleines Dorf und 1700 Menschen, die sich freuen, wenn sie samstags zum Metzger geht. Die Welt, an die sie immer denkt, wenn sie während der Woche Politik macht. „Ich wohne hier in einer WG“, sagt Scheel, „meine Mitbewohnerin Thea ist auch Grüne. Die sehe ich manchmal öfter als meinen Mann zu Hause.“ Die blaue Couch – hat Thea besorgt. Das Kinderbild neben dem Frühstückstisch – hat Thea aufgehängt. „Zuhause in Bayern nehme ich Abstand von hier, von der Politik“, sagt Scheel und gießt noch einen Frühstücks-Tee auf. *** „In meinem Aufgang wohnen noch mehr Politiker“, erzählt sie. „Oben der Rainer Brüderle von der FDP“, aber den sieht sie kaum. Macht der denn viel Krach, der Kollege Vizefraktions-Chef? „Nein, den höre ich nicht. Nur die Kinder direkt über uns.“ Sie lächelt, schaukelt ihre Füße in den weißen Socken. Warum nur sind Menschen wie sie so Das Abc der Politik (Teil 2) F schrecklich normal, wenn sie nicht vor der Kamera stehen? *** So funktioniert Politik wirklich. -Serie Haben Sie eine Putzfrau, die hier durchsaugt? „Ja, eine Dame kommt alle zwei Wochen, eine Stunde.“ Alleine schafft sie das nicht. Wo holen Sie ihre Milch? „Manchmal gehen wir runter in den Feinkostladen, holen die Zeitungen und ’nen Joghurt!“ Sitzen die Politiker wirklich da unten in der Eckkneipe? „Ja, die Hardliner, Immer dem Licht entgegen. Scheels Küche in Tiergarten jeden zweiten Abend. Die können einfach nicht abschalten.“ Auch ihr fällt es schwer, ohne Zeitung ins Bett zu gehen. *** Frau Scheel, wann haben Sie in Berlin das letzte Mal gekocht? „Vor vier Wochen!“ Zeit, sich abends mal in die Badewanne zu legen? „Doch, das mache ich öfter, nach anstrengenden Debatten!“ Und Gerhard, ihr Mann, was sagt der dazu, dass sie immer so viel hier ist und nicht bei ihm in Bayern? „Der unterstützt mich. Wenn ich freitags ankomme, sagt der: ‚Jetzt setz Dich erst mal hin. Komm runter!’ Das hier in Berlin ist meine schnelle Welt. Und zu Hause in Aschaffenburg meine langsame.“ *** Dann muss sie los, die Grüne, die ihre Mitbewohnerin Thea öfter sieht, als ihren Mann. Die schnelle Welt hat gerufen. Arbeitskreis, Fraktionsvorstand, große Fraktionssitzung. Es ist 10 Uhr. Heute Abend um 23.30 Uhr ist sie wieder zu Hause. „Mit Thea habe ich mich noch nie gestritten. Mach mal, bring Du mal Tee mit, so was gibt es bei uns nicht!“ Ihr Mann ist übrigens in der SPD. wie FDP. An der Spitze der Freien Demokratischen Partei steht seit dem 4. Mai 2001 der Parteivorsitzende Dr. Guido Westerwelle. Die FDP ist mit 61 Sitzen die größte Nichtregierungspartei im Parlament. wie Grüne. An der Spitze der Grünen stehen gleich zwei Politiker. Seit Samstag vor einer Woche Cem Özdemir, der erste Parteichef in Deutschland mit türkischen Wurzeln. Claudia Roth führt die Partei schon länger, seit 2004. wie Henne, fette. An der Stirnseite des Bundestags hängt über den Köpfen der Abgeordneten die „Fette Henne“, der Bundesadler. Das Wappentier aus Aluminium wiegt 2,5 Tonnen. Und hat eine stattliche Größe: 58 Quadratmeter. wie Immunität. Eine besondere Regel zum Schutz der Arbeitsfähigkeit des Parlamentes. Danach darf gegen einzelne Abgeordnete nur mit Zustimmung des Bundestages ermittelt oder Anklage erhoben werden. Ausnahme: Der Abgeordnete wird bei Begehung einer Straftat erwischt oder am Tag darauf festgenommen. wie Juristen. Die Juristen stellen mit 135 die größte Berufsgruppe unter den 612 Volksvertretern im