Kompressionstherapie bei adipösen Patienten

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Kompressionstherapie bei adipösen Patienten
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Übersichtsarbeit
Kompressionstherapie bei adipösen
Patienten
S. Reich-Schupke
Artemed Fachklinik Prof. Dr. Dr. Salfeld GmbH & Co KG, Bad Oeynhausen
Schlüsselwörter
Kompressionstherapie, Adipositas, komplexe
Entstauungstherapie, Dependency-Syndrom,
Ödem
Zusammenfassung
Getriggert durch eine Adipositas können venöse (Adipositas-assoziiertes DependencySyndrom) und lymphatische Abflussstörungen (Adipositas-assoziiertes Lymphödem)
entstehen, die per se eine Kompressionstherapie erforderlich machen, oder weitere Komorbiditäten mit Indikation zur Kompressionstherapie bestehen. Bei adipösen Patienten sind für die Kompression einige Besonderheiten zu beachten:
- Eine initiale suffiziente Entstauungsphase
mit Polster- und Bandagematerialien,
- eine Strumpfversorgung mit hoher Stiffness
(Materialien mit hoher Festigkeit, ggf. Flachstrick) und optimale Passform (sorgfältige
Anpassung),
Korrespondenzadresse
Priv.-Doz. Dr. Stefanie Reich-Schupke,
Artemed Fachklinik Prof. Dr. Dr. Salfeld GmbH & Co KG
Portastraße 33–35, 32545 Bad Oeynhausen
Tel. +49–5731–182–0, Fax +49–5731–182–100
E-Mail: stefanie.reich-schupke@rub.de
- alltagstaugliche Versorgungsformen, ggf. geteilte Versorgungen,
-Notwendigkeit von Hilfsmitteln oder Hilfspersonen zur Sicherung der Anwendung,
-begleitende konsequente, intensiv rückfettende Hautpflege und optimierte Hygiene zur Reduktion von Komplikationen und Nebenwirkungen und
- eine regelmäßige ärztliche Passkontrolle der
Kompression am Bein.
Manchmal sind – insbesondere bei der Erstversorgung und bei komplizierten Körperformen – mehrfache Nachbesserungen der
Strumpfversorgung erforderlich, bis ein optimaler Sitz erreicht wird.
Keywords
Compression therapy, obesity, complete decongestive therapy, dependency syndrome,
oedema
Zitierweise des Beitrags/Cite as:
Compression therapy in obese patients
Phlebologie 2015; 44: 71–76
DOI: http://dx.doi.org/10.12687/phleb2261-2-2015
Eingereicht: 15. Februar 2015
Angenommen: 24. März 2015
Summary
Triggered by obesity, venous (obesity-associated dependency syndrome) and lymphatic
drainage disorders (obesity-associated lymphoedema) can develop, which in themselves
require compression therapy, or other comorbidities with indication for compression therapy may exist. In obese patients, some specific features have to be observed in compression therapy:
-An adequate initial decongestive phase with
padding and bandage materials,
- Compression hosiery with a high degree of
stiffness (high-strength materials, where appropriate, flat-knitted) and optimal fit (meticulous fitting),
- Garment types that are suitable for daily
use, if necessary, multi-part garment,
- Need for aids or auxiliary persons to ensure
correct use,
- Concomitant consistent, intensive, lipid-replenishing skin care and optimised hygiene
to reduce complications and side effects
-Regular medical check-ups to ensure correct
fit of the leg compression garment.
Sometimes, especially in the first compression treatment and with a complex body
shape, multiple improvements are necessary
until a perfect fit can be realized.
English version available at:
www.phlebologieonline.de
Entsprechend den Einschätzungen der
WHO entwickelt sich die Adipositas zu einer weltweiten Epidemie (13). Mittlerweile
sind ca. 2/3 der Bevölkerung der USA
übergewichtig, überraschenderweise sind
auch ca. 70 % der Bevölkerung von Mikronesien, Tonga und den Cookinseln adipös.
In Deutschland sind nach den Zahlen des
Bundesinstitutes für Bevölkerung und Entwicklung immerhin 60 % der Frauen und
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40 % der Männer übergewichtig – Tendenz
steigend (3, 13).
