kunstpreis - KUF - Amt für Kultur und Freizeit
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kunstpreis - KUF - Amt für Kultur und Freizeit
KUNSTPREIS LANGWASSER » Urbane Welten « 2009 FRANKEN-CENTER NÜRNBERG 1.– 14. FEB. VORWORT Als Ende des Jahres 2007 die Initiative vom Franken-Center Nürnberg ausging, in Zusammenarbeit mit dem Gemeinschaftshaus Langwasser einen Kunstpreis auszuloben, hatte wohl noch niemand eine annähernde Vorstellung von einer Ausstellung jener Dimension, wie wir sie jetzt präsentieren können. Von Anfang an stand jedoch fest, dass ein Einkaufszentrum kein Ausstellungsort wie jeder andere ist. Den Organisatoren war klar, dass es ein Kunstpreis werden sollte, der erstmalig die ganze Breite des Kunstschaffens in der Metropolregion widerspiegelt. Er sollte neuere und neueste Kunstströmungen einer möglichst breiten Öffentlichkeit vorstellen, und das an einem Ort, der denkbar wenig mit einem Museum zu tun hat. Diese unkonventionelle Plattform für zeitgenössische Positionen sollte allen Kunstformen offen stehen, also auch solchen, die im mittelfränkischen Raum bislang vielleicht eher weniger wahrgenommen wurden. Und es sollte ein anspruchsvoller Katalog gedruckt werden, der die ausgestellten Werke nicht nur in Abbildungen dokumentiert, sondern auch erläuternde Texte enthält. „Unbekannte Aspekte der Kunstszene der Metropolregion, ungewöhnliche und mutige Präsentationsweise, Dialogsuche zwischen der modernen Kunst und den Besuchern eines großen Einkaufszentrums – der KUNSTPREIS LANGWASSER zeigt neue Wege der Kommunikation zwischen Kunst und Publikum auf.“ Prof. Dr. Julia Lehner, Kulturreferentin der Stadt Nürnberg Schon während der ersten Planungsphase mussten verschiedene Interessen unter einen Hut gebracht werden. Neben dem soziokulturellen Anspruch des Gemeinschaftshauses Langwasser und der Kulturläden der Stadt Nürnberg galt es auch, den besonderen Bedingungen vor Ort gerecht zu werden. „Urbane Welten“, das Motto des KUNSTPREISES LANGWASSER 2009, schien für unterschiedliche Ansätze bestens geeignet. Ausgehend von Langwasser, einem in den 1950er Jahren gegründeten, relativ jungen Stadtteil Nürnbergs, ergaben sich hochaktuelle Fragestellungen. 3 „Etwa 30.000 Besucher kommen täglich zu uns in das Franken-Center. Damit haben während einer Ausstellungsdauer von zwölf Tagen mehr als 350.000 Menschen die Gelegenheit, zeitgenössische Kunst hautnah zu erleben. Der KUNSTPREIS LANGWASSER eröffnet Chancen einer Begegnung zwischen Künstlern und Öffentlichkeit, von denen jedes Museum nur träumen kann.“ Helmut Hantke, Manager Franken-Center Nürnberg Wie funktionieren eigentlich moderne Städte? Wie organisiert sich das gesellschaftliche Leben in ihnen? Haben die historischen Stadtzentren ausgedient bzw. taugen sie nur noch als Touristenattraktionen? Welchen Veränderungen unterliegt der öffentliche Raum in der Gegenwart und Zukunft? Wie ist das Verhältnis von Peripherie und Zentrum, wie dasjenige von Individualität und Globalisierung? Ist der Mensch des 21. Jahrhunderts ein Migrant zwischen den Kulturen? Wie wirkt sich der Rückzug in die virtuell vernetzte Privatsphäre aus? Mit unserem Konzept der Offenheit und Vielfalt gelang es uns, andere Kunstfachleute zu überzeugen. Es freut uns, dass wir eine hochkarätige Jury aus den Bereichen Museum, Galerie, Kunstverein, Presse und Hochschule für den KUNSTPREIS LANGWASSER gewinnen konnten. Angesichts der überzeugenden Qualität vieler der etwa 200 eingereichten Arbeiten gestaltete sich die Aufgabe der Jury nicht einfach. Letztlich verständigten sich die Jurorinnen und Juroren auf eine Auswahl von 40 Arbeiten, die sich auf jeweils ganz eigene Weise mit dem Thema „Urbane Welten“ auseinandersetzen. Jede Kunstausstellung steht und fällt mit dem Niveau der gezeigten Werke. Und so gilt unser ganz besonderer Dank den überwiegend jungen Künstlerinnen und Künstlern, die sich so engagiert auf das für alle spannende Experiment KUNSTPREIS LANGWASSER eingelassen haben. Ihre innovativen Bewerbungen aus den Sparten Malerei, Skulptur, Fotografie, Druckgrafik, digitale Medien, Video, Installation, Performance und Aktionskunst sorgten schon im Vorfeld für fruchtbare Diskussionen innerhalb des Organisationsteams. 4 Die Beiträge des KUNSTPREISES LANGWASSER 2009 bekennen sich zu Inhalten. Sie treten in teils kontroversen, teils humorvollen Dialog mit alltäglichen Routinen und Gegebenheiten in unseren Städten. Sie plädieren für Freiräume der Kunst und rebellieren gegen eine phantasielose Reglementierung des öffentlichen Raumes. „Der KUNSTPREIS bietet für LANGWASSER Wie sich zeigte, schaffen viele Künstler ihre Arbeiten in dem Bewusstsein, in ein ästhetisches Vakuum vorzustoßen. Mit unbestechlichem Auge entdecken sie Orte zwischen öffentlichem Interesse und Geschichtsvergessenheit, zwischen intensiver kommerzieller Nutzung und musealer Brache. Sie äußern Skepsis gegenüber Mechanismen moderner Kommunikation, die von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung unhinterfragt akzeptiert werden. Über die wohlvertraute Banalität hinweg, riskieren sie nicht selten einen hintergründigen Blick auf die Wirklichkeit. Oft beleuchten sie kritisch die belastete Beziehung zwischen Zivilisation und Natur. Oder es werden dunkle Kapitel der Geschichte, etwa die Vergangenheit Nürnbergs während des Nationalsozialismus, aufgeschlagen. Zukunft aufzuzeigen. Die Verbindung Kultur- Insgesamt ist es eine vielgestaltige und freche Ausstellung geworden, die es mit dem prallen Leben inmitten einer bunten Konsumlandschaft aufnehmen kann. Wir wünschen allen Besuchern des Franken-Centers wie auch den Leserinnen und Lesern des vorliegenden Kataloges viel Vergnügen und erhellende Gedanken zum Thema „Urbane Welten“. Dem KUNSTPREIS LANGWASSER wünschen wir eine Fortsetzung. eine erstklassige Gelegenheit, Stadt(teil) leben künstlerisch zu reflektieren und darüber hinaus vielleicht sogar Perspektiven für die zentrum – Einkaufszentrum („Kultur vor Ort“!) eröffnet dem Gemeinschaftshaus ungeahnte Möglichkeiten, den eigenen Wirkungskreis zu erweitern und noch breitere Bevölkerungskreise in (sozio)kulturelle Angebote einzubeziehen.“ Walter Müller-Kalthöner, Leiter des Gemeinschaftshauses Langwasser Eva Mack und Harald Tesan 5 DIE JURY Dr. Harald Tesan Vorsitz der Jury, Kunstwissenschaftler, Erlangen Klaus D. Bode Galerist und Kunstverleger, Nürnberg Dr. Pia Dornacher künstlerische Leiterin Museum Lothar Fischer Neumarkt Prof. Hanns Herpich Künstler, ehem. Präsident der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg Kathleen Rahn Direktorin Kunstverein Nürnberg Albrecht Dürer Gesellschaft Dr. Birgit Ruf Redakteurin im Feuilleton der Nürnberger Nachrichten 6 DIE KÜNSTLER Katalogtexte Harald Tesan K AT R I N B U C H Z I K 1973 1994 – 01 1998 1998/99 2000 2003 2004 2005/06 2006 8 geboren in Bayreuth Studium an der AdBK Nürnberg bei Prof. H. P. Reuter Klassenpreis der Klasse Reuter Stipendium für ein Auslandssemester an der Accademia delle Belle Arti, Palermo Ernennung zur Meisterschülerin Debütantenpreis des Freistaates Bayern Preisträgerin „Junge Kunst“, Passau Künstlerische Assistentin an der AdBK Nürnberg Studienrätin am Schiller-Gymnasium Hof www.katrin-buchzik.de Katrin Buchzik fährt als Künstlerin zweigleisig. Gleichermaßen überzeugt sie als Installations- und Objektkünstlerin auf der einen Seite und als realistische Malerin auf der anderen. Obwohl Buchzik von Fotos ausgeht, die sie auf ihren Reisen macht, darf man ihre akribische, äußerst konzentrierte Malweise nicht als naturgetreue Aneignung der Wirklichkeit mittels Pinsel und Farbe missverstehen. Wie schon die Vertreter der Neuen Sachlichkeit macht sie das Bild zu einem malerischen Tatbestand, der seinen eigenen Gesetzen folgt. Ihr Berlin, das man von erhöhter Warte aus wahrnimmt, macht einen ungemein aufgeräumten Eindruck. Nüchtern und abgezirkelt liegt diese Reißbrettstadt wie ein unbelebtes Architektenmodell da. Wegen der Künstlichkeit des Kolorits und auch weil keine Einwohner zu sehen sind, höchstens Autos in Reih und Glied, wirkt diese City spielzeughaft wie eine Lego-Stadt. Greller, lauter, fremder hat Buchzik Hongkong gemalt und bei Tokyo einen hemmungslos bis an die Wolkenkratzer-Skyline am Horizont sich ausbreitenden architektonischen Wildwuchs dokumentiert. Lissabon gleicht da eher einer Postkartenidylle: nicht umsonst hat sich die Malerin über den verschachtelten roten Ziegeldächern und dem tiefblauen Meer als Touristin in den Vordergrund geschmuggelt. Was sich Buchzik über den langwierigen Malvorgang erarbeitet, erschließt sich dem Betrachter auch erst über einen längeren Rezeptionsvorgang. Dann erzählen diese Städteporträts immer auch viel vom Denken und der Mentalität ihrer Bewohner, mutieren zu steingewordenen Charakterstudien urbaner Gesellschaften. Katrin Buchzik, Berlin, 2007, Öl auf Holz, 80 x 100 cm HYE JEONG CHUNG-LANG 1964 1983 – 87 1987 1987 1993 – 97 1997 seit 2002 seit 2003 seit 2006 seit 2008 10 geboren in Seoul, Süd-Korea Studium der Angewandten Künste, Ewha-Universität Seoul Bachelor of Fine Arts, Ewha-Universität Seoul Dozentin an der Ewha-Universität Studium Kommunikationsdesign an der FH Wiesbaden bei Prof. G. Ludes Diplom (FH), Schwerpunkt Künstlerische Grafik Dozentin am Bildungszentrum Nürnberg Fachdozentin an der Sommer-Akademie Coburg Direktorin Koreanische Schule Erlangen-Nürnberg e.V. Kunstlehrerin, Hans-Sachs-Gymnasium und Willstätter Gymnasium, Nürnberg Im ausgehenden 19. Jahrhundert „entdeckten“ die so genannten Neoimpressionisten, allen voran Paul Gauguin und Vincent van Gogh, den japanischen Farbholzschnitt. Die expressive Flächigkeit dieser Jahrhunderte alten Technik war von großer Bedeutung für die Abkehr der Moderne von lange gültigen Darstellungsweisen der abendländischen Kunst. Die Ästhetik des Holzschnittes wies einem subjektivistischen Naturerleben den Weg und half jenen zentralperspektivischen Illusionismus zu überwinden, der selbst für die Impressionisten immer noch verbindlich gewesen war. Das pulsierende, flüchtige Leben der Großstadt sucht Hye Jeong Chung-Lang mit vibrierenden, feinnervigen Strichlagen einzufangen. Als Technik bevorzugt die Künstlerin den Holzschnitt, den sie in bis zu fünf übereinander liegenden Farbschichten ganz traditionell auf einer kleinen Handwalze abdruckt. Trotz der impulsiven Schnitttechnik entstehen auf den Abzügen feine Tonabstufungen, die der eigentlich flächenhaft vereinfachenden Formensprache des Holzschnittes entgegenwirken. Chung-Lang beabsichtigt keine Loslösung vom illusionistischen Wirklichkeitsausschnitt. Mit der Technik des Holzschnittes will sie das Bild nicht flach wie einen bunten Wandteppich erscheinen lassen, um den Erfahrungsraum in Frage zu stellen. Ihr zentralperspektivisch organisierter Bildraum ist wieder ein Kontinuum. Und dieses entfaltet sich dynamisch, da es mit den bildnerischen Mitteln der informellen Kunst erzeugt wird. Bedenkt man, dass sich letztere in der Betonung des gestisch-kalligraphischen Duktus auf fernöstliche Kunst und Philosophie berufen hatte, schließt sich der Kreis der Kulturen und Zeiten verbindenden Auffassung von Chung-Lang. Hye Jeong Chung-Lang, Stadtlandschaft, 2007, Holzschnitt, Chinapapier, 60 x 60 cm Y VONNE DEGRELL 1974 1991 – 01 2001 – 03 2006 – 08 seit 2008 geboren in Kaufbeuren Zahntechnikerin Multikulturelle Interaktionen Studium an der AdBK Nürnberg bei Prof. E. von Platen, Klasse für allgemeine Gestaltungslehre und Bildende Kunst Studium an der AdBK Nürnberg bei Prof. R. Fleck, Klasse für Freie Malerei www.klasse-platen.de Eigentlich schon totgesagt, erlebt das Porträt in der zeitgenössischen Kunst eine regelrechte Renaissance. Thomas Struth, Cindy Sherman oder Christian Boltanski maßen dem Porträt wieder vermehrt Bedeutung zu und vor allem Thomas Ruff und Chuck Close fielen durch fotografische beziehungsweise fotorealistisch gemalte Bildnisse auf. Wie die beiden Letztgenannten, arbeitet Yvonne Degrell gern im großen Format und rekrutiert ihre Modelle aus dem engeren Bekanntenkreis. Beate, Bianca und Britta sind Personen aus dem quasi familiären Bezugsfeld der Künstlerin. Die entspannte Haltung der drei jungen Frauen vermittelt den Eindruck von Intimität. Fast bildfüllend sitzen sie dem Betrachter gegenüber und scheinen in Gedanken doch ganz woanders zu sein. Sogar Britta nimmt keinen unmittelbaren Blickkontakt mit ihrem Gegenüber auf. Eine Eigenheit ist bei Degrell die technische Bravour der Tuschemalerei, die nur wenig Spielraum für Korrektur zulässt. Keineswegs zufällig ist die Anordnung der Porträtierten. Vielmehr klingt das Thema der Variation über abstrakte Kompositionsprinzipien an, wenn durch die Armhaltungen einmal ein Quadrat, dann ein in Dreiecke unterteiltes Parallelogramm und schließlich ein Trapez beschrieben wird. Man würde es sich zu einfach machen, wollte man in der neuerlichen Rückbesinnung auf das Porträt einzig einen restaurativen Zug der „Nachmoderne“ ausmachen. Offenbar liegt in der Propagierung des unverwechselbar Individuellen eine Trotzhaltung gegenüber einer globalisierten Welt, in der zusehends das Private im Bereich des Öffentlichen verloren zu gehen droht. 