Bundestag. Insgesamt sind 25 Berufsgruppen vertreten, darunter auch 70 Pädagogen. G H I J FOTOS: FALKO SIEWERT 10 Serie * fl Mittwoch, 26. November 2008 Der ehrliche Mann von SchwarzRot-Gold Vier Stunden Schlaf, Presseschau im Fitness-Studio und manchmal das Parlament schwänzen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Axel Fischer (42) verrät elf Wahrheiten seines Politikerlebens Axel Fischer (42): Aus dem Ländle nach Berlin-Mitte. Und dort jede Menge zu tun Das Abc der Politik (Teil 3) VON JAN RENTZOW Er lebt sein Leben für die Politik: Elektroinstallateur Axel Fischer (42), seit fast elf Jahren Mitglied im Bundestag. Vier Töchter, CDUMann aus dem Ländle, Wahlkreis: Karlsruhe Land. „Politiker aus Leidenschaft“, sagt er, Forschungspolitik von früh bis spät. Raus um 6.30 Uhr, ins Bett um 2.00 Uhr nachts. Morgens Kanzlerin, nachts Kartoffelsalat. Seine Mission: Ein besseres Deutschland. Seine Hoffnung: Die Wiederwahl. Wir trafen ihn auf einem Lobbyabend der Automatenindustrie. Elf Bekenntnisse eines gelernten Strippenziehers, die Politiker-Wahrheit in der Z. q Ich gehe auch mit Oppositionskollegen aus der FDP in die Kneipe. „Wir üben schon mal die nächste Koalition ab nächsten Herbst.“ w Manchmal haue ich bei Terminen früher ab. „Meine Regel ist, überall, auf allen Terminen, den Kopf reinstecken. Wenigstens eine Stunde hingehen. Wenn ich wirklich nicht kann, schicke ich meinen Referenten.“ e Hin und wieder sehe ich ein wenig gequält aus. „Manchmal denke ich, das habe ich schon fünf Mal ge- z Manchmal gehe ich nicht ins Plenum. „Normalerweise hat das Plenum Priorität. Ich gehe rein, wenn die Regierung spricht. Oder ein Vertreter aus meiner Landesgruppe. Oder wenn Themen aus meinem „Das Streiten ist die politische Auseinandersetzung. Das andere die menschliche Seite. Es gibt in der eigenen Partei Leute, die weniger sympathisch sind. Und ich habe in der SPD Kollegen, mit denen ich locker ein Bier trinken könnte.“ i Ich kann kaum loslassen. „Mittwochs und freitags gehe ich ins Fitnessstudio. Ich laufe dann auf dem Band und -Serie So funktioniert Politik wirklich. gucke im Frühstücksfernsehen so lange Nachrichten, Ausschuss behandelt wer- bis sie sich wiederholen.“ den. Wenn niemand davon o Ich lese die „Bunte“. spricht, gehe ich vielleicht „Für die Leute ist Zeitung lenicht unbedingt hin.“ sen Freizeit, für mich Arbeit. u Im Parlament streiten Ich lese ‚Spiegel’, ‚Focus’, sowir uns. Danach verstehen gar ‚Gala’ und ‚Bunte’, damit ich weiß, worüber die Leute wir uns. Das kommt vor. im Wahlkreis reden.“ Fischer (li.) auf einem Lobbyp Im Büro habe abend der Automatenindusich ein Sofa. trie in der Dircksenstraße. „Als ich anfing, haMit seinem FDP-Kollegen be ich da mittags Detlef Parr (re.) zwei Stunden übergenickt. Doch das schaffe ich nur noch selten.“ 3 Ich würde so gerne mehr Sport machen. „Ich habe jeden Tag meine Sporttasche dabei, will zwischendurch kurz zum Sport. Doch abends nehme ich die wieder mit nach Hause. Ohne Sport.“ hört. Frage mich, bevor ich zu einem Termin los muss: Oh je, muss das wirklich sein? Dann bin ich da, stehe auf dem Podium und es sind doch noch wieder neue Aspekte dabei.“ r Meinen Wein trinke ich nur mit Wasser. „Wenn ich mir einen Wein bestelle oder aufdrängen lasse, dann nur mit einem Glas Wasser. Wenn ich mehr als nippen würde, wäre das eine Katastrophe. Ich muss ja gleich zum nächsten Termin.