D IA LO G - Vliegen Verlag
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p heft N 12 musik f p heft N 12 musik ür Thomas Mann war die Musik eine der »weichsten Künste«, unfassbar und gefährlich, weil sie sich dem Rigor des sprachlichen Denkens wendig entzieht. Universale Sprache ohne Bedeutung? Diese Ausgabe fächert die Musiken Mittelosteuropas zu überraschend bunter Vielfalt auf und zeigt anschaulich, wie konkret diese Universalsprache jeweils mit der Entstehungsgesellschaft verflochten ist. Bei den Nationalhymnen liegt das auf der Hand. Nicht nur die Texte, auch die Melodien unterliegen ganz handfesten Einflüssen ihrer Epoche.[S.4] Bedeutsam wurde die Verschränkung von Musik und Gesellschaft in der jüngsten Geschichte. Die Tradition der Sängerfeste in den baltischen Staaten manifestierte sich 1989 in der Singenden Revolution. Man kann erahnen, wie sehr diese Tradition die sanfte Revolution gestützt hat. Bis heute wird die Musik im Baltikum geachtet und geehrt, ist berühmt für ihre hohe Qualität.[S.94] In anderen Ländern flieht die Musik die politische Realität. In Belarus zaubert sie — aus schierer Ohnmacht — mit Stolz, Zirkus, Extravaganz und Verkleidungsspielen eine eigene Wirklichkeit, die politisches oder soziales Engagement verblassen lässt.[S.86] Tschechien zeigt einen Trend zum Abschalten und zum Amüsement, der jeden Tiefgang in der Musik übertönt. Manchmal muss eben auch Zeit fürs Unernste sein.[S.72] Rumäniens Klänge scheinen auf den ersten Lauscher vor allem laut zu sein. Hört man genauer hin, wird man jenseits der Dauerbeschallung durch Eurovision-Superstars belohnt mit Juwelen wie der originellen, kühnen und politischen Ada Milea oder dem Musiker Alex Bălănescu, der passioniert fremde Einflüsse adaptiert.[S.78] Und in Polen — dem Land, dem wir das »P« in unserem Namen verdanken? Was bedeutet die Musik im Chopin-Jahr? [S.54] Reich ist dieses Land an großer und kleiner Popmusik, an musikalischen und textlichen Schätzen, die sich über Jahre hinweg behauptet haben. Einen spannenden Überblick über das »Who ist who« auf den polnischen Hitlisten gibt es auf S.104. Doch wir graben tiefer. Die Geschichte der Orgeln in Polen ist zugleich eine Aufarbeitung der kommunistischen Zeit, die nicht spurlos an wertvollen Kulturgütern vorbei ging und nach 1945 zu deutsch-polnischer Geschichte wurde.[S.28] Zwei Texte dieser Ausgabe sind elementar für die polnische zeitgenössische Musik und gehen weiter zurück: der erste in die Zeit der Besatzung Polens und die systematische Vernichtung der polnischen Künstlereliten durch die Nazis. Eine unbedingt sehenswerte Ausstellung zeigt erschütternde Musikerschicksale. Auch 65 Jahre nach Kriegsende sind längst nicht alle Opfer genannt, nicht alle Geschichten erzählt. Diese Ausstellung trägt dazu bei, die Leerstellen zu füllen.[S.62] Ein zweiter Grundsatztext behandelt die polnische Musikgeschichte im Exil. Hier werden europäische Zusammenhänge deutlich. Musiker wie Szymon Laks, Zygmunt Stojowski, Zygmunt Noskowski oder Władysław Zieleński sind auch in Polen wenigen bekannt; ihr Werk birgt unentdeckte Schätze.[S.46] Gibt es trotz dieser unterschiedlichen Trends so etwas wie eine gemeinsame Musikidentität Mittelosteuropas? Möglicherweise lässt sich als gemeinsames Merkmal dieser Region festhalten, dass man sie auch nach zwanzig Jahren nicht losgelöst vom Kontext der politischen Wende betrachten kann. Die Folkmusik Polens und der Ukraine versucht die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und eigene Identität.[S.82] Noch weiter geht diese Bewegung in der Region Schlesien; hier hinterfragen Melodien die Geschichtsschreibung, sind Forscher schockiert über ihre Funde: bruchstückhafte Kleinode der osteuropäischen Volksmusik, die sich zwar über Jahrhunderte erhalten, aber unter der europäischen Geschichte so stark gelitten haben, dass sie nicht gegen das Vergessen gefeit sind.[S.18] Anders die moderne Folkmusik, die sich per definitionem als Melange versteht: Man nehme Folklore und schüttele sie kräftig. Musiziert man mit Musikern aus anderen Kulturen, ist der Zauber perfekt. Das tun die goralische Traditionsband Trebunie Tutki und die jamaikanische Reggaeband Twinkle Brothers, Kroke und Nigel Kennedy.[S.42] Das stete Wechselspiel zwischen der Adaption fremder Einflüsse und der Besinnung auf die eigenen Wurzeln kennzeichnet diese mitteleuropäische Musik. Der Rock, der Jazz, ganz gewiss aber der Punk, waren früher vor allem auch politische Haltungen. Filme wie Beats of Freedom und Fala.Jarocin 85 arbeiten diese engagierte Zeit auf. Damals war die Rebellion authentisch. Heute wirkt der Punk etabliert. Begehrt er noch auf, und wogegen? Wie gelebter Punk wirkt der Warschauer Musikverlag LADO ABC, nicht in erster Linie der Musik wegen, die er verlegt, sondern w i e er sie verlegt: Jenseits von eingefahrenen Vertriebswegen und Plattenverträgen. Die Jungs haben ein eigenes kleines und äußerst feines Musikuniversum für die alternativen Bands von Warschau aufgebaut. Alles ist hier selbstgemacht im besten Sinne dieses Wortes: Produktion, Mastering, Artwork und Design liegen in eigener Hand.[S.12] Markenzeichen der alternativen Musik Warschaus ist, dass sie sich nicht eindeutig ihrem Herkunftsland zuordnen lässt. Für echte Independent-Music ist das Nationale nebensächlich, hier musizieren Musiker um der Musik willen, finden eine »Universalsprache«, die auch der Komponist Krzysztof Penderecki benennt.[S.58] Oft muss sich das Ohr erst gewöhnen an die »fremden« Klänge der Nachbarn, muss der Kopf die Tradition verstehen, der Bauch sich öffnen, Saiten in sich anklingen lassen. Manchmal wird er unerwartet mitgerissen von einer fremden Melodie, als schlummere tief in ihm altes Wissen, dass dieses ferne Lied doch zu ihm ge h ö r t . Für den Kontrapunkt in diesem Text-Kaleidoskop über die Musik sorgt die Bildstrecke. Splitter der Erinnerung aus Familienalben — abgebildet in Originalgröße — ergänzen diese Ausgabe um das, was man den sozialen Aspekt der Musik nennen könnte. Antje Ritter-Jasińska [Chefredakteurin] p heft N 12 musik inhaltsverzeichnis Nationendämmerung seite Olaf Kühl 4 New School Strikes Back. Polens Hip-Hop seite Łukasz Tomaszewski 8 Buchstabensuppe vom Sternekoch. Der Kosmos des Warschauer Plattenlabels Lado ABC seite Bernd Adamek-Schyma 12 Melodien als Demaskierung von Geschichte seite Natalia Gańko-Laska 18 Die wollen nur spielen. Polnischer Metal zwischen Provokation und Pop seite Rainer Mende 24 Von Königinnen und Aschenputtel. Eine polnische Orgelreise seite Michael F. Runowski 28 From Punk to Punk. Eine Kurzreise durch mehr als 30 Jahre Punk in Polen seite Alexander Pehlemann 34 Struktur der Landschaft. Polnischer Jazz seite Jan Hanisch 38 Folk Made In Poland Margret Kutschke seite 42 Polen im Herzen. Komponieren in der Fremde. Die klassische Musik Polens als Geschichte einer Kunst im Exil seite Frank Harders-Wuthenow 46 Chopin 2010. Eine Leerstelle seite Janina Klassen 54 Ich fühle mich hier wie zuhause. Krzysztof Penderecki über Inspiration und sein Leben als Gärtner seite Almut Ochsmann 58 Musik unter Besatzung. Impressionen einer Ausstellung seite Elisabeth Richter 62 Prager Musicals. Die Nacktmulle der tschechischen Musik seite Ulrike Hoinkis 72 Klänge Rumäniens. Essayistische Schlaglichter seite Andra Joeckle 78 Frischwasser für die ukrainische World Music seite Pavlo Nechytaylo 82 Virale Vibes. Die alternative Musik in Belarus sucht nach ihrer Zukunft seite Maksim Žbankoŭ 86 Todar. Bunt in Weißrussland seite Thomas Weiler 92 Mit dem Lied in die Welt. Musikleben in Lettland seite Birgit Johannsmeier 94 Sorbisch by Nature seite Jörg Ciszewski 100 Polskie Hity oder Ein kleines ABC der Nullerjahre seite Paul-Richard Gromnitza 104 Sprachkurs Sto lat 114 Rezept Barszcz Ukraiński 116 Kolumne Tarik Gül »Blechmusik« 119 Film elan »Herrn Kukas Empfehlungen«119 Eventkalender 121 Literatur Sylvia Chutnik »Die Krabbe« 122 Register 125 Impressum 128 nationen dammeolaf rung kuhl p heft N 12 musik w er Mitte der siebziger Jahre an den Bungalows des Studentenheims Eichkamp in Berlin-Charlottenburg vorbeiging, konnte zwei männliche Personen an ihren Zimmerfenstern stehen sehen. Ein Deutscher und ein Grieche salutierten zur sowjetischen Hymne, die aus Rundfunkgeräten in ihren Zimmern dröhnte. Ob Witzbolde oder Anhänger der damaligen Sozialistischen Einheitspartei Westberlins — jedenfalls ist die Szene eher bizarr. Normalerweise denkt man bei der Nationalhymne an Fußballspiele oder die Siegertreppchen der Olympischen Spiele, auf denen Sportler ihr Gesicht himmelwärts halten, um die Tränen zu bannen. Weder dem Deutschen, noch dem Griechen war die Sowjetunion eine Heimat. Allenfalls als Vaterland des Sozialismus hätten sie sich ihr verbunden fühlen können. Beim Klang der eigenen Hymnen hätten sich beide nur geschüttelt. Schon den 68ern galten solche Staatssymbole als reaktionäre, spießbürgerliche Relikte. Auf, Kinder des Vaterlands! Dabei ist die älteste Hymne ein Kampflied der Revolution: am 5. Juli 1795 — einen Tag nach dem Nationalfeiertag der Erstürmung der Pariser Bastille 1789 — wurde die Marseillaise zur Nationalhymne erklärt. Seinen Namen bekam dieses Lied von dem Freiwilligenbataillon aus Marseille, das am 30. Juli 1792 mit seiner Melodie auf den Lippen in Paris einzog. Die Französische Revolution hatte die absolutistische Monarchie hinweggefegt, die bedrohten Herrscher Preußens und Österreichs strebten eine Restauration an. Pionierhauptmann Rouget de Lisle hatte den Schlachtgesang 1792 für die französischen Freiwilligen komponiert. Der Text atmet Hass gegen die Tyrannen, Vertrauen in den Sieg, Liebe zur Freiheit. Die rhythmische und mitreißend schwungvolle Melodie verrät Anleihen an Jean Baptiste Grisons (1746 –1815) Oper Esther, eine Messe von Ignaz Holzbauer (1711–1783) und Mozarts Klavierkonzert Nr. 25 in C-Dur von 1786. Mitkomponist war vermutlich Ignaz Pleyel (1757–1831); 1791 hatten de Lisle und Pleyel gemeinsam die Hymne à la liberté geschrieben. Die Popularität der Marseillaise reicht bis in die Zeit der Popmusik: 1967 stellten die Beatles das Präludium dieser Hymne ihrem Hit All you need is love voran. Hymnen besingen die Nation, ihre Entstehungs- und Wirkungsgeschichte aber verrät oft Spuren eines Zeitalters, als Adelsverbindungen ein über Ländergrenzen hinweg reichendes Netzwerk schufen. So war be- nationalhymnen sagter Pleyel ein Schüler Joseph Haydns gewesen, letzterer bekam im konservativen Österreich den Auftrag, eine Kampfhymne gegen die Marseillaise zu schreiben. Heute könnte man bei dem naiven Text an Franz Beckenbauer denken: »Gott! Erhalte Franz den Kaiser / Unsern guten Kaiser Franz / Lang lebe Franz der Kaiser / In des Glückes hellstem Glanz!« Die leicht intonierbaren Intervalle, der beschränkte, choralartige Tonumfang und die Variation auf den Atemrhythmus zugeschnittener Motive trugen dazu bei, dass das Lied seit 1797 ein großer Erfolg wurde. Inspiriert ist die Kaiserhymne von God save the King, aber auch von dem kroatischen Volkslied Vjutro rano [Morgenfrühe], das Haydn in seiner Kindheit im österreich-ungarischen Grenzraum gehört haben mochte. Für den Text war Jesuitenpater Lorenz Leopold Haschka (1749 –1872) mit seinen antifranzösischen und kaisertreuen Versen prädestiniert. So kam es, dass bei den Schlachten von Austerlitz und Leipzig, bei denen sich französische und österreichische Truppen — Revolution und Restauration — gegenüber standen, auf der einen Seite Joseph Haydns Kaiserhymne und auf der anderen die Marseillaise seines ehemaligen Schülers erklangen. Noch ist Polen nicht verloren Eine andere Nation — soeben zum Nicht-Staat geworden — setzte damals große Hoffnungen in Napoleon. Polen erhoffte sich von ihm die Befreiung. Nach den Teilungen (1772–1795) kämpfte die 1795 in der Lombardischen Republik in Italien aufgestellte Polnische Legion unter General Jan Henryk Dąbrowski auf französischer Seite. Mitte Juli 1797 dichtete dort der Journalist Józef Wybicki in einer lauen Sommernacht das Lied der Polnischen Legionen, das mit den berühmten Worten »Noch ist Polen nicht verloren« beginnt. Es hatte ursprünglich einen Refrain und sechs Strophen, heute noch drei. Das Lied verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Als die Polnische Legion 1806 im Zuge der napoleonischen Feldzüge in Posen einmarschierte, schmetterten Tausende Soldatenkehlen die Wybicki-Hymne, die damit endgültig zum Symbol der polnischen Wiedergeburt geworden war. Sie wurde von der preußischen Besatzung verboten. Die Hoffnungen der Polen erfüllten sich nicht. Nach Napoleons Niederlage in Russland (1812) wurde Restpolen — das Großherzogtum Warschau — zum vierten Male geteilt. In der Zweiten Republik (Staatsgründung 1918) wurden ande- -re p heft N 12 musik ande- * nationalhymnen Naszego króla zachowaj nam Panie! Naszą ojczyznę racz nam wrócić, Panie! Ojczyznę wolną pobłogosław Panie! Ojczyznę wolną racz nam wrócić Panie! re Nationallieder ins Spiel gebracht. Marschall Józef Piłsudski, von 1918 –1922 erstes Staatsoberhaupt der Republik, seit 1926 durch Staatsstreich für neun Jahre mächtigster Mann Polens, traf schließlich die Entscheidung für das Wybicki-Lied. Die Melodie (Komponist ist vermutlich ebenfalls Wybicki) ist im Nationalstil polnischer Volksweisen gehalten und schließt eng an den Tanzrhythmus der Mazurka an, kann jedoch ebenso mitreißend als Marsch intoniert werden. Erstaunlich ist, dass die polnische Nationalhymne auch unter der kommunistischen Herrschaft nie geändert wurde. Auf die Bitte von Präsident Bolesław Bierut, einen neuen Text zu schreiben, händigte ihm der Dichter Władysław Broniewski nur einen Zettel mit dem Satz »Noch ist Polen nicht verloren« aus. Die polnische Hymne stieß auf Resonanz bei anderen slawischen Nationen unter fremder Herrschaft. Das melodiegleiche panslawische Lied Hej, Sloveni! wurde nach 1945 zur Nationalhymne Jugoslawiens. Die Ähnlichkeit stiftete gelegentlich Verwirrung, wenn Polen und Jugoslawien bei Fußballspielen gegeneinander antraten. Es gibt eine zweite, »inoffizielle« Hymne, ursprünglich 1816 für den russischen Zaren und König von Kongresspolen geschrieben, deren Refrain lautete: »Erhalte unseren König, Herr!«. Schon ein Jahr später wurde statt dessen inoffiziell gesungen »Gib uns unser Vaterland zurück, Herr!«. Nach der Unabhängigkeit hieß die Zeile »Segne das freie Vaterland, Herr!«, um unter deutscher Besatzung und im Kommunismus zu lauten: »Gib uns das freie Vaterland zurück, Herr!« Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben p heft N 12 musik * Vom Text der polnischen Hymne ließ sich 1862 Pawlo Chubynskyi inspirieren, als er jene Verse schrieb, die zur ukrainischen Hymne werden sollten: Noch ist die Ukraine nicht gestorben. Er war wegen »ukrainophiler Aktivitäten« nach Archangelsk verbannt. Die Nationalbewegung in der seit der ersten polnischen Teilung (1772) habsburgischen Westukraine wurde unterdrückt; es war verboten, ukrainische Bücher zu drucken. Der Galizier Mychajlo Werbyckyi (1815–1870) vertonte Chubynskyis Worte 1863. Das maestoso beginnende, im Mittelteil folklorehaft-besinnlich angelegte und temporeich ausklingende Werk wurde erstmals in dem polnischen Dorf Młyny gesungen, wo Werbyckyi als Gemeindepfarrer der ukrainisch-(ruthenisch)-katholischen Kirche wirkte. 1949 wurde der Ukraine eine »Nationalhymne« sowjetischen Zuschnitts verpasst: »Lang lebe die Ukraine, wunderschön und machtvoll, die in der Sowjetunion ihr Glück fand.« Die Melodie ist eine Kollektivschöpfung mehrerer Komponisten. Bei einer verspäteten Entstalinisierung wurde 1978 in der zweiten Strophe der Name Stalins durch Lenin ersetzt. Auf der ersten Parlamentssitzung nach dem Unabhängigkeitsvotum (1. Dezember 1991) stimmten die Abgeordneten die alte Hymne an. Die Melodie wurde in der Verfassung verankert. Erst am 6. März 2003 verabschiedete die Verchovna Rada das Gesetz »Über die Staatshymne der Ukraine«. Aus der ersten Zeile wurde »Noch sind der Ukraine Ruhm und Ehre nicht gestorben«, und die »ukrainischen Brüder« in der zweiten wurden zu »jungen Brüdern«. Offenbar galt die freie Tradition der Kosaken mehr als ethnische Reinheit, ein sympathischer Zug. Nach der Wahl von Präsident Janukowitsch 2010 nimmt die Entwicklung eine weniger erfreuliche Richtung: Stalindenkmäler werden gebaut — und die Kommunisten von Luhansk fordern die Änderung der Hymne. Wir Belarussen, ein friedfertiges Volk Oft lässt sich der Grad der Souveränität eines Landes an der Nationalhymne ablesen. Belarus — sein Präsident Lukaschenko — entschied sich nach der Unabhängigkeit für die Beibehaltung der bisherigen Melodie und des Texttenors aus der Sowjetzeit, der 1955 zur offiziellen Hymne erklärt worden war (Text: Mikhas Klimkovich, 1899 –1954, Musik: Nester Sakalouski, 1902–1950). Nach der Unabhängigkeit entfielen die Verweise auf den Bruderbund mit Russland, Lenin und die führende Rolle der Kommunistischen Partei. Die neue zweite Zeile des Refrains: »Ehre der brüderlichen Union unserer Völker« kann als Anspielung auf die geplante russisch-belarussische Union verstanden werden. Sie ist in letzter Zeit durch Lukaschenkos aufmüpfiges Verhalten gefährdet, der von dem sich wieder als »großer Bruder« verstehenden Russland scharf kritisiert wird, wohl aber nicht wegen seiner Menschenrechtsverletzungen. Land der Berge, Land am Strome Die Hymne als Staatssymbol spiegelt das Selbstverständnis des jeweiligen Staates, bisweilen mit zeitlicher Verzögerung, manchmal auch in stakkatoartiger Folge. Österreich hatte allein in den ersten fünf Jahrzehnten nach 1900 nicht weniger als sechs Hymnen: Von Gott erhalte unseren Kaiser (bis 1918) und Deutsch-Österreich, du herrliches Land (1920 –1929), über Sei gesegnet ohne Ende (1929–1938) und das Deutschlandlied mit seinem NS-Zusatz des Horst-Wessel-Liedes (1938 –1945) bis zur aktuellen Hymne. Ihre drei Strophen sind von Heimatliebe geprägt, ohne in kämpferische Diktion zu verfallen. Auch Hymnentexte sind vor Genderpolitik nicht gefeiht. 2005 diskutierte man tatsächlich darüber, ob die Zeile »Heimat bist du großer Söhne« nicht durch »und Töchter« ergänzt werden sollte. Die Melodie, ein gehobenes Chorlied, stammt wahrscheinlich nicht, wie lange angenommen, von Wolfgang Amadeus Mozart, sondern von Johann Holzer. Russland, unser geheiligtes Land Russlands Geschichte hat in der Oktoberrevolution eine ähnlich gewaltsame Zäsur wie die Frankreichs, seine Hymne aber eine viel bewegtere Geschichte. Der ersten amtlichen Nationalhymne, dem »Gebet der Russen« [Molitva Russkich] des Dichters Vassilij Žukovskij (1783 – 1852) wurde auf Wunsch von Zar Alexander I. (1801–1825) die Melodie der britischen Königshymne unterlegt. Sein Nachfolger Nikolaus I. (1825 – 1855) forderte eine rein russische Staatsweise: Bože, carja chrani [Gott schütze den Zaren], der Text ist ebenfalls von Žukovskij. Sie blieb Nationalhymne bis zum Februaraufstand 1917. Von Februar bis Oktober 1917 galt die so genannte Arbeitermarseillaise als Hymne. Nach der Oktoberrevolution 1917 etablierte sich auf Lenins Vorschlag die Internationale der Arbeiterbewegung, auch Parteihymne der russischen Sozialdemokratie, als Gegenpol zur »bourgeoisen Marseillaise«. Sie sollte von Januar 1918 an bis Ende 1943 Nationalhymne bleiben, erst Sowjetrusslands, ab 1922 der neu gegründeten Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. 14 ihrer 15 Republiken erhielten eigene »Nationalhymnen«, die größte Republik, die russische, übernahm die Unionshymne. Ende 1943, nach den Siegen bei Stalingrad und Kursk, verlangte Stalin nationalere Akzente. Die Internationale spiegele nicht den Sieg des sowjetischen Systems und die sozialistische Natur des Sowjetstaates. Die neue Hymne entstand durch Verschmelzung einer vorhandenen Melodie — der 1939 von Alexander Wassiljewitsch Alexandrow komponierten Gimn partii bolševikov [Hymne der Bolschewiken-Partei] mit einem neuen, von Sergej Michalkov und Gabo El’-Registan verfassten Text. Die Textgattung des »staatsbürgerlichen Gebets« und die öffentliche Inszenierung im Bolschoi-Theater zeigten auffällige Parallelen zur zaristischen Hymne. Der Wortlaut war jedoch eine Eloge auf »Lenins Ruhm«, »Stalins Wille« und den Führungsanspruch der KP. Nach Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 war das Stalinlob in der dritten Strophe untragbar. Zwölf Jahre lang intonierte man die Hymne nur noch instrumental oder wich auf die Internationale aus. Erst 1977 wurde ein vom Originalautor Michalkov redigierter Hymnentext in der Izvestija veröffentlicht und offiziell eingeführt. Von 1990 bis 2000 war Michail Glinkas Patriotisches Lied russische Nationalhymne. Back in the USSR Am 8. Dezember 2000 erklärte der seit 1999 amtierende russische Präsident Wladimir Putin überraschend, dass er die Melodie der früheren sowjetischen Hymne zur neuen Hymne der Russischen Föderation bestimmt habe — vorerst ohne Text. Diese Entscheidung war ein Signal dafür, wohin die Reise gehen würde. Den Textwettbewerb gewann der 87-jährige Sergej Michalkov, der bereits die beiden älteren Textversionen der Sowjethymne verfasst hatte. Die Hymne bringt in allgemeinen Worten patriotische Gefühle wie Stolz und Liebe zu Russland, »unser geliebtes Land«, »unser geheiligtes mächtiges Land«, zum Ausdruck. Auferstanden aus Ruinen Welche Hymne hätte man dem Deutschen empfehlen können, der 1977 im Fenster des Studentendorfs Eichkamp zur sowjetischen salutierte? Vielleicht die Hymne der DDR, die, obwohl keine Nation, doch eine Nationalhymne besaß, beeindruckend in Text (Johannes R. Becher) und Musik (Hanns Eisler). Verräterisch ist dort von »Deutschland, einig Vaterland« die Rede. Diese Hymnenzeile hielt Willy Brandt 1972 Willy Stoph vor, als der ihm wieder einmal die Zwei-Staaten-Theorie schmackhaft machen wollte. Es ist vielleicht kein Zufall, dass diese Strophe gerade damals aus dem öffentlichen Leben verschwand. Nach dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes (1990) sangen Jugendliche aus Protest gegen die Übernahme »DDR, mein Vaterland« — statt »Deutschland«. In ganz Deutschland galt nun das Lied der Deutschen, das Reichspräsident Friedrich Ebert am 11. August 1922 als Nationalhymne proklamiert hatte. Lothar de Maizière, bis heute mit seltsamen Ideen begabt und erfolgreich in seiner Anverwandlung an das Putinsche Demokratieverständnis, schlug nach der Wende vor, die deutsche Hymne um den Bechertext zu ergänzen. Weil beide deutsche Hymnen zum Versmaß der österreichischen Kaiserhymne passen, konnte man 1990 am Vorabend der Währungsunion oft Menschen hören, die im Überschwang des Vereinigungsglücks die Hymnentexte mit vertauschten Melodien sangen. Einigkeit und Recht und Freiheit Die deutsche Nationalhymne besteht heute nur noch aus der dritten Strophe des Gedichts, das Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 auf Helgoland schuf. Deutschland wird nicht mehr »über alles« gestellt. Zudem reicht das Land nicht mehr »von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt«. Die zweite Strophe mit deutlichen Anklängen an die damals beliebten Tafellieder (»Deutsche Frauen, deutsche Treue / Deutscher Wein und deutscher Sang / Sollen in der Welt behalten / Ihren alten schönen Klang«) ist von fragwürdiger lyrischer Qualität. Bundespräsident von Weizsäcker erklärte 1991 in einem Schriftwechsel mit Kanzler Kohl allein die dritte Strophe zur »Nationalhymne für das deutsche Volk«, denn sie bringe »die Werte verbindlich zum Ausdruck, denen wir uns als Deutsche, Europäer und als Teil der Völkergemeinschaft verpflichtet fühlen.« Von Fallersleben, Germanistikprofessor an der Universität Breslau, hatte die Zeilen 1841 verfasst, als der Deutsche Bund in eine Vielzahl von Einzelstaaten zersplittert war. Bei einem Besuch des Verlegers Campe auf Helgoland kam man überein, dem Deutschlandlied die Haydn-Melodie der österreichischen Kaiserhymne Gott erhalte Franz, den Kaiser! zu unterlegen. Bei der Gründung des ersten deutschen Nationalstaats, dem zweiten Deutschen Kaiserreich (1871–1918), spielte man noch die Kriegsmelodie Wacht am Rhein. Auch später übernahm die Kaiserhymne Heil, Dir im Siegerkranz! mit der Melodie der englischen Monarchenweise God save the King die Funktion der offiziellen Hymne. Sogar nach der Proklamation durch Ebert stimmte die Menge auf dem Gendarmenmarkt in Berlin die Internationale an. Die Nazis schafften Schwarz-RotGold ab, ersetzten das Staatswappen durch den NS-Parteiadler und ließen von der Hymne nur die erste Strophe übrig, die in einem weihevollmarschartigen Stil intoniert wurde und das Horst-Wessel-Lied als gänzlich deplatzierten NS-Appendix bekam. Der alte griechische Hymnos besang die Götter. Der Gegenstand der Nationalhymnen, wiewohl profaner, wird dennoch bierernst genommen. Humor, Hinterfragung des Nationenbegriffs darf man von den Hymnen nicht erwarten. Einen Lichtblick lieferte das kleine Kosovo, als es am 17. Februar 2008 seine Unabhängigkeit ausrief und mangels eigener Hymne die Europahymne spielte — Beethovens Ode an die Freude. Auch die später verabschiedete eigene Hymne heißt »Europa«. Spätestens, wenn außerirdische Zivilisationen die Erde angreifen, wird es vielleicht auch eine Hymne der Menschheit geben. new school strikes back polens hiphop lukasz tomaszewski p heft N 12 musik Jeszcze Polska … [dt. Noch ist Polen …]; 1991; der Titel deutet auf eine Fortsetzung des Songs Polska (1987) von Kult (Kazik ist auch hier Frontmann): trotz der politischen Wende waren die Probleme, die der Song von 1987 beschreibt, nicht gelöst; Polska ist einer der größten Hits von Kult; 1995 greift der Autor die Thematik mit Nie lubię już Polski [dt. Ich mag Polen nicht mehr] wieder auf und belächelt die Popularität seines Songs Polska. Jacek Kaczmarski 1957– 2004, Sänger, Dichter und Schriftsteller; wurde wegen seines Bekenntnisses zum Kampf gegen die kommunistische Unterdrückung als »Barde der Solidarność« bezeichnet; als im März 2002 bei ihm Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde, organisierten seine Fans eine nationale Spendenaktion für seine Behandlung. Mury [dt. Mauern], Lied von Jacek Kaczmarski, wurde in den 80er Jahren im polnischen antikommunistischen Untergrund populär; geschrieben 1978 zur Melodie von L'Estaca [dt. Der Pfahl] des katalanischen Liedermachers Lluís Llach; Llachs Lied steht für den Kampf gegen politische Unterdrückung, wurde auf Konzerten und Demonstrationen als Protest gegen die Franco-Diktatur gesungen. Der polnische Hip-Hop blickt auf eine zwanzigjährige Geschichte zurück. Anfang der 1990er Jahre setzte Kazik Staszewski mit seinem Album Spalam się Maßstäbe für eine sozialkritische und politische Variante des Genres. Während der Rest der Dekade eher West-Coast imitierende Pseudo-Gangsta wie Peja aus Plattenbausiedlungen hervorbrachte, erfindet sich die städtische Subkultur des Sprechgesangs in den letzten Jahren neu. Der Trend geht in Richtung Konzeptkünstler mit Hochschulabschluss. Von New School zum Original Gangsta »Back in my era, we had James Brown and civil rights and Black power; you did not have people calling themselves hip-hop activists. But these people today are talking about their era.« DJ Kool Herc, Erfinder des Hip-Hop ie Wiege des Hip-Hop ist die Straße der New Yorker Bronx der siebziger Jahre: schwarz, arm und politisch. Die Magie dieses Musikstils liegt in der Schlichtheit: Man braucht lediglich einen Beat [Rhythmus], ein Mic [Mikrofon] und eine Message [Botschaft]. Diese Idee, mit einfachen Mitteln von der eigenen Realität zu erzählen, machte aus den Rhythmus- und Text-Experimenten von New Yorker Kids eine Kultur, die sich in ein global aktives Virus verwandelte, gegen das bis heute kein Kraut gewachsen ist. Das Bedürfnis, von der eigenen Lebenswelt zu erzählen, steigt in jedem MC, sobald seine Lebenswelt von schwierigen gesellschaftlichen Umständen dominiert wird. So war es in der Geburtsstunde des Hip-Hop in den USA, als zuerst Last Poets, Grandmaster Flash und Africa Bambaata von der Black-Power-Bewegung und der Misere der Gettos erzählten. Und so war es dann auch Anfang der neunziger Jahre in Polen, als die Väter des hiesigen Raps Kazik und Liroy zum Mikrofon griffen. Der Avantgarde-Musiker Kazik würde sich heute sicher nicht mehr als Hip-Hopper bezeichnen. 1991 jedoch erschienen auf seinem Album Spalam się [dt. Ich vergehe] gleich mehrere Hip-Hop-Stücke. Dabei legte Kazik, wie zehn Jahre zuvor der US-Veteran Grandmaster Flash, nicht so sehr Wert auf komplex arrangierte Beats, Samples und Scratches, sondern vielmehr auf die »Lyrics«. Verwies Grandmaster auf bestürzende Art und Weise in The Message auf die erschreckende Armut in den heruntergekommenen amerikanischen Monster-Wohnblocks, sprach Kazik von der hoffnungslosen ökonomischen Lage Polens direkt nach der politischen Wende. Er zeichnet im Song Jeszcze Polska … ein düsteres Bild der schönen neuen kapitalistischen Gesellschaftsordnung: »Schau dich um, wie viel Dreck auf den Straßen, wie kaputt die Menschen, wie müde sie sind. Nachts stehen vor den Häusern schmutzige Prostituierte. Ich habe Angst, nachts rumzulaufen, so viel Gewalt. Die Frauen, die Tag und Nacht in Fabriken arbeiten, die Männer, die ihre Verzweiflung in billigem Wein ertränken — sie sehen nichts Schönes, denn für sie gibt es nichts Schönes. Schau, schau dich um und versuch nicht, es abzustreiten ...« Der Song ging unter die Haut und zeigte nach dem gewonnenen Kampf um die politische Freiheit die Sichtweise einer neuen Subkultur. Hatten die kulturellen Aktivisten der Solidarność-Bewegung wie Jacek Kaczmarski mit seiner Hymne Mury [dt. Mauern] ihren Teil dazu beigetragen, mit codierten Botschaften das taumelnde sozialistische System zu Fall zu bringen, so mussten jetzt ihre Kinder eigene Worte für das Durcheinander der Neunziger finden. Bei Innovationen in Sachen Beats, Flows und Rhymes blieb der Blick immer auf die USA gerichtet. Dort gab es gerade einen Tapetenwechsel im Genre. Die Veteranen aus der Bronx wurden von Gruppen wie den Beastie Boys, Run DMC, House of Pain oder A Tribe Called Quest abgelöst. Aus Old School wurde New School: Die Beats wurden professioneller und hatten einen rockigen Refrain, die Samples waren bunter und die Raps hatten oft eine klare politische Aussage. Erstmals kam HipHop in die Charts. Zur gleichen Zeit trat in Polen Liroy auf die Bühne. Der D aus der Provinzstadt Kielce stammende Mittzwanziger ahmte mit seiner Band Wzgórze Ya-Pa 3 die Ohrwürmer aus Übersee nach und veröffentlichte 1995 auf seinem Debüt Alboom mit Scyzoryk [dt. Klappmesser] und Scoobiedoo Ya zwei legendäre Hits. Mit über 500.000 verkauften Exemplaren machte Alboom Liroy über Nacht zum Pop-Star und seinen Stil zur Jugendkultur. Dabei waren beide Tracks weder textlich noch musikalisch innovativ. Scyzoryk erinnert mit seiner Bassline aus Kontrabass, live eingespieltem Schlagzeug und fast durchgehenden Samples an Jump around von House of Pain. Der Text ist eine wirre Darstellung seiner Person und seiner Heimatstadt. Scoobiedoo Ya lässt an den Klassiker I left my wallet in el segundo von A Tribe Called Quest denken. Das Wort »Scoobiedoo« wird als Synonym für Sex benutzt und Liroy erzählt ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen wie und wo er »Scoobiedoo« machen möchte. Die musikalische Innovation der New School wurde also vorerst ohne ihre klaren politischen Aussagen adaptiert. Denn nicht so sehr Liroys Botschaft, sondern vielmehr der hier begangene Tabubruch, nämlich eine ganze Palette aus unter die Gürtellinie gehenden Beschimpfungen, brach im katholischen Polen alle Dämme und öffnete die Pforten für die polnische Hip-Hop-Generation. Der Grundstein war gelegt. Jugendliche konnten lokale Slangs in Reime verpacken und von den Banalitäten des Alltags singen. Von nun an durfte das als »Kunst« bezeichnet werden. Die Rap-Formationen schossen in jeder Stadt wie Pilze nach einem Regen aus dem Boden. Schnell zogen Künstler wie Peja nach und versuchten, sich mit Hilfe des »Diss«, also der Beleidigung des Gegners, Gehör zu verschaffen. Der polnische Gangsta-Rap war geboren. Fahrtwind gewann Peja dadurch, dass er 1995 mit dem US-Gangsta-Rapper ICE-T auf dem Festival in Sopot performen durfte: Als der schlacksige, kahl geschorene Teenie Peja unbeholfen neben der schwarzen Rap-Legende auf der Bühne steht und von ihm als »O.G.« — also »original gangsta« — vorgestellt wird, weiß er gar nicht, wie ihm geschieht. Sein Gesicht läuft rot an, seine Stimme überschlägt sich, seine Posen wirken gekünstelt. Jedoch werden mit dem Konzert die Weichen für das gestellt, wovon er und unzählige konkurrierende »Crews« wie Firma oder Hemp Gru in den nächsten Jahren singen werden: Von Armut und Gewalt in ihren Gettos (der Plattenbausiedlung), Frauen, Autos und den Problemen mit der Polizei wegen Drogenbesitzes. Pejas erste Band heißt dementsprechend Slums Attack. Aus Brooklyn und South Central werden Praga und Nowa Huta. Die Gestalt des Rappers wurde auch in Polen zu einem über dem Gesetz stehenden und der eigenen »wahren Sache« nachgehenden urbanen Robin Hood: Stets der »keeping it real«-Devise treu. Peja galt dabei als besonders authentisch. Er wurde mit 16 Waise, kam früh mit dem Gesetz in Konflikt und war professioneller Kampfsportler. Trotzdem setzte er oft noch eins drauf, wie bei seinem bekanntesten Song Głucha Noc [dt. Dumpfe Nacht] um ja das Image zu wahren. In dem 2001 veröffentlichten Hit singt er von Polizeiwillkür nach einer Party und während 48 Stunden U-Haft. Die Konkurrenz Hemp Gru im Song To jest to [dt. Das ist es] von 2004 geht noch weiter: »Ich bin hier, um dir die Wahrheit zu bringen: Der Polizei-Kadaver ist der schlimmste Feind. Ein harter Schädel und geballte Fäuste, ich befreie meinen Instinkt, wenn dicke Luft ist.« Im Videoclip fuchteln die Rapper mit den Fäusten; eine kahl geschorene Posse springt mit Baseballschlägern bewaffnet durch das Set und hält 11 O.S.T.R. Fisz L.U.C. p heft N 12 musik hiphop in polen Wojciech Waglewski *1953, Gitarrist, Komponist, Arrangeur und Musikproduzent, siehe auch S.19 stolz Marihuana in die Kamera. Neben diesem Gangsta-Gepose gibt es Neben seinen anspruchsvollen Texten über Korruption (Kochana Polsjedoch durchaus eine ernst zu nehmende Bewegung im polnischen Hip- ko, dt. Liebes Polen) und gegen leere Phrasen verirrter Gansta-Rapper Hop. Gemeint sind Fisz, O.S.T.R. und L.U.C. (Odzyskamy Hip-Hop, dt. Wir holen uns den Hip-Hop zurück), widmete sich O.S.T.R. der hohen Kunst des Konzeptalbums. Und das gleich Hip-Hop zwei Mal. 2009 komponierte er den Soundtrack für das beste Filmdebüt mit des Landes Galerianki [dt. Shopping Girls] von Katarzyna Rosłaniec, Hochschulabschluss »Keeping it real has become just another fad word. It sounds cute. But it das anschließend als CD erschien. Im April 2010 kam dann Tylko dla dohas been pimped and perverted. It ain’t about keeping it real. It’s got to rosłych [dt. Nur für Erwachsene]: In einem hörspielartigen Hip-Hop-Kribe about keeping it right.« DJ Kool Herc, Erfinder des Hip-Hop mi »rappt« O.S.T.R. meisterhaft den Hauptprotagonisten Nikodem R., iese sich dem Mainstream entgegenstellende Gruppe junger und einen wegen Mordes gesuchten Gangster. Den Hörspielcharakter untalentierter MCs hatte sich Keeping it right auf die Fahnen ge- terstreichen Kommentare aus dem Off, eingesprochen von Michał Fajschrieben. Was überrascht: Alle sind unter 30 und fast alle haben busiewicz, dem Fernsehmoderator der polnischen Version von Aktenstudiert. Begonnen hat es mit den Söhnen des bekannten Musi- zeichen XY ... ungelöst. kers Wojciech Waglewski. 2001 veröffentlichten sie unter den Pseu- Łukasz Rostkowski alias L.U.C., Jahrgang 1981, muss mit O.S.T.R. in eidonymen Fisz und DJ M.A.D (später Emade) Polepione dzwięki [dt. nem Atemzug genannt werden. Denn auch er ist neben seiner Tätigkeit Aneinandergeklebte Töne]. Ein außergewöhnlich unrhythmischer aber als Rapper, Komponist, Produzent, Videokünstler und Regisseur außerdafür sehr einfallsreicher Gesang, begleitet von am Home-PC gebastel- dem auch Jurist und damit ebenfalls ein Multitalent. Rostkowskis Hipten Beats. Die Scheibe wurde von den Kritikern mit einem Seufzer der Hop-Platten sind avantgardistisch, die dazugehörigen Videoclips in hoErleichterung begrüßt, weil sie nicht aggressiv und gestelzt war. Fisz hem Grad künstlerisch-experimentell und damit einem breiten Publisprach sich darauf gegen den Gettoslang von 15jährigen aus, die auf ih- kum eher unzugänglich. Wie Ostrowski widmete sich L.U.C. 2009 dem ren Tapes die harten »Homies« spielen, um anschließend bei Mutti um Format des Konzeptalbums. Mit seiner zum 70. Jahrestag des InkraftTaschengeld zu betteln. Im Song Bla Bla Bla erzählt er, was er von der tretens des Hitler-Stalin-Paktes veröffentlichten Soundcollage mit dem Titel Zrozumieć Polskę [dt. Polen verstehen] hat er ein Meisterwerk geSprache dieser Kollegen hält: »Ich höre oft, was die neuen Mikrofonfresser zu sagen haben. schaffen. 68 Minuten lang schickt Rostkowski den Hörer auf eine KlangIch bin davon schnell enttäuscht und bedaure, reise durch die polnische Geschichte von 1939 bis 1989. Dafür war er dass es so viele gibt, die am Mikro labern, ins Archiv des Polnischen Rundfunks abgetaucht und hat historisches Radiomaterial politischer Ereignisse recherchiert. Den Sequenzen aus dass das leere Versprechungen sind, dem Kampf um Warschau 1939, den Studentenunruhen 1968 oder der die abheben, irgendwo überm Dach Ausrufung des Kriegsrechts 1981 werden psychedelische und schweleicht davongetragen, weil sie so leer sind, sie verschmutzen gute Beats, die echt fett sein können, re industrielle Beats unterlegt. Jedes Jahrzehnt hat seinen eigenen Chaich mache die Kassette an und höre in etwa so was: rakter. Ein Meisterwerk der Klangcollage! ›Ich habe mich abgeschossen‹, danach fällt noch ein paar mal ›Hure‹, Der amerikanische Autor Jeff Chang spricht in seinem Buch Can´t Stop Won´t Stop von der Konsolidierung einer weltweiten Hip-Hop-Generadann was über Joints und wieder ›Hure‹ ...« In den vergangenen Jahren bekam Fisz von einer ganzen Reihe alterna- tion. Das Genre ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Musikwelt, ja, tiver MCs Verstärkung. Besondere Erwähnung verdienen zwei Grübler eine eigene Kultur. Interessanterweise hat Hip-Hop nie aufgehört, sich weiterzuentwickeln. Es brechen immer wieder völlig unerwartet neue und Tüftler: O.S.T.R. und L.U.C. Adam Ostrowski alias O.S.T.R., Jahrgang 1980, hat 2010 sein elftes Stu- Strömungen aus, wie momentan in Polen. Während hier Mitte der Neundioalbum aufgenommen. Er ist studierter Geiger, Produzent auf dem ziger der Rhythmus und die Raps als Gesangsstil im Mittelpunkt staninternationalen Musikmarkt, schreibt Filmmusik und ist außerdem Vater den und inhaltlich eher die Klischees aus Übersee kopiert wurden, dreeines zweijährigen Kindes. Sein 2009 erschienenes Album O.C.B. be- hen die Rapper der neuesten Stunde diese Logik um. Beats, Scratches kam bereits nach einer Woche die Auszeichnung Goldene Schallplatte. und Samples sind ein natürlicher Rahmen, in dem sich das Leben abOstrowski zeigt sich darauf unverstellt und mit einer guten Portion ge- spielt und in den überraschende Inhalte wie Hörspiele und Soundcollasunder Ironie dem Genre gegenüber. Sein Selbstbewusstsein als Musi- gen verpackt werden. Der intellektuelle Anspruch der New School an ker ist so groß, dass er gleich mehrere Videos als Familienvater drehte, die Botschaft des Hip-Hop schlägt gut 15 Jahre nach der Etablierung was im Mainstream ein »No Go« ist. Auf der Hitsingle Po drodze do nieba ihrer Beats zurück. [dt. Auf dem Weg zum Himmel] heißt es in einer Strophe: »Bruder ich stehe jede Nacht viermal auf, um Windeln zu wechseln, Rap macht dich nicht zum Menschen, wenn das Leben es dich nicht lehrt ...« Wann hat man das aus dem Mund eines Rappers gehört? Aber damit nicht genug. D buchstabensuppe vom sternekoch der kosmos des warschauer plattenlabels bernd lado a b cadamek-schyma 13 E p heft N 12 musik rnst, ja entschlossen schaut er vom Titelblatt des Wochenmagazins Przekrój. Seitlich geht sein Blick vorbei an der Theaterlegende Jerzy Jarocki, der Schauspielerin Danuta Stenka und Roman Gutek, dem Macher des erfolgreichen Filmfestivals Era Nowe Horizonty. Gemeinsam mit diesen Lichtgestalten des polnischen Kulturlebens wurde Macio Moretti Ende Juni 2010 von Lesern und Redaktion des viel gelesenen Wochenmagazins zum »Phänomen« des Jahres gekürt. Doch dürfte wohl nur die Minderheit der Przekrój-Leser diesen bei aller Entschlossenheit schelmisch aus den Augenwinkeln blinzelnden Mann mit der Castro-Schirmmütze, dem Backenbart und dem seltsam italienisch klingenden Namen wirklich kennen. Macio Moretti, der mit bürgerlichem Namen Maciej Moruś heißt, ist zuallererst Musiker und sein Hauptinstrument ist das Schlagzeug. Mit seinen Freunden und Musikerkollegen spielt er in wechselnder Besetzung derzeit in rund zehn verschiedenen Bands, auf allen bedeutenden Festivals des Landes und die Clublandschaft rauf und runter. Doch er ist nicht nur Drummer, sondern auch begnadeter Improvisator und gewitzter Entertainer. Nicht zuletzt aber gehört er zu den Gründungsvätern und Machern des künstlerisch erfolg- und einflussreichen Plattenlabels und kulturellen Mikrokosmos Lado ABC — und ist damit laut Przekrój die »graue Eminenz« der unabhängigen Musikszene Polens. Eine »graue Eminenz« kommt jedoch selten allein — Moruś ist Teil eines unübersichtlichen und genreübergreifenden Band-, Musiker- und Künstlerkollektivs, das sich um die Jahrtausendwende aus der Warschauer Impro- und Punkrockszene um die Bands Mały Szu und Starzy Singers, lado abc später dann um die Bands Baaba, Tupika, Meritum und noch später Mitch&Mitch formierte. Neben Moruś sind es die Musiker Bartek »Magneto« Tyciński, Paweł Szamburski, Bartosz Weber, Tomasz Duda, der Promoter und Produzent Maciej Giemza und einige andere Kollegen, die 2004 das Label Lado ABC als Veröffentlichungsplattform für die Musik ihrer Bandprojekte aus der Taufe hoben. Heute umfasst der LadoKatalog nahezu 30 Alben, CDs und DVDs und ist damit eindrucksvolle wie undefinierbare Schnittstelle zwischen improvisierter und experimenteller Musik, Jazz, Elektronika, Punk-, Post- und anderem Rock. »Wir sind mit diesem ganzen Indie-Punkrock-DIY-Ethos groß geworden. Das hat auch auf Lado abgefärbt, denn auch wenn wir uns musikalisch weiterentwickelt und viel improvisiert haben, war klar, dass die Plattform zur Veröffentlichung unserer Musik ganz im Sinne von Do-It-Yourself angelegt werden musste. Deshalb produzieren wir nicht nur unsere Musik selbst — auch Aufnahme und Mastering, Artwork und Design und einfach alles andere machen wir selbst.