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TITEL
Kostenloses Material
Für das Leitsystem des
alten Speichers Metropolitan
Wharf am Themseufer
machte sich Mind Design auf
die Suche nach Treibholz.
Getrocknet, gesäubert und
mit Sandstrahl beschriftet,
wirken die Schilder äußerst
edel. Die Schrift entstand
in Zusammenarbeit mit Neal
Fletcher. Der 23-jährige
Typedesigner zeichnete zwei
Versionen: eine fürs Holz
mit offeneren Punzen und
eine etwas feinere
Variante für den Druck.
Für Ricordi entwarf
Atelier Brückner eine
Ausstellung mit zwei
Erzählsträngen: der
Historie des Musikverlags
und der Entstehung einer
Oper in fünf Schritten.
Teil der Vorabvisualisierung war dieses
plastische 3-D-Modell
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021
Mehr mit Weniger
Erstklassiges Design bei minimalem Budget? Da sind intelligente Lösungen gefragt. Wir zeigen, was sich Kreative
alles einfallen lassen, um Geld zu sparen und dennoch das Beste herauszuholen
022 page 12.12
TITEL Low Budget – Top Design
nDie Kosten niedrig zu halten ist ja
zunächst einmal nichts Schlechtes – vo­
rausgesetzt, die Einsparungen gehen
nicht zulasten der Qualität. Wehe aber,
das Wort »Low Budget« fällt. Da zuckt
manch Kreativer zusammen, hebt ab­
wehrend die Hände und sagt: »Damit
wollen wir nichts zu tun haben, wir sind
keine Billigagentur.« Keine Frage, der
Begriff ist negativ besetzt. Eigentlich
unsinnig, schließlich heißt Low Budget
doch bloß, mit möglichst wenig Geld
möglichst viel erreichen – also ein nied­
riger Etat, gepaart mit viel Intelligenz
und Kreativität. »In unserer Branche
be­deutet ›Low Budget‹ aber leider
auch ein unterdurchschnittliches Ho­
norar bei überdurchschnittlichen An­
forderungen. Oder, anders gesagt: Der
Kunde möchte den Mercedes zum
Golf-Preis«, erklärt Norbert Gabrysch.
Da­bei, so der Vorstandsvorsitzende von
wirDesign in Braunschweig und Ber­
lin, steht Low Budget doch eigentlich
für Konzentration aufs Wesentliche.
»Das setzt aber voraus, dass man in
den Anfang investieren muss, ins
Darüber-Nach­den­­ken, was überhaupt
das We­sentli­che ist. Und wie ich das
vielleicht auf ei­­ne etwas andere Art
erreichen kann. Wenn das aber sogar
bei effi­zien­tes­tem Einsatz der zur Ver­
fügung stehenden Mittel nicht gelin­
gen kann, ist selbst Low Budget raus­
geschmis­se­nes Geld.«
Kosten lassen sich an verschiede­
nen Ecken eines Projekts sparen, schon
ein ordentliches Briefing, die richtige
Recherche und eine korrekte Auftrags­
bestätigung verhindern Folgekosten
und schonen den Etat. Wo genau ge­
spart wird, sollte man allerdings gut
über­legen. »Grundsätzlich kann billig,
vor allem im Corporate Design, genau­
so falsch sein wie unnötig teuer. Oft las­
sen sich Kunden Logos über Crowdsour­
cing-Plattformen gestalten und wis­sen
dann nicht, wie sie diese in der Ge­
schäftsaustattung verwenden sollen«,
beobachtet Holger Jacobs, Gründer
von Mind Design in London. Ein Logo
mache aber noch lange kein Corpora­te
Design. »Ebenso wenig sinnvoll ist es,
für einen kleinen Job eine aufwendige
Kommunikationsstrategie und detail­
lierte Guidelines zu entwickeln, die der
Kunde letztlich nicht braucht.« Mind
Design konzentriert sich daher auf die
wesentlichen Anwendungen und be­
zieht die Produktion von vorneherein
»Low-Budget-Projekte? Das ist doch nichts Besonderes!