12 Yvonne Degrell, Meine WG: Beate, Bianca, Britta, 2008, Tusche auf Papier, je 160 x 113 cm R E N AT E D E M B OW S K I 1968 1989 1989 – 90 1994 – 01 1997 – 99 2000 – 02 2002 geboren in Nürnberg Fachhochschulreife Praktikum manuelle Druckgrafik bei H. Thurn, Nürnberg Studium an der HBK Braunschweig, bei Prof. J. Brus, Prof. J. Armleder, Prof. B. Hein Tutorin in der Klasse Prof. A. Hien, Installation Studium der Medienwissenschaften, IMF (Institut für Medienforschung), HBK Braunschweig Meisterschülerin bei Prof. J. Brus, HBK Braunschweig Mit ihren konzeptionellen Arbeiten taucht Renate Dembowski in Bereiche der Geistesgeschichte oder Naturwissenschaften ein, deren näheres Verständnis oft nur einem Kreis von Fachgelehrten vorbehalten ist. Wie die barocken Bibliotheken, wollen auch die Installationen der Künstlerin Wissensmaschinen sein. Auf künstlerische Weise sucht Dembowski komplexe Zusammenhänge sinnlich erfahrbar zu machen und so zwischen Wahrnehmung und Erkenntnis zu vermitteln. Den eigenen Angaben der Künstlerin nach ist Lautloses Duell „ästhetisch an der Architektur von Mies van der Rohe angelehnt“ und untersucht auf der Basis von dessen „skin and skeleton-Prinzip“ die Beziehung des Raumes zum Umfeld. Gilt die Baukunst Mies van der Rohes jedoch als Inbegriff konstruktiver Logik, können allenfalls die im rechten Winkel zueinander angeordneten Holzpanele der Installation mit der Rationalität des berühmten Architekten der klassischen Moderne in Verbindung gebracht werden. Hingegen konterkarieren der im Inneren der Anordnung projizierte Film (der „einen dilettantischen Einbruch in einen Wohnraum“ zeigt), das zusammengeschusterte Metallgestell und die scheinbar wahllos herum liegenden Betonteile das auf Klarheit und Ökonomie der Mittel ausgelegte Konzept von Bauhaus und International Style. Bei Dembowskis Arbeiten handelt es sich gewissermaßen um visualisierte Denkprozesse. Und diese verlaufen – darauf hat die Hirnforschung hingewiesen – selten einfach und geradlinig. Aus diesem Grund folgt die Ordnung der Dinge bei Dembowski uneinheitlichen, nicht leicht durchschaubaren Mustern und ist bewusst einer dekonstruktivistischen Ästhetik verpflichtet. 14 Renate Dembowski, Lautloses Duell, 2007, Installation, Holz, Beton, Metall, Filmapparat, 180 x 400 x 250 cm K AT H A R I N A D I E T L I N G E R 1983 2003 2003 – 04 2004 seit 2004 2007 geboren in Würzburg Abitur am Ortenburg Gymnasium Oberviechtach Praktikum im Oberpfälzer Künstlerhaus Schwandorf Heirat mit Michael Dietlinger Studium der Freien Malerei und Kunsterziehung an der AdBK Nürnberg bei Prof. R. Fleck Gründungsmitglied Kunstforum hase & moos e.V., Nürnberg Auslandsstudium an der Accademia di Belle Arti di Urbino bei Prof. L. Carboni www.galerie-bilderbuch.de Von erhöhtem Standpunkt fällt der Blick ins Stadioninnere. Da die Ränder der Arena außerhalb des Bildfeldes liegen, wirkt die Menschenmenge auf den Tribünen uferlos. Die gewählte Perspektive hat etwas Befremdliches, denn ein Vordergrund mit maßstäblich größer wiedergegebenen Zuschauern ist nicht zu sehen. Es bleibt offen, ob der Betrachter auf den oberen Rängen über dem Tor sitzt oder in einem Hubschrauber über das Spielfeld fliegt. Er ist „mitten drin“ und hat doch einen gehörigen Abstand zum Geschehen dort unten. Die malerische Umsetzung eines Anblicks, den wir vom Fernsehbildschirm her bestens kennen, bewirkt das Überdenken einer an und für sich vertrauten Situation. Es wird nun ein paradoxes Missverhältnis zwischen überfülltem Zuschauerrund und dem fast menschenleeren Rechteck des Spielfeldes deutlich. Außen ein chaotisches buntes Wimmeln, innen die übersichtlichen, sich zentralperspektivisch verjüngenden hellgrünen und dunkelgrünen Bahnen des gepflegten Sportrasens. Es gelingt Katharina Dietlinger, ausgerechnet in einem realistischen Bild zwei konträre Prinzipien abstrakter Malerei miteinander zu kombinieren und in geistreiche Parenthese zu stellen. So wird die geometrische Abstraktion durch die klaren Linien des flächig gemalten Spielfeldes symbolisiert, die Kunst des Informel hingegen ist in den pastos gemalten Pinseltupfern präsent, die pointillistisch über- und nebeneinander gesetzt werden. 16 Katharina Dietlinger, Stadion, 2008, Öl auf Leinwand, 80 x 120 cm MARIA DUNZ 1982 seit 2003 2005 – 08 geboren in Oettingen Studium an der AdBK Nürnberg, Malerei bei Prof. R. Fleck beteiligt an Ausstellungen im In- und Ausland www.maria-dunz.de Als aufmerksame Beobachterin des Unspektakulären dokumentiert Maria Dunz Orte und Bereiche in unseren Städten, die der schleichenden Verwahrlosung anheim gefallen sind oder von Anfang an sich selbst überlassen wurden. Im Jahr 2008 lichtete die Passantin Ecken und Winkel in Paris ab, die kaum ein Tourist der Seinemetropole gern in seinem Fotoalbum sehen würde. Die Aufnahmen von Dunz überraschen zunächst durch eine verstörende Ästhetik des Leeren, Unscheinbaren und eigentlich nicht Kunstwürdigen. Der Blick der Fotografin gleicht dem einer Archäologin oder Kriminologin, die Spuren sammelt, ohne zu wissen, welche später von Bedeutung sein werden. Subversiv ist ihr Vorgehen insofern, als Dunz dem eigentlich nicht Gestalteten dann doch ästhetische Qualitäten abgewinnt. So kann der besondere Einsatz der Tiefenschärfe in ihren Fotografien als Aufforderung an den Betrachter verstanden werden, sich mit diesem nur scheinbar unwichtigen Gegenstand näher auseinanderzusetzen. Und schließlich ist die spezifische Aneignung des Gestalt- bzw. Formlosen auch als ironischer Kommentar auf eine überkommene, längst „klassisch“ gewordene Kunstströmung, auf die so genannte informelle Malerei, zu werten. Allerdings ist die Sichtweise der Fotografin nicht ausschließlich düster: Risse im Asphalt oder vom Wind verwehte Blütenblätter geben Hoffnung, dass der Zufall in einer gescheiterten Ordnung ein Angebot zur Erneuerung bereit hält. 18 Maria Dunz, ohne Titel, Fotografien: links 2008 (Paris), 40 x 30 cm; Mitte 2007, 40 x 55 cm; rechts 2008 (Paris), 150 x 100 cm BARBARA FUCHS 1956 2006 2008 – 10 geboren in Düsseldorf Förderpreis 28. Internationale Kunstausstellung Hollfeld Bayerisches Atelierförderprogramm www.barbarafuchs.kulturserver.de Barbara Fuchs ist eine nüchterne Beobachterin alltäglicher Gegebenheiten. Indem sie weitgehend auf eine Schilderung der Umgebung ihrer Protagonisten verzichtet, lenkt sie den Blick auf Menschen, die sie in banalen, handlungsarmen Situationen wiedergibt. Wenige Requisiten wie Einkaufswägelchen, Sitzbank und Absperrkette genügen, um einen Ort zu bezeichnen, wie er in jeder Fußgängerzone zu finden ist. In den kleinformatigen Bildern Halb 3, Dreiviertel 3 und 3 befasst sich Fuchs mit dem modernen Nomadentum, dem Unterwegssein in unseren Städten. Malerisch sind Momentaufnahmen zu verschiedenen Uhrzeiten festgehalten. Allesamt tragen die Dargestellten legere Freizeitkleidung, das äußere Erkennungsmerkmal einer global und über die Altersstufen sich angleichenden Kultur. Und immer scheinen sie viel Zeit zur Verfügung zu haben. Nicht zufällig behandelt ein anderer Bildzyklus von Fuchs das Warten, verbringen wir doch die meiste Zeit unseres Lebens in Warteposition. Wir warten auf den Zug, auf das Essen, auf einen anderen Menschen, wir warten im Stau oder vor dem Fernseher. Die Sozialkritik ist subtil und unübersehbar zugleich. Geschildert ist die Austauschbarkeit des Individuums in einer zunehmend anonym werdenden Massengesellschaft. Den unspektakulären Motiven und Bildtiteln entspricht eine bewusst schlicht gehaltene Acryltechnik, die Licht und Schatten summarisch behandelt und die Zufälligkeit der Szenerien unterstreicht. Und das weite Weiß der Leinwand, das die Menschen silhouettenhaft erscheinen lässt, betont umso mehr deren Vereinzelung. 20 Barbara Fuchs, Halb 3, 2008, Acryl auf Leinwand, 20 x 30 cm AXEL GERKE 1979 2000 – 02 2002 – 03 2003 – 06 2005 2007 geboren in Erlangen Studium an der AdBK Nürnberg, Malerei bei Prof. J. Grützke, Meisterschüler Studium an der AdBK Nürnberg, Malerei bei Prof. R. Fleck, Studium an der AdBK Nürnberg, Malerei bei Prof. P. Angermann, Meisterschüler Austauschsemester in Krakau Bayerischer Kunstförderpreis www.axelsbilder.com Es macht den Reiz des Sportbildes aus, dass schnell Vorübergehendes dauerhaft eingefroren wird. Axel Gercke ist in der Region durch seine Gemälde von Rennradfahrern bekannt geworden. Obwohl selbst Hobbyradfahrer und ein großer Fan des Radsports, widmet sich der Maler keiner unhinterfragten Wiederbelebung des Sportbildes. Wie in anderen von ihm bearbeiteten Genres, begegnet er diesem vergleichsweise wenig gepflegten Kunstzweig bisweilen mit einem Augenzwinkern. Das Altstadtrennen findet nicht vor der romantischen Traumkulisse des mittelalterlichen Nürnberg statt, sondern in einem typischen Außenbezirk, wo Hochhausbauten die Einfallsstraßen zur City säumen. Was wie eine zufällige Momentaufnahme aussieht, ist wohlkomponiert. An dem hellen Sommertag ist das Licht grell, der Schatten hart. Asphalt und Beton sind in die heiteren Farben des Himmels getaucht. So wirkt die Tunnelunterführung, auf die das bunte Peloton der Fahrer zusteuert, wie ein dunkles Passepartout, das ein zweites Bild im Bild rahmt. Wiederum etwas seitlich versetzt aus dem Zentrum, ist das einsame Auto in diesem „Bild im Bild“ der Fluchtpunkt der ganzen Komposition. Eine witzige, fast surreale Pointe erhält das Gemälde dadurch, dass die massigen Hochhausblöcke über dem Loch des Tunnels in der Luft zu schweben scheinen. Saftiges Baumgrün wuchert von den Rändern auf die Bildmitte zu. Natur und Technik sind in ein lebhaftes Spannungsverhältnis gebracht. Das uns Zivilisationsgeschöpfe begleitende ambivalente Erlebnis von Freiheit und Zwang hat in dem Gemälde eine sinnfällige Entsprechung gefunden. 