« Das Label war zunächst Hafen für die vielen Bandprojekte der Musiker, die aus den unterschiedlichen musikalischen Welten Anfang der 2000er Jahre in Warschauer Clubs wie dem legendären Jazzgot oder der Galeria Off zusammenkamen. Heute führen viele der Lado-Acts die großen polnischen Musiktraditionen des Jazz und des Punk, aber auch der experimentellen Musik fort. Sie tun dies mit frischen, zeitgenössischen Mitteln, lässig-virtuoser Spielfreude, neuen Sounds, vor allem aber mit Energie und Humor und häufig unter subtiler Bezugname auf südamerikanische Musiktraditio- -nen 14 p heft N 12 musik lado abc Musiktraditio- nen. Wie sehr die Lado-Musiker von Südamerika fasziniert sind, erschließt sich beim Durchhören und -schauen des auch visuell großartig gestalteten Labelkatalogs — die Aufnahme des Trios Paristetris in Argentinien ist nur eines von vielen Beispielen. So ist es nicht verwunderlich, dass auch der Labelname diese Faszination spiegelt: »Lado« ist portugiesisch und bedeutet »Seite« — und mit dem »ABC« versuchen die Musiker, ihre vielen (Seiten und) musikalischen Hintergründe durchzubuchstabieren: A steht im Labelkatalog für elektronische Musik oder Noise, B für ein weit gefasstes Verständnis von Rock, und C beherbergt improvisierte Musik, Jazz, Experimentelles und andere zeitgenössische Musik. Dass sich — wie kürzlich geschehen — ein D wie DVD hinzugesellen würde, hatten die Lado-Macher zu Beginn wohl nicht einkalkuliert. Die chaotisch-anarchische Vielfalt der Musik von Lado ABC wirbelte diese etwas kleinkariert wirkende Genre-Buchstabierung allerdings von Anfang an gehörig durcheinander. Eine gepfefferte wie feine Buchstabensuppe begann zu köcheln — und schwappte schnell über den Tellerrand aller musikalischer Kategorien. Die Band Baaba beispielsweise kommt zwar mit dem virtuosen elektronischen Spiel Bartosz Webers, mit Sampling und Loops, Drum Machines und Programmierung daher, sobald aber das Saxofon oder die Flöte von Tomasz Duda, Wojtek Mazolewskis Kontrabass oder Patryk Zakrockis Violine einsetzen und Moretti sein Trommelfeuerwerk abbrennt, bekommt der Hörer am eigenen Leib zu spüren, wie irreführend und kontraproduktiv die Einordnung in musikalische Genreschubladen à la ABC doch sein kann. Denn so unterschiedlich die experimentellen Pianofluchten von Marcin Masecki oder auch die von den eindringlichen Stimmen der Vokalistinnen Candelaria Saenz Valiente und Olga Mysłowska geleiteten Projekte Paristetris und Polpo Motel auch sind, es gibt sie dennoch: Die Klammer, die diese vielen unterschiedlichen Musikformen zusammenhält, ob das der zuweilen hysterisch-treibende Punkjazz von Horny Trees ist, die Band Cukunft, die unter der Leitung Raphael Rogińskis jüdische Musiktradition in ein ultrafrisches Tuch kleidet, oder aber der knisternde Elektronoise aus dem No-Input Mixing Board und Laptop von Mem & Wolfram. Diese Klammer besteht für Moruś aus drei großen Ls: Leute, Liebe und Lado ABC. »Wir denken Lado immer als Ganzes, als eine Gesamtheit. Wir wollen den Leuten nicht nur eine einzige Band zeigen, sondern den ganzen Kosmos dahinter. Uns ist wichtig, dass wir nicht als einzige Vertreter der Warschauer Szene verstanden werden — wir sind nur ein Ausschnitt aus einer sehr vielfältigen Musiklandschaft. Vor einer Botschaft wie ›Schaut her, hier sind sie, unsere wahren Repräsentanten der Warschauer Szene‹ hätte ich Angst! Angst um die Vielfalt dieser wilden Landschaft! Ich will mit Lado erreichen, dass die Menschen verstehen und motiviert werden: Ihr könnt das auch so machen wie wir — zusammen in der Gruppe kann man eigentlich alles genauso machen, wie man selbst es will, ohne sich von irgendjemand reinreden zu lassen«, sagt Moruś. Diese klare Botschaft zeigt, wie das Attribut »unabhängig« von den Lado-Machern verstanden wird: nicht als Pose, Etikett oder gar musikalische Genrebezeichnung, sondern als ernsthaftes Programm: »Zum Beispiel mögen wir diese Politik des Medienpatronats überhaupt nicht. Wir wollen auf Lado-Produkten keine Logos von irgendwelchen Printoder Internetmagazinen, Zeitungen oder Radio- bzw. Fernsehsendern sehen! In den letzten Jahren hat es sich bei der Promotionarbeit herauskristallisiert, dass man in Polen die große mediale Aufmerksamkeit für kulturelle Produkte nur durch diese Art der ›Medienpartnerschaften‹ erreicht! Das lehnen wir kategorisch ab.« Wer die Logoflut auf polnischen Produktionen, Programmheften oder Plakaten für Kulturveranstaltungen kennt, weiß, was dies bedeutet. »Wir bauen auf den Wert guter Musik. Wenn die Musik gut ist, braucht man nicht mit so einer Art der Werbung zu locken. Uns geht es um Aufrichtigkeit, denn die Musik ist nicht nur gut, sie ist auch ehrlich, das ist der Wert, den wir erhalten möchten. Wir brauchen das nicht künstlich zu pushen. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese Politik funktioniert, denn die Medien können es sich auf Dauer nicht leisten, das zu ignorieren.« Am Verkaufserfolg in Polen haben neben den unzähligen Auftritten der Bands auf allen möglichen Festivals auch die professionellen Vertriebsstrukturen im Land ihren Anteil. Lado wurde zunächst von Rockers Publishing aus Wrocław und seit 2008 vom Vertriebszweig der eigentlich auf Metal spezialisierten Mystic Production aus Skała in der kleinpolnischen Provinz erfolgreich vertrieben. Letztere machten sich über das alternative Sommerpophitwunder des Sängers Czesław Śpiewa seit 2008 auch jenseits von Metal einen Namen und bringen nun auch ambitionierte, nicht massentaugliche Musik in die Regale des einschlägigen Medieneinzelhandels. Obwohl es die Downloads der Lado-Alben im iTunes store gibt und physische Tonträger international über den Indie-Onlinevertrieb CD Baby aus Portland vertrieben werden, ist das Label auf dem internationalen Markt für unabhängig produzierte Tonträger nahezu nicht existent. In Deutschland sind die Lado-Acts völlig unbekannt. Bis auf wenige Auftritte einiger der bekanntesten Lado-Bands wie Mitch&Mitch, Baaba oder zuletzt Cukunft bei deutsch-polnischen Festivals, in autonomen Kulturzentren oder aber als Theatermusiker, hinterließen die Bands des Labels hier bislang kaum Spuren. In Ungarn oder gar Brasilien sieht dies schon anders aus. Aber auch der internationale Erfolg ist für die LadoMusiker kein Muss: »Das ist schwierig. Obwohl ich mir natürlich wünsche, uns als kleinen Teil der Warschauer oder gar polnischen Szene auch außerhalb des Internetvertriebs international vertreten zu sehen, betrachte ich Lado nicht als Marketing-Werkzeug. Wir sind nicht die Art Leute, die hundert internationale Vertriebe anschreiben, nur um irgendwo zu landen, wo sich sowieso niemand darum kümmert. Von unserer Seite ist das mehr so eine Art ›We-don’t-give-a-fuck-attitude‹«, so Moruś, der mit Mitch&Mitch gerade eine erneute Einladung zu einem Festivalauftritt in Brasilien bekommen hat. Die Schwierigkeit für polnische Acts, im Ausland wahrgenommen zu werden, vor allem aber ihre Identität als Künstler aus Polen, thematisieren die Musiker auch künstlerisch. Eine Antwort darauf ist die FakeIdentität von Mitch&Mitch. Die »Mitchez« geben sich aus als seltsame Combo mit nicht näher definierter englischsprachiger Herkunft, die lediglich in Polen Erfolg hat — und das Land in einer aberwitzigen Melange aus Klischees und Fehlzuschreibungen mit dem spezifischen MitchHumor wahrnimmt: »Polen ist mehr als die legendäre Gastfreundschaft und das Vermächtnis Václav Havels. So undankbar es auch klingt, wir haben die Schlagloch-Schüttelstraßen, das fettige Essen und die hinreißenden Frauen satt. Genug ist genug! Erinnern Sie sich noch an die Band, die 1983 einen Nummer-Eins-Hit in Venezuela hatte? Das sind wir! Wahrer Rockefailure Style«, so die Dankeshymne der Mitchez an Polen auf ihrer DVD Blackmail/Extortion. Der Erfolg des Labels definiert sich nicht über Verkaufszahlen oder zahlreiche Erwähnungen in der internationalen Fachpresse. Ganz im Gegenteil: »Es wäre schön, wenn wir mit unserer Arbeit die Leute für einen bewussteren Konsum sensibilisieren könnten. Vielleicht kann das über den ersten Schritt des Konsumierens von Musik funktionieren«, so Moruś. Überhaupt liegt es den Machern am Herzen, das kulturelle und künstlerische Klima des Landes auch über die Musik hinaus zu stimulieren. Deshalb spielt das Label in der Befruchtung der Clublandschaft eine Rolle, wie zuletzt geschehen bei der Lado Week im Juli 2010, die mit Konzerten der Lado-Acts in vielen verschiedenen Warschauer Venues gefeiert wurde. Der Ruhm des Labels benetzt auch kleine und kleinste Off-Locations wie den Club Chłodna 25, der sich zum Wohnzimmer der Musiker um Lado ABC entwickelt hat. Lado ABC leistet Kulturarbeit weit über die engen Grenzen der Musik hinaus. Das jüngst ins Leben gerufene Etikett »Supported by Lado«, eine Art freundschaftliches Qualitätssiegel für Produktionen, die zwar nicht im offiziellen Katalog des Labels Lado ABC auftauchen aber dennoch die Unterstützung der Lado-Macher finden, könnte zu einem neuen Zertifikat werden. Bei der zukünftigen Entwicklung einer sich zu Recht »unabhängig« nennenden Kulturlandschaft Polens könnte Lado ABC auch und gerade in Zukunft ein gehöriges Wörtchen mitreden. Paristetris Mitch&Mitch 16 p heft N 12 musik CD -Cover des Warschauer Musikverlages LADO ABC 17 p heft N 12 musik schnipseldi schnubbeldi melodien als demas kierung von natalia geschichte ganko-laska antje ritter-jasińska [Ubersetzung aus dem polnischen] 19 p heft N 12 musik A m Anfang war die Lüge, dann kam Stille. Ein halbes Jahrhundert später begannen die Niederschlesier zu singen. Neunziger Jahre, Wales, Llangollen Music Festival. Die Bühne so groß, dass man Aida aufführen könnte. Vierzehn alte Weiblein aus dem Dorf Zbylutów. Unter ihnen Helena, 76 Jahre alt, wunderschön. Sie streift die Latschen ab, steht barfuß da, gibt einen Laut von sich, der an das Pfeifen eines altmodischen Teekessels erinnert. Sie rückt das Tuch mit Blumenmuster auf dem Kopf zurecht, holt noch einmal tief Atem. Er ist rein und trägt die Melodie, die an eine Wiese im Morgengrauen denken lässt. Helena singt ein Lied, das ihr einst weißrussische Bäuerinnen beibrachten. Sie hüteten zusammen Kühe, von fünf Uhr früh an, hockten eine neben der anderen, wärmten die Füße in frischen Kuhfladen. Der Conférencier des Festivals erklärt dem Publikum auf Englisch, die Gruppe sei aus Polen angereist, genauer aus Niederschlesien, das vor dem Krieg zu Deutschland gehört habe. Dort habe nach dem Krieg »an interesting social experiment« stattgefunden: Deutsche wurden ausgesiedelt und in ihre Häuser steckte man Polen, die wiederum aus den Ostgebieten ausgesiedelt wurden, der heutigen Ukraine, Litauen, Belarus und aus Gebieten des ehemaligen Jugoslawien, wo zu Zeiten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie Polen angesiedelt wurden. Als man die einen ausgesiedelt und die anderen angesiedelt hatte, überlegte sich irgendein Hirni, ein Politiker, dass bei der Eingewöhnung an dem neuen Ort eine »kulturelle Amnesie« helfen würde. Seitdem sprachen die Polen nicht mehr davon, wie sie nach Niederschlesien gekommen waren, und die Deutschen aus Niederschlesien, die man über ganz Deutschland verteilte, nicht mehr von der »alten Heimat«. Wer davon sprach, war ein Flegel, ein Rückwärtsgewandter, ein Revisionist. Zurück nach Wales, zu den vierzehn Mütterchen aus Zbylutów, sie singen à capella. Arm in Arm sehen sie aus wie ein Hain weißer Birken, wiegen sich im Takt der Musik, ein wenig wie vom Wind angeschubst. Die Festivaljury, die sich aus Musikethnologen aus Oxford und Cambridge zusammensetzt, klatscht stehend Beifall. Das Urteil: Zweiter Platz, gleich nach den Basken. Zbylutów hat unter anderem eine Gruppe aus Mexiko besiegt, ihre heißen Rhythmen, ihre Rüschen ... melodien aus niederschlesien Livland historische Landschaft im Baltikum. Sioła jelinia … Titel eines Fastenliedes, Mundart. Slawonien historische Region im ehemaligen Jugoslawien. Obwarzanek ringförmige Backspezialität; steht seit Juni 2006 als Krakauer Traditionsprodukt auf der polnischen Liste traditioneller Produkte und soll EU-weit geschützt werden. Die Reise eines Liedes 2009, Niederschlesien, Feldforschungen der Universität Wrocław. Die Musikethnologen sind geschockt: In dem Dorf Dobków bei Świeżawa erinnert sich die Bevölkerung an ein Lied aus Livland, aus Zeiten weit vor der ersten Teilung Polens 1772. Die gesungenen Texte sind wie Gene durch die Generationen polnischer Kolonisten aus Galizien gewandert, die zu Zeiten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Bosnien Bäume rodeten. Dort, vom Element Berg isoliert, waren sie wie ein Gefrierprodukt, das in unberührtem Zustand nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Transport von Reemigranten nach Niederschlesien gelangte. Ein noch älteres Kleinod für die Forscher ist das Lied Sioła jelinia…, mehrstimmig gesungen in den Dörfern um Bolesławiec (die Bewohner kommen aus den Gebieten des heutigen Bosnien), einmal im Jahr, in einem archaischen Reigen, der von der Kirche aus am Abend vor Aschermittwoch loszieht, um den Frühling auf eine Weise hervorzulocken, die älter ist als die polnische Staatlichkeit. Die nächste Entdeckung: Michalina Mrozik aus dem Umland von Bolesławiec, geboren 1932 in Slawonien, summt beim Kartoffelschälen eine der in der polnischen Kultur ältesten Versionen des Liedes vom umherirrenden Soldaten aus Zeiten des Königs Jan Sobieski (17. Jahrhundert). Sie hat es von ihrer Mutter gelernt, die es dank ihrer Großmutter kannte, die Großmutter hatte es wiederum von ihrer Mutter. Dadurch kennt Michalina auch die Balladen der Rekruten vom Januaraufstand, die lang sind wie Litaneien, und die Volksmärchen über Kindsmord, die die polnischen Bäuerinnen in den griechischen Archetyp der Medea einschreiben. Die Musikethnologen haben auch alte Frauen gefunden, die aus dem ukrainischen Dorf Wowtschuchy stammen. Sie können noch ganze »Lemberger Hochzeiten« auswendig, ganze Inszenierungen mit Liedern, wo die singende Sprache der Ostgebiete, die aus dem heutigen Polnisch verschwunden ist, wie eine Reise in diese nicht mehr existenten polnischen Gebiete ist, vergleichbar mit einem Obwarzanek, der Brezel, die am Rande am süßesten ist. Das Süße kam von der multikulturellen Gesellschaft. Im Lemberger Land (heutige Ukraine) waren die katholischen Polen ihren Nachbarn, den griechisch-orthodoxen Ukrainern, sehr nahe. Ihre Sprachen vermi- -schten 21 p heft N 12 musik melodien aus niederschlesien Immigranten aus Griechenland 1949 bekommen die griechischen sozialistischen Partisanen nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg politisches Asyl in Volkspolen. Polesie Wojwodschaft in der Zweiten Republik Polen, heute Belarus. vermi- schten sich. Manchmal unterschieden sich lediglich die Rockmuster: das ukrainische kariert, das polnische mit Feldblumen und Schürzchen. Und wenn es im Winter ordentlich schneite, ging man nicht in die Stadt zur Kirche, sondern in die orthodoxe Kirche im Dorf. Es gibt nur einen Gott, sagten sie. Obwohl der ukrainische irgendwie singwütiger war. Den Orthodoxen hatte er verboten, die Orgel zu benutzen, über die Jahrhunderte hinweg trainierten sie ihre Fähigkeit, ohne Begleitung und Dirigent zu singen. Selbst der Pope, der Meister der Zeremonie, stand immer mit dem Rücken zu ihnen. Es waren die Ukrainer, die die »weiße Stimme« erfanden, den Gesang an der Grenze zum Schrei. Mit solchem Gesang baten sie um Regen, und wenn es sein musste, vertrieben sie damit Blitze. Die Musik gab dem Menschen Macht über die Naturgewalten. Die Musik der Autochthonen Teresa Nozdrzyn und Alicja Zabawa singen weißrussische Lieder. Der Ethnograf Henryk Dumin aus Jelenia Góra [Hirschberg] bedauert, dass die Siedler, die nach dem Krieg nach Niederschlesien kamen, vereinheitlicht wurden. Das Paradoxe bestehe darin, dass die Volksrepublik Polen dem Volk gehören sollte, aber die Folklore zerstört hat. »Ein halbes Jahrhundert lang wurde den Menschen eine künstliche Folklore aufgedrückt in sogenannter niederschlesischer Tracht, die ironischerweise an eine billige Version der deutschen Vertriebenen erinnerte.« Und so wurde es gemacht: In den 70er Jahren entstehen im gesamten kommunistischen Polen Folkloreverbände. Der Krakauer Fotograf Tadeusz Seweryn gibt einen Atlas der Volkstrachten heraus und zaubert auf die Schnelle etwas für den frisch gebackenen polnischen Niederschlesier. Das war die künstlerische Version zum Thema Gewandung der hiesigen Deutschen vor dem Krieg. Die Tracht war im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild der höfischen Mode entstanden. Die Frau schwimmt in Spitze, der Mann sieht aus wie Lord Byron, trägt einen Zylinder und gelbe, Fruchtbarkeit symbolisierende Hirschlederhosen, dazu lange weiße Strümpfe. Von der Taille abwärts sah der preußische Bauer aus wie Ludwig XV. Aus den Hirschlederhosen machte die Volksrepublik gelbe Tuchhosen. Nun war der Niederschlesier eingekleidet, musste nur noch mit einem Gesangsbuch ausgerüstet werden. Dieses entsteht aus Aufnahmen aus der Vorkriegszeit von Józef Majchrzak, einem Folkloristen, Musikwissenschaftler, Mitarbeiter des Polnischen Radios Wrocław. Er hatte die Folkloremusik der Ureinwohner Niederschlesiens aufgezeichnet, einer polnischen Minderheit, die damals im Staat Preußen lebte. Heute sind das die Landkreise Sycowski und Namysłowski. Die dortigen Katholiken sprachen eine polnische Mundart, die die Deutschen »bohemischpolnisch« oder »Wasserpolnisch« nannten. Nach dem Krieg gibt es von diesen ethnischen Polen etwa 20.000. Ein Teil wird von den kommunistischen Machthabern positiv verifiziert und bleibt in Polen. Das Volk singt Das kommunistische Polen verdammt die Mythologie der ehemaligen Ostgebiete. In Niederschlesien werden unter viel Wirbel das Café Lwowianka und das Restaurant Wilnianka geschlossen, weil die Namen wie ein Ruf nach Lemberg und Vilnius klingen, wie eine Vorhaltung an die Sowjetunion, aus dem polnischen Hause das Familiensilber gestohlen zu haben. Schließlich hatte sie das halbe Land weggenommen. Man verdammt die religiösen Inhalte in den folkloristischen Liedern, sie seien antikommunistisch. Patriotische Lieder sind ebenfalls verboten. Der Patriotismus wird durch die Internationale ersetzt. Es bleiben Ufftata und rot geschminkte Bäckchen. Auf den Galaabenden beim Erntedankfest werden aus den Dorfbewohnern sowjetische Würdenträger à la Kossygin und Breschnew. Auf der Brust der LPG-Vorsitzenden prangen Abzeichen. Die Menschen verdummen. Zum niederschlesischen Ethos trugen auch die »politisch korrekten« Immigranten aus Griechenland bei. Sie siedeln sich hauptsächlich in Zgorzelec an; die Band Mythos spielt auf der Bouzouki Lieder über das sozialistische Volk. Unter den Repatrianten genießen die so genannten »polnischen Franzosen« eine privilegierte Stellung. Sie kommen aus Belgien und aus Pasde-Calais im Norden Frankreichs (sie waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts emigriert, hauptsächlich als Bergbauarbeiter). Sie sind leicht bourgeois, tragen Barette, bunte Schals und sprechen kein Polnisch mehr, aber stellen den Wodka über den Wein. Eingeladen vom sozialistischen Vaterland in die reichen Westgebiete, besiedeln sie Wałbrzych und singen die Marseillaise: »Allons enfants de la Patrie …« und andere Volkslieder: »Frankreich, Frankreich, du unglücksseliges Land ...«. Für sie war Frankreich das Land, das den in die Armee einberufenen Söhnen der Bauernfamilien das Leben nahm. Der Grundermythos Die neuen Niederschlesier verbindet eines: Alle bekommen den Gründermythos über die Piasten. Die slawische Dynastie, die im Mittelalter das niederschlesische Land bewohnte, wird als der Grundstein des Polentums gehandelt. Die Idee ist höchst simpel: Die, die aus den Gebieten kommen, die gerade der UdSSR angeschlossen wurden, sind die offiziellen Repatrianten, sie kehren heim in das Piastenland, obwohl sie gar nicht aus dem Ausland kommen, sondern aus Polen, aus dem Polen in den alten Grenzen. Die staatliche Repatriierungsbehörde in Niederschlesien hat die Bevölkerung strategisch im ganzen Land verstreut. Versprenkelt wird sie dümmer sein, offener für Propaganda. »Aber trotz aller Maßnahmen zur Homogenisierung der Bevölkerung, die anstelle der ausgesiedelten Deutschen nach Niederschlesien gebracht wurde, haben wir noch immer einen Schatz: einen Querschnitt durch ganz Polen in den Grenzen aus der Zeit vor den Teilungen und die in den Köpfen erhaltenen authentischen Traditionen«, sagt der Ethnograf Henryk Dumin. Die Propaganda so, die Menschen so Teresa Nozdryn-Płotnicka, 76 Jahre alt, geboren in Polesie (heute Belarus), gründete heimlich das Ensemble Jarzębina [Eberesche], geprobt wurde bei ihr zu Hause in der Küche: »Zu Zeiten der Volksrepublik sollten wir nur Soldatenlieder singen, im Bauernklub. Die schönen weißrussischen Lieder waren verboten. Wir hatten Heimweh und es gab keinen Abend, da mein Mann und ich uns nicht auf das Sofa setzten und unsere Lieder sangen. Bei uns hieß das: Sie haben das weißrussische Lied ›geschlachtet‹. Und zwar ohne Nasale, nach Bauernart. Ein Jammer, was hier an Volk gestorben ist, sie haben es nicht mehr geschafft, ihren Nachkommen die traditionellen Lieder beizubringen ...« Was verloren gegangen ist? Wiegenlieder, Kinderabzählreime, Grablieder und Litaneien. Langsam wie die Flüsse im Wilnaer Land, in breiten Tälern, so wie die Memel, deren Name wie der Name einer Geliebten klingt. Es sind viele Bergarbeiter-, Hirten- und Erntelieder verloren gegangen, die die plötzlich abgebrochen werden durch ein Unglück oder das Nahen einer Horde Wölfe. Es ist das natürliche gemischte Metrum verloren gegangen, die Musik, die spontan wie Hefeteig geschnitten ist, ungleichmäßig in kleine Takt-Stücken. Es sind auch die Takte aus Polesie verschwunden, aus der Region die als zurückgebliebenste galt, aus dem Land der glücklichen Analphabeten, die sich nicht den Kopf über Bücher zerbrachen, und die auf die Frage, woher sie seien, antworteten: Wir sind Hiesige. Sie musizierten, indem sie in ein Gräserblatt, das sie zwischen beiden Daumen hielten, hineinpusteten, in aufgeschnittene hölzerne Kalmusstengel oder in eine Tröte aus eingerollter Weidenrinde. Alicja Zabawa, 55 Jahre alt, Dorfschulzin in Rakowice Małe, Tochter eines Immigranten aus Belarus. Sie spricht zwar die Mundart nicht mehr, ist bereits in Niederschlesien geboren, aber ihre ganze Kindheit hindurch hat sie etwas hinausgezogen, aufs Feld, wo der alte Nachbar jahrelang jeden Abend heraustrat und von seiner Sehnsucht nach Zuhause sang. Dieses Zuhause war weit weg, hinter dem Bug. Alicja hat sich das Lied gemerkt und es hat sie so in diese Gegend gezogen, dass sie endlich nach Belarus fuhr. Dort hat sie die Wirtshäuser am Wegesrand gesehen, wo die Menschen zusammenkamen an einer qualmenden Feuerstelle, warmen Wodka aus blechernen Tassen tranken und Synkopen sangen wie Engel. Am Morgen gingen sie verkatert zum See und holten mit Gardinen und zwei Knüppeln kiloweise Forellen aus dem Wasser. Alicja stand an diesem Tag bei Sonnenaufgang am Fluss und öffnete den Mund, ihrer Kehle entrang sich ein Klang, klar wie das Wasser im See. Sie sang sich selbst ein Wiegenlied, auf belarussisch, immer wieder die gleiche Zeile. An mehr konnte sie sich nicht erinnern. 22 p heft N 12 musik melodien aus niederschlesien Teresa Nodzdrzyn zeigt ihre Weidenlatschen aus Polesie. wir wollen nur spielen.polnischer metal zwischen provokation und N pop rainer 25 p heft N 12 musik metal in polen TSA sesshaft in Opole, der Name bezieht sich auf eine fiktive und nicht ganz ernst gemeinte Vereinigung Anonymer Abstinenzler. KAT seit 1979 in Katowice aktiv, Vorreiter der polnischen Heavyund Thrash-Szene, spielte acht Alben ein, darunter ein BalladenAlbum (!), bekannt für okkulte Texte, verfügt seit 2005 mit Henry Beck über einen deutschen Sänger polnischer Abstammung. Warschau, Frühsommer 2000. Im großen Medien- und Presseladen EMPiK in der ul. Marszałkowska durchblättern die Kunden die ausliegenden Zeitschriften. Über ihnen plätschern unaufdringlich die Videos der aktuellen Verkaufscharts über eine große Leinwand — die Krakeelkinder von Arka Noego, die alten Herren von Budka Suflera, die arg gealtert wirkenden Ex-Punks von T.Love, kurz: gefällige Klangware. Doch auf einmal verfinstert sich der Bildschirm, aus einem dunklen Hintergrund schält sich kaum sichtbar eine düstere geflügelte Gestalt. Dazu grummeln aus den Lautsprechern extrem tief gestimmte Gitarren, ein Schlagzeuger drischt um sein Leben und derber Grunzgesang lässt die Regale zittern. mende ein, dies ist weder der Untergang des Abendlandes noch die Landung von Außerirdischen, sondern nur eine anschauliche (und nicht erfundene) Illustration der Ankunft der dunklen Metal-Ausläufer in der Mitte der polnischen Gesellschaft. Denn wie im Rest der Welt gibt es auch in Polen eine Parallelwelt jenseits von Hochglanzmagazinen und Dudelradios, wo Wert auf Handarbeit, Authentizität, Emotionen und ein gerüttelt Maß an Provokation gelegt wird. Und hin und wieder — wie hier im Fall des Erfolgsalbums Litany des Death-Metal-Urgesteins Vader aus Olsztyn — wird der Underground im In- und Ausland so erfolgreich, dass er in die Massenkultur überschwappt. Dieses Phänomen ist beileibe keine Eintagsfliege. Die Erfolggeschichte ist umfang- und kapitelreich. Wenn alle Jubeljahre wieder Feuilletonisten beklagen, dass im Gegensatz zu Klassik, Jazz und Folk die polnische Populärmusik im Ausland keinen Fuß in die Tür bekommt, dann übersehen sie — ob aus Unwissenheit oder aus Ignoranz, sei dahingestellt — geflissentlich, dass in Teilbereichen des Pop polnische Exportware heiß gehandelt wird. Das trifft unter anderem auf jene Subkultur zu, die von nahezu jeder anderen (mit Ausnahme der Gothics vielleicht) belächelt wird — den Metal. In dieser Szene ist die Landkarte recht klar definiert — Norweger liefern beispielsweise vorwiegend Black Metal, Finnland produziert Melancholiker, Kanada die progressiven Spielarten, Brasilien vertrackten Thrash, Deutschland brilliert mit Power Metal. Und Polen? Hat sich ebenfalls im Laufe der Jahre einen Namen als Lieferant hochwertiger, technisch sauber gespielter und vorwiegend finsterer Soundwände gemacht. Diese internationale Anerkennung kommt nicht aus dem Nichts. Abgesehen davon, dass das Metal-Publikum ohnehin sehr international ausgerichtet ist und weniger Wert auf Herkunft denn auf Qualität legt (immerhin sind beispielsweise momentan auch die Ungarn Ektomorf und die Rumänen Negura Bunget recht erfolgreich), ist die Anerkennung über Jahre hinweg hart erarbeitet. Denn wie jede westliche Musikkultur quoll natürlich auch der Metal recht bald nach seinen Anfangstagen in den Siebzigern durch die Schlupflöcher des Eisernen Vorhangs. Die Verzerrer wurden aufgedreht, das Tempo angezogen, der Tonfall rauer und der etablierte Hardrock gebar auch an der Weichsel einen bissigen, fiesen Sohn, der sich seitdem in stetigen Metamorphosen windet und dabei nie richtig alt wird. An der Wiege standen Bands, deren Namen man noch heute mit Hochachtung im Munde führt und die mit Unterbrechungen und zahllosen Besetzungswechseln — im Metal-Business der Regelfall, ebenso wie Stil-Experimente im Verlauf der Bandgeschichte — bis heute existieren. Referenzobjekte sind beispielsweise TSA. Die Truppe rockt seit 1979 etwas härter und brachte es immerhin fertig, Tonträger in Hunderttausender-Auflage beim staatlichen Audioverlag Tonpress zu veröffentlichen. Nur ein Jahr jünger sind Turbo, die ihren Hardrock schnell in Richtung Heavy Metal britischer Prägung umbauten und, nach einem Zwischenstopp in seichteren Gefilden, schon vor 1989 ihr neues Thrash-Gewand in Metallica-Nachfolge dem westlichen Publikum auf LP in englischer Sprache präsentieren durften. Metal war fester Bestandteil der Alternativ- und Jugendkultur. Dies kann man hervorragend im Dokumentarfilm Fala. Jarocin 85 beobachten, wo zwischen Punks, Hippies, Rastafaris und experimentell angehauchten Avantgardisten wie selbstverständlich auch die Klassiker von KAT — ebenfalls Metalmania-Aktivisten der ersten Stunde — auf der Bühne des Kult-Festivals stehen und ihren düsteren Thrash auf die Meute loslassen. Hauptsache, man provoziert und weicht von der kommunistischen Staatsnorm ab. Die Begeisterung im Fahnen schwingenden Publikum darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die polnischen Krawallbrüder ähnlich wie ihre Kollegen in der DDR oder Ungarn im wesentlichen Ersatzdrogen in einem Land waren, wo die Originale wie Iron 26 27 p heft N 12 musik Behemoth Vader Turbo Acid Drinkers Riverside p heft N 12 musik Maiden oder Slayer nie auftreten würden. Dies zeigte sich deutlich nach dem politischen Umbruch, als etliche Flaggschiffe der Achtzigerjahre ins Schlingern gerieten und in vielen Fällen sogar kenterten. Nun brachen die dunklen Klänge der westlichen Welt, wo gerade der böse, bockige Death Metal durchstartete, massiv über den Osten herein. Die Straßenmärkte servierten den Backkatalog aller relevanten Krachkapellen als Raubkopien auf Kassette und immer mehr westliche Rabauken stampften auf polnische Bühnen. Die Saat fiel auf fruchtbaren Boden, der zudem auch schon gut gepflügt war — das dienstälteste und größte Metalfestival Polens Metalmania wurde nämlich schon 1986 aus der Taufe gehoben, auch Vader waren damals schon dabei. Bereits in volkspolnischen Zeiten durften westdeutsche Acts wie Kreator, Rage und Helloween dort die oberschlesische Luft vibrieren lassen. Die politischen Umschwünge haben dem Event, bis auf einige Ortswechsel rund um Katowice, nicht viel anhaben können. Wie beim ersten Mal gab es bis über den Jahrtausendwechsel hinaus verlässlich jedes Jahr im Frühjahr Deftiges auf die Ohren. Dafür hauptverantwortlich war als Träger das Plattenlabel Metal Mind Productions, eine polnische Eigenzüchtung. Seit 1987 im Geschäft, kooperiert der omnipräsente Platzhirsch inzwischen mit Branchengrößen auf der ganzen Welt und gibt die polnische Ausgabe des Metal Hammer heraus. Liest man sich das Line-up der Metalmanias vergangener Jahre durch, stößt man nicht nur auf Namen von Weltrang wie Sepultura, Apocalyptica und Paradise Lost. Auch etliche einheimische Gewächse konnten sich — neben altbekannten Haudegen wie Turbo und TSA — seit Einführung von zwei Bühnen so viele Sympathien bei Publikum und Kritikern erspielen, dass sie Licht und PA auf der Hauptbühne mit den ausländischen Stars teilen durften. Sie tragen Namen, die jenseits der Westgrenze nur Spezialisten oder den entsprechenden Szeneangehörigen geläufig sein dürften, wie z.B. Delight, Dies Irae, Darzamat, Acid Drinkers, Decapitated oder Vesania. Auf den ersten Blick mag diese Aufzählung für Außenstehende nichts als die Aneinanderreihung unverständlich bis albern klingender Wörter sein. Eine genauere Betrachtung offenbart jedoch schon anhand dieser wenigen Bandnamen die Vielfalt, räumliche Streuung und Beweglichkeit der polnischen Szene. Sie frönen nämlich äußerst unterschiedlichen Variationen des formvollendeten Lärms. Während Delight sich anfangs einer spritzigen Variante des Gothic Metal mit weiblichem Gesang hingibt, erspielten sie sich beim Leipziger Wave-Gotik-Treffen 2005 mit elektronischem Rock einen Vertrag beim renommierten amerikanischen Label Roadrunner und damit zugleich CDs und Touren u.a. in Deutschland. Dies Irae wiederum lärmten einige Jahre lang heftigen Death Metal im Vader-Verschnitt, von denen sie auch immer wieder neue Mitglieder bezogen. Die deutsche Fachpostille Rock Hard witterte daraufhin im polnischen Death Metal schon »Musiker-Inzest«, weil immer wieder dieselben Namen in anderen Zusammenstellungen auftauchen. Darzamat wiederum hauen in eine völlig andere Kerbe und servieren sinfonischen Black/Dark Metal der Breitwandsorte. Sie konnten ihren Zweitling gleich einem italienischen Label unterjubeln und u.a. die Portugiesen Moonspell auf Tour begleiten, 2009 landeten sie bei der deutschen Firma Massacre Records. Vesania gingen noch einen Zahn flotter zu Werke und konnten bereits mit dem keybordverzierten Black Metal ihres Debüts einen US-Deal ergattern. Die Thrash-Backen Acid Drinkers sind hingegen schon alte Hasen, die seit 1986 akustische Granaten abschießen und einen häufig von diversen bunten T-Shirts anlachen, aber jenseits der Grenze trotz durchgehend englischer Texte weitgehend unbekannt sind. Ganz im Gegensatz zu den Death-Brüdern von Decapitated, deren technisches Gehacke die Leser des englischen Terrorizer so metal in polen jedes Jahr erst 2009 wurde wegen Bauarbeiten an der Spodek-Halle in Katowice eine Pause eingelegt, allerdings deutet auch 2010 nichts auf eine Neuauflage hin. Decapitated gegründet 1996 in Krosno, veröffentlichten die Alben Wind of creation, The first damned, Nihility und Organic hallucynosis; zugunsten der Familie des toten Schlagzeugers wurden weltweit Benefiz-Konzerte organisiert. NSBM Abkürzung für National Socialist Black Metal, eine Untergattung mit explizit antisemitischem, rassistischem und nationalpatriotischem ideologischen Unterbau. 2Tm2,3 allgemein Tymoteusz genannt, mixt seit 1996 verschiedene Musikstile, darunter auch Metal, aus Kindern der Musiker setzte sich die eingangs zitierte Kinderband Arka Noego zusammen. betörte, dass sie ihr Debüt als das beste des Jahres kürten. Fünf Jahre später gondelten sie schon als Tour-Headliner durch Europa. Ein tragischer Unfall, der ihren hoch angesehenen Schlagzeuger Witold Kiełtyka das Leben kostete, konnte sie nur kurzzeitig stoppen, bald darauf hatten sie einen Vertrag des sauerländischen Branchenkrösus Nuclear Blast ergattert. Die Liste ließe sich noch endlos fortsetzen. Ist Polen also ein Metal-Paradies? Nun ja. Natürlich gibt es in einem katholisch geprägten Land immer wieder Skeptiker, die sich vor allem an okkulten und satanischen Text- und Bildwelten stoßen. Für Schlagzeilen sorgte vor allem ein Gerichtsprozess, an dessen Ende der Chef von Metal Mind 2007 kräftig zu Kasse gebeten wurde, weil die norwegische Band Gorgoroth in einer blutlastigen Bühnenshow Kreuze und Bibeln verunglimpft hatte. Wer jetzt die »Typisch Polen!«-Keule herausholen will, möge sie bitte gleich wieder einstecken — als Beweisstück diente eine Aufnahme des Polnischen Fernsehens, das den Auftritt für eine TVAusstrahlung mitfilmte. Gefahr droht aber auch von anderer Seite: Wie in Deutschland versucht die politische Rechte schon seit geraumer Zeit, vor allem im Black Metal Nachwuchs zu rekrutieren, gelegentlich mit Erfolg. Einige der bekanntesten Combos des so genannten NSBM kommen leider ebenfalls aus Polen. Dafür gibt es aber als Gegengewicht eine nicht ganz unerhebliche christliche Rock- und Metal-Szene mit Speerspitzen wie 2Tm2,3. Auch die Acid Drinkers stehen dort mit einem Bein drin. Das aufsehenerregendste Phänomen der letzten Jahre sind jedoch definitiv Behemoth. Noch in den späten Neunzigern deibelten sie in einer rohen, primitiv gespielten und dürr abgemischten Black Metal-Spielart auf Polnisch die Wälder Pommerns an, unterstützt von tendenziell atonalem Damengezirpe. Man wäre heute Millionär, hätte man damals in einem obskuren Wettbüro ein paar Złoty darauf gesetzt, dass ausgerechnet den Grünschnäbeln um Frontröhre Nergal (bürgerlich: Adam Darski), die sich anfangs noch allzu offensichtlich an ihren norwegischen Vorbildern von Darkthrone & Co. orientierten, der große Durchbruch gelingt — und das mit einem vollkommen runderneuerten Stil, der sich noch dazu keinen Millimeter in Richtung Mainstream bewegt hat (vielleicht abgesehen davon, dass man inzwischen mehr Geld in die Studioaufnahmen, Videoproduktionen und Bühnenshows investiert). Mit ihren exquisiten Alben und intensiven Shows mussten sie erst den US-Markt knacken, bis die Propheten auch im eigenen Lande erhört wurden. Man rieb sich die Augen, als plötzlich die konservative Rzeczpospolita in Jubelarien ausbrach und die Rasselbande sogar für den begehrten Paszport-Künstlerpreis der Zeitschrift Polityka nominiert wurde — damit war der provozierende Keller-Act zum etablierten Pop-Adel aufgestiegen. F a z i t : Wer in Polen ein Instrument gelernt hat, gern technisch versierten Krach macht und auf Englisch textet, ist vor einer Weltkarriere im Metal nicht sicher. Wer weiß, ob sich nicht gerade die großen Stars von morgen in die Spur machen? Derzeit starten wieder einige polnische Metallurgen in den westlichen Musikumlauf, beispielsweise die jungen Post-Black-Metaller von Morowe oder das erfahrene, aus Ex-Behemoth- und Vader-Mitgliedern zusammengewürfelte Düsterprojekt HellBorn über das kleine Szene-Label Withing Hour aus Białystok. Prog-Fanatiker murmeln neuerdings ehrfürchtig den Namen der Artock-MetalTruppe Riverside. Niemand kann voraussagen, wo sie alle enden werden — im Namenwald der unzähligen polnischen Krawallcombos oder auf der Videoleinwand im Warschauer EMPiK. von koniginnen und aschenputtel eine polnische orgelreise michael f. runowski 29 F p heft N 12 musik ragt man einen Polen nach Orgeln, erhält man zumeist zwei Namen als Antwort: Oliwa und Święta Lipka. Diese wohl bekanntesten Orgelorte Polens werden täglich von hunderten Besuchern besichtigt. Dabei sind es in erster Linie die prachtvollen Gehäusefassaden, Prospekte genannt, und die sich an ihnen befindlichen beweglichen Engel, die die Blicke der Zuhörenden auf sich ziehen und sie womöglich in größeres Entzücken als die Musik selbst versetzen. Doch die Zuhörer erliegen einer Illusion: Von den beiden prachtvollen barocken Orgeln sind nur noch die Gehäuse original, dahinter verbergen sich mehrfach umgebaute Instrumente, die kaum noch originale Pfeifensubstanz aufweisen. Zum anderen zeigen beide Instrumente, dass die Orgelbaugeschichte Polens mit der des Nachbarlandes Deutschland verknüpft ist, wofür es zahlreiche weitere Beispiele gibt. Die Orgel der ehemaligen Zisterzienserklosterkirche Oliwa war zu ihrer Erbauungszeit die größte der Welt. Ihr Erbauer Jan Wulf hat gemeinsam mit anderen Mitbrüdern 25 Jahre an dem Instrument gearbeitet. Fertig geworden ist er nicht; die Orgel wurde 1793 von Johann Friedrich Dalitz, einem Schüler des großen Gottfried Silbermann, vollendet und später mehrfach umgebaut. Die Orgel von Święta Lipka [Heiligelinde] wurde ursprünglich 1719 – 21 vom Königsberger Orgelbauer Johann Josua Mosengel erbaut. 1905 wurde die Barockorgel vollständig durch einen Neubau der Firma Bruno Goebel, ebenfalls aus Königsberg, ersetzt. In der Nachkriegszeit wurde sie geringfügig umgebaut; erst jetzt wurden die Prospektengel beweglich gemacht. Inzwischen genießt das hundertjährige romantische Instrument hinter der barocken Fassade auch Denkmalwert; es ist zu hoffen, dass es für die Zukunft erhalten bleibt. eine polnische orgelreise Kathedrale von Oliva Katedra Oliwska, ul. Cystersów 10, 80 – 330 Gdańsk Heiligelinde Parafia p.w. Nawiedzenia NMP, Święta Lipka 29, 11– 440 Reszel Propsteikirche von Kazimierz Dolny Parafia Kazimierz Dolny, ul. Zamkowa 6, 24 –120 Kazimierz Dolny Vielfach ist es demnach nur die äußere Fassade, das Gehäuse, das über die Jahrhunderte mehr oder minder im Originalzustand erhalten geblieben ist, nicht einmal die sichtbaren Prospektpfeifen hat die Geschichte verschont, sie mussten vielerorts während der beiden Weltkriege für Rüstungszwecke abgegeben werden. Man muss sich fernab der bekannten, beliebten Orte begeben, insbesondere in den Süden und Osten, um einmalige und wertvolle Instrumente zu entdecken, die teilweise in bedauerlichem Zustand ein Aschenputteldasein führen. International ist die polnische Orgellandschaft nach wie vor eine terra incognita, kann sie doch nicht auf jahrzehntelange Präsenz in Fachkreisen zurückblicken, wie etwa die Orgellandschaften Deutschlands oder Frankreichs. Das ehemalige Ostpreußen wiederum bildete eine einmalige Orgellandschaft, »die ein Opfer des Krieges wurde, bevor sie in ihrer ganzen Bedeutung innerhalb des europäischen Orgelschaffens erfasst worden war«, wie der Organist, Komponist und Orgelforscher Jan Janca, der sich um die Historiografie dieses Gebiets verdient gemacht hat, resümiert. Die wohl älteste spielbare und fast vollständig original erhaltene Orgel Polens befindet sich in der Propsteikirche von Kazimierz Dolny, in der Nähe von Krakau. Sie wurde Anfang des 17. Jahrhunderts von einem unbekannten polnischen Orgelbauer (zugeschrieben wird sie Szymon Lilius) erbaut, das Gehäuse ist auf 1620 datiert. Es handelt sich um ein großes, zweimanualiges Instrument (zwei Klaviaturen für die Hände). Ab dem 18. Jahrhundert setzte ein zunehmender Verfall ein, bis es 1883 umgebaut und wieder spielbar gemacht wurde. Danach erfolgten weitere fünf Umbauten, wobei allerdings — ein Glücksfall in Polen — nie- -mals 30 p heft N 12 musik Bernhardinerbasilika in Leżajsk Klasztor OO. Bernardynów, Plac Mariacki 8, 37– 300 Leżajsk Zisterzienserkirche in Jędrzejów Archiopactwo OO. Cystersów, ul. Klasztorna 20, 28 – 300 Jędrzejów. Warschauer Seminarkirche (Prokathedrale) [Kościół Seminaryjny (Prokatedra)], Krakowskie Przedmieście 52/54, 00 – 322 Warszawa. 