Zu uns hat in den letzten 25 Jahren noch nie ein Kunde gesagt:
Entwickeln Sie das Optimum – wir haben Geld wie Heu!«
Norbert Gabrysch, Vorstandsvorsitzender von wirDesign, Braunschweig und Berlin
Eigene Prägestanze
Das Briefpapier druckt Thomas
Moll für sein Innenarchitektur­studio RaumFreude selbst auf
einem Laserprinter, die Visiten­
karten ließ er einfarbig schwarz
im Offset herstellen. Die verantwortliche Design­agentur
Fuenfwerken hatte die Idee,
die Geschäftsausstattung mit
einer Prägestanze zu veredeln,
die bei RaumFreude steht.
So kann der Kunde die Auflage
nach Bedarf steuern und muss
trotzdem nicht auf eine hoch­wer­tige Anmutung verzichten.
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mit ein. »Das heißt, wir gestalten oft
rückwärts und gehen vom Material und
vom Herstellungs- oder Druckprozess
aus, um dann die Designentscheidun­
gen zu treffen. So stellen wir sicher,
dass wir das Produktionsbudget ein­
halten«, erklärt Holger Jacobs.
Low Budget im besten Sinne ist
das Leitsystem, das die Londoner De­
signer für den kürzlich renovierten al­
ten Spei­cher Metropolitan Wharf im
Osten der Stadt entwickelten. Das Bud­
get war recht knapp, trotzdem kamen
Stan­dard­­­plastikschilder für sie nicht
infra­ge – das Material sollte einen Be­
zug zum Gebäude haben. Da Metro­
po­litan Wharf direkt an der Them­se
liegt, kam Mind Design auf die Idee,
Treib­holz zu sammeln. Gesagt, getan.
Schnell waren einige Plastiktüten mit
in etwa passenden Höl­zern gefüllt
und im Kofferraum verstaut. Nach dem
Säu­bern und Trocknen ließ das Studio
die Schrift – die es zusammen mit Neal
Flet­cher auf Basis einer alten Beschrif­
tung am Gebäude ent­worfen hatte –
per Sandstrahl ins Holz fräsen. Die fer­
tig be­schrifteten Treib­holzschilder be­
fes­tigten sie auf Kup­ferrohren. So las­
sen sie sich, etwa beim Umzug eines
Mieters, einfach an- und abmontieren.
Das Treibholzleitsystem sieht nicht nur
individuell und hochwertig aus, es passt
auch exzellent zum Gebäude – viel bes­
ser als jedes Mate­rial, das im Rahmen
des Budgets zu kaufen gewesen wäre.
Der Handwerker um die Ecke freut
sich nicht als Einziger über eine kos­
tengünstige Lösung, auch große Kun­
den, besonders öffentliche Auftrag­
geber, begrüßen intelligentes Design.
Wie die Technische Universität Braun­
schweig, von der wirDesign den Auf­
trag für ein neues Corporate Design er­
hielt. Mit 6 Fakultäten, 110 Instituten
und rund 3000 Mitarbeitern gehört die
TU zu den größten Arbeitgebern der
Region. Die Freiheit von Forschung und
Lehre war bislang auch als Freiheit der
öffentlichen Selbstdarstellung aufge­
fasst worden. »Je nach akademischem
Umfeld, Tradition und Anspruch der
Institutsleitung existierte ein bun­tes
Durcheinander bei den unzähligen Pu­­
bli­kationen, Präsentationen, Flyern
023
Mülltonnen zu Kameras
Wie verbessert man das Image
der Müllabfuhr, ohne Millionen
dafür auszugeben? Das fragte sich
die Hamburger Stadtreinigung
und bat Scholz & Friends Berlin,
bei der Suche nach einer Lösung
zu helfen. Die Kreativen hatten die
Idee, das Arbeitsgerät der Müll­
männer – die Mülltonnen – zu einer
Lochkamera umzubauen und sie
damit ihre Lieblingsplätze foto­gra­fieren zu lassen. Das Ergebnis
sind großartige Schwarzweißbil­der – für die die Werber das Wort
»Tonno­grafie« erfanden und die
welt­weit Millionen von Print- und
TV-Kontakten generierten.