Diese Entwicklung hat nach aktuellen
Hochrechnungen und Schätzungen einerseits erhebliche sozioökonomische Bedeutung für das Gesundheitswesen (36). Außerdem stellt sie auch für den klinischpraktischen Alltag eine besondere Herausforderung dar: Krankentransporte, Klinikbetten, Untersuchungsliegen sind für
schwergewichtige Patienten oftmals nicht
zugelassen und Kapazitäten von medizinischen Geräten wie Sonographie und Magnetresonanz stoßen an ihre Grenzen. Darüber hinaus sind bei der Anwendung an
sich etablierter und bewährter Therapiemaßnahmen, wie z.B. der Kompressionstherapie besondere Aspekte zu beachten.
Die Kompressionstherapie stellt in der
phlebologischen und lymphologischen
Praxis unbestritten die Basistherapie dar,
die allein oder in Kombination mit interPhlebologie 2/2015
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S. Reich-Schupke: Besonderheiten der Kompressionstherapie bei adipösen Patienten
ventionellen oder operativen Verfahren je
nach Indikation kurz- oder langfristig eingesetzt werden kann (23). Bei adipösen Patienten kommt ihr darüber hinaus noch eine besondere Rolle zu angesichts der mit
der Grunderkrankung assoziierten venösen und lymphatischen Abflussstörungen.
Da kommt einiges
zusammen …
Wir sehen tagtäglich in unseren phlebologischen und lymphologischen Sprechstunden Beine, die sicher nicht mit einer normalen Serienbestrumpfung zu versorgen
sind, bei denen aber auch eine individuelle
Maßanfertigung ihre Tücken bietet. Dabei
ist meist weniger die Fertigung als vielmehr
die korrekte Materialauswahl und alltägliche Anwendung ein Problem (27).
Viele adipöse Patienten sind multimorbide – vielfach auch unabhängig von ihrem
Alter. Es finden sich neben der Adipositas
selbst assoziierte Erkrankungen wie z.B. ein
Diabetes mellitus mit Infektanfälligkeiten
und Wundheilungsstörungen, arterielle
Hypertonie und Herzerkrankungen, Fettstoffwechselstörungen und Atherosklerose,
ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien
und das postthrombotische Syndrom, eine
chronische venöse Insuffizienz (CVI) mit
und ohne Varikose, Immobilitäten bzw. reduzierte Mobilitäten, progrediente arthrotische Veränderungen, ggf. mit konsekutiven arthrogenen Stauungen, sekundären
Adipositas-assoziierten Lymphödemen, re-
zidivierenden Erysipelen und nicht zuletzt
auch Hautkomplikationen wie Intertrigo,
Follikulitiden und Abszesse (1, 2, 6, 12, 30,
33).
All diese Komorbiditäten und Komplikationsfaktoren sind bei der Auswahl der
geeigneten Kompressionstherapie zu beachten. Der einfache Verzicht auf eine
Kompressionstherapie bei dieser wachsenden Klientel von Patienten („Das passt ohnehin nicht“) kann keine Alternative sein.
Denn gerade adipöse Patienten sind bereits
allein durch die gewichtsassoziierten Veränderungen an Venen- und Lymphsystem
auf eine suffiziente Kompressionstherapie
angewiesen, um Komplikationen und Folgeschäden zu vermeiden.
Das Adipositas-assoziierte
Dependency-Syndrom
Es besteht eine signifikante Assoziation
zwischen dem BMI und der Schwere einer
chronischen venösen Insuffizienz (CVI),
bei Frauen mehr als bei Männern (4, 20,
34). Dabei ließ sich in Studien jedoch keine
Korrelation zwischen der klinischen
Schwere des Krankheitsbildes und einem
Refluxnachweis erbringen, so dass anzunehmen ist, dass es bei adipösen Patienten
neben einer Varikose andere Faktoren gibt,
die Symptome einer fortgeschrittenen CVI
begünstigen bzw. entstehen lassen (4, 20).
In der Phlebologie nennt man das zugrunde liegende Phänomen ein „Adipositas-assoziiertes Dependency-Syndrom“ (9).