31 p heft N 12 musik eine polnische orgelreise nie- mals allzu stark in die Originalsubstanz eingegriffen wurde. So präsentiert sich die Orgel von Kazimierz nach wie vor mit ihren originalen Klaviaturen und den für den polnischen Orgelbau des Barock typischen schmiedeeisernen Registerzügen. Wahrscheinlich war es die zunehmende Bedeutungslosigkeit des Ortes und damit verbundener Geldmangel, die zur Erhaltung dieses barocken Kleinods beigetragen haben. Ebenfalls in Südpolen befinden sich zwei weitere beachtenswerte Instrumente der Barockzeit: Die Orgel der Bernhardinerbasilika [siehe Abb. nächste Seite] in Leżajsk, die zwischen 1680 und 1693 von Stanisław Studziński und Jan Głowiński erbaut wurde, sucht allein ob ihrer äußeren Pracht in Europa seinesgleichen — und dennoch ist das Instrument selbst in europäischen Fachkreisen nur wenigen Eingeweihten bekannt. Es wurde im 19. Jahrhundert umgebaut, und ist vor wenigen Jahren in Zusammenarbeit mit einer polnischen und einer französischen Werkstatt, glücklicherweise unter Bewahrung des »gewachsenen Bestandes«, restauriert worden. Weitestgehend original ist die Orgel der Zisterzienserkirche in Jędrzejów. Sie wurde zwischen 1745 und 1754 von Józef Sitarski erbaut. Sogar die originale Spielanlage ist hier erhalten. Eine Besonderheit ist hier eine herausziehbare vierte Klaviatur, die die Register des Rückpositivs einen Ton tiefer erklingen lässt, um das Zusammenspiel mit Orchesterinstrumenten zu ermöglichen. Eine weitere ist ein spezifisches, nur in Polen vorkommendes Register: die polnische Zimbel. Auf einem gemeinsamen Pfeifenfuß sitzen mehrere kleine, nicht stimmbare Pfeifen, deren schriller Ton dem Gesamtklang eine faszinierende Färbung verleiht. Nur noch wenige dieser Register sind erhalten geblieben. Am prachtvollen Gehäuse, dessen hufeisenförmige Anordnung wahrscheinlich auch für die Orgel in Oliwa Pate gestanden hat, fällt dem Betrachter das in die Emporenbrüstung eingelassene Rückpositiv auf, ein Teilwerk, das die Pfeifen des ersten Manuals enthält. Es besitzt noch seine originalen, schön verzierten Prospektpfeifen, die, einer Theaterbühne gleich, von einem kunstvoll geschnitzten goldenen Vorhang umrahmt sind. Im Zuge der Teilungen Polens (1772, 1793 und 1795) und des Verlusts der Unabhängigkeit setzte ein Verfall der Orgeln und der Orgelmusik ein. Es entstanden überwiegend kleine und vielfach minderwertige Instrumente; alte Orgeln verfielen oder wurden zerstört. Zahlreiche schlecht aus- gebildete Orgelbauer trieben im Land ihr Unwesen und die Orgelmusik wurde mangels guter Organisten, die sich die Gemeinden nicht leisten konnten, vernachlässigt. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts setzte ein Aufschwung ein. August Freyer (1803 –1883), der aus Sachsen stammende Organist der lutherischen Kirche in Warschau und Professor am Konservatorium, dem auch das Wiederaufleben der polnischen Organistentradition zu verdanken ist, setzte sich für Neubauten ein, die überwiegend von deutschen Orgelbauern ausgeführt wurden: Gottfried Riemer aus Brieg und Moritz Robert Müller aus Breslau. Freyer zog sich damit wegen seiner Parteinahme für seine deutschen Landsleute auch den Unmut einheimischer Orgelbauer zu. Allerdings hatte das auch sein Gutes: die polnischen Orgelbauer mussten auf mehr Qualität setzen, um konkurrenzfähig zu bleiben und bildeten sich im Ausland fort. So entstanden auch auf polnischem Boden gute Orgeln. Nach der Jahrhundertwende war die Warschauer Firma von Wacław Biernacki in Polen marktführend. Ein interessantes größeres Instrument Biernackis von 1928 ist in der Warschauer Seminarkirche [Prokathedrale] weitestgehend original erhalten. Kritisch sieht es vielerorts jedoch mit dem Umgang mit historischen Instrumenten, aber auch mit der Wertschätzung der Orgel in der Kirche aus. In ganz Polen sind in der Nachkriegszeit wertvolle, über die Jahrhunderte erhaltene Instrumente »Modernisierungsmaßnahmen« zum Opfer gefallen. Ähnliches war übrigens in ganz Europa üblich. Erst seit etwa 30 Jahren haben sich aufgrund jahrelanger Bemühungen und intensiver Forschungsarbeit Standards herauskristallisiert, wie man verantwortungsbewusst historischen Instrumenten ihre originale oder »gewachsene« Gestalt zurückgeben kann. Durch Mangel an Erfahrungen im Umgang mit historischen Instrumenten und den Wunsch vieler Organisten nach einer »modernen«, leichtgängigen Orgel, kam es auch in Deutschland zu verheerenden Umbauten wertvoller Orgeln, auch wenn man hier etwas weniger rigoros vorgegangen ist, als es in Polen der Fall war. Hier scheute man nicht davor zurück, erhaltene Barockinstrumente aus den »wiedergewonnenen Gebieten« rücksichtslos als »Ersatzteillager« für Umbauten und Behebung von Kriegsschäden, namentlich im Kernland, auszuschlachten, oder ganze Instrumente, etwa aus Schlesien, ins Landesinnere umzusetzen. Erschwerend kam der notorische Mangel an hochwertigen Materialien und Werkzeugen, aber auch die Isolierung des polnischen Orgelbaus von den Entwicklungen des Westens hinzu. Improvisation, vielfach auch Unkenntnis, waren an der Tagesordnung. Letztendlich verblieb so der Orgelbau in Polen in technischer und klanglicher Hinsicht — von wenigen Ausnahmen abgesehen — auf dem Niveau der Vorkriegszeit, was mitunter bis heute nachwirkt. Erst nach der Wende setzte ein Austausch ein; polnische Orgelbauer absolvierten Praktika oder auch ihre ganze Ausbildung im Westen, wichtige Restaurierungsprojekte an historischen Orgeln in Polen finden in Zusammenarbeit ausländischer und polnischer Orgelbauer statt, in jüngster Zeit etwa die Restaurierung der beiden Barockorgeln in Grüssau [Krzeszów]. Leider stehen viele polnische Orgelbauer, aber auch Orgelexperten dem Erfahrungshorizont ihrer westlichen Kollegen skeptisch gegenüber. »Das können wir allein genauso gut«, heißt es oft, mit dem Ergebnis, dass der gute Rat der Nachbarn ausgeschlagen wird — zum Leidwesen der Instrumente. Wenige, fähige junge Orgelbauer, die ihre Ausbildung im Westen erhalten haben, haben es schwer, sich gegen die übermächtige »etablierte« Konkurrenz durchzusetzen, so etwa Szymon Januszkiewicz aus Niedalino bei Koszalin, der neben seiner in Deutschland und den USA absolvierten Ausbildung auf internationale Erfahrungen bei namhaften Restaurierungs- und Neubauprojekten zurückblicken kann. Schuld an dieser Situation ist nicht zuletzt auch der Mangel an fähigen und unparteiischen Orgelsachverständigen. Letztere werden namentlich von Pfarrern vielfach gar nicht erst hinzugezogen. So verwundert es nicht, dass eine Unsitte in den letzten Jahren um sich greift: der Import minderwertiger gebrauchter Instrumente aus dem Westen, vor allem aus Deutschland, wo Kirchen geschlossen oder neue, bessere Instrumente gebaut werden und die alten möglichst gewinnbringend entsorgt werden sollen. Zudem wiederholen sich die Fehler, die in der Nachkriegszeit im Westen gemacht worden sind, nun in Polen: Wertvolle, unbedingt erhaltenswerte Instrumente des 19. und der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, an denen Polen — noch — besonders reich ist, müssen gelegentlich Neubauten weichen oder werden umgesetzt. Die Nebenorgel der Domkirche in Oliwa, ein original erhaltenes Instrument der Königsberger Firma Goebel aus der Jahrhundertwende, wurde nach Südostpolen versetzt, um im historischen Barockgehäuse einem minderwertigen Gebrauchtinstrument aus Deutschland Platz zu machen. In der neu errichteten Danziger Philharmonie erklingt die alte Orgel der Kathedrale von Lausanne. Nicht weniger zimperlich geht man mit Gebäuden um, in denen Orgelbaugeschichte geschrieben wurde: In Szczecin-Zdroje [Stettin-Finkenwalde] sind die Villa und Teile der Werkstatt der Orgelbaufirma Barnim Grüneberg erhalten. Grüneberg war eine Autorität, er baute unter anderem 1885 die damals größte mechanische Orgel der Welt in der Dreifaltigkeitskirche in Libau [Liepaja, Lettland]. In Pommern haben einige seiner Instrumente die wechselvollen Zeiten überdauert. Die alten Firmengebäude sind jedoch bedroht: Nach dem Willen der Stadtverwaltung sollen sie dem Bau einer Schnellstraßenbahn weichen; die örtlichen Denkmalbehörden haben den Abriss genehmigt, ohne sich vor Ort vom Denkmalswert der Gebäude zu überzeugen. Eine Privatinitiative kämpft gegen die Abrisspläne, der Fall beschäftigt inzwischen das Kulturministerium in Warschau und die zuständigen EU-Behörden. Angeregt wurde die Gründung eines internationalen Orgelzentrums, eine einmalige Chance, alte Orgelbauerräumlichkeiten zu neuem Leben zu erwecken, zudem könnte hier ein Kulturmagnet in der kulturell strukturschwachen Region entstehen. Polens Orgellandschaft lohnt eine, oder besser gesagt viele Reisen und harrt der Wiederentdeckung, gerade durch die westlichen Nachbarn. Die Orgeln und ihre Musik bieten zudem gerade zu Deutschland Schnittstellen wie kaum ein anderes musikalisches Feld. Jahrhunderte gemeinsamer Entwicklungsstränge, die durch die politischen Unwetter jäh unterbrochen wurden, warten auf eine weitere Neubelebung, die teilweise schon Früchte gezeigt hat und von der sicherlich beide Seiten profitieren können. 32 p heft N 12 musik Bernhardinerbasilika in Leżajsk; Blick auf die Hauptorgel von Stanisław Studziński und Jan Głowiński (1693 erbaut). eine polnische orgelreise from punk to punk oder: jak punk to punkeine kurzreise durch mehr als 30 jahre alexander punk P in polen pehlemann 35 p heft N 12 musik olski Punk’s not dead. Aber dass auch er mittlerweile schwer an der Zeit trägt und seine Protagonisten der ersten Stunden ins gehobene Alter kommen, ist unübersehbar. Beispielsweise beim Jubiläumskonzert der legendären Hardcore-Punkband Armia, die im Frühsommer mit Weggenossen und Vorläufern stolze 25 Jahre stürmischer Existenz feierte. Bei striktem Alkoholverbot und 40 Grad sprangen sich vor der Bühne begeisterte Jungpunks und bierbäuchige Althelden in die Seiten, während ein Blick vom oberen Rand des Amphitheaters im Warschauer Sowiński-Park so manche Halbglatze bei nostalgisch-energischem Kopfnicken offenbarte. Was dem Abend keinen Abbruch tat — warum auch? Punk wird historisch, ist längst ausdifferenziert und steht als Stilangebot und Grundgefühl zur freien Verfügung. Entsprechend war die Bandbreite, in der sich diverse Entwicklungen von mehr als 30 Jahren Polen-Punk widerspiegelten. Von der Reggae’n’Wave-Revival-Version der 1978 gegründeten Kryzys, die gerade ihr Debütalbum Kryzys Komunizmu vorlegten, dem druckvoll aufgewer- punk in polen Jak Punk To Punk dt. Wenn Punk, dann Punk KSU 1978 gegründet; der Name stammt vom damaligen Autokennzeichen für Ustrzyki Dolne, der Stadt, in der die Band gegründet wurde; spielt bis heute. teten Oldschool-Punk von Deuter oder dem noch immer brachialen Hochgeschwindigkeits-Hardcore von Moskwa über mit punky Energie groovenden Reggae von Izrael bis zum schwergewichtigen Alternative Rock der katholischen Propaganda-Supergroup 2TM2,3, dazwischen diverse Line ups von Armia, die den Sound vom mythisch-hymnischen Punk der Mitt-80er bis zu den Metal-Sounds und Psychedelic Art Rock-Anleihen des Jetzt führten. All das in einem wechselseitigen Besetzungsgeflecht, dessen Erläuterung mit allen Hintergründen Bücher füllen könnte und sollte. Ursprunge & Urgrunde Wem die Ehre gebührt, tatsächlich der erste wahre polski Punk gewesen zu sein, ob der Walek Dzedzej Pank Bend als dylanesker Proto-Punkvariante oder KSU im weit entfernten Ustrzyki Dolne, die in südöstlicher Abgeschiedenheit kurze Zeit dachten, sie wären die einzigen Punks im 36 37 p heft N 12 musik p heft N 12 musik Land — das sei dahin gestellt. Der aus UK medial eingeschleppte Virus brachte jedenfalls 1977/78 erste zarte Punkpflänzchen zum Sprießen — Disteln im rissigen Beton der krisenhaften Spät-70er, einem guten No Future-Nährboden für widerspenstige Youngster und notorische Hipster-Bohemiens. Letztere insbesondere in den Warschauer Kunstkreisen um die Galerie Remont, wo unter der Ägide von Piotr Rypson und Henryk Gajewski bereits im April 1978 die britische Frauen-Punk-Band The Raincoats auftrat. Die nicht nur authentische Anti-Virtuosität zelebrierte, sondern auch pinke Haarfarbe hinterließ, die sich im Haar von Tomek Lipiński wiederfand, einem der Erste-Stunde-Punks der Stadt und bald Begründer der Band Tilt. Jener erinnert sich in dem aktuellen Dokumentarfilm Beats Of Freedom an den Einbruch von Punk als besonders existenziell, war doch »plötzlich das ganze Leben Kunst!«. Denn wenn auch Punk zunächst nur importierte Mode war, deren Nachahmung eine Improvisationsmaschinerie an gewitztem Do-it-yourself in Gang setzte, stellte sich doch bald heraus, dass hier besondere Hingabe gefordert war, Mut zum radikalen Risiko, zum Dasein als totale Provokation. Womit man sich mehrfach zur Zielscheibe machte. Denn Punk stand sowohl absolut konträr zum proklamierten Bild eines sozialistischen Jugendlichen als auch zum teils nicht wesentlich weniger konservativen Wertesystem der eventuell oppositionellen Eltern, deren sich bald in der Solidarność formierender Widerstand ja oft genug national-katholische Grundierung hatte. Und so verhielt sich die legendäre Sicherheitsnadel, von der Gdańsker Band Deadlock als Erkennungssymbol des Frühpunk besungen, zum Kruzifix ähnlich wie zur staatssozialistischen Emblematik sowjetischer Provenienz (der erst mit Gorbatschow späte Subversionskraft zukam). Von I’m A zu Victim Fallen, Of Fallen Safety Is PinBabylon Erstes Jarocin-Festival, 1980 Treffen der Hippies in Kazimierz nad Wisłą, 1969 Deadlock, Tilt und Kryzys bildeten eine inzestuöse Trias, die entscheidende Impulse für die weitere stilistische wie inhaltliche Entwicklung gab und unumgehbare historische Meilensteine hinterließ. Nicht zuletzt auf Vinyl. Wenn auch zuerst nur im Westen. Marc Boulet, ein französischer Punk, machte während eines Polen-Trips Demo-Aufnahmen von Deadlock und Kryzys und veröffentlichte beide 1981 in Frankreich, pikanterweise auf einem Label namens Blitzkrieg. Und selbst die aus ihnen hervorgehende Allstar-Gruppe Brygada Kryzys fand sich, wenn auch unabsichtlich, zuerst in UK auf einem heute extrem raren Bootleg ihres ersten Konzerts wieder. Allerdings in schlechtem Sound — war doch der Techniker nach zu viel Marihuana am Mixer eingeschlafen. Denn Reggae war wie in Great Britain der rebellische Bruder des polski Punk — wie sonst nirgendwo in Europa. Wilde Sounds, wilde Tage: Solidarność auf der kurzen Höhe der Macht, das Land von Streiks erschüttert, das System im Wanken. Die in Jugoslawien entstandene und heute verschollene erste Aufnahme von Brygada Kryzys erweist sich da als Prophetie: »Wojna!«/»Krieg!«. Kurz darauf verhängt Jaruzelski das Kriegsrecht: Ausgangsperren, Polizeiterror, massive Verfolgungen. Bizarrerweise kann die Band trotzdem für das staatliche Tonpress-Label ihr Debüt aufnehmen, als Testband des labeleigenen Studios. Das situative Gefüge ist diesem 82er Black Album anzuhören: klaustrophobische Psychosounds mit schneidenden Gitarren in dunkel vibrierenden Grooves. Exemplarisch ist vor allem der letzte Track Fallen Fallen Is Babylon. Eine infernalisch gipfelnde Orgie, die in scheppernde Geräuschhaufen fällt als der Turm von Babylon endlich stürzt ... hier der von den Sowjets Anfang der 50er in das zerstörte Warschau geklotzte Kulturpalast, Wahrzeichen der Macht. Alttestamentarisches Vokabular war dabei durchaus geläufig, wie Lipiński erläutert: »Diese biblischen Begriffe waren schon Teil des gesellschaftlichen Bewusstseins. Aber Rasta sieht den Vatikan ja auf der Seite des Bösen. Wir sahen das durchaus ähnlich und konnten die Opposition zur Kirche mit deren Sprache ausdrücken. Und die Reggae-Lyrics wurden automatisch decodiert. Die Unterdrückung der späten 70er, die der 80er, das Kriegsrecht ... — das war Babylon!« punk in polen Nikt Nic Nie Wie dt. Keiner weiß was Widerstand als Kolaboracja Die Repressionswelle des Kriegszustands brachte das öffentliche Leben zwar zum Erliegen, aber das hielt Punk kaum auf, ganz im Gegenteil. Gründe für Wut und Verzweiflung gab es schließlich genug. Zudem war dem Staat beim Kampf mit der politischen Opposition anscheinend die Kultur entglitten, bei aller Zensur und partiellen Verfolgung. Selbst das 1980 ins Leben gerufene Rock-Festival in Jarocin, jährliches Mekka für tausende Punks und andere Freaks, ging unbehelligt weiter und bekam kleine Geschwister wie Poza Kontrola oder Robrege. Tonpress ließ Brygada Kryzys grandiose Platten wie die Art Wave-Band Republika oder das Debüt von Izrael folgen und veröffentlichte sogar eine Single der Anarcho-Punks Dezerter — allerdings erst, nachdem jene ihren ersten Namen SS 20 ablegte, hießen doch die sowjetischen Atomraketen so. Dass den Zensoren mit Spytaj Milicjanta ein mit Überaffirmation spielendes Spottlied auf die Miliz durchrutschte, dürfte sehr zum großen Erfolg der Platte beigetragen haben. Der dann so sehr Sorge machte, dass man eine Nachauflage verwarf und die Restexemplare vernichtete. Erst 1987, als in den USA illegal die Dezerter-Compilation Underground Out Of Poland erschien, kam das Debüt, und auch jenes nur limitiert beim Plattenklub Razem, selbstironisch betitelt mit Kolaboracja. Alles Dinge, die in anderen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang undenkbar waren. Kein Wunder, dass den Mitgliedern der mit Armia tourenden DDR-Punkband Feeling B in den Sinn kam, nach Polen umzusiedeln. Das kurz durch Beats of Freedom huschende Glücks-Grinsen des heutigen Rammstein-Gitarristen Paul Landers sagt da viel ... Past, Present & (No No) Future Punk und seine Nachläufer wie Nachbarn hatten Ende der 80er ihren Höhepunkt. Davon künden Filme wie Fala und der gleichnamige Sampler oder die Compilation Jak Punk To Punk sowie zahlreiche andere Platten. Die sich potenzierenden Möglichkeiten nach Systemwechsel gaben diesem Schwung noch einmal ganz neue Verwirklichungsebenen, am besten wohl der Armia-LP Legenda anzuhören oder der ersten LP von Post Regiment, beide produziert vom Armia-Gitarristen Robert Brylewski in seinem Goldrock-Studio, dessen Vita ja auch Kryzys, Brygada Kryzys und Izrael führt. Aber die Orientierung im neuen System fällt schwer, real lebens-ökonomisch wie inhaltlich. Strukturen kommen und zerbrechen, zudem wechseln die Positionen. Zum Beispiel bei Armia hin zu orthodoxem Katholizismus, was sowohl Anfang der Christ Core-Bewegung ist als wohl auch Brylewskis Weggang veranlasst. Die Szene zersplittert, jedes Subgenre findet seine Nische und neben den vielen Bands, die Punk oder Hardcore heute verschiedenartig verkörpern, sei es Oi!-Streetpunk bei den Analogs oder politisch aktivistischer (Post) Hardcore wie bei El Banda, Eye For An Eye oder Włochaty, finden sich auch tapfer ums Überleben kämpfende Label und/oder Fanzines wie Pasażer, Jimmy Jazz/Garaz oder Nikt Nic Nie Wie. Ein Nachvibrieren jenes widerständigen Geistes, für den Punk stand und partiell noch immer steht, findet sich zudem auch in anderen Feldern, im freien Jazz, in der Noise-Szene oder Teilen der heutigen Reggae-Generation. In Polski diesem Punk´ s Sinne: not dead. struktur der landschaft polnischer jazzjan hanisch 39 E p heft N 12 musik s ist ein verregneter Oktobertag 2006, ein Taxi hält vor dem Leipziger Bahnhof, Lars Danielsson und Leszek Możdżer steigen aus, um sich gegenüber im Hotel noch etwas frisch zu machen; am Abend werden sie vor einem vollen Opernhaus ein fesselndes Konzert geben. Możdżer wirkt lässig, grinst und ist überhaupt sehr jung dafür, dass er gerade mit seinen beiden, nur in Polen veröffentlichten Platten, doppelt Platin bekommen hat. Auf Between Us And The Light und The Time ist er zusammen mit Lars Danielsson und dem israelischen Perkussionisten Zohar Fresco zu hören. In Polen, genießt er seither einen Status, den sonst nur Pop-Stars erreichen; er gehört zu den Großen des polnischen zeitgenössischen Jazz. Możdżers Karriere ist beeindruckend: mit fünf Jahren bekommt er Klavierunterricht, später studiert er Musik in Danzig, 1991 beginnen die ersten Proben mit der Gruppe Miłość, die nur ein Jahr später in einen ersten Preis beim Junior Jazz Festival in Krakau gipfeln. Viele andere Preise folgen; zwischen 1993 und 1999 wird Możdżer vom polnischen Fachmagazin Jazz Forum durchgehend zum besten Pianisten gekührt, er komponiert für Theater sowie Film und bekommt von vielen Jazzkollegen Angebote zur Zusammenarbeit. 2003 spielt er ein Konzert in Warschau, trifft zum ersten Mal auf Lars Danielsson und ist beeindruckt von dessen Fähigkeiten. Nach dem Konzert tauschen die beiden Musiker ihre Telefonnummern aus. In einem Interview mit Jazzthetik liest sich das so: »Danielsson schreibt Możdżer jazz in polen Miłość dt. Liebe; Jazzband; 1988 in Dreistadt gegr.; Mitglieder: Tymon Tymański, Mikołaj Trzaska, Leszek Możdżer, Jacek Olter, Maciej Sikała; löste sich 2002 nach dem Selbstmord von Jacek Olter endgültig auf; eine Art Fortführung des Projektes ist das Tymański Yass Ensemble. seine Telefonnummer auf einen Zettel. Der Zettel verschwindet in der Hosentasche und die Hose in der Waschmaschine ... .« Jazzer verabreden sich öfter nach Konzerten, ohne dass daraus gleich etwas entsteht. Możdżer glaubt, dass er nie wieder etwas von Danielsson hören würde, ein paar Monate später ruft dieser jedoch an. Aus diesem Treffen entsteht eine langjährige musikalische Freundschaft, die sich auf produktive Weise auf vielen CDs und Konzerten manifestiert hat. Danielsson kommt aus der Klassik, studiert zunächst Cello und Kontrabass in Göteborg, hört Rockmusik, verehrt Jimi Hendrix und Santana. Auch Możdżer ist begeistert von Genres außerhalb des Jazz. Besonders eine Komposition vereint diese Vorliebe beider Musiker: die Reinterpretation des alten Nirvana Kult-Hits Smells Like Teen Spirit, zu hören auf The Time. Hier kann der Hörer buchstäblich fühlen, wie Możdżer die Genregrenzen öffnet und mit ihnen spielt; zugleich wird der Blick geschärft für dieses außergewöhnliche Duo. In den vergangenen zwei Dekaden ist im polnischen Jazz viel passiert und ein Rückgang an Energie ist nicht zu erkennen. Es gibt eine ganze Reihe solider und erfahrener Jazzmusiker, wie Tomasz Stańko, Michał Urbaniak, Adam Makowicz oder eben Leszek Możdżer. Daneben gibt es aber auch Neuzugänge, wie Pink Freud, Robotobibok oder das Contemporary Noise Sextett, die auch außerhalb Polens bekannt sind. Der Musikmarkt ist erfrischend vielschichtig, was daran liegen mag, dass es unzählige Jazzkeller und Clubs, wie das Akwarium in Warschau oder 40 p heft N 12 musik das Alchemia in Krakau gibt. Darüber hinaus bietet Polen mehr als 60 Jazzfestivals, die Räume für Innovation eröffnen und auch jungen Bands die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren. Der polnische Jazz speist seinen Ursprung jedoch nicht ausschließlich aus der verbreiteten Club- und Festivaltradition. Entscheidend ist seine Entstehungsgeschichte. Zu Zeiten des Ostblocks bildete der Jazz in Polen eine eigene Subkultur und Szene aus. Jazz wurde gleichgesetzt mit einer dissidenten Haltung gegen staatliche Repression und einer Form des Widerstands. Jazz selbst ist eine politische Musikform, die immer schon mit Freiheit und Befreiung assoziiert wurde. Orte des Jazz waren vor allem Keller und während der Stalinzeit auch Privatwohnungen. Diese so genannte Katakombenzeit prägt den polnischen Jazz bis heute und bildete den Beginn eines eigenen polnischen Sounds. Die bekannteste Band der Zeit war Melomani, sie spielten eine Art Jazz, die wohl in den westlichen Clubs keine Anhänger gefunden hätte. Abgeschnitten von den Aufnahmen aus dem Westen, gab es eine verbreitete Tapekultur: Radiosendungen jenseits des Eisernen Vorhangs wurden mitgeschnitten, Magnettonbänder geschmuggelt. Die polnischen Jazzmusiker ahmten diese Musik nach und nannten sie Jazz. Der Fangemeinde tat das aber keinen Abbruch, denn Jazz war verrucht, illegal, und so stand das Werk mitunter nicht im Mittelpunkt, sondern der Ort. Schon mit Beginn des Kalten Krieges war seitens der Amerikaner der Jazz als »Waffe« entdeckt worden. Die tägliche Radiosendung Voice of America lief ab 1955 und wurde von Willis Conover moderiert. Es gibt Stimmen, die behaupten, Conover hätte maßgeblich zum Fall des Kommunismus beigetragen. Fakt ist, dass Conovers Sendung von vier Millionen Hörern im Ostblock konsumiert wurde. Diese hohe Zahl erklärt sich wohl auch damit, dass Conover sich mit antikommunistischen und proamerikanischen Statements zurückhielt. Ein Jahr später folgte dann eine eigene polnische Radiosendung — to jest jazz [dt. Das ist Jazz]. In die Mitte der fünfziger Jahre fällt die Wiederauferstehung des polnischen Jazz mit dem ersten Krakauer Allerseelen-Jazz-Festival [Zaduszki jazzowe], dicht gefolgt vom legendären Jazzfestival 1956 in Sopot, zu dem rund 25.000 Menschen kamen. Historisch ist diese Zeit bestimmt durch die Tauwetter-Periode nach Stalins Tod. Jazz tritt aus den Katakomben heraus an die Öffentlichkeit. Heute ist der polnische Jazz fester Bestandteil der internationalen Musiklandschaft — dieses Jahr hat als erste polnische Jazzsängerin die 1976 in Warschau geborene Aga Zaryan einen Deal beim Blue Note Label abgeschlossen. Im März ist ihr nunmehr fünftes Album Looking Walking Beeing erschienen. Zaryans Stimme ist warm und sanft, mit leichtem Rauch, sie erinnert an die Stimmen von Jazz-Vokalistinnen wie Shirley Horn oder auch Dianne Reeves. Mit ihrem Platin gekürten Album Picking Up The Pieces von 2006 erarbeitet sich Zaryan nicht nur ihren Status als erfolgreiche polnische Jazzsängerin, sondern betritt nunmehr internationales Parkett und wurde drei Jahre in Folge zur besten weiblichen Jazzsängerin gekürt. Einen großen Scoop hat Aga Zaryan auch mit der Doppel CD/DVD Live At The Palladium gelandet; ein Konzertmitschnitt aus Warschau. Das Besondere an der Aufnahme ist die Besetzung der Band, denn Zaryan geht dabei den ungewöhnlichen Weg, nur Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug einzusetzen. Die eindrücklichsten Stücke sind die, bei denen ihre Stimme ausschließlich durch den Bass begleitet wird. Das Duo Stimme und Bass ist ein Muss für jeden, der Vokaljazz liebt. Internatio- jazz in polen nale Stars aus Polen sind mittlerweile bei Blue Note, ACT oder, wie im Falle des jungen Marcin Wasilewski Trios, beim Münchener Edellabel ECM angekommen. In Polen wurde inzwischen eine enorme Anzahl von Labels gegründet, wie NotTwo, Monotype Records oder GOWI Records, das seinerzeit die erste Scheibe von Miłość herausgebracht hat. Je länger man sich mit der Jazzszene in Polen beschäftigt, desto mehr gibt es zu entdecken; fast explosionsartig sind in den vergangenen Jahren neue Musikgruppen entstanden. Bemerkenswert ist die Experimentierfreude an Mischungen aus Jazz und anderen Musikgenres. Psychedelische und experimentelle Musik ist das Label, unter dem viele Combos ihre Musik versammeln — zum Jazz ist es dann nicht mehr weit, und die Anlehnungen sind unüberhörbar. Die Struktur der Landschaft zwischen traditionellem oder klassischem Jazz à la Zaryan oder Stańko und dem experimentellen von Gruppen wie beispielsweise dem Contemporary Noise Sextett profitiert auch davon, dass es in unmittelbarer Umgebung zu Polen Pendants gibt. Wirft man einen Blick über die Grenze nach Tschechien, findet man hier ebenfalls eine rege Jazzkultur, zum Beispiel mit der Band NUO, die unprätentiös leicht und mit Sinn für Humor daherkommt und sich als Big Beat und Jam Band versteht. Titel wie Tatort oder Dixie sind unverkennbare Anspielungen, man darf nur nicht erwarten, dass sie ernst gemeint sind. Dixie ist ein Stück, das auf Wah-Wah Effekte setzt und die Bläser im Hintergrund mit Ska-Rythmen ausstattet, Tatort besticht durch seine Bläserarrangements im Hintergrund und einen treibenden Basslauf, der unterbrochen wird durch Sprechgesang — sehr frisch und, im besten Sinne des Wortes, frech. Wer es melodisch und weniger hip mag, kommt um das Trio des Bassisten Robert Balzar nicht herum, das 2008 mit dem New Yorker Gitarristen John Abercrombie ein neues Album eingespielt hat. Über die Jahre hat Balzar mit zahlreichen internationalen Jazzgrößen zusammengearbeitet, wie unlängst mit Abercrombie oder Wynton Marsallis. Greift man sich irgendeines der mehr als 20 Alben heraus, bekommt man »wonderful solos by all players« zu hören, schreibt der tschechische Journalist Petr Hanzl und gibt sogleich den entscheidenden Hinweis, dieses Trio unbedingt live sehen zu müssen. Ganz neu ist die Gruppe Face of Bass mit dem Bassisten Jaromír Honzák. Die Band ist sogar so frisch zusammengestellt, dass es noch kein CD-Material gibt. Honzák hingegen hat noch zwei weitere Formationen und ist schon ein alter Hase, der mit allen größeren Jazzern der tschechischen Szene zusammengespielt hat und in der Nachbarschaft auf den Leverkusener Jazztagen und dem Jazz Jamboree in Warschau zu hören war. Die Jazz-Landschaft füllt sich — die Nachbarn laden sich gegenseitig ein und im Mikrokosmos zwischen den Ländern trifft man sich, verabredet sich und mischt die Stile. Ein fließender Übergang zwischen dem gesetzten Musikmarkt rund um CDs, große Labeldeals und den nebenher laufenden Independent-Strukturen, ist etabliert. Der Jazz nimmt Fahrt auf und schafft sich eine eigene Landkarte. Eine, die ständig in Bewegung ist. Entspannt und günstig nach Polen. Mit dem Europa-Spezial reisen Sie bereits ab 39 Euro für die einfache Fahrt in der 2. Klasse. Auf bestimmten Strecken sogar noch günstiger, zum Beispiel Berlin–Poznań ab 19 Euro oder Berlin–Warszawa ab 29 Euro. Mit der BahnCard 25 erhalten Sie zusätzlich 25 % Rabatt. Familienkinder unter 15 Jahren reisen kostenlos mit. Das Europa-Spezial gibt’s überall, wo es Fahrkarten gibt und unter www.bahn.de. Nur solange Vorrat reicht. Die Bahn macht mobil. In Kooperation mit: folk made in poland margret kutschke 43 E p heft N 12 musik s wird wieder gefiedelt in Polen, gesungen, getrommelt, gezupft und getanzt. Vor allem im Sommer ist Folksaison auf vielen kleinen und größeren Festivals und Konzerten, besonders in der Provinz. Selbst beim Woodstock-Festival — gratis und unter freiem Himmel, in Kostrzyn an der deutsch-polnischen Grenze — spielten in diesem Jahr erstmals ganze drei Tage lang Folkbands auf einer eigenen Bühne. Der noch recht junge Folk made in Poland ist in den letzten Jahren eine feste Größe in der Musiklandschaft geworden und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Ende der 80er Jahre tauchte der Begriff »Folkmusik« überhaupt zum ersten Mal in Polen auf. Eine Gruppe musikbegeisterter Studenten aus Lublin fuhr damals regelmäßig zum Wandern in die südostpolnischen Berge — in die Bieszczady, in die Niederen Beskiden. »Dort haben wir die lemkische Kultur kennengelernt — das hat uns fasziniert«, sagt Agnieszka Matecka, damals mit dabei und fast von Anfang an Managerin der Band Orkiestra Świętego Mikołaja [St. Nikolaus Orchester], die aus jener Studentengruppe hervorgegangen ist. Auf ihren Fahrten in die entlegenen Berggebiete entdeckten die Studenten alte Lieder aus der Region. »In Polen fanden damals Festivals des ›touristischen Liedes‹ statt, folk in polen Lemken russinischer Volksstamm in der historischen Region von Galizien bewohnt und vorwiegend Viehzucht und Handel betreibt. Huzulen halbnomadisch lebendes russinisches Bergvolk in den Karpaten. die sehr beliebt waren. Dort führten Musiker ihre selbstgeschriebenen Lieder auf. So etwas hatten wir nicht, aber wir beschlossen, statt dessen dort mit Volksmusik, mit lemkischer Musik aufzutreten«, so Agnieszka Matecka. Zu den lemkischen kamen nach und nach auch polnische und huzulische Stücke. Die abgelegenen Bergregionen, die Gebiete Zentral- und Ostpolens, die »Kresy«, ehemals polnische Gebiete, die heute jenseits der östlichen Grenzen Polens liegen, sind die Orte musikalischer Inspiration für polnische Folkbands. Das Orkiestra Świętego Mikołaja findet sein Material in ethnographischen Archiven der entsprechenden Regionen. »Die Ethnographen des 19. Jahrhunderts haben dermaßen gute Arbeit geleistet und so viele Lieder gesammelt, dass es wohl bis zu unserem Lebensende reicht«, sagt Agnieszka Matecka. »Wir nennen das, was wir machen, auch ›Traditionslaboratorium‹ — wir holen altes Archivmaterial wieder ans Licht und bearbeiten es neu.« Das Orkiestra Świętego Mikołaja gilt bis heute als Wegbereiter des Folks in Polen. Es bedient sich einer volkstümlichen Gesangstechnik — dem sogenannten »weißen Gesang«, ein Schreigesang, der in der Folkloremusik mancher osteuropäischer Länder verwendet wird. »Wir haben uns zunächst am Gesang aus der Ukra- -ine 44 45 p heft N 12 musik p heft N 12 musik folk in polen noch gibt siehe Artikel S.18 Marek Grechuta 1945 – 2006; Sänger, Dichter, Komponist, Maler; seine Musik zeigt Einflüsse der progressiven Rockmusik und der Jazzmusik; verarbeitete Texte von Poeten der polnischen Literatur, weshalb seine Musik auch zur Gesungenen Poesie gerechnet wird. Gadki z Chatki dt. etwa: Gerüchte aus dem Bauernhaus; erscheint seit 1996. Ukra- Trebunie Tutki und Twinkle Brothers Orkiestra Świętego Mikołaja Kroke Warsaw Village Band Sierra Manta ine orientiert, und erst danach entdeckt, dass es das auch in Polen gab und zum Teil noch gibt. Manchmal findet man alte Menschen, die diese Technik noch beherrschen.« Die Band kombiniert den weißen Gesang mit typischen Folk- und Folkloreinstrumenten unterschiedlicher Regionen. Zum Beispiel mit der Dotar, einer langhalsigen, zweiseitigen Laute aus Zentralasien, und dem Zymbal, einem Hackbrett ähnlich der Zither, das vor allem in Osteuropa und im Alpenraum verbreitet war. »Wir sind keine Puristen«, sagt Agnieszka Matecka, und meint damit, dass im St. Nikolaus Orchester nicht die originalgetreue Wiedergabe von Folklorestücken, sondern die eigene Interpretation, die Weiterentwicklung alter Stücke, im Vordergrund steht — das unterscheidet modernen Folk von Folklore. Musiker, die Folkmusik gespielt haben, gab es vor dem Orkiestra nur wenige. Es begann in den 70ern. Nummer eins war die Gruppe Osjan, ein Vorreiter der polnischen Weltmusik — auch wenn die Musiker sich selbst nie so bezeichnen würden. Sie treten bis heute gelegentlich auf. Gründungsmitglied Jacek Ostaszewski kommt selbst aus der polnischen Jazzszene der sechziger Jahre und wirkte sogar bei zwei Plattenaufnahmen des polnischen Kultsängers Marek Grechuta als Kontrabassist mit. Immer wieder gefragt, was für Musik Osjan eigentlich mache, nannten die Musiker das Ganze selbstironisch »Musik der fliegenden Fische«. Dagegen bezeichnete die Folkband Kwartet Jorgi — vier Schulfreunde aus Poznań — ihren Stil als »grüne Musik«. Sie kombinierten slawische Folklore mit Weltmusik, vor allem keltischer Folklore. Da keimte etwas, was nicht Mainstream war. Einheimische Folklore war für die Masse eher uninteressant — zu altmodisch und rückständig, oder von staatlicher Seite vereinnahmt. Es waren vor allem junge Intellektuelle aus der alternativen Szene, die sich dem Folk zuwandten. »Wir waren die ersten, die die Bezeichnung ›Folk‹ benutzt und populär gemacht haben«, sagt Agnieszka Matecka vom Orkiestra Świętego Mikołaja, »und das nicht nur durch unsere Musik, sondern auch durch das Festival Mikołajki Folkowe oder das Folkmagazin Gadki z Chatki.« Damit waren Grundsteine für eine rasante Entwicklung gelegt, die Ende der achtziger Jahre begann — und nicht zufällig mit der politischen Wende und den daran anschließenden Jahren der Veränderung zusammenfiel. Die neuen Bedingungen, die Suche nach der eigenen Identität und die Orientierungslosigkeit veranlasste manche, sich stärker mit der eigenen Tradition auseinanderzusetzen, etwas Eigenes zu finden bzw. für sich zu schaffen. Für das Orkiestra Świętego Mikołaja ist es die Musik längst vergessener Kulturräume und Landstriche, die sie aufarbeiten und neu aufbereiten. Besonders in den 1990er Jahren waren sie mit ihrer rein akustischen Musik Vorreiter für viele andere Bands. Der Musikjournalist und Autor des polnischen Folk-Lexikons Wojciech Ossowski spricht sogar von einer »Orkiestra-Strömung« in der polnischen Folklore. Die Band Kroke ist ein ganz anderes Beispiel für die erwachende polnische Folkszene. Die drei ehemaligen Krakauer Musikstudenten erschlossen sich Anfang der 90er Jahre als erste Band die jüdische Tradition Polens, indem sie jiddische Lieder und vor allem Klezmer vertonten, interpretierten und um andere Elemente bereicherten. In einem Lokal im Krakauer Stadtteil Kazimierz wurden sie von Regisseur Steven Spielberg entdeckt, der gerade in Krakau den Film Schindlers Liste drehte. Er lud sie ein, in Jerusalem bei der Survivors Reunion zu spielen, einem Treffen der Menschen, die durch Schindlers Liste gerettet wurden. Dieser erste Kontakt und ihre musikalische Entwicklung zwischen traditionellem Klezmer und Avantgarde-Musik bescherte ihnen eine internationale Karriere, Kooperationen mit Peter Gabriel und Nigel Kennedy sowie prestigeträchtige Preise. Ende der 90er Jahre schließlich gründet sich die Kapela ze Wsi Warszawa, die über die Grenzen Polens hinaus auch als Warsaw Village Band bekannt geworden ist. Ein Experiment, Tradition und Avantgarde zu mixen, das die Musiker gern auch als »Hardcore-Folk« bezeichnen. Eine Gruppe Warschauer Freunde, zum Teil aus der Punkszene, begann, sich für die Musik aus ihrer zentralpolnischen Heimatregion Mazowsze [Masowien] zu interessieren und diese zu spielen. Die Musik kannten sie teils aus eigener Erfahrung, von einigen wenigen alten Musikern ihrer Herkunftsregion, die traditionellerweise vor allem zu Hochzeiten spielten und von denen es heute nur noch sehr wenige gibt. Bis zu diesem Zeitpunkt existierte kaum eine Band, die sich der musikalischen Kultur dieser Region angenommen hätte. Unter anderem aus diesem Grund wurden schon ihre ersten Auftritte, zum Beispiel auf dem ersten Folkmusikfestival Nowa Tradycja [Neue Tradition], oder ihr erstes Album Hopsasa zum Erfolg. Besonders am Anfang arbeiteten sie mit altertümlichen polnischen Folklore-Instrumenten, zum Beispiel der Suka, einer polnischen Zupfgeige. Der internationale Erfolg setzte schließlich mit der Veröffentlichung ihrer Platte Peoples Spring beim deutschen Plattenlabel JARO medien ein. Ab diesem Zeitpunkt trat Kapela ze Wsi Warszawa unter dem englischen Namen Warsaw Village Band auf. 2004 erzielten sie ihren bisher größten Erfolg — sie gewannen den BBC Radio 3 Award für Weltmusik. Wojciech Krzak, Geiger bei der Warsaw Village Band, erklärt den Erfolg der Band im Ausland: »Wir machen originelle Musik, die es im Ausland nicht gibt. Wir sind exotisch. Endlich gibt es im Westen Exotik aus Osteuropa — aber mit Popkultur gemischt.« Zunehmend öffnet sich die Band auch anderen Stilrichtungen und wird experimenteller. Crossover-Experimente in der polnischen Folkszene haben Tradition: bereits Anfang der neunziger Jahre initiierte der Musikjournalist und Folkmusik-Produzent Włodzimierz Kleszcz eine Koproduktion der traditionellen goralischen Musikerfamilie Trebunie Tutki mit der jamaikanischen Reggaeband Twinkle Brothers — damals eine Premiere auf dem polnischen Musikmarkt! Die Warsaw Village Band, deren erstes Album ebenfalls von Kleszcz produziert wurde, arbeitet auch mit Künstlern anderer Musikstile zusammen: für das Album Infinity zum Beispiel mit der polnischen R&B-Sängerin Natalia Przybysz, oder für die Platte Upmixing mit namenhaften DJs und Produzenten, unter anderem dem Warschauer Soundstudio As one. Dadurch findet ihre Musik sogar einen Weg in Klubs und Diskotheken. Wojciech Krzak beschreibt 2009 in einem Interview für das World-Music Magazin fRoots: »Die polnische Tradition inspiriert uns, aber wir sind nicht sehr bemüht, sie lebendig zu halten. Ich weiß, dass wir für viele Polen, besonders im Ausland, eine Band sind, die ihnen ein Heimatgefühl gibt — sie schließen ihre Augen und können ihr Land sehen. Das ist großartig, fantastisch. Aber unsere Musik ist heute zukunftsorientierter als früher. Ich denke, deswegen ist die Warsaw Village Band in Polen selbst inzwischen beliebter als noch vor einigen Jahren.« Die Begeisterung für Folkmusik — akustische und elektronische — nimmt zu, was man auch an den Zahlen der Newcomer auf Festivals sieht. Auf dem ersten Festival Mikołajki Folkowe 1990 gab es gar keinen Bewerber für den Amateurband-Wettbewerb, inzwischen liegt die Zahl bei jährlich 20 bis 30 Gruppen. Der polnische Folk holt Folklore aus der Vergessenheit, aus verstaubten Archiven zurück in die Gegenwart und schafft etwas Neues, Eigenes. Er konserviert nicht, sondern belebt. Das ist seine große Stärke und sein Wert. polen im herzen komponieren in der fremde. die klas sische musik polens als geschichte einer N kunst im exil frank harders-wuthenow 47 p heft N 12 musik »In einem Lande, dessen Nationalhymne, dessen Nationalepos, dessen Nationaldrama in der Emigration geschrieben wurden, kann das Wort ›Emigrant‹ nicht herabsetzend klingen.« Tadeusz Nowakowski icht allen Ländern Europas war es im 19. Jahrhundert gegeben, sich als unabhängige Nationalstaaten zu entwickeln. Kolonialismus war nicht nur ein Geschäft in Übersee: Nach der sogenannten dritten polnischen Teilung 1795 seiner staatlichen Souveränität beraubt, wurde Polen für mehr als 120 Jahre zum Spielball der (Un)heiligen Allianz Russlands, Preußens und Österreichs, die das polnische Territorium unter sich aufteilten und jegliche Unabhängigkeitsbewegung bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates 1918 mit Waffengewalt niederdrückten. Nach einer kurzen Phase nationaler Selbstständigkeit zwischen 1918 und 1939 machte Hitler Polen zum Schauplatz eines brutalen Vernichtungskrieges, dem fast zwanzig Prozent der polnischen Zivilbevölkerung zum Opfer fielen. Auf polnischem Territorium wurde mit der Vernichtung der europäischen Juden der größte Zivilisationsbruch der Menschheitsgeschichte begangen. Nach 1945 geriet Polen für fast ein halbes Jahrhundert unter das Joch der kommunistischen Diktatur. Des polnischen Literaturnobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz‘ (Quo Vadis) Formulierung, dass die Geschichte Polens seit dem 19. Jahrhundert identisch sei mit der Geschichte der an ihm verübten Verbrechen, behielt für fast zweihundert Jahre ihre Gültigkeit. komponieren in der fremde Was hatte das alles für eine Auswirkung auf das polnische Musikleben? Ein professionelles Musikleben kann sich nur entfalten, wenn die nötige Infrastruktur vorhanden ist: Musikschulen, Konservatorien, Hochschulen für die Ausbildung; Orchester, Opern und Konzerthäuser für die Praxis; Musikverlage, Musikwissenschaft und Musikpublizistik für Verbreitung der Werke heimischer Komponisten und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Musikkultur. Wo dies alles nicht existiert, bzw. behindert und zerstört wird, liegen Talente brach oder entwickeln sich notgedrungen im Ausland. »Gott, gibt es Dich? Wieso rächst Du Dich nicht! Reichen all die Moskauer Verbrechen noch nicht? Oder — oder bist Du selber Russe!