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020 page 12.12 TITEL Kostenloses Material Für das Leitsystem des alten Speichers Metropolitan Wharf am Themseufer machte sich Mind Design auf die Suche nach Treibholz. Getrocknet, gesäubert und mit Sandstrahl beschriftet, wirken die Schilder äußerst edel. Die Schrift entstand in Zusammenarbeit mit Neal Fletcher. Der 23-jährige Typedesigner zeichnete zwei Versionen: eine fürs Holz mit offeneren Punzen und eine etwas feinere Variante für den Druck. Für Ricordi entwarf Atelier Brückner eine Ausstellung mit zwei Erzählsträngen: der Historie des Musikverlags und der Entstehung einer Oper in fünf Schritten. Teil der Vorabvisualisierung war dieses plastische 3-D-Modell page 12.12 021 Mehr mit Weniger Erstklassiges Design bei minimalem Budget? Da sind intelligente Lösungen gefragt. Wir zeigen, was sich Kreative alles einfallen lassen, um Geld zu sparen und dennoch das Beste herauszuholen 022 page 12.12 TITEL Low Budget – Top Design nDie Kosten niedrig zu halten ist ja zunächst einmal nichts Schlechtes – vo rausgesetzt, die Einsparungen gehen nicht zulasten der Qualität. Wehe aber, das Wort »Low Budget« fällt. Da zuckt manch Kreativer zusammen, hebt ab wehrend die Hände und sagt: »Damit wollen wir nichts zu tun haben, wir sind keine Billigagentur.« Keine Frage, der Begriff ist negativ besetzt. Eigentlich unsinnig, schließlich heißt Low Budget doch bloß, mit möglichst wenig Geld möglichst viel erreichen – also ein nied riger Etat, gepaart mit viel Intelligenz und Kreativität. »In unserer Branche bedeutet ›Low Budget‹ aber leider auch ein unterdurchschnittliches Ho norar bei überdurchschnittlichen An forderungen. Oder, anders gesagt: Der Kunde möchte den Mercedes zum Golf-Preis«, erklärt Norbert Gabrysch. Dabei, so der Vorstandsvorsitzende von wirDesign in Braunschweig und Ber lin, steht Low Budget doch eigentlich für Konzentration aufs Wesentliche. »Das setzt aber voraus, dass man in den Anfang investieren muss, ins Darüber-Nachdenken, was überhaupt das Wesentliche ist. Und wie ich das vielleicht auf eine etwas andere Art erreichen kann. Wenn das aber sogar bei effizientestem Einsatz der zur Ver fügung stehenden Mittel nicht gelin gen kann, ist selbst Low Budget raus geschmissenes Geld.« Kosten lassen sich an verschiede nen Ecken eines Projekts sparen, schon ein ordentliches Briefing, die richtige Recherche und eine korrekte Auftrags bestätigung verhindern Folgekosten und schonen den Etat. Wo genau ge spart wird, sollte man allerdings gut überlegen. »Grundsätzlich kann billig, vor allem im Corporate Design, genau so falsch sein wie unnötig teuer. Oft las sen sich Kunden Logos über Crowdsour cing-Plattformen gestalten und wissen dann nicht, wie sie diese in der Ge schäftsaustattung verwenden sollen«, beobachtet Holger Jacobs, Gründer von Mind Design in London. Ein Logo mache aber noch lange kein Corporate Design. »Ebenso wenig sinnvoll ist es, für einen kleinen Job eine aufwendige Kommunikationsstrategie und detail lierte Guidelines zu entwickeln, die der Kunde letztlich nicht braucht.« Mind Design konzentriert sich daher auf die wesentlichen Anwendungen und be zieht die Produktion von vorneherein »Low-Budget-Projekte? Das ist doch nichts Besonderes! Zu uns hat in den letzten 25 Jahren noch nie ein Kunde gesagt: Entwickeln Sie das Optimum – wir haben Geld wie Heu!