024 page 12.12
TITEL Low Budget – Top Design
Medien als Multiplikator
Um junge Leute in die Oper zu locken, gestalte­te
DDB Stockholm zusammen mit der Mode-­
marke Weekday eine Serie von T-Shirts, die
zugleich Operntickets waren. Events in
den Weekday-Stores, bei denen Teile des
Balletts aufgeführt wurden, bescherten
ein gigantisches Medieninteresse. Der visu­elle Auftritt selbst war denkbar einfach:
ein typografisches Logo, simple braune Brief­­umschläge als Verpackung für die T-Shirts
und bedruc­k­tes, pinkfarbenes Klebeband, um
die Aktivitäten im Laden hervorzuheben.
und Webauftritten: von hochprofes­
sionell bis gar nicht gestaltet, einher­
gehend mit einer kaum überschauba­
ren Viel­falt an Gestaltungs­tools und
Kommunikationsgewohnheiten«, sagt
Norbert Gabrysch. Diesen Wirr­warr
sollte wirDesign ver­einheit­lichen, wo­
bei eine zentrale For­derung des Kun­
den lautete, dass das neue Erschei­
nungsbild nach der Im­ple­mentierung
keine Kosten mehr ver­ursachen dürfe.
Um die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, waren einige Investitionen
nötig: ein Workshop mit Universitäts­
präsident und -leitung mit dem Ziel,
diese für das Projekt zu begeistern
und die nötige Rückendeckung zu be­
kommen sowie diverse Meetings mit
den verschiedenen Hochschulgremien.
Ebenfalls nicht besonders günstig wa­
ren die Designentwicklung, der Prozess
der Involvierung und Implementierung
sowie die Dokumentation mit Anwen­
dungsbeispielen und Templates in ei­
ner Online-Toolbox. »Low Budget be­
deu­tete bei diesem Projekt die unbe­
Vertrauen statt Timing
Ein Klangerlebnis im Netz schuf Scholz &
Volkmer für das Orchester der Kulturen,
bei dem vom australisches Didgeridoo
über eine türkische Baglama bis zum
Alphorn alle erdenklichen Instrumente
vertreten sind. Dass Dirigent Adrian
Werum den Kreativen vertrauensvoll
freie Hand ließ, sparte wertvolle Zeit, die
sonst für Abstimmungsprozesse und
Termineinhaltung draufgegangen wäre.
Und der für die Website entstandene
Globus ist ein so starkes Key­visual, dass
er nun in der gesamten Kommu­­ni­­­kation zum Einsatz kommt – so gab es
ein Corporate Design quasi on top.
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dingte Forderung des Auftraggebers,
dass Gestaltungslaien wie Studenten
oder Hilfskräfte das neue Corporate
Design anwenden können und wol­
len. Deshalb wäre es fatal gewesen,
diese Schritte einzusparen«, betont
Norbert Gabrysch.
Entscheidend für den nachhalti­
gen, langfristigen Low-Budget-Effekt
waren, so Gabrysch, vor allem folgen­
de Punkte: »ein sehr einfaches Design­
prinzip (›Ja, das verstehe und kann
ich‹), das zugleich eine unendliche Viel­
falt individueller Möglichkeiten zulässt
(›Super, ich kann fast machen, was ich
will‹). Außerdem war es wichtig, dass
wir die unterschiedlichsten Anwender­
anforderungen berücksichtigt und Ver­
ständnis für das Thema Corporate De­
sign geweckt haben.« Schon während
der Präsentation ihres Konzepts im
Aus­wahlverfahren hatte wirDesign den
Fokus auf die Vorgehensweise und die
Einbeziehung der Mitarbeiter gelegt.
Denn es war klar, dass die Qualität des
Prozessmanagements bei diesem Pro­
jekt mehr zum Erfolg beitragen würde
als die Gestaltung selbst. Sicher auch
des­halb konnten sich die Braunschwei­
ger gegen andere Agenturen durch­
setzen, obwohl sie nicht das günstig­
ste Angebot abgegeben hatten.