« schrie(b) Frédéric Chopin in der Nacht vom 9. auf den 10. September 1831 in sein Tagebuch, als er in Stuttgart von dem blutig niedergeschlagenen Aufstand in Warschau erfuhr. Er wusste noch nicht, dass seine Reise, die ihn nach Paris führte, eine Reise ins Exil werden würde. Er sah seine Heimat nicht wieder. Und wie ihm ging es schließlich Legionen von polnischen Künstlern. »Die größten Schöpfer der polnischen Kultur im 19. Jahrhundert waren Emigranten«, und »auch im nächsten Jahrhundert entstanden die besten Werke extra muros Poloniae«, resümierte der polnische Schriftsteller und Widerstandskämpfer Tadeusz Nowakowski. Ironischerweise wurde ab circa 1850 neben Paris vor allem Berlin zur wichtigsten Anlaufstätte für die musikalische Elite Polens, wofür die ho- -he 49 p heft N 12 musik komponieren in der fremde ho- Ignacy Jan Paderewski he Qualität der Ausbildung an den verschiedenen öffentlichen und privaten Institutionen sowie die ungleich besseren Aufführungsmöglichkeiten für zeitgenössische Komponisten ausschlaggebend waren. Über mehrere Generationen hinweg vollzog sich ein regelrechtes »Hin-undzurück« zwischen Warschau und Berlin. Aus einstigen Studenten wurden bedeutende Lehrer, sodass sich auf dieser Achse des Kulturtransfers eine ununterbrochene Linie von Moniuszko bis heute ziehen lässt. Moniuszko, Schöpfer der polnischen Nationaloper Halka, studierte an der Berliner Singakademie, seine ersten Werke wurden in Berlin verlegt. Nach Polen zurückgekehrt, wurde er Lehrer unter anderem von Zygmunt Noskowski, der seine Studien wiederum bei Friedrich Kiel in Berlin vervollkommnete. Bei Noskowski, dem Spiritus rector des polnischen Musiklebens am Ausgang des 19. Jahrhunderts, Schöpfer der ersten polnischen symphonischen Dichtung Die Steppe, ging die musikalische Elite der folgenden Generation in die Lehre: Eugeniusz Morawski, Karol Szymanowski, Ludomir Różycki, Apolinary Szeluto und Grzegorz Fitelberg. Morawski, militanter Untergrundkämpfer, wurde 1908 wegen antirussischer Agitation verbannt und durfte nur dank eines hohen Lösegeldes ins Exil nach Paris, statt in die Verbannung nach Sibirien. Szymanowski und sein Freundeskreis begründeten ab circa 1905 in Berlin eine Sezessionsbewegung nach dem Vorbild des literarischen »Jungen Polen« und öffneten die polnische Musik den zeitgenössischen westlichen Avantgarden. Der dieser Gruppe nahestehende ältere Mieczysław Karłowicz, bedeutendster polnischer Symphoniker seiner Generation, hatte wiederum an Theodor Kullaks Berliner Akademie studiert und wichtige Uraufführungen durch die Berliner Philharmoniker erfahren. Bei Kullak ging auch Ignacy Jan Paderewski in die Lehre, der berühmteste Pianist und Klavierpädagoge seiner Zeit. Paderewski, der den größten Teil seines Lebens im Exil verbrachte, spielte eine herausragende Rolle bei der Wiedererlangung der staatlichen Souveränität Polens. Seinen Kontakten in die Spitzen der amerikanischen Politik ist es zu verdanken, dass sein »Memorandum über die polnische Frage« in Woodrow Wilsons 14-Punkte-Erklärung Eingang fand, welche die Grundlage des Versailler Vertrages bildete. Der 13. Punkt forderte die Wiedererrichtung des polnischen Staates, dessen erster Ministerpräsident — Paderewski wurde. Beinahe wäre es diesem gelungen, einen anderen damals weltberühmten polnischen Pianisten und Komponisten in sein Kabinett zu holen, den in New York ansässigen Zygmunt Stojowski, der es allerdings vorzog, im Exil und bei seiner Profession zu bleiben. Stojowski, 1870 in Strzelce geboren, studierte bei Władysław Żeleński (dem Vater des berühmten Schriftstellers Tadeusz Boy-Żeleński, der 1941 in Lemberg von den Nazis ermordet wurde). 1887 siedelte Stojowski nach Paris über, wo er Léo Delibes’ Lieblingsschüler wurde, der ihn sogar adoptieren wollte, um ihm die Teilnahme an dem ausschließlich französischen Staatsbürgern vorbehaltenen »Prix de Rome« zu ermöglichen. Ein Lieblingsschüler Franz Liszts wiederum war der begnadete Pianist und Komponist Juliusz Zarębski, Jahrgang 1854. Er hatte in Wien, St. Petersburg, Rom und Weimar studiert und wurde mit 26 Jahren als Professor für Klavier an das Brüsseler Konservatorium berufen. Er verstarb 31-jährig an Tuberkulose und hinterließ ein kleines aber feines und vielversprechendes Oeuvre, darunter ein hinreißendes Klavierquintett und hochinteressante Klaviermusik, stilistisch zwischen spätem Liszt und frühem Skrjabin angesiedelt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbesserten sich die Arbeitsbedingungen für Musiker in Polen, und dennoch riss der Strom der Exilanten nicht ab. Waren nach der Staatsgründung 1918 die Lehr- und Wanderjahre nicht mehr erzwungen, so folgte man nun dem Beispiel Szymanowskis, der wieder einmal gezeigt hatte, dass der Weg zu einer eigenständigen nationalen Kultur auf Weltniveau möglicherweise nur auf dem Umweg über das Leben in der Fremde, in der Auseinandersetzung mit dem »Anderen« möglich war. Noch einmal wurde Berlin in den zwanziger Jahren zum Stützpunkt für eine Gruppe polnischer Musiker, was der charismatischen Erscheinung des Österreichers Franz Schreker zu verdanken ist. Der damals meistgespielte Opernkomponist deutscher Sprache neben Richard Strauss — Freund und Vorbild auch für Szymanowski übrigens — übernahm 1920 die Direktion der Berliner Musikhochschule und scharrte eine ganze Reihe hochbegabter polnischer Komponisten, Pianisten und Dirigenten als Schüler um sich: Karol Rathaus, Jerzy Fitelberg (Sohn des oben genannten Komponisten und später weltberühmten Dirigenten Grzegorz Fitelberg), Ignace Strasfogel, Artur Rodziński und Joseph Rosenstock, die im Musikleben der Weimarer Republik eine herausragende Rolle spielten und — alle fünf waren jüdischer Abstammung — nach 1933 in die USA emigrieren konnten. Doch eigentlich war es Szymanowskis Behauptung, dass »eine große Musik auch auf einer anderen Grundlage als im Kreis der deutschen ›Sensibilität‹ entstehen« könne, die für die nächste polnische Komponistengeneration zur Maxime wurde. Folgerichtig zog es sie nach dem 1. Weltkrieg in das Paris der Ballets Russes, der Groupe des Six und des Néoclassicisme. Alexandre Tansman, 1897 in Łódź geboren, machte den Anfang, als er 1919 in die Seine-Metropole übersiedelte, nachdem er — kurioser Fall der Musikgeschichte — beim ersten Nationalen Polnischen Kompositionswettbewerb mit mehreren eingereichten Kompositionen alle Preise abgeräumt hatte, den zweiten und dritten unter Pseudonym. Tansman avancierte in den 20er Jahren zu dem vermutlich weltweit meistaufgeführten Komponisten seiner Generation. Von 1926 an unterstützte er die von Piotr Perkowski ins Leben gerufene »Association 50 p heft N 12 musik komponieren in der fremde Władysław Szpilman Karol Szymanowski, Paweł Kochański, Grzegorz Fitelberg Szymon Laks Grażyna Bacewicz 53 Grzegorz Fitelberg Joachim Mendelson Roman Padlewski Zygmunt Stojowski p heft N 12 musik des Jeunes Musiciens Polonais«, in der sich eine große Gruppe junger polnischer Musiker und Komponisten zusammentat, die am Conservatoire oder bei der legendären Pädagogin Nadia Boulanger studierten. Manche blieben für immer, manche kehrten früher oder später nach Polen zurück, um am Aufbau des heimischen Musiklebens mitzuwirken. Zu letzteren gehörte etwa Grażyna Bacewicz, 1909 in Łódź geboren, die bedeutendste polnische Komponistin des 20. Jahrhunderts. Der 2. Weltkrieg bedeutete für ausnahmslos alle polnischen Musiker einen gravierenden Einschnitt in ihrer Biografie; für diejenigen jüdischer Abstammung führten die Fluchtlinien des Exils zumeist nach Amerika, wohin Hitlers langer Arm nicht reichen konnte. War es für die Dirigenten und Solisten meist leichter, auf fremder Erde Fuß zu fassen, hatten die Komponisten oft das Nachsehen, auch wenn sich die Sprachbarriere in der Musik naturgemäß weniger gravierend auswirkte als in der Literatur. Opfer des Holocaust wurde Joachim Mendelson, der in den zwanziger Jahren über Berlin nach Paris übergesiedelt und 1935 einem Ruf als Lehrer an das Warschauer Konservatorium gefolgt war. Er wurde 1943 im Warschauer Getto ermordet. Dem Holocaust entgehen konnte Andrzej Krauthammer, der, noch Kind, aus dem Warschauer Getto herausgeschmuggelt, im »arischen« Teil Warschaus versteckt gehalten wurde, unter dem Pseudonym Andrzej Czajkowski den Krieg überlebte und in den 50er Jahren als André Tschaikowsky eine Weltkarriere als Pianist machen sollte. Tschaikowsky studierte ebenfalls Komposition bei Nadia Boulanger in Paris, machte dann England zu seiner Wahlheimat und hinterließ ein kleines aber faszinierendes kompositorisches Oeuvre, das es wiederzuentdecken gilt, darunter eine bis heute nicht uraufgeführte Oper nach Shakespeares Kaufmann von Venedig. Mieczysław Weinberg, dem bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen eine erfolgreiche Retrospektive gewidmet war, rettete sich über Weißrussland nach Moskau, Czesław Marek in die Schweiz, Roman Haubenstock-Ramati gelangte von Lemberg auf abenteuerlichen Wegen nach Palästina und spielte dann eine herausragende Rolle in der Neuen Musikszene Österreichs nach dem 2. Weltkrieg. Szymon Laks, in den zwanziger Jahren aktives Mitglied der »Association des Jeunes Musiciens Polonais« in Paris, wurde 1942 nach Auschwitz deportiert und überlebte den Holocaust als Mitglied und später Leiter einer der Männerkapellen des Vernichtungslagers Birkenau. Obwohl sich die polnische Musik nach dem 2. Weltkrieg zu einer unüberhörbaren Größe im Konzert der europäischen Avantgarden entwickelte, dies vor allem dank des legendären Festivals für zeitgenössische Musik Warschauer Herbst, blieb das Exil auch in der zweiten Jahrhunderthälfte eine Konstante der polnischen Musikkultur. Der spektakulärste Fall: Andrzej Panufnik, neben Witold Lutosławski der vielleicht bedeu- komponieren in der fremde tendste polnische Komponist der Generation der um 1910 Geborenen, ließ höchste Ämter und Würden zurück, als er 1954 ins Exil nach London ging, um dort, von der Queen für seine Verdienste geadelt, seine Karriere allerdings nicht weniger erfolgreich fortzusetzen. Witold Szalonek folgte 1973 einem Ruf an die Westberliner Musikhochschule und lebte bis zu seinem Tod 2001 in Berlin. Krzysztof Meyer lebt in der Nähe von Köln, wo er lange als Professor für Komposition an der Musikhochschule wirkte. Piotr Moss, Joanna Bruzdowicz und Elżbieta Sikora ließen sich in Frankreich nieder. Hanna Kulenty lebt seit 1992 abwechselnd in Holland und Polen und Bettina Skrzypczak seit 1988 in der Schweiz. Polen ist überall, wo Polen sind, sagt die polnische Nationalhymne. Die Bedeutung dieses Satzes mag man ermessen, wenn man ihn sich im Kontext der deutschen Nationalhymne vorzustellen versucht. Nach wie vor projizieren wir unsere Vorstellung von Kulturgeschichte auf die Landkarten der entsprechenden Nationen. Doch die Landkarte des kulturellen Polens ist eine virtuelle. Wer seine Schätze heben will, muss sich auf eine oftmals mühsame Suche machen, wird dafür aber reich belohnt werden. chopinjanina 2010 klassen eine leer stelle 55 p heft N 12 musik U m Chopins Musik ist es merkwürdig still. Angekommen am Berliner Hauptbahnhof blickt einem Chopins Konterfei entgegen, mit höflich distanziertem Blick und durch Kopfhörer gegen den Zuglärm geschützt. Das überdimensionierte Porträt (nach dem Original von Ary Sheffer) schwebt unter der gläsernen Decke und schaukelt sacht im Wind. Das Plakat in Berlin schickt die Reisenden gleich weiter. Nach Warschau. Dort brummt die Musik. Im Warschauer Jazz Club Tygmont sollen Drummer und Keyboarder über Chopin improvisieren, verspricht das Magazin der Bundesbahn. Wer will, kann sich mit Leszek Możdżers CD-Rom Chopin Jazz Impresje die Ohren füllen. Jubiläumsprogramme, Freiluftkonzerte, Jamsessions mit Publikum, Wettbewerb, ein internationaler Kongress und natürlich klassische Klavierkonzerte unterschiedlicher Formate finden im Nachbarland statt. Hörplätze sind über Warschau verstreut und senden Musik in die Ohren. In die Herzen soll er hinein, der Komponist und seine Musik. Chopins Herz wurde nach seinem Tod von Paris nach Warschau überführt. Seine Schwester Ludwika Jędrzejewicz transportierte es im Gepäck, als sie 1850 zurückkehrte. Das neu konzipierte Chopinmuseum im Ostrogski-Palais funktioniert interaktiv. »Experiencing Chopin«. Mit einer Chipkarte startet im »Time Tunnel« die Zeitreise in die virtuellen Vergangenheitsräume von Chopins Lebensstationen. Ein »Europa-Spezial« bringt uns hin, alles Weitere regelt das Polnische Fremdenverkehrsamt. Und in Deutschland? Chopins 200. Geburtstag (zwischen dem 22. Februar und dem 1. März, je nach Kalender) feierten vor allem die Rundfunkanstalten und die überregionalen Feuilletons. Jan Schmidt-Garres am 20. Februar auf 3Sat ausgestrahlter Film Chopin in der Oper verfolgt Chopins Belcantoideal mit anschaulichen Beispielen aus dem Warschauer Opernrepertoire. Ein Lichtblick sind Max Nyffelers verschiedene Beiträge aufgrund ihrer differenzierten Sichtweise auf den Komponisten. Der Thementag mit Neuentdeckungen zu Chopin des Mitteldeutschen Rundfunks checkt den Chopin-CD-Markt, bietet aber keine wirklich neuen Erkenntnisse. Umfangreiche Biografien liegen von Eva Gesine Baur (Chopin oder Die Sehnsucht), Tadeusz A. Zieliński (Chopin. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit) und Adam Zamoyski (Chopin. Der Poet am Piano) vor. Mieczysław Tomaszewski hat das Spektrum um umfangreiches Bildmaterial erweitert (Chopin. Ein Leben in Bildern, Schott, Mainz 2008). Für Kinder und Jugendliche gibt es mehrere Hörbücher. chopin 2010 Ostrogski-Palais Zamek Ostrogskich, Warschau, ul. Tamka 41/ ul. Okólnik 1; beherbergt die Chopin-Gesellschaft, das Chopin-Institut und das Chopin-Museum. Max Nyffelers verschiedene Beiträge Leuchtende Klangzeichen am dunklen Horizont, Ein Tribut an die Schönheit mit rebellischem Unterton. Zum 200. Geburtstag von Frédéric Chopin bzw. Fryderyk Szopen Tony Palmers Film The Mystery of Chopin widmet sich der (vermuteten) Liebesgeschichte von Chopin und der schönen Gräfin Delfina Potocka. Als Filmmusiker spielt Chopin jedoch keine Rolle, mit Ausnahme einer ebenso skurrilen wie anrührenden Szene in Ulrich Seidls Hundstage, in der eine Rentnerin ihrem Mann zu Klängen aus Chopins e-moll Prélude op. 28 Nr. 4 einen Striptease tanzt. Soweit die Rundschau über das aktuelle Angebot. Selbstverständlich hämmern Virtuosinnen und Virtuosen landauf landab an Klavierabenden in Konzertsälen und Musikhochschulen unverdrossen Impromptus, Scherzi, Préludes, Sonaten, Etüden, Balladen, Nocturnes, Walzer und Polonaisen. Aber das tun sie seit gut 150 Jahren, auch ohne Geburtstagsjubiläum. In Deutschland hat der gleichaltrige Schumann 2010 offensichtlich Chopin überflügelt. Da dürften vordergründig pragmatische Gründe mitspielen. Schumanns Oeuvre bietet mit Sinfonien, Konzerten, Oper, Oratorium, Kammermusik, Chor- und Sololiteratur über Klaviermusik hinaus ein Repertoire, das von vielen musikalischen Institutionen wie Opernund Konzerthäusern, in Abonnementreihen aufgeführt und abgefeiert werden kann. Zudem erschweren Sprachbarrieren die Erschließung des Umfelds zumindest der ersten zwanzig Jahre von Chopins Leben. Darüber hinaus bezeichnet die Zurückhaltung im öffentlichen Diskurs gegenüber Chopins Musik eine gewisse Leerstelle. Die Zeiten, als man sich in Fachkreisen abschätzig über den Salonkomponisten Chopin ausließ, sind verflossen. Das Bild vom sentimentalen, heimwehkranken Hypochonder und Schwarm reicher Pariser Aristokratinnen und englischer Ladies, der somnambul die Tasten streichelt, bestimmt nur noch das Unterhaltungsgenre. Der polnische Nationalheld erwärmt im Ausland kaum. So inspiriert auch der Hype der multimedialen Warschauer Chopininszenierungen die Szene diesseits der Grenze wenig. Die alten verbrauchten Bilder will keiner mehr. Doch fehlt bislang ein neues Chopinkonzept. Vor 169 Jahren wurde Chopin in Deutschland entdeckt. Robert Schumann und Friedrich Wieck, die »Davidsbündler«, machten 1831 durch ihre mehrfach nachgedruckten Rezensionen der Variationen über »Là ci darem la mano« aus Mozarts »Don Juan« op. 2 in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung auf den Komponisten aufmerksam. Julius Knorr spielte im November 1831 die deutsche Erstaufführung im Leipziger Gewandhaus, und Clara Wieck, damals noch ein aufsteigender Jungstar, verhalf dem Stück, dessen technische Schwierigkeiten als unüber- -windbar 56 p heft N 12 musik ChOpiN 2010 schrieb in: Tadeusz A. Zieliński, Chopin. sein Leben, sein Werk, seine Zeit, s. 420. Ausbildung siehe: Chopins Ausbildung. historische und musiktheoretische Aspekte, Bern 2010. unüber- windbar galten, zu einer gewissen popularität, indem sie es — wie alles weitere, was sie von Chopin in die finger bekam — in ihr Repertoire aufnahm. selbst der greise Goethe staunte, als ihm im eigenen haus bei Wiecks Aufwartung die chopinesken mozartanklänge um die Ohren flogen. In der kleinen musikalischen Intellektuellenszene des Vormärz schlug Chopins musik ein wie eine erscheinung. hier wagte jemand im abgenudelten Genre von Variationen atemberaubend Neues zu bringen. und die weiteren jetzt bekannt werdenden Werke, die mazurken und Nocturnes, die klavierkonzerte, etüden und besonders die Balladen, verdoppelten die sensation. Chopin kreierte einen enthusiastischen Überschwall fantastischer klangfiguren, ausdrucksvoll, unvorhersehbar spannend und ideenreich. Seine musik war nicht leicht zu haben. es erforderte eine professionelle klaviertechnik, um der weit gespannten Akkorde, mehrstimmigen Linien und außergewöhnlichen tastenkombinationen herr zu werden, und eine neue pianistische Anschlags- und Vortragskultur für ihren spezifischen Ausdruck. Metrisch und rhythmisch schien die Musik frei zu schweben wie die prosarhythmische poesie jungdeutscher Dichter. Der narrative Gestus der Balladen, ihr »Erzählton«, traf genau den zeitgenössischen Nerv. und Chopins eigener Vortrag, sein wohl kalkuliertes flexibles »Tempo rubato«, erhöhte den Eindruck des Fremdartigen und faszinierte die Zuhörenden dadurch umso mehr. manche Weisen verbreiteten dabei eine düstere melancholie, die als Zug romantischer sehnsucht empfunden werden konnte. harmonisch gewürzt durch Nebentöne und unaufgelöste Reibungen enthielt diese musik ein komplex gemischtes Gefühlspotenzial, dessen undurchsichtigkeit, flüchtigkeit, farbmischungen und Überlagerungen die fortschrittsbegeisterte junge Generation, deren Anliegen schumann in seiner 1834 gegründeten Neuen Zeitschrift für musik artikulierte, zu Höhenflügen verleitete, während sie konservative kritiker in Rage brachte. Ludwig Rellstabs Geschmack verbrannte beim versuchten Genuss der Nocturnes op. 9 durch eine »Handvoll Cayenne-Pfeffer«, wie er empört schrieb. schumann hingegen katapultierte in seinen Artikeln Chopin an die spitze der ästhetischen Avantgarde. Diese musik entsprach schumanns Idealen einer neuen »poetischen« Zeit. Deren politische Sprengkraft lag darin, dass in einer epoche autoritärer Regime die Verhältnisse durch kunst verändert werden sollten zu einer humanen Gesellschaft. kunst war verknüpft mit der utopie einer neuen selbstbestimmten menschlichkeit. Gerade weil sie ästhetisch für sich selbst stand und den herrschenden nicht diente, so das paradox, konnte sie politisch wirken (Jacques Rancière: Das unbehagen in der Ästhetik). Die bürgerliche schicht machte kunst zu ihrem Anliegen und besetzte den öffentlichen Raum durch kulturelle Aktivitäten, städtebaulich mit musentempeln, theatern und Galerien, institutionell durch die einrichtung von allgemein zugänglichen Operninszenierungen, konzert- sowie schauspielreihen und künstlerischen Ausbildungsstätten. im fall von Chopin kam hinzu, dass sich deutsche wie französische kreise mit den freiheitskämpfen im besetzten polen solidarisierten. Chopins musik symbolisierte beides: die ästhetische wie die politische utopie. Als im deutschen kaiserreich die Romantik sich im sentimentalen Rückblick zur duftig verträumten märchenzeit zu verklären begann, verblasste die politische Virulenz Chopins. Ästhetisch beherrschten die nationalen streitereien um Beethovens erbe das feld. Chopin erhielt seinen Platz im gründerzeitlichen Salon, wo sich die »gute« Gesellschaft vergnügte und politik wie soziale fragen hinter sich ließ. im klavierrepertoire waren seine Werke schon zu Lebzeiten fest verankert. polnischen exilanten galt Chopins musik allerdings weiterhin als Chiffre für ein freies polen. Die Besatzungsmächte (zaristische, sowjetische, nazideutsche) haben Schumanns Bonmot, Chopins Werke seien »unter Blumen eingesenkte Kanonen«, stets ernst genommen. Vor diesem Hintergrund klingt es wie ein makabrer scherz, dass der trauermarsch aus der bmoll-sonate op. 35, den henri Reber zu Chopins Beisetzung in der pariser madeleine instrumentiert hat, im 20. Jahrhundert für sowjetische staatsbegräbnisse aufgeblasen wurde. Die ende des 19. Jahrhunderts entstehende akademische deutsche musikwissenschaft, die sich an systematischen methoden orientiert, hat sich früh mit Chopin befasst und es dann für lange Zeit gelassen. so konnten Friedrich Niecks dokumentarreiche Biografie Chopin als mensch und musiker (Leipzig 1890) und hugo Leichtentritts zweibändige detaillierte Analyse der Chopin’schen klavierwerke (Berlin 1921) zu jahrzehntelang gültigen standardwerken werden. Nach langer pause hat in den letzten Jahren eine neue ernsthafte Auseinandersetzung begonnen, jetzt auf breiter materialbasis, die verschiedene forschungseinrichtungen gesammelt haben, und in internationaler Vernetzung. Veröffentlichungen des Warschauer Chopin-instituts wie die von Artur szklener herausgegebenen Analytical perspectives on the music of Chopin (2003) erscheinen heute in der Regel auf englisch oder zumindest mit englischer Zusammenfassung. inzwischen hat sich herumgesprochen, dass Chopin über eine fundierte »klassische« Ausbildung verfügte und seine wie improvisiert wirkenden fakturen auf sicherem tonsatzfundament ruhen, wenn auch nicht in deutscher tradition. Damit sind die besten Voraussetzungen geschaffen, um die Werke jenseits eines personalstils zu betrachten. Zwar wurde der kunstdiskurs im Zuge der Nationalstaatenbildung im 19. Jahrhundert deutlich patriotisiert. Dennoch wird es Zeit, die nationalen Kategorien (»polnisch« oder »französisch«?) zu begraben und eine interkulturelle perspektive einzunehmen. schließlich verarbeiteten die kunstschaffenden Anregungen aus allen Genres und historischen stile, Bach wie Bellini, Volksmusik der Renaissance wie experimentelles streichquartett, um ihre originellen Werke zu entwerfen. Das avantgardistische potenzial, das schumann an Chopin entdeckte, möchte man auch gern in den interpretationen hören. in der Polonaise fis-Moll op. 44 wird der Rahmen des einst höfischen Gesellschaftstanzes von innen gesprengt, indem kleine zweitaktige phrasen hinzugefügt, verdoppelt und sequenziert werden, bis sie sich verselbstständigen und die periodenstruktur verändern, ganz nonchalant, und doch mit aggressiver energie. Das stück enthält überdies den dissonantesten terzentriller der Romantik. Chopin und die Frauen ist ein Relikt der Biografik alten Stils, das nach fünfzig Jahren Genderforschung eine qualitätvollere Betrachtung verdient hat. Welches konzept von männlichkeit und Weiblichkeit lag dem Verhältnis von Georges sand und Chopin zugrunde? Welche perspektiven konnten sie entwickeln? Das selbstbewusstsein und die unabhängigkeit der schönen, eloquenten, geistreichen frauen, ihre große Anziehungskraft und das scheitern ihrer herzensintrigen hat honoré de Balzac in seinen Romanen genüsslich ausgebreitet. Die künstler an ihrer seite gehörten nicht nur einer anderen Welt, sondern meist auch einem niedrigeren stand an. Nur in den der kultur gewidmeten salons fand ein Austausch auf Augenhöhe statt. Das reichte aber nicht als kitt für eine Verbindung. Oder doch? Darüber wüsste man gern mehr. Schon gehört? Mieczysław Weinberg: Eine Chronik in Tönen www.osteuropa.dgo-online.org Unbekannte Meisterwerke des polnischen Repertoires im Kontext von Exil und Shoah in Ersteinspielungen »Eine Veröffentlichung, die zeigt, welche Schätze nach wie vor zu heben sind, wenn man den Spürsinn, den Willen und nicht zuletzt den Mut dazu besitzt.« (Oswald Beaujean, BR Klassik) Vol. 1: EDA 26 Werke für Streichorchester Tansmann – Laks – Fitelberg – Karlowicz Kammersymphonie Berlin / Jürgen Bruns Vol. 2: EDA 27 Sinfonische Dichtungen Fitelberg – Morawski – Laks – Tansman Klaudyna Schulze-Broniewska / Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt / Jürgen Bruns Vol 3: EDA 34 Streichquartette Mendelson – Padlewski – Laks Silesian String Quartet in Vorbereitung (2010/11): Vol. 4: Laks: »L’Hirondelle inattendue« Rathaus: »Le Lion amoureux« Vol. 5: Kofler – Regamey – Laks: Kammermusik EDA – Ein Label von Klassikcenter Kassel www.klassikcenter-kassel.de info@eda-records.com ich fuhle mich hier wie zuhause krzysztof penderecki uber inspiration und sein leben almut als K gartner ochsmann 59 p heft N 12 musik rzysztof Penderecki ist der berühmteste polnische Komponist und Dirigent der Gegenwart. Seine Musik ist kraftvoll und ausdrucksstark und lässt kaum einen Hörer unberührt. Mit Werken, die auf politische Ereignisse Bezug nahmen, wurde er ab den 60er Jahren in der ganzen Welt bekannt und galt als einer der führenden Komponisten der europäischen Avantgarde. Nachdem er jedoch Mitte der 60er Jahre auf traditionelle Musikformen und herkömmliche DurMoll-Tonalität zurückgegriffen hatte, wurde ihm in Kreisen der Neuen Musik Verrat an der Avantgarde vorgeworfen. Die Reaktionen des Publikums aber sprachen für ihn. Pendereckis Werke werden bis heute weltweit regelmäßig aufgeführt, oft unter seiner Leitung. Am 23. November 1933 geboren, wuchs Penderecki in seiner Geburtsstadt Dębica im Karpatenvorland auf. Er studierte Komposition an der Krakauer Musikhochschule, deren Direktor er von 1972 bis 1987 war. In seinem Œuvre sind alle musikalischen Gattungen vertreten: Vokalmusik für Chöre und Solisten, sowohl mit Instrumentalbegleitung als auch krzysztof penderecki a cappella, zahlreiche Orchesterwerke, darunter acht Sinfonien, Instrumentalwerke für die unterschiedlichsten Besetzungen, Konzerte und diverse Bühnen- und Filmmusiken, darunter vier Opern. Penderecki ist einer der meistgeehrten zeitgenössischen Komponisten, und das nicht nur im Bereich der Musik: 1975 erwarb er ein historisches Landschloss in Lusławice mit der Auflage, sich um die Instandsetzung von Haus und Garten zu kümmern. Dies ist ihm so gut gelungen, dass er dafür 1991 in Warschau die Goldmedaille des Denkmalschutzes erhielt. A.O.: Ihr Polnisches Requiem wird zum dreißigjährigen Jubiläum der Gründung der Solidarność-Gewerkschaft in Hamburg aufgeführt. Sie proben es gerade mit der NDR-Radiophilharmonie und dem Warschauer Philharmonischen Chor. K.P.: Ja, und mit Solisten aus Polen, nur der Tenor ist Italiener. A.O.: Und wie funktioniert das mit einem deutschen Orchester, einem polnischen Chor und polnischen und italienischen Solisten? K.P.: Musiker 61 D F I L M L A N010 POLEN 2 E S AL D 8 . F E S T I VEN FILMS POLNISCH p heft N 12 musik krzysztof penderecki Stefan Kardinal Wyszyński 1901– 81; war zunächst Bischof von Lublin, später Erzbischof von Gnesen und Warschau und Primas von Polen; gilt als Symbolgestalt des geistigen Widerstands gegen das kommunistisch-atheistische Regime Polens. www.filmlandpolen.de · Das älteste polnische Filmfestival in Deutschland · Von März bis Dezember die besten polnischen Spielfilme · Einmalige Atmosphäre · Treffen mit polnischen Filmemachern In den Kommunalen Kinos: Bremen, Hamburg, Hannover, Lübeck I K S L O P Z A R B O J A R K Y W O M L I F FESTIWAL 8. K I EG O S L O P U M L FI REVERS / REWERS, Borys Lankosz, SCHNEEWEISS UND RUSSENROT / WOJNA POLSKO-RUSKA, Xawery Żuławski, ALLES, WAS ICH LIEBE / WSZYSTKO CO KOCHAM, Jacek Borcuch, NULL / ZERO, Paweł Borowski, DAS HAUS DES BÖSEN / DOM ZŁY, Wojtek Smarzowski, SHOPPING GIRLS / GALERIANKI, Katarzyna Rosłaniec, DER KALMUS / TATARAK, Andrzej Wajda, GENERAL NIL / GENERAŁ NIL, Ryszard Bugajski DUKUMENTARFILMDEBÜT AUS ANDRZEJ WAJDAS MEISTERSCHULE DER FILMREGIE UND DEM STUDIO „JUGEND UND FILM” DER GESELLSCHAFT DER POLNISCHEN FILMSCHAFFENDEN · FILMLAND POLEN FÜR KINDER – KLEINE FILMAKADEMIE · DOKUMENTARFILM-ABEND ZUR DEUTSCHPOLNISCHEN GESCHICHTE · WEEKEND MIT CHOPIN: CHOPINS JUGEND / MŁODOŚĆ CHOPINA, Aleksander Ford , CHOPIN - SEHNSUCHT NACH LIEBE / CHOPIN - PRAGNIENIE MIŁOŚCI, Jerzy Antczak, BLUE NOTE / BŁĘKITNA NUTA, Andrzej Żuławski, VERLIEBT IN CHOPIN / IMPROWIZACJA, James Lapine sprechen eine internationale Sprache, sie können sich sehr schnell verständigen. Da gibt es überhaupt keine Barrieren. Es ist nicht so, dass man mit einem deutschen Chor anders arbeiten sollte als mit einem polnischen. Die Musiker sind alle hoch professionell, die des Orchesters und die des Chores. Insbesondere der Chor der Warschauer Philharmonie ist einer der besten Chöre, die ich überhaupt kenne. A.O.: Spielt denn Ihre Nationalität bei den Proben eine Rolle? K.P.: Nein, überhaupt nicht. Ich habe vor genau fünfzig Jahren in Deutschland meine Karriere angefangen, habe zwei Jahre in Essen an der FolkwangHochschule Komposition unterrichtet, war einige Zeit in Berlin und insgesamt sehr oft in Deutschland. Ich fühle mich hier wie zuhause. A.O.: Der Austausch zwischen Deutschland und Polen könnte sicherlich noch intensiver werden. Fühlen Sie sich manchmal als Botschafter Ihres Landes? K.P.: Ja, durchaus. Aber in der Musik ist die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Nationalitäten ganz normal. Nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt. Ich habe das Polnische Requiem auch schon mit einem deutschen Chor und Orchester geprobt. Genauso würde es mit chinesischen oder südamerikanischen Musikern gehen. Wir Musiker sprechen eine allgemeine Sprache, die alle verstehen. A.O.: Aber dass Deutsche nach Polen in den Urlaub fahren, ist doch immer noch eher ungewöhnlich, oder? K.P.: Das glaube ich nicht. Es gibt mittlerweile einen Austausch, es gibt keine Grenze. Ich treffe viele Deutsche, die Urlaub in Polen machen. Es gibt auch nicht mehr so viele Vorurteile. Natürlich werden manchmal Fehler gemacht. Aber ich spüre keinen Unterschied zwischen einem französischen, einem englischen und einem deutschen Touristen. Nach dem Krieg war es natürlich sehr schwierig — das ist verständlich. Aber dadurch, dass wir seit 2004 zusammen in der Europäischen Union sind, ist Vieles einfacher geworden. Ich würde sagen, wir Polen kennen Deutschland, die Deutschen und ihre Literatur und Musik viel besser als umgekehrt. Das liegt an der Ausbildung: In deutschen Schulen lernt man nichts über polnische Dichter wie Adam Mickiewicz und Juliusz Słowacki. Wir lernen etwas über Schiller und Goethe. A.O.: Sie sagen, Ihre Musik sei nicht politisch, komponieren aber zu politischen Anlässen. Zum Beispiel Threnos, das den Opfern des Bombenabwurfs über Hiroshima gewidmet ist, Ihr Klavierkonzert Resurrection, das im Gedenken an die Anschläge vom 11. September 2001 entstand, oder das Polnische Requiem, in das eine ganze Reihe politischer Ereignisse eingeflossen sind. Wie passt das zusammen? K.P.: Das Polnische Requiem ist da ein ganz besonderer Fall. Es entstand in einer sehr schwierigen Zeit des Umbruchs in Polen, Anfang der 1980er Jahre, in den Jahren der »Solidarität«. Man kann nicht direkt sagen, es sei ein politisches Werk, aber ohne die politischen Zustände hätte ich es ganz bestimmt nicht geschrieben. Aber das ist auch nur ein kleiner Teil meines Œuvres. Ich habe schon über hundert Werke in meinem Leben geschrieben und fünf davon sind vielleicht mit politischen Situationen verbunden. A.O.: Aus vielen Ihrer Werke wird auch deutlich, wie wichtig Ihnen die Religion ist. K.P.: Sie war wichtig, würde ich sagen. Ich habe in einer Zeit angefangen, mich für geistliche Musik zu interessieren, als das verboten war. Das war in den 1950er Jahren in Polen. Damals konnte man geistliche Musik nur in der Kirche aufführen, sonst überhaupt nicht. Und deswegen habe ich mich für geistliche Musik interessiert. Es war verboten und ich war ein junger Komponist, der gerade das machen wollte, was verboten war. Ich glaube allerdings, dass ich mittlerweile zu allen Themen, die mich interessieren, etwas gemacht habe. Ab und zu schreibe ich noch ein geistliches a cappella Werk, aber an Passionen und Oratorien habe ich kein Interesse mehr. A.O.: Klingt geistliche Musik anders als weltliche? K.P.: Es sind vor allem die Texte, die anders sind. Und dann schreibt man solche Werke für eine ganz andere Akustik, wie zum Beispiel meine Lukas-Passion, die 1966 zum 700jährigen Bestehen des Doms in Münster entstanden ist. Ich führe sie lieber im Kirchenraum auf als in der Philharmonie. Und die Inspiration für geistliche Musik ist anders, aber sonst ist es die gleiche Musik. A.O.: Sie sagen, Sie seien ständig auf der Suche. Wie äußert sich das, und woher kommt schließlich die Inspiration? K.P.: Das weiß niemand. Der ei- ne kann komponieren und der andere nicht. Inspiration ist das Leben. Manchmal bekomme ich auf Reisen Ideen für ein Werk. Für die geistlichen Werke hat mich oft nicht nur der Text, sondern eine Situation inspiriert. Das Lacrimosa aus dem Polnischen Requiem habe ich zum Beispiel zur Enthüllung eines Denkmals komponiert, das Agnus Dei aus dem gleichen Werk zum Tod Kardinal Wyszyńskis. Aber letztendlich kann niemand sagen, woher die Inspiration kommt. A.O.: Angenommen, jemand hat noch nie Musik von Ihnen gehört, welche drei Ihrer Werke würden Sie ihm empfehlen, um sie kennen zu lernen? K.P.: Ich würde sagen, auf jeden Fall das Polnische Requiem. Threnos für die Opfer von Hiroshima, ein sehr bekanntes Werk aus dem Jahr 1960. Und vielleicht ein a cappella Werk von mir, von denen ich viele geschrieben habe — das Stabat Mater zum Beispiel. A.O.: Ihre Musik ist reich an emotionalen Extremen. Sie kann mit ihren überraschenden, manchmal geräuschhaften Klangballungen durchaus schockieren, ja sogar Angst machen. Sind Sie auch als Mensch so extrem? K.P.: Nein, ich bin ein sehr ruhiger Mensch. Wenn man komponiert, kommen die Emotionen sowieso. Man kann nicht völlig kalt bleiben und dabei Musik schreiben, die etwas zu sagen hat. Aber das heißt nicht, dass ich so einen Charakter hätte. Ein Künstler hat vielleicht zwei Charaktere: der eine zeigt sich zuhause und mit Freunden, der andere, wenn man versucht, aus sich das Beste herauszuholen und manchmal gegen die Strömung oder gegen die Mode gehen will. Das ist auch das, was aus einem Komponisten einen wirklichen Künstler macht: Dass man das Gegenteil von dem macht, was von einem erwartet wird. Ich habe in meinem Leben einen Zickzack-Weg zurückgelegt. Immer, wenn man sich an meine Musik gewöhnt hatte, wie ich sie drei, vier Jahre lang geschrieben hatte, dann habe ich mich verändert. A.O.: Was würden Sie machen, wenn Sie nicht komponieren und konzertieren würden? K.P.: Ich wäre Gärtner! Ich habe einen etwa dreißig Hektar großen Park in Lusławice, den ich bepflanzt habe. Etwa 1.700 Arten an Bäumen und Sträuchern wachsen dort, hauptsächlich Bäume. Das ist mein zweiter Beruf. Im Frühjahr gehe ich in meinem Park spazieren und genieße die wunderbaren Farben und das erwachende Leben und dann denke ich, ich könnte vielleicht sogar ohne Musik leben, nur mit meinen Bäumen. Ich wäre auch glücklich. A.O.: Ist der Park öffentlich zugänglich? K.P.: Nein, er ist privat. Ja, ich weiß, ich teile das alles nicht gern. Natürlich zeige ich es hin und wieder, es kommen Reisegruppen und Dendrologen aus ganz Europa und Amerika. Aber der Park ist noch zu jung, er ist erst vierzig Jahre alt — das ist nichts, früher hat man so etwas über Generationen hinweg gepflegt. Das ist noch nicht fertig, es ist eine unvollendete Sinfonie! Ich brauche noch ein paar Jahre und dann wird der Park fertig sein, und natürlich kann ich ihn dann nicht mehr nur für mich behalten. Ich werde die Tore öffnen! A.O.: Haben Sie musikalische Wünsche, die Sie sich noch erfüllen möchten, Pläne, an denen Sie schmieden? K.P.: Ja, ich möchte noch einige Werke schreiben. Ich möchte meinen Sinfonien-Zyklus beenden und ich möchte noch eine Oper schreiben. Aber vor allem möchte ich Kammermusik komponieren. Die ist mir in diesem Lebensabschnitt viel näher als große Sinfonien und Oratorien. Ich schreibe sie in meinem Garten und manchmal werden die Stücke in meinem Haus uraufgeführt. Das ist für mich sehr intim: Musica domestica. Ja, ich glaube, ich werde in Zukunft vor allem Kammermusik schreiben. musik unter besatzung impressionen einer elisabeth ausstellung richter 63 musik unter besatzung p heft N 12 musik Elisabeth war noch so klein und trotzdem starb sie ganz allein. In Majdanek war ihr Papa, und in Auschwitz ihre Mama ... Była sobie raz Elżunia umierała sama, bo jej ojciec na Majdanku, w Oświęcimiu mama ... E ine zarte Kinderstimme kann man hören, etwas gebrochen — an vielen der vierzig Tafeln der Ausstellung gibt es Audiostationen —, nur neunzehn Sekunden dauert die leise Melodie ohne Begleitung, doch allein beim Lesen des Textes kommen einem die Tränen. »Ich habe es zur Melodie von ›Na Wojtusia z popielnika iskiereczka mruga‹ gesungen«. Das ist ein Wiegenlied für Kinder, und diese Zeilen notierte ein neunjähriges Mädchen im Lager Majdanek. Man fand das Zettelchen in seinen Kleidern. Es ist schwer durch die Ausstellung Musik im okkupierten Polen zu gehen, denn nicht nur das junge Leben der neunjährigen Elżunia ging so grausam, so sinnlos zu Ende. Ein unendliches Leid vermittelt sich. Wie viel menschliches, künstlerisches Potenzial wurde vernichtet, zerstört, mit welchem Recht? Vieles wurde schon aufgearbeitet aus dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte, oft aus der sicheren Distanz des wissenschaftlichen Standpunktes. Auch diese Ausstellung ist eine wissenschaftliche Arbeit. Hier gelingt jedoch die Einbindung persönlicher Schicksale in den historischen Kontext. Man kann, man muss sich auf das Geschehen tief einlassen. Die Kuratorin, die Musikwissenschaftlerin Katarzyna Naliwajek-Mazurek von der Universität Warschau, recherchierte die vielen Details in zahlreichen Archiven, Briefen, Sammlungen, in Warschau, Krakau, Auschwitz und anderen Orten. Sie entwarf Konzept und Szenario. Freilich stehen auch hier die Biografien exemplarisch für weit mehr Menschen, die während der deutschen Besatzung in Polen von 1939 bis 1945 lebten, litten, starben. Nur wenige überlebten. Der Überfall Deutschlands auf Polen mit dem Einmarsch der nationalsozialistischen Truppen am 1. September 1939 veränderte in Polen auch schlagartig das kulturelle Leben. Während in anderen Ländern, etwa in Tschechien, die Verwüstungen der kulturellen Landschaft, die Zerstörung und Vernichtung des enormen künstlerischen Potenzials während des Zweiten Weltkrieges durch die Deutschen Besatzer zumindest ansatzweise erforscht und aufgearbeitet wurden, während etwa Komponisten wie Viktor Ullmann, Hans Krása, Gideon Klein oder Pavel Haas in den letzten Jahren wieder ins Bewusstsein gerückt sind, sind die Namen der polnischen Komponisten und Musiker dieser Zeit in Deutschland weitgehend unbekannt. Die deutsche Musikwissenschaft, die deutsche Musik-Fachpresse, die großen deutschen Tageszeitungen mit ihren renommierten Feuilletons interessieren sich vergleichsweise wenig für das polnische Musikleben von heute, und noch weniger für die Zeit zwischen 1939 und 1945. Hier besteht dringend Handlungsbedarf. Das Schleswig-Holstein Musik Festival hatte sich in diesem Jahr für Polen als Länderschwerpunkt entschieden. Hintergrund war der 200. Geburtstag von Frédéric Chopin. Doch 2010 ist auch der 70. Jahrestag der Errichtung des Warschauer Gettos. Die Universität Warschau mit der Musikwissenschaftlerin Katarzyna Naliwajek-Mazurek und der Verein Room 28/Berlin mit dem Musikwissenschaftler und Verleger Frank Harders-Wuthenow haben in Kooperation mit verschiedenen Veranstaltern ein Projekt ins Leben gerufen, in dessen Zentrum die Ausstellung Musik im okkupierten Polen 1939 –1945 steht. Sie wurde am 13. Juli in der Hamburger Kampnagel Fabrik mit einem Konzert eröffnet und war dann bis zum Ende des Schleswig-Holstein Musik Festivals im Kieler Schloss zu sehen. Zuvor wurde eine kürzere französische Version beim Festival Musiques Interdites in Marseille gezeigt, im September 2010 war die Ausstellung beim Festival Warschauer Herbst in Warschau zu sehen, im November dann in Berlin. Beim diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festival konnte man die Ausstellung zu den spannendsten und mutigsten Veranstaltungen rund um den Länderschwerpunkt Polen zählen, weil hier ein schwieriges Kapitel des deutsch-polnischen Verhältnisses thematisiert wurde, und 64 p heft N 12 musik auch, weil in den begleitenden Konzerten Musik erklang, die in Deutschland so gut wie unbekannt ist, die es jedoch unbedingt lohnt zu kennen, denn es sind exzellent komponierte Werke. Wer hat schon von der anspruchsvollen Musik von Szymon Laks, Roman Padlewski, Józef Koffler oder Constantin Regamey und anderen gehört? Auch über diese Komponisten und ihre Schicksale erfährt man in der Ausstellung. Unmittelbar nach der deutschen Besatzung im September 1939 kam das blühende Musikleben in Polen fast vollständig zum Erliegen. Es waren — so die offizielle Beschreibung — nur noch einige »primitive Formen der kulturellen Zerstreuung« erlaubt. Was künstlerisches Niveau hatte, wurde verboten. Das professionelle Musikleben außerhalb der Gettos verlagerte sich in die Cafés, in Privatwohnungen, in den Untergrund. Man erfährt, wer sich wie und wo musikalisch engagierte. Auch innerhalb der Gettos sowie in den Konzentrationslagern gab es musikalische