« Norbert Gabrysch, Vorstandsvorsitzender von wirDesign, Braunschweig und Berlin Eigene Prägestanze Das Briefpapier druckt Thomas Moll für sein Innenarchitekturstudio RaumFreude selbst auf einem Laserprinter, die Visiten karten ließ er einfarbig schwarz im Offset herstellen. Die verantwortliche Designagentur Fuenfwerken hatte die Idee, die Geschäftsausstattung mit einer Prägestanze zu veredeln, die bei RaumFreude steht. So kann der Kunde die Auflage nach Bedarf steuern und muss trotzdem nicht auf eine hochwertige Anmutung verzichten. page 12.12 mit ein. »Das heißt, wir gestalten oft rückwärts und gehen vom Material und vom Herstellungs- oder Druckprozess aus, um dann die Designentscheidun gen zu treffen. So stellen wir sicher, dass wir das Produktionsbudget ein halten«, erklärt Holger Jacobs. Low Budget im besten Sinne ist das Leitsystem, das die Londoner De signer für den kürzlich renovierten al ten Speicher Metropolitan Wharf im Osten der Stadt entwickelten. Das Bud get war recht knapp, trotzdem kamen Standardplastikschilder für sie nicht infrage – das Material sollte einen Be zug zum Gebäude haben. Da Metro politan Wharf direkt an der Themse liegt, kam Mind Design auf die Idee, Treibholz zu sammeln. Gesagt, getan. Schnell waren einige Plastiktüten mit in etwa passenden Hölzern gefüllt und im Kofferraum verstaut. Nach dem Säubern und Trocknen ließ das Studio die Schrift – die es zusammen mit Neal Fletcher auf Basis einer alten Beschrif tung am Gebäude entworfen hatte – per Sandstrahl ins Holz fräsen. Die fer tig beschrifteten Treibholzschilder be festigten sie auf Kupferrohren. So las sen sie sich, etwa beim Umzug eines Mieters, einfach an- und abmontieren. Das Treibholzleitsystem sieht nicht nur individuell und hochwertig aus, es passt auch exzellent zum Gebäude – viel bes ser als jedes Material, das im Rahmen des Budgets zu kaufen gewesen wäre. Der Handwerker um die Ecke freut sich nicht als Einziger über eine kos tengünstige Lösung, auch große Kun den, besonders öffentliche Auftrag geber, begrüßen intelligentes Design. Wie die Technische Universität Braun schweig, von der wirDesign den Auf trag für ein neues Corporate Design er hielt. Mit 6 Fakultäten, 110 Instituten und rund 3000 Mitarbeitern gehört die TU zu den größten Arbeitgebern der Region. Die Freiheit von Forschung und Lehre war bislang auch als Freiheit der öffentlichen Selbstdarstellung aufge fasst worden. »Je nach akademischem Umfeld, Tradition und Anspruch der Institutsleitung existierte ein buntes Durcheinander bei den unzähligen Pu blikationen, Präsentationen, Flyern 023 Mülltonnen zu Kameras Wie verbessert man das Image der Müllabfuhr, ohne Millionen dafür auszugeben? Das fragte sich die Hamburger Stadtreinigung und bat Scholz & Friends Berlin, bei der Suche nach einer Lösung zu helfen. Die Kreativen hatten die Idee, das Arbeitsgerät der Müll männer – die Mülltonnen – zu einer Lochkamera umzubauen und sie damit ihre Lieblingsplätze fotografieren zu lassen. Das Ergebnis sind großartige Schwarzweißbilder – für die die Werber das Wort »Tonnografie« erfanden und die weltweit Millionen von Print- und TV-Kontakten generierten. 