22 Axel Gercke, Altstadtrennen, 2008, Öl auf Leinwand, 75 x 100 cm BIRGIT M ARIA GÖT Z 1968 1990 – 95 seit 1996 2000 – 05 2003 geboren in Fürth, Bayern Studium Kommunikationsdesign an der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg, Schwerpunkt Illustration bei den Professoren G. Zwing und P. Thiele Dozentin für Mal- und Zeichenkurse am Bildungszentrum Nürnberg und in eigenen Kursen, freiberufliche Grafikerin für kulturelle Einrichtungen Studium der Freien Malerei an der AdBK Nürnberg bei Prof. C. Colditz, Prof. J. Grützke und Prof. R. Fleck Dannerpreis www. birgitmariagoetz.de Geschichte lebt für Birgit Maria Götz in der Architektur einer Stadt fort. Mit dem Fahrrad ist die Malerin unermüdlich in Nürnberg und ihrer Heimatstadt Fürth unterwegs. Viele Gebäude und Straßenzüge erinnern sie bei ihren Touren an ein bedrückendes Kapitel jüngerer deutscher Geschichte, das nur zwölf Jahre dauerte, und dennoch prägend für das Erscheinungsbild Nürnbergs war. Die unvollendet gebliebene Kongresshalle in Nürnberg ist dem antiken Kolosseum in Rom nachempfunden und sollte den Ruhm des „Dritten Reiches“ verkörpern. Der riesige Rundbau zählt zu den deutlichsten Spuren nationalsozialis tischer Zeit, in der Nürnberg nach dem Willen des „Führers“ die Stadt der Reichsparteitage sein sollte. Der Umgang mit der historischen Hinterlassenschaft gestaltet sich seit jeher schwierig. Das ehemalige Reichsparteitagsgelände am Dutzendteich wird nicht nur zur Pflege der Erinnerung genutzt. Als Naherholungsgebiet und Austragungsort für Sportereignisse oder Konzerte dient es auch heute der Erbauung der Massen. Götz hat ein anderes „Event“ festgehalten: das alljährlich stattfindende Volksfest (vgl. S. Kriemann im Katalog S. 44 f.). Der megalomanische Nazibau ist in den Hintergrund gerückt, wo er immer noch dominierend wirkt. Als Störfaktor des fast heiter anmutenden Panoramas erweist sich nicht zufällig der dicke Baum stamm im Bildvordergrund. Auch mit dem gezeigten Abbau des Volksfestes spielt Götz mehrdeutig auf die Vergangenheit und deren Bewältigung an. Wie sie sagt, hat sich „der Rummel des Dritten Reichs schließlich und endlich auch aufgelöst“. 24 Birgit Maria Götz, Reichsparteitagsgelände, 2008, Tempera auf Leinwand, 70 x 120 cm BETTINA GRABER 1976 1998 – 03 2003 2003 2003 – 05 2004 seit 2005 2007 2008 2008 26 geboren in Dettelbach Berufsfachschule und Fachschule für Keramik, Landshut Abschluss als Keramikmeisterin und Keramikgestalterin Meisterpreis der Bayerischen Staatsregierung Studium an der AdBK München bei Prof. N. Prangenberg 1. Preis, Ottobeurer Förderpreis für künstlerische Keramik Studium an der AdBK Nürnberg bei Prof. E. von Platen 1. Preis, Kunst im Untergrund, Grünerkeller Fürth Meisterschülerin bei Prof. E. von Platen Smurfit Kappa Kunstpreis www.cerana-keramik.de www.yougel.com Ein Kleiderschrank, sonst Aufbewahrungsort für Körperbehausungen, wird als Bebauungsfläche ausgewiesen. Im Inneren des Schrankes verbirgt sich eine kleine, überschaubare Welt. Lauter Miniaturhäuschen stehen da: im Zentrum dichter, zu den Rändern gestreuter angeordnet. Das Möbel als Gefäß für Immobilien: Mikround Makrokosmos, Innen- und Außensicht werden vertauscht und es entspinnt sich ein beziehungsreiches Spiel mit Raum und Zeit. Da hat jemand beim Umzug offenbar die Erinnerung an „seine“ Stadt und damit ein Stück Vertrautheit mitgenommen. Die Häuser sind aus Porzellan, einem Material, das wegen seiner Reinheit und Zerbrechlichkeit als besonders kostbar gilt. Behutsam muss man damit umgehen. Dass es um verletzbare, nostalgische Gefühle geht, verdeutlicht auch der abgebeizte Bauernschrank. Die „Antiquität“ wurde zu einem Reliquienschrein umfunktioniert. Der birgt nun etwas, das man sich in der Fremde bewahren will. Mit ihrer Assemblage macht Bettina Graber auf Diskrepanzen im topographischen Denken aufmerksam, die mit dem Begriff der Heimat einhergehen. Dieser konstituiert sich aus den Bereichen der familiären, der kulturellen, sprachlichen oder ideologischen, damit der regionalen und schließlich nationalen Identität. Im negativen Sinn kann „Heimat“ aber auch für Verlorenes oder Aufgegebenes, für Emigration oder inneres Exil, für Flucht und Vertreibung stehen. Die Vorstellung von Heimat umfasst also ein komplexes Beziehungsgeflecht, in dem sich das Individuum entfaltet. Ein solcher Begriff schließt kollektive Identitäten mit ein. Vor allem aber ist er stetigem Wandel unterworfen. Man kann die Türen eines Schrankes auch zumachen. Bettina Graber, Stadt im Schrank, 2008, Assemblage, Holz, Porzellan, 185 x 185 x 70 cm (rechts Detail) HANS GRASSER 1953 1972 1973 – 77 1978 – 80 1980 – 99 1999 – 04 2007 – 08 geboren in Rotthalmünster, Niederbayern Fachhochschule für Gestaltung München Fachhochschule für Sozialwesen in Nürnberg Dozent am Kunstpädagogischen Zentrum Nürnberg Jazzgitarrist in Nürnberg, diverse Platten-, CD- und Rundfunkpro- duktionen, Tätigkeit als Fotoassistent Studium der Kunstgeschichte an der FAU Erlangen-Nürnberg Veröffentlichungen eigener Kunstedi- tionen, darunter: Einhundertelf mögli- che Covers für eine unmögliche Band www.hans-grasser.de Wachen Auges geht Hans Grasser durch seine fränkische Heimat. In der Postkartenserie Nürnberg Brutal nimmt er gezielt die touristisch nicht vermarktbaren Winkel der Frankenmetropole unter die Lupe und prangert mit schonungslosem Sarkasmus die Hilflosigkeit von kommunalen Entscheidungsträgern und Architekten bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes an. Sicher, oft genug wurde auf die berühmt-berüchtigten Waschbetonkübel in den durchkommerzialisierten modernen Fußgängerzonen hingewiesen, die, statt Lebensfreude zu spenden, höchstens Trostlosigkeit verbreiten. Grasser will erklärtermaßen keine romantische Vorzeigeidylle bewahren. Aber er registriert gegenwärtig einen Privatrückzug in die multifunktionale, zwischen Lifestyleprodukten angesiedelte Beschaulichkeit, während der Lebensraum außerhalb der eigenen vier Wände zunehmender Verwahrlosung anheim fällt. Untrügliche Anzeichen für diese bedenkliche Entwicklung sieht Grasser in der fortschreitenden Vermüllung und Verwüstung von Straßen und Plätzen. Allgemein bemängelt er, dass Denkmalschutz und Städteplanung nur noch marktwirtschaftlichem Nutzwert unterworfen zu sein scheinen und sich städtische und staatliche Stellen aus ihrer Verantwortung für die sozialen und regenerativen Bedürfnisse der Bewohner zurückziehen. Grassers reichlich illusionsloses Fazit lautet: „Das beste an der Stadt ist sozusagen der möglichst schnelle Fluchtweg woanders hin, aber das woanders wird es bald nicht mehr geben“. So wird auch Die Reise nach Anwanden für Grasser zu einer Fotosafari in eine suburbane Öde, die sich gnadenlos zwischen Stadt, Land und Fluss ausbreitet. 28 Hans Grasser, Nürnberg Brutal, 2007, Postkartenserie mit 16 Motiven, Format DIN-A6 SVEN HAMANN 1973 1992 1992 – 98 1998 – 99 1999 – 01 2001 – 02 seit 2002 2008 2008 geboren in Kusel Abitur Architekturstudium an der Universität Kaiserslautern, Diplom Wettbewerbe im Bereich Architektur und Kunst angestellt als Architekt und Künstlerassistent (Malerei) freie Tätigkeit als Künstlerassistent (Medienkunst und Fotografie) freischaffender Künstler fm-Fotografiepreis, Hamburg, Thema Architektur Kunst- und Förderpreis der Sparkasse Bayreuth www.svenhamann.net 30 Seit dem Studium der Architektur setzt sich Sven Hamann in seinem freien künstlerischen Werk mit Fassaden der so genannten funktionalistischen Moderne auseinander. Dabei konzentriert sich der Fotograf auf die äußerlich sichtbare Grundstruktur von seriellen Bauformen. Konsequent durchgehalten ist der streng frontale Blick auf die Fassaden, durch den die Architekturausschnitte als flache Bilder erscheinen. Deren minimalistisches Raster erinnert nicht zufällig an die geometrische Abstraktion der Künstlervereinigung De Stijl. Wie einst Piet Mondrian ist Hamann bestrebt, jegliche Räumlichkeit zu verbannen und ist fasziniert vom Rhythmus des Flächengitters. Dass Hamann den Reizen der geometrischen Abstraktion an tatsächlich gebauter Architektur nachspürt, weist ihn als typisch postmodernen Vertreter einer Appropriation Art aus. In seinen nacheinander projizierten Fassaden wirkt die Klassische Moderne zitathaft „gesampelt“. Zwar will Hamann die Architektur aus ihrer Umgebung „extrahieren“, um den Blick auf die „ungestörte, ortsunabhängige“ Fassade zu lenken und geht so weit, „störende und narrative Elemente“ mittels digitaler Bildbearbeitung zu entfernen. Der wechselnde Lichteinfall, die verzerrte Spiegelung von Himmel und Wolken in den Glasflächen, die hinter den Fenstern sichtbaren Möbel oder Einbauten und schließlich die unverkennbare Alterspatina der Gebäude werden offenbar jedoch mit einkalkuliert. Es sind reale „Störfaktoren“, die sich dem puristischen Ideal von Bauhaus, International Style oder L’esprit nouveau trotzig widersetzen. Sven Hamann, Facades, 2006-2008, Medieninstallation, Serie von 65 Fotografien ANDREA HOFBECK 1980 geboren in Roth, Mittelfranken 1999 – 02 Fachschule für Bildhauerei in Garmisch-Partenkirchen 2002 – 08 Studium der Bildhauerei an der AdBK Nürnberg 2007 Meisterschülerin von Prof. C. Bury an der AdBK Nürnberg www.andreahofbeck.de „Kunst“ kommt bei Andrea Hofbeck nicht nur von „können“. Indem sie ihre Objekte und Installationen oft in lebhaften Kontrast zur Erscheinung der Natur setzt, betont sie das Künstliche an der Kunst. Sie demonstriert, dass Kunst Menschenwerk und damit eine Zivilisationsleistung ist. Als solche entspringt sie zwar der Natur, muss ihr in der Formensprache aber nicht zwingend entsprechen. Mit den beiden in Langwasser ausgestellten Bodenskulpturen beschreitet Hofbeck gedanklich diesen Weg, geht ihn aber von einer anderen Richtung an. Die Interpretationsmöglichkeiten für die sphärischen, in die Breite gedrückten Holzobjekte sind vielfältig. Aus der Ferne betrachtet, wirken sie fast wie Brotlaibe. Die Nahsicht offenbart hingegen ihre im oberen Bereich wild zerklüftete Oberfläche. Zellenartig ins Innere vordringende Spalten und Risse lassen gleichermaßen an die berühmten Luftaufnahmen der Straßenfluchten Manhattans oder des Grand Canyons denken. Es stellt sich das Bild von einer Großstadt kontinentalen Ausmaßes ein, die sich tief in die verletzliche Substanz der Weltkugel hineingefressen hat. Mit ihrem Hinweis, dass geologische und zivilisatorische Prozesse in ihren globalen Auswirkungen ähnlich spektakulär verlaufen können, begibt sich Hofbeck in die Nähe von Positionen, wie sie die amerikanische Land Art vor allem in den Siebzigerjahren aufgezeigt hat. Großaufnahmen der Holzstruktur erinnern wohl nicht zufällig an die riesige künstliche Wunde, die Michael Heizer quer zur bestehenden Felsformation in die Wüste Nevadas schnitt. Der „Witz“ von Hofbecks Arbeit besteht darin, jene bereits historisch gewordenen Ansätze wieder in einem Kabinettstück vorzuführen. 32 Andrea Hofbeck, ohne Titel, 2008, Lindenholz, 38 x (Durchmesser) 84 cm, rechts Detailaufnahme eines zweiten Objektes GEORG HORNUNG 1951 1969 – 71 1971 – 75 seit 1975 seit 1981 1989 seit 1989 seit 2004 geboren in Glauchau, Sachsen Lehre als Gärtner, Abitur naturwissenschaftliches Studium an der Universität Leipzig autodidaktische künstlerische Entwicklung Wohnort in Meißen, experimentelle Fotoarbeiten und Fotomontagen Ausbürgerung aus der DDR Wohnort in Weiden, Oberpfalz Arbeit an den Virtuellen Installationen www.georg-hornung.com Die virtuellen Installationen von Georg Hornung offenbaren eine beunruhigende Grenze zwischen Natürlichem und Künstlichem. Meist sind es Innenräume von leer stehenden Fabrikhallen, die von pflanzenartigen Gebilden neu besiedelt werden. Überdimensionale Blütenknospen oder Fruchtstände wirken allein aufgrund ihrer Größe im weiten Innenraum bedrohlich. Als Fremdkörper werden die computergenerierten Objekte auch deshalb wahrgenommen, weil sie in der abbröckelnden Umgebung so perfekt und unversehrt aussehen. In Einzug windet sich eine endlose plastische Form das Treppenhaus eines klassizistischen Gebäudes empor. Aus den Kassetten der Decke hängen statt Lampen erschlaffte vegetabile Kelche. Es entwickelt sich ein Spiel mit Schein und Sein. Rätselhaft bleibt die Deutung des monströsen Lindwurms. Seine prismatische Oberfläche erinnert an einen Palmenstamm, an Seegurken oder an die Schuppenhaut einer Panzerechse. Oder handelt es sich um eine Skulptur aus verrostendem Eisen? Falls dieses wehrhafte Ding ein Eigenleben besitzt, ist mit ihm nicht zu spaßen. Es okkupiert das Gebäude, das somit für den Menschen nicht mehr betretbar ist. Die morbide Vergänglichkeit ehemaliger industrieller Produktionsstätten setzt Hornung in ein Spannungsverhältnis zur Integrität von Hirngespinsten. In seinen überarbeiteten Fotografien ist allenfalls die virtuelle Welt noch intakt. Die tiefe Melancholie dieser Bilder resultiert aus einer doppelten Ausweglosigkeit. Die „hardware“ menschlicher Zivilisation ist längst dem Verfall preis gegeben. Und was von der Natur bleibt, ist ein nur in Gedanken überlebendes Konstrukt. 