Aktivitäten. Regamey und Padlewski etwa arbeiteten in Warschau außerhalb des Gettos im Geheimen Musikrat. Padlewski (1915 –1944) beteiligte sich auch mit Waffengewalt am Warschauer Aufstand und wurde mit nicht einmal 30 Jahren erschossen. Regamey (1907–1982) besaß einen Schweizer Pass, er machte geheime Kurierdienste. Sein Quintett für Klarinette, Fagott, Violine, Cello und Klavier wurde 1944 heimlich in einer Privatwohnung uraufgeführt. Regameys berühmter KomponistenKollege Witold Lutosławski schrieb nach dem Krieg in seinen Erinnerungen von einer »sensationellen« Uraufführung, von »einem ganz ausgereiften, höchst raffinierten und doch von all dem, was damals den Stil und die Schreibweisen der polnischen Musikkultur der dreißiger und vierziger Jahre ausmachte, völlig unabhängigen Werk«. Regamey arbeitet zum Beispiel frei mit Zwölftontechniken, aber auch mit tonalen Inseln. Dies mag als nur ein Beispiel von vielen exzellenten Werken und ihren Komponisten gelten, die vergessen wurden, von denen man erst jetzt erfährt. Szymon Laks (1901–1983) etwa war drei Jahre Leiter der Lagerkapelle in Auschwitz, er überlebte. In seiner Musik, die nach dem Krieg entstand, geht er nicht den Weg der musikalischen Avantgarde der 1950er und 1960er Jahre, ein zusätzlicher Grund, warum Laks’ Werk heute erst langsam ins Bewusstsein rückt. Mit den vierzig Tafeln der Ausstellung präsentiert die Kuratorin Katarzyna Naliwajek-Mazurek verschiedene Leitlinien. Da ist der historisch-chronologische »rote Faden«. Es beginnt mit einer Tafel zum vielfältig blühenden Musikleben in Polen vor dem September 1939. Da gab es die Stars der Unterhaltungsmusik, die Konzerte in der Warschauer Philharmonie mit dem Dirigenten Grzegorz Fitelberg etwa, dem Pianisten Artur Rubinstein, dem Komponisten Karol Szymanowski, die Musik der Kaschuben, der Roma. All das wurde grausam zerstört. Viele Gebäude, Konzertorte existierten ab September 1939 nicht mehr. Wie umging man das Verbot der musikalischen Betätigung außerhalb und innerhalb der Gettos? Der Darstellung des Musiklebens in verschiedenen Städten, in Warschau, in Krakau, in Łódź, in Lemberg sind eigene Tafeln gewidmet. Einzelne Musiker werden ausführlicher vorgestellt, etwa »Der Pianist« und Komponist Władysław Szpilman, der dem Warschauer Getto entkommen konnte und der durch den Film von Roman Polański weltweit bekannt wurde. Man erfährt von den Schicksalen zahlreicher Musiker, von der täglichen Bedrohung, wie sie überlebten und auch wie sie umkamen, wie die Roma-Musiker ihre wertvollen Instrumente, besonders die Harfe, immer wieder retten konnten, wie die Nationalsozialisten ein Musikleben für sich organisierten, wie Kollaborateure von Nicht-Kollaborateuren bestraft wurden. Wie mutige Menschen Verfolgten unter Lebensgefahr Obdach gewährten. musik unter besatzung Erschütternd sind die Bilder der zerstörten Städte. Bei der Bombardierung Warschaus gingen auch zahlreiche Dokumente, Autographe, Gemälde und Briefe von und an Chopin verloren. Sein Herz, das nach seinem Willen nach seinem Tod in die Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau gebracht worden war, wurde jedoch dank eines deutschen Priesters gerettet. Vom Musikleben im Konzentrationslager Auschwitz erfährt man in Auszügen aus dem Buch Musik in Auschwitz von Szymon Laks, aus Treblinka berichtet der Bildhauer Samuel Willenberg, der überlebte. Die kluge grafische Gestaltung haben Karol Laskowski und Karol Perepłyś vom Studio 27 in Warschau entworfen. Schwarz und rot als stark expressive Hintergrund-Farben implizieren sofort die tragische Thematik. Viele Bilder — vor allem aus dem Digitalen Nationalarchiv Warschau — wie Fotos von Künstlern, Gebäuden, aus den Gettos, wie Konzertprogramme, Konzertkarten, dazu zwei Dokumentarfilme geben einen lebendigen Überblick von den verschiedenen Aspekten der Musik im okkupierten Polen 1939 –1945. Zahlreiche Musikbeispiele an Audiostationen vermitteln einen Eindruck von der Intensität der Musik, die den Menschen Kraft gab, die wir heute wiederentdecken können, die auch helfen, die vielen Menschen, die nicht überlebten, wie etwa die kleine Elżunia aus Majdanek, nicht zu vergessen. Papusza, Roma-Lyrikerin, 1949 Links Dionizy Wajs, rechts Edward Dębicki am Akkordeon, 1949 66 p heft N 12 musik Warschauer Aufständische in der Malczewskiego-Strasse. Wacław Żdżarski am Akkordeon und die Krankenschwester Janina Załęska, der eines der populärsten Lieder der Aufständischen gewidmet war: Sanitariuszka Małgorzatka; Warschau, September 1944 musik unter besatzung 68 p heft N 12 musik Karol Szymanowski (hinten, 2. v. r.), Zbigniew Drzewiecki (hinten, 1. v. r.), Artur Rubinstein (vorn, 2. v. l.), Bronisław Huberman (hinten, 3. v. r.), Grzegorz Fitelberg (vorn, 1. v. r.), Halina Szmolc musik unter besatzung (hinten), Irena Dubińska (vorn, 1. v. l.), Zwanzigerjahre MeiréundMeiré Anteil der Produkte, die von der Stiftung Warentest von 1999 bis 2008 mit „gut“ beurteilt wurden, in Prozent: 47,5 Anteil der Produkte, die von der Stiftung Warentest von 1999 bis 2008 mit „mangelhaft“ bewertet wurden, in Prozent: 5,6 Anteil der Produkte, die von der Stiftung Warentest von 1999 bis 2008 mit der Note „sehr gut“ beurteilt wurden, in Prozent: 1,9 Anteil der Deutschen, die beim Kauf Produkte mit Testsiegel vorziehen, in Prozent: 61 Anteil der Deutschen, die beim Einkauf vor allem auf den Preis achten, in Prozent: 58 Weitaus mehr als nur Zahlen. Das Wirtschaftsmagazin brand eins. Fordern Sie ein Probeheft an unter: +49 (0) 40/32 33 16-70 www.brandeins.de Sie haben keine Zeit zum Lesen? Das machen wir für Sie. Abonnenten erhalten die brand eins Schwerpunkte via Audible als Hördatei. Kostenlos. prager musicals die nackt mulle der tschechi schen musik ulrike hoinkis 73 p heft N 12 musik Limonadový Joe dt. Limonaden-Joe; Regie: Oldrich Lipský, 1964. Noc na Karlštejne dt. Nacht auf Karlstein; Regie: Zdenek Podskalský, 1973. Starci na chmelu dt. Hopfenpflücker; Regie: Ladislav Rychman, 1964. Wenn die tschechische Musikszene ein Zoo wäre, wäre das Prager Musical ein Nacktmull: Trotz der vielen schönen Tiere in seiner Nachbarschaft ist auch ein Nacktmull interessant und erregt Aufmerksamkeit, aber man würde ihn vermutlich nicht mit nach Hause nehmen wollen. Ähnlich ist es mit den Musicals, die in Prag am laufenden Band produziert werden. Die Musical-Szene boomt hier seit den 90er Jahren, Theater wie Kalich, Hybernia, Ta Fantastika, Broadway oder das Hudební divadlo Karlín bestreiten — in unterschiedlichster Qualität — fast ihr gesamtes Programm mit derartigen Aufführungen. D ie tschechische Musikszene ist so farbenfroh wie der Urwald nach dem Regen. Alternative Musik blüht und gedeiht, Folk und Liedermacher, angeführt von Jaromír Nohavica und Čechomor — mit ihrem Erfolg und Bekanntheitsgrad wohl ein Spezifikum der böhmischen Länder — erfreuen sich höchster Beliebtheit, ebenso wie die abstrusen Spaßmusiker Ivan Mládek, Sto zvířat und Mig21. Selbst Kinder werden mit hochwertigen Kompositionen zum Beispiel des Autorenduos Zdeněk Svěrák/Jaroslav Uhlíř verwöhnt. Freunde der härteren Umgangstöne können sich mit Kabát ruhigstellen, Pop-Anhänger haben ebenfalls nicht nur die Wahl unter Zombies wie Karel Gott, Helena Vondráč ková und Lucie Bílá. Umso verwunderlicher ist es daher, dass sich gerade Musicals der unteren Qualitätsstufen extremer Beliebtheit in Tschechien erfreuen. Was in den 90er Jahren unschuldig, aufwendig und qualitativ hochwertig mit tschechischen Varianten internationaler Produktionen begann, entwickelte sich bald zu einer gewinnbringenden Branche, die mit Musicals tschechischer Autoren beim Publikum immer größere kommerzielle Erfolge feierte. Schon ein erster Boom von Musikfilmen hatte der Welt in den 60er Jahren Klassiker wie die Western-Parodie Limonadový Joe, die historische Komödie Noc na Karlštejně und das Filmmusical Starci na chmelu über junge Rebellen beim sozialistischen Arbeitseinsatz beschert. Diese konnten bereits auf eine reichhaltige Tradition des Musiktheaters aufbauen, angefangen beim Befreiten Theater von Voskovec & Werich bis hin zu den Musikrevuen von Suchý & Šlitr und ihrem Theater Semafor. Nicht nur deren Gut bezahlter Spaziergang [Dobře placená procházka] aus dem Jahre 1965 wird — wie viele andere Stücke und Filme der damaligen Zeit — auch heute noch inszeniert, zuletzt 2009 von Miloš Forman im Prager Nationaltheater. In den 70er und 80er Jahren ging die Produktion von Musikfilmen jedoch stark zurück — es fehlte an guten Autoren, Interpreten und Geld. Musicals in den Theatern schöpften aus dem überlieferten Fonds. Erst Mitte der 90er Jahre weckten aufwendige Produktionen wie Bídníci [Les misérables] und Jesus Christ Superstar wieder das Interesse des Publikums, das anschließend auch durch einheimische Musicals gestillt werden konnte. 75 p heft N 12 musik musicals in tschechien Drakula deutschsprachige Erstaufführung 2004; deutscher Text von Michael Kunze. zájezdy dt. Sonderfahrten, Fahrten. Tě š ínské Niebo / Cieszyńskie Nebe Kleopatra Golem, Premiere 2006 Das erste tschechische Musical dieser Zeit, aus dem Jahre 1995, war der durchaus anspruchsvolle Dracula aus der Feder von Karel Svoboda. Svoboda — in Deutschland wohl eher durch die Titelmusik von Biene Maja und Drei Haselnüsse für Aschenbrödel sowie seine über 80 Lieder, die er für Karel Gott schrieb, bekannt — hatte bereits bei Noc na Karlštejně und Dutzenden anderen Filmen für die musikalische Untermalung gesorgt und versorgte Václav Neckář, Helena Vondráč ková und viele andere mit sicheren Hitparaden-Titeln. Es geschah also, was abzusehen war: Das Stück, das sehr lose auf Bram Stokers Romanvorlage basiert, wurde ein Riesenerfolg und lief über drei Jahre ununterbrochen im Prager Kongresszentrum. Es wurde schließlich erst aufgrund von Sanierungsarbeiten am Aufführungsort abgesetzt. Nach einer — im Schuldensumpf versunkenen — Neuaufführung 2003 wurde es 2009 neu inszeniert und ist mit Aufführungen in Deutschland, Südkorea und anderen Ländern bis heute das erfolgreichste tschechische Musical. Auf den fahrenden Zug sprangen auch andere auf, allen voran Michal David, der in den 80er Jahren mit seichtem Pop und der musikalischen Begleitung der Spartakiade bekannt geworden war und nach der Samtenen Revolution der Vergessenheit anheim fiel. Zusammen mit Lou Fanánek Hagen verfasste er in rascher Folge das Historien-Drama Kleopatra, die Drei Musketiere [Tři musketýři], den Telenovela-Ersatz Angelika und Mona Lisa, die die tschechischen Zuschauer begeisterten. Er leitete damit eine Entwicklung ein, die inzwischen enorme Ausmaße angenommen hat: Der Großteil des tschechischen Publikums sucht Entspannung, will nicht durch schwierige oder alternative Themen, Motive und Melodien herausgefordert werden und wird entsprechend mit leicht verdaulicher Pop-Kost »verwöhnt«. Auf der anderen Seite wird das etwas anspruchsvollere Publikum durch die Kennzeichnung »Musical« verschreckt, so dass sich die Qualität in einer stetigen Abwärtsspirale befindet. Zum ungebrochenen kommerziellen Erfolg tragen wohl vorwiegend die zájezdy bei: Dorf-Mutti überredet Dorf-Vati, dass es mal wieder an der Zeit wäre, die Großstadt zu besuchen, und natürlich gehört da auch etwas Kultur dazu. Bei der Auswahl orientiert man sich an der Besetzung, je mehr Stars, desto besser — ob diese »Stars« singen oder schauspielern können, ist weniger entscheidend. Tatsächlich werden zum Teil Schauspieler engagiert, die Gesangstalent vermissen lassen, weil die Zuschauer es vermutlich sowieso nicht bemerken. Manche bezeichnen inzwischen Prager Musicals gar hämisch als »Endlager für abgehalfterte Sternchen«, die ein gesichertes Einkommen suchen. Eine rare Ausnahme bildet hier Daniel Hů lka, der durch Dracula bekannt wurde und sich anschließend durch Soloalben auch außerhalb der Musical-Welt profilierte. Aber selbst Karel Svoboda, der nach Dracula weitere Erfolge mit Golem und Monte Christo feierte, gab offen zu, dass er sich nur deswegen Musicals widmet, weil sie kommerziell wesentlich einträglicher sind als beispielsweise das Verfassen einzelner Lieder. Ebenfalls in die Kategorie seichter Unterhaltung könnte man Daniel Landa einordnen, allerdings findet man bei ihm auch den ein oder anderen alternativ-originellen Takt. Landa feierte mit seinem »dirty Musical« Rattenfänger [Krysař], einem Rock-Musical mit ansatzweise sozialkritischem Inhalt gigantische Zuschauerzahlen und gehört inzwischen zu den erfolgreichsten Musical-Autoren Tschechiens. Sein in Prag aufgeführtes Stück Sehnsucht [Touha], in dem statt Handlung Humor im Vordergrund steht, verkauft sich auch nach zwei Jahren noch gut. Umstritten, aber erfolgreich läuft auch sein neuestes Stück Das Geheimnis des goldenen Drachen am Brünner Nationaltheater, eine Krimi-Revue mit bekannten Liedern Landas. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass zu Landas Erfolg auch seine »Eskapaden« beitragen: Ende der 80er Jahre war er mit seiner Skinhead- 76 p heft N 12 musik Band Orlík bekannt geworden (von dieser distanziert er sich heute, wird aber das Prädikat »rechts« nicht los). Nach dem Erfolg einiger politisch neutraler Rock-Soloalben, einer aufgrund von Landas Vergangenheit höchst umstrittenen Hommage an den wichtigsten regimekritischen tschechischen Liedermacher der kommunistischen Ära, Karel Kryl, und diversen Musicals begründete er unter anderem den Orden Ordo Lumen Templi, später auch die unergründbare Gemeinschaft Goldener Drache, und nebenbei widmet er sich seinem Hobby als Rennfahrer. Leicht verdaulicher Pop oder Soft-Rock werden im tschechischen Musical groß geschrieben. Alternative Stücke wie zum Beispiel das etwas härtere Excalibur aus der Feder von Michal Pavlíč ek können sich nur dank eingefleischter Fans regelmäßiger Reprisen erfreuen. Selbst internationale Hits wie Evita oder Cats garantieren in Tschechien keinen ausverkauften Saal mehr — nach den Anfangserfolgen wurden die meisten derartigen späteren Produktionen wegen rapide sinkender Zuschauerzahlen nach kurzer Laufzeit wieder abgesetzt. Gleichzeitig kommt es auch zu der bereits erwähnten Wiederauflage alter, bewährter Stücke bzw. zur Musikalisierung von Filmen und Musikfilmen. Mehr als drei Jahre lief im Hudební divadlo Karlín erfolgreich Limonádový Joe mit dem Original-Hauptdarsteller des Films aus dem Jahre 1964 in einer Nebenrolle. Auch die Horror-Komödie Adéla ještě neveč eřela, nach Motiven des Little Shop of Horrors, läuft erfolgreich in und außerhalb von Prag. Lichtblicke am Horizont, die den gewünschten Erfolg auch heute noch mit ansprechender Qualität verbinden, gibt es nur wenige, zum Beispiel Jaromír Nohavicas Těšínské Niebo / Cieszyńskie Nebe, das in der schlesischen Provinz Premiere hatte. Nohavica, der erfolgreichste tschechische Liedermacher der vergangenen 20 Jahre, dessen Lieder jedes tschechische Kind auswendig kennt, malte damit ein facettenreiches Bild seiner Heimat, das erst in Těšín aufgeführt wurde, später auch das Publi- musicals in tschechien Adéla ješte nevečerela dt. Adele hat noch nicht zu Abend gegessen; 1977; Regie: Oldrich Lipský. kum im Rest der Republik zu Standing Ovations verleitete und gar ins Polnische übersetzt wurde. Anderswo gehen gezielte Versuche schief, die künstlerische Qualität der Musicals wieder anzuheben, zum Teil spektakulär, wie etwa das Lyrical des an sich für Qualitätsarbeit bekannten Autorenteams Hapka& Horáč ek mit dem Titel Kudykam, das sich durch tiefgründige Texte auszeichnen wollte. Dieses Experiment scheiterte jedoch grandios durch völligen Sinnverlust, den nicht einmal die Kritiker, die normalerweise mit allen Mitteln gegen Michal Davids Untiefe wettern, zu schätzen wussten, vom Publikum ganz zu schweigen. In anderen Theatern, deren Repertoire nicht ausschließlich aus Musicals besteht, setzt man jedoch inzwischen wieder mehr auf Qualität und Kreativität — und auf den Einsatz eines Orchesters, auf das in den großen Prager Produktionen (mit Ausnahme des Divadlo Kalich und des Hudební divadlo Karlín) meist verzichtet wird. Qualitativer Anspruch hin oder her — einen positiven Effekt haben Musicals in Prag auf jeden Fall: Aufgrund ihrer Popularität werden verschiedene historische Gebäude vor dem Verfall bewahrt und für MusicalAufführungen saniert und umgebaut, auch wenn bei den Bauarbeiten manchmal — wie beim Theater Hybernia, das sich in einer ehemaligen Kirche befindet — historisches Altmaterial in einem Maße zerstört wird, dass der ein oder andere Prager Denkmalschützer in Ohnmacht fällt. Und man kann sich ruhigen Gewissens dem lebendigen Rest der tschechischen Musikszene widmen, ohne Angst haben zu müssen, etwas zu verpassen. Touha [Sehnsucht] klange rumaniens 79 p heft N 12 musik Wie klingt Rumanien? essayistische andra schlaglichter joeckle Das alltägliche. Wie klang mein Rumänien? Nach Glocken klang’s. Besonders morgens, gern und lang. Läutete hinein in mein Leben — mein singendes Leben als Stadtschreiberin in Hermannstadt. Fünf Kirchen verschiedener Konfessionen stehen allein in der Altstadt. Und rufen bei Gott nicht nur sonntags zum Gottesdienst. Popmusikdienste dann abends: aus fetten Autos wummern dumpfe Danceklänge durchs offene Fenster in meine pianosanften Gedanken. Da bewaffne ich mich mit Kopfhörern, um übers Internet mir ohrgerechtere Musik zu hören. Aber was ist das? Folkloristische Klänge dudeln mir in die Quere. Mein Nachbar muss das sein! Sein Radio! Fantastisch diese Kopfhörer, mit integrierter Spionagefunktion. Bestimmt bekomme ich da eine hora zu Gehör gebracht, den beliebten folkloristischen Kreistanz der Rumänen. Raus aus dem Haus, rein in die Fußgängerzone. Dort rieselt über einen Außen-Lautsprecher musikalischer Schmalz aufs gemächliche Passantenvolk. So kitschig, das ist schon wieder zum Lächeln. Fußgängerstimmen transportieren mich nach Italien. Denn die rumänische Sprache klingt immer wieder toll italienisch. Es verwundert nicht, wenn die rumänische Eurovision-Sängerin 2008 italienisch singt. Das Rumänische besticht durch weitere Qualitäten: »Da im Rumänischen wie in den meisten lateinischen Sprachen fast alles geschmeidig ist im Klang und ein Wort schnell im Reim aufs andere fliegt, gab es keine Situation, die nicht ihren Reim, ihren Spruch, ihre Redewendung hatte.« Herta Müller Die Fußgängerzone mündet auf den zentralen Platz, wo ein junger Bursche Gitarre klimpert und Gesang improvisiert, zum bunten Jongleursspiel seiner Kumpanen. Musik in Rumänien ist oft eine gesellige, einladende Angelegenheit. Nebenan im Brukenthal-Museum stimmt ein deutscher Kurator ein rumänisches Freischärlerlied an und animiert das Museumspersonal zum Einstimmen. Musik in Rumänien gehört zum Alltag — und zur körperlichen Stärkung: Kein Restaurant ohne Musikbeilage. Das scheint die Losung der Gastronomie. Unterwegs mit dem Bus zu einer Weihnachtsparty. Der rumänische Busfahrer, der im Chor singt, bittet seinen als deutsch identifizierten Fahrgast aus einem deutschen Kinderliederbuch zu singen — »das ist für meine Enkelin«. Ich tu’s: Alle Vögel sind schon da und Hoch auf dem goldenen Wagen. Und hoppla, man hat dabei ja völlig die Entrichtung der Fahrgebühr vergessen. Bin ich da verwickelt worden in eine charmante Spielart der in Rumänien so übel grassierenden Korruption? Auf der Feier dann wird kraus und quer durchs globale populäre Musikbeet aufgelegt und durch alle Tanzstile lustig hindurch getanzt. Eine andere Welt dagegen der Tango in Bukarest. Augen essen nicht nur mit, sie hören auch mit: so prächtig das Ambiente, da wird auch der Tango prächtig. So weit ein Ohr voll persönlicher Höreindrücke. Die rumänische Klangwelt ist ein Kosmos. Ihn auszuleuchten mit mehr als einer Auswahl an Schlaglichtern auf Entdeckungen würde den Raum hier sprengen. musik in rumänien Ada Milea und Alexander Ba�la�nescu Bereits als Siebenjähriger wird Ba�la�nescu (geb. 1954) an der Special School for Music in Bukarest aufgenommen. Als er 15 ist, wandert seine Familie nach Jerusalem aus, mit 16 kommt er nach London, später nach New York. Zurück in London übernimmt er 1979 die Leitung des Michael Nyman Ensemble. Er arbeitete auch mit David Byrne zusammen. 1987 gründete er das avantgardistische Streichquartett Ba�la�nescu Quartet. Bekannt wurde er vor allem durch Coverversionen von Kraftwerk-Songs. Ba�la�nescu adaptiert passioniert fremde Einflüsse und praktiziert damit, was die rumänische Musik (und die Küche) seit Jahrhunderten tut: sich bereichern mit fremden Einflüssen, mit arabischen, ungarischen, jüdischen, türkischen sowie religiösen und volkstümlichen Traditionen. Für sein Album Luminitza ließ sich Ba�la�nescu anregen von den Umbrüchen, die 1989 Osteuropa revolutionierten. Grüß dich, Michael Nyman, ist man versucht zu rufen. Ein kleines Juwel war eine Darbietung eines Theaterstücks über Robinson Crusoe (des rumänischen Dichters Gellu Naum), wofür Ba�la�nescu Ada Milea gewann, eine 1975 in Târgu Mureş geborene Schauspielerin, Sängerin und Songwriterin. Ihr Album Apolodor erzählt die Geschichte eines Kinderbuchpinguins, der glücklich in einem Zirkus singt, bis es ihn aus Sehnsucht nach seiner Familie auf Weltreise zwingt. Man ist perplex: so voll, so kräftig und von so beeindruckender Bandbreite, Gewalt und Komik ist Ada Mileas Stimme. Originell, kühn und politisch sind ihre Texte, wenn sie etwa singt, Ceauçescu ist in dir, ist in mir, ist unsere Schule, unsere Krankheit. Ba�la�nescu geigt und singt sanft wie lässiges Meeresplätschern den Robinson, Ada gibt seine Mutter. Wärme (der Stimmen und der Gitarrenklänge) und Humor bissigeren Kalibers kontrastieren bestrickend. Die Dialoge in Cry sind köstlich: Ada Milea: Are you sleeping, Robinson? Alex Ba�la�nescu: No mother, I am making you some socks. The night is chilly on the rocks. Ada: Do you think, those were cannibals? Alex: I’m sure. I’m sure. I think I’m sure. Ada: Are they going to eat us? Alex: I’m sure. I’m sure. I think I’m sure. I’m sure they’ll eat you. Ada: But how about you? Alex: I’ll live alone. Ada: Don’t you want to cry a bit with me? Alex: That will be my pleasure. Ada: It was really a pleasure to cry with you, thank you. Alex: No, thank you Ada: No, thank you. Alex: It was really a pleasure to cry with you, thank you. Ada: Thank you. Alex: No, I thank you. 80 p heft N 12 musik Mit seinem Album Maria T. lässt Ba�la�nescu die rumänische Sängerin Maria Ta�nase wiederaufleben (1913 –1963). Ba�la�nescus musikalische Wurzeln reichen bis zu ihr zurück. Die Ta�nase machte sich einen Namen als Interpretin rumänischer Trink-, Zigeuner- und Wiegenlieder und wird noch heute in Rumänien verehrt. Ba�la�nescu gibt seiner Hommage an ihr Lied Lume, Lume [Welt, Welt] den Titel Life and Death. Die Modernisierung rumänischer Musik vollzieht sich auch durch eine »Anglisierung«. Sinnigerweise ist Life and Death unter »Bio« auf Ba�la�nescus Website zu hören, und zwar erst nach 5 Minuten — als benötige die Annäherung an die eigenen Wurzeln eine gewisse Zeit. Dann verwöhnt einen noch zwei Minuten die raue, volle Stimme der Maria T. Wer bei folkloristischer Musik oder Volksliedern normalerweise die Ohren zuklappt, mag überrascht die Ohren aufklappen, wenn sie Ba�la�nescu aufbereitet. Der Geiger und Komponist zeigt sich gern mit schwarzem Hut. Zigeunerhut? Obwohl: Die Zigeunerhüte, die einem in Rumänien begegnen, haben eine weit ausladendere Krempe! Dennoch: Violonist ist er auch noch und die Geige ist bekannt als Zigeunerinstrument. »Der Zigeuner lebt … vom Pilzeklauben und Himbeerenverkaufen, vom Löffelschnitzen und Kesselflicken. Einige auch von der Musik, vom Violinespielen in den Wirtshäusern«, schreibt Paul Schuster in seinem Roman Fünf Liter Zuika. Die berühmteste Volksmusik in Rumänien ist die der Roma, die etwa 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Geiger war übrigens auch George Enescu, Rumäniens bekanntester klassischer Komponist. Exportphanomen Inna Die rumänische Dancesängerin Inna — geboren als Elena Alexandra Apostoleanu — kam 1986 am Schwarzen Meer als Tochter griechischer Eltern zur Welt. Schon als Jugendliche nahm sie Gesangsunterricht. 2008 begann mit ihrem Song Hot ihre steile Karriere. Hot rangierte in vielen Charts Osteuropas ganz oben und erreichte über 18 Millionen Aufrufe bei youtube. Insgesamt wurde Inna über 25 Millionen Mal angeklickt. Das ist einmalig für einen Star aus Osteuropa. Sie zählt damit zu den erfolgreichsten Interpreten aus Osteuropa. Als ihre Website online geschaltet wurde, crashte sie vor dem Ansturm der Internetsurfer. Bei den MTV Europe Music Awards 2009 wurde Inna als No 1 in Rumänien ausgezeichnet. Mit Amazing landete sie 2009 in Rumänien einen nächsten großen Hit, mit dem sie einen ganzen Monat lang Platz 1 der Romanian Top 100 behauptete. Höre ich die ersten Sekunden von Amazing, versetzt es mich schnurstracks nach Rumänien in ein Einkaufszentrum, wo ich fast depp geworden wäre, so permanent wurde der Hit gespielt, und vor allem: laut — Rumänen müssen mit einer größeren Dezibeltoleranz geboren werden. Weitere Millionenhits — über 2 Millionen Aufrufe — von Inna sind Love, Déjà Vu, Fever, Ladies und On And On. Die Titel lassen es ahnen: ein potenzieller Bildungsgenuss ist nicht zu erwarten (zu Musik mit Bildungsplus gleich mehr). Inna singt: »You belong to me, I belong to you, fire from my heart, burning just for you« und wenn sie nicht ganz verbrannt sind, brennen sie noch heute und lieben und fliegen, getragen von einer männlichen Stimme, die lalalalat und nananat, und ein Anfeurer schießt sein »Go!« hinzu. Inna präsentiert sich sexy, aber auch als Mutter mit Kind und liebem Mann. Als Frau ohne Mann und Kind hat man in Rumänien einen empörend ungemütlichen Stand. Extrem beliebt ist Inna in den hippen Clubs Istanbuls. In den letzten sechs Jahren vermarkteten die rumänischen Musikproduzenten geschickt einen Schlager nach dem anderen im Ausland. Allerdings nicht nach Deutschland, hier ist Inna eigenartigerweise eine ziemlich unbekannte Größe. musik in rumänien EurovisionSangerduo Recherchiert man, wie rumänische Musik unter google präsent ist, stößt man schnell auf den diesjährigen Eurovision-Beitrag Rumäniens Playing With Fire von Paula Seling & Ovi und wird nicht umgehauen: diese internationalisierte, harmlose Massen-Dancemusik überrascht nicht. Dargeboten von Weiblein und Männlein, beide getrimmt auf Wow!-Gestalten, sie in schwarzem Catsuit. Im Jahr zuvor repräsentierten drei sexy Ladys Rumänien. Geht man ins Jahr 2008 zurück, macht man einen Quantensprung: verträumt-romantisch (weißes Piano am Meeresstrand), soft, süß, säuselnd, keine Dance-, sondern Träummusik, wieder Weiblein und Männlein. Plimba�ri Nocturne mit Cioran Zum Schluss noch ein Sprung in eine ganz andere Klangwelt mit rumänischen Ingredienzen. Als Geschenk für die Kulturhauptstadt 2007 Hermannstadt/Sibiu komponierte Franz Koglmann ein achtsätziges Werk für Kammerorchester und Trompete/Flügelhorn. Der Clou: die Tonbandstimme des Rumänen Emil Cioran wird zugespielt. Cioran war ein genial zweifelnder philosophischer Kopf. Koglmann taufte sein Werk Nocturnal Walks, weil Cioran die Hermannstädter Stadtpfarrkirche umkreiste, wenn ihn die Schlaflosigkeit quälte. Der Nachtwanderer nahm eben jenen zehnminütigen Weg dorthin, den ich so oft langspazierte, in zweifellosem Sonnenlicht, unter ausgeschlafenem Himmel. Koglmann griff zurück auf Haydns 27. Sinfonie, die Hermannstädter Symphonie (leider nur nach ihrem Fundort in der Nähe von Hermannstadt so benannt). Das Orchester zieht sich zurück, wenn Ciorans Stimme aus einem Interview zugespielt wird, und hinterfängt sie mit einem elitären, sphärischen Klanggewebe. Cioran erzählt lebhaft mit sympatischer Stimme, etwa, dass man ihn als Möchtegernskeptiker einschätze, oder er plaudert von seinem täglichen Umgang: »Ein Skelett gehörte zu meinem täglichen Leben … Der Tod war das tägliche Leben und kein Argument gegen das Leben. Und die Schule interessierte mich nicht.« »Die Schriftsteller, die ich am liebsten habe, sind diejenigen, die in dem, was sie schreiben, ein wenig unverschämt sind.« Koglmann setzt JazzAkzente und harte Schnitte im Gedanken an die Ambivalenz, die Cioran prägte. Nach der halben Stunde Musik ist man ein wenig gebildeter, freut sich Dirigent Peter Burwik. Die Uraufführung fand in der evangelischen Stadtpfarrkirche im Mai 2007 statt. Hermannstadt schmückt sich auch mit einer Philharmonie (Schauplatz für das Oskar-Pastior-Festival 2009) — und des Rumänen Pastiors Lyrik trägt eine innere Musik, aber spannend ist vor allem die evangelische Stadtpfarrkirche: Sie bot Kreissägen im Zwiegesang mit der Orgel oder die beglückende Reihe Musik aus der Stille (Winter 2010), unter anderem mit dem Perkussionisten Andrei Marcovici. Auf musikalischem Terrain hat Rumänien eine Menge zu bieten, nicht nur singende Pinguine. Alexander B l nescu Ada Milea Inna frischwasser fur die ukrainische pavlo world music nechytaylo 83 p heft N 12 musik folk in der ukraine olaf kuhl [Ubersetzung aus dem ukrainischen] N achdem sie wie durch ein Wunder unabhängig geworden war, ging die Ukraine auf die Suche nach ihrer Identität. Mit unbändiger kindlicher Begeisterung tauchten die Bürger der Ex-USSR in die vor kurzem noch verbotenen Schichten der eigenen Geschichte, Literatur, Ethnografie und Musik ein. Anfang der 1990er Jahre eigneten sich die Ukrainer ihre Nationalhelden und vergessenen Schriftsteller wieder an und entdeckten nie gesehene Dinge, Bücher und Dokumente. Ein mächtiger humanistischer Tsunami ging über das gigantische Territorium zwischen Karpaten und Don hinweg, dessen Bewohner niemals zuvor eine solch allumfassende Freiheit erlebt hatten. Das spannendste Feld für Entdeckungen und Experimente war damals die Volksmusik. Dieses auf den ersten Blick harmlose musikalische Genre war jahrzehntelang in den Schraubstock des Internationalismus gespannt gewesen. Die Nation im Format einer »Union der Republiken« hatte allenfalls auf dekorative Kennzeichen Anspruch, die einer strengen Filtrierung im Kreml unterlagen. Unter diesen Bedingungen war sogar ein so lebendiger Organismus wie die Folklore einer drakonischen Kontrolle und Selektion unterworfen. Dadurch entstand ein spezielles Subgenre, der »folkus sovieticus«. Dieses Labor-Surrogat zeichnete sich durch wirklichkeitsfremde Interpretationen von Liedern, Melodien und Instrumenten aus und erinnerte insgesamt eher an eine Operette oder an Hollywoodkomödien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über exotische Länder. Gewiss gab es erfreuliche Ausnahmen im Werk von Wladimir Iwasjuk oder Nina Matwijenko, doch insgesamt wurden die Folklore und ihre Ableger strengstens kontrolliert. Kein Wunder, dass in den ersten Jahren der Unabhängigkeit Tausende von Enthusiasten in die Dörfer, zu den Trägern der Folklore aufbrachen und zu fixieren versuchten, was übrig geblieben war. In der Folge wurden die Materialien der ethnografischen Expeditionen publiziert, bildeten sich Ensembles und Gruppen für traditionelle Musik. Auch Mischformen aus Folklore und modernen Stilen ließen nicht lange auf sich warten. Als Lobby für die World Music (noch bevor sich dieser Terminus im Musikjournalismus durchsetzte) fungierte ukraineweit das Wettbewerbs-Festival Tscherwona Ruta. Unglaublich, aber wahr ist, dass in dieser Zeit das Festival für die meisten jungen Musiker die einzige Möglichkeit war, zu spielen und populär zu werden. Die Bedeutung von Tscherwona Ruta für die musikalische Entwicklung in der Ukraine ist kaum zu überschätzen. Ihre Urheber verfolgten ehrgeizige Pläne: Sie wollten ein konkurrenzfähiges Produkt von Weltniveau auf der Grundlage von traditioneller Musik und zeitgenössischer Stile schaffen. Diese Aufgabe haben sie großartig gelöst. Innerhalb von zehn Jahren haben die Teilnehmer — sprich, die junge ukrainische Musik — den Weg vom Arrangement von Volksliedern für die akustische Gitarre über den Folk-Rock zum Ethno-Jazz und der Ethno-Elektronik zurückgelegt. Einige der Sieger von damals haben durchaus Weltniveau und könnten beim Weltboom der Ethnomusik sicher mitmischen. Ihr Erfolg in der Ukraine ging einher mit dem wachsenden Masseninteresse an der World Music in Europa und Amerika. Es gab jedoch mehrere Gründe, die sowohl den Prozess der Integration in das planetare Showbusiness als auch das banale Überleben als Interpretengruppe in der Heimat erschwerten. Hier existierte weder damals noch heute eine Infrastruktur für einen konkurrenzfähigen Markt. Ethnoorientierte Medien, Lables, Promoter oder Klubs sucht man bis heute vergebens. Die Hauptströmung des ukrainischen Showbusiness ist damals wie heute die Popmusik. Über die Popmusik in der Ukraine wäre viel zu sagen, jedenfalls ist sie bestimmt nicht das, was sich der durchschnittliche Europäer darunter vorstellt. In der Popmusik sind einerseits die Dinosaurier der sowjetischen Szene, andererseits 84 p heft N 12 musik miserable Kopien des R’n’B und Sex-Dienste vertreten, die den musikalischen Schirm nutzen, um reiche Kunden anzulocken. Andere Musikströmungen stehen im Abseits von Geld und Ruhm. Doch auch wenn es bis heute an einer Infrastruktur des Showbusiness für die World Music in der Ukraine mangelt, ist doch festzustellen, dass sich die Situation im Vergleich zu den 90er Jahren durchaus verbessert hat. Dies ist drei Faktoren zu verdanken: den Festivals, den Klubs und dem Internet. Seit dem Sommer 2004 gibt es in der Ukraine große OpenAir-Festivals nach dem Vorbild von Woodstock, jedoch mit ausschließlicher Ausrichtung auf Folkmusik. Die ersten und bis heute einflussreichsten sind Kraina Mriy [dt. Land der Träume] und Sheshory. Das war ein Strom von Frischwasser, der sich in das abgestandene Meer der Folkmusik ergoss. Die Festivals machten nicht nur einheimische Projekte bekannt, auf ihnen waren auch Weltstars wie Natacha Atlas, Hedningarna, Fanfare Cioca�rlia oder Transglobal Underground zu Gast. Die Festivalbewegung brachte das Blut der alten Genre-Vertreter in Wallung und begünstigte das Auftauchen neuer Interpreten. Dank dem Internet ist es möglich geworden, einen Stil außerhalb von Radio, Fernsehen und Presse populär zu machen. Obwohl es sich die großen Medien natürlich nicht leisten können, bei Events, zu denen Zehntausende von Besuchern strömen, abseits zu stehen. Diese Geburt der Event-Bewegung vollzog sich vor dem Hintergrund der sich bessernden wirtschaftlichen Situation in der Ukraine. Die Menschen konnten jetzt auch an andere Dinge denken als nur ihr täglich Brot, sie konnten Musik hören und gaben dafür Geld aus. Und auch wenn die Beschäftigung mit World Music keine großen Profite versprach, schien dieser Stil doch Perspektiven zu bieten. Zumal die Ukraine bei Ausbruch der Ethno-Festival-Bewegung schon Stars dieses Genres hatte, die im Ausland recht populär waren: Roman Grynkiw, Virtuose der Bandura und innovativer Musiker, hatte ein Album mit Al Di Meola aufgenommen; die Gruppe Gajdamaki kehrte nur in die Ukraine zurück, um sich von ihren endlosen Auslandstourneen zu erholen; das fantastische Quartett DachaBracha hatte eine eigene, unnachahmliche Fusion entwickelt, in die traditionelle Vielstimmigkeit und vielfältige EthnoInstrumente eingingen; Zavoloka ist das Projekt einer jungen Frau, die innovative elektronische Klänge produziert und sie unmerklich mit dem Gesang alter Frauen unterlegt. Diese ukrainischen Interpreten haben ihre Auslandserfolge ausschließlich sich selbst zu verdanken, denn im Allgemeinen ist der ukrainische Sektor der ethnischen Musik international recht schwach vertreten. Daran sind die Ukrainer allerdings selbst schuld. Die Virtuosen des Gutturalgesangs aus Tuwa zum Beispiel haben ohne jede externe Unterstützung den Planet erobert, man kennt sie überall. Unter den hunderttausenden Einwohnern von Tuwa ist jeder Zweite ein erfolgreicher Musiker. Die Ukrainer sind nicht weniger talentiert, nur weniger leidenschaftlich. Angesichts der äußerst reichhaltigen Musiktradition ist die Anzahl der Musiker umgerechnet auf die Bevölkerung eher gering, und erfolgreich sind davon noch weniger. Den Interpreten mittleren Niveaus gelingt es einfach nicht, eine höhere Stufe zu erreichen und im Inland ein konkurrenzfähiges Feld zu schaffen. Dabei stürmen sie schon heute die großen Festivals im Ausland und die Bühnen der Klubs. Mutige und zielstrebige Musiker gibt es in der Ukraine zwar, doch erreichen sie nicht die kritische Masse. folk in der ukraine Dennoch gibt es Vorbilder, die nachzuahmen ein aussichtsloses Unterfangen ist. Die Ukraine hat ihre eigene Yma Sumac — die einzigartige Sängerin Katya Chilly. Sie verfügt über die Stimme einer Sirene und deckt spielend vier Oktaven ab. Sie hat mit elektronischen Arrangements begonnen, hat Volkslieder durch die Schmiede des Jazz getragen und arbeitet gegenwärtig an einem halb-akustischen Programm. Ihre Art der Darbietung des folkloristischen Materials ist mehr als einfach nur Musik. Leider aber versuchen erfolgreiche Interpreten nur selten, eine eigene Schule zu bilden und Anhänger zu gewinnen. Das ist ganz bezeichnend für die ukrainische World Music. Während die Kubaner, Brasilianer, Tuwen und Malaysier versuchen, die Erfahrung ihrer Musiker nachzuahmen, sie mit neuem Sinn zu füllen und zu vervollkommnen, denkt jeder Ukrainer nur daran, wie er einen eigenen Stil begründen kann. Wenn das Spiel des egoistischen Nihilismus zu Ende ist, werden den erfolgreichen Playern auf dem musikalischen Feld andere, jüngere nachrücken, und letztlich wird die Balance auf der Grenze zwischen eigener Tradition und ausländischer Klassik zum Entstehen einer ukrainischen Nische der zeitgenössischen Ethnomusik führen. DachaBracha Zavoloka virale vibes die alternative musik maksim in belarus zbankou sucht nach ihrer zukunft 87 p heft N 12 musik alternative musik in belarus thomas weiler [Ubersetzung aus dem ukrainischen] Wer weiß was über belarussischen Pop? Vielleicht ist schon mal jemand in ein Club-Konzert des EthnoTrios Troitsa geraten. Oder hat den Rock ’n’ Roll-Klängen der ehemals verbotenen und inzwischen rehabilitierten Band N.R.M. gelauscht. Die neue belarussische Musik ist jedoch zunehmend unpolitisch, sie ergeht sich lieber in erlesener Dekadenz oder konzeptuellen Experimenten. Ein Dandy auf geistigen Hohenflugen E in kurzgewachsener Mann tritt ans Mikrofon: Die E-Gitarre vor dem Bauch, schwarzer Anzug, weißes Hemd. Er sieht aus wie einer der frühen Beatles, dem seine Kollegen irgendwo abhanden gekommen sind. Mit wippenden Stirnfransen singt er schräge Lieder über Orientierungslosigkeit, blinde Spiegel, Leni Riefenstahl oder die Wölfe auf den Hügeln und moduliert dabei gekonnt zwischen Flüsterton und Geschrei. Auch seine Gitarre beherrscht die gesamte Palette von sanftem Geklimper bis Schlagbohrmaschine. Sergej Pukst ist der erste (und einzige) Punk-Jazzer in der belarussischen Hauptstadt. Zu erleben ist er sporadisch in Clubs und in Kunstgalerien. Dort spielt er vor drei bis zwanzig interessierten Zuhörern. Pukst ist Musiker in der dritten Generation. Sein Großvater war ein berühmter Komponist der Sowjetära, seine Eltern gaben Klavierunterricht. Aber der experimentelle Künstler mit dem abgebrochenen Musikstudi- um macht alles andere als die Musik, die ihm an der Wiege gesungen wurde. Der kräftige Avantgarde-Rock mit Anklängen an John Zorn, Marc Ribot und die sowjetische Popmusik der 1930er gekreuzt mit Queen und James Brown konnte nur im Kopf eines Intellektuellen aus der düsteren Epoche entstehen, in der man dem Sowjetimperium beim Sterben zusah. Puksts verschlungene und paradoxe Gedankengänge sind mit Zitaten versetzt und provozieren gemeinhin. Seit seinem ersten Solokonzert mit 14 Jahren ist er unverändert der Auffassung, man dürfe das Publikum nicht schonen oder gar bedauern: »Gegenkultur ist für mich eine ästhetische Kategorie. Ich bin die Gegenkultur, wenn man so will. Denn ich gehe in kreativer Hinsicht den kleinstmöglichen Kompromiss gegenüber dem Zuhörer ein. Meine Aufgabe ist, meine Gedanken so klar wie möglich vorzutragen und sie nicht durch potenzielle Publikumserwartungen verfälschen zu lassen.« 89 Max Siry (RockerJocker) Mikhei Nosorogow (RockerJocker) p heft N 12 musik alternative musik in belarus Die klassische Pose des europäischen, vom ästhetischen Wert all seiner Gesten zutiefst überzeugten Avantgardekünstlers, ist hier nicht zu übersehen. Nur klingt so ein Statement seltsam in einem Land, das schon für einen anderen autoritären Charismatiker fernab der Musikwelt bekannt ist. Mit dem aktuellen belarussischen Regime, das sich auf allen Gebieten, von der Politik bis zum Musikfestival, stilistisch an der Kolchose orientiert, ist eine experimentierfreudige Avantgarde schlechterdings nicht vereinbar. Und die komplexen pukstischen Kompositionen gehen nicht nur an der gegenwärtigen Kulturpolitik vorbei, sondern auch am Geschmack des Massenpublikums. Das orthodoxe System der musikalischen Bildung, die unterentwickelte Clubszene, das rückständige Kulturmanagement und die Abschottung gegen westliche Gegenwartskünstler verhindern die Herausbildung eines wahrhaft kreativen, weltoffenen Milieus. Dabei könnte dieses neue Künstler generieren — und neue Hörer. Und sie auch noch zusammenbringen. Pukst ist kategorisch in seinen Urteilen: »Hier gibt es keinerlei Vernetzung. Künstler machen hier ihren Weg außerhalb einer wie auch immer strukturierten alternativen Szene, und sie sind dabei eigenständiger als in Berlin oder Moskau. Aber ihr Weg führt ins Nichts. Da erscheint zum Beispiel ein neues Album von mir. Der Sumpf macht einmal Blubb und ist dann wieder so still wie zuvor. Nach dem Konzert applaudiert das Publikum, das wars, das kannst du erreichen. Das musst du festhalten, dir ein Mädchen schnappen und es mit nach Hause nehmen. Als greifbaren Beweis für deinen Erfolg.