Ursprünglich meinte der Begriff des Dependency-Syndroms eine Ödembildung im
Bereich der Füße und Unterschenkel durch
langes Sitzen bei Inaktivität der Wadenmuskulatur, wie wir es z.B. bei Rollstuhlfahrern finden können. Garzon et al. zeigten aber, dass es auch bedingt durch eine
Adipositas zu ähnlichen Phänomenen
kommen kann. Druckwerte in der Leistenhautfalte und im Venensystem steigen mit
zunehmendem BMI. Dabei korreliert der
Druckanstieg im peripheren Venensystem
mit den inguinalen Druckwerten. Bereits
ab einem Druck von 20 mmHg in der Leistenhautfalte, welcher bereits bei einem
BMI von 25 kg/m2 erreicht wird, finden
sich Auswirkungen auf die Druckverhältnisse im Beinvenensystem. Letztlich
kommt es zu einer Obstruktion der Beinvenen in der Leistenregion durch die aufliegende Fettschürze vor allem beim sitzenden (oder im Extremfall auch stehenden)
Patienten. Hinzu tritt die relative Ruhigstellung der Wadenmuskulatur durch das
auflastende Gewicht (9).
Neuere Untersuchungen anderer Arbeitsgruppen konnten diese Ergebnisse bestätigen und sahen darüber hinaus eine
Zunahme des venösen Durchmessers der
V. femoralis in Relation zu Gewicht und
Position des Patienten sowie eine kontinuierliche abdominelle Druckerhöhung mit
Übertragung auf das periphere Venensystem (21).
Als Folge dieser Phänomene kommt es
zur Ausbildung klinischer Zeichen einer
fortgeschrittenen CVI – auch ohne das
Abb. 1
Typische Lokalisationen eines Adipositasassoziierten Lymphödems im Bereich der
Bauchfettschürze und
eines akut entzündlichen Lymphsacks im
Bereich des Oberschenkels.
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S. Reich-Schupke: Besonderheiten der Kompressionstherapie bei adipösen Patienten
Vorhandensein von Varizen. Die Veränderungen reichen über Ödeme, Hyperpigmentierungen, Dermatolipofasziosklerose
bis hin zum hydrostatischen Ulcus cruris
und können sich ohne entsprechende Therapie (Kompression, Bewegung, Gewichtsreduktion) als äußerst therapieresistent
oder sogar progredient erweisen (10).
Außerdem bleiben die Veränderungen des
venösen Systems auch am Lymphsystem
bei entsprechender Schwere und Dauer
meist nicht ohne Folgen.
Sekundäre Lymphödeme
bei Adipositas permagna
Ab einem BMI von ≥40 kg/m2 finden sich
gehäuft sekundäre Lymphödeme (15, 19,
31). Meist handelt es sich um lokale, chronische Ödeme der Beine, der Genitalregion
oder der Bauchschürze. Bei entsprechender
Bestehensdauer und Progredienz kommt
es v.a. im Bereich der Fettschürze am
Bauch und den Fettlappen an den Oberschenkeln zu lymphostatischen Gewebeveränderungen, teils auch mit riesigen
Lymphsäcken (11, 31) (▶ Abb. 1). Außerdem finden sich bei diesen Patienten verruköse, lokalisierte Lymphödeme der Genitalregion (24).
Im Gegensatz dazu auffällig ist die oftmals nur schwach ausgebildete Proteinfibrose an den Unterschenkeln und Füßen
sowie das vielfach nur andeutungsweise
vorhandene Stemmer-Zeichen (11). Als wesentliche Ursache wird eine mechanische
Abflussbehinderung der Lymphgefäße im
Bauch- und Beckenraum durch den Druck
der Fettmassen vermutet (11). Gleichzeitig
besteht bei der Adipositas – im Tiermodell
– eine gesteigerte entzündliche Aktivität,
die die lymphatische Funktion beeinträchtigt (32). Letztlich ist die Pathogenese bisher nicht abschließend geklärt. Es findet
sich ein fließender Übergang zum Adipositas-Ödem (zur Generalisierung neigendes
Ödem i.d.R. ohne Proteinfibrose) (11).
Diagnostik &
Therapiekonzept
Vor einer Therapieeinleitung sollte eine
sorgfältige Diagnostik erfolgen. Dazu ge© Schattauer 2015
Abb. 2 Beispiele für Komplikationen und Nebenwirkungen (von links oben nach rechts unten) Erosionen, Einschnürungen, Cutis papillomatosa, Stauungsdermatitis, Austrocknungsekzeme und Risse der
Fußsohle.
hören neben Anamnese (▶ Kasten), Inspektion und Palpation besonders eine
sorgfältige duplexsonographische Untersuchung des Venen- und Lymphsystems zum
Ausschluss einer begleitenden Varikose, einer Thrombose sowie eines postthrombotischen Syndroms. In der hochauflösenden
Sonographie findet man häufig verbreitert
Lymphspalten, die jedoch allein nicht beweisend für ein Lymphödem sind (5). Mittels Dopplerscreening sollte außerdem eine
periphere arterielle Verschlusskrankheit
ausgeschlossen werden. Daneben sind –
abhängig von bekannten vorliegenden Untersuchungen – weitere internistische Untersuchungen ratsam bzgl. möglicher Adipositas-assoziierter Begleiterkrankungen.