024 page 12.12 TITEL Low Budget – Top Design Medien als Multiplikator Um junge Leute in die Oper zu locken, gestaltete DDB Stockholm zusammen mit der Mode- marke Weekday eine Serie von T-Shirts, die zugleich Operntickets waren. Events in den Weekday-Stores, bei denen Teile des Balletts aufgeführt wurden, bescherten ein gigantisches Medieninteresse. Der visuelle Auftritt selbst war denkbar einfach: ein typografisches Logo, simple braune Briefumschläge als Verpackung für die T-Shirts und bedrucktes, pinkfarbenes Klebeband, um die Aktivitäten im Laden hervorzuheben. und Webauftritten: von hochprofes sionell bis gar nicht gestaltet, einher gehend mit einer kaum überschauba ren Vielfalt an Gestaltungstools und Kommunikationsgewohnheiten«, sagt Norbert Gabrysch. Diesen Wirrwarr sollte wirDesign vereinheitlichen, wo bei eine zentrale Forderung des Kun den lautete, dass das neue Erschei nungsbild nach der Implementierung keine Kosten mehr verursachen dürfe. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, waren einige Investitionen nötig: ein Workshop mit Universitäts präsident und -leitung mit dem Ziel, diese für das Projekt zu begeistern und die nötige Rückendeckung zu be kommen sowie diverse Meetings mit den verschiedenen Hochschulgremien. Ebenfalls nicht besonders günstig wa ren die Designentwicklung, der Prozess der Involvierung und Implementierung sowie die Dokumentation mit Anwen dungsbeispielen und Templates in ei ner Online-Toolbox. »Low Budget be deutete bei diesem Projekt die unbe Vertrauen statt Timing Ein Klangerlebnis im Netz schuf Scholz & Volkmer für das Orchester der Kulturen, bei dem vom australisches Didgeridoo über eine türkische Baglama bis zum Alphorn alle erdenklichen Instrumente vertreten sind. Dass Dirigent Adrian Werum den Kreativen vertrauensvoll freie Hand ließ, sparte wertvolle Zeit, die sonst für Abstimmungsprozesse und Termineinhaltung draufgegangen wäre. Und der für die Website entstandene Globus ist ein so starkes Keyvisual, dass er nun in der gesamten Kommunikation zum Einsatz kommt – so gab es ein Corporate Design quasi on top. page 12.12 dingte Forderung des Auftraggebers, dass Gestaltungslaien wie Studenten oder Hilfskräfte das neue Corporate Design anwenden können und wol len. Deshalb wäre es fatal gewesen, diese Schritte einzusparen«, betont Norbert Gabrysch. Entscheidend für den nachhalti gen, langfristigen Low-Budget-Effekt waren, so Gabrysch, vor allem folgen de Punkte: »ein sehr einfaches Design prinzip (›Ja, das verstehe und kann ich‹), das zugleich eine unendliche Viel falt individueller Möglichkeiten zulässt (›Super, ich kann fast machen, was ich will‹). Außerdem war es wichtig, dass wir die unterschiedlichsten Anwender anforderungen berücksichtigt und Ver ständnis für das Thema Corporate De sign geweckt haben.« Schon während der Präsentation ihres Konzepts im Auswahlverfahren hatte wirDesign den Fokus auf die Vorgehensweise und die Einbeziehung der Mitarbeiter gelegt. Denn es war klar, dass die Qualität des Prozessmanagements bei diesem Pro jekt mehr zum Erfolg beitragen würde als die Gestaltung selbst. Sicher auch deshalb konnten sich die Braunschwei ger gegen andere Agenturen durch setzen, obwohl sie nicht das günstig ste Angebot abgegeben hatten. Außer genauer Planung kann aber auch Vertrauen helfen, im Budget zu bleiben. Scholz & Volkmer machte die se Erfahrung bei der Entwicklung der Website für das Stuttgarter Orchester der Kulturen. Bislang hatte dieses nur eine