34 Georg Hornung, Einzug, 2007, 90 x 110 cm, Pigmentdruck auf Leinwand GERHARD HOT TER 1954 1976 – 81 1977 geboren in Nürnberg Studium an der AdBK Nürnberg Akademiepreis der AdBK Nürnberg (Belobigung) Lebt und arbeitet in Nürnberg und Paris Zahlreiche Ausstellungen und Ausstel- lungsbeteiligungen im In- und Ausland www.gerhardhotter.de Die konkrete Malerei von Gerhard Hotter beruht häufig auf den selbst in Mathematikerkreisen wenig bekannten Zahlenreihen des schottischen Physikers Dudley Langford. Zum Beispiel ist 312132 ein Langford-Muster: zwischen den beiden Einsen steht genau eine Zahl, zwischen den Zweien stehen genau zwei und zwischen den beiden Dreien genau drei Zahlen. Die auch als Zahlenklammerungen bezeichneten Langford-Reihen verwandelt Hotter auf spielerische Weise in Bilder. So entstand das abstrakte Zinnenmuster mit dem bezeichnenden Titel Skyline nicht willkürlich, sondern folgt mathematischer Logik. Durch Doppelung der Langford-9-3-Reihe kommt es zu Rhythmisierungen, Überlagerungen und zum Figur-Grund-Problem. Wie bei einer Fieberkurve scheint es eine horizontale Zeitachse zu geben und eine Vertikale, auf der die Intensität von Kraft und Gegenkraft ablesbar wird. Die „Ausschläge“ folgen einem nicht leicht durchschaubaren Prinzip. Es ist die Regel bestätigende Ausnahme, das Agieren innerhalb eines freien Systems, von dem die schwarz-roten Silhouetten ihren meditativen Reiz beziehen. Hotters sowohl gesetzhafte, als auch in ihrer Gesetzhaftigkeit fließend veränderte Kompositionen sind Spiegel dynamischer Prozesse. Sie wirken wie Anordnungen, um den Pulsschlag der modernen Zivilisation messbar zu erkunden. Gleich einem High-Tech-Schamanen, ist der Künstler dem Rätsel des digitalisierten Zeitalters auf der Spur. Während er das bildnerisch-poetische Potential der Mathematik untersucht, gelingt es ihm, Assoziationen an die allgegenwärtigen Scannerstreifen des binären Codes oder an die Pixel des Computerbildschirmes zu wecken. 36 Gerhard Hotter, Skylines (doppelte Langford-9-3-Reihe), 2008, Acryl auf Leinwand, 50 x 200 cm FRANK JOHANNES 1969 1990 – 95 1996 – 98 1998 – 99 1999 – 00 seit 2000 geboren in Nürnberg Studium der Physik, BWL und Sozialwissenschaften in Ulm und Nürnberg Fotoassistent in Fürth freier Fotograf in London Fotograf in Bern, Schweiz Fotograf mit Wohnsitz und Studio in Nürnberg www.frankjohannes.com www.shoot-now.com Es ist ein beeindruckend kühler Blick auf das Unspektakuläre, der in den Fotografien von Frank Johannes fesselt. Kein Motiv ist zu trivial, um nicht zur Herstellung einer kleinen Sensation zu taugen. Neben Porträtaufnahmen entstehen Panoramen von Straßenzügen oder Fabrikhallen, die Johannes schlicht „modern landscapes“ nennt. Picadilly Circus ist ein Diptychon. Scheinbar willkürlich sind zwei Ansichten Londons zusammengebracht, die in räumlicher Nähe zueinander stehen, sonst aber kaum unterschiedlicher sein könnten. Ein menschenleerer Bahnsteig auf der einen Seite, auf der anderen eine belebte Szene. Und dennoch: beide Aufnahmen sind von künstlichem Licht durchflutet und zeichnen sich durch eine Sichtweise aus, in der die Scheidung von Vertrautem und Fremdem aufgehoben wirkt. Zum Beispiel bilden sich durch die starke Hintergrundstrahlung im rechten Bild Lichtsäume, die Personen und Gegenstände unwirklich wie eine Aura umgeben. Es kommt zu einer Verschränkung der Realitätsebenen. Eine Raum-ZeitDimension wird nicht nur in dem abfahrenden Zug greifbar. Die junge Frau im Vordergrund übernimmt die Funktion einer Identifikationsfigur, tritt jedoch nicht in Kontakt zum Bildbetrachter, sondern via Mobiltelefon mit einer dritten Person ganz woanders. Gezeigt wird eine großstädtische Gesellschaft, in der Mobilität den höchsten Wert darstellt und in der sich Menschen sehr nahe kommen, ohne miteinander direkt kommunizieren zu müssen. Über die im Einzelbild verschlossene Information hinaus, findet in den Fotografien von Johannes Medienreflexion statt. Greifbar wird das Unheimliche, das im fotografischen Bild umso beharrlicher nistet, weil es durch es gebannt werden soll. 38 Frank Johannes, Picadilly Circus, 2007, Fotografien, zweiteilig, je 70 x 70 cm NORBERT KIESEWETTER 1971 1989 – 92 1992 – 94 1990 – 95 1994 seit 1999 2003 2004 geboren in Nürnberg Berufsausbildung zum Bauzeichner Berufsaufbauschule Abschluss Fachschulreife Technik verschiedene Videofilme gedreht und bei Filmfestivals einige Preise gewonnen Mitbegründung einer Zeitungsgruppe (1995 – 98 Männertreu Depesche) Medienverkäufer in einer Buchladenkette in Schwabach Hochzeit mit dem langjährigen Lebenspartner Wohnortwechsel nach Schwabach www.die-schwabacher-auge.npage.de Mit neun Jahren zeichnete Norbert Kiesewetter während eines Besuchs bei seiner Tante „aus Langeweile“ ein DIN A 3-Blatt voll. Die Bleistiftzeichnung mit Häuserzeilen, Grünanlagen, Straßenzügen und einem Volksfestplatz legte den Grundstock für ein einziges, vielleicht nie abschließbares Werk. Bald nämlich kam der Junge auf den Gedanken, ein zweites Blatt anzukleben. Ein drittes folgte und so geht die Arbeit an dem Panorama seit 29 Jahren immer weiter. Die Faszination dafür hat den im Nürnberger Stadtteil Langwasser-Nord Aufgewachsenen bis heute nicht verlassen. Der Stadtplaner ist mit den Jahren an seiner Aufgabe gewachsen. Fantazzity lebt wie eine gebaute Stadt von steter Veränderung. Das ist auch der Grund, weshalb kaum noch etwas von der Substanz des Ursprungsblattes aus dem Jahr 1980 vorhanden ist. Kiesewetter hat „seine“ Stadt den jeweils aktuellen Bedürfnissen angepasst. So war die heutige Eishockeyarena früher ein Fußballstadion. Seit 1994 hat Fantazzity eine autofreie Innenstadt zwischen „Klinikum West“ und „Messering“. Und selbstverständlich bekommen alle neuen Häuser ein Solardach. Das Ergebnis einer Ende der Achtzigerjahre einsetzenden „Schnellmalphase“, durch die das ambitionierte Projekt mit jugendlichem Elan zu Ende gebracht werden sollte, erwies sich für den reifer werdenden Urbanisten als „höchst unbefriedigend“. „Teilsanierungen“ waren die unabdingbare Konsequenz einer zu rasch voran getriebenen Bauwut. Kiesewetter dazu: „Erweiterungspläne Richtung Osten liegen schon seit Jahren gedanklich in der Schublade. In den letzten Jahren waren mir aber die Stadtteilsanierungen wichtiger.“ 40 Norbert Kiesewetter, Fantazzity, 1980-2009, Bleistift auf Papier, zusammengeklebte Einzelbögen, 58 x 565 cm A L EK SA N D ER KOM A ROV 1971 1985 – 89 1991 – 96 1998 seit 2005 geboren in Grodo, Weißrussland Studium an der Akademie für Kunst und Gestaltung A. K. Glebova in Minsk Studium an der AdBK Poznan, Konzeptuelle Malerei bei Prof. J. Koslowski Amsterdam, Teilnahme am Atelierprogramm der Rijksakademie van Beeldenden Kunsten lebt und arbeitet er in Erlangen und Berlin Wie der Titel nahe legt, besteht der Film von Aleksander Komarov aus drei Teilen. Sie unterscheiden sich hauptsächlich durch die Vertonung, die jedem Teil eine eigene Stimmung verleiht. Im ersten Teil erlebt man die Bilder mit den ursprünglichen Geräuschen der Alltagswelt, im zweiten hat Gleb Shutov den Originalton in Noten „übersetzt“ und der dritte Teil ist mit einer Komposition von Elvira Plenar unterlegt. Komarovs Film atmet den Geist eines Gesamtkunstwerks. Er lebt von der vielschichtigen Durchdringung visueller, akustischer und gedanklich assoziierbarer Ebenen. Formal zeichnet er sich durch weitgehenden Verzicht auf Farbe aus. Seine sachlich kühle Fotografie in Verbindung mit einer schroff expressionistischen Schnitttechnik ist der Filmkunst der Zwanzigerjahre verpflichtet und lässt bisweilen an Fritz Langs Meisterwerk Metropolis denken. Auf einen anderen großen Filmpionier, Sergej Eisenstein, gehen vielleicht die Stakkatorhythmen der Bildsequenzen zurück. Serielle Reihungen sind ein wiederkehrendes Motiv. Durch Wiederholungseffekte, Überblendungen, Dekonstruktionen usw. animiert Komarov den Betrachter zum Überdenken stereotyper Abläufe. So wird die 1926–30 erbaute Van Nelle Fabrik in Rotterdam, ein früher funktionalistischer Großbau aus Eisen und Stahl, in den Einstellungen mit der postmodernen Glaskuppel des Berliner Reichstages konfrontiert. Die atonale Musik fordert zur intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Thema Transparenz heraus. Zum Beispiel soll das mühsame Putzen riesiger Glasflächen mit der Sisyphosarbeit des Demokratieerhaltes in einer nachindustriellen Gesellschaft in Verbindung gebracht werden. 42 Aleksander Komarov, On translation: transparency/architecture acoustique, 2007, Video, 30 min Musik: Gleb Shutov, Elvira Plenar SUSANNE KRIEMANN 1972 geboren in Erlangen 1992 – 97 Studium an der AdBK Stuttgart 1999 – 00 Studium an der École Nationale Superieure des Beaux Arts Paris 2000 DAAD-Stipendium für Paris 2002/2006 Fonds voor Beeldende Kunsten, Vormgeving en Bouwkunst Amsterdam 2004/2005 Teilnahme an der Rijksakademie van Beeldenden Kunsten Amsterdam 2009 Künstler/innenförderung der European Cultural Foundation ECF www. susannekriemann.info Die Fotografien von Susanne Kriemann wirken wie inszeniert oder nachträglich bearbeitet. Sie sind es aber nicht. Vielmehr ist es eine gezielte Motivwahl, durch die der Charakter des Zufälligen souverän vermieden wird und die bedingt, dass sich Realität und Fiktion überblenden. Mit scheinbarer Beiläufigkeit wirft Kriemann Fragen gesellschaftlicher und politischer Relevanz auf. Ein wiederkehrendes Thema in ihren Arbeiten ist der schleichende Einbruch bzw. die latente Präsenz von Gewalt in unserer Alltagskultur. Etwa, wenn eine Versammlung bundesdeutscher Sondereinsatzkräfte vor der futuristischen Plattenbaukulisse der ehemaligen DDR gezeigt wird. Jenes Foto steht für ein weiteres Grundthema Kriemanns: die vergangene Zukunft. Oft ist es die Gleichzeitigkeit von ehemals fortschrittlich gedachter Utopie und anachronistischer Gegenwart, die den verstörenden Reiz ihrer Bilder ausmacht. In Olympia schiebt sich eine kunterbunte Achterbahn vor die Nürnberger Kongresshalle (vgl. auch B.-M. Götz im Katalog S. 24 f.). Die künstliche Vergnügungslandschaft dekonstruiert optisch die monumentale Präsenz des neoklassizistischen Nazibaues. Doch bleibt die Stimmung bedrückend, denn die Aufnahme wurde mit Bedacht an einem Regentag gemacht, an dem das Volksfest fast menschenleer ist. Natürlich findet eine Anspielung auf die Olympischen Spiele 1936 in Berlin statt, anlässlich derer sich das „Dritte Reich“ weltoffen und modern präsentieren wollte. 2008 erhielt die Fotografie angesichts der Menschenrechtsproteste gegen die chinesische Führung erneute Aktualität. Wieder war ein umstrittenes Regime Ausrichter der Olympischen Spiele gewesen. 