Außer genauer Planung kann aber
auch Vertrauen helfen, im Budget zu
bleiben. Scholz & Volkmer machte die­
se Erfahrung bei der Entwicklung der
Website für das Stuttgarter Orchester
der Kulturen. Bislang hatte dieses nur
eine reine HTML-Seite, jetzt wollte der
Orchestergründer, der Kom­ponist und
Dirigent Adrian Werum, einen Relaunch
des Auftritts – sowie das eine oder an­
Stempel statt Druck
Viel Geld hatte Christine Kinsella bei
Eröffnung ihrer Akupunkturpraxis nicht,
aber sie wusste um die Bedeutung
einer überzeugenden Geschäftsausstattung und wandte sich an Jeremy Dahl
und Becky Nelson von Bex Brands in San
Diego. Die investierten einen Großteil
des schmalen Budgets in das hochwertige Papier Curious Particles Gold und
gestalteten Broschüren, die sie dann
kopierten. Farbe kam durch ein Set überdimensionierter Stempel hinzu. Damit
Christine Kinsella dies selbst machen kann,
entwickelte Bex Brands ein Raster und
eine Anleitung für den Einsatz der Stempel.
Das Jutesäckchen passt zum »Down to
earth«-Ansatz der Therapeutin, der Anhänger fungiert gleichzeitig als Visitenkarte.
025
»Low Budget ist das Gegenteil von Wegwerfde­sign.
Es bedeutet, mit einem Budget verantwortungsvoll umzugehen und Design zu schaffen, das einen
Wert und eine gewisse Langlebigkeit hat«
Holger Jacobs, Gründer von Mind Design, London
dere Soundelement (siehe PAGE 11.12,
Seite 38 ff.). An die Wiesbadener Inter­
active-Agentur wan­d­te er sich, weil er
sich an deren Weihnachtsspecial »Har­
monice Mundi« erinnerte. Dabei war
jedem S&V-Mitarbeiter ein Klang zu-­
ge­ordnet, und die User konnten daraus
unterschiedlich­ste Kompositonen kre­
ieren ( www.s-v.de/harmonicemundi ).
»Wir schlugen ihm vor, anstatt einer
HTML-Site gleich etwas Größeres zu
gestalten, um das Klangerlebnis dieses
neuartigen Orchesters auch im Inter­
net erlebbar zu machen. Adrian We­
rum war bereit, uns mit der kreativen
Umsetzung freie Hand zu lassen«,
erzählt Kreativ­direkto­rin Nicoletta
Merk-Gerlach. So schenk­te man sich
schon mal geld- und zeitfressende
Korrekturschleifen. »Adrian Werum
war we­ni­ger Kunde als Partner, er war
selbst in das Projekt involviert. Er lie­
ferte uns die Soundspuren, die nach­
her bei den Kompositionen ineinan­
der­grei­fen, so an, dass unser FlashDesigner Marc Storch sie direkt ein­
bauen konnte. Es waren also weder
Studioaufnahmen noch Schnitt­arbei­
ten erforderlich.« Außerdem konnte
die Agentur auf Shootings verzich­
026 page 12.12
TITEL Low Budget – Top Design
Pappkartons statt
Aufsteller
Mit den Designtagen
Wiesbaden – Access
All Areas präsentiert
sich seit sechs Jahren
die Kreativbranche der
hessischen Landeshauptstadt. Fuenfwerken entwickelte ein
äußerst kostengünsti­
ges temporäres Leit-­
system in der Innen-­
stadt, indem sie
wie­der­verwertbare
Pappkartons nutz-­
te, die Poster, Veran-­
st­altungsplakat,
Pro­grammheft und
Orts­pla­n in einem sind.
ten, denn die Bil­der der Musiker or­
ganisierte das Orchester selbst – viel­
leicht nicht so professionell, dafür aber
sehr authentisch.
Kosten sparte zudem, dass Adrian
Werum keine Deadline gesetzt hatte:
Der Auftritt musste nicht zu einem be­
stimmten Zeitpunkt fertig sein. So
konnte Scholz & Volkmer die bei der
Arbeit für große Kunden immer mal
auftretenden Wartezeiten für das Or­
chester der Kulturen nutzen. »Natür­
lich war das Ganze auch ein Experi­
ment. Anfangs wussten wir nicht, ob
der Künstler sich darauf einlassen
wür­de, sich von uns das musikalische
Konzept vorgeben zu lassen. Da war
auf beiden Seiten eine Menge Vertrau­
en nötig«, resümiert Nicoletta MerkGerlach. Entstanden ist nicht nur eine
informative Website, die gut aussieht
und jede Menge Spaß macht, sondern
quasi nebenbei ein Corporate Design.