Hier kann die Kooperation mit einem interdisziplinären Adipositas-Zentrum hilfreich sein.
Auch die Ausrichtung und Zielsetzung
der Therapie ist interdisziplinär. Kurzfristig
ist eine Kompressionstherapie kombiniert
mit intensiver Hautpflege, leitliniengerechter Wundtherapie und Entstauungstherapie sinnvoll und hilfreich. Langfristig werden aber erst Gewichtsreduktion, Steigerung der Mobilität, Behandlung der Begleiterkrankungen und ggf. eine begleitende Psychotherapie zum Erfolg führen und
Rezidive verhindern.
Durchführung der
Kompressionstherapie
a. Entstauungsphase
Oft besteht bei adipösen Patienten initial
ein erhebliches Ödem im Bereich der Füße
und Unterschenkel. Es macht keinen Sinn,
solche Beine direkt mit einer Kompressionsstrumpfversorgung – gleich welcher
Art und Länge – versorgen zu wollen. In
der Initialphase ist eine konsequente (lymphologische) Entstauung mit Polster- und
Bandagematerialien über 2–4 Wochen inPhlebologie 2/2015
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diziert (5). Optimal zur Ödemreduktion
beim Lymphödem sind Anpressdruckwerte von maximal 50–60 mmHg in Bereich
der Beine (22). Die Entstauungsphase sollte, wenn möglich, ambulant durchgeführt
werden (25). Bewährt haben sich dafür
Mehrkomponenten-Kompressionssysteme
aus Unterpolsterung und adhäsiven Kurzzugbinden (7, 16, 17). Diese Kompressionsbandagierungen sollten in Analogie zur
komplexen physikalischen Entstauung
(KPE) in der Lymphödemtherapie über je
24 h getragen werden und mit einer rückfettenden Hautpflege, Bewegung in der
Kompression und manueller Lymphdrainage kombiniert werden (5).
Es kann hilfreich und für die Compliance förderlich sein, mit der Kompressionsbandagierung zunächst nur an den Unterschenkeln zu beginnen, ggf. auch mit reduzierten Druckwerten (sog. Lite-Verände)
und sich dann im Verlauf sukzessive in
Druck und Ausdehnung zu steigern. Auch
reduzierte Druckwerte von 20 mmHg haben sich bei hoher Stiffness als effektiv erwiesen (18).
In der Einleitungsphase der Kompression sollte besondere Rücksicht genommen
werden auf etwaige Begleiterkrankungen,
die eine Kompressionstherapie erschweren
bzw. ihr entgegenstehen (z.B. fortgeschrittene Herzinsuffizienz).
b. Erhaltungsphase
Ist die Entstauung suffizient abgeschlossen,
kann die Erhaltungsphase einsetzen (25,
26). Sie ist idealerweise so lange fortzuführen wie die Adipositas besteht. In der Erhaltungsphase erfolgt der Wechsel von
Kompressionsverbänden auf eine Strumpfversorgung (5). Diese sollte angesichts der
oftmals schwierig zu versorgenden Körpermaße in einem erfahrenen Sanitätshaus
angepasst werden.
Zu bevorzugen sind Kompressionsmaterialien mit hoher Materialfestigkeit
(Stiffness), um einen entsprechend hohen
Arbeitsdruck zu erreichen und das Risiko
von Schnürfurchen zu reduzieren. Meist
kommen Flachstrickwaren, bei geringen
Befunden Rundstrick mit hoher Stiffness
(hohe Materialfestigkeit, Kurzzugeigenschaften) zum Einsatz. Es sollte bei kräftigen Beinen zudem ein hoher Anpressdruck (Klasse II oder III) gewählt werden.