44 Susanne Kriemann, Olympia (N), 2005/2007, Fotografie, Digitalprint auf Papier, 110 x 150 cm PETRA KRISCHKE 1961 1979 – 80 1980 – 86 2000 – 05 2005 – 07 ab 2008 geboren in Nürnberg Staatliche Fachoberschule Nürnberg, Fachrichtung Gestaltung Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg, Studiengang Grafikdesign Gaststudium an der AdBK Nürnberg Studium an der AdBK Nürnberg, freie Malerei bei Prof. H. P. Reuter Studium an der AdBK Nürnberg, bei Prof. J. Flinzer www.petra-krischke.de Ausgangspunkt für die Malerei von Petra Krischke sind Fotografien, die sie oft auf Reisen macht. Fasziniert von einer ungewöhnlichen Sicht auf die Dinge, übernimmt die Künstlerin ihre Motive allerdings nicht unverändert, sondern unterzieht sie einer Überarbeitung am Computer. Dabei ist es besonders wichtig für sie, ein „Tiefenleuchten der Farben“ entstehen zu lassen. Der gespenstische Eindruck eines verlassenen Bällebades bei Nacht lieferte die Anregung zum Spielkäfig. In solchen Räumen lassen Eltern ihre Kinder, um in Einkaufszentren oder Möbelhäusern ungestört ihrer Betätigung nachzugehen. Manche Kinder lieben solche Attraktionen, da sie Aggressionen relativ ungehemmt abbauen können, was in den hellhörigen Stadtwohnungen kaum möglich ist. Der Umstand, dass ausgerechnet ein Käfig es erlaubt, den Bewegungsdrang besser auszuleben, erscheint paradox. Fast klingt der Lärm tobender Kinder in dem schreienden Kolorit des Gemäldes nach. Der Spielkäfig in seinen knallbunten Bonbonfarben wird zum Gleichnis für die Künstlichkeit großstädtischer Zivilisation, die häufig als Gefängnis empfunden wird, aber gleichzeitig auch ungeahnte Freiheit bieten kann. Wenn Krischke die Verfremdung durch das Bildbearbeitungsprogramm am PC als „die ersten Spuren einer individuellen Handschrift“ bezeichnet, mutet das zunächst ebenso paradox an. Doch macht sie durch diese Aussage auf die jedem Medium anhaftende, eigene Bildsprache aufmerksam. Was in unseren Augen „Realität“ darzustellen verspricht, ist - allein schon, weil es sich um eine Darstellung handelt - nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln, sondern bereits immer schon ihr symbolischer Ersatz. 46 Petra Krischke, Spielkäfig, 2008, Acryl auf Leinwand, 200 x 260 cm URSULA KUHLMANN 1968 1969 – 88 1986 – 88 1988-1990 1990 1991 seit 2005 geboren in Frankfurt am Main aufgewachsen in den USA Studium an der University of Rhode Island, USA Studium der Fotografie und Kunstgeschichte an der Richmond University in London, Bachelor of Arts ein Semester Studium am Richmond College in Florenz Rückkehr nach Deutschland lebt und arbeitet sie in Altdorf bei Nürnberg www.fotokunst-kuhlmann.de Mit ihrer Arbeit für Langwasser betätigt sich Ursula Kuhlmann als Pavementartist der ganz anderen Art. Die Fotografin hat den Boden auf ihrem Weg vom Land in die Stadt in Detailaufnahmen festgehalten. Entstanden sind Fotofolien, auf denen der unspektakuläre Asphalt selbst zum Thema wird. Man erkennt Linien, die an Flussläufe, Straßen, eben Stadtpläne oder Landkarten, erinnern. Präsentiert werden die „Bodenproben“ waagrecht auf Lichtpulten unterschiedlicher Höhe. Das Licht in den Leuchtkästen variiert, um verschiedene Tageszeiten anzudeuten. Kuhlmann will mit ihrer Arbeit die Alltagswege wieder in Erinnerung rufen. Mit einem ausgeprägten Blick für die Reize des Vernachlässigten spürt sie der unterschiedlichen Farbe und Struktur von Radwegen, Pflastersteinen oder Asphalt nach. In den Unebenheiten der Gehwege, der zwischen den Ritzen hervordrängenden Vegetation oder den Kreidemalereien der Kinder hat sie eine geheime Sprache entdeckt. Besonderes Augenmerk widmet die Künstlerin den so genannten Pionierpflanzen wie Flechten, Moos oder Gras, mit denen sich die Natur fast unbemerkt ein Stück Zivilisation zurückerobert. Augenfällig werden diese Überlegungen auch in der Kombination von „natürlicher“ Fotografie und „künstlicher“ Installation. Die Installation ist eine sinnreiche Reflexion über das Sublime (Erhabene), denn es gelingt Kuhlmann, die alte geistige Hierarchie von Oben und Unten umzukehren, Höheres und Niederes zu vertauschen. Das, was man sonst achtlos mit Füßen tritt, wird empor gehoben, bild- und sogar ausstellungswürdig. 48 Ursula Kuhlmann, Grasswege - Fahrradspuren - Langwasser Wasser, 2008, Fotoinstallation, Größe variabel E VA- M A R I A K U P F E R 1982 2002/03 2003 2004 2005 2007/08 2008 50 geboren in Erlangen Auslandsaufenthalt in Neuseeland und Australien Studium Kommunikationsdesign an der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg 1. Preis beim Wettbewerb Kunst auf Straßenpflaster, Ulm sechsmonatiges Praktikum bei einem Sportartikelhersteller in Herzogenaurach Tutorin für Drucktechniken an der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg Diplom in Kommunikationsdesign www.e-phi.de Auf die City blickt man im wahrsten Sinn des Wortes aus der Vogelperspektive. Der Rabenschwarm verdichtet sich im unteren Teil des Gemäldes zu einer einheitlich schwarzen Fläche. Diese verfinstert nicht den Himmel, sondern die Hochhäuser tief dort unten. Der Betrachter fliegt hoch oben mit den Vögeln. Für das Bild mögen der Regisseur Alfred Hitchcock und der Maler Gerhard Richter Inspirationen geliefert haben. In der Wiedererkennbarkeit des bereits Gesehenen und seiner unerwarteten Neukombination liegt vielleicht der suggestive Reiz des Bildes. Jedenfalls ist aus dem Stelldichein von Kunstäußerungen aus verschiedenen Medien eine eigene Kraft und Poesie erwachsen. Aufgezeigt wird die Existenz von urbanen Parallelwelten. Den Luftraum über unseren Städten besiedeln Vögel, die dort ihre endlosen Kreise ziehen. Sie tun dies weitgehend unbemerkt von den Menschen, die Geschäftsabschlüsse tätigen und Verkehrsunfälle bauen. Eva-Maria Kupfer möchte den Rabenschwarm über der Großstadt als Memento mori verstanden wissen. Mit dem Perspektivewechsel will sie auf das gestörte Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur aufmerksam machen. Die Künstlerin schreibt: „Der Mensch bebaut und bevölkert die Erde, wo er nur kann. Er strebt nach Wohlstand, den er oft in den Städten sucht. Die Ressourcen der Natur werden dabei im Übermaß ausgeschöpft. (…) Ohne die Natur können wir nicht existieren. Doch vergessen wir dieses oft, eingespannt in der heutigen rasanten, übertechnisierten und labyrinthartigen Welt. Konzentriert auf die eigene Welt, fehlt uns meist die Übersicht, weshalb wir das herannahende Unglück nicht sehen.“ Eva-Maria Kupfer, Die Raben, 2008, Öl auf Leinwand, 100 x 100 cm T H O M A S M AY 1971 1992 – 00 2000 – 03 seit 2001 2004 geboren in Amberg Studium: Malerei an der AdBK Nürnberg, Meisterschüler bei Prof. Reuter; Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe; Kunst im öffentlichen Raum an der AdBK Nürnberg Germinations 11, Hull, England; Artist in Residence, Wacker Kulturverein, Darmstadt; Reisestipendium der IHK Nürnberg; Debütantenpreis des Bayerischen Staatsministeriums; Künstleraustausch Shenzhen, China; Artist in Residence Nykarleby, Finnland Durchführung des Internationalen GrashalmProjekts, u.a. in China, Finnland, Schweden, Mazedonien, Polen, Tschechien, Ukraine, Italien, Österreich, Japan Gründung des GrashalmInstituts www.grashalminstitut.de 52 Thomas May begreift seinen Namen gewissermaßen als Kunstauftrag. Überall, wo er auftaucht, grünt und blüht es. May ist Gründer eines GrashalmInstituts, Herausgeber eines Maygrünen Lexikons und Initiator des Grashalmprojektes. Bei letzterem handelt es sich um eine Form der „sozialen Plastik“ im Sinne von deren Urheber Joseph Beuys. Entscheidend ist das gesellschaftliche Miteinander, wenn May auf der ganzen Welt Menschen dazu bewegt, kleine Grashalme aus Balsaholz zu schnitzen, die dann „maygrün“ eingefärbt und auf einer echten Rasenfläche ausgestellt werden. Den durch städtebauliche Erschließung oftmals hervorgerufenen „Un-Räumen“ setzt May übergroße schwebende Papierblumen sowie Begrünungen der natürlichen und künstlichen Art entgegen. Er spielt dabei auch ironisierend mit Klischees wie dem deutschen Wald. Etwa, wenn er den Unterboden eines fabrikneuen BMW 320 ci Cabrio mittels hunderter Miniaturbäumchen in eine bewaldete Berg- und Tallandschaft verwandelt. Für den KUNSTPREIS LANGWASSER hat May ein begehbares Environment entworfen. Zwei kubische Häuschen stehen sich – etwas versetzt aus der Achsenflucht – auf einer leichten Erderhöhung gegenüber, die Eingänge einander zugewandt. Die Installation ist vollständig mit lebendem Rasen überzogen, soll Liegewiese und Picknickplatz für Passanten sein. Darüber hinaus plant May Kunstaktionen rund um die Pionierpflanze Gras, die er einen „Naturvereinsamer“ nennt und in der er offenbar ein Symbol für den zwischen Vereinzelung und Aufgehen in der Masse hin und her geworfenen Menschen sieht. Thomas May, Growing Green, 2008, Installation, Erde, Rollrasen, Eisen, ca. 300 x 500 x 1000 cm Mit freundlicher Unterstützung von: Firma Konrad Städler Firma Schwab Rollrasen S T E FA N I A M I L A Z ZO STEINMETZ 1976 1996 – 02 2002 – 06 2008 1974 geboren in Duisburg seit 1990 Improvisationsmusik und Hörspielproduktionen 1998 Soloprojekt MonGtäu, Theater- und Kurzfilmkompositionen geboren in Catania Studium der Molekularbiologie an der Universität in Catania Ausbildung als Fotografin in Catania und Kurs in Videodokumentation an der Scuola di Cinema Sentieri Selvaggi in Rom 1. Preis in der Sparte Dokumentarfilm beim Strange Screen Film Festival Thessaloniki M A R K É TA TO M E Š OVÁ 1973 1999 – 02 1996 – 02 seit 2004 geboren in Dvur Králové n.L., Tschechien tanzpädagogische Ausbildung für zeitgen. künstl. Tanz in Nürnberg Magisterstudium in Pädagogik, Psychologie und Germanistik an der FAU Erlangen-Nürnberg Freiberufliche Tanzpädagogin, Tänzerin und Sprachdozentin in Franken und Tschechien B E AT E G R ÖT S C H 1975 2002 – 06 54 geboren in Neuendettelsau Ausbildung zur Regisseurin an der Filmschule Wien www.myspace.com/beategroetsch In ihrem Video In Aria nehmen die Sizilianerin Stefania Milazzo, die Tschechin Markéta Tomešová und die aus Franken stammende Beate Grötsch den Betrachter mit auf eine Reise durch Raum und Zeit. Man sieht zu Beginn nur die roten Schuhe der Tänzerin (M. Tomešová), die tastend auf abschüssigen, abmehlenden Sandsteinfelsen Halt suchen. Langsam erblickt man die ganz in Rot Gekleidete durch ein gotisches Maßwerkfenster, das die Vergangenheit symbolisiert. In immer rascheren Bildsequenzen taucht die Tänzerin dann an verschiedenen Orten Nürnbergs auf: vorsichtig balancierend auf dem Sims der Wehrmauer, dann rennend vor der Glasfassade des Neuen Museums und schließlich in einer davonfahrenden U-Bahn. Die im Laufe des Videos sich einstellende Beschleunigung unterstreichen Musik und Schnitt von steinmetz. Ein Spannungsbogen vom Elegischen zum Dramatischen und zurück ist in der sparsam instrumentierten Klaviermusik und im wechselnden Tempo der Bildfolge gegeben. In Aria vermittelt Gefühle, die zwischen Altem und Neuem, zwischen Intimität und Urbanität, zwischen Vertrautheit und Fremdheit, zwischen Rast und Aufbruch pendeln. Der Lebensweg der Frau in Rot stellt sich als eine Folge von Widersprüchen dar, die erst im Zusammenklang der „Elemente“ (Stein, Luft, Wasser) eine Versöhnung erfahren. So ist der zunächst unüberbrückbar erscheinende Kontrast zwischen feuerrotem Kleid und grauem Nürnberg zum Schluss des Videos aufgehoben: Unter den Füßen der Darstellerin zieht das Wasser ruhig dahin und während sie eine Pirouette dreht, öffnet sich das weite Blau des Himmels über ihrem Kopf. Stefania Milazzo / Markéta Tomešová / Beate Grötsch, In Aria, 2008, Video, 5:50 min, Musik: steinmetz KARSTEN NEUMANN [18]* geboren in Würzburg seit [35] zahlreiche