Denn den Globus als starkes Keyvisual
und den einprägsamen Schriftzug
nutzt Adrian Werum in der Zwischen­
zeit auch auf Plakaten und in seiner
Geschäftskommunikation.
Noch einen Schritt weiter in Sachen
Vertrauen gingen der Architekt Van
Bo Le-Mentzel (siehe PAGE 09.12, Sei-­
te 52 ff.) und die Kommunikationsagen­
tur Aperto in Berlin: Bei ihrem »KarmaDeal« fließt überhaupt kein Geld. »Van
Bo Le-Mentzel wird am 23. und 24. No­
»Low Budget ist eine Art Spiel ohne Grenzen, bei dem aus einem kleinen
Etat ein großes, kreatives Spielfeld wird. Kleine Kunden haben oft
nur kleine Budgets, aber manchmal für uns großes kreatives Potenzial«
Nicoletta Merk-Gerlach, Kreativdirektorin bei Scholz & Volkmer, Wiesbaden
Puppen statt Models
Für die Flugsuchmaschine Swoodoo
konzipierte die zur ServiceplanGruppe gehörende Filmproduktion
Neverest eine medienübergrei-­
­fende Kampagne, die statt teurer
Models Handpuppen einsetzt.
Das Konzept zeichnet sich durch ein
hohes Maß an Flexibilität aus,
denn mit Swoo und Doo lassen sich
zielgruppenspezi­fische Inhalte
und aktuelle Themen schnell und
kosteneffizient für TV, Internet
oder Print umsetzen. Alles, was man
braucht, sind die beiden Figuren,
einen Hintergrund und eine Kame­ra.
In Kürze werden Swoo und Doo
nicht nur Geld sparen, sondern mit
einem Merchandising-Programm
sogar welches einbringen.
page 12.12
vember unseren zweiten ›Decoder‹Work­shop leiten, der, wie schon der
erste mit Eike König, das offene Denken fördern soll«, berichtet Jan Pautsch,
Unitleiter Kreation bei Aperto. Diesmal
geht es um Le-Mentzels ›One Square
Meter House‹. Sechs gemischte ApertoTeams werden je ein Haus individuell
gestalten. Als der Architekt sagte, er
möch­te für diesen Workshop eigentlich gar kein Geld haben, sondern einen »Karma-Deal« eingehen, konnte
Jan Pautsch damit erst nichts anfangen,
denn er arbeitet in einer stark kom­
merziell getriebenen Welt. Er und sein
Team fingen an zu überlegen, was sie
ihm anbieten können: »Wir kamen auf
die Idee, eine digitale Plattform für die
Do-it-yourself-Bewegung um das ›One
Square Meter House‹ zu ent­wick­eln –
sie sichtbar zu machen, mit Ge­schich­
ten aufzuladen und zu ver­net­zen.«
Ein großes Vorhaben für ein kleines
Budget und wenig Zeit bei allen Beteiligten. Deshalb nutzen die Kreativen
foursquare, ein soziales Netzwerk, das
reale Orte digital sichtbar macht. »Dort
lassen wir die One-Square-Meter-Welt
kartografieren – von den Teilnehmern
der Bewegung selbst. Durch die offe­
ne Schnittstelle von foursquare können
wir die One-Square-Meter-Daten wie
Standorte, Check-ins und Kommenta­
re auf unserer eigenen Plattform sammeln. So entsteht ein Do-it-yourselfAtlas – in Echtzeit gefüllt mit Geschi­
chten aus der ganzen Welt.« Das Ganze
ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Damit es nicht zu Auseinandersetzungen kommt, wer nun mehr Zeit
und Aufwand investiert, braucht es
Partner, die sich vertrauen und die bei­
de gleichermaßen von dem Projekt
begeistert sind. »Der gute alte Tauschhandel feiert in den digitalen Medien
ein Comeback«, ist Jan Pautsch überzeugt. »Natürlich funktioniert das nur
als auf eine Nische bezogenes Experiment. So etwas in Zusammenhang mit
großen Kundenprojekten zu setzen
wä­re Quatsch. Aber es ist eine kluge
Idee für ein charmantes Businessmodell. Das klassische Prinzip Kunde und
Auftraggeber löst sich auf und nebenbei entstehen nachhaltige, wertige
und nützliche Produkte.«
Diese Kultur des Teilens und des
Aus­tauschs hat eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten hervorgebracht, das
Budget zu schonen – unterstützt durch
die technischen Entwicklungen der
letz­­ten Jahre. Statt immer alles selbst
und von Grund auf neu zu erstel­len,
kann man auf vorhandene Lösun­gen
und Ressourcen zurückgreifen. So finden sich im Netz die verschiedensten
Instant-Portfolio-Anwendungen, die es
auch webunkundigen Gestaltern erlauben, sich rasch und simpel eine Site
zu bauen (siehe dazu den Artikel auf
Seite 42 ff.). Die vielen Open-SourceTools (siehe dazu Seite 94 ff.) können
dabei ebenso hilfreich sein wie die Fül­le an hochwertigem Free Fonts (siehe
Seite 48 ff.) oder auch die BilligbildPlattformen (siehe Seite 70 ff.).