« Nichtverständigung mit dem Publikum ist für den »orthodoxen Avantgardisten« Pukst kein Problem, sondern im Gegenteil Grundlage seines tragischen Stolzes: „Das Segment der intellektuellen Musik existiert bei uns praktisch nicht. Der Frosch in der bekannten Geschichte hat gestrampelt, bis die Milch zu Butter geworden ist und er den Absprung geschafft hat. Ich strample in Wasser, da wird nie Butter draus. Und ein Absprung ist nicht in Sicht. Es geht einfach darum, nicht unterzugehen …« Der begabte, an der »hohen« Kultur geschulte Künstler kann und will das Publikum nicht sehen. Dem hiesigen Publikum wiederum, dem die Tradition der westlichen Avantgarde kaum vertraut ist, erscheint die seltsame Musik unverständlich und damit uninteressant. Dieser Fall ist typisch für die belarussische Gesellschaft, die auch nach über zehn Jahren noch nicht über die Anfänge der sozialen Transformationen hinausgekommen ist. schuhe, Köfferchen für Pistolen und das gute Wässerchen vom Lande, Schellackplatten, französisches Kauderwelsch und aufreizende rote Schlüpfer mit weißen Punkten … Ein Koffertheater, eine Show der Verschleppten, Patchworkfolklore, die mit buntem europäischem Retro die farblose Stadtlandschaft aufmischt. Anfangs bezeichnete Swadba ihren Stil noch schamhaft als »VorortChanson«, dann verpasste man sich das Label Freak Cabaret Band. »Ich bin ein Cabaret-Mensch, auch abseits der Bühne«, erklärt Benka. »Das Cabaret, besonders das französische, hat eine wunderbare Qualität — es ist leichte Muse. Und es nimmt auch das Leben leicht, ist positiv und lebensbejahend. Was wir auch tun, es fällt immer irgendwie exzentrisch aus.« Deshalb passte das Freakige, das auf der Bühne geschah und erklang, nicht ins typische belarussische Pop-Schema, sondern hob sich wohltuend davon ab. Der Freak-Aspekt ist in jüngster Zeit von den Konzertplakaten verschwunden. Dafür haben die Musiker eine simple Erklärung. Freakig sein heißt auf Effekte zu setzen und am Rande des Zulässigen etwas zu riskieren. Der aktuelle Swadba-Kurs geht aber eher in Richtung zart und kuschelig oder verspielt dekadent. Doch selbst in dieser entschärften Version ist die »Gruppe der wunden Seelen und zerrütteten Nerven«, wie Benka die Band dem Publikum gern vorstellt, eine Anomalie im belarussischen Showbiz. Welche geleckte Popdiva würde es wagen mit todernster Miene zu singen: »Ich werfe mich für dich in Schale, du siehst nur dein Pokalfinale«? Dieses demonstrative Daneben und die erschütternde Ehrlichkeit sind das eigentliche Geheimnis des Swadba-Erfolges. Die Retro-Träumer würden ohne lange nachzudenken dem Nächstbesten ihr Westentaschen-Paris überlassen. Damit auch er sein kleines Frankreich hat. Die aufmüpfigen und anrührenden Swadba-Lieder klingen wie Briefe aus einem anderen Leben. Und die Helden dieser Lieder — Immanuel Kant die Pelzratte, der struppige Hund Baskerville, die kühnen Piloten oder die verträumten Mädchen in ihren wattierten Mänteln — kennen den Weg dorthin. Das alles ist reichlich infantil und simpel. Dafür kommt es ehrlich rüber und ist für alle zugänglich. Und, nicht zu vergessen, hier kann man nirgends Anstoß nehmen. Wer wollte denn mit Kuscheltieren streiten? Swadba inszeniert gekonnt die professionelle Flucht in eine Fantasiewelt. Ihr Programm ist ein Hybrid aus Solotheater, Straßenzirkus und exzentrischem Poetryslam. Aus diesen so unterschiedlichen wie bunten Zutaten wird vor den Augen des Publikums die Flickendecke fürs Paris Kinderzimmer geschneidert. Unter ihr ist es gerade auch für diejenigen fur schön warm, die genug haben von der großen Politik und die längst die nicht mehr an das schnelle Glück des loyalen Wählers glauben. Unser Westentasche Teile der Bohème, denen die Rolle des unverständlichen Künstlers nicht Cabaret lebt in blumigen Träumen und denkt gar nicht daran aufzuwagefallen will, entscheiden sich für den Zirkus. Zum belarussischen Ex- chen. portschlager aus dieser Ecke entwickelte sich in den vergangenen Jah- Marktgerechte ren die musikalisch-lyrische Clownerietruppe Serebrjanaja swadba. Buletten Sieben Akustikinstrumente (Banjo, Bajan, Geige, Kontrabass, Schlag- In der Minsker alternativen Szene tummeln sich aber auch Gestalten, zeug und Bläser), dazu die unvergleichliche Frontfrau Swetlana »Benka« die sich weniger leicht einordnen lassen. Ben, professionelle Regisseurin und Mädchen mit der Ziehharmonika in »Schon komisch, hier gelten wir als abstoßend und vulgär, in Moskau Personalunion. Federboas, neckische Hütchen, Schleier, Spitzenhand- und Petersburg sind wir Ästheten.« Der schwergewichtige Michej No- -sogorow 90 p heft N 12 musik alternative musik in belarus No- sorogow (Gesang, Ukulele, Texte und Musik für das Duo RockerJocker) scheint ehrlich überrascht. Nach einem gewaltigen Sprung im vergangenen Jahr vom derben Akustik-Chanson zum raffinierten Clubsound im Stile des späten Tom Waits, hat Nosorogow seine Erfolgsformel gefunden und seine marginalen (quasi)musikalischen Erfahrungen in ein kommerzielles Produkt umgewandelt. Er gesteht freimütig ein, dass sein Partner Max Siry (Akkordeon, Backvocal, musikalische Leitung) für ihn der Ausweg aus der Sackgasse Solokarriere war: »Ich habe kapiert: Das Hackfleisch hast du. Gut ist es auch, schön blutig. Nichts wie ran ans Bulettenbraten. Aber allein hab ich das nicht hinbekommen.« Entscheidend waren also die Unzufriedenheit mit sich selbst und der Drang, sich qualitativ zu verbessern. Beides Beweggründe, die in der Minsker Szene sonst kaum zu finden sind. Der Nosorogow aus der Zeit vor RockerJocker war ein Diplom-Designer, der mit den Beatles, Wyssozki und den Sex Pistols groß geworden ist. Eine so dreiste wie hoffnungslose Bewerbung um den Status des Kultigen: kaputte Stimme, verstimmte Akustikgitarre, nervige Texte in der Tradition der poètes maudits von Rimbaud bis Majakowski, hohe Vulgarismendichte und Sehnsucht nach dem blauen Himmel. Ein Undergroundkünstler, wie ihn sich die Absolventen der hiesigen Kunsthochschulen vorstellen. Mit immer neuen holprigen Blues-Stücken und unrunden Balladen, zum Besten gegeben vor zweieinhalb Fans, für die er der Größte war, so hätte es noch lange feucht und fröhlich weitergehen können. Fernab des »normalen« Publikums und ignoriert von der angewiderten lokalen Musikkritik, die sich an derlei »Müll« nicht die Finger schmutzig zu machen gedenkt. Nosorogow und Siry haben einen anderen Weg eingeschlagen. Dafür musste das jüngste Projekt zunächst einmal legal sein. Also wurden die Texte von zensurgefährdetem Vokabular gereinigt. Dann ließ man den rauen Underground-Sound leicht frisieren, bis er satter und prägnanter daherkam. Und schließlich hieß es Abschied nehmen von der für Undergroundkünstler so charakteristischen Eigenliebe und der Begeisterung für das Undergroundige. Schluss mit billigen Tricks und großen Posen. Neues Arbeitsmotto: »Gejammert wird nicht!« Und dann noch die Suche nach dem unverwechselbaren Stil: minimalistisches akustisches Chanson, formell volksnah, dabei mit Sinn fürs Ästhetische. Zuletzt muss einem dann nur noch sein Publikum ans Herz wachsen, man bediene sich dabei aus den vielen Schubladen der globalen alternativen Musik, die in diesen Breiten noch weitgehend unbekannt sind. »Wir wollten ein Projekt machen und es dann verkaufen. Aber wir verkaufen tatsächlich etwas, das uns selbst ganz gut gefällt!« Wie jedes ernst zu nehmende Pop-Erzeugnis funktioniert auch RockerJocker auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Die Fans des radikalen Cabarets lächeln beglückt über Anklänge an Tom Waits und die Tiger Lillies. Freunde des Konzeptprogramms wissen die raffinierten Texte und die provokant vernachlässigte Imagepflege des Duos zu schätzen: »Wir gehen so auf die Bühne, wie wir auf der Straße unterwegs sind. Trotzdem kriegen wir noch zu hören, dass wir doch ganz schön extravagant sind.« Und die neue Mittelschicht, die auf allen In-Partys zu Hause ist, erkennt den Rhythmus der Straße wieder und lässt sich mit rotzigen Strophen über Cunnilingus und Fellatio ködern. Sicher, diese Musik wird auch immer wieder angefeindet, von pedantischen Ästheten genauso wie von Rockern alter Schule (den deftigen Straßenslang aus seiner Solozeit hat man Nosorogow noch immer nicht verziehen). Und, ja, diese Musik passt überhaupt nicht ins gewohnte Bild der Lieder aus Lukaschenka-Land. Aber genau das macht ihren Charme aus. RockerJocker ist ein Club-Projekt, das bei In-Veranstaltungen genauso erfolgreich laufen kann wie in Kunstgalerien oder nächtlichen Vorortzügen. RockerJocker reißt die Grenze zwischen hoher und nicht ganz so hoher Kultur ein. Das Duo verwandelt kulturellen Müll und die Schlacke von der Straße in ein künstlerisches Faktum. Es riskiert etwas. Und das ist aller Ehren und Sympathien wert. Sandkasten statt Barrikade Hochmütige Gleichgültigkeit gegenüber dem Publikum (Pukst), RetroRummel mit Auslandsspielereien (Serebrjanaja swadba) und die Erfindung einer neuen, publikumswirksamen Sprache (RockerJocker) sind die Hauptstrategien des belarussischen Undergrounds. Und bei allen Unterschieden der Musiker gibt es doch drei verbindende Elemente: künstlerische Vorbildung, Sympathie für musikalische Nachlässe und unpolitische Grundgesinnung. Gerade der letzte Punkt verdient besondere Beachtung. Die Musik jenseits der gängigen Formate erwächst in Belarus aus einem neuen Verständnis der Realität nach der Präsidentenwahl von 2006. Damals hatte Lukaschenka sich selbst eine weitere Amtszeit zum Geschenk gemacht und die Hoffnung auf eine farbige Revolution in Belarus zerschlagen. Zu dieser Zeit hatte sich auch der Protest-Rock als politisch-agitatorische Ressource auf Oppositionskundgebungen erschöpft. Mit dem Ende der globalen politischen Konfrontation verschob sich folgerichtig auch das Interesse der alternativen Kultureliten hin zu privaten Initiativen. Nosorogow sagt unverblümt: »Ich will keine Revolution. Ich will keine Ideologie und auch keinen neuen starken Mann. Keiner will weiter auf ein Wunder warten. Deshalb schauen wir nicht mehr zum Himmel, sondern in die Runde. Und da sehen wir den großen Sandkasten, der nur auf Samenkörner wartet. Was du säst, das wächst dann auch. Ich will hübsche Mädels sehen und normale Jungs, die hinter ihnen her sind. Diese Atmosphäre will ich schaffen und erhalten. Da fühle ich mich wohl. Und der Sandkasten hat mit Revolution rein gar nichts zu tun. Gut, er hat seine Grenzen. Aber was ist so schlimm daran?« Die alternative Musik in Belarus ist heute eine Musik der sozialen Stagnation. Sie produziert virale Vibes in einer geschlossenen Gesellschaft, die sie unmerklich von innen heraus verändern. Serebrjanaja Swadba todar bunt in weissrussland 93 p heft N 12 musik Wechselhaft thomas weiler Das Chamäleon verfügt über die seltene Fähigkeit, seine Farbe zu wechseln. Todar trägt das glatte, braune Haar schulterlang, gern hinter die Ohren geklemmt, dazu einen Vollbart, der diesen Namen auch verdient. Markantestes Element seiner Garderobe sind die leuchtend roten Turnschuhe. Das war jedenfalls der Stand bei Redaktionsschluss. Und Aussagen über Todars äußeres Erscheinungsbild haben traditionell eine überschaubare Halbwertszeit. Auch als Musiker lässt sich Todar kaum in einer Schublade unterbringen. Studiert hat er Klarinette und Gesang, in seinen diversen Bandprojekten ist er aber auch als Saxophonist, Gitarrist, Pianist oder Percussionist in Erscheinung getreten. Auf den frühen Alben der damaligen belarussischen Kultband KRIWI beschränkte man sich bei der Rolle Todars (aus Platzgründen?) auf die schlichte Auskunft: Multiinstrumentalist. Zumindest stilistisch schien er in seinen Anfängen bei Pałac und KRIWI einigermaßen festgelegt zu sein auf traditionelle weißrussische Gesänge in Kombination mit modernen Elementen aus Pop und Dance — Kehlgesang und Drehleier treffen auf Loops und Synthesizer. Aber auch auf die Ethnopop- oder Neofolk-Ecke wollte sich Todar nicht festnageln lassen. Mit seinem WZ-Orkiestra beglückt er die Fans seit 2002 mit mindestens einem neuen Album pro Jahr. Und kommt dabei reichlich herum in der Welt der Stile — neben folkloristischen Klängen finden sich auch Chansons, Countrymusik, Rock ’n’ Roll, Balladen und Wiegenlieder. Kennt dieser Mann eigentlich auch unveränderliche Kennzeichen? Todar singt Lyrik. Todar [Тодар] Źmicier Vajciuškievič [Зьміцер Вайцюшкевіч]; *1971; prominenter belarussischer Liedermacher und Weltmusiker. www.todar.net KRIWI [Крыві] 1996 in Minsk gegründete Newfolk-Band, 1997-2001 mit Todar. Pałac [Палац] 1992 in Minsk gegründet, 1992– 98 mit Todar. WZ-Orkiestra [Усход-Захад Аркестар] 2001 von Todar begründetes Weltmusik-Ensemble, Ost-West-Orchester. Miesiac i Sonca dt. Mond und Sonne. Nioman [Нёман] Fluss in Belarus, Litauen [Nemunas] und Russland/Kaliningrad [Неман], dt. Memel. Rafał Wojaczek 1945 –1971; polnischer Poète maudit. schreiben«, sagt er lachend. Deshalb ist er im Ausland eigentlich immer nur unter seinem Pseudonym unterwegs, einer belarussischen Variante des Namens Theodor. In Japan wird man sich auch glücklich geschätzt haben, den weit gereisten Gast als Todar-san begrüßen zu dürfen. Weitsichtig Das Chamäleon verfügt aufgrund seiner Augenstellung über ein extrem weites Gesichtsfeld. Masako Tatsumi, japanische Slawistin, Gründerin und Leiterin des Japan-Zentrums in Minsk, hat Todars Blick für ihr Heimatland und seine Musik geöffnet. Aus Masakos russischen Interlinearversionen zehn bekannter japanischer Volkslieder hat der Lyriker und Liedermacher Aleś Kamocki belarussische Gedichte geschaffen, die Todar mit seinem WZ-Orkiestra dann musikalisch interpretieren konnte. Der Name des Orchesters ist Programm — WZ steht für Ost-West. Und Todar hat sich beim östlichen wie beim westlichen Nachbarn von Belarus je einen Lyriker ausgesucht, der zu seinen Lebzeiten polarisiert und provoziert hat und von dem er sich musikalisch herausgefordert sah. Das Album mit Vertonungen von zwölf Gedichten des Russen Wladimir Majakowski ist 2005 erschienen und prompt als beste Majakowski-Vertonung ausgezeichnet worden. Die Lieder nach Versen des Polen Rafał Wojaczek waren bislang nur bei Konzerten zu hören, eine Einspielung ist aber in Planung. Um die belarussische zeitgenössische Lyrik hat Todar sich mit seinen Alben über Leanid Drańko-Majsiuk, Aleś Kamocki, Ryhor Baradulin, Uładzimier Niaklajeu�, Hienadź Burau�kin oder Michał Aniempadystau� ohnehin verdient gemacht. Nun wartet er noch auf eiZungenfertig Das Chamäleon kann seine Zunge mit erstaunlicher Geschwindigkeit nen aufgeschlossenen Musikerkollegen aus Polen, Russland, Litauen, herausschleudern. Todar singt Belarussisch. Und Russisch. Und Pol- Lettland oder der Ukraine, der den Blick über die Grenze wagt und seinisch. Und bei der Japan-Tournee zum Album Miesiac i Sonca (2005) nerseits belarussische Lyrik in Töne fasst. sogar ein bisschen Japanisch. Ukrainisch, Englisch und Französisch Schutzenswert könnte sich Todar auch noch gut vorstellen. Aber das Belarussische ist Das Chamäleon ist in seinem natürlichen Lebensraum gefährdet und seine Sprache, die er auch im Alltag pflegt. Er stammt ja aus der bela- steht unter Artenschutz. In Todars Karriere gab es eine Phase, in der er russischen Provinz, aus dem Städtchen Biarozaŭka, das im Westen des auf der »schwarzen Liste« stand, wie er selber sagt. Im Fernsehen war er Landes am Nioman gelegen ist. Und bei aller Weltläufigkeit und allen plötzlich nicht mehr zu sehen, Veranstalter für Konzerte wandten sich Tourneen ist ihm diese Region immer wichtig geblieben. Hier hat er sich ohne Angabe von Gründen ab. Wer sich in Belarus als öffentliche Perauch ein altes Gehöft gekauft, das sein liebster Rückzugsort ist, er nennt son der belarussischen Sprache bedient, steht schnell unter besondees Vajciuški. Todar heißt nämlich mit bürgerlichem Namen Źmicier Vaj- rer Beobachtung. Und wer darüber hinaus zu sensiblen Themen wie ciuškievič. Aber welche nichtslawische Zunge brächte diesen Namen Abschaffung der Todesstrafe, Gewalt in Familien oder Erhalt des Biaschon flüssig heraus? »Die Deutschen brauchen für Wajzjuschkewitsch łowieża-Urwaldes Stellung bezieht, muss ein Überzeugungstäter sein. 17 Buchstaben, das kannst du ja kaum aussprechen, geschweige denn Das Chamäleon stammt ursprünglich aus Ostafrika. Vergleiche hinken. mit dem lied um die welt musikleben birgit in lettlandjohannsmeier 95 p heft N 12 musik 23 ter August 1989. Es ist Mittwoch, warm, sonnig — und doch kein Spätsommertag, wie jeder andere. Punkt 19 Uhr dröhnt aus hunderttausenden Transistorradios die Ballade von den drei Schwestern, die am Meeresufer erwachen, um ihre Ehre zu verteidigen. Gesungen wird dreisprachig: »Estland, Lettland und Litauen.« Für mehr als 2 Millionen Menschen im Baltikum ist dieser Refrain das Signal, einander an die Hand zu nehmen. Sie sind zu Fuß, mit dem Auto oder im Bus an die Via Baltika gekommen. Viele rollen ihre verbotenen Nationalflaggen aus. Ints Teterovskis ist an diesem Tag mit dem Fahrrad unterwegs. Hand in Hand will der 16-jährige in der 650 Kilometer langen Menschenkette stehen, die von Estland über Lettland nach Litauen reicht. Alle kennen nur ein Ziel: Am 50. Jahrestag gegen den Molotow-Ribbentrop Pakt zu protestieren. »Das waren geballte Emotionen«, meint Ints Teterovskis, der mit seinen Freunden am Stadtrand von Riga lettische Freiheitslieder sang. »Ich hätte in der nächsten Sekunde sterben können und hätte es mit Stolz getan.« Mit ihrer singenden Revolution haben sich alle drei Baltischen Länder nicht nur ihre Freiheit friedlich erkämpft, sondern auch die Herzen der musikleben in lettland europäischen Nachbarn erobert. Von den siegreichen Letten, die ihre Gegner mit einem gemeinsamen Lied in die Flucht schlagen, erzählen auch schon die Legenden. Denn das Singen, ob in der Familie, unter Freunden oder im Chor, gehört in Lettland einfach seit Jahrhunderten dazu, erklärt Ints Teterovskis. Der 16-jährige Freiheitssänger von einst ist mittlerweile als Dirigent zahlreicher Chöre weit über die lettischen Grenzen hinaus bekannt und tritt weltweit mit seinem Chor Balsis auf. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts, in der Zeit des Nationalen Erwachens, als die Letten noch von den deutschen Baronen beherrscht wurden und zum Russischen Zarenreich gehörten, drückte sich ihre Kreativität vor allem in ihren Liedern aus. Berühmt sind die so genannten »Dainas«, die lettischen Vierzeiler, gedichtet während der Arbeit oder nach Feierabend von den Menschen auf dem Land. Mit Texten und Melodien haben sie damals alle Facetten ihres Alltags besungen. Und diese Tradition wollten sie auch beibehalten, als Lettland nach dem Ersten Weltkrieg seine Unabhängigkeit erhielt. Sofort wurde die Baltenrepublik mit einem Netz von mehr als hundert Jugendmusikschulen überzogen, die sogar in den Jahren sowjetischer Besatzung das Singen und Musizieren an den Nach- -mittagen 96 p heft N 12 musik musikleben in lettland Der lettische Staatspräsident Valdis Zatlers, bei der Eröffnung des Abschlusskonzerts des lettischen Sängerfestes im Juli 2008. GEWINNspiel fUr LIEBHABER DER KLASSISCHEN 5-mal DIE 7-CD-Box MUSIK »THE WINNER« ZU gewinnen War Frédéric Chopin aus Ihrer Sicht eher Pole oder Franzose? Beantworten Sie unsere Frage und schicken Sie Ihre Antwort mit Begründung und mit Ihrer Post- und E-mail-Adresse bis zum 30.1.2011 an gewinnspiel@pplus-magazine.eu. Die fünf interessantesten Beiträge werden prämiert. Das 7-teilige Album »The Winners« mit den Aufnahmen aller bisherigen Gewinner des Internationalen Chopin-Wettbewerbs in Warschau ist eine Rarität. Es ist die einzige Originalpublikation weltweit, deren erste Ausgabe aus dem Jahr 1990 stammt und nun um die Gewinner aus den Jahren 1995–2005 ergänzt wurde. Dazu gehören WeltklasseInterpreten wie Maurizio Pollini, Martha Argerich, Garrick Ohlsson, Krystian Zimerman, Dang Thai-Son, Stanislaw Bunin. Unter den Sammlern gilt diese Chopin-Kollektion als »bibliophile Kostbarkeit« und ist zugleich ein historisches musikalisches Dokument zur Geschichte des Wettbewerbs und dessen Entwicklung. Der 16. Chopin-Wettbewerb startet am 30.09. und dauert bis 23.10.2010. Mehr zu der Chopin-Jubiläumsausgabe Der Rechtsweg ist ausgeschlossen! unter www.polskienagrania.com.pl 99 p heft N 12 musik musikleben in lettland Nach- mittagen förderten. Früher begannen die Kinder als Sechsjährige mit dem Notenlesen, Singen und Dirigieren, heute werden schon die Kleinsten spielerisch an die Musik herangeführt. Solvita Bumbire singt täglich mit Jungen und Mädchen, wobei sie die Kinder nicht nur für das gemeinsame Singen begeistern will sondern ihnen zum Beispiel auch beibringt, wo die rechte Seite liegt: Solvita Bumbiere singt über den Löffel, den sie in die rechte Hand der Kinder legt, im nächsten Lied kochen alle Kinder Suppe für Krokodil und Giraffe und füttern anschließend die Tiere. »Da greift alles ineinander«, sagt Solvita. »Musik, Emotionen und Gedächtnis und das Kind lernt etwas.« Stolz ist nicht nur Solvita Bumbiere, wenn den Kindern mal der richtige Rhythmus gelingt, auch Mütter, Väter oder Omas freuen sich über die musikalischen Erfolge. Aija Puriete kommt zweimal in der Woche mit ihrer Enkelin Marta. Sie selbst stammt aus Skriveri, einem Dorf 80 Kilometer von Riga entfernt. Marta ist zwei Jahre alt und soll wie einst Oma und Mutter nicht nur in der Musikschule lernen, sondern auch einmal als Chormädchen zum Lettischen Sängerfest gehen. »In unserem Dorf gibt es drei Chöre, die zum Sängerfest nach Riga wollen. Wir wetteifern mit den anderen Chören aus der Umgebung darum, wer fahren darf. Egal ob jung oder alt, bei uns singen und tanzen alle und wollen an diesem Fest teilhaben.« Das lettische Sängerfest ist ein Gesangsereignis der Superlative und findet alle fünf Jahre in Riga statt. Eine baltische Tradition, die 1869 im estnischen Dorpat, dem heutigen Tartu, gegründet worden ist und abwechselnd in Estland, Lettland und Litauen gefeiert wurde. Dieses Symbol nationaler Identität hatten die Kommunisten verboten, aber seit der Unabhängigkeit hat es wieder einen hohen Stellenwert im Staat. Auch im Balsis-Chor von Ints Teterovskis stehen alle unter Strom, wenn ihr Dirigent ihnen das Letzte abverlangt, um sich im Wettstreit mit mehr als 300 Amateurchören für das große Finale zu qualifizieren. »Es werden ungeheure Energien freigesetzt, wenn hunderttausend Menschen zusammen singen«, sagt er. »Sie tragen uns.« Natürlich gebe es auch große Gefühle bei Popkonzerten. »Aber dann singen nur 10 Leute und hunderttausend hören zu, bei dem lettischen Sängerfest singen alle zusammen, das ist etwas ganz anderes.« Woche für Woche sind mehr als vierzig Augenpaare auf den blonden Hünen gerichtet, wenn er mit geschultertem Mountainbike in der Altstadt von Riga zur Chorprobe erscheint. Sogar an kühlen Regentagen lässt sich Ints nur im T-Shirt und Bermudashorts blicken, weil es im historischen Kellergewölbe der Kleinen Gilde rasch warm und stickig wird. Anders als ihr Dirigent kommen die meisten Sänger gerade von der Arbeit: Junge Frauen und Männer, chic gekleidet, in Kostümen oder Anzügen. Janis Alekins ist Verkaufsleiter in einer Holzfirma und kann sich ein Leben ohne den Balsis-Chor nicht vorstellen. Den ganzen Tag über denke er nur über materielle Dinge nach und über Geld, sagt er. Hier aber könne er sich ausruhen und in eine andere Welt abtauchen. »Sie können sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn wir ein Lied singen und das Publikum völlig begeistert mitgeht. Die Leute reagieren so emotional, das verleiht mir Flügel.« Es gebe aber auch noch einen ganz pragmatischen Grund, weshalb er das Chorsingen liebe, verrät der Manager. Die Reisen ins Ausland. An sich gebe es in seinem Betrieb eine Urlaubssperre, mehr als 14 Tage am Stück seien für die Mitarbeiter nicht drin. Großzügiger aber gebe sich sein Chef, wenn es um eine dreiwöchige Chortournee gehe: »Das Chorsingen hat einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert, deshalb lässt mich mein Firmendirektor ziehen.« Chorproben, Konzerte, Auslandsreisen: Viel Zeit für ein eigenes Privatleben bleibt den Sängern kaum. Deshalb gäbe es mittlerweile schon fünf Ehepaare, sagt Ints Teterovskis schmunzelnd, die sich in seinem Chor kennen und lieben gelernt haben. Sobald allerdings Nachwuchs käme, würden gerade Tourneen im Ausland für eine Weile an den Nagel gehängt. Ints selbst ist unentwegt unterwegs: Mal dirigiert er das Bach Orchester in Bremen, gibt Seminare in New York und Toronto oder lädt zur internationalen Meisterklasse in die Lettische Kleinstadt Ogre ein. Denn Qualität und Vielschichtigkeit der lettischen Musiklandschaft haben sich längst herumgesprochen. Immer häufiger suchen junge Musiker aus aller Welt den Weg nach Lettland, um sich dort ausbilden zu lassen. Zum Beispiel bei dem lettischen Altmeister für Neue Musik, bei Peteris Vasks. Kaum einer versteht es wie er, seine Faszination vom Rauschen der lettischen Wälder, dem ersten Schrei der Nachtigall oder dem flirrenden Licht über der ruhenden Ostsee in Töne zu fassen, um bewegende Klangbilder zu schaffen. Klangbilder, die sein langjähriger Freund Gidon Kremer mit seinem virtuosen Violinenspiel und mit der Kremerata Baltica für uns hörbar macht. Maija Kovolevska, Viesturs Jansons oder Elina Garanca haben den lettischen Operngesang in die Welt und an die Metropolitan Oper in New York gebracht. Grund genug für die ukrainische Sopranistin Lilija Namisnyk als private Meisterschülerin an die Ostsee zu kommen. Denn während ihres Studiums in Wien habe sie erfahren, dass diese lettischen Opernstars von ein und derselben Vokalpädagogin unterrichtet worden seien: Von Anita Garanca, der Mutter von Elina Garanca. »Ich wollte sie für mich gewinnen. Aber dann, beim Vorsingen in Wien, habe ich völlig versagt. Trotzdem gab sie mir eine zweite Chance.« Der Ruf der lettischen Opernsänger kommt sogar der Nationaloper in Riga zugute. Mit gewagten Inszenierungen wie dem Ring des Nibelungen, einem jährlichen Sommerfestival und dem 32-jährigen Andris Nelson hat sie es mittlerweile zum bestbesuchten Musiktempel im Baltikum gebracht. Der Dirigent Andris Nelson lockte gerade mit seiner Wagner Interpretation nach Riga und zählt heute zu den gefragtesten jungen Dirigenten in der internationalen Musikszene. Waren es früher Städte wie Paris, London oder Berlin so steht mittlerweile gerade Riga bei den westeuropäischen Musikstudenten hoch im Kurs. Die vierundzwanzigjährige Gwendolyn Vankersbilck hat für zwei Semester ihre Hochschule in Belgien gegen die lettische Musikakademie eingetauscht. Neben vielen Einzelstunden übt sich die angehende Pianistin zweimal am Tag mit lettischen Streichern in Kammermusik. Jeder wisse, dass das musikalische Niveau in Nordeuropa sehr hoch sei, sagt sie. Und sie habe unbedingt besser werden wollen. »Da hat mich eine Professorin auf den guten Ruf der Streicher in Riga aufmerksam gemacht. Na, wenn die Streicher so gut sind, dachte ich mir, dann sollten die Pianisten wohl kaum schlechter sein.« Die lettische Musikakademie residiert im Zentrum von Riga und ist von langen Fluren durchzogen, wo sich hinter zahllosen Türen kleine und große Übungsräume befinden. In einem der kleinen Studios setzt soeben der 23-jährige Domenico Spera seinen Bogen an. Domenico hat schon im letzten Frühjahr Rom verlassen, um zuerst in Estland und jetzt an der lettischen Ostseeküste sein Geigenspiel zu vertiefen. Er habe gern die russische Musikrichtung studieren wollen, sagt er, deshalb habe er eine Akademie in der Nähe Russlands gesucht. »Ich bin der erste Italiener, der zum Austausch ins Baltikum gekommen ist. Und weil ich in Estland rasch Fortschritte gemacht habe, bleibe ich jetzt an der lettischen Musikakademie noch ein weiteres Jahr.« Betreut werden Domenico und Gwendolyn von Maja Sipole. Die Professorin ist stolz, dass sich die Qualität der Lettischen Musikakademie so schnell herumgesprochen hat. Im letzten Jahr hätten sich 13 junge Leute aus ganz Europa für Riga entschieden und für das Herbstsemester liegen ebenfalls bereits Bewerbungen und Hörproben vor. »Über das Erasmus Austauschprogramm haben wir mit 62 Musikhochschulen in der EU Verträge. Der Gastaufenthalt wird voll finanziert. Aber wer nicht gut genug ist, wird abgelehnt.« Einen Haken hätte der Austausch allerdings doch, meint sie. »Die angehenden Musiker können bei uns zwar auf Deutsch oder Englisch praktizieren, aber weder einen Bachelor noch Master erhalten. Denn unser Sprachgesetz verlangt, dass alle Prüfungen auf Lettisch abgenommen werden, sogar Musiktheorie wird auf Lettisch gelehrt.« Auch wenn er keinen Abschluss erhalten kann, ist sich Domenico sicher, dass ihm seine Studienzeit an der Ostsee bei seiner Suche nach einem Orchesterplatz in Italien weiterhelfen werde. In Rom kenne zwar kaum einer die Baltischen Länder, sagt er, aber wenn er von der »Russischen Schule« spreche, dann hören alle aufmerksam zu. »Und dass ich sogar ein Studienjahr in Estland und eines in Lettland nachweisen kann, das öffnet mir sicher die Türen bei den besten Ensembles.« Einundzwanzig Jahre nach der singenden Revolution haben sich Musik und Themen in Lettland verändert, sagt der Dirigent Ints Teterovskis, aber die Lust am Gesang sei ungebrochen. Die Zeit der reinen Volksund Freiheitslieder sei vorbei, stattdessen würden sie mit neuen Gospel, Jazz oder Poprhythmen vermischt. Der Staat leidet unter der weltweiten Finanzkrise und kann die Jugendmusikschulen kaum noch unterhalten. Viele Leute mussten Gehaltskürzungen hinnehmen oder sind ohne Arbeit, aber trotzdem melden sich auch in diesem Jahr wieder mehr Kinder an, als es Plätze gibt. sorbisch by nature jorg ciszewski 101 i p heft N 12 musik n der Lausitz, östlich von Berlin und zwischen Cottbus im Norden und Bautzen im Süden, wird auf Sorbisch gesungen, gerappt, gebrüllt und geschmachtet. Die Jungen spielen in wechselnden Formationen Hardcore, Folk oder Schlager, die Alten singen in Chören. Der musikalische Output der sorbischen Minderheit ist enorm. »Neben der Sprache besteht der einzige kulturelle Unterschied zwischen Sorben und Deutschen darin, dass die Sorben eine große Offenheit für Musikrichtungen aller Stile aufweisen. Das zieht sich quer durch die Generationen«, sagt Fabian Kaulfürst, der als Sprachwissenschaftler am Sorbischen Institut in Cottbus tätig ist. Offiziellen Angaben zufolge leben etwa 60.000 Sorben in Brandenburg und Sachsen. Tendenz fallend. Während in der Niederlausitz in der Region um Cottbus noch etwa 7.000 Sprecher des Niedersorbischen wohnen, werden in der sächsischen Oberlausitz noch 15.000 Sprachträger des Obersorbischen geschätzt. Zwischen Bautzen, Hoyerswerda und Kamenz gibt es katholisch geprägte Dörfer, in denen das Obersorbische noch als Alltagssprache auch von jungen Leuten gesprochen wird. »Und gesungen«, so Fabian Kaulfürst. Der 30-Jährige singt mit seinen Mitstreitern in der Band Wúlbernosće sorbische A-cappella-Songs in einer vierstimmigen Variante. Auf Sorbisch hat er auch schon gerappt und Folkmusik gemacht. »In der Oberlausitz sind zum Beispiel auch die Deyzi Doxs zu Hause. Sie kommen aus verschiedenen Dörfern der Region und spielen etwas zwischen Heavy Metal und Hardcore«, so Kaulfürst. Einige der Bandmitglieder musizieren samstags in einer Tanzkapelle auf Hochzeiten, andere sitzen auch schon mal sonntags hinter der Kirchenorgel, erzählt Kaulfürst. Die musikalischen Sphären sind sehr durchlässig. Die Deyzi Doxs komponieren alle ihre Songs selbst und waren bereits in Polen und Tschechien auf Tournee. Ihre ersten Tonträger haben sie im vergangenen Jahr eingespielt. »Die Mitglieder der meisten sorbischen Bands in der Region haben sich am Sorbischen Gymnasium in Bautzen kennen gelernt«, sagt Kaulfürst. Mittlerweile hat das Studium die Absolventen in alle Himmelsrichtungen verstreut. »Doch am Wochenende kommen viele von ihnen zurück in die Heimat.« Die kulturelle Bindung sei nach wie vor stark, so Kaulfürst, der in Cottbus arbeitet, in Bautzen wohnt und mit seiner jungen Familie den Umzug zurück ins Dorf plant. Viele Bands aus der Oberlausitz wie etwa Stoned Hajtzer oder Awful Noise haben in ihrem Repertoire aber auch englischsprachige Songs. Die junge Band Die Folksamen aus Cottbus singt neben Sorbisch und Englisch auch Deutsch. Die Gruppe hat sich in Vorbereitung auf einen Auftritt beim Absolvententreffen des Niedersorbischen Gymnasiums, der traditionellen Schadowanka, im Oktober 2008 gegründet. Die Band um den Sänger und Gitarristen Manuel Semisch genießt in der Niederlausitz mit ihrem sorbischen Folk-Jazz eine Art Exotenstatus, denn im Gegensatz zum Süden gibt es hier keine musikalische Sorben-Szene. »Im vergangenen Jahr waren wir mit einer offiziellen Delegation der Stadt Cottbus zum 65. Jahrestag der Befreiung von den Nazis in der französischen Partnerstadt Montreuil eingeladen. Sozusagen als Vertreter des jungen Sorbentums in der Niederlausitz«, erzählt Semisch. Die fünf knapp 20jährigen Jungs wollen mit ihrer Musik auch auf die Probleme der Sorben in der Region aufmerksam machen. In der Niederlausitz war der Assimilierungsdruck durch die Industrialisierung für die Niedersorben in den vergangenen Jahrzehnten größer als weiter im Süden, wo sich ein nicht zuletzt durch den Katholizismus stark geprägtes sorbisches Sozialmilieu erhalten konnte. Sprachwissenschaftler prophezeien der niedersorbischen Sprache nur noch eine kurze Zukunft, denn sie wird von der Elterngeneration kaum noch den jungen Leuten vermittelt. »Und viele Jugendliche denken sich, was soll ich mit der Sprache anfangen, für den Job kann ich sie nicht gebrauchen«, sagt Semisch. Diese Problematik greifen Die Folksamen in ihrem Lied Grajso Lutki auf, dort singen sie von einem sympathischen Zwergenvolk, das in den Bergen wohnt und um sein Überleben kämpfen muss. »Es wäre schön, wenn unsere Musik bei Jüngeren ein stärkeres Interesse für die sorbische Sprache auslösen würde«, sagt er. Semisch ist der Sänger und Songschreiber und hat wie fast alle Bandmitglieder sorbische Vorfahren. Er ist eng mit der sorbischen Kultur verbunden. »Ich bin in einem Dorf bei Cottbus geboren. In meiner Kindheit habe ich all die my- sorbisch Wúlbernosće dt. Albernheiten Schadowanka (in der Niederlausitz) [Schadźowanka (in der Oberlausitz)]; traditionelles Treffen sorbischer Gymnasiasten, Studenten und Absolventen aller Altersgruppen; findet alljährlich in der zweiten Novemberhälfte statt. Zapust die niedersorbische Fastnacht; das wohl am ausgiebigsten und ausgelassensten gefeierte Fest in der Niederlausitz. Jan Arnost Smoler 1816 – 48; sorbischer Philologe, Schriftsteller und Verleger aus der Oberlausitz; einer der bedeutendsten Repräsentanten der nationalen Wiedergeburt der Sorben im 19. Jhd. Korla Awgust Kocor 1822–1904; sorbischer Komponist, Dirigent, Musikschriftsteller und Organisator des sorbischen Musiklebens; begründete die Tradition der Sorbischen Sängerfeste (ab 1845). thischen Legenden und Sagen der Spreewaldregion kennen gelernt, ich bin mit den Trachten, den Bräuchen, dem Hahnrupfen zur Erntezeit, dem Zapust zur Karnevalszeit und dem Osterreiten groß geworden.« Wenn er Musik macht, dann ist es für ihn natürlich, auch auf Sorbisch zu singen. Die Sprache wurde in der Familie gesprochen und an seiner Schule unterrichtet. Die Folksamen haben sich mit Akkordeon, Dudelsack, Banjo und Blockflöte bereits etwa 50 Konzerte erspielt. Im Herbst 2010 steht die Aufnahme des ersten Tonträgers an. Wie es danach weitergeht, steht in den Sternen. »Für die meisten von uns beginnt im Herbst das Studium in Leipzig, Dresden oder Berlin.« Viele der jungen sorbischen Pop-Bands seien Projekte auf Zeit, sagt Ulrich Pogoda, Komponist und Musikredakteur für das niedersorbische Programm des RBB. Der 56-Jährige weiß, wovon er spricht. Pogoda ist seit 1985 beim Rundfunk, seit 1992 ist er als Redakteur für das sorbische Programm zuständig. »Die jungen Leute lernen sich kennen, musizieren zusammen, singen sorbisch. Das ist ein Hobby.« Pogoda legt bei seinem Programm Wert auf Professionalität. Volkslieder, Schlager, populäre Interpretationen traditionellen Liedguts und Chormusik spielen bei ihm die Hauptrolle. Viele Musikbeiträge sind eigens für den Sender produzierte Kompositionen, Auftragsarbeiten. Ähnlich sieht es beim Programm des sorbischen Rundfunks des MDR in Bautzen aus. Die beiden Rundfunkanstalten senden täglich ihr sorbisches Programm. »Wir versuchen, mit unseren Produktionen die sorbische Identität in den popmusikalischen Bereich zu retten«, sagt Pogoda. Gerade bei den älteren sorbischen Liedern sieht er Parallelen zur tschechischen und polnischen Volksmusik. »Die Musik bekommt oft einen melancholischen Charakter, es gibt eine gewisse Unregelmäßigkeit in den Rhythmen.« Die moderne Popmusik junger sorbischer Bands orientiere sich an Klischees westeuropäischer Chartmusik. Beim Sender verfolge man einen anderen musikalischen Schwerpunkt. »Wir legen bei unseren Produktionen vorrangig Wert auf den besonderen sorbischen Charakter der Beiträge.« Dabei bedienen sich die Produzenten des RBB nach wie vor unter anderem bei einer Sammlung sorbischer Volksmusik aus der Mitte des 19. Jahrhunderts von Jan Arnost Smoler. Der Oberlausitzer Verleger, Philologe und Anhänger eines kulturellen Panslawismus reiste zwischen 1841 und 1843 durch die sorbischen Dörfer, sammelte Noten und Texte und überlieferte etwa 500 sorbische Volkslieder. »Die Sammlung von Smoler, aber auch die Oratorien von Korla Awgust Kocor, die sich mit dem Lebensalltag der Sorben beschäftigen und auch aus jener Zeit stammen, sind für uns noch immer eine wichtige Arbeitsgrundlage.« Für Neuvertonungen oder moderne Interpretationen, die für das sorbische Radio produziert werden, engagiert der Sender Komponisten und Musiker. Doch die Zeiten sind härter geworden. Während in der DDR die sorbische Musikszene von offizieller Seite etwa durch Konzertreisen ins Ausland und großzügiger Unterstützung von Ensembles und Orchester gefördert worden ist, hat heute der kommerzielle Aspekt enorm zugenommen, so Pogoda. Auch sorbische Schlagermusik, etwa mit der populären Sängerin Anna Maria Bretschneider, wird eigens für die sorbischen Radioprogramme produziert. Die Lieder erscheinen jedoch nur selten auf einem Tonträger, die Rechte für die Beiträge liegen beim Sender. Auch für die sorbische Diaspora außerhalb der Lausitz haben die alten Volkslieder noch eine große Bedeutung. Paul Nagel von dem Berliner Folk-Punk-Duo Berlinska dróha etwa probt noch immer gern mithilfe der Smoler-Sammlung. »Ich mag die Lieder mit ihrem eigenen Charakter«, sagt Nagel, der in Bautzen mit sorbischen Volksliedern groß geworden ist. In Berlin hat er vor drei Jahren mit der Sorbin Uta Schwede die Band gegründet, kürzlich spielten sie drei Konzerte in Polen. »Wir treten aber meistens vor einem deutschen Publikum auf, waren auch viel in Westdeutschland unterwegs. Da erklären wir nicht großartig, dass wir sorbisch singen. Wir machen das einfach.« In einem Stück von Nagel geht es um die sorbische Identität. »Sorbe oder Deutscher — scheißegal«, heißt es schließlich in dem Song. Auch wenn er viele angenehme Kindheitserinnerungen mit der sorbischen Kultur verbindet, sagt der Exil-Oberlausitzer: »Wir betrachten uns nicht als Sachverwalter des sorbischen Nationalstolzes. Das Sorbische gehört einfach zu uns.« kulturstAdtefUhrer der besonderen art 2 20,– EUR zzgl. 3 Euro Versandkosten Bestellen Sie Guides der Serie für und Sie erhalten als Dankeschön gratis dazu: Autoatlas Polen (314 S.) oder Urlaubsland Polen (Reisebuch und touristischer Autoatlas, 350 S.) cityguide@pplus-magazine.eu Im Frühjahr 2011 erscheint in der CityCult-Serie in Vorbereitung auf die Fußballeuropameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine CityCult_EM_2012. Der Guide enthält alle 8 Städte, in denen die EM ausgetragen wird. szczecin stettin ńsk danzig trójmiasto dreistadt gda gdynia gdingen sopot zoppot warszawa warschau lódź lodz kraków krakau wroclaw breslau poznań posen CityCult_Polska Kulturstädteführer im Taschenbuchformat. Mit 117 farbigen Abbildungen, Minisprachkurs und Register. 132 Seiten. Format 10,5×15,8 cm. ISBN 978-3-9813392-0-8. Vliegen Verlag GmbH. Preis: 10 EUR / 39 PLN . Mehr Infos auf www.pplus-magazine.eu CityCult_Polska ist der ultimative alternative Stadtführer der anderen Art. Er fängt die Begeisterung für die Großstädte Polens, für Zeitgeist und Kultur in Polen ein. Auf einer Rundreise durch die Städte Szczecin, Gdańsk, Gdynia, Sopot, Warschau, Łódź, Krakau, Wrocław und Poznań zeigen sieben Insider Nischen und Nobles, Erahntes und Erhofftes, ihre Lieblingsecken und Geheimtipps, laden ein, machen Appetit und stillen ihn sogleich. Kunst, Kultur und Szene am Puls der Zeit, im Herzen Europas. 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Andere behaupteten: Es gibt keinen Platz für uns Polen in der europäischen Musikszene; keiner interessiert sich für polnische Musik. Schaut man sich heute die Szene an, so reibt man sich verwundert die Augen. Nicht nur, dass es erstaunlich viel Neues und immer noch Altes zu entdecken gibt, sondern etwas ist in Bewegung geraten. Künstler wie Anna Maria Jopek, Behemoth, Kroke oder die Warsaw Village Band sind mittlerweile in ihrem Genre »Global player«. Oder sie sind wie Aga Zaryan, deren Album Looking, Walking, Being im März 2010 bei Blue Note herauskam, im Begriff es zu werden. Werfen wir einen Blick auf das »Who is who« der heutigen polnischen Musikszene. A B Andrzej Smolik Der 40-jährige Musiker und Produzent begann seine musikalische Karriere Anfang der 90er als Keyboarder in der Band Wilki. Schnell wechselte er die Seite und wurde Musikproduzent, produzierte unter anderem Kasia Nosowska, Novika oder Krzysztof Krawczyk. Er selbst legte drei Alben mit bester innovativer und melodischer Clubmusic vor, die ihm den Titel »der polnische Fatboy Slim« einbrachten. 