Perspektiven der Hauptstadt Berlin
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Perspektiven der Hauptstadt Berlin
Klingelhöferstraße 7 10785 Berlin Diskussionspapier für eine Dialogrunde mit Politik und Gesellschaft Thema: Perspektiven der Hauptstadt Berlin – wie kann und will Berlin dem ganzen Deutschland dienen? Tel. +49 30 26 39 229-0 Fax +49 30 26 39 229-22 mail@stiftungzukunftberlin.eu www.stiftungzukunftberlin.eu Stifter Dieter Rosenkranz Stiftungsrat Markus Schächter (Vorsitzender) Christina Rau (stellv. Vorsitzende) 1. Berlin ist die Hauptstadt des vereinten Deutschland. Die Rolle der Bundeshauptstadt umfasst weit mehr, als der Sitz von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung zu sein. Die Hauptstadt ist politisches Zentrum des Landes, aber sie entwickelt als europäische Metropole auch Ausstrahlungskraft in kultureller Hinsicht und ist zu einem Zentrum exzellenter Wissenschaft und Forschung sowie innovativer wirtschaftlicher Entwicklung geworden. Berlin ist auf dem Weg, sich in diesem Sinne als Hauptstadt weiterzuentwickeln. Nach anfangs auch kritischer Debatte haben die Deutschen und ihre Hauptstadt einen Prozess der Gewöhnung an die neuen Rahmenbedingungen und zugleich der spannenden Weiterentwicklung im vereinten Europa begonnen. Berlin genießt heute national und international hohe Anziehungskraft und wächst kontinuierlich durch Zuzug aus dem In- und Ausland. Die Zahl der Besucherinnen und Besucher steigt von Jahr zu Jahr. Mit Berlin als sich entwickelnde Metropole nehmen sich die Deutschen mehr und mehr als starke, von europäischer Verantwortung geprägte politische Nation wahr. Berlin sollte deshalb deutlich machen: Die deutsche Hauptstadt dient der ganzen Nation und sie ist zugleich Bezugspunkt für das Außenbild der ganzen Nation. Christine Bergmann Thomas Risse Si Rosenkranz Thomas Rühle Peter Schiwy Stephan Schwarz Vorstand Volker Hassemer (Vorsitzender) Karin Kohler Stefan Richter Geschäftsführung Ulrike Petzold Die Chancen, die sich für Berlin aus der Hauptstadtfunktion ergeben, sind groß. Berlin ist herausragender Ort deutscher Geschichte und steht deshalb in besonderer Weise für den heutigen Umgang mit dieser Geschichte, ihren Höhepunkten wie ihren menschenverachtenden Abgründen. Zuletzt hat das 25-jährige Jubiläum des Mauerfalls gezeigt, zu welcher weltweit wahrgenommenen positiven Emotionalität das beitragen kann. Deutsche Hauptstadt zu sein bedeutet heute auch immer, europäische Verantwortung wahrzunehmen. Berlin ist Werkstatt der deutschen Einheit und kann Werkstatt der europäischen Integration sein und diese prägen. Berlin sollte sich zu einer Hauptstadt entwickeln, die das Land inspiriert und zugleich ständig darauf bedacht ist, Impulse aus dem Land aufzugreifen und in die gesamtstaatliche Repräsentation aufzunehmen. Berlin sollte eine Hauptstadt sein, die das Land nach außen gegenüber der Welt in einer Weise repräsentiert, mit der sich die Deutschen identifizieren. Berlin kann für Deutschland eine wichtige Rolle unter den Weltmetropolen spielen. 