Soziale Netzwerke sind zudem eine
gute Möglichkeit, um mit vergleichs­
wei­se wenig finanziellem Aufwand viel
Aufmerksamkeit zu bekommen. Jung
von Matt/Spree transferierte gleich ein
ganzes Theaterstück in die virtuelle
Welt und bescherte dem Maxim
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Soziale Netzwerke nutzen
Für das Maxim Gorki Theater Berlin
transferierte Jung von Matt/Spree
gleich ein ganzes Theaterstück in die
virtuelle Welt. Die Facebook-Insze­nie­rung »Effie Briest 2.0« trifft die Ziel­gruppe dort an, wo sie sich bevor-­
zugt aufhält. Wer es nicht pünktlich zur
Aufführung schaffte, kann sie sich
weiterhin auf der Online-Bühne anse­hen. Einfach Mitglied werden unter:
www.facebook.com/groups/MGTOB.
Natürlich konnten die Zuschauer
auch mitbestimmen – das ausgewählte
Hochzeitskleid lässt allerdings Zweifel
am Geschmack der Crowd aufkommen . . .
028 page 12.12
TITEL Low Budget – Top Design
Kluge Designimplementierung
WirDesign-Direktor Matthias Knoke und sein
Team entwickelten für die TU Braunschweig
ein einfaches Gestaltungskonzept und einen
Kanon aufeinander abgestimmter Sekundärfarben, der auch Laien eine Vielzahl von
Varianten ermöglicht. Das Layout gliedert
sich in ein Raster von Segmenten nach der
Summenformel des Mathematikers Carl
Friedrich Gauß. Zusammen mit dem Farbkonzept prägt das »Gauß-Raster« inzwischen
das Erscheinungsbild vieler Publikationen.
Gorki Theater Berlin mit »Effie Briest
2.0« einen Riesenerfolg. Die neue Spiel­
stätte ist eine Facebook­Seite, umfunk­
tioniert zur interaktiven Bühne, die ei­
ne junge Zielgruppe erreichen und die
Online­Zuschauer neugierig auf die
Aufführung am Maxim Gorki Theater
selbst machen wollte. Unter facebook.
com/groups/MGTOB konnten die Zu­
schauer bei der Online­Premiere live
miterleben, wie die Facebook­Profile
der Fontane­Figuren Effi Briest, Geert
von Innstetten bis hin zu Major Cram­
pas und einem Pferd zum Leben er­
wachten. Dabei bedienten sich die
Kreativen aller Mittel, die das Social
Network zu bieten hat: Rollenprofile,
Statusmeldungen, Kommentare, Vi­
deo­ und Fotouploads, Places, Veran­
staltungen und so weiter. Selbstver­
ständlich konnten die User auch Ein­
fluss auf das Stück nehmen: zum einen
in Form von interaktiven Szenen, bei
denen sie durch Likes oder Kommen­
tare den Verlauf bestimmen konnten,
zum anderen durch ein vorher durch­
geführtes Casting für drei Gastrollen.