reine HTML-Seite, jetzt wollte der Orchestergründer, der Komponist und Dirigent Adrian Werum, einen Relaunch des Auftritts – sowie das eine oder an Stempel statt Druck Viel Geld hatte Christine Kinsella bei Eröffnung ihrer Akupunkturpraxis nicht, aber sie wusste um die Bedeutung einer überzeugenden Geschäftsausstattung und wandte sich an Jeremy Dahl und Becky Nelson von Bex Brands in San Diego. Die investierten einen Großteil des schmalen Budgets in das hochwertige Papier Curious Particles Gold und gestalteten Broschüren, die sie dann kopierten. Farbe kam durch ein Set überdimensionierter Stempel hinzu. Damit Christine Kinsella dies selbst machen kann, entwickelte Bex Brands ein Raster und eine Anleitung für den Einsatz der Stempel. Das Jutesäckchen passt zum »Down to earth«-Ansatz der Therapeutin, der Anhänger fungiert gleichzeitig als Visitenkarte. 025 »Low Budget ist das Gegenteil von Wegwerfdesign. Es bedeutet, mit einem Budget verantwortungsvoll umzugehen und Design zu schaffen, das einen Wert und eine gewisse Langlebigkeit hat« Holger Jacobs, Gründer von Mind Design, London dere Soundelement (siehe PAGE 11.12, Seite 38 ff.). An die Wiesbadener Inter active-Agentur wandte er sich, weil er sich an deren Weihnachtsspecial »Har monice Mundi« erinnerte. Dabei war jedem S&V-Mitarbeiter ein Klang zu- geordnet, und die User konnten daraus unterschiedlichste Kompositonen kre ieren ( www.s-v.de/harmonicemundi ). »Wir schlugen ihm vor, anstatt einer HTML-Site gleich etwas Größeres zu gestalten, um das Klangerlebnis dieses neuartigen Orchesters auch im Inter net erlebbar zu machen. Adrian We rum war bereit, uns mit der kreativen Umsetzung freie Hand zu lassen«, erzählt Kreativdirektorin Nicoletta Merk-Gerlach. So schenkte man sich schon mal geld- und zeitfressende Korrekturschleifen. »Adrian Werum war weniger Kunde als Partner, er war selbst in das Projekt involviert. Er lie ferte uns die Soundspuren, die nach her bei den Kompositionen ineinan dergreifen, so an, dass unser FlashDesigner Marc Storch sie direkt ein bauen konnte. Es waren also weder Studioaufnahmen noch Schnittarbei ten erforderlich.« Außerdem konnte die Agentur auf Shootings verzich 026 page 12.12 TITEL Low Budget – Top Design Pappkartons statt Aufsteller Mit den Designtagen Wiesbaden – Access All Areas präsentiert sich seit sechs Jahren die Kreativbranche der hessischen Landeshauptstadt. Fuenfwerken entwickelte ein äußerst kostengünsti ges temporäres Leit- system in der Innen- stadt, indem sie wiederverwertbare Pappkartons nutz- te, die Poster, Veran- staltungsplakat, Programmheft und Ortsplan in einem sind. ten, denn die Bilder der Musiker or ganisierte das Orchester selbst – viel leicht nicht so professionell, dafür aber sehr authentisch. Kosten sparte zudem, dass Adrian Werum keine Deadline gesetzt hatte: Der Auftritt musste nicht zu einem be stimmten Zeitpunkt fertig sein. So konnte Scholz & Volkmer die bei der Arbeit für große Kunden immer mal auftretenden Wartezeiten für das Or chester der Kulturen nutzen. »Natür lich war das Ganze auch ein Experi ment. Anfangs wussten wir nicht, ob der Künstler sich darauf einlassen würde, sich von uns das musikalische Konzept vorgeben zu lassen. Da war auf beiden Seiten eine Menge Vertrau en nötig«, resümiert Nicoletta MerkGerlach. Entstanden ist nicht nur eine informative