2. Berlin bleibt als Bundesland Teil der föderalen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Berlin ist Teil der föderalen Vielfalt. Die ausgeprägten Identitäten und Leistungen der Regionen müssen in den identitätsstiftenden, den Zusammenhalt der Nation fördernden Aktivitäten und Leistungen der Hauptstadt zur Geltung kommen. Zwischen Bund, Bundesländern und Berlin sollte es nicht zuerst darum gehen, Kompetenzen abzugrenzen, sondern eine möglichst enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit sicherzustellen. Berlin muss es sich zur Aufgabe machen, Erwartungen der Deutschen sowie des Bundes und der Länder an ihre Hauptstadt immer neu aufzugreifen. Bundeshauptstadt zu sein bedeutet nicht Zentralisierung und Dominanz. Berlin kann viel von anderen Regionen und Städten in Deutschland und der Welt lernen. Berlin kann aber auch selbst Labor sein und gesellschaftlich bedeutsame Pilotprojekte initiieren. Die kulturelle Strahlkraft Berlins ist weltweit unbestritten. Die Berlinale zum Beispiel ist zu einem Initiative zur Hauptstadtfrage Christine Bergmann Joachim Braun Eberhard Diepgen Volker Hassemer Richard Meng Peter Schiwy Bernhard Schneider Rupert Scholz Jürgen Zöllner Verantwortlicher für die Initiative: Hermann Borghorst borghorst@stiftungzukunftberlin.eu Koordination: Ulrike Petzold Tel. +49 30 26 39 229-10 Petzold@stiftungzukunftberlin.eu herausragenden, weltweit für Berlin und Deutschland werbenden Kulturereignis geworden. Wichtige Sportveranstaltungen wie das DFB-Pokalendspiel und internationale Finalwettbewerbe in unterschiedlichen Sportarten stehen für Berlins Rolle als große Sportmetropole. Viele in der Welt schauen auf Berlin. Berlin kann auch deshalb zum weithin sichtbaren „Label“ für die Innovationskraft und den Gründergeist Deutschlands werden. Zu weltweit diskutierten Projekten wie „soziale Stadt“, „smart city“ und Integration in Migrationsgesellschaften kann Berlin eine Menge beitragen, ohne dass dadurch Kreativität und Innovationen in anderen deutschen Regionen überdeckt werden. Nicht automatisch haben Projekte in der Bundeshauptstadt Pilot- und Modellcharakter. Der Wettbewerb um die besten Ideen und die besten Umsetzungsstrategien gehört zum Föderalismus und er macht Deutschland insgesamt stärker. 3. Die Gestaltung der Hauptstadt Berlin ist eine zentrale Aufgabe der Berliner Politik. Dazu bedarf es eines breiten gesellschaftlichen und politischen Dialogs in der Stadt, der gestärkt werden muss. Diese Zukunftsaufgaben sind in vielen Bereichen nur mit hoher bürgerschaftlicher Mitverantwortung zu lösen. Die Hauptstadt Berlin sollte ein deutliches Signal setzen. In der Verfassung von Berlin ist nur im „Vorspruch“ die Hauptstadt erwähnt. In Artikel 1 der Berliner Verfassung zum Status Berlins als Bundesland und Stadt gibt es zur Hauptstadt keine weiteren Ausführungen. Berlin macht ein offensives Angebot zum Verständnis seines Hauptstadtauftrages und ergänzt die Berliner Verfassung in Artikel 1: (1) Berlin ist durch den Auftrag des Grundgesetzes die Hauptstadt Deutschlands. Berlin unterstützt den Bund bei der Repräsentation des Gesamtstaates. (2) Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland und zugleich eine Stadt. Diese klare Aussage in der Verfassung ist ein wichtiges Signal Berlins, sich der Verantwortung als Hauptstadt voll zu stellen und diese Aufgabe aktiv gestalten zu wollen. 4. Eine Ergänzung der Berliner Verfassung um die Hauptstadtaufgabe sollte Folgewirkungen für eine verbesserte Verteilung von politischen und administrativen Zuständigkeiten in der Stadt haben, wo immer dies die Zusammenarbeit effektiver macht. Dies gilt auch für Veränderungen im Verhältnis zwischen Senat und Bezirken. Berlin unterstützt den Bund bei der Repräsentation des Gesamtstaates. Berlin unterstützt insbesondere die Bundesregierung bei ihren Aufgaben der Repräsentation und der Darstellung Deutschlands in der Hauptstadt. Insofern sind gesamtstaatliche Aufgaben gesamtstädtische Aufgaben, hinter die andere Interessen in der Stadt im Zweifel zurückstehen müssen. Das Regierungs- und Parlamentsviertel ist ein zentraler Ort von gesamtstaatlicher Bedeutung. Berlin hat aber auch eine Reihe anderer öffentlicher Räume und Orte, deren historischer Bezug sowie deren Dimension und Bedeutung Hauptstadtfunktionen signalisieren und ihnen gerecht werden. Berlin ist bereit, im Zusammenwirken mit dem Bund immer wieder das Einvernehmen zur Definition und Gestaltung dieser öffentlichen Räume zu suchen. 