»›Effie Briest 2.0‹ zeigt nicht nur
auf, welche enormen Inszenierungs­
potenziale sich für die Theater­ und
Kulturlandschaft im Social Web ver­
stecken, sondern auch einen Weg, mit
einem schmalen Buget eine beste­
hende Kommunikationsinfrastruktur
sinnvoll für das eigene Marketing zu
nutzen und Interessierte genau dort
anzutreffen, wo sich bevorzugt auf­
halten«, ist Till Eckel, Geschäftsführer
bei Jung von Matt/Spree überzeugt. Mit
Facebook als Bühne musste keine zu­
sätzliche Software programmiert, kein
Kommunikationskanal eingekauft wer­
den. Außerdem wurden Skript, Fotos,
Videos und Musik beinahe ganz vom
Theater zur Verfügung gestellt. Auch
wenn es sich schwer mit Zahlen bele­
gen lässt, welche Besucher der Online­
Premiere auch zur echten gekommen
sind, Lust auf Theater hat »Effie Briest
2.0« bestimmt gemacht – der Saal bei
der realen Eröffnung war jedenfalls bis
auf den letzten Platz belegt.
Ebenfalls die Kommunikationsstruk­
turen des Webs nutzte DDB Stockholm
für eine Kampagne im Auftrag der
dortigen Königlichen Oper, die unter
der Vergreisung ihres Publikums lei­
det. Wie aber lockt man jüngere Besu­
Selber falten und aufkleben
Die Fruchtpulver von Spice for Life
wirken hochwertig und besonders.
Das liegt vor allem an den im Buchdruck
gedruckten umlaufenden Figuren –
den Fruchtfeen – und den schön gestalteten Aufklebern. Eine kluge Produktion sorgte für ein auf lange Sicht sehr
flexibles und damit auch günstiges
System. Verantwortlich für Konzept,
Gestaltung und Umsetzung ist
New Cat Orange aus Wiesbaden.
page 12.12
cher in die Oper, die oft schon mit der
Kleiderfrage überfordert sind? Die Kre­
ativen nahmen sich vor, die Dresscode­
Barriere abzuschaffen und designten
in Zusammenarbeit mit der Modemar­
ke Weekday eine Serie von T­Shirts,
die gleichzeitig Eintrittskarten für die
Oper darstellten. Events in den Week­
day­Stores, bei denen Teile des Bal­
letts »Manon« aufgeführt wurden und
Ausschnitte der Musik zu hören wa­
ren, sorgten für Aufsehen in den Me­
dien. So wurden die T­Shirts zum in­
novativen Mediakanal der Oper, und
Schwedens führende Fashionblogger
sprachen plötzlich über Opernkarten.
Der visuelle Auftritt der Aktion war
denkbar einfach: ein typografisches
Logo, simple braune Briefumschläge
als Verpackung für die T­Shirts und
bedrucktes, pinkfarbenes Klebeband,
um die Aktivitäten im Laden hervor­
zuheben. Die erste T­Shirt­Serie mit
»Manon«­Motiv war bereits nach vier
Stunden ausverkauft, und tatsächlich
jeder Käufer reservierte sich über den
beiliegenden Code auch einen Termin
für eine Aufführung.
Der Herstellungsprozess bietet viel­
leicht das vielfältigste Einsparpoten­
zial – etwa durch vorausschauendes
Denken, indem man zum Beispiel für
spätere, kleinere Auflagen vorprodu­
ziert. Also die Standards mit aufwen­
diger Veredelung vorab in Großauf­
lage druckt, und die personen­ oder
terminspezifischen Elemente, zum Bei­
spiel für einen Newsletter, dann von
Fall zu Fall ergänzt. Apropos aufwen­
dige Veredelung: Bei Sonderdruckver­
fahren macht es Sinn, nur ein Werk­
zeug, beispielsweise die Prägestem­
pel, anfertigen zu lassen, indem man
das Logo auf Briefbogen, Visiten­ oder
Grußkarte gleich groß anlegt. Das
Ausreizen der Bogengröße kann eben­
so ökonomisch sein wie das Wieder­
verwenden von Makulaturbogen. Oder
man recycelt gleich den gesamten Pa­
pierabfall. Dass daraus schöne Dinge
entstehen können, hat die Düsseldor­
fer Agentur nowakteufelknyrim mit
Flexible Grafik
Ein einfaches grafisches System, das
sich in verschiedensten Medien
anwenden lässt, kreierte Paula Scher,
Partnerin bei Pentagram in New York,
für den 58. Wettbewerb des Type Directors Club. Ohne großen finanziellen
Aufwand sorgen die knallroten Grafiken
für Aufsehen, und zwar völlig
egal, ob auf der Website, in Bannern,
als E-Mail-Header oder auf den
gedruckten Plakaten, die zugunsten
des TDC verkauft wurden.