Performances und Ausstellungen in und außerhalb von bethang [38] – [43] Studium an der AdBK bethang, ab [39] bei Prof. G. K. Pfahler [45]/[46] noch mal zwei Semester Studium an der AdBK bethang [60] Bayerisches Stipendium zur Atelierförderung * bethang hat eine eigene Zeitrechnung, beginnend mit dem 10. Mai 1945 als Tag eins im Jahr eins www.bethang.org bethang ist die von Karsten Neumann entwickelte und gelebte Stadtutopie. Durch Fusionierung sollen nürnBErg, fürTH und erlANGen zu einer einzigen zukunftsoffenen und pluralistischen Verwaltungseinheit zusammenwachsen. Der fremdartige Klang der Namensschöpfung ist durchaus gewollt, schließlich geht es um Wandel und Neubelebung von Grund auf. Wie der Neo-Fluxus-Künstler betont: „bethang ist ein kommunales projekt und eine weltweit gültige geistige (lebens-)einstellung“. Neumann ist der Stachel im gammelnden Fleisch von mut- und phantasielosen Bürgern, Beamten und Politikern. Seine Strategie des Trash zielt auf Enthierarchisierung des öffentlichen Raumes. Durch homöopathisch dosierte Störmanöver versucht er, auf soziale, historische oder ökologische Missstände aufmerksam zu machen, denn er will verkrustete Wertvorstellungen aufbrechen. Seiner freiheitlichen Denkweise entsprechend, lebt die fröhlich bunte Ästhetik von Pop Art und Hippiekultur fort in Assemblagen aus Plastikmüll, die Neumann konsequent als „Malereien“ bezeichnet. Diese wiederaufbereiteten „Relikte“ erheben keinen besonderen Anspruch, Kunstwerke zu sein. In ihnen manifestiert sich vorrangig ein anarchischer Handlungscharakter. Als Beitrag zum KUNSTPREIS LANGWASSER hat sich Neumann auf den Weg gemacht, um weggeworfenes, soziales Plastik zwischen den Einkaufs-Centern in „bethang, kreis 73“ (Nürnberg Langwasser), „bethang, kreis 54“ (Erlangen, Innenstadt) und „bethang, kreis 62“ (Fürth, Innenstadt) zu sammeln und die Fundorte fotografisch zu dokumentieren. Ein Erlebnisbericht der von einer Radpanne überschatteten Tour des 17. November 64 (bethanger Zeitrechnung) ist auf Neumanns Homepage nachzulesen. 56 Karsten Neumann, bethang-project: Einkaufszentren, 2008, Dokumentation einer Aktion, Plastik, Fotografie GABRIELE OLESCH 1963 1983 1984 – 91 1991 – 95 1994 1997 – 03 58 geboren in Nürnberg Abitur Ausbildung im Hotelfach, Tätigkeit in London, Venedig und Nürnberg Studium am Central St Martins College of Art in London, b.a. hons. fine art Studium Film- und Video an der École Nationale Supérieure des Arts décoratifs in Paris Vorsitz im Kunstverein Galeriehaus e.V. Nürnberg, seitdem auch als freie Kuratorin tätig Lebt und arbeitet in Roßtal bei Nürnberg Gabriele Olesch entwickelt das Konzept ihrer Schaubude, die sie auch ein „zeitgenössisches Schattentheater“ nennt, ständig weiter. Ein handelsüblicher Marktstand wurde von ihr vor Jahren zur Projektionsfläche für eine Multimediashow umfunktioniert. Seitdem bietet die Konzeptkünstlerin in ihrem „Nürnberger Guckkasten“ Kunst feil, und das umsonst. Durch die ablaufenden Dia- und Videoprojektionen, die sich unter anderem mit der Geschichte Nürnbergs beschäftigen, entstehen magische Bezüge zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Gleichzeitig wird durch die parallele Projektion mehrerer Bilder auf den mattierten Plexiglasflächen Medien- und Konsumkritik laut. Der Überreizung durch die täglich schneller einprasselnde bunte Bilderflut sucht Olesch durch Verlangsamung von Filmsequenzen und eine Reduktion auf Schwarzweiß Einhalt zu gebieten. Olesch knüpft mit ihrer nostalgischen Installation ebenso an die Tradition des Papiertheaters an wie an die Moritatenerzähler und Marktschreier, die schon im Mittelalter für die Verbreitung von „Nachrichten“ sorgten. In einem modernen Einkaufszentrum erhält die volksnahe Präsentation von Informationen ihren kuriosen, spektakelhaften Charakter zurück, den sie früher vor allem hatte und heute in nicht geringem Maße immer noch besitzt. Allzu leicht vergessen wir diesen Aspekt angesichts der meinungsbildenden „Neuen Medien“ und der rasant voranschreitenden Kommunikationstechnologie im so genannten „Informationszeitalter“. Mit freundlicher Unterstützung von: Glasstudio am Isartor, München sld-mediatec GmbH, Nürnberg Markus Zimmerhackel Elektro+Außenwerbung GmbH, Feucht Gabriele Olesch, Schaubude, 2000-2009, Multimedia-Installation, ca. 300 x 400 x 370 cm M AT H I A S OT TO 1958 1986 1988 2001/02 2005 geboren in Nürnberg Abschluss in Kommunikations-Design an der Georg-Simon-OhmFachhochschule Nürnberg Gaststudent an der AdBK Nürnberg bei Prof. Scharl Belobigung anlässlich des Kunstpreises der Nürnberger Nachrichten 3. Preis Kunstraum Weißenohe www.mathiasotto.de Mathias Otto, der früher farbkräftige, expressionistische Malereien schuf, widmet sich seit zwölf Jahren einem Genre, das gegenwärtig nur wenige mit solcher Konsequenz verfolgen wie er: dem Nachtbild. Die Nocturnen Ottos sind neoromantisch. Hier spiegelt sich nicht das Mondlicht stimmungsvoll im endlos weiten Meer. Thematisiert wird vielmehr das künstliche Licht unserer industrialisierten Zivilisation, mit dem wir versuchen, unseren Lebensraum so überschaubar wie möglich zu halten. Mathias Otto findet, dass wir uns mit der modernen Lichterflut in unseren Städten „wieder ein Stück Natur und Schönheit nehmen“. Deshalb führt er uns an einsame, nur spärlich beleuchtete Orte, an denen überwunden geglaubte Urängste aufschimmern. Es sind sorgsam durchkomponierte Ecken und Winkel, in denen der Maler eine durchdachte Lichtregie walten lässt. Fein differenziert er zwischen dem warmen Streulicht, das in die Blätter der Sträucher und Bäume fällt und dem kalten Neonlicht der U-Bahn-Station. In der Nacht sehen die Dinge anders aus, gewinnen eine neue Bedeutung. Dann mutet der wohlvertraute Eingang in die Metro noch futuristischer an; wie ein Raumschiff, das mitten in der Stadt gelandet ist. Die städtischen Hell-Dunkel-Kompositionen Ottos leben von einer eigentümlichen Spannung, denn alles, was an diesen menschenleeren Plätzen außerhalb der Lichtkegel von Straßenlaternen liegt, bleibt verborgen und damit der Imagination des Betrachters überlassen. Und der verbindet mit Dunkelheit meist das Gefährliche, Abgründige, Irrationale. 60 Mathias Otto, U-Bahn Langwasser Süd, 2008, Öl auf Holz, 107 x 107 cm LOT TA PA L E R M O 1968 1975 1979 1984 1989 1995 2002 62 Geboren als Tochter des Zementmischers Ettore Palermo und der Servicekraft Maria Palermo Zweiter Auszug aus dem Elternhaus und erste Auftritte bei Kerzenschein Erfindung des Zeitgeistes Aufsehen erregende Auftritte mit Dressuren tibetanischer Tempelkatzen Goldene Schallplatte für das Lied: Schenk mir ein Atomkraftwerk Zeitreise und erstes TV-Interview mit Leonardo da Vinci erstes Keksgeschäft in Turkmenistan (zusammen mit Krümelmonster) www.lottapalermo.com Durch Spielzeug sollen Kinder auf die Ideologie der Erwachsenen eingeschworen werden. In diesem Sinne sind Lotta Palermos ans Kreuz genagelte Barbiepuppen keine eigentlich blasphemischen Kunstwerke. Vielmehr macht die Künstlerin darauf aufmerksam, dass sogar ein religiöses Symbol in einer hemmungslos an irdischen Gütern orientierten Welt Gefahr läuft, reinen Warencharakter anzunehmen. Auch mit anderen „Assemblagen“ setzt sich die Künstlerin respektlos und provokativ über das traditionelle Rollenverständnis von Mann und Frau hinweg, um Denkanstöße zu geben. Egal, ob sie eine kotzende Bulimie-Barbie über dem Spielzeugklo zeigt oder drei Barbiepuppen, die in einem Goldenen Käfig munter auf den Stangen des Vogelbauers turnen, immer will Palermo auf die Exzesse einer unter männlichem Diktat pervertierten Kultur hinweisen. Keinesfalls will sie sich mit einem standardisierten, marktwirtschaftsgerechten Schönheitsideal abfinden, dem sich Frauen in unserer Gesellschaft mehr oder weniger freiwillig unterordnen. Auch in Palermos Beitrag für den KUNSTPREIS LANGWASSER gehen feministischer und konsumkritischer Ansatz Hand in Hand. Aus der unüberschaubaren Flut kunterbunter Plastiktüten sticht das Gesicht einer attraktiven Frau heraus. Es ist ebenfalls auf eine Einkaufstasche gedruckt, fordert den Betrachter aber – im Gegensatz zum unpersönlichen Müll – zur unmittelbaren Kontaktaufnahme heraus. Doch folgt die Ernüchterung sobald er oder sie registriert, dass dieses „Porträt“ gar keinem Menschen aus Fleisch und Blut gehört. Es ist ein hochglanzgestyltes Kunstprodukt wie all der Kunststoff, der diese Ikone der Modeindustrie rahmend umspült. Lotta Palermo, Die Flut, 2008, Fotografie, Digitalprint, 70 x 100 cm KAI RICHTER 1969 geboren in München 1985 – 89 Ausbildung zum Industriemechaniker 1995 – 98 Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Anglistik 1998 – 04 Studium an den Kunstakademien Münster und Düsseldorf bei Prof. J. Bandau und Prof. H. Kiecol 2000 Arbeitsstipendium, Kunstverein Greven 2002 Meisterschüler bei Hubert Kiecol Stipendium Cite des Arts, Land Nordrheinwestfalen 2007 Reisestipendium Finnland, Stadt Düsseldorf www.kairichter.eu Kai Richter geht davon aus, „dass Baustellen über eine zeitlose Schönheit verfügen, fertige Architektur meistens nicht“. Gern denkt er an die Baustelle in den Achtzigerjahren zwischen dem Gemeinschaftshaus Langwasser und dem Franken-Center zurück: „Der Erdaushub war mit Wasser gefüllt und wenn man den Bauzaun überwunden hatte, öffnete sich ein Abenteuerspielplatz, der in seiner Glanzzeit sogar über ein Floß verfügte“. Die fragilen Stützen und Gitterkonstruktionen, die Richter zwischen Boden und Decke des Franken-Centers spreizt, untergraben nicht nur unser Vertrauen in die Statik eines öffentlichen Gebäudes. Mit seinen scheinbar willkürlich den Raum in Besitz nehmenden Einbauten trägt er auch zu einer ästhetischen Bewusstseinserweiterung bei. Während „informelle“ Tendenzen in der Malerei nämlich längst zum bildungsbürgerlichen Allgemeingut zählen, sorgt spontan angeordnet wirkende, dreidimensionale Kunst im öffentlichen Raum immer noch für Irritation und löst nicht selten heftigen Protest in der Bevölkerung aus. Unvergessen ist in Nürnberg die kontroverse, emotional geführte Debatte um Olaf Metzels StuhlSkuptur 2006 am Schönen Brunnen. Richters zweckfreies Bauen und Konstruieren negiert vorsätzlich die konventionellen Gattungsgrenzen zwischen Architektur und Bildender Kunst. Dem inhaltlichen Balanceakt entspricht das formale Prinzip der Destabilisierung. Weit ausladende Verstrebungen verspannt Richter nur an zwei Punkten. Bei anderen Installationen sind die sperrigen Bauteile wiederum so chaotisch-kunstvoll aufeinander getürmt und ineinander verschachtelt, dass das Ganze jeden Moment einzustürzen droht. 