Alternativ können zwei Strumpfversorgungen einer niedrigeren Klasse übereinander gezogen werden, um einerseits die
Handhabung einfach zu gestalten, andererseits aber an den Stellen, die einen besonders hohen Druck erfordern auch relevante Drucke erreichen zu können (z.B.
Strumpfhose Klasse I + Kniestrümpfe
Klasse I). In den meisten Fällen ist für die
Wichtige Fragen zur Anamnese vor Einleitung einer
Kompressionstherapie bei adipösen Patienten
•
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•
•
•
•
•
•
Aktuelle Beschwerden
Medikation
Größe, Gewicht
Bisheriger Gewichtsverlauf, v.a. in den
letzten Monaten
Mobilität, Bewegung in der Kompressionstherapie möglich?
Bekannte Begleiterkrankungen: Herzinsuffizienz, Erysipele, Atherosklerose etc.
ggf. weitere Diagnostik in Kooperation
mit internistischen Kollegen
Ursache/ Triggerfaktoren der Adipositas
ggf. weitere Diagnostik mit Psychiatrie,
Endokrinologie
Motivation zur konsequenten Durchführung einer Kompressionstherapie
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•
•
•
Vorlieben/ Wünsche des Patienten bezüglich einer Kompressionsversorgung
(Knie-/ Oberschenkelstrumpf, Strumpfhose, geteilte Versorgung)
Absehbare körperliche Einschränkungen
bzgl. der Kompressionstherapie (erreicht
der Patient seine Füße? Ist er in der Lage
eine Kompressionsversorgung allein mit/
ohne Hilfsmittel anzuziehen?)
Mobilität und Logistik hinsichtlich der
Durchführung einer ambulanten Entstauungs- und Erhaltungstherapie am Wohnort des Patienten?
Versorgung bei Adipositas eine Maßanfertigung erforderlich.
Eine Strumpfhose ist für viele adipöse
Patienten ein echtes Problem im Alltag.
Entsprechend sind kürzere (Kniestrumpf,
Oberschenkelstrumpf) oder geteilte Versorgungen (Radlerhose + Oberschenkelstrumpf, Caprihose + Unterschenkelstrumpf) zu bevorzugen. Diese geteilten
Versorgungen sind für den Patienten einfacher anzuziehen und ermöglichen abhängig von Wetterlage und geplanten Vorhaben des Patienten eine Variation der Kompressionsversorgung. So lässt sich die
Compliance erhöhen (29).
Problemfelder der
Kompressionstherapie
Wie jede Therapie hat auch die Kompressionstherapie ihre Nebenwirkungen. Diese
können bei Adipösen Patienten häufiger
auftreten als bei schlankeren Patienten mit
„einfacheren“ Beinformen (▶ Tab. 1). Vielfach scheitert eine suffiziente Anwendung
der Kompressionstherapie auch daran, dass
die Patienten gar nicht in der Lage sind, ihre Kompressionstherapie alleine anzuziehen (27). Der BMI scheint neben dem Alter eine wesentliche Einflussgröße für die
Notwendigkeit einer dritten Person zum
Anziehen der Kompressionstherapie zu
sein (27). Auch hier bergen geteilte Versorgungen einen Vorteil. Hinzu kommt die
Verwendung und Verordnung von Anziehhilfen. Manchmal bleibt nur die Verordnung eines Pflegedienstes, wenn Angehörige nicht zur Verfügung stehen.
Hautkomplikationen wie Einschnürungen, Stase, Blasen, Erosionen und Ulzerationen durch verrutschende oder schlecht
sitzende Kompressionsmittel sind ein erhebliches Problem im klinischen Alltag
(28) (▶ Abb. 2). Entsprechend wichtig ist
eine ärztliche Kontrolle der verordneten
Kompressionsware am Patientenbein, gerade bei schwierig zu versorgenden Patienten. Letztlich bleibt der verordnende Arzt –
bei aller Erfahrung und Expertise des Sanitätshauses – verantwortlich für die Kompressionsversorgung.