2 5. Die grundsätzliche Klärung der Aufgaben und Herausforderungen der Bundeshauptstadt Berlin darf nicht im Unverbindlichen bleiben. Eine gemeinsame Kommunikations- und Abstimmungspraxis zwischen den Beteiligten ist unabdingbar. Nur dadurch kann eine Kontinuität der Kooperation und eine Verbindlichkeit der Bearbeitung von Vereinbarungen erreicht werden. Die Kooperation bezieht sich auf der einen Seite auf den Bund, die Bundesländer und Berlin, einschließlich seiner zum Teil dezentralen Verantwortlichkeiten, sowie auf der anderen Seite auf staatliche und gesellschaftliche Organisationen und bürgerschaftliches Engagement der Zivilgesellschaft. Im „Vertrag über die Zusammenarbeit der Bundesregierung und des Senats von Berlin zum Ausbau Berlins als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland und zur Erfüllung seiner Funktion als Sitz des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung“ vom 25. August 1992 wurde ein Gemeinsamer Ausschuss mit den beiden Vertragsparteien eingerichtet. Dieses Kooperationsinstrument sollte – ggf. unter Einbeziehung weiterer Bundesländer – mit Leben erfüllt werden. In Berlin sollte die koordinierende Rolle für die Hauptstadtaufgaben klar geregelt sein. Es liegt nahe, diese Zuständigkeit ressortübergreifend und personell erkennbar in der Senatskanzlei zu verankern. Damit wird deutlich, dass die Ausgestaltung der Hauptstadtaufgabe eine zentrale Aufgabe insbesondere des Regierenden Bürgermeisters ist. Für die öffentliche Debatte zur Hauptstadt Berlin ist es hilfreich, wenn regelmäßig (möglichst jährlich) vom Senat ein Hauptstadt-Bericht veröffentlicht wird. Stand: 10. September 2015 3 Anhang: Themen und Anknüpfungspunkte für die Hauptstadtdebatte In den bisherigen Gesprächen der Stiftung Zukunft Berlin ist deutlich geworden, dass in Politik und Gesellschaft Berlins eine Grundsatzdebatte zur Hauptstadt Berlin gewünscht und für dringend notwendig erachtet wird. Über diese Grundsatzfragen hinaus ergeben sich aber auch schon jetzt eine Reihe von konkreten Themenfeldern, in denen Bürgergesellschaft und Politik gefordert sind, Berlin weiter voran zu bringen. Im Folgenden werden dazu erste Ideen, Vorhaben und konkrete Projekte aufgeführt, die im Zusammenhang einer umfassenden Strategie zur Hauptstadt Berlin diskutiert werden könnten. Die Auflistung ist offen für Anregungen und inhaltlich noch unvollständig. In einem intensiven Dialog mit möglichst vielen Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Kultur außerhalb und innerhalb Berlins sollten Ideenfindung und Entwicklung von konkreten Handlungsfeldern weiter vorangebracht werden. 1. Fragestellungen für die Grundsatzdebatte Klingelhöferstraße 7 10785 Berlin Tel. +49 30 26 39 229-0 Fax +49 30 26 39 229-22 mail@stiftungzukunftberlin.eu www.stiftungzukunftberlin.eu Stifter Dieter Rosenkranz Stiftungsrat Markus Schächter (Vorsitzender) Christina Rau (stellv. Vorsitzende) Christine Bergmann Thomas Risse Si Rosenkranz Thomas Rühle Peter Schiwy Stephan Schwarz Vorstand Volker Hassemer (Vorsitzender) Karin Kohler Stefan Richter Geschäftsführung Ulrike Petzold Der Begriff „Hauptstadt“ wird häufig genutzt, manchmal gleichwertig mit „Metropole“. Die Rede ist von Kulturhauptstadt, Hauptstadt