Website, die gut aussieht und jede Menge Spaß macht, sondern quasi nebenbei ein Corporate Design. Denn den Globus als starkes Keyvisual und den einprägsamen Schriftzug nutzt Adrian Werum in der Zwischen zeit auch auf Plakaten und in seiner Geschäftskommunikation. Noch einen Schritt weiter in Sachen Vertrauen gingen der Architekt Van Bo Le-Mentzel (siehe PAGE 09.12, Sei- te 52 ff.) und die Kommunikationsagen tur Aperto in Berlin: Bei ihrem »KarmaDeal« fließt überhaupt kein Geld. »Van Bo Le-Mentzel wird am 23. und 24. No »Low Budget ist eine Art Spiel ohne Grenzen, bei dem aus einem kleinen Etat ein großes, kreatives Spielfeld wird. Kleine Kunden haben oft nur kleine Budgets, aber manchmal für uns großes kreatives Potenzial« Nicoletta Merk-Gerlach, Kreativdirektorin bei Scholz & Volkmer, Wiesbaden Puppen statt Models Für die Flugsuchmaschine Swoodoo konzipierte die zur ServiceplanGruppe gehörende Filmproduktion Neverest eine medienübergrei- fende Kampagne, die statt teurer Models Handpuppen einsetzt. Das Konzept zeichnet sich durch ein hohes Maß an Flexibilität aus, denn mit Swoo und Doo lassen sich zielgruppenspezifische Inhalte und aktuelle Themen schnell und kosteneffizient für TV, Internet oder Print umsetzen. Alles, was man braucht, sind die beiden Figuren, einen Hintergrund und eine Kamera. In Kürze werden Swoo und Doo nicht nur Geld sparen, sondern mit einem Merchandising-Programm sogar welches einbringen. page 12.12 vember unseren zweiten ›Decoder‹Workshop leiten, der, wie schon der erste mit Eike König, das offene Denken fördern soll«, berichtet Jan Pautsch, Unitleiter Kreation bei Aperto. Diesmal geht es um Le-Mentzels ›One Square Meter House‹. Sechs gemischte ApertoTeams werden je ein Haus individuell gestalten. Als der Architekt sagte, er möchte für diesen Workshop eigentlich gar kein Geld haben, sondern einen »Karma-Deal« eingehen, konnte Jan Pautsch damit erst nichts anfangen, denn er arbeitet in einer stark kom merziell getriebenen Welt. Er und sein Team fingen an zu überlegen, was sie ihm anbieten können: »Wir kamen auf die Idee, eine digitale Plattform für die Do-it-yourself-Bewegung um das ›One Square Meter House‹ zu entwickeln – sie sichtbar zu machen, mit Geschich ten aufzuladen und zu vernetzen.« Ein großes Vorhaben für ein kleines Budget und wenig Zeit bei allen Beteiligten. Deshalb nutzen die Kreativen foursquare, ein soziales Netzwerk, das reale Orte digital sichtbar macht. »Dort lassen wir die One-Square-Meter-Welt kartografieren – von den Teilnehmern der Bewegung selbst. Durch die offe ne Schnittstelle von foursquare können wir die One-Square-Meter-Daten wie Standorte, Check-ins und Kommenta re auf unserer eigenen Plattform sammeln. So entsteht ein Do-it-yourselfAtlas – in Echtzeit gefüllt mit Geschi chten aus der ganzen Welt.« Das Ganze ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Damit es nicht zu Auseinandersetzungen kommt, wer nun mehr Zeit und Aufwand investiert, braucht es Partner, die sich vertrauen und die bei de gleichermaßen von dem Projekt begeistert sind. »Der gute alte Tauschhandel feiert in den digitalen Medien ein Comeback«, ist Jan Pautsch überzeugt. »Natürlich funktioniert das nur als auf eine Nische bezogenes Experiment. So etwas in Zusammenhang mit großen Kundenprojekten zu setzen wäre Quatsch. Aber es ist eine kluge Idee für ein charmantes Businessmodell. Das klassische Prinzip Kunde und Auftraggeber löst sich auf und nebenbei entstehen nachhaltige, wertige und nützliche Produkte.