“ t Für Fotos stelle ich das Weinglas weg. „Das könnte sonst einen falschen Eindruck machen. Man muss immer an den Wähler denken.“ K wie Kölner Dom. Donnerstags und freitags erklingen im Bundestag um 8.35 Uhr die Glocken des Kölner Doms. Die Glockentöne kommen vom Band und laden zur christlichen Morgenfeier im Andachtsraum ein. wie Linke. Die Partei „Die Linke“ ist hervorgegangen aus der PDS und der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit WASG. An der Spitze stehen seit 16. Juni 2007 Lothar Bisky und Oskar Lafontaine. Lafontaine war früher in der SPD. wie Mandat. Keines der 612 Mitglieder des Deutschen Bundestages kann gezwungen werden, sich der Meinung seiner Fraktion zu unterwerfen. Artikel 38 des Grundgesetzes garantiert das freie Mandat. wie noch freie Plätze. Der Bundestag könnte seine vielen Aufgaben nicht erfüllen, wenn alle Abgeordneten immer gleichzeitig im Plenum säßen. Es herrscht Arbeitsteilung, organisiert in Ausschüsse, Unterausschüsse, Arbeitsgruppen. wie Opposition. Als Opposition bezeichnet man die Parteien und Gruppierungen, die zwar im Parlament vertreten, jedoch nicht an der Regierungsbildung beteiligt sind. wie Petitionen. Bitten und Beschwerden an den Bundestag landen beim Petitionsausschuss, der sie prüft und berät. L M N O P FOTOS: FALKO SIEWERT 14 Serie *** fl Donnerstag, 27. November 2008 Erst das Vaterunser, dann der Vater Staat Die Morgenandacht im Bundestag. Um 8.40 Uhr die Richtung finden für die eigene Politik Das Abc der Politik (Teil 4) Im Andachtsraum, mitten im Bundestag, schöpfen die Abgeordneten Kraft für schwere Entscheidungen VON JAN RENTZOW Ein kleiner karger Saal in der Mitte der Macht. Das Licht gedämpft. Eine Kerze. Ein hölzernes Kreuz. Und andächtige Stille wie in einer Kathedrale. Die Bundespolitiker, jetzt erheben sie sich. Sie beten: „Vater Unser im Himmel, Geheiligt werde Dein Name…“ Beten für das Gewissen und die richtige Entscheidung. Im Raum 1S019, nur fünf Schritte zum Plenarsaal im Reichstag, geht die Politik unter die Haut. Wenn die gläubigen Politiker aus allen Fraktionen hier zusammenkommen, nur noch Gott regiert. Innehalten wie auf einer Insel der Gebete. Steffen Reiche von der SPD, Bodo Ramelow von der Linken. Katharina Landgraf von der CDU. Geeint in ihrem Glauben, der ihnen Kraft gibt für Verantwortung, die manchmal nur schwer zu ertragen ist. Und Spardebatten wie gestern: als die Kanzlerin verkündete, dass Deutschlands Wirtschaft vor einem schweren Weg steht. Die Z im Andachtsraum des Bundestags, im stillsten Hinterzimmer der Macht. Erst das Vaterunser, dann Vater Staat. 8.38 Uhr. Nur Katharina Landgraf fehlt noch, die kleine sächsische Abgeordnete. „Ach, Sie schaffen es ja doch“, begrüßt sie eine Saaldienerin. Abgehetzt stürmt die Politikerin in den Saal der Ruhe. „Ich habe extra einen Zug früher genommen“, sagt sie und da sitzt sie schon. Zweite Reihe ganz rechts. Eine Saaldienerin des Parlamentes schließt die schwere blaue Tür. Orgel. Gebet, Segen – zehn Minuten. Pfarrer Alexander Bitzel (39) ist heute zu den Politikern gekommen, seine Stimme ist viel leiser als die Politik vor der Tür. Sanft spricht er zu den andächtigen Politikern, der Parla- den Schatten stellt, die eben noch zu hören waren – als Einstimmung in die 10 Minuten dieser Ökumenischen Zeremonie. „Die Andacht hat mir gut getan. Es bringt mir Ruhe, mich auf Glaubensdinge zu konzentrieren“, sagt Katharina Landgraf von der CDU. Bevor über das Stammzellengesetz abgestimmt wurde, war sie hier. Jetzt, wenn es -Serie So funktioniert Politik wirklich. darum geht, über die Patienmentsärztin, den gläubigen tenverfügungen zu entscheiMitarbeitern aus der Verwal- den, den selbst gewünschten tung. Und ein 71-Jahre alter Tod, wird sie genauso oft Herr, Christian Schlicke, be- kommen. „Da bin ich noch dient die herbei gerollte Or- unsicher.