»Low Budget bietet die Chance für etwas Einzigartiges,
weil die Währung Leidenschaft und Partnerschaft Berge
versetzen kann. Trotzdem bedarf es dafür einer Investition
des Kunden: nicht finanziell, sondern intellektuell«
Jan pautsch, Unitleiter Kreation bei aperto, Berlin
029
030 page 12.12
TITEL Low Budget – Top Design
ihrem Recyclingdesign bewiesen
(siehe PAGE 12.09, Seite 40 ff.).
Wie sich bei Verpackungen etwas spa­
ren lässt, weiß HP Becker, Gründer
von New Cat Orange in Wiesbaden.
Das Biolabel Spice for Life, das feine
Gewürze aus aller Welt vertreibt, be­
nötigte ein flexibles, kostengünstiges
System, das trotzdem eine besondere
Anmutung hat. Anstelle einer teuren,
komplizierten Faltschachtel aus Ver­
bundstoffen, die schlecht zu recyceln
sind und so nicht zu einem Biolabel
passen, ließ er aus einem günstigen
Recyclingpapier Stanzformen herstel­
len, die dann in einer Berliner Behin­
derten Werkstatt zu Würfeln gefaltet
werden. »Die Stabilität ist ausgezeich­
net, auch wenn sie befüllt sind und
man sie von oben anfasst«, so HP Be­
cker. Anstatt die Würfel direkt im Off­
set zu bedrucken, ließ er Etiketten
produzieren, die nicht nur den Platz
auf dem Druckbogen optimal ausnut­
zen, sondern mit denen der Kunde zu­
dem flexibler reagieren kann, wenn
plötzlich Zimt viel mehr gefragt ist als
Curry. Für die unlängst hinzugekom­
menen Fruchtpulver griff New Cat
Orange auf das gleiche Grundkonzept
zurück, ließ jedoch die Kartons – um
sie von den Gewürzwürfeln zu unter­
scheiden – im Buchdruck mit einem
Motiv, den Fruchtfeen, bedrucken.
»Buchdruck zeigte sich hier als gute
Alternative zum Offset, weil man deut­
lich weniger Material verbraucht – es
gibt kaum Makulatur – und wir mit
dem haptischen Buchdruck quasi ei­
ne Druckveredelung frei Haus erhal­
ten«, sagt Becker.
Die hier beschriebenen und ge­
zeigten Projekte sollten auch die größ­
ten Zweifler davon überzeugen, dass
Geldsparen nichts mit billigem Design
zu tun haben muss. Wer den Begriff
»Low Budget« trotzdem nicht über die
Lippen bringt, kann ja ausweichen:
Nennen Sie es doch einfach »Design
mit Sparpotenzial«.
ant
Tauschhandel
Als Vorbereitung auf den »Decoder«-Workshop, den Van Bo
Le-Mentzel bei Aperto in Berlin leitet, sammeln die Mitarbeiter
der Agentur Ideen für das Innenleben des One Square Meter
House des Architekten. Anstatt eines Honorars bekommt dieser
von Aperto eine digitale Plattform, um sein Projekt zu präsentieren – ein »Karma-Deal«, früher Tauschhandel genannt.
Eigene Darsteller
Mit geringstem Aufwand produzierte
die Hamburger Agentur Kolle Rebbe einen
animierten Weihnachtsgruß für Ritter
Sport, der durch 266 Schokotafeln bewies,
dass es auch Ritter-Sport-Weihnachtsmänner gibt. Eigene »Darsteller« hielten
die Kosten niedrig, der Bauplan, den
man anschließend im Blog des Schokoladenherstellers herunterladen konnte,
sorgte für viel Freude bei den Fans und
erneuten Traffic auf der Website.