Eine besondere Herausforderung können chronische und/ oder rezidivierende
Erysipele im Bereich der Ödeme sein. In
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diesen Fällen stellt sich immer wieder die
Frage, ob eine Entstauungs-/ Erhaltungstherapie mit konsequenter Kompressionstherapie durchgeführt werden kann oder
gar kontraindiziert ist. Studien gibt es dazu
letztlich nicht, wohl aber Alltagserfahrungen, die zeigen, dass die Patienten profitieren, wenn lediglich eine kurze Pause (meist
2–4 Tage) in der Entstauungs- oder Erhaltungstherapie bei einem akuten Erysipel
vorgenommen wird bis die systemische antibiotische Therapie greift. Diese sollte eine
hoher Bioverfügbarkeit und – v.a. bei chronisch rezidivierenden Erysipelen – ein
breites Spektrum aufweisen. Zeigen sich
die klinischen Zeichen (Rötung, Schwellung, Überwärmung, Fieber) und entzündlichen Laborparameter rückläufig, kann
die Kompressionstherapie und ggf. auch
die MLD wieder aufgenommen werden.
Aufklärung und Motivation
des Patienten
Essenziell für eine erfolgreiche Therapie ist
die Mitarbeit des Patienten. Dafür muss er
verstehen, was hinter seinen Beschwerden
steckt und wie er selbst zu einer Besserung
seines Zustandes beitragen kann. Für die
Kompressionstherapie bei adipösen Patienten heißt das konkret, dass er erfährt, dass
die Beschwerden der Beine mit der Adipositas zusammen hängen, dass die Kompressionstherapie quasi eine „Lebensversicherung“ für die Beine darstellt, konsequent
und täglich anzuwenden ist. Gleichzeitig
sollte aber auch über die zu erwartenden
Nebenwirkungen der Therapie sowie der
Umgang damit gesprochen werden (28).
a. Hautpflege
Bei der Kompression sind insbesondere bei
langfristiger und regelmäßiger Anwendung
unweigerlich Hautnebenwirkungen zu erwarten (28). Entsprechend wichtig ist eine
tägliche, konsequente Hautpflege mit rückfettenden und allergenarmen Externa (z.B.
Lipolotionen). Dabei ist grundsätzlich jede
Art der Hautpflege möglich, die der Patient
verträgt und als angenehm empfindet. Zu
vermeiden sind alkoholische Zusätze, da
sie langfristig einen austrocknenden Effekt
haben. Die Hautpflegeprodukte sollten –
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Tab. 1
Begleiterscheinungen
und Folgen der Erkrankung und der Therapie.
Folgen des
Lymphödems/der
CVI selbst
Folgen der Kompressionstherapie
Folgen der
Adipositas
besonders bei einer bestehenden venösen
oder lymphatischen Abflussstörung – allergenarm sein. Patienten mit einer CVI haben ein erhöhtes Risiko für eine Sensibilisierung und Kontaktallergie (8). Entsprechend sollte auf Zusätze wie Duftstoffe,
Konservierungsmittel und Wollwachse verzichtet werden. Empfehlenswert sind Inhaltsstoffe wie Harnstoff, Glycerin und
hochwertige Öle (Mandel-, Oliven-, Jojobaöl). Bei hartnäckigem Juckreiz kann Polidocanol zugesetzt werden. Menthol hat
einen angenehm kühlenden Effekt. „Natürliche“ Produkte wie Kamille, Propolis, Arnika, Calendula werden gerne von vielen
Fazit für die Praxis
Eine Kompressionstherapie ist bei adipösen
Patienten allein durch die im Rahmen der
Grunderkrankung assoziierten venösen und
lymphatischen Abflussstörungen indiziert
und sollte planvoll und konsequent durchgeführt werden. Bei der Auswahl der korrekten
Strumpfversorgung ist zu achten auf:
• Eine initiale suffiziente Entstauungsphase
mit Polster- und Bandagematerialien,
• eine Strumpfversorgung mit hoher Stiffness (Materialien mit hoher Festigkeit,
ggf. Flachstrick) und optimale Passform
(sorgfältige Anpassung),
• alltagstaugliche Versorgungsformen, ggf.
geteilte Versorgungen,
• Verordnung notwendiger Hilfsmittel oder
Hilfspersonen zur Sicherstellung der tatsächlichen Anwendung (Anziehhilfen,
Pflegedienst),
• Vertiefte Hautfalten
• Lokal reduzierte Immunitätslage
• Stasephänomene – Entzündungsmediatoren
• Proteinfibrose
• Zysten
• Okklusionseffekte, Schwitzen
• Massageeffekte, Exsikkation
• Rutschen
• Einschnürungen
• Schwitzen
• Erschwerte Hygiene
• Scheuer-/Reibeeffekte
• Depressive Verstimmungen
• Vernachlässigung
Patienten genommen, da sie so „gesund“
klingen. Langfristig bergen aber auch sie
ein hohes Sensibilisierungspotenzial und
sollten lediglich über einen kurzen Zeitraum angewendet werden.