“ gel. So flink, dass er selbst Wie oft betet die Politik in die Kölner-Dom-Glocken in Raum 1S019? Annette KippSandherr (52), die SaaldieEin Holzkreuz auf nerin, die den Abgeordneten dem Altar. Mit hilft, ihre eigene Mitte zu finNagelkunst von den: „Sie kommen öfters her. Günther Uecker an Nicht nur zu den Gottesder Wand diensten. Das ist ein Ort der Ruhe. Hier finden die Politiker die Kraft, die sie brauchen. “ Glaube kann Berge versetzen, lautet ein altes Sprichwort. Doch wahrscheinlich macht er nicht nur das. Wahrscheinlich verändert er Deutschland. Ein bisschen. Q wie Quorum. Um nach Bundestagswahlen ins Parlament einzuziehen, muss eine Partei fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten haben. Ausnahme: Der Einzug über Direktmandate. wie Regierung. Die Bundesregierung muss dem Bundestag Rechenschaft ablegen. Bei Abstimmungen über Regierungsvorhaben ist die Bundeskanzlerin auf das Vertrauen des Parlaments angewiesen. wie SPD. An der Spitze der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands steht seit 18. Oktober Franz Müntefering. Die Fraktion der SPD hat im jetzigen Parlament 222 Sitze, vier weniger als die Fraktion von CDU/CSU (226). wie Technik, ressourcensparend. Im Reichstag sorgt ein rüsselförmiger Trichter mit 360 Spiegeln für Tageslicht im Plenarsaal. Die Solarmodule der Fotovoltaik-Anlage auf dem Süddach bedecken eine Fläche von 300 Quadratmetern. wie Untersuchungsausschuss. Ein Untersuchungsausschuss prüft Missstände in Regierung und Verwaltung und mögliches Fehlverhalten der Minister. 2005 wurde die Befragung von Joschka Fischer zur Visa-Affäre im Fernsehen übertragen. R S T U FOTOS: FALKO SIEWERT 16 Serie * fl Freitag, 28. November 2008 Das ist der Mann, der Merkels Haushalt kontrolliert Otto Fricke (43) gestern früh. „Ich heiße Otto“, sagt er. „Da muss man an den Otto Normalverbraucher denken!“ Otto Fricke ist Chef des Haushaltsausschusses im Bundestag und das Geldsparen hat er von seinen Eltern gelernt VON JAN RENTZOW Jeder Cent, den Deutschland ausgibt, tut ihm weh. Um 6 Uhr steht er auf und denkt ans Geld, um 23.30 Uhr geht er ins Bett und denkt ans Geld. Otto Fricke (43, FDP) heißt der Chef des Haushaltsausschusses, der Angela Merkels Haushalt kontrolliert. Die Z hat ihn gestern begleitet. Einen Krefelder, der schneller mit Staatsausgaben und Zahlen jonglieren als der Bürger gähnen kann. Und nebenbei die 290 Milliarden Euro Etat der Bundesregierung auf den Prüfstand stellt. „Ich bin Fachpolitiker. Sich mit Politik auseinanderzusetzen, ist soziales Engagement. Sonst funktioniert der Laden nicht!“, sagt er. Das Geldsparen hat er von seinen Eltern. Beide selbstständig. Es ist seine Woche. Jeder einzelne Etat der Bundesregierung muss durchs Plenum. Es ist Fricke-Time. Den ganzen Tag. 7.02 Uhr: Regen. Mit Basecap steht der Haushaltshüter vor seiner Wohnungstür in Mitte. Chicago White Sox. „Gut für Brillenträger“, sagt der Finanzwächter. Sein erster Termin? „Ein Banker zur Finanzmarktkrise im Einstein. Da kann ich frühstücken. Wir gehen zu Fuß.