« Diese Kultur des Teilens und des Austauschs hat eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten hervorgebracht, das Budget zu schonen – unterstützt durch die technischen Entwicklungen der letzten Jahre. Statt immer alles selbst und von Grund auf neu zu erstellen, kann man auf vorhandene Lösungen und Ressourcen zurückgreifen. So finden sich im Netz die verschiedensten Instant-Portfolio-Anwendungen, die es auch webunkundigen Gestaltern erlauben, sich rasch und simpel eine Site zu bauen (siehe dazu den Artikel auf Seite 42 ff.). Die vielen Open-SourceTools (siehe dazu Seite 94 ff.) können dabei ebenso hilfreich sein wie die Fülle an hochwertigem Free Fonts (siehe Seite 48 ff.) oder auch die BilligbildPlattformen (siehe Seite 70 ff.). Soziale Netzwerke sind zudem eine gute Möglichkeit, um mit vergleichs weise wenig finanziellem Aufwand viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Jung von Matt/Spree transferierte gleich ein ganzes Theaterstück in die virtuelle Welt und bescherte dem Maxim 027 Soziale Netzwerke nutzen Für das Maxim Gorki Theater Berlin transferierte Jung von Matt/Spree gleich ein ganzes Theaterstück in die virtuelle Welt. Die Facebook-Inszenierung »Effie Briest 2.0« trifft die Zielgruppe dort an, wo sie sich bevor- zugt aufhält. Wer es nicht pünktlich zur Aufführung schaffte, kann sie sich weiterhin auf der Online-Bühne ansehen. Einfach Mitglied werden unter: www.facebook.com/groups/MGTOB. Natürlich konnten die Zuschauer auch mitbestimmen – das ausgewählte Hochzeitskleid lässt allerdings Zweifel am Geschmack der Crowd aufkommen . . . 028 page 12.12 TITEL Low Budget – Top Design Kluge Designimplementierung WirDesign-Direktor Matthias Knoke und sein Team entwickelten für die TU Braunschweig ein einfaches Gestaltungskonzept und einen Kanon aufeinander abgestimmter Sekundärfarben, der auch Laien eine Vielzahl von Varianten ermöglicht. Das Layout gliedert sich in ein Raster von Segmenten nach der Summenformel des Mathematikers Carl Friedrich Gauß. Zusammen mit dem Farbkonzept prägt das »Gauß-Raster« inzwischen das Erscheinungsbild vieler Publikationen. Gorki Theater Berlin mit »Effie Briest 2.0« einen Riesenerfolg. Die neue Spiel stätte ist eine FacebookSeite, umfunk tioniert zur interaktiven Bühne, die ei ne junge Zielgruppe erreichen und die OnlineZuschauer neugierig auf die Aufführung am Maxim Gorki Theater selbst machen wollte. Unter facebook. com/groups/MGTOB konnten die Zu schauer bei der OnlinePremiere live miterleben, wie die FacebookProfile der FontaneFiguren Effi Briest, Geert von Innstetten bis hin zu Major Cram pas und einem Pferd zum Leben er wachten. Dabei bedienten sich die Kreativen aller Mittel, die das Social Network zu bieten hat: Rollenprofile, Statusmeldungen, Kommentare, Vi deo und Fotouploads, Places, Veran staltungen und so weiter. Selbstver ständlich konnten die User auch Ein fluss auf das Stück nehmen: zum einen in Form von interaktiven Szenen, bei denen sie durch Likes oder Kommen tare den Verlauf bestimmen konnten, zum anderen durch ein vorher durch geführtes Casting für drei Gastrollen. »›Effie Briest 2.0‹ zeigt nicht nur auf, welche enormen