der Kreativen, europäischer Hauptstadt, Hauptstadt des Sports, Gesundheitshauptstadt, IT-Hauptstadt oder Medienhauptstadt. Was aber macht die Hauptstadt Berlin aus? Was ist das Besondere daran, dass Berlin Hauptstadt ist und nicht eine andere deutsche Stadt? Welche Themen, Inhalte und Projekte prägen eine „Stadtstrategie“, welche eine „Hauptstadtstrategie“? Diskussionsthemen in diesem Zusammenhang könnten insbesondere sein: - Gibt es etwas Singuläres, Besonderes, die Hauptstadt Deutschlands zu sein – und was ist das? Wie verändern sich Anforderungen und Erwartungen an die Hauptstadt Deutschlands und was ist heute ein modernes Hauptstadt-Bild? - Was bedeutet Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt? Wie sollte die Hauptstadt selbst mit dieser Repräsentationsfunktion umgehen? - Was hätte Berlin ohne Hauptstadt-Status nie erreicht und was erfordert dieser Status zukünftig von Berlin Zusätzliches? - Was macht die Faszination und das Inspirierende einer Hauptstadt Berlin aus? - Wie ergibt sich aus der kulturellen Leistungsfähigkeit der Hauptstadt Berlin ein Nutzen für die gesamte Republik? - Womit stärkt die Hauptstadt Berlin als eines von 16 Bundesländern die Leistungsfähigkeit des föderalen Organismus der Bundesrepublik? - Wie trägt die Hauptstadt Berlin zur inneren Einheit und zur Weltoffenheit Deutschlands bei? - Wie gewinnt Berlin über seine Hauptstadtrolle zusätzlichen Schwung und zusätzliche Chancen für seine zukünftige Entwicklung? - Was bedeutet Hauptstadt zu sein für die Internationalität Berlins, für seine europäische und weltweite Ausstrahlung? - Was kann die Hauptstadt Berlin durch ihre Rolle für die anderen Bundesländer und die Identität der Republik positiv bewirken? - Worin liegt der Wert, der Nutzen für Deutschland und Europa durch die Hauptstadtrolle Berlins, auch angesichts seiner geografischen Lage an der alten Grenzlinie zwischen Ost und West? Initiative zur Hauptstadtfrage Christine Bergmann Joachim Braun Eberhard Diepgen Volker Hassemer Richard Meng Peter Schiwy Bernhard Schneider Rupert Scholz Jürgen Zöllner Verantwortlicher für die Initiative: Hermann Borghorst borghorst@stiftungzukunftberlin.eu Koordination: Ulrike Petzold Tel. +49 30 26 39 229-10 Petzold@stiftungzukunftberlin.eu 2. Zukunftsdialog Hauptstadt Berlin Mit der Gründung eines „Zukunftsdialogs Hauptstadt Berlin“ könnte ein Rahmen für die zivilgesellschaftliche Debatte gebildet werden. Dieser Zukunftsdialog wäre eine Plattform für den Austausch und die Beratung mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Politik und Stadtgesellschaft. Ein breiter gesellschaftlicher und politischer Dialog innerhalb der Stadt und mit Interessierten von außen ist eine große Chance und eine Herausforderung zugleich. Wichtig ist eine nachhaltige Debatte zu Inhalten, konkreten Handlungsfeldern und Umsetzungsstrategien. Ein solcher Zukunftsdialog ist vorstellbar unabhängig vom „Gemeinsamen Ausschuss“ von Bund und Berlin, wie er im Hauptstadtvertrag von 1992 vorgesehen ist. Der Zukunftsdialog wäre eine Diskussionsplattform, ohne eine direkte Handlungszuständigkeit zu haben. Es wäre ein strategisches Forum, das das Verbindende und das Übergreifende betrachtet und sich um Anstöße und konkrete Vorschläge kümmert. Eine enge Zusammenarbeit mit der Politik ist dringend notwendig. In Berlin sind auf vielen Handlungsfeldern große Kompetenzen vorhanden. Diese müssen für den Zukunftsdialog gewonnen werden. Die Stiftung Zukunft Berlin hat schon heute eine Reihe von Initiativen und Projekten, die Beiträge zum Thema Hauptstadt leisten können – wie