“ Er mag es, dass es dort ein weißes Tischtuch gibt. Er nimmt Tisch 62. Am Gang. Die Kollegen grüßen ihn. 8.32 Uhr. Im „Einstein“ wird es voll. Zu voll. Fricke hat Großes vor heute, muss weiter. Steht seine Rede zur Familienpolitik schon? „Nein. Es gibt keine fertige Rede. Ich rede frei. Politiker sollten frei reden“, sagt er. 8.57 Uhr. Jetzt dran denken? Fehlanzeige. Erst noch die Erbschaftssteuer-Debatte im Plenum. Die namentliche Abstimmung. Ein FDP-Kollege nennt die neuen Regelungen zur Erbschaft „totalen Murks“, Fricke klatscht. Hält aber auch Small Talk mit der neuen Agrarministerin Ilse Aigner (CSU). Mit Annette Schavan (CDU). Politik soll fair sein, sagt er. Das Abc der Politik (Teil 5) V 9.43 Uhr. Gespräch mit Angela Merkel im Parlament. Sie lächelt. Er lächelt. Er fragt: „Sind Sie froh, wenn die So funktioniert Politik wirklich. -Serie Haushaltswoche vorbei ist? Haben Sie wenigstens dann mal Zeit für ein ruhiges Wochenende?“ Er hat Hochachtung vor Frau Merkel und Finanzminister Steinbrück. Der Mann, der im Haushaltsausschuss die Finger in die Wunden ihrer Ausgabenpolitik legt. „Diese Leistung nicht zu sehen, wäre dumm.“ Otto Fricke im Gespräch mit Angela Merkel. Es geht ums Wochenende 10.00 Uhr. Fricke kniet. 50 Besucher aus Krefeld hinter ihm. „Tag erst mal“, sagt er. „Der Mann hier vor Ihnen macht gute Fotos, aber nur, wenn Sie machen, was er sagt.“ Zwei Mal im Jahr darf Fricke im Parlament Besucher empfangen. Was ist mit der Rede? „Ich habe zehn Karteikarten, nachher nur noch fünf!“ 11.55 Uhr. Noch eine Stunde. Dann muss Fricke ins Plenum, gegen Ursula von der Leyen antreten. „Ich bin schon beim ersten Satz“, sagt er. Will ihren Haushalt nicht durchwinken. 12.42 Uhr. „Haben Sie noch Lebkuchen für mich?“, fragt er seine Sekretärin. 12.55 Uhr. Zwei Stufen auf einmal auf dem Weg die Treppen hoch. 14.08 Uhr. Fricke im Parlament. Es ist seine Stunde. Sein Moment. Schnell. Präzise kritisiert er die Familienpolitik. 14.30 Uhr. Der Tag ist noch nicht vorbei. Pressekonferenz zu Patientenverfügungen. Die zweite Angriffsrede am frühen Abend. Ministerin Brigitte Zypries abwatschen. Den Justiz-Etat. Es macht ihm Spaß. Er hat Freude. Es sind nur noch neun Stunden bis zu Hause. *** Ende wie Vermittlungsausschuss. Wenn sich Bundesrat und Bundestag nicht über ein Gesetzesvorhaben einigen können, kann ein Vermittlungsausschuss eingesetzt werden. Je 16 Vertreter aus beiden Häusern bemühen sich dann um einen Kompromiss. wie Wissensdurst. 13 623 Fragen an die Bundesregierung haben die Abgeordneten des Bundestags in der letzten Wahlperiode gestellt, 643 Gesetze verabschiedet. wie XXL. Der Bayer Ernst Hinsken (CDU/CSU) ist bei der letzten Wahl mit 68 Prozent der Erststimmen ins Parlament gewählt worden. Rekord! Der Bäckermeister und Konditor ist seit Dezember 2005 Tourismusbeauftragter der Bundesregierung. wie Ypsilanti, Andrea. SPD-Politikerin in Hessen, die in diesem Jahr zwei Mal vergeblich versucht hat, eine Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Partei „Die Linke“ zu bilden. Als Termin für Neuwahlen wurde der 18. Januar 2009 festgelegt. wie Zweitstimme. Entscheidend für das Kräfteverhältnis der Parteien im Bundestag ist die Zweitstimme. Mit ihr entscheidet der Wähler, welche Partei oder welche Koalition so stark wird, dass sie aus den eigenen Reihen den Kanzler oder die Kanzlerin wählen kann. W X Y Z FOTOS: FALKO SIEWERT 12 Serie