Inszenierungs potenziale sich für die Theater und Kulturlandschaft im Social Web ver stecken, sondern auch einen Weg, mit einem schmalen Buget eine beste hende Kommunikationsinfrastruktur sinnvoll für das eigene Marketing zu nutzen und Interessierte genau dort anzutreffen, wo sich bevorzugt auf halten«, ist Till Eckel, Geschäftsführer bei Jung von Matt/Spree überzeugt. Mit Facebook als Bühne musste keine zu sätzliche Software programmiert, kein Kommunikationskanal eingekauft wer den. Außerdem wurden Skript, Fotos, Videos und Musik beinahe ganz vom Theater zur Verfügung gestellt. Auch wenn es sich schwer mit Zahlen bele gen lässt, welche Besucher der Online Premiere auch zur echten gekommen sind, Lust auf Theater hat »Effie Briest 2.0« bestimmt gemacht – der Saal bei der realen Eröffnung war jedenfalls bis auf den letzten Platz belegt. Ebenfalls die Kommunikationsstruk turen des Webs nutzte DDB Stockholm für eine Kampagne im Auftrag der dortigen Königlichen Oper, die unter der Vergreisung ihres Publikums lei det. Wie aber lockt man jüngere Besu Selber falten und aufkleben Die Fruchtpulver von Spice for Life wirken hochwertig und besonders. Das liegt vor allem an den im Buchdruck gedruckten umlaufenden Figuren – den Fruchtfeen – und den schön gestalteten Aufklebern. Eine kluge Produktion sorgte für ein auf lange Sicht sehr flexibles und damit auch günstiges System. Verantwortlich für Konzept, Gestaltung und Umsetzung ist New Cat Orange aus Wiesbaden. page 12.12 cher in die Oper, die oft schon mit der Kleiderfrage überfordert sind? Die Kre ativen nahmen sich vor, die Dresscode Barriere abzuschaffen und designten in Zusammenarbeit mit der Modemar ke Weekday eine Serie von TShirts, die gleichzeitig Eintrittskarten für die Oper darstellten. Events in den Week dayStores, bei denen Teile des Bal letts »Manon« aufgeführt wurden und Ausschnitte der Musik zu hören wa ren, sorgten für Aufsehen in den Me dien. So wurden die TShirts zum in novativen Mediakanal der Oper, und Schwedens führende Fashionblogger sprachen plötzlich über Opernkarten. Der visuelle Auftritt der Aktion war denkbar einfach: ein typografisches Logo, simple braune Briefumschläge als Verpackung für die TShirts und bedrucktes, pinkfarbenes Klebeband, um die Aktivitäten im Laden hervor zuheben. Die erste TShirtSerie mit »Manon«Motiv war bereits nach vier Stunden ausverkauft, und tatsächlich jeder Käufer reservierte sich über den beiliegenden Code auch einen Termin für eine Aufführung. Der Herstellungsprozess bietet viel leicht das vielfältigste Einsparpoten zial – etwa durch vorausschauendes Denken, indem man zum Beispiel für spätere, kleinere Auflagen vorprodu ziert. Also die Standards mit aufwen diger Veredelung vorab in Großauf lage druckt, und die personen oder terminspezifischen Elemente, zum Bei spiel für einen Newsletter, dann von Fall zu Fall ergänzt. Apropos aufwen dige Veredelung: Bei Sonderdruckver fahren macht es Sinn, nur ein Werk zeug, beispielsweise die Prägestem pel, anfertigen zu lassen, indem man das Logo auf Briefbogen, Visiten oder Grußkarte gleich groß anlegt. Das Ausreizen der Bogengröße kann eben so ökonomisch sein wie das Wieder verwenden von Makulaturbogen. Oder man recycelt gleich den gesamten Pa pierabfall. Dass daraus schöne Dinge entstehen können, hat die Düsseldor fer Agentur nowakteufelknyrim