64 Kai Richter, Jack und Paul, 2008, Installation, Holz und Metall, ca. 400 x 400 x 300 cm (Foto: Christian Vogel) M A R I E - K AT H R I N S A A L F R A N K 1987 2006 2006/07 seit 2007 2008 geboren in Berlin Abitur am Markgräfin-Wilhelmine- Gymnasium in Bayreuth Praktikum in der Werkbund Werkstatt Nürnberg Arbeit mit digitaler Kunst, insbesondere Fotomanipulation und digitaler Malerei Studium der Kunstpädagogik an der AdBK Nürnberg bei Prof. Munding 2. Preis bei der Jahresausstellung der AdBK Nürnberg www.night-rose.deviantart.com Die digital bearbeiteten Fotocollagen von Marie-Kathrin Saalfrank sind von großer Poesie. Sie stehen in der Tradition der bedingungslos inszenierten Fotografie und scheuen wie diese nicht vor dem strategisch eingesetzten Stilmittel des Kitsches zurück. So setzt sich die Künstlerin einmal im Prinzessinnenkostüm auf einer Waldlichtung im trauten Einklang mit Fuchs und Rabe in Pose; Tiere, die in der Fabel die Eigenschaften Schläue und Weisheit verkörpern. Oder die Oberkörper schöner junger Frauen entwachsen aus Fischschwänzen beziehungsweise ragen aus Vasen heraus. Sie erinnern dadurch an die sagenumwobenen Nereiden oder die bezaubernde Jeannie. Es ist eine weiblich-weiche Traumwelt, in der märchenhafte Wesen gedankenverloren ihr Dasein jenseits von Zeit und irdischen Zwängen fristen. In den drei ausgestellten Arbeiten flutet Saalfrank virtuell eine urbane Welt, die nun zu einem unterseeischen Zauberreich wird. Quallen gleiten lautlos in den Straßenfluchten oder eine junge Frau betrachtet verträumt einen Goldfisch im Vogelkäfig. Unbemerkt von den Passanten treibt die Künstlerin in der Art barocker Schwebefiguren im Wasser. Aufsteigende Luftblasen, Haar und Kleidsaum erzählen davon, dass sie zum Grund hinab getaucht ist, um im nächsten Moment wieder an die Oberfläche aufzusteigen. Sie ist nur eine Besucherin in einer Umgebung, die einer anderen, viel nüchterneren Realität zugehörig scheint. Körper und Armhaltung der Nymphe erinnern stark an Darstellungen des himmelfahrenden, auferstandenen Heilands. Spielerisch wird eine geschlechterspezifisch definierte christliche Ikonografie in Frage gestellt. 66 Marie-Kathrin Saalfrank, Abgetaucht (Leben im Fluss), 2008, Fotografie, Digitalcollage, 35 x 50 cm DANIEL SABR ANSKI 1977 1997 – 99 1997 – 04 2000 – 01 seit 2002 2008 geboren in Köln Fotoassistenz in Köln Modeling Aufenthalt in Kalifornien, USA Studium an der Universität der Künste Berlin bei Prof. Chr. Möbus Meisterschüler der Universität der Künste Berlin Lebt und arbeitet in Fürth www.sabranski.de Das Verschwinden und Wiederauftauchen der menschlichen Figur zieht sich als Leitmotiv durch das Werk von Daniel Sabranski. In unterschiedlichen Medien belebt der Künstler die alte Tradition des Vexierbildes mit zeitgenössischen Mitteln wieder. Das Spektrum reicht von der digital bearbeiteten Fotografie bis zum Video. Zu Beginn von dis-appearance sieht man einen menschenleeren Bahnsteig in einer U-Bahn-Station. Dann taucht eine bedrohlich wirkende, gänzlich vermummte Gestalt auf und steigt in den einfahrenden Zug. Sie trägt so etwas wie einen Ganzkörperkampfanzug, der eng anliegt, auch Kopf und Gesicht völlig verbirgt. Die androidenhafte Gestalt könnte einem Science-Fiction-Comic entsprungen sein. Dazu passt die Geräuschkulisse von einem Hubschrauber und von Ortungsgeräten wie Sonar oder Radar. Eine unerwartete Wendung nimmt die Handlung, als der Mann (gespielt vom Künstler selbst) Platz nimmt und sich schließlich niederlegt. Nun ist zu erkennen, dass sein Anzug aus dem gleichen buntscheckigen Camouflage-Stoff besteht, mit dem die Sitzpolster der Berliner U-Bahn bezogen sind. Jener Sitzbezug wurde militärischen Tarnmustern entlehnt und speziell entwickelt, um optisch alles zu schlucken. „Signaturen“ der Graffiti- und Sprayerszene sollen dadurch schon im Vorfeld unterbunden werden. Auch Sabranskis U-Bahn-Fahrer verschmilzt mit seiner Umgebung, wird gleichsam unsichtbar und damit entkörperlicht. Auf diese Weise kündet das Video nicht nur vom Kampf des Menschen und insbesondere der Jugend, die eigene Identität gegenüber einer langweiligen Uniformität moderner Zivilisation zu behaupten. Es erzählt auch vom Scheitern dieses heroischen Aktes. 68 Daniel Sabranski, dis-appearance, 2006, Video, 2:36 min MICHL SCHMIDT 1973 1991 – 94 1996 – 99 1999 – 01 2001 – 06 seit 2006 geboren in Rothenburg ob der Tauber Steinmetzlehre Steinmetzgeselle auf traditioneller Wanderschaft berufstätig als Steinbildhauer, Besuch der Freien Kunstschule Stuttgart Studium der Bildhauerei an der AdBK Nürnberg bei den Professoren T. Scott, C. Bury und G. Winter freischaffend, Lehrauftrag an der AdBK Nürnberg www.biederpunk.de PETER WENDL 1980 2001 – 07 2003 – 07 2005 – 06 2007 2008 70 geboren in Augsburg Studium der Malerei und Kunsterziehung an der AdBK Nürnberg Studium in der Klasse Kunst und öffentlicher Raum an der AdBK Nürnberg bei Prof. G. Winter Studium der Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe bei Prof. M. Kuball Abschluss an der AdBK Nürnberg als Meisterschüler, seitdem freischaffender Künstler künstlerischer Mitarbeiter an der AdBK Nürnberg Debütantenpreis des Freistaates Bayern www.peterwendl.de Frei nach Hölderlin, wonach die Aussicht auf Rettung steigt, je mehr man sich der Gefahr aussetzt, betritt eine Gruppe von Kunststudenten der Nürnberger Akademie möglichst unbekanntes, unsicheres Terrain. Konflikte werden durch scheinbar sinnlose Interventionen im öffentlichen Raum provoziert, um Erkenntnisse über territoriale Machtmechanismen und individuelle oder kollektive Verhaltensmuster zu sammeln. Mit der erklärten Absicht, ein „subkulturelles Zentrum neben Philharmonie, Staatstheater und Dokumentationszentrum“ auf dem Gelände des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes zu installieren, errichteten Peter Wendl und Michl Schmidt Ende September 2008 den Club Interim im Innenhof der Nürnberger Kongresshalle. Seitdem steht ihr Vereinslokal, das nicht viel größer als ein Toilettenhäuschen ist, vor der Kulisse des gigantischen Nazikolosseums. Mit dem Bau ohne Baugenehmigung stießen die beiden gezielt in eine Achillesverse der bundesdeutschen Demokratie, denn diese tut sich absichtlich schwer mit der Nutzung des NS-Areals. Indem sie „der Szenerie ein weiteres kulturelles Vakuum hinzufügen“, parodieren die Künstler die in Mode gekommene Zwischennutzung brachliegender Großbauten. Wendl und Schmidt bauen mit ihrer Installation auf die befreiende Kraft des Lachens, das den Körper durchschüttelt, wenn das Gehirn nicht mehr weiter weiß und diesen Impuls benötigt, um einen Neuansatz zum Denken zu finden. Das rebellische Motiv „David gegen Goliath“ kehrt wieder, wenn die Künstler im Franken-Center auf ihr Projekt mit Promotergruppen in „Interimskostümen“ und einem PR-Stand aufmerksam machen und so Strategien der Werbeindustrie parasitär für sich nutzen. Michl Schmidt / Peter Wendl, Club Interim, 2008, Installation, Holz, Ziegel, Dachpappe, 200 x 100 x 300 cm PI RKO J U LI A SCH RÖ D ER 1970 1991 – 98 1998 1999 2001 2004 2001 – 07 2007 geboren in Fürstenfeldbruck Studium an der AdBK Nürnberg u. der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Meisterschülerin bei Prof. H. P. Reuter 1. Preis AEG Kunstpreis Ökologie Absolventenpreis der AdBK Nürnberg Förderpreis des Förderkreises Bildende Kunst, Nürnberg August bis Oktober mit Stipendium in Krakau, Polen Lehrauftrag an der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg im Fachbereich Gestaltung Atelierstipendium in Nykarleby, Finnland Piktogramme wurden entwickelt, um Menschen unterschiedlichster Herkunft die Orientierung im öffentlichen Raum zu erleichtern. Wir haben uns an die international gültige Bildsprache inzwischen so gewöhnt, dass wir ihr an Flughäfen, Bahnhöfen und in Ämtern ohne viel Nachdenken folgen. Pirko Julia Schröder geht es in ihren Foto- und Videoinstallationen um Wahrnehmung und Erzeugung von Illusion im öffentlichen Bereich. Mit ihrer Installation beabsichtigt die Künstlerin eine „schleichende Einmischung“. Sie möchte gewohnte Seh- oder Erkennungsweisen unterwandern und gängige Leitsysteme in Frage stellen. Zusätzlich zur ohnehin herrschenden visuellen Überfrachtung bringt Schröder im Einkaufszentrum Piktogramme an, die sich von den üblicherweise verwendeten nur durch ihre orange Farbe unterscheiden. Indem sie ihre Piktogramme an allen möglichen und unmöglichen Orten sinnwidrig anbringt, erschüttert sie nicht nur unser blindes Vertrauen in ein sicheres Funktionieren öffentlichen Lebens. Sie macht ganz allgemein auf die Willkürlichkeit von Zeichensystemen aufmerksam. Das hat Tradition. Nachdem Picasso und Braque schon Wortsilben und Buchstaben in ihre kubistischen Gemälde eingefügt hatten, war es René Magritte, der realistisch eine Tabakspfeife malte und auf das Gemälde schrieb: „Dies ist keine Pfeife“. Wie der Philosoph Wittgenstein, der darauf hinwies, dass Sprache, Schrift und Bild nicht zwingend zusammengehören, sondern auf einem kulturellen Verabredungswert basieren, wollte auch Magritte demonstrieren, dass das Bild eines Gegenstandes nicht notgedrungen mit seinem Bedeutungsgehalt übereinstimmt. 72 Pirko Julia Schröder, Piktogramme, 2008, Installation, Selbstklebefolien variabler Größe, ca. 8 x 8 cm jeweils HEINZ SELZER 1944 1966 – 69 1969 – 75 seit 1969 geboren in Schönegg, Bayern Studium der Malerei an der Akademie für Angewandte Kunst Wien Studium Malerei und Grafik-Design an der AdBK Nürnberg lebt und arbeitet er in Nürnberg und Bruck/Mur www.selzer-art.com Der schnauzbärtige Feldherr mit Tropenhelm, Fernglas und abgebrochenem Degen hat schon bessere Zeiten gesehen. Hinter der monumentalen Bronzeplastik, auf deren Brust Sprayer das populäre Anarchie-Emblem gesprüht haben, tut sich eine Großbaustelle auf. Eine frühere Bebauung ist der Abrissbirne zum Opfer gefallen und die Kräne im Hintergrund deuten an, dass hier schon bald ein neuer architektonischer Komplex stehen wird. Selzers Fotomontage weckt Assoziationen ganz unterschiedlicher Art. Man mag bei der chaotischen Hintergrundszenerie an die Baulücke denken, den die Terroranschläge des 11. September in die City von New York rissen; Oder, weniger spektakulär, an die gigantischen Shoppingcenter, die in den letzten Jahren in unseren Städten hochgezogen wurden. Beim Anblick des traurigen Bronzeriesen fallen einem vielleicht die ausrangierten Helden des Sozialismus ein oder die Kolossalstatue Saddam Husseins, den die Amerikaner unter Beihilfe der aufgebrachten irakischen Bevölkerung vom Sockel rissen. In Selzers digital bearbeiteter Fotografie bleibt vieles offen. Auf jeden Fall macht sie darauf aufmerksam, dass urbaner Raum immer auch eine Bühne für die Demonstration von Herrschaft darstellt. Wer Denkmäler oder Architekturen errichtet, plant im allgemeinen für die Ewigkeit. Aber ökonomische, gesellschaftliche oder politische Systeme kommen und gehen. Die Symbolik ändert sich. Was bleibt ist das Bestreben, an den Orten der alten Macht die Zeichen der neuen Ordnung zu implementieren. 74 Heinz Selzer, ohne Titel, 2008, Fotomontage, Digitalprint, 60 x 80 cm JUDITH SIEDERSBERGER 1966 1985 – 88 1995 – 00 2001 2007 76 geboren in Hengersberg, Niederbayern Ausbildung zur Korbflechterin an der Staatlichen Korbfachschule Lichtenfels Studium an der AdBK Nürnberg Stipendium im Rahmen des 2. Hochschulsonderprogrammes Atelierstipendium des Freistaates Bayern Lehrauftrag an der Otto-Friedrich- Universität Bamberg, Fakultät Kunstpädagogik und -didaktik www.judith-siedersberger.de Da die Bedingungen des Lebens und die mit ihnen in Verbindung stehenden Begriffe einem Wandel unterliegen, findet es Judith Siedersberger wichtig, große Fragen, die die Philosophie seit Menschengedenken beschäftigen, von Zeit zu Zeit neu zu stellen. Angeregt durch den Slogan „Geld gespart! Glück gehabt!“, dem sie im Sommer 2008 auf Werbebannern im Lichthof des Franken-Centers begegnete, erstellte Siedersberger für den KUNSTPREIS LANGWASSER ein Hörstück. Hierzu ließ die Konzeptkünstlerin Einwohnerinnen und Einwohner Langwassers zu Wort kommen. Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren, Singles, Verheiratete, Arbeitslose, Unternehmer, Migranten usw.) wurden zu ihrer Auffassung von Glück befragt. Mitten in der glamourösen Warenwelt, wo den Kunden durch grenzenlosen Konsum und erfolgreiche Schnäppchenjagd das schnelle Glück versprochen wird, erhalten die Hörstationen zum Thema Glück eine besondere Brisanz. Durch sie wird die subjektstiftende Funktion von Sprache offenkundig. Wie Siedersberger sagt, erfordern ihre Tonaufnahmen „die Fähigkeit zuzuhören, und über das gesprochene Wort den Menschen dahinter zu spüren“. Über den verbal transportierten Inhalt hinaus entsteht durch die charakteristische Einfärbung der Stimme der Interviewten, ihren Dialekt usw. eine sinnlich wahrnehmbare Sprachmelodie. Diese ist in ihrer regionalen und individuellen Besonderheit unverwechselbar und kann deshalb als Kontrapunkt zur globalen Austauschbarkeit und zur materialistischen Kultur eines „Einkaufsparadieses“ aufgefasst werden. Judith Siedersberger, Glück, 2008, Hörstück aus mehreren Beiträgen, je ca. 5 min TOBIA S STUT Z 1983 2005 2007 geboren in Filderstadt Studium der Freien Malerei an der AdBK Nürnberg bei Prof. R. Fleck Oskar-Karl-Forster-Stipendium Tobias Stutz beschäftigt sich in seinen realistischen Gemälden mit dem Verhältnis von Fläche und Raum. Während er den Grenzbereich zwischen gegenständlicher und abstrakter Darstellung auslotet, ist sein malerischer Gestus der Ästhetik der Fotografie nachempfunden. Das Stilmittel der Unschärfe, die absichtliche Installation eines Bildfehlers usw. wirken wie Indizienbeweise für das Vorhandensein einer Wirklichkeit jenseits des Gemäldes. Oder ist das Gemälde selbst die Realität? Stutz geht dieser alten Überlegung, die seit jeher Maler und Theoretiker beschäftigte, anhand eines einfachen Arrangements nach. Auf der einen Leinwand bildet er bildfüllend eine städtische Hausfassade ab; im Erdgeschoss eine Ladenfläche mit Schaufensterfront, oben drei Doppelfenster übereinander im Wohnbereich. Eine ebenso gewöhnliche Hausfassade erzeugt der Maler, indem er je drei Einzelbildchen in drei Reihen anordnet. Auf jede der kleinen Leinwände hat er ein individuell gestaltetes Fenster gemalt. Einmal ist der Blick ins Wohnungsinnere durch Vorhänge oder Jalousien verwehrt, das andere Mal sieht man Topfpflanzen oder Teile des Interieurs. Schon der Architekt und Renaissancetheoretiker Leon Battista Alberti verglich in seinem berühmten Malereitraktat von 1435/36 das Gemälde mit einem Fenster, das einen gezielten Ausschnitt der Wirklichkeit ermöglicht. Stutz, der den Rahmen des Fensters quasi als Rahmen des Bildes mitmalt, kehrt die Perspektive um. Er zeigt nicht den Blick aus dem Fenster, sondern denjenigen auf das Bild, das zugleich ein Fenster ist. Auf simple Weise verdeutlicht Stutz einen weiteren, komplizierten Sachverhalt: Die Frage, was ein Bild ist, entscheidet nicht das Medium, sondern sein Gebrauch. 78 Tobias Stutz, Fassade I und II, 2008, Öl auf Leinwand, 70 x 50 cm und je 18,5 x 13,5 cm (neunteilig) ANDERS THEORELL 1941 geboren in Kalmar, Schweden Ausbildung in Göteborg und Malmö Künstlerische Weiterbildung in Malmö, Nürnberg und Trentino verfremdete Bestecke als Kunstobjekte Lebt in Kalmar und Röthenbach bei Nürnberg www.mobiler-stammtisch.de Anders Theorell äußert in seinen Werken beißenden Spott an einer Alltagskultur, die wir unhinterfragt akzeptieren, obwohl sie oft skurrile Züge trägt. Der Künstler betätigt sich gern als Clown, genau kalkulierend, dass nur der Narr, das Kind und der Betrunkene die ungeschminkte Wahrheit aussprechen dürfen. Fast food passt für die Ausstellungssituation in einem Shoppingcenter wie die berühmte Faust aufs Auge. Auf die Schippe genommen wird ein Teil urbaner Kultur, den der Mensch wie den Stuhlgang einsam und rasch hinter sich bringt. Theorells Fotoarbeit offenbart ihren subversiven Charakter erst bei näherem Hinsehen. Mit seinem Triptychon hat der Künstler dem Schnellimbiss einen Altar gebaut. Die „Seitenflügel“ zeigen ihn selbst beim Hineinbeißen in einen Hamburger bzw. Döner, die Mitteltafel einen Hotdog mit dazugehöriger Ketchupflasche. Genau wie die Seitenteile ist das Stillleben – trotz Verwendung intensiv bunter Farben aus der Werbeästhetik – nicht wirklich appetitanregend. Der Esser ist der Befriedigung seiner Bedürfnisse derart erlegen, dass er nicht bemerkt, was hinter seinem Brillenbügel hängt. Und der Hotdog ist so an keiner Frittenbude zu haben. Die verzehrbare Assemblage erinnert vielmehr an ein vielfüßiges Krabbeltier. Theorells Arrangement lebt von neobarocker Schockästhetik. Die moderne Vanitas basiert auf der Erkenntnis, dass der schnelle Genuss seinen Tribut fordert: „Denn alle Lust will Ekel“, scheint der Schelm sagen zu wollen. Weil sie dem Witz genug Raum lässt, ist die konsumkritische Arbeit nicht einseitig moralisierend. Wenn uns Theorell den Sittenspiegel vorhält, liefert er immer auch eine saftige Portion Selbstironie mit. 80 Anders Theorell, Fast food, 2008, Fotografie, 30 x 57,5 cm SEBASTIAN TRÖGER 1986 1997 – 06 seit 2007 2008 geboren in Erlangen Ohm-Gymnasium Erlangen Studium der Kunsterziehung an der AdBK Nürnberg Kunstförderpreis der Stadt Lauf Sebastian Tröger bedient sich unterschiedlicher Techniken und Materialien, vom konventionellen Leinwandbild über die Fotografie bis hin zur raumgreifenden Installation. Wichtig ist ihm der thematische Zugriff auf seine Umwelt. Neben der authentischen Ästhetik öffentlicher Orte und Plätze, interessieren ihn zwischenmenschliche Beziehungen, emotionale Ausnahmesituationen und das Verhalten im urbanen Umfeld. Auf der Suche nach der „unverfälschten Realität“, betreibt Tröger gewissermaßen Feldforschung. Zum Beispiel begibt er sich mit seiner Handykamera in die U-Bahn, wo sich Menschen unbeobachtet fühlen und deshalb noch am wenigsten gestellte Posen einnehmen. Auf geradezu erschreckende Weise spiegeln die Fotodokumentationen Trögers die offensichtliche Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber ihresgleichen und den Dingen um sie herum. Bei der Operation San José II ergreifen Teile einer Miniaturlandschaft Besitz von einer vorgefundenen Raumsituation. Im Franken-Center Nürnberg besiedeln die Männlein, Bäumchen und Tierchen samt dazugehöriger Bodenzone parasitär die Ausstellungsarchitektur des KUNSTPREISES LANGWASSER. Eine fiktive Welt im Kleinen tritt in Dialog zu den ausgestellten Werken anderer Künstlerinnen und Künstler, nimmt damit umso mehr einen Standpunkt ironischer Distanz zur „Hochkunst“ ein. Ein Shoppingcenter war für den Künstler besonders reizvoll, da die Besucher abseits der üblichen musealen Atmosphäre ungehemmter auf seine durchaus auch witzig gemeinten „Störungen“ reagieren können. 82 Sebastian Tröger, Operation San José II, 2008, Installation, verschiedene Materialien, Größe variabel ANNET TE VOIGT 1957 geboren in Schwäbisch Hall 1980 – 86 Studium an der AdBK Nürnberg bei Prof. Eusemann und Prof. Höpfner 1981 Studienaufenthalt am Ontario College of Art, Toronto, Kanada 1996/98/00Kuration des 2., 3. und 4. Kulmbacher Kunstsymposiums (mit Harald Burger, Beka und Angelika Gigauri) 2002 Ausstellungsreihe Kitchnapping (mit Anne Bleisteiner, Dagmar Hugk und Heidrun Waadt) seit 2002 TRIOOO, Personen - Projekte (mit Birgit Bossert und Brigitte Liebel) seit 2003 Gartenprojekt (mit Dagmar Hugk) lebt und arbeitet in Erlangen Das künstlerische Konzept von Anette Voigt beruht auf der Zweckentfremdung von Gegenständen und Räumen. Auf diese Weise liefern ihre Objekte und Installationen Denkanstöße für eine kritische Bewertung menschlichen Handelns. Absurde Gegenstandskombinationen kannten schon die Surrealisten, und wie diese bedient sich Voigt öfter der Metamorphose. Dinge des alltäglichen Lebens können bei ihr eine satirische Brechung erfahren, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Die Idylle unserer hoch entwickelten Konsum- und Kommunikationsgesellschaft ist trügerisch, denn häufig wird sie mit einem Verlust an Identität erkauft. Dem Umstand, dass die Privatsphäre einer schleichenden Vernichtung preisgegeben ist, will Voigt mit einer ebenso einfachen wie wirkungsvollen Maßnahme entgegentreten: Eine Sitzinsel samt Blumenkübel im Nürnberger Franken-Center umgibt sie mit einem Bretterzaun. Die Besucher des Einkaufszentrums können in ein abgegrenztes Areal hineingehen, um einigermaßen isoliert vom geschäftigen öffentlichen Bereich eine Zone der Intimität und Ruhe zu erleben. Ein wesentliches Element des symbolischen Schutzraumes sind die vergoldeten Spitzen der Fichtenholzlatten rundum. Sie sind sichtbares Zeichen dafür, dass der umzäunte Bereich wehrhaft und heilig ist. Zugleich deuten die Lücken zwischen den Leisten an, dass eine totale Abschottung des Einzelnen von der Außenwelt keine Lösung sein kann. Die Künstlerin setzt lediglich dem maßlosen Vordringen einer Kontrolle des Bürgers durch Marktforschung und Videoüberwachung Grenzen: Big Brother & Co müssen auf 13 Quadratmetern draußen bleiben. 84 Anette Voigt, Zaun – Urban, 2008, Installation, Holz, teilvergoldet, 180 x 360 x 360 cm F R E D D E R WA N OT H 1957 1978 – 83 1983 – 89 1992 seit 1992 seit 1995 seit 1997 1998 2003 2007 86 geboren in Beilngries Studium im Fachbereich Visuelle Kommunikation an der FH Nürnberg Studium der freien Malerei an der AdBK Nürnberg bei Prof. L. Scharl, Meisterschüler Gründung des Instituts für die Identifikation der Persönlichkeit Modellbau als Kunstform Kurator der Fachgruppe Bildende Kunst in der IG Medien für das Kunsthaus Nürnberg Mitorganisator der Galerie Bernsteinzimmer Internationale Künstlerkolonie Galicnik, Mazedonien Gaststipendium Antalya im Rahmen der Städtepartnerschaft Nürnberg-Antalya Wolfram-von-Eschenbach-Förderpreis des Bezirks Mittelfranken www.fredder-wanoth.de Jenseits von Realisierungszwängen und Bauherrenvorgaben lebt Fredder Wanoth seine architektonische Kreativität aus. Doch der Architekt seiner Träume geht nur scheinbar naiv ans Werk. Tatsächlich offenbaren die Modelle dieses vielseitigen, eigenwilligen Künstlers eine breite architekturhistorische und -theoretische Kenntnis. Subversiv gedacht und originell umgesetzt, werfen Wanoths Architekturmodelle längst beantwortet geglaubte Fragen nach dem Sinn und Unsinn von Bauformen neu auf. Zu seinem Kanonen-Haus hat sich der Künstler offenbar von einem Hausnamen inspirieren lassen. Mit hintergründigem Humor werden auf zwei „Geschossen“ Geschütztürme platziert, um ironisch auf das wehrhafte Äußere vieler klassizistischer Gebäude anzuspielen. Die Seitenfassaden dieses surrealen Palazzos sind wie eine Ziehharmonika gefaltet und prospekthaft flach, als ob sie darauf aufmerksam machen wollten, dass all der Zierrat an historischen Gebäuden nur theatralisches Blendwerk ohne wirkliche Substanz ist. Von einer postmodernen Warte aus, richtet Wanoth seinen geschulten Blick auf eine Architekturdebatte, die spätestens seit Adolf Loos’ Kampfschrift Ornament und Verbrechen zum Decorum der Moderne gehört. Doch Wanoth bleibt zuvorderst Künstler. Und als solcher lässt er Architekturzitate wie ein Zirkusdirektor in einer imaginären Arena tanzen. Wenn Wanoth Bauformen und -techniken vergangener Zeiten in eine geschichtsvergessene Gegenwart zurückholt, tut er das nicht mit schulmeisterlicher Geste. Absichtlich belässt er seine Modelle oft unvollendet, wie im Zustand des Entstehens; will er uns doch spielerisch zum eigenen Erfinden und gedanklichen Weiterbauen einladen. Fredder Wanoth, Kanonen-Haus, 2008, Holz, bemalt, 120 x 125 x 30 cm IMPRESSUM Herausgeber: Franken-Center Nürnberg Gemeinschaftshaus Langwasser Amt für Kultur und Freizeit der Stadt Nürnberg Organisatorische Leitung Franken-Center: Helmut Hantke Organisatorische Leitung Gemeinschaftshaus Langwasser: Walter Müller-Kalthöner, Grazyna Wanat, Monika Abel Konzept und kunstwissenschaftliche Betreuung: Dr. Harald Tesan Konzept, Organisation und Ausstellungskuratorin: Eva Mack Katalogredaktion: Liane Zettl Grafik: DenzlerGrafik, Nürnberg Druck: Druckhaus Osterchrist, Nürnberg Langwasser Auflage: 1000, Februar 2009 Verkaufspreis: 5.– EUR ISBN 978-3-00-026903-5 Der Verkauf des Kataloges kommt MUSCHELKÜNSTLER e.V. – gemeinnütziger Verein zur Förderung künstlerisch begabter junger Menschen aus dem autistischen Spektrum – zugute.