2009 begann er mit der Jazzlegende Tomasz Stańko das gemeinsame Projekt Peyotl. letztes Album: 3 (2006) Marcin Bors Der 32-jährige ist der vielleicht zurzeit angesagteste Musikproduzent Polens. Er produziert unter anderem BiFF, Gaba Kulka und Hey. C Lao Che Eine der interessantesten Crossover Bands Polens. Der Durchbruch kam 2005 mit einem Album, das sich thematisch mit dem Warschauer Aufstand von 1944 beschäftigt und alte Partisanenlieder in neuem Sound präsentiert. letztes Album: Prąd stały / Prąd zmienny (2010) Cool Kids of Death Um keine Band gab es so viel Hype in Polen wie um die vier Jungs aus Łódź. Dabei hatte kaum einer an einen Erfolg geglaubt, als ihre Debütplatte im Sommer 2002 erschien. Doch schon wenige Wochen später war die Postpunkband ein Dauerthema im polnischen Feuilleton. Musikalisch war das Phänomen nicht zu erklären. Die C.K.O.D. waren ein eher soziologisches Phänomen. Über Perspektivlosigkeit sangen nicht vorbestrafte Jugendliche, sondern junge Akademiker. So verwunderte es nicht, dass sie den Begriff der Generacja Nic prägten. letztes Album: Afterparty (2008) d 107 p heft N 12 musik den Preis erhalten. Was so nicht stimmt, denn 2010 bekam Kasia Nosowska mit ihrer Band Hey verdientermaßen sechsmal den Fryderyk und die Newcomer BiFF immerhin zweimal. Doda bzw. Doda Elektroda Die 26-jährige Dorota »Doda« Rabczewska ist zurzeit der angesagteste Pop-Act Polens. Doda ist der Liebling der polnischen Yellowpress, unter anderem wegen ihrer Beziehung mit Adam Michał Darski von Behemoth. Ziemlich bewusst tritt Doda dabei in jedes Fettnäpfchen, das für eine Schlagzeile gut ist. So zum Beispiel 2009 als sie meinte, dass die Bibel von »einem besoffenen Weintrinker und Kiffer« geschrieben worden sein müsse. Zurzeit steht sie im Zenit ihrer Karriere. Im Februar 2010 erhielt sie einen VIVA Comet als die Künstlerin des Jahrzehnts. Zuvor hatte sie 2009 den MTV Music Award als bester polnischer Act bekommen. 2010 soll das Album The Seven Temptations erscheinen, das vielleicht die Popsensation des Jahres werden könnte. Ein bekennender Fan von Doda ist übrigens der Filmregisseur Krzysztof Zanussi, in dessen letztem Film Serce na dłoni Doda sich in einer kleinen Rolle selbst spielen durfte.letztes Album: Diamond Bitch (2007) Adam Michalł Darski Liroy Anna Maria Jopek Kasia Nosowska Doda Frontmann der Heavy Metal-Formation Behemoth, die international gegenwärtig der angesagteste polnische Exportschlager ist. Das Trio formierte sich 1991 in Danzig. Im Untergrund machten sich Behemoth recht schnell einen Namen. Im Laufe der Jahre wechselte der Stil von Black Metal hin zum progressiven Death Metal. Seit 2000 feiert die Band auch in Nordamerika große Erfolge. letztes Album: Evangelion (2009) e Edyta Bartosiewicz Neben Kasia Nosowska war sie eine der Vertreterinnen des Rock in Polen. In den 90er Jahren feierte sie mit Alben wie Sen, Szok ‘n Show und Dziecko künstlerisch und kommerziell Riesenerfolge. Über eine Million verkaufte Tonträger machten Bartosiewicz zu einem der ersten Superstars Polens. Ende der 90er nahm sie mit dem Produzenten Raf McKenna (Blur, Pulp, Radiohead) ihr Album Wodospady auf, das mächtig floppte. Auf ein neues Album warten Fans bislang vergebens. Seit 2002 wird die Veröffentlichung verschoben, damit ist das Album »X« das wohl am meisten erwartete des Jahrzehnts. Im Juli 2010 gab Edyta bekannt, dass sie an einem neuen Studioalbum arbeitet. letztes Album: Best of (1999) f abc der polnischen hits Fryderyk Das polnische Pendant zu den amerikanischen Grammy Awards heißt Fryderyk und wurde nach Frédéric Chopin benannt. Der wichtigste Musikpreis wird seit 1995 verliehen und hat seither für Skandale gesorgt. Das größte Aufsehen erregte 1999 die Rocksängerin Agnieszka Chylińska (O.N.A.), die sich während ihrer Dankesrede bei ihren Lehrern mit »Fuck you!« bedankte und Tymon Tymański, der die versammelte Musikbranche während der Gala als »Mafia« beschimpfte. Seit jeher beklagen Musiker wie Kritiker, dass jedes Jahr die falschen Bands und Künstler g Gaba Kulka Die 31-jährige Kulka gilt als eine der interessantesten Künstlerinnen der letzten Jahre. Die Sängerin, Pianistin und Liedermacherin verbindet in ihrer Musik Elemente aus Jazz, Rock und Pop, mit Einsprengseln aus Kabarett und Theater. Das Jahr 2009 war für Kulka besonders erfolgreich und ausgesprochen produktiv. Im Frühjahr legte sie ihr zweites Studioalbum Hat, Rabbit vor, um im Herbst mit Slipwalk, das sie gemeinsam mit Konrad Kucz aufnahm, erneut zu überraschen. Beide Alben sind intelligenter Pop mit feinen Arrangements, ohrwurmverdächtigen Melodien und guten englischsprachigen Texten, die ihren Vorbildern Kate Bush und Tori Amos in (fast) nichts nachstehen. letztes Album: Slipwalk (2009) Goldene Dekade Das beste Jahrzehnt für polnische Pop- und Rockmusik waren die 80er des vergangenen Jahrhunderts. Kurz vor dem Beginn des Kriegsrechts in Polen gründeten sich Kultbands wie Perfect, Maanam, Kult, Lady Pank und Republika (siehe auch Z wie Złota Kolekcja). h Hey Die Stettiner Band um Kasia Nosowska ist wohl eine der wichtigsten, wenn nicht gar die wichtigste Band Polens nach 1989. Ihr englischsprachiges Debüt Fire schlug wie eine Bombe mit »grunge made in Poland« ein. In knapp 20 Jahren hat Hey zehn Alben vorgelegt und bislang ist der Band künstlerisch kein Ausrutscher passiert. Im Gegenteil — mit ihrem letzten Studioalbum Miłość! Uwaga! Ratunku! Pomocy! erfinden sie sich musikalisch neu und zeichnen sich in vielen Songs durch Experimentierfreude aus. Es ist das Album des Jahres 2009, das zurecht bei der diesjährigen Vergabe des polnischen Musikpreises einen Preisregen erhielt. Frontfrau Nosowska ist seit Mitte der 90er auch solo erfolgreich. Experimentierte sie auf den ersten Alben noch mit elektronischen Klängen und arbeitete auf Milena (1998) und Sushi (2000) kongenial mit Andrzej Smolik zusammen, überraschte sie Fans und Kritiker im Jahr 2008 mit der Neuinterpretation von polnischen Klassikern aus der Feder von Agnieszka Osiecka. letztes Album: RE-MURPED! Remix-Doppel-CD (2010) i j k l 109 p heft N 12 musik Ich troje Kommerziell gesehen gilt die Popgruppe um Michał Wiśniewski als eine der erfolgreichsten des letzten Jahrzehnts. Künstlerisch ist der kitschige Pop kaum vertretbar. In die Schlagzeilen geriet Michał Wiśniewski, der ausgezeichnet Deutsch spricht, als er 2003 mit dem Song Keine Grenzen — Żadnych Granic für Polen beim Eurovision Song Contest antrat. Die Band löst sich immer mal wieder auf und formiert sich dann wieder neu. letztes Album: Ósmy obcy pasażer (2009) Anna Maria Jopek [siehe 107] Spätestens seit ihrer zweiten englischsprachigen Platte Secret (2005) kennt man die 39-jährige Jazzsängerin auch in Deutschland. Seit Jahren arbeitet sie an ihrem eigenen Stil und folgt beharrlich einem Traum. »Das Wunderbarste für mich wäre, meinen ganz eigenen Stil mit eigener Benennung zu entwickeln, eine Kategorie, die ›Anna Maria Jopek‹ heißt.« Kenner wissen, das AMJ schon jetzt unverwechselbar ist. Das Album Upojenie [dt. Rausch], das sie gemeinsam mit Pat Metheny im Jahr 2002 herausgebracht hat, berauscht bis heute. letztes Album: Dwa Serduszka Cztery Oczy (2008) Kayah und Kayax m abc der polnischen hits Off-Festival immer im August in Katowice; wird gelobt für seine Alternativität. Myslovitz Die Band um Mastermind Artur Rojek sorgte in den letzten Jahren in Polen für Schlagzeilen. Im Frühjahr 2002 war sie als Vorband von den Simple Minds in Europa unterwegs. Zudem kam eine englische Version ihres vierten Albums Korona Milky Bar international heraus. Die Band wird oft als polnische Antwort auf Radiohead bezeichnet. Die Musik ist ein Mix aus Brit Pop und New Country mit depressiven Texten. Der Grund für die Popularität besteht darin, dass Myslovitz eine resignativ-rezessive gesellschaftliche Grundstimmung in der polnischen Gesellschaft getroffen habe, so der Gitarrist Przemysław Myszor. Das wichtigste Nebenprojekt des Bandchefs Rojek ist das Off-Festival, eines der bedeutendsten Festivals für Alternative Musik in Europa. letztes Album: Happiness Is Easy (2006) n Czeslaw Niemen (1939–2004) Schon zu Lebzeiten d i e Musiklegende in Polen. Er gilt als d e r polnische Musiker des 20. Jahrhunderts (Wochenmagazin Polityka 1999). Niemen (eigentlich Czesław Juliusz Wydrzycki) fiel in den Siebzigern mit seinem Jazzrock und Soul sogar in Übersee auf. Später nahm Niemen in Deutschland und den USA einige Platten auf, unter anderem Strange is this world, Ode to Venus und Mourner’s Rhapsody. Niemen verfügte über einen einzigartigen »slavic touch«. Selbst James Brown sagte einmal über ihn: »He is good, he is good because unusual.« Ein Gerücht ist übrigens, dass Niemen seinen Jahrhunderthit Dziwny jest ten świat von Browns Soulklassiker This is a Man’s World abgekupfert haben soll.letztes Album: spodchmurykapelusza (2001) o Die Eigenbrödlerin Kayah hat in Polen den Status eines Superstars. Nach dem Riesenerfolg von Kayah i Bregovic Ende der 90er wurde man international auf sie aufmerksam. Aus Kanada kam das Angebot, ihr Album Jakajakayah noch einmal auf Englisch herauszubringen. 2002 erschien es auch in Deutschland. In den letzten Jahren hat sich Kayah eiAgnieszka nen Namen als Talentscout und Trendsetterin gemacht. In ihrem eigeOsiecka nen Label Kayax hat sie Künstler wie Fox, Andrzej Smolik, Maria Peszek (1936–1997) und Novika unter Vertrag genommen. letztes Album: Kayah & Royal Quartet Die Dichterin Agnieszka Osiecka gilt als bedeutendste polnische Song(2010) texterin des 20. Jahrhunderts. Im Laufe ihrer 40-jährigen Karriere verfasste sie 2.000 Liedtexte, von denen heute das Gros zum Standardrepertoire der polnischen Popmusik und des Chansons gehören. Ihre erfolgreichsten Liedtexte schrieb sie für Maryla Rodowicz. Das Lied Małgosia wurde nach Niemens Dziwny jest ten świat zum populärsten Lied des 20. Jahrhunderts gewählt. Kalina Jędrusik, Seweryn Krajewski, Magda Umer und Krystyna Janda feierten mit Osieckas Texten große Erfolge. Noch heute ist der Zauber ihrer Texte ungebrochen. 2008 nahm Kasia Nosowska das Album N/0 mit Songs aus der Feder von Osiecka auf. Czesław Niemen, 1986 Liroy [siehe 107] Der 39-jährige Piotr Marzec alias Liroy gilt als Godfather des polnischen Rap. Sein Debüt Alboom ist in Polen mit einer halben Million verkaufte Exemplare das erfolgreichste Hip-Hop Album aller Zeiten. letztes Album: Grandpaparapa [Powrót króla] (2007) p q r 111 Papaya Song Das angejazzte Discostück mit Urszula Dudziaks markantem Scatgesang ist der einzige Welthit aus Polen. Mitte der Siebziger Jahre aufgenommen, feierte der Papaya Song im Jahr 2007 dank einer philippinischen Spielshow in Asien und auf Youtube ein Revival. Agnieszka Osiecka Urszula Dudziak Czy te oczy mogą kłamać dt. Können diese Augen lügen 39/89 ausgeschrieben: trzydzieści dziewięć/osiemdziesiąt dziewięć Paszporty Paszport Polityki ist ein Kulturpreis, der seit 1993 vom Wochenmagazin Polityka in den Kategorien Literatur, Film, Theater, Klassische Musik, Popmusik, Visuelle Künste sowie Kulturschöpfer verliehen wird. Dorota Masłowska 1983; shooting star der jungen polnischen Literatur. Kazik Staszewski Seit fast 30 Jahren ist Kazik Staszewski aus der polnischen Rockmusik nicht wegzudenken. Der Provokateur hat zahlreiche Band- und Soloprojekte. Doch Kultstatus erlangte Kazik mit der Band, die einfach Kult heißt und dank ihrer Texte und »urbanem Folk« in Polen Kult ist. Immer wieder überrascht Kazik Kritiker und Fans, so zum Beispiel als er im Jahr 2000 eine Kurt-Weill-Platte aufnahm und Mackie Messer auf Deutsch sang. Er bewies damit wieder, dass er zu den wenigen wirklich originären Musikern in Polen zählt.letztes Soloalbum: Silny Kazik pod Wezwaniem (2008) letztes Album mit Kult: Karinga. hurra! suplement (2010) Skalpel Qualitat Für Qualität stehen in Polen unter anderem der Liedermacher Grzegorz Turnau, die Chansonetten Renata Przemyk und Edyta Geppert und der Liedermacher Stanisław Sojka. Kazik Staszewski mit seiner Band KULT s abc der polnischen hits p heft N 12 musik Raz, dwa, trzy Die DJ´s Marcin Cichy und Igor Pudło haben mit ihrem Projekt bislang als einzige Polen einen Vertrag beim britischen Kultlabel Ninja Tune unterschrieben. 2004 erschien ihr Debüt Skalpel. Das Markenzeichen des Duos aus Wrocław ist, dass sie polnischen Jazz und Soul der 60er und 70er Jahre neu mixen und meisterlich mit Beats unterlegen.letztes Album: Konfusion (2005) t u Die Band um Adam Nowak mixt auf eigene Art und Weise Rock, Folk und Jazz mit der klassischen polnischen Chanson-Tradition. Große Popularität erlangte die Gruppe aus Zielona Góra im Jahr 2002 mit dem Album Czy te oczy mogą kłamać mit Liedtexten von Agnieszka Osiecka. letztes Album: SkąDokąd (2010) 39/89 (L.U.C.) Der Produzent, Komponist und Hip Hopper Łukasz L.U.C. Rostkowski bewies mit seinem Album 39/89, dass der runde Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges und der Sieg über den Kommunismus Themen echter musikalischer Suche sein können. Für dieses Projekt durchstöberte L.U.C. monatelang polnische Rundfunkarchivaufnahmen der letzten 70 Jahre und untermalte sie musikalisch. Ohne Zweifel ein Geniestreich, für den der 29-jährige Soundtüftler bei der diesjährigen Verleihung der Paszporty als Musiker des Jahres ausgezeichnet wurde. letztes Album: 39/89 — Zrozumieć Polskę (2009) Unterhaltung Dass Musik auch Spaß machen und gleichzeitig anspruchsvoll sein kann, beweisen die Newcomer BiFF mit witzigen Texten (unter anderem von Dorota Masłowska) und der Popchaot Czesław Śpiewa, dem es gelingt, modernen Chanson mit einer Prise Dadaismus schmackhaft zu würzen. v w 113 p heft N 12 musik Voo Voo x y z abc der polnischen hits eXtrem Die Kultband um Wojciech Waglewski steht seit rund 30 Jahren für eine Extrem gewöhnungsbedürftig ist die Bombast-Pseudoklassik von Piotr einzigartige Mischung aus Folk, Jazz und Rock mit leichten Reggae- Rubik. Seit 2004 verkauft der Warschauer Komponist seine Alben in Milschwenkern. Die Musik hat Waglewski auch seinen Söhnen Emade und lionenauflage, unter anderem das Oratorium Tu Es Petrus (2005). letztes Fisz in die Wiege gelegt, beide sind angesehene Hiphop- und Elektro- Album: Santo Subito (2009) musiker. Mit Soloprojekten ist Waglewski ebenfalls erfolgreich, unter anderem nahm er mit Maciej Maleńczuk 2008 das Album Koledzy auf. letztes Soloalbum: Voo Voo i Haydamaky (2009) Warsaw Village Band RazDwaTrzy Voo Voo Pati Yang Als 18-jährige veröffentlichte Patrycja Grzymałkiewicz als Pati Yang 1998 ihr viel beachtetes Trip Hop-Debüt Jaszczurka [dt. Eidechse]. Ende der neunziger Jahre zog sie nach London und meldete sich erst 2005 mit Die auf Polnisch singende Folkband (in Polen unter dem Namen Kapela dem etwas sperrigen Album Silent Treatment zurück. Im Frühjahr 2009 ze Wsi Warszawa bekannt) gilt als eine der erfolgreichsten Ensembles legte sie ihr drittes Album vor, das sie mit ihrem Ehemann Stephen HilOsteuropas abseits des Mainstreams und ist heute mehr oder weniger ton aufgenommen hat. Das Album Faith, Hope + Fury glänzt mit großarein stiller Weltstar. Die Band selbst bezeichnet ihre Musik als »Hardcore- tigen Anleihen bei Portishead und Tricky, überzeugt aber mit einem tolFolk« in dem traditionelle polnische Folklore mit modernen Elementen len eigenen Sound und kleinen (englischsprachigen) Textperlen. kombiniert wird. Ihr zweites Album People’s Spring und die darauf fol- letztes Album: Faith, Hope + Fury (2009) gende erste Welttournee brachte international viel Lob. Im Jahr 2004 erhielt die Band von BBC Radio 3 den Award for World Music als beste Newcomer. letztes Album: Infinity (2008) (D: Jaro Medien; 2009 in Polen bei Kayax) Zlota Kolekcja Die Reihe des Lables Pomaton EMI versammelt alle Musikgrößen der letzten 40 Jahre und das unschlagbar günstig. Man kann fast wahllos jede CD aus den rund 100 Titeln kaufen, darunter Perlen wie Breakout, Marek Grechuta, Magda Umer, Wolna Grupa Bukowina oder den polnischen Sinatra Andrzej Zaucha. 114 115 p heft N 12 musik sTo laT polnisch Aussprache deutsch Dem Gebrauch nach entspricht er etwa den Wunschformeln »Alles Gute!« oder »Gott schütze Dich!«. Ferner findet Sto lat! noch Verwendung als »Gesundheit!« (nach dem Niesen einer anderen Person), aber weit seltener als »Na zdrowie!« — das wörtliche »Gesundheit!«. Der Ausdruck Sto lat! wird auch als Toast verwendet, allerdings auch hier deutlich seltener als »Na zdrowie!«. Sto lat, S’to lat, Hundert Jahre, sto lat, s’to lat, hundert Jahre, niech ży je, njech schy je, möge er (sie) leben, ży je schy je leben. nam. nam. Sto lat, S’to lat, Hundert Jahre, sto lat, s’to lat, hundert Jahre, niech ży je, njech schy je, möge er (sie) leben, ży je schy je leben. nam. nam. sch w en ch = = = = j wie in Jalousie wie das englische W nasal, wie in »peng« weich wie in »weich« żyje = das Lied kann sowohl für Frauen als auch für Männer gesungen werden. Durch Ersetzen von żyje durch żyja˛ [schyjo] erhält man die Pluralform, mit der Personengruppen geehrt werden können. Jesz cze raz, Jesch tsche ras, Noch einmal, jesz cze raz, jesch tsche ras, noch einmal, niech ży je, njech schy je, möge er leben, ży je nam. schy je nam. möge er leben. niech = Partikel, wird u.a. zur Bildung des Imperativs für die 3. Prs.Sg/Pl benutzt: niech Pan/i usia˛dzie [setzen Sie sich]; hier: es soll [dir], sei [dir] z nami = mit uns; die Präposition z verlangt in der Bedeutung mit immer den Instrumental! Steht sie in der Bedeutung aus, von, verlangt sie den Genitiv; steht sie mit Akkusativ, bedeutet sie ungefähr. nam = uns [Dativ]; hier sinngemäß: er soll uns/für uns lange leben niechaj = alte Form von niech; sehr poetisch; wird in neuen Wörterbüchern gar nicht mehr aufgeführt; oft in Dichtung, Lieder, alten Märchen zu finden. Sto lat ist eines der bekanntesten polnischen Lieder, das der besungenen Person gute Wünsche ausdrücken soll. Der Bekanntheitsgrad des Liedes ist im polnischen Sprachraum ähnlich hoch wie happy Birthday to You im englischen Sprachraum. Ursprung und Autor des Liedes sind unbekannt. Gesungen wird es hauptsächlich bei Namens- und Geburtstagen, aber auch bei Ehrungen aus anderen Anlässen wie zum Beispiel Hochzeiten, Arbeitsjubiläen oder dem Titelgewinn der favorisierten Mannschaft. So wurde Sto lat beim Polenbesuch von Papst Johannes Paul II. und beim Amtsantritt des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński angestimmt. Der ausgedrückte Wunsch »eines langen Lebens« tritt je nach Anlass mehr oder weniger stark in den Hintergrund. Bei inoffiziellen bzw. privaten Anlässen werden an den Text meist weitere Verse angehängt. Einige bringen zusätzliche Wünsche zum Ausdruck. Andere stellen diejenigen Anwesenden, die nicht (mehr) auf das Wohl der besungenen Person trinken wollen, an den Pranger. Solche Zusatzverse existieren in diversen Formen, sind aber wegen ihres Inhalts und/oder Sprachstils zum Teil nicht für den universellen Gebrauch geeignet. WissensWertes Uber sto lat spRAChkuRs p heft N 12 musik Weitere mogliche strophen, die mit jeWeils komplett anderen melodien gesUngen Werden: Niech ci gwiazda pomyś lnoś ci Njech tchi gwiasda pomyschlnoschtschi Auf dass der Stern des Wohlergehens nigdy nie zagaś nie, nigdy nie zagaś nie, niegdy nje zagaschnje, Niegdy nje zagaschnje, dir niemals erlösche, dir niemals erlösche, w zdrowiu szczęś ciu, pomyś lnoś ci w sdrowju, schtschenschtchju, pomyschlnoschtchi in Gesundheit, Glück und Wohlergehen świeci coraz jaśniej. schwjetchi zoras jaschnjej. scheint er immer heller. A kto z nami nie wypije, A kto s nami nje wypije, Und wer nicht mit uns trinkt, niech pod stołem zaśnie. Njech pod stowem zaschnje. Möge unter dem Tisch einschlafen. Niech Njech Möge er leben! ży schy je je Sto lat, sto lat, sto lat, sto lat, niechaj żyje nam, S’to lat, s’to lat, s’to lat, s’to lat, njechaj schyje nam, Hundert Jahre, hundert Jahre, möge er (uns) leben, Sto lat, sto lat, sto lat, sto lat, niechaj żyje nam, S’to lat, st’o lat, s’to lat, st’o lat, njechaj schyje nam, Hundert Jahre, hundert Jahre, möge er (uns) leben, Niech żyje nam, niech żyje nam, Njech schyje nam, njech schyje nam, Möge er leben, möge er leben, w zdrowiu, szczęściu, pomyślności, w sdrowju, schtschenschtchju, pomyschlnoschtchi, in Gesundheit, Glück und Wohlergehen, niechaj żyje nam. Njechaj schyje nam möge er leben. na na m! m! I jeszcze dłużej i jeszcze raz, i jeschtsche dwuschej i jeschtsche ras, Und noch länger und noch einmal, sto lat, sto lat niech żyje nam. s’to lat, s’to lat njech schyje nam. hundert Jahre soll er leben. Sto lat, sto lat, S’to lat, s’to lat Hundert Jahre, hundert Jahre, sto lat niech żyje nam!!! s’to lat njech schyje nam!!! [letztes Wort ganz lang singen: naaaaaam] hundert Jahre soll er leben!!! 116 p heft N 12 musik Barszcz uKraInsKI REZEPT uKraInIscher BorschTsch Borschtsch ist eine Suppe, die traditionell in Ost- und Ostmitteleuropa zubereitet wird. Grundzutat aller BorschtschSorten ist Rote Bete. Der sogenannte »Borschtsch-Gürtel« zieht sich von Polen über Galizien, die Ukraine, Belarus bis in das Wolga/Don-Gebiet. Charakteristisch für die Zubereitung ist (wie bei vielen osteuropäischen Suppengerichten) die lange Garzeit bei geringer Hitze. Der so genannte »ukrainische Borschtsch« kommt ursprünglich aus der Ukraine, das Rezept wurde aber in Polen sehr stark abgewandelt. Für 4 Personen (circa 1,5h) Zutaten: 2 300 g 4 4 ¼ ¼ 2 ¼ 150 ml 150 g 100 ml 1 3 1 1. Die über Nacht eingelegten weißen Bohnen kochen, abseihen und bereitstellen. 2. Die Kartoffeln schälen, abspülen, in Würfel schneiden. Die Tomaten in wenig Wasser kochen und dann passieren. Den Kohl kleinschneiden, mit heißem Wasser übergießen und 5 Minuten kochen, dann abseihen. 3. 2 Rote Beten, eine Mohrrübe, eine Zwiebel, den Sellerie, die Hälfte der Petersilie in 1,5 Liter Wasser aufkochen und 20 Minuten köcheln lassen. mittelgroße Zwiebeln Dann (Achtung!) abseihen aber die Gemüsebrühe aufheben (nicht in Tomaten den Ausguss kippen!). Rote Beten 4. Die zweite Mohrrübe, die übrigen 2 Roten Beeten schälen, abspülen, in mittelgroße Kartoffeln Streichholzschmale Streifen schneiden (oder einfach auf einer Reibe in mittelgroßer Wirsingkohl grobe Streifen reiben), in einem großen Topf in Butter oder Öl ein paar mittelgroßer Weißkohl Minuten andünsten, dann mit der noch heißen Gemüsebrühe übergieMohrrüben ßen, die Kartoffeln hinzugeben, den Kohl, die Lorbeerblätter und das eines mittelgroßen Sellerie Salz. Etwa 20 Minuten kochen. frischer Zitronensaft [traditionell wird Rote-Bete-Sauer genommen, siehe P+ Nr. 8, S. 119] 5. Zum Schluss die Bohnen und die passierten Tomaten hinzufügen, die weiße Bohnen zerquetschten Knoblauchzehen, Zucker und Zitronensaft ebenfalls beiSaure Sahne oder Joghurt fügen. Bund Petersilie 6. Beim Servieren erst auf den Tellern die Sahne und die restliche kleingegroße Knoblauchzehen hackte Petersilie hinzugeben. Esslöffel Butter oder Öl Ergänzung: Wer möchte, kann die Suppe schon bei Schritt vier mit einem Schuss Lorbeer Rotwein verfeinern.Die Gemüsebrühe kann auch durch RindfleischbrüPiment he ersetzt werden. Möglich sind vielerlei Variationen, so werden manchZucker mal Waldpilze hinzugegeben, die Bohnen gegen Erbsen ersetzt, auch Salz eine Mehlschwitze ist denkbar, selbst ein Apfel, kleingeschnitten und pfeffer ohne Schale. S m a c z n e g o ! 118 p heft N 12 musik Kolumne BLEchmusik V ielleicht hat man vom 17. Stock eines Bürotowers in Istanbul einfach den besseren Überblick. Von meinem Schreibtisch aus sehe ich nachts die Wellen des Bosporus im Kunstlicht der Metropole glitzern. Natürlich, Warschau und Berlin bleiben auch aus dieser Perspektive mächtig, aber sie sind nicht mehr der Nabel der Welt. Daran musste ich denken, als mir das beinahe fertige Heft zugeschickt wurde mit der Bitte, auch diesmal meinen Senf dazuzugeben. Es ist interessant zu beobachten, in welche Richtung sich das Magazin entwickelt, seit es seinen Fokus von Polen auf benachbarte Staaten ausgeweitet hat, aber welcher Begriff von Europa steckt dahinter? Für diesmal jedenfalls verläppern sich seine Ränder irgendwo in den Nebeln des Balkans. Dass die Türkei — noch — nicht dazugehört, muss ich schlucken. Sie bedeckt mit dem Großteil ihrer Landmasse den asiatischen Kontinent. Doch wie steht es mit den kulturellen Einflüssen dieses großen Volkes? Die fast 500 Jahre osmanischer Herrschaft in Südosteuropa haben ihre Spuren hinterlassen, auch in der Musik. Das war weniger eine Folge »türkischer Überfremdung« als vielmehr der Abschottung des osmanischen Herrschaftsbereichs von der weiteren Entwicklung in Zentralund Westeuropa. Wer einmal den Eurovision Song Contest gehört hat, kann den musikalischen Unterschied zwischen Balkan und Türkei einerseits und den west- und mitteleuropäischen Ländern andererseits sofort heraushören. Die Verbindungen und Einflüsse wirken bis heute, und zwar nicht nur in eine Richtung. Die populäre und die Volksmusik des Balkans wandert zum Beispiel auch in Richtung Naher Osten. Dass eine rumänische Dance-Sängerin heute so beliebt in den Klubs von Istanbul ist, hat damit zu tun. Besonders deutlich sind die Einflüsse in der sogenannten »BalkanVolksmusik«. Sie wurde schon zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert von der türkischen Herrschaft beeinflusst. In ihren Harmonien folgt sie der indischen Musiktradition der Sinti und Roma. Bedeutsam sind auch die für den osmanischen Bereich typischen Mikrointervallschritte, vor allem im Gesang; im westlichen Notensystem sind sie nicht notierbar. Erkennbar sind auch jüdische Tonleitern, das Zigeuner-Dur, ZigeunerMoll und Harmonisches Moll. Die übermäßige Sekunde galt in der Klassik als unsingbar, ist aber aus der Balkanmusik nicht wegzudenken. Ihre Rhythmik ist ausgesprochen vielfältig. Oft wechselt die Taktart in ein und demselben Stück. Was etwa die bulgarische Musik so schwer spielbar macht, ist die Verwendung von ungeraden Takten, zum Beispiel 5/8, 7/8 und 9/8. Gleichwohl haben moderne Musiker aller Genres gern auf Fragmente bulgarischer beziehungsweise südosteuropäischer Musik zurückgegriffen. Die beliebte Blasmusik ist im 19. Jahrhundert überwiegend aus österreichischer und türkischer Militärmusik, aber auch der Roma-Volksmusik entstanden. Dieser »Balkan Brass« ist besonders in Mazedonien und Teilen Rumäniens und Bulgariens verbreitet. In Serbien wird er weithin als Bleh Musika bezeichnet. Und schließlich zu meiner Lieblingsmusik: Der türkische Hip-Hop nahm seine Anfänge nirgendwo anders als mitten in der deutschen Hauptstadt. Islamic Force hieß die Band, die als eine der ersten türkischsprachigen Hip-Hop-Gruppen 1992 in Berlin-Kreuzberg ihre Maxisingle My Melody produzierte. Später brachte die türkdeutsche Gemeinschaft die Gruppe Cartel hervor, deren Texte kontrovers diskutiert wurden. Beide Bands bezeichneten ihren Stil als »orientalischen Hip Hop« und nahmen bewusst Einflüsse des Nahen Ostens auf. Heute blüht diese Szene und ist vielfältig wie nie (Rapper Sagopa Kajmer, Ceza und Fuat), was auch immer ein Sarrazin von ihr halten mag. Soviel für diesmal von Out of Europe, und: Respect! Tarik Gül Kolumne / Film das magazin P im ABONNEMENT Herrn Kukas Empfehlungen Dariusz Gajewski. P L / A U T 2008, 93 min, dt. & poln. Fassung. Vertrieb in D: Atlas International FILM Herrn Kukas Empfehlungen I m Jahre 2003 rieben sich Publikum und Kritiker beim Filmfestival in Gdynia verwundert die Augen, als ein bis dahin weitgehend unbekannter Regisseur namens Dariusz Gajewski mal eben die Goldenen Löwen einsackte — und das mit einem stilistisch eher »unpolnischen« Film. Der fulminante Einstand namens Warszawa beeindruckte durch ein galantes Changieren zwischen Tragödie und Komödie, Realismus und Fantasie. Das Finale des Viel-Personen-Stadtporträts war pure Magie: Eine Giraffe trabte zu einem Mieczysław-FoggChanson durch die vernebelte Warschauer Altstadt. Im Nachfolger Herrn Kukas Empfehlungen schleicht nun diese Giraffe — metaphorisch gesprochen — durch den ganzen Film. Zog Gajewski im Vorgänger noch vorsichtig am Fantasie-Hebel, so legt er ihn jetzt auf Anschlag. Nahezu jede Szene bekommt ihre Drehung ins Ironische, Uneigentliche, Unwahre und Magische und somit der Film als Ganzes einen doppelten bis dreifachen Boden. Dabei ist die Fabel an sich hochgradig prosaisch. Der junge Pole Waldemar beschließt, ein paar Wochen lang im goldenen Westen etwas Geld zu verdienen. Also setzt sich der reichlich naive Knabe aus der Provinz, nur notdürftig mit ein paar halbgaren Ratschlägen des undurchsichtigen Herrn Kuka ausgestattet, in einen Bus nach Wien und wird ohne großes eigenes Zutun in einen Strudel von verwegenen Geschichten gezerrt, die ihn reifen und in der gar nicht so goldigen Fremde eine Menge über sich selbst erfahren lassen. Das könnte schnell banal werden, würde die literarische Vorlage nicht vom im komischen Fach durchaus bewanderten Radek Knapp stammen und Gajewski dessen Augenzwinkern gekonnt in Bilder übersetzen. Wien birgt bei ihm zwar Licht und Schatten, aber nicht scharf voneinander getrennt, sondern in diversen Mischtönen. Dies gilt auch für das skurrile Figurenkabinett, das sich weder in Gut und Böse noch in Ernst und Heiter zerlegen lässt. Allein der schon aus Warszawa bekan nte Łukasz Garlicki wandelt wie eine entrückte Lichtgestalt mit großen, unschuldigen Augen durch diese Alb-/Traumwelt und verleiht ihr als Dreh- und Angelpunkt der Handlung zunehmend dezent gesetzte Farbtupfer. Diese zweifelsohne sehr intelligente Komödie sollte man allerdings unbedingt in der polnischen Synchronfassung genießen. Dort gibt es nicht nur ein wunderbares polnisch-österreichisch-deutsches Sprachgemisch als Teil der Handlung, sondern man hat auch die seltene Gelegenheit, August Diehl Polnisch sprechen zu hören. eLan Jetzt P+ Abonnement bestellen! Sie erhalten das Magazin P+ vierteljährlich bequem und frei Haus. Sie können das Abonnement jederzeit kündigen. Als Dankeschön erhalten Sie eine der P+ Buch-Empfehlungen.(nur bei 1½- oder 2-Jahresabo) 468 Prämienbuch Nr. 1 Ivana Sajko Rio Bar Roman 2008. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Matthes & Seitz Berlin. 175 Seiten. Gebunden. Ja, ich bestelle das P+ Jahresabo [4 Ausgaben] für 15 EUR * Ja, ich bestelle das P+ 1½-Jahresabo [6 Ausgaben] für 30 EUR * und erhalte als Dankeschön Prämie Nr. 1 Leserservice P+ Vliegen Verlag GmbH Bizetstraße 132 13088 Berlin * Ausland [außer Polen] für 21/36/46 EUR . Die Lieferung beginnt mit der nächstmöglichen P+ Ausgabe. Sie können Ihre Bestellung innerhalb von zwei Wochen ohne Angaben von Gründen schriftlich widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Herr Frau Prämienbuch Nr. 2 Uwe Johnson Heute Neunzig Jahr 2009. edition FOTOTAPETA . Klappen-Broschur. 168 Seiten. 43 Fotos von Rafał Leszczyński. Ja, ich bestelle das P+ 2-Jahresabo [8 Ausgaben] für 40 EUR * und erhalte als Dankeschön Prämie Nr. 2 Telefon +49 30- 44 03 56 50 Fax +49 321 212 754 57 Email abo@pplus-magazine.eu Internet www.pplus-magazine.eu Ich zahle gegen Rechnung [Bitte keine Vorauszahlung leisten] Vorname, Nachname Ich zahle bequem per Bankeinzug Straße, Nr. Geldinstitut PLZ , Ort BLZ Kontonummer Ja, ich bin damit einverstanden, dass das Magazin P+ und der Vliegen Verlag mich künftig per Telefon oder Email über aktuelle Angebote informieren. Land Telefon E-Mail Datum Unterschrift IHRE P SAMMLUNG: ALLE AUSGABEN IM BLICK! Nr. 1 [2007] 2,90 € Polnische Wirtschaft Nr. 2 [2007] 3,50 € Savoir Polski Nr. 3 [2007] 3,50 € Ars Polska Nr. 4 [2007] 3,50 € MännerMachtSpiele Nr. 9 [2009] 4 € Freiheitliche Farbenlehre Nr. 10 [2009] 4 € ZeitReisen & AufholJagden Nr. 11 [2010] 4 € Zweitwelten auf Zelluloid Nr. 11 [2010] + DVD 10 € Esterhazy und Tschüss DDR n _ o Frau Nr. 7 [2008] 3,50 € ZungenZauber Nr. 8 [2009] 3,50 € Spielfeld Umwelt Leserservice P+ Vliegen Verlag GmbH Bizetstraße 132 13088 Berlin Telefon +49 30- 26.9.–2.10. 27.9.– 3.10. 30.9.–23.1 0. 7.10.– 8.10. 11.10.– 16.10. 14.10.– 17.10. 17.10.– 24.10. 21.10. 30.1 0. 1.11. 8.11. 2.11.–27.11. 13.11. 2 0 1 1 Lotos Jazz Festival — Bielska Zadymka Jazzowa* Bielsko-Biała [pl] www.zadymka.pl feb Anfang Musikfesttage an der Oder Frankfurt a.O., Berlin, Zielona Góra, Słubice, Alt-Madlitz, Eisenhüttenstadt, marz Deutsch-Polnische Sulechów [pl + d] www.musikfesttage.de Liszt Festival 2011 Liszt-Jahr 2011 Sopron, Pannonien [hu] 12.3.– 15.3. www.liszt-2011.hu Carnevale Prag [cz] 25.2. – 8.3. Bohemian www.carnevale.cz 44 03 56 50 Fax +49 321 212 754 57 Email abo@pplus-magazine.eu Internet www.pplus-magazine.eu Ich zahle gegen Rechnung [Bitte keine Vorauszahlung leisten] Vorname, Nachname Ich zahle bequem per Bankeinzug Straße, Nr. Geldinstitut PLZ , Ort BLZ Kontonummer Ja, ich bin damit einverstanden, dass das Magazin P+ und der Vliegen Verlag mich künftig per Telefon oder Email über aktuelle Angebote informieren. Land E-Mail 17. Usedomer Musikfestival Insel Usedom [d] www.usedomer-musikfestival.de Warschauer Cross-Culturefestival* Warschau [pl] www.estrada.com.pl 14. Jazz Camping Kalatówki* Hotel Kalatówki, Zakopane [pl] www.kalatowki.pl 1 6. Internationaler Chopin-Wettbewerb* Warschau [pl] www.konkurs.chopin.pl Polish Cities à la Carte: Warsaw Days Polnisches Institut Wien, ost klub [at] www.polnisches-institut.at Jazz Goes to Town Hradec Králové [pl] www.jazzgoestotown.com XX. Leipziger Chopin-Tage 200 Jahre Chopin Leipzig [d] www.leipzig.polnischekultur.de Unsound Festival* Krakau [pl] www.unsound.pl Jazzkonzert der Poetic Jazz Quartett Altes Südhaus, Schloss Seefeld [d] www.kultur-schloss-seefeld.de 30. Rawa Blues Festival* Katowice [pl] www.rawablues.com 54 Krakowskie Zaduszki Jazzowe Krakau-Wieliczka-Zabierzów-Niepołomice-Trzebnica [pl] www.deprofundis.dt.pl 2010 Impressionen zu Chopin und eigene Kompositionen von Leszek Możdżer Berlin [d] www.quasimodo.de www.polnischekultur.de Festival Jazzowa Jesień* Bielsko-Biała [pl] www.jazzowajesien.pl Seven Gates of Jerusalem von Krzysztof Penderecki, Konzert Würzburg, Kiliansdom [d] www.hfm-wuerzburg.de Anzahl Telefon * Mehr dazu und weitere Musik-Events in Polen finden Sie in CityCult _Polska_Festivals (siehe S.105). Suchen Sie eine bestimmte P+ Ausgabe oder ist Ihre P+ Sammlung nicht vollständig? Sie können jede* bisher erschienene Ausgabe einfach nachbestellen**. * Ausgaben 1/2007 und 2/2007 sind bereits vergriffen und nur als PDF -Version erhältlich! ** Lieferung zzgl. 2,95 EUR Versandkosten. Versandkosten ins Ausland auf Anfrage. Sie können Ihre Bestellung innerhalb von zwei Wochen ohne Angaben von Gründen schriftlich widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Herr Nr. 6 [2008] 3,50 € Faible für Label p heft N 12 musik Datum Unterschrift /ZYNP]_TY_SP?ST[dL]OÐ@SPL_]PTYLbTYOZbÐ 3LWWP]dZYLbLWWÐ0LYNPZY_SPMPLNSÐ 2]PPOZXÑ4P]PdZ`NLYYOT_PaP]dbSP]PÐ bbbÐROYbLaP^ÐNZX Ja, ich bestelle folgende Ausgabe des Magazins P+: Nr. 5 [2008] 3,50 € Curricula Polonica EventKALENDER 2010 11 25.9.–16.10. 121 Die Krabbe als SYLWIA heilige CHUTNIK antje ritter-jasińska [Ubersetzung aus dem polnischen] D a heben sie die Krabbe auf den Altar, schon nähen die Frauen ihr schöne Kleider. Solche Gewänder hatte sie im Leben nie, im Leben hatte sie gar keine Gewänder, nur Trainingsanzüge mit abgetrennten Hosenbeinen und Blusen. Nichts da mit goldbestickten Kleidern, mit perlenbesetzter Weste. Und diese Krone! Die künstlichen Brillanten von Jablonex harmonieren perfekt mit dem Saphirblau ihrer Augen und dem Kaleidoskopblick. Das wunderbare Antlitz der Gesegneten Strafe funkelte schon in der Ferne, schon winkte sie uns heran, näher an den Altar. Näher an das einzige Wunder von Gołąbki, das uns der Herr geschickt hatte im Rahmen der Vergeltung für die dörfliche Lage und die vergessene Metropole. Der Krabbe gefiel das sogar. Ständig neue Gestalten knieten neben ihr nieder und drapierten ihre Kleider oder rückten die schiefe Krone zurecht (ist ja klar, wenn man, mit Verlaub, keine vier Buchstaben hat, wankt die Gestalt und alles fällt von ihr ab). Die Krabbe wurde gepudert, mit speziellen Duftcremes gegen Hässlichkeit eingeschmiert und für die große Premiere vorbereitet. Bei der nächsten Messe — das ist schon morgen, wir freuen uns wirklich sehr, dass in so kurzer Zeit in unserem Städtchen eine Heilige gefunden wurde! — sollte sie wie ein wunderbares Gemälde enthüllt werden. Die Krabbe war für das Eine bestimmt: die Gläubigen zu rühren und dazu zu bringen, mehr in die Kollekte zu legen sowie den Zweiflern zu zeigen, dass auch wir unsere Märtyrerin für Bewunderung und Anbetung haben. So bescheiden ist diese Heilige, so schweigsam, und sie passt genau zu unseren ebenfalls bescheidenen Möglichkeiten. Auch ein blindes Huhn und so weiter, jedenfalls freuten sich alle in der Gemeinde sehr, dass das Mädchen so clever auf dem Podest links vom Altar gelegt worden war und dass es so schön von der Leuchtstoffröhre, die man zuvor extra für den Anlass der Erleuchtung erworben hatte, angeleuchtet wurde. Und weiter: Bei der sonntäglichen Zeremonie sollten hinter dem Kindchen Dias gezeigt werden, zum Gedenken an den Jahrestag des Weltkrieges, den wir gewonnen hatten. Explosionen, Ruinen, Leichen und Blut. Das passte prima zur Beschwörung von Gebet und Erlösung, Amen. Denn wir wissen ja alle, dass der Zweite Weltkrieg hier begonnen hat, in Gołąbki, als hier am 31. August ein polnischer Briefträger überfallen wurde und sich später herausstellte, dass der Täter Deutscher war und außerdem auch noch betrunken. Er nahm ihm die Tasche weg und kippte die Korrespondenz auf den Fahrdamm. Dieser perfide Angriff wurde während weiterer Verteidigungsmaßnahmen der Polen gerächt, die das Ziel hatten, dieser erniedrigenden Zwangslage zu entkommen sowie in den Genuss von Ehrensalven zu den wiederkehrenden Jahrestagen des heldenhaften Aufruhrs zu gelangen. Die Bewohner rächten den Briefträger, und das übergebührlich. Auch das Porträt des mutigen Mannes, des vom westlichen Nachbarn mit polnischer Staatsbürgerschaft bestialisch Zugerichteten, hängt derzeit geschmückt mit Schärpen im Gotteshaus. Die Krabbe wird sich perfekt einpassen in die ganze Gestaltung. Und dann kann man sie noch für die Weihnachtskrippe als Jesuskind nehmen, das liegt sowieso immer in der Futterkrippe verbuddelt, nur sein Gesicht ist zu sehen, der Rest ist überflüssig. Unsere heilige Herrin, jungfräuliche Verkrüppelte, wenn wir dich anschauen, sind wir tief bewegt, dass solche Kinder geboren werden, dass sie immer sorglos und glücklich sind. So frisch-fröhlich und unerschütterlich. Deshalb geben wir auch sehr gern eine Spende für den Kampf gegen Behinderung und gegen das gänzliche Verbot, behindert geboren zu werden. Du bist für uns ein Beispiel dafür, wie ein Mensch nicht aussehen sollte und deshalb hängst du auch an unserer Kirchendecke an Spezialseilen, und vor der Messe wirst du immer vor die verdatterten Gesichter herunterfahren mit einem Lied auf den Lippen, grunz, grunz. Bei uns gibt es keine Babyklappe, keine späte Abtreibung, keine Wiege, aber dafür verzierte Altäre. Und dich, Krabbe, lieben wir sehr. Aber solange noch keiner da ist, und bis zur Premiere unserer neuen Heiligen noch ein bisschen Zeit ist, sollte der Schatz angemessen unter einem Kartoffelsack aus Leinen versteckt werden, damit er nicht einstaubt und sich nicht allzu sehr besabbert. Das Mädelchen hing also erbärmlich an Seilen unter der gotischen Decke, Tränen rannen über sein Gesicht und verwandelten sich nicht in Wein. Karolinka war in Gedanken zuhause, bei ihrer Mama, die fröhlich in der Küche wirbelte und Kohlen schleppte, die Essensreste vom Doppelkinn ihrer Tochter wischte und sorglos mit ihr plauderte. Wie eine Mutter mit ihrer heranwachsenden Tochter. 