mit Flexible Grafik Ein einfaches grafisches System, das sich in verschiedensten Medien anwenden lässt, kreierte Paula Scher, Partnerin bei Pentagram in New York, für den 58. Wettbewerb des Type Directors Club. Ohne großen finanziellen Aufwand sorgen die knallroten Grafiken für Aufsehen, und zwar völlig egal, ob auf der Website, in Bannern, als E-Mail-Header oder auf den gedruckten Plakaten, die zugunsten des TDC verkauft wurden. »Low Budget bietet die Chance für etwas Einzigartiges, weil die Währung Leidenschaft und Partnerschaft Berge versetzen kann. Trotzdem bedarf es dafür einer Investition des Kunden: nicht finanziell, sondern intellektuell« Jan pautsch, Unitleiter Kreation bei aperto, Berlin 029 030 page 12.12 TITEL Low Budget – Top Design ihrem Recyclingdesign bewiesen (siehe PAGE 12.09, Seite 40 ff.). Wie sich bei Verpackungen etwas spa ren lässt, weiß HP Becker, Gründer von New Cat Orange in Wiesbaden. Das Biolabel Spice for Life, das feine Gewürze aus aller Welt vertreibt, be nötigte ein flexibles, kostengünstiges System, das trotzdem eine besondere Anmutung hat. Anstelle einer teuren, komplizierten Faltschachtel aus Ver bundstoffen, die schlecht zu recyceln sind und so nicht zu einem Biolabel passen, ließ er aus einem günstigen Recyclingpapier Stanzformen herstel len, die dann in einer Berliner Behin derten Werkstatt zu Würfeln gefaltet werden. »Die Stabilität ist ausgezeich net, auch wenn sie befüllt sind und man sie von oben anfasst«, so HP Be cker. Anstatt die Würfel direkt im Off set zu bedrucken, ließ er Etiketten produzieren, die nicht nur den Platz auf dem Druckbogen optimal ausnut zen, sondern mit denen der Kunde zu dem flexibler reagieren kann, wenn plötzlich Zimt viel mehr gefragt ist als Curry. Für die unlängst hinzugekom menen Fruchtpulver griff New Cat Orange auf das gleiche Grundkonzept zurück, ließ jedoch die Kartons – um sie von den Gewürzwürfeln zu unter scheiden – im Buchdruck mit einem Motiv, den Fruchtfeen, bedrucken. »Buchdruck zeigte sich hier als gute Alternative zum Offset, weil man deut lich weniger Material verbraucht – es gibt kaum Makulatur – und wir mit dem haptischen Buchdruck quasi ei ne Druckveredelung frei Haus erhal ten«, sagt Becker. Die hier beschriebenen und ge zeigten Projekte sollten auch die größ ten Zweifler davon überzeugen, dass Geldsparen nichts mit billigem Design zu tun haben muss. Wer den Begriff »Low Budget« trotzdem nicht über die Lippen bringt, kann ja ausweichen: Nennen Sie es doch einfach »Design mit Sparpotenzial«. ant Tauschhandel Als Vorbereitung auf den »Decoder«-Workshop, den Van Bo Le-Mentzel bei Aperto in Berlin leitet, sammeln die Mitarbeiter der Agentur Ideen für das Innenleben des One Square Meter House des Architekten. Anstatt eines Honorars bekommt dieser von Aperto eine digitale Plattform, um sein Projekt zu präsentieren – ein »Karma-Deal«, früher Tauschhandel genannt. Eigene Darsteller Mit geringstem Aufwand produzierte die Hamburger Agentur Kolle Rebbe einen animierten Weihnachtsgruß für Ritter Sport, der durch 266 Schokotafeln bewies, dass es auch Ritter-Sport-Weihnachtsmänner gibt. Eigene »Darsteller« hielten die Kosten niedrig, der Bauplan, den man anschließend im Blog des Schokoladenherstellers herunterladen konnte, sorgte für viel Freude bei den Fans und erneuten Traffic auf der Website.