Insbesondere die Haut der Fußsohlen
braucht eine intensive, stark rückfettende
Pflege zur Vermeidung von Rissen und Hyperkeratosen. Hier sind Salben, ggf. sogar
Fettsalben zu bevorzugen.
b. Hygiene
Außerdem ist eine sorgfältige Hygiene ratsam, um Komplikationen wie eine Tinea,
•
•
begleitende konsequente, intensiv rückfettende Hautpflege und optimierte Hygiene zur Reduktion von Komplikationen
und Nebenwirkungen sowie
eine regelmäßige ärztliche Passkontrolle
der Kompression am Bein.
Letztlich bietet der Markt heute derartig viele
Möglichkeiten für eine individuelle Versorgung, dass es kaum Patienten gibt, die gar
nicht zu versorgen sind. Es bedarf allerdings
vielfach einiger Erfahrung und Geduld – sowohl des verordnenden Arztes als auch des
anpassenden Sanitätshauses und des Patienten – bis eine optimale Versorgung gefunden
ist. Insbesondere bei einer Erstversorgung,
komplizierten Beinformen und erheblicher
Adipositas kann es passieren, dass mehrere
Nachbesserungen erforderlich sind, bis alle
zufrieden sind.
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S. Reich-Schupke: Besonderheiten der Kompressionstherapie bei adipösen Patienten
ein Erythrasma oder Erysipele (getriggert
durch Hautrisse) zu vermeiden. Besonders
zur Prophylaxe einer bakteriellen oder mykotischen Infektion der Leistenregionen,
submammär oder im Bereich tiefer Hautfalten kann die Anwendung von antiseptischen Waschlotionen sinnvoll sein. Tiefe
Hautfalten sollten trocken gehalten und
durch Einlage von Mullkompressen vor
Mazerationen geschützt werden. Ist es dem
Patienten unmöglich seine Füße selbst zu
erreichen, ist eine regelmäßige professionelle Fußpflege ratsam.
c. Irritationen durch Kompressionskomponenten
Sensibilisierungen auf das Material der
Kompressionsstrümpfe sind extrem selten
(35). Besonders dunkle Farben und Komponenten der Haftränder können tatsächlich Kontaktallergien auslösen (35). Meist
handelt es sich bei den vermeintlichen
„Unverträglichkeiten“ vielmehr um Irritationen, durch einen falschen Sitz, mangelhafte Hautpflege oder ein Scheuern und
Verrutschen der Kompression. Besteht tatsächlich der Verdacht auf eine Kontaktsensibilisierung sollte die Kompression nicht
einfach ersatzlos gestrichen werden, sondern eine entsprechende Diagnostik (Prick,
Epikutan-Test) erfolgen und nach Alternativen gesucht werden (35). Ggf. ist ein Verzicht auf Haftbänder (Kniestrümpfe/
Strumpfhose statt Oberschenkelstrümpfe)
und dunkle Farben möglich oder es können Unterstrümpfe getragen werden (29).
Patienten mit vorbestehenden chronischen Hauterkrankungen wie z.B. einer
Psoriasis oder einem atopischen Ekzem
können auch von der Einarbeitung von Silberfäden in die Kompressionsmaterialien
profitieren (14, 29). In diesen Fällen bedarf
es jedoch einer gesonderten Begründung
auf der Verordnung und sollte eine Vorabanfrage an die Krankenkasse bzgl. der Kostenübernahme gestellt werden.
Interessenkonflikt
Die Autorin hat im Rahmen diverser Studien mit Firmen aus der Kompressionsindustrie (u.a. Bauerfeind AG, Medi Deutsch-
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land GmbH) kooperiert. Weiterhin hat sie
Honorare für Referententätigkeiten erhalten. Diese Tätigkeiten hatten jedoch keinen
Einfluss auf die aktuelle Publikation.
17.
Ethische Richtlinien
18.
Die Übersichtsarbeit wurde in Übereinstimmung mit den nationalen Ethik-Gesetzen und der aktuellen Helsinki-Deklaration erstellt. Die Einverständiserklärung der
Patienten liegt vor.
19.
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