123 p heft N 12 musik Was gibt’s Neues bei dir, Liebling, hast du einen Verehrer? Hast du vielleicht eine beste Freundin in der Klasse? Dass du nicht in die Schule gehst, ach ja, ich weiß, ich habe doch nur mal gefragt. Ganz unverbindlich wollte ich unsere Beziehung aufrecht erhalten, die in der Zukunft in Vertrauen und Unterstützung selbst bei den schwersten Lebensentscheidungen münden sollte. Manchmal mache ich mir Sorgen um dich, Töchterchen, weil du so scheu bist. Schweigsam irgendwie und verschlossen. Ich möchte dich bitten, dass du manchmal zu mir in die Küche kommst und so ganz normal, ganz von selbst, deinen Kopf auf meine Schulter legst und »Mutter« flüsterst. So wie diese Karolinka aus Warschau, die während des Krieges in unserer Scheune immer den Kopf auf die Schulter ihrer Mutter gelegt hat und sie entsetzt gefragt hat »was wird mit uns werden«. Meine Großmutter hat immer gesagt, dass familiäre Beziehungen so aussehen sollten. Vertrauen und Gespräche. Ein Gespräch ist immer gut, besonders zuhause, denn hier ist es am schwersten, es mit dem ganzen Leuten auszuhalten, die in Unterhosen zwischen Küche und Bad tänzeln, zwischen Bad und Küche und immer die Zahnpastatube offen und immer ein schmutziges Messer in der Spüle liegen lassen. Wenn du also irgendwelche Sorgen in der Pubertät haben solltest, kannst du immer gern auf mich zukommen und dein Herz ausschütten. Töchterchen. Jetzt heulte die Krabbe fürchterlich. Die Dunkelheit brach herein und ihr flossen nicht nur Tränen sondern auch Rotz in Strömen und sie selbst bekam das nicht in den Griff, schließlich hatte sie keinen Ärmel zum Abwischen, denn wozu brauchte sie auch einen Ärmel. Es wurde nostalgisch in der leeren Kirche, die jetzt intensiv nach verschiedensten Blumen roch, was Schwindelgefühle verursachte. Es duftete nach weißen Lilien, Feldblumen, wilden Kräutern und Malven. Herr, mir fehlt meine Mama. Mir fehlt mein Spielzeug und mein vollgepinkeltes Bettchen mit der dreckigen Bettwäsche. Einen Teufel werde ich tun und schamlos vor den Gläubigen herumhängen, bin ich etwa im Zirkus? Die entdecken noch meine Talente und werden mich angaffen wie eine Frau mit Vollbart, siamesische Zwillinge oder einen Athleten mit übermenschlicher Kraft. In einem Flitterblouson werde ich mein Kaleidoskop-Auge nach allen Seiten schütteln müssen, um die Bilder der Vergangenheit zur Freude und Rührung der Masse transmittieren zu können. Ich werde nicht die Fee für den Mob spielen. Ich will mich nicht mit deren toten Großvätern und geliebten Großmüttern vereinigen. Die werden auf meinen herausstehenden Bauch starren wie in eine Glaskugel und gerührt sein über Die Schrecklichen Schicksale. Lager, Todesmärsche, Deportationen, Verhaftungsaktionen und Bombardierungen. Mit diesen Geschichten ist jetzt Schluss, sie spenden keinen Trost mehr. Immer dieses Gejammer: Ach, die polnische Fußballmannschaft mag jetzt verlieren, aber früher, früher, da haben wir gekämpft. Das Wort »Ehre« war uns in Fleisch und Blut übergegangen. So war es, und jetzt spulen wir an den Anfang zurück und schauen es uns auf der Dickbauchleinwand noch einmal an. Zum Trost. Damit war die Krabbe nicht einverstanden, weil sie genug hatte vom Mediumspielen. Die unverständlichen Befehle von vor über 70 Jahren und die Angriffsgeräusche nervten sie. Und das wilde, beinahe tierische Geschrei, wenn hundert Kerle mit dem Bajonett auf die anderen losgehen. Sie waren nicht aufzuhalten, waren wie ein Organismus. Sie trampeln über meinen Körper und mein Herz und sagen nicht einmal »Entschuldigung«. Plötzlich begannen die Stimmen, die zu all den von ihr verspeisten Menschen gehörten, zu all den Knochen, die ihr Haus geheizt hatten, ihr etwas ins Ohr, in den Bauch zu flüstern. Was willst du denn hier umsonst rumhängen wie ein Hampelmann im Hort? Kalt ist es und feucht, die Blumen stinken, dass einem schwindlig wird und dann noch dieser seltsame Typ in diesem Kleid, der so ungesund aufgeregt ist wegen deines plötzlichen Auftauchens. Es lohnt sich nicht, heilig zu sein, merk dir das. Zu dir beten werden sie nicht, weil du sie an allzu viel Böses erinnerst. Ach, eine Träne werden sie fließen lassen, denken kurz »gut, dass ich das nicht bin« und vergessen dich. Lauf lieber schnell weg, denn morgen nageln sie dich hier für immer fest und du wirst täglich um Erlösung grunzen müssen. Eine undankbare Arbeit, machen wir uns vom Acker. Die Dunkelheit brach herein, und ganz Gołąbki wurde von Nebel zugedeckt. Die Sterne kündigten gutes Wetter an und es wurde Zeit aufzu brechen. Die Krabbe knirschte mit den Zähnen, so dass sie Funken schlugen, die nach einer Weile die Strippen in Brand setzten, an denen sie befestigt war. Krachend landete sie auf dem Kirchenfußboden aus schwarzen Literatur und weißen Mosaiken. Im Fallen riss sie mit ihrem langen Gewand brennende Kerzen mit, die sofort den Stoff entzündeten. Die Krabbe brannte wie eine Fackel. Sie kroch auf dem Boden im Feuerschein wie ein wirbelnder Feuerwehrmann, dem die Übungen zu langweilig geworden waren. Stöhnend robbte sie zum Taufbecken, zog sich an den Zähnen hoch und kullerte hinein. Pssss. Die Fackel erlosch, die Krabbe war wieder eine Einheit. Die Haut war rot geworden und begann, sich lappenweise vom Körper abzulösen. Das war nicht besonders sexy, das sah nicht nach einem New Look aus. Es hatte auch überhaupt keinen Bezug zu Modewelt. Das lief allerdings unter Stigmata, unter geheimnisvollen Zeichen, die nur Auserwählte besaßen. Die Krabbe zog die sich windenden verbrannten Hautteile hinter sich her wie einen Brautschleier. Jetzt lag sie gerade vor der offenen Kirchentür und plante ihre spektakuläre Flucht. Gut, dass am Himmel Sterne schienen und dass Schwester Arleta wieder vergessen hatte, die Tür abzuschließen. Das wäre vielleicht was gewesen, wenn sie hier nicht rausgekommen wäre. Das Mädchen hatte sein Gesicht nach oben gewandt und überlegte, wie sie unbemerkt nach Hause kommen konnte. Sie würde wahrscheinlich durch die Straßen rollen wie ein verrückter Puck oder ein Laib Brot. Selbst wenn — das Wichtigste war, nach Hause zu kommen, zu Mama. Die erste halbe Drehung war ein bisschen schief und um ein Haar wäre die Krabbe wieder vor dem Altar gelandet. Doch dann brachte sie jede weitere Bewegung an den Treppenrand. Warte, vorsichtig, ja, noch ein bisschen und … Der Rumpf holte Schwung und fiel dann mit Wucht runter. Das Pech wollte, dass gleich neben dem Bürgersteig, der zur Kirche führte, eine Straße war, auf der gerade die Nachbarin entlang fuhr. Sie bremste im letzten Moment ihren Wagen wie in einer filmischen Schlitterpartie und sprang geschockt heraus zur Krabbe. Was machst du denn hier, Kindchen, wer hat dich denn hierher gebracht, warum sollen wir dich hier ansehen? Wie kann das sein, die Bewohner haben sich mit solchen Widerlichkeiten nicht einverstanden erklärt und eine entsprechende Petition wurde gar nicht eingereicht. Auf das Gerührtsein müssen wir uns erst einstellen, nichts da ohne Vorwarnung, da fällt mir das Monster auf der Straße unter die Räder und brüllt. Niemand hat einen solch plötzlichen ästhetischen Schock verdient. Ach, ich verstehe, deine Mutter hat dich sicher hier vor der Kirche abgelegt und wollte damit ihre Probleme lösen. Was ist das bloß für eine Frau, na ich weiß nicht, die hat sich ihre Moral sicher im Ausverkauf geholt und dazu aus China bestimmt. Warum hasst die ihr Kind so? Warum ist sie kein Krug, der ohne Henkel nach Wasser geht, warum findet sie sich nicht mit dem ab, Was Sein Muss? Woher so viel Widerstand in ihr, und wozu. Schließlich weiß doch jeder, warum gerade sie so ein debiles Kind bekommen hat. Schuld und Sühne. Und wer es nicht gelesen hat, sollte die Zusammenfassung überfliegen. Über der Krabbe, die breitlings mitten auf der Straße lag, bildete sich eine immer größere Menschentraube. Die Gaffer berührten mit leichter Faszination den Körper des Mädchens und sahen sich ungläubig an. Und weil es dunkel war, fand das Getatsche lediglich im Licht der Straßenlaterne statt. Wie ein geheimnisvolles Ritual, die Begegnung mit etwas Namenlosen. Das lebt also, das hat Hautreste, die sich wie unsere Haut anfassen. Was wohl innen sein wird? Ob in seinen Adern das gleiche Blut fließt wie in unseren? Vielleicht hat es eine andere Farbe, vielleicht ist es kochend heiß oder eiskalt? Faszinierend, wie in einen so kleinen Oberkörper sowohl Herz als auch Lunge reinpassen. Na ja, irgendwo muss das schließlich hin. Warum hast du so einen großen Kopf? Damit alles rein passt, was rein gehört. Und warum hast du solche Glubschaugen? Weil man mir in die Augäpfel ein Kaleidoskop eingebaut hat, damit ich schöne Bilder projizieren kann. Und warum hast du so ein entsetzlich großes Maul? Damit ich euch besser fressen und dann rülpsen kann. Und Arme und Beine hast du seit deiner Geburt keine oder hat sie dir jemand gestohlen? Und du sprichst so komisch, sind deine Stimmbänder gerissen? Moment mal, du bist die Heilige und sollst für die Sünden deiner Familie bis zum Ende deiner Tage bezahlen? Hat ihre Mutter sie nicht in die Kirche gebracht?, fragte die Nachbarin. Ach wo, haben Sie das nicht gehört, dass ihr die Krabbe weggenommen und mit Gewalt hierher gebracht wurde? Sie soll unser bestes Exportprodukt werden, gefördert von den Rücklagen der EU. Zum Vatikan auf Pilgerfahrt soll sie gleich los und um Massenvergebung bitten für unsere städtischen Sünden und zwar in erster Linie. 124 p heft N 12 musik Das Mädchen soll die zukünftige Botschafterin von Gołąbki werden, unser Gesicht. Sie hat ein charakteristisches Aussehen, so dass wir wiedererkennbar sein werden. Die Leute überboten sich mit Neuigkeiten und immer unwahrscheinlicheren Plänen für die Krüppelin ohne alle Viere. Angeblich jault ihre Mutter seit mehreren Stunden im Garten und lässt die Leute nicht schlafen. Zweimal haben sie die Hunde auf sie gehetzt, aber trotz schlimmer Bisse — Marek ist sogar mit seinem Bullterrier gekommen — hat sie sich nicht beruhigt und heult weiter. Was ist das für ein Weib, also wirklich. Kein bisschen Stolz, keine Benimmse. Ist ja auch kein Wunder, wenn die Familie Volksdeutsche und Juden waren. Das Gör muss in die Kirche gesteckt und die Tür verriegelt werden, damit es keine Mücke macht. Wir können nicht zulassen, dass sich das in alle Richtungen ausbreitet und eine Schleimspur wie eine Schnecke hinter sich zieht. Mach, dass du zurückkommst, du Krabbe. Einer muss für Großmutter und Mutter Buße tun. Wir wollen, dass du über dem Altar hängst, wir wollen etwas zu sehen haben. Ab zurück in die Kirche! Wir verlangen Ergriffenheit und Schock von der Verkrüppelung! Doch das Mädchen wollte fliehen und überflüssige Begutachtung zur Bestätigung seiner Heiligkeit umgehen. Ein Teil der Leute war bereits vor ihm niedergekniet und hatte Lieder über die Erlösung durch Leiden angestimmt. Durch physisches Leiden natürlich, das ist besonders wertvoll. Man denke allein an die heilige Juliane. Oder Katerina de Pazzi, die levitieren konnte und mystische Visionen hatte, vergleichbar mit dem Zustand der Hyperthermie. Sie hob ab und redete dann mit Jesus. Das alles wurde mit einer erotischen Soße übergossen, zweideutig, wie das oft bei Frauen der Fall ist, die von Glaube durchdrungen sind und darüber den Verstand verlieren. Der heilige Bräutigam beschenkte Katerina mit mystischen Gewändern und Juwelen, und die spazierte darin nackt durchs Kloster. Man kann sich denken, dass das bei der Oberschwester nicht auf Begeisterung gestoßen ist. Alle wandten sich von den durchgeknallten Mädels ab, und die wurden nur noch verbissener, machten noch mehr den Arc de cercle, den Gläubigen zum Trotze. Die Krabbe ist genauso in sich versunken, so unversöhnlich, kurz vor der Extase. Wie wir sie beneiden. Manche der Versammelten versuchten gar, sich die Beine oder zumindest die Finger abzureißen, nach dem Bilde derer, die zur Heiligen von Gołąbki werden sollte. Leute, Erbaaaarmen, grunzte der Rumpf und versuchte, der immer aufgewühlteren Menschenmasse zu entkommen. Keiner verstand, was die Krabbe herauszuschreien versuchte, sie beobachteten, wie sie sich ungeschickt über die Straße zum Bürgersteig wälzte. Augenblick mal, Desertion lassen wir hier nicht zu. Wir haben ja nicht die verräterische Familie toleriert, um nun nichts davon zu haben. Wir wollen wenigstens zur Sonntagsmesse etwas sehen und den Touristen, die nicht kommen, etwas zu zeigen haben. Die Verachtung unserer lokalen Gemeinschaft gegenüber muss auch Konsequenzen haben. Jemand nahm einen Stock vom Rasen und näherte sich der Krabbe. Sie war innerlich störrisch, es war zu sehen, dass sie ihre letzten Kräfte zusammennahm, ihre Augen glänzten und die verbrannte Haut schlotterte in der frischen Brise. Sie wehrte sich nicht, sie gab nicht einmal einen Laut von sich, war leichenblass. In ihren weit aufgerissenen Augen loderte die düstere Flamme von Grauen und Tod. Schluss mit den abendlichen Kriegsfilmen, mit den Träumen von einem besseren Leben mit Gliedmaßen. Hilfe, Mama! Sie levitierte wie alle ausgestoßenen Mystikerinnen. Die Krabbe hatte eine Vision, in der sich die Vergangenheit mit dem verflocht, was noch gar nicht gewesen war und nie kommen würde. Sie ertrug weitere Schläge mit immer mehr Inbrunst, denn sie wusste, dass sie nichts mehr retten würde und dass es keinen Sinn hatte, diese Szene zu verlängern. Fesselt sie, sonst reißt sie sich los und flieht, riet die Nachbarin. Auf der Straße stand ihr Auto bereit, nur der Motor musste angelassen werden. Sie warfen die wie einen Hammel geknebelte Krabbe auf den Hintersitz und fuhren los in höllischem Durcheinander; höhnische Spottnamen, Gelächter und Beschimpfungen fielen auf sie herab wie tödlicher Hagel. Was das für Spottnamen waren? Ach, ganz menschliche, normale eben. Behinderte Nutte, jüdischer Rumpf und Parasitenschlampe, gemästet von der Sozialhilfe außerdem. Die Großmutter hatte Polen, die Familie Gołąbki verraten. Diebin, hast fremdes Gut gestohlen, Warschauer, nicht unsers. Sonderling. Nach einer Weile wurde der Umzug langsamer. Die Nachbarin hörte auf, wie besessen auf die Hupe zu drücken, und die Leute wurden leiser. Der mutigste unter ihnen, der Inhaber des Spätverkaufs, sagte »vielleicht 125 LITERATUR sollten wir sie zurückbringen, sie nackt ausziehen und in der Vorhalle mit Ruten durchprügeln«. Den Weibern kam das wie gerufen, erregt riefen sie »wir wollen Blut sehen, packt sie«. Zwei Kerle, die gerade vorbeiliefen, sagten zueinander »gut, dass wir nicht in die Disco nach Ursus gefahren sind, sonst hätten wir dieses Spektakel verpasst«. Skalpieren. Verbrennen. Umbringen. Die Spirale des Wahnsinns drehte sich von Minute zu Minute schneller, niemand wusste mehr genau, was er von dem armen Kinde wollte, das sich nicht wehren konnte und seinen Kopf, sein einziges vollständiges Körperteil, mit seinen Schultern zu schützen suchte. Plötzlich trat der Priester vor das Pfarrhaus und verstellte mit seinem Körper die Kirchentür. Oh nein, das lasse ich nicht zu. Ihr tragt mir hier noch den ganzen Modder rein und verspritzt Blut im Gotteshaus. Wer soll das morgen sauber machen? Ich vielleicht? Eher nicht. Und dann steht nachher im Lokalteil, ich hätte an einer Lynch-Aktion teilgenommen, hat mir gerade noch gefehlt. Hinfort. Die Leute trieben sich gegenseitig an. Der Himmel wurde immer düsterer, der Wind schlug in die Pappeln, deren Äste sich weit herabbogen. Staub- und Sandwolken wirbelten vom Wegesrand immer höher über den Köpfen auf und hüllten sie ein wie der Dampf aus einem heißen Kessel. Von Zeit zu Zeit machte sich jemand Luft, spuckte auf die Scheibe und schrie: Du Schwein, du Schwachsinnige, Russenkind, Pestbeule. Auf die Gleise mit ihr, auf die Gleise. Diese Familie hat Schande über unser Städtchen gebracht, deshalb hat euch Gott mit dem Krüppel bestraft, und jetzt tragt euer Kreuz! Du wurdest geboren, also friss die Scham, schmeck den Gram. Die Leute brüllten wie eine Armee, die sich mit lautem Schreien Mut machen wollte. Die Krabbe dagegen, ins Auto eingesperrt, blutig geschlagen, in der zerrissenen Gewandung, in Ewigkeit geschändet, und zu schnell von einer Heiligen zum letzten Dreck befördert, lag da als hörte und fühlte sie nichts mehr, was um sie herum geschah, nur echte Tränen rannen in einem endlosen Rinnsal über ihr blau geschlagenes Gesicht. Sie wollte schreien, konnte es aber nicht. Sie wollte die Türen des Fiat Uno öffnen, aber sie hatte keine Hände. Zur Flucht fehlten ihr die Beine und bequeme Schuhe hatte sie auch gerade nicht griffbereit. Endlich kam die groteske Demonstration der gesellschaftlichen Gerechtigkeit neben den Bahnsteigen zum Stehen. Sie zogen das Mädchen aus dem Wagen und warfen es wie einen aufgequollenen Kadaver auf die Gleise, die unter ihr beinahe aufstöhnten. Sie fiel auf den Rücken und bewegte sich nicht mehr. Sie spürte den Geruch nach Schmiere, stellte sich aber lieber tot, um die Menge nicht noch mehr in Rage zu bringen. Sie tat so, als sei sie nicht hier. Die Nachbarin sprang herbei, trat sie und keifte: Wenn du in die Stadt zurückkehrst, hetzen wir die Hunde auf dich! Sie hob einen Stein vom Gleisbett auf und warf als erste. Für das Leid der Kinder, für den Krieg und den Warschauer Aufstand, für die Schande der Familie, da hast du, da hast du. Für die Schande über Gołąbki warf die Nächste einen Stein. Mögest du in Ewigkeit in der Hölle schmoren, möge dich die heilige Erde wieder ausspucken, mögest du verhungern und verdursten. Die Worte schmerzten mehr als die harten Steine. Die Krabbe zog sich in sich zusammen und schloss die Augen, sah nur ihre eigenen inneren Bilder. Der Himmel bedeckte sich, es begann, in dichten, dicken Tropfen zu regnen. Was sollen wir hier herumstehen und die Aussätzige anstarren. Gehen wir nach Hause. Die Menge ging nach und nach auseinander, ruhig, in Gedanken versunken. Vielleicht mit einer gewissen Befriedigung und dem Gefühl, seine Pflicht getan zu haben. Der Abschaum lag auf den Gleisen, voller Schmiere. Diesen Weg waren vierundvierzig die Leute nach Pruszków gezogen, und Leichen lagen auf den gleichen Steinen, auf den gleichen Gleisen und warteten auf weiß der Teufel was. Steh auf, Mädchen, so lange das Leben schön ist. Roll dich von diesen Schienen, denn das ist nicht der rechte Ort, zu verschnaufen und in die romantischen Sterne zu starren. »Raus« wie man so schön sagt, verschwinde. Die verkrampfte, in Sackfetzen gewickelte Gestalt wurde langsam vom Lichtstrahl des herannahenden Zuges beleuchtet. Auszug aus Sylwia Chutniks [*1979] zweitem Roman Die Krabbe [pl. Dzidzia]; erschienen 2009 bei Świat Książki. John 40 Alekins, Janis 99 a Abercrombie, Alexander i. 6 b c d e f g NAMENSREGISTER p heft N 12 musik Alexandrow, Alexander Wassiljewitsch 7 Amos, Tori 107 Aniempadysta , Michał 93 Apostoleanu, Elena Alexandra (Inna) 80 Atlas, Natacha 84 Bacewicz, Grażyna 53 B l nescu, Alexander 79 f. Balzac, Honoré de 56 Balzar, Robert 40 Baradulin, Ryhor 93 Bartosiewicz, Edyta 107 Baur, Eva Gesine 55 Becher, Johannes R. 7 Ben, Swetlana »Benka« 89 Biernacki, Wacław 30 Bierut, Bolesław 6 Bílá, Lucie 73 Bonaparte, Napoleon 5 Bors, Marcin 105 Boulanger, Nadia 53 Boulet, Marc 37 Boy-Żeleński, Tadeusz 49 Brandt, Willy 7 Bretschneider, Anna Maria 101 Broniewski, Władysław 6 Brown, James 9, 87, 109 Bruzdowicz, Joanna 53 Brylewski, Robert 37 Bumbire, Solvita 99 Bura kin, Hienadź 93 Burwik, Peter 80 Bush, Kate 107 Byrne, David 79 Ceau escu, Nicolae 79 Chang, Jeff 11 Chilly, Katya 84 Chopin, Frédéric 47, 55f., 63f., 107 Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch 7 Chubynskyi, Pawlo 6 Chylińska, Agnieszka 107 Cioran, Emil 80 Conover, Willis 40 Czajkowski, Andrzej [André Tschaikowsky] Dąbrowski, Jan Henryk 5 Dalitz, Friedrich Johann 29 Danielsson, Lars 39 Darski, Michał Adam 27, 107 David, Michal 75 Delibes, Léo 49 Di Meola, Al 84 Diehl, August 118 DJ Kool Herc 9,11 Doda Elektroda [Dorota Rabczewka] 107 Drańko-Majsiuk, Leanid 93 Duda, Tomasz 13 Dudziak, Urszula 111 Dumin, Henryk 21 Ebert, Friedrich 7 Eisler, Hanns 7 El’-Registan, Gabo 7 emade 11, 113 Fajbusiewicz, Michał 11 Fallersleben, Heinrich Hoffmann von 7 fisz 11, 113 Fitelberg, Grzegorz 49, 64 Fitelberg, Jerzy 49 Fogg, Mieczysław 118 Forman, Miloš 73 Fresco, Zohar 39 Freyer, August 30 Gabriel, Peter 45 Gajewski, Dariusz 118 Gajewski, Henryk 37 Garanca, Anita 99 Garanca, Elina 99 Garlicki, Łukasz 118 Geppert, Edyta 111 Giemza, Maciej 13 Glinka, Michail 7 Głowiński, Jan 30 Goebel, Bruno 29 Gorbatschow, Michail 37 Gott, Karel 73 Grechuta, Marek 45, 113 Grisons, Jean Baptiste 5 Grynkiw, Roman 84 h i j k l m Grzymałkiewicz, Patrycja 113 Gutek, Roman 13 Haas, Pavel 63 Hagen, Lou Fanánek 75 Hanzl, Petr 40 Harders-Wuthenow, Frank 63 Haschka, Lorenz Leopold 5 Haubenstock-Ramati, Roman 53 Havel, Václav 14 Haydn, Joseph 5, 7, 80 Hendrix, Jimi 39 Hilton, Stephen 113 Holzbauer, Ignaz 5 Holzer, Johann 6 Honzák, Jaromír 40 Horn, Shirley 40 h lka, Daniel 75 Inna [Elena Alexandra Apostoleanu] 80 Iwasjuk, Wladimir 83 Janca, Jan 29 Janda, Krystyna 109 Jansons, Viesturs 99 Janukowitsch, Wiktor 6 Januszkiewicz, Szymon 31 Jarocki, Jerzy 13 Jaruzelski, Wojciech 37 Jędrusik, Kalina 109 Jędrzejewicz, Ludwika 55 Jopek, Anna Maria 105, 109 Kaczmarski, Jacek 9 Kamocki, Aleś 93 Kant, Immanuel 89 Karłowicz, Mieczysław 49 Kaulfürst, Fabian 101 kayah 109 Kennedy, Nigel 45 Kiel, Friedrich 49 Kiełtyka, Witold 27 Klein, Gideon 63 Kleszcz, Włodzimierz 45 Klimkovich, Mikhas 6 Knorr, Julius 55 Kocor, Korla Awgust 101 Koffler, Józef 64 Koglmann, Franz 80 Kohl, Helmut 7 Kovolevska, Maija 99 Krajewski, Seweryn 109 Krása, Hans 63 Krauthammer, Andrzej 53 Krawczyk, Krzysztof 105 Kremer, Gidon 99 Kryl, Karel 76 Krzak, Wojciech 45 Kucz, Konrad 107 Kulenty, Hanna 53 Kullaks, Theodor 49 Kunze, Michael 75 L.U.C. 11, 111 Laks, Szymon 53, 64 Landa, Daniel 75f. Laskowski, Karol 64 Leichtentritt, Hugo 56 Lilius, Szymon 29 Lipiński, Tomek 37 Lipský, Old ich 73, 76 Liroy (Piotr Marzec) 9, 109 Lisle, Rouget de 5 Liszt, Franz 49 Llach, Lluís 9 Lukaschenka, Alexander 90 Lutosławski, Witold 53, 64 Maizière, Lothar de 7 Majakowski, Wladimir 90, 93 Majchrzak, Józef 21 Makowicz, Adam 39 Maleńczuk, Maciej 113 Marcovici, Andrei 80 Marek, Czesław 53 Marsallis, Wynton 40 Marzec, Piotr (Liroy) 9, 109 Masecki, Marcin 14 Masłowska, Dorota 111 Matecka, Agnieszka 43, 45 Matwijenko, Nina 83 Mazolewski, Wojtek 14 Mendelson, Joachim 53 Metheny, Pat 109 Meyer, Krzysztof 53 Michalkov, Sergej 7 WeIBeraTlas sYlWIa Fur chuTnIK Warschau n o p r s Mickiewicz, Adam 61 Milea, Ada 79 Mládek, Ivan 73 Moniuszko, Stanisław 49 Morawski, Eugeniusz 49 Moretti, Macio (Maciej Moruś) 13ff. Mosengel, Johann Josua 29 Moss, Piotr 53 Mozart, Wolfgang Amadeus 5f., 55 Możdżer, Leszek 39, 55 Mrozik, Michalina 19 Müller, Herta 79 Müller, Moritz Robert 30 Mysłowska, Olga 14 Myszor, Przemysław 109 Nagel, Paul 101 Naliwajek-Mazurek, Katarzyna 63f. Namisnyk, Lilija 99 Naum, Gellu 79 Necká , Václav 75 Nelson, Andris 99 Nergal 27 Niaklaje , Uładzimier 93 Nieck, Friedrich 56 Niemen, Czesław 109 Nikolaus I. 6 Nohavica, Jaromír 73 Noskowski, Zygmunt 49 Nosorogow, Michej 90 Nosowska, Kasia 105, 107, 109 Novika 105, 109 Nowak, Adam 111 Nowakowski, Tadeusz 47 Nozdryn-Płotnicka, Teresa 21 Nyffeler, Max 55 Nyman, Michael 79 O.s.t.R. 11 Olter, Jacek 39 Osiecka, Agnieszka 107, 109, 111 Ossowski, Wojciech 45 Ostaszewski, Jacek 45 Ostrowski, Adam 11 Paderewski, Ignacy Jan 49 Padlewski, Roman 64 Palmer, Tony 55 Panufnik, Andrzej 53 Pavlí ek, Michal 76 peja 9 Penderecki, Krzysztof 58ff. Perepłyś, Karol 64 Perkowski, Piotr 49 Piłsudski, Józef 6 Pleyel, Ignaz 5 Podskalský, Zden k 73 Pogoda, Ulrich 101 Polański, Roman 64 Potocka, Gräfin Delfina 55 Przemyk, Renata 111 Przybysz, Natalia 45 Pukst, Sergej 87 Puriete, Aija 99 Putin, Wladimir 7 Rabczewska, Dorota »Doda« 107 Rancière, Jacques 56 Rathaus, Karol 49 Reber, Henri 56 Reeves, Dianne 40 Regamey, Constantin 64 Rellstab, Ludwig 56 Ribot, Marc 87 Riefenstahl, Leni 87 Riemer, Gottfried 30 Rodowicz, Maryla 109 Rodziński, Artur 49 Rogiński, Raphael 14 Rojek, Artur 109 Rosenstock, Joseph 49 Rosłaniec, Katarzyna Rostkowski, Łukasz (L.u.C) 11 Różycki, Ludomir 49 Rubinstein, Artur 64 Rychman, Ladislav 73 Rypson, Piotr 37 Saenz Valiente, Candelaria 14 Sakalouski, Nester 6 Sand, Georges 56 Santana, Carlos Augusto Alves 39 Sarrazin, Jürgen 118 Schmidt-Garres, Jan 55 Schreker, Franz 49 U V W Y z Schumann, Robert 55f. Schuster, Paul 80 Schwede, Uta 101 Seidl, Ulrich 55 Semisch, Manuel 101 Seweryn, Tadeusz 21 Sienkiewicz, Henryk 47 Sikała, Maciej 39 Sikora, Elżbieta 53 Silbermann, Gottfried 29 Sipole, Maja 99 Siry, Max 90 Sitarski, Józef 30 Skrzypczak, Bettina 53 Słowacki, Juliusz 61 Smoler, Jan Arno t Smolik, Andrzej 101 Sobieski, Jan 19 Sojka, Stanisław 111 Spera, Domenico 99 Spielberg, Steven 45 Stalin, Josef 6f., 11, 40 Stańko, Tomasz 39 f., 105 Staszewski, Kazik 9, 111 Stenka, Danuta 13 Stojowski, Zygmunt 49 Stoph, Willy 7 Strasfogel, Ignace 49 Strauss, Richard 49 Studziński, Stanisław 30 Sumac, Yma 84 Sv rák, Zden k 73 Svoboda, Karel 75 Szalonek, Witold 53 Szamburski, Paweł 13 Szeluto, Apolinary 49 Szpilman, Władysław 64 Szymanowski, Karol 64, 49 t nase, Maria 80 Tansman, Alexandre 49 Tatsumi, Masako 93 Teterovskis, Ints 95 Todar (Vajciuškievi , Źmicier) 92f. Tomaszewski, Mieczysław 55 Trzaska, Mikołaj 39 Tschaikowsky, André (Andrzej Czajkowski) 53 Turnau, Grzegorz 111 Tyciński, Bartek »Magneto« 13ff. Tymański, Tymon 39 Uhlí , Jaroslav 73 Ullmann, Viktor 63 Umer, Magda 109, 113 Urbaniak, Michał 39 Vajciuškievi , Źmicier (Todar) 93 Vankersbilck, Gwendolyn 99 Vasks, Peteris 99 Vondrá ková, Helena 73 Waglewski, Wojciech 11, 113 Waits, Tom 90 Weber, Bartosz 13ff. Weill, Kurt 111 Weinberg, Mieczysław 53 Weizsäcker, Richard von 7 Werbyckyi, Mychajlo 6 Wieck, Clara 55 Wieck, Friedrich 55 Willenberg, Samuel 64 Wilsons, Woodrow 49 Wiśniewski, Michał 109 Wojaczek, Rafał 93 Wulf, Jan 29 Wybicki, Józef 5f. Wyssozki, Wladimir 90 Wyszyński, Stefan Kardinal 61 Yang, Pati 113 Zabawa, Alicja 21 Zakrocki, Patryk 14 Zamoyski, Adam 55 Zanussi, Krzysztof 107 Zarębski, Juliusz 49 Zaryan, Aga 40, 105 Zaucha, Andrzej 113 Zavoloka 84 Żeleński, Władysław 49 Zieliński, Tadeusz A . 55 Zorn, John 87 Žukovskij, Vassilij 6 Das Leben im Mietshaus in der Opaczewska-Straße in Warschau scheint seinen gewohnten Gang zu gehen. Nichts deutet auf eine Katastrophe hin. Die Protagonistinnen sind in ihre Rollen als »gastronomische Mütter«, »Einkleideeltern«, »rosarote Töchter«, Zuckerbäcker und Basarhändlerinnen gefangen. Die Schwarze Mańka, pani Maria, das Gör Marysia und die Transe Marian geben Einblick in ihre Leben. Der Weiberatlas für Warschau ist eine bitterironische zeitgenössische Großstadtlegende mit kriminalistischem Handlungsstrang. Sylwia Chutnik erschließt die Stadt im Gestus einer feministischen Revolte, rekonstruiert detailliert Orte kollektiver Kriegstraumata und zeigt mit enormer Symbolkraft, wie sich Stadtgeschichte in die Schicksale der Bewohner einbrennt. Sylwia Chutniks erster Roman Weiberatlas für Warschau [kieszonkowy atlas kobiet] erscheint auf Deutsch im Dezember 2010 im Vliegen Verlag. 126 p heft N 12 musik 127 Sachregister A Tribe Called Quest 9 Acid Drinkers 27 A ACT 40 DIALOG Reklama Dialog D_Layout 1 14.09.10 15:12 Seite 1 Deutsch-Polnisches Magazin • Kulturelle Identitä�t Europas • Die Zukunft des sozialen Europas • Polen und Deutschland zwischen Amerika und Europa • Das Weimarer Dreieck in der neuen Union • Porträ�t einer Generation - Deutsche und polnische Jugendliche • Ö � kologische Zusammenarbeit • Krieg und Erinnerung • Vertreibungen - Die Gegenwart der Vergangenheit • Geschichte, die trennt und verbindet - Polen und Juden • Deutsche Polonistik • Deutsches und polnisches Kino • Fußball – deutschpolnische 90 Minuten • Stettin auf der Suche nach einer neuen Identitä�t • DDR - Polen • 40 Jahre Briefwechsel der Bischö �fe • Polen – Ukraine: Schwieriger Weg zur Partnerschaft u. a. B Jahresabo des DIALOG: 15,30 € in Deutschland (vier Nummern) • Einzelhefte: 5 € (+Versand) Redaktion DIALOG Schillerstr. 59, 10627 Berlin Tel.: (030) - 26 551 - 630 • Fax: (030) - 26 551 631 dpgbv@t-online.de DIA LO G Ma g az yn Pols r9 0( ko20 09 Nie -20 10) mie Pre c is eN r. /n 12 ki zł C D DIA und LOG Wo -PRE lfga NA ng TIS für L e u Lud GROD wiga A D mplin dwig M ehlh Meh IALO orn lhorn GU a i W dla Katowice 27, 109 Kaufmann von Venedig 53 Kayah & Royal Quartet 109 Kayah i Bregovic 1109 Kayax 109 Kazimierz 30 Kazimierz Dolny 29 Keine Grenzen [Żadnych Granic] 109 Kieler Schloss 63 Kleopatra 75 Kochana Polsko [Liebes Polen] 11 Kolaboracja 37 Koledzy 113 Konfusion 111 Königsberg 29 Können diese Augen lügen 111 Korona Milky Bar 109 Kostrzyn 43 Koszalin 31 F I Jazz Forum 39 Jazz Jamboree 40 Jazzgot 13 Jazzthetik 39 Jędrzejów 30 Jelenia Góra [Hirschberg] 21 Jesus Christ Superstar 73 Jeszcze Polska … 9 Jimmy Jazz/Garaz 37 Jugoslawien 6, 19, 25, 35 Jump around 9 Junges Polen 49 Junior Jazz Festival 39 Kabát 73 Kaiserhymne 5, 7 Kalich 73, 76 Kalter Krieg 40 Kamenz 101 Kapela ze Wsi Warszawa [Warsaw Village Band] 45, 113 Karpaten 43, 59, 83 Karpatenvorland 59 KAT 25 KPdSU 7 Kraina Mriy [Land der Träume] 84 Krakau 29, 39f., 45, 63f. Kreator 27 Kremerata Baltica 99 Kresy 43 Kriwi 93 Kroke 45, 105 Krosno 27 Kryzys 35, 37 Kryzys Komunizmu 35 Krzeszów [Grüssau] 31 N KSU 35 L H De ut Wa deu rschau tsch • V e Sp erge Wa uren ssen e niemrszawa ieck • Zap ie śla om nian dy e K G www.dialogonline.org 5€ /ce na 109 Jarzębina 21 J Jakajakayah Jaszczurka 113 E Ü � ber 20 Jahre Kompetenz in deutsch-polnischen Themen: sch ww -Po w.d ialo lnis gon che line .org sM ww aga w.d zin pg -bu nde sve rba nd.d Davidsbündler 55 Deadlock 37 Dębica 60 Adéla ješt neve e ela 76 Decapitated 27 Adele hat noch nicht zu Abend gegessen 76 Delight 27 Africa Bambaata 9 Deuter 35 Aktenzeichen XY ... 11 Deyzi Doxs 101 Akwarium 39 Dezerter 37 Alboom 9, 109 Diamond Bitch 107 Alchemia 40 Dies Irae 27 All you need is love 6 Dixie 40 Allerseelen-Jazz-Festival [Zaduszki DJ M.A .D 11 jazzowe] 40 Dobków 19 Allgemeine Musikalische Zeitung 55 Dorpat 99 Amazing 80 Dracula 75 Analogs 37 Drei Haselnüsse für Aschenbrödel 75 Analyse der Chopin’schen Klavierwerke 57 Drei Musketiere [T i musketý i] 75 Angelika 75 Dwa Serduszka Cztery Oczy 109 Apocalyptica 27 Dziwny jest ten świat 109 Apolodor 79 Ektomorf 25 Archangelsk 6 El Banda 37 Argentinien 14 EMPiK 25, 27 Arka Noego 25, 27 Era Nowy Horizonty 13 Armia 35, 37 Esther 5 As one 45 Estland 95, 99 Association des Jeunes Musiciens Eurovision Song Contest 109, 118 Polonais 53 Evangelion 107 Atlas der Volkstrachten 21 Evita 76 Auschwitz 53, 63f. Excalibur 76 Austerlitz 5 Eye For An Eye 37 Award for World Music 113 Face of Bass 40 Awful Noise 101 Faith, Hope + Fury 113 Baaba 13f. Fala. Jarocin 85 25 B l nescu Quartet 79 Fallen Fallen Is Babylon 37 Balkan 118 Fanfare Cioc rlia 84 Ballets Russes 49 Feeling B 37 Balsis 95, 99 Fire 80, 107 Baltikum 19, 99, 118 Firma 9 Barnim Grüneberg 31 Folksamen, die 101 Bautzen 101 Frankreich 6, 2, 29, 37, 53, 89 BBC Radio 3 45, 113 Französische Revolution 5 Beastie Boys 9 fRoots 45 Beatles 5, 87, 90 Fryderyk 107 Beats Of Freedom 37 Fuat 118 Behemoth 27, 105, 107 Fünf Liter Zuika 80 Belarus 6, 19, 21, 53, 86, 90, 93 Gaba Kulka 105, 107 Belgien 21, 99 Gadki z Chatki 45 Berlin 5, 47, 49, 53, 55f., 61, 63, 89, 99, 101 Galeria Off 13 Berlinska dróha 101 Galerianki [Shopping Girls] 11 Bernhardinerbasilika 30 Galizien 19, 43 Between Us And The Light 39 Gdynia 118 Białowieża-Urwald 93 Gebet der Russen [Molitva Russkich] 6 Białystok 27 Geheimnis des goldenen Drachen, das 75 Biaroza ka 39 Głucha Noc [Dumpfe Nacht] 9 Bídníci [Les misérables] 73 Gnesen 61 Biene Maja 75 God save the King 5, 7 Bieszczady 43 Goebel 29, 31 Goldene Schallplatte 11 BiFF 105, 107, 111 Birkenau 53 Goldener Drache 76 Bla Bla Bla 11 Golem 75 Black Album 37 Göteborg 39 Blackmail/Extortion 14 GOWI Records 40 Bleh Musika 118 Grajso Lutki 101 Blitzkrieg 37 Grandmaster Flash 9 Blue Note 105 Grandpaparapa 109 Blue Note Label 40 Groupe des Six 49 Blur 107 Grüssau [Krzeszów] 31 Bolesławiec 19 Gut bezahlter Spaziergang [Dob e Bolschoi-Theater 7 placená procházka] 73 Bosnien 19 Halka 49 Bosporus 118 Hapka&Horá ek 76 Breakout 113 Happiness Is Easy 109 Brieg 30 Hat 107 Broadway 73 Hedningarna 84 Brüsseler Konservatorium 49 Heiligelinde [Święta Lipka] 29 Brygada Kryzys 37 Heilig-Kreuz-Kirche 64 Budka Suflera 25 Hej, Sloveni! 6 Bukarest 79 Helgoland 7 Bulgarien 118 Hell-Born 27 Can´t Stop Won´t Stop 11 Helloween 27 Cartel 118 Hemp Gru 9 Cats 76 Hermannstadt 79f. CD Baby 14 Hermannstädter Symphonie 80 echomor 73 Herrn Kukas Empfehlungen 118 Ceza 118 Hey 105, 107 Chłodna 25 14 Hirschberg [Jelenia Góra] 21 Chopin als Mensch und Musiker 56 Holland 53 Chopin Jazz Impresje 55 Hopsasa 45 Chopin oder Die Sehnsucht 55 Horny Trees 14 Chopin. Der Poet am Piano 56 Hot 80 Chopin. Ein Leben in Bildern 55 House of Pain 9 Chopin. Sein Leben, sein Werk, Hoyerswerda 101 seine Zeit 56 Hudební divadlo Karlín 73, 76 Contemporary Noise Sextett 39f. Hundstage 55 Cool Kids of Death 105 Huzulen 43 Cottbus 101 Hybernia 73 Cry 79 Hymne à la liberté 5 Cukunft 14 I left my wallet in el segundo 9 Czesław Śpiewa 14, 111 Ich troje 109 Czy te oczy mogą kłamać 11 Infinity 45, 113 DachaBracha 84 Internationale 7 Daina 95 Iron Maiden 26/27 Danzig 107 Islamic Force 118 Danziger Philharmonie 31 Istanbul 80, 118 Darkthrone & Co. 27 Italien 5, 79, 99 Darzamat 27 Izrael 35, 37 Das Unbehagen in der Ästhetik 56 Izvestija 7 Sachregister p heft N 12 musik M Kudykam 76 Kult 9, 107, 111 Kursk 7 Kwartet Jorgi 45 Lado ABC 12ff. Lado Week 14 Lady Pank 107 Last Poets 9 Lausanne 31 Legenda 37 Leipzig 56, 101 Leipziger Gewandhaus 55 Leipziger Wave-Gotik-Treffen 27 Lemberg 21, 49, 53, 64 Lemberger Land 19 Lemken 43 L'Estaca [Der Pfahl] 9 Lettland 31, 93ff., 99 Leverkusener Jazztage 40 Leżajsk 30 Lied der Polnischen Legionen 5 Lied vom umherirrenden Soldaten 19 Life and Death 80 Limonadový Joe 73 Litany 25 Litauen 19, 93, 95, 99 Little Shop of Horrors 76 Live At The Palladium 40 Livland 19 Łódź 64, 105 Lombardische Republik 5 London 53, 79, 99, 113 Looking, Walking, Being 105 Lublin 43, 61 Luhansk 6 Lukas-Passion 61 Lume, Lume 80 Luminitza 79 Lusławice 59, 61 Lwowianka 21 Lyrical 76 Maanam 107 Majdanek 63f. Małgosia 109 Mały Szu 13 Marcin Wasilewski Trio 40 Maria T. 80 Marseillaise 5, 7, 21 Marseille 5, 63 Marszałkowska 25 Massacre Records 27 Mazedonien 118 Mazowsze 45 Mazurka 6 Melomani 40 Mem & Wolfram 14 Memel 7, 21, 93 Meritum 13 Metal Hammer 27 Metal Mind 27 Metal Mind Productions 27 Metalmania 27 Metropolitan Oper 99 Mexiko 19 Michael Nyman Ensemble 79 Miesiac i Sonca 93 Mig 21 73 Mikołajki Folkowe 45 Miłość 39f. Miłość! Uwaga! Ratunku! Pomocy! 107 Minsk 93 Mitch&Mitch 13ff. Młyny 6 Mona Lisa 75 Monotype Records 40 Monte Christo 75 Montreuil 101 Moonspell 27 Morowe 27 Moskau 53, 89 Moskwa 35 Mourner’s Rhapsody 109 MTV Music Award 107 Münster 61 Mury [Mauern] 9 Musik aus der Stille 80 Musik im okkupierten Polen 63f. Musik in Auschwitz 64 Musiques Interdites 63 My Melody 118 Myslovitz 109 Mystic Production 14 Mythos 21 N.R.M. 87 N/0 109 Namysłowski 21 NDR -Radiophilharmonie 59 Negura Bunget 25 Néoclassicisme 49 Neue Zeitschrift für Musik 56 New York 9, 49, 79, 99 Nie lubię już Polski [Ich mag Polen nicht mehr] 9 Niedalino 31 Niedere Beskiden 43 Niederschlesien 19, 21 Nihility 27 Nikt Nic Nie Wie 37 Noc na Karlštejn 73, 75 Noch ist die Ukraine nicht gestorben 6 Nocturnal Walks 80 Nocturnes 55f. NotTwo 40 Novika 105, 109 Nowa Tradycja 45 R S NSBM 27 O P Nuclear Blast 27 NUO 40 O.C.B. 11 O.N.A . 107 Oberlausitz 101 Obwarzanek 19 Ode to Venus 109 Odzyskamy Hip-Hop [Wir holen uns den Hip-Hop zurück] 11 Off-Festival 109 Ogre 99 Oktoberrevolution 6f. Oliwa 29ff. Olsztyn 25 Ordo Lumen Templi 76 Organic hallucynosis 27 Orkiestra Swiętego Mikołaja 43, 45 Orlík 76 Osjan 45 Oskar-Pastior-Festival 80 Ósmy obcy pasażer 109 Österreich 5ff., 47, 53 Ostrogski-Palais 55 Pałac 93 Palästina 53 Papaya Song 111 Paradise Lost 27 Paris 5, 47, 49, 53, 55f., 99 Paristetris 14 Pasażer 37 Paszport-Künstlerpreis 27 Paula Seling & Ovi 80 People's Spring 113 Perfect 107 Peyotl 105 Picking Up The Pieces 40 Pink Freud 39 Playing With Fire 80 Po drodze do nieba [Auf dem Weg zum Himmel] 11 Polepione dźwięki [Aneinandergeklebte Töne] 11 Polesie 21 Polityka 27, 109, 111 Polnisches Requiem 59, 61 Polonaise fis-Moll op. 44 56 Polpo Motel 14 Polska 9 Pomaton EMI 113 Portishead 113 Portland 14 Post Regiment 37 Poza Kontrola 37 Poznań 45 Prager Nationaltheater 73 Preußen 5, 21, 27 Prix de Rome 49 Propsteikirche 29 Przekrój 13 Pulp 107 Punk 34ff. Queen 53, 87 Quo Vadis 47 Rabbit 107 Radiohead 107, 109 Rage 27 Rakowice Małe 21 Rattenfänger [Krysa ] 75 Raz, dwa, trzy 111 Razem 37 Remont 37 Republika 37, 107 Resurrection 61 Riga 95, 99 Ring des Nibelungen 99 Riverside 27 Roadrunner 27 Robotobibok 39 Robrege 37 Rock Hard 27 RockerJocker 90 Rockers Publishing 14 Rom 49, 99 Roma 64, 80, 118 Room 28/Berlin 63 Rumänien 79f., 118 Run DMC 9 Russland 5ff., 47, 93, 99 Rzeczpospolita 27 Sagopa Kajmer 118 Santo Subito 113 Schadowanka 101 Schindlers Liste 45 Schlesien 30 Schleswig-Holstein Musik Festival 63 Schweiz 53 Scoobiedoo Ya 9 Scyzoryk [Klappmesser] 9 Secret 109 Sehnsucht [Touha] 75 Semafor 73 Sepultura 27 Serbien 118 Serce na dłoni 107 Serebrjanaja swadba 89f. Sex Pistols 90 Sheshory 84 Silent Treatment 113 Simple Minds 109 Sinti 118 SkąDokąd 111 Skała 14 Slawonien 19 Slayer 27 Slipwalk 107 Slums Attack 9 Smells Like Teen Spirit 39 Solidarność 9, 37, 59 Sopot 9, 40 Sorben 101 Sorbisch 101 Sowiński-Park 35 Sowjetunion 5f., 21 Spalam się 9 spodchmurykapelusza 109 Spytaj Milicjanta 37 SS 20 37 T St. Nikolaus Orchester 43, 45 St. Petersburg 49 Stabat Mater 61 Stalingrad 7 Starci na chmelu 73 Starzy Singers 13 Steppe, die 49 Sto zví at 73 Stoned Hajtzer 101 Strange is this world 109 Strzelce 49 Südkorea 75 Survivors Reunion 45 Swadba 89 Święta Lipka [Heiligelinde] 29 Świeżawa 19 Sycowski 21 Szczecin-Zdroje [Stettin-Finkenwalde] 31 T.Love 25 Ta Fantastika 73 Târgu Mure 79 Tartu 99 Tatort 40 Tauwetter-Periode 40 Terrorizer 27 T šín 76 T šínské Niebo/Cieszyńskie Nebe 76 The first damned 27 The Mystery of Chopin 55 The Raincoats 37 The Seven Temptations 107 The Time 39 This is a Man's World 109 Threnos 61 Tiger Lillies 90 Tilt 37 to jest jazz [Das ist Jazz] 40 To jest to [Das ist es] 9 Tonpress 25, 37 Transglobal Underground 84 Trebunie Tutki 45 Tricky 113 Troitsa 87 TSA 25, 27 Tscherwona Ruta 83 Tu Es Petrus 113 Tupika 13 Turbo 25, 27 Türkei 118 Tuwa 84 Twinkle Brothers 45 Tygmont 55 Tylko dla dorosłych [Nur für Erwachsene] 11 Tymański Yass Ensemble 39 Tymoteusz 27 UdSSR 21 6, 19, 83f., 93 U Ukraine Underground Out Of Poland 37 V W Z Universität Breslau 7 Universität Warschau 63 Upmixing 45 Upojenie 109 USSR 7, 83 Ustrzyki Dolne 35 Vader 25 Vajciuški 93 Variationen über »Là ci darem la mano« aus Mozarts »Don Juan« 55 Verchovna Rada 6 Versailler Vertrag 49 Vesania 27 Vilnius 21 VIVA Comet 107 Vjutro rano 5 Voice of America 40 Voo Voo 113 Voskovec & Werich 73 Wałbrzych 21 Warsaw Village Band 45 Warschau 5, 11, 25, 30f., 37, 39f., 45, 49, 55, 59, 61, 63f. Warschauer Getto 53, 63f. Warschauer Herbst 53, 63 Warschauer Philharmonischer Chor 59 Warschauer Seminarkirche 30 Warszawa 118 Wasserpolnisch 21 Weimar 49 Weimarer Republik 49 Weißrussland [Belarus] 6, 19, 21, 53, 86, 90, 93 Wien 49, 99 Wilki 105 Wilnianka 21 Wind of creation 27 Withing Hour 27 Włochaty 37 Wodospady 107 Wolna Grupa Bukowina 113 Woodstock 84 Woodstock-Festival 43 Wrocław 14, 19, 111 Wúlbernosće 101 Wzgórze Ya-Pa 3 9 WZ-Orkiestra 93 Zaduszki jazzowe [AllerseelenJazz-Festival] 40 Zapust 101 Zbylutów 19 Zgorzelec 21 Zielona Góra 111 Zisterzienserkirche 30 Złota Kolekcja 107 Zrozumieć Polskę [Polen verstehen] 11, 111 2Tm2,3 27, 35 39/89 – Zrozumieć Polskę 111 p heft N 12 musik LADO A B C Der Sampler Chefredaktion Antje Ritter-Jasińska S. 2-3 und U2 © cyan antje.ritter-jasinska@pplus-magazine.eu S. 10 oben © Tytus S. 10 unten links © Monika Lisiecka Autoren Bernd Adamek-Schyma S. 10 unten rechts © Bartosz Maz Sylwia Chutnik S. 15-17 © LADO ABC Jörg Ciszewski S. 20-23 © Natalia Gańko-Laska eLan S. 26 oben links © Behemoth Natalia Gańko-Laska S. 26 oben rechts © Turbo Paul-Richard Gromnitza S. 26 mitte links © Kobaru Tarik Gül S. 26 unten links © Vader Jan Hanisch S. 26 unten rechts © Riverside Frank Harders-Wuthenow S. 32/33 © Jerzy Uruszczak Ulrike Hoinkes S. 36 oben © Jacek Awakumowski Andra Joeckle S. 36 unten © Tomasz Sikora Birgit Johannsmeier S. 44 oben © Norbert Roztocki Janina Klassen S. 44 mitte links © Waldek Samociuk Olaf Kühl S. 44 mitte rechts © Jacek Dyląg Margret Kutschke S. 44 unten links © Warsaw Village Band Rainer Mende S. 44 unten rechts © Sierra Manta Pavlo Nechytaylo S. 50 oben © Archiv Andrzej Szpilman Almut Ochsmann S. 51 oben © PAP/CAF Alexander Pehlemann S. 51 unten © Archiv André Laks Elisabeth Richter S. 52 oben rechts © Digitales Nationalmuseum Warschau Michael F. Runowski S. 52 unten links © Universal Music Publishing, Paris Łukasz Tomaszewski S. 65 beide © Jerzy Ficowski, Archiv des RegionalThomas Weiler museums in Tarnów Maksim Žbanko S. 66/67 © Wacław Żdżarski, Nationales Digitalarchiv Warschau Übersetzer Olaf Kühl S. 82 S. 68/69 © Nationales Digitalarchiv Warschau Antje Ritter-Jasińska S. 18, 122 S. 74 oben © Kate ina Czerná Thomas Weiler S. 86 S. 74 unten links © Martin J. Polak S. 74 unten rechts © Theatre Hybernia Gestaltung + S. 77 © Tomáš Martinek Bildredaktion cyan www.cyan.de S. 81 oben © Victor Ionescu S. 81 unten links © Alexander B l nescu Druck möllerdruck und verlag gmbH Berlin S. 81 unten rechts © Vulcanii Noroiosi Der Sampler ist eine Co-Produktion von LADO ABC und P+. S. 85 oben © DachaBracha CD -Beilage nur in Teilauflage. S. 85 unten © Zavoloka Nachbestellung unter w w w. p p l u s - m a g a z i n e . e u S. 88 beide © Masha Mitrofanova S. 91 © Alexandr Zhdanovich (Tarantino) Das 2004 in Warschau gegründete Label LADO ABC agiert S. 96/97 © Birgit Johannsmeier als Veröffentlichungsplattform für die alternative Musik S. 106 oben links © Robert Laska von Warschauer Bands. Dabei steht A für elektronische S. 106 unten links © Tomasz Milewski Musik oder Noise, B für ein weit gefasstes Verständnis von S. 106 unten rechts © ANNA MARIA JOPEK MUSIC Rock, und C beherbergt improvisierte Musik, Jazz, ExperiS. 108 © Jan Malec/FORUM mentelles und andere zeitgenössische Musik. S. 110 oben links © PAP/CAF S. 110 oben rechts © PAP/CAF, Andrzej Rybczyński S. 110 unten © Rafał Nowakowski Vliegen Verlag GmbH Bizetstr. 132 S. 112 oben © RazDwaTrzy D-13088 Berlin S. 112 unten © Tomasz Sikora Rücktitel: Aus dem Film Zakazane Piosenki [Verbotene Lie Tel +49 30 44 03 56 50 S. 116-117 © cyan der], R: Leonard Buczkowski, 1946, zu sehen sind Danuta Fax +49 [0] 32 12 -127 54 57 U3 © cyan Szaflarska und Jan Świderski. U4 © Marek Frankfurt, Studio Filmowe »OKO « Leitung Antje Ritter-Jasińska Trotz Recherche konnten für einige Bilder keine Urheber Małgorzata Luiza Pottmann angaben gemacht werden. Wir veröffentlichen diese Bil vliegen@vliegen-verlag.eu der mit dem Hinweis, dass mögliche Ansprüche geltend gemacht werden können und Rechte gewahrt bleiben. Redaktionsadresse Redaktion P+ Bizetstr. 132 D-13088 Berlin Tel +49 30 44 03 56 50 Fax +49 [0] 32 12 -127 54 57 redaktion@pplus-magazine.eu www.pplus-magazine.eu Unser herzlicher Dank gilt Constantin Alex, cyan, Peter Elz, Benno Eversmann, Artur Jasiński, Olaf Kühl, Maciej Moruś Moretti, Johanna Meyer-Gohde, Peter Reik, Nicolle Ritter, Bankverbindung Berliner Volksbank Frank Harders-Wuthenow, Bartek (Magneto) Tyciński Konto 747 364 40 07 BLZ 100 900 00 Projekt wspierany przez Fundację Współpracy Polsko-Nie IBAN DE 27 1009 0000 7473 6440 07 mieckiej. /// Wydanie »Zweitwelten auf Zelluloid« zostało BIC [Swift] BEVODEBB wsparte przez Polski Instytut Sztuki Filmowej. /// Gefördert aus Mittel der Stiftung für deutsch-polnische ZusammenUst-IdNr. DE 814 74 0210 arbeit. /// Die Ausgabe »Zweitwelten auf Zelluloid« wurde ISSN-Nr. 1864- 0362 vom Polnischen Institut für Filmkunst unterstützt. Gerichtsstand und Erfüllungsort: Berlin This publication has been funded by the Book Institute – the © POLAND Translation Program Anzeigenpreise Preisliste gültig ab 1.1.2010 Unsere Mediadaten finden Sie Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir im Internet unter keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt www.pplus-magazine.eu der angegebenen Internetseiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich. Wir distanzieren uns ausdrückAnzeigenverkauf Vliegen Verlag GmbH / lich, von den Inhalten aller Internetseiten, auf die ein Link Büro München verweist. Diese Erklärung gilt für alle in unserem Magazin Małgorzata Luiza Pottmann vorkommenden Links. Wir nehmen nur solche Links auf, Bereiterangerstr. 15 deren Inhalt zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht gegen gel D-81541 München tendes Recht verstößt. Tel +49 89 - 44 48 9783 malgorzata.pottmann@pplus magazine.eu LADO A B C Der Sampler Vertriebsbetreuung SI special-interest DPV Pressevertrieb GmbH & Co. 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