die Bereiche Forum Zukunft Kultur, Wissenschaftsstadt Berlin, Humboldt-Forum, Cluster Kreativwirtschaft, Aktive Hauptstadtregion und Hauptstadt-Rede. Insbesondere Berliner Firmen und Einrichtungen, die bundesweit und international agieren, könnten hier eine besondere Rolle spielen. Der Zukunftsdialog Hauptstadt Berlin könnte zum Beispiel unter einem Titel wie „Vision Hauptstadt Berlin“ eine Vortragsreihe mit nationalen und internationalen Referenten starten, vor allem auch mit dem Blick von „draußen“. Referenten wären Oberbürgermeister/Bürgermeister von Berliner Partnerstädten und anderen Weltmetropolen (u. a. Paris, London, Rom, Moskau) sowie Spitzenvertreter aus Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. 3. Berlin als Identitätsort deutscher Geschichte Berlin ist ein herausragender Ort deutscher Geschichte und steht deshalb in besonderer Weise für den Umgang Deutschlands mit dieser Geschichte, ihren Höhepunkten wie ihren menschenverachtenden Abgründen. In Berlin gibt es eine Fülle historischer Zeugnisse, Erinnerungsorte und Gedenkstätten, die in der Hauptstadt deutsche und europäische Geschichte vergegenwärtigen. Zahlreiche Museen und Forschungseinrichtungen widmen sich der Auseinandersetzung mit der deutschen und der Berliner Geschichte. Berlin hat als historischer Ort heute eine Faszination weit über Deutschland und Europa hinaus, auch weil sich in der Hauptstadt europäische Geschichte und deutsche Identität so emotional und so umfassend nachempfinden lassen. Es lohnt sich, dabei über thematische Ergänzungen, Vertiefungen und Verbesserungen nachzudenken, die das Gesamtbild in der Hauptstadt Berlin abrunden und insbesondere die jüngere Stadtgeschichte als Demokratiegeschichte mit all ihren Herausforderungen, Erfolgen und Rückschlägen darstellen. - Dies betrifft zum Beispiel Erinnerung und Dokumentation der deutschen Nachkriegsgeschichte mit der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland. Diese erfolgreiche Geschichte, die stark mit der provisorischen Hauptstadt Bonn verbunden ist, wird in Berlin bislang nicht sichtbar genug aufgegriffen. Hier besteht Nachholbedarf; geht es doch um Gründungsgeschichte und Identität unserer Republik. - Eine Dokumentation der Bonn-Berlin-Debatte des Bundestages von 1991 und ausgehend davon eine Aufarbeitung ihrer damaligen Themen aus heutiger Sicht könnten einen spannenden neuen Akzent setzen. Die damaligen Einwände gegen den Regierungssitz Berlin (z. B. die 2 geografische Lage „Berlins 60 km von der polnischen Westgrenze“, der Vorbehalt gegen eine große Metropole als politisches Zentrum, die Sorge vor Zentralisierung, Vorherrschaft Berlins über die föderalen Zentren und den unvermeidlichen „Rutschbahn-Effekt“) sollten diskutiert und bewertet werden. Da die Debatte über Berlin bis heute immer auch eine KonkurrenzDebatte ist, könnte es in diesem Zusammenhang noch deutlicher um den Nutzen gehen, den die anderen Bundesländer und der Bund von der Hauptstadt Berlin haben. Die Standortkonkurrenz innerhalb Deutschlands muss auch als ein Thema behandelt werden, in dem Leistungen und Gegenleistungen in einem allgemein akzeptierten Verhältnis stehen. - Berlin war geteilt durch die Mauer. Der Ostteil der Stadt war die Hauptstadt der DDR. Neben der Darstellung der Geschichte der DDR gehört auch die Darstellung der Geschichte ihrer Hauptstadt dazu, von 1945 bis zur Einheit 1990. In diesen Zusammenhang gehört auch ein Mahnmal für die Opfer der DDR. - Die Bundesländer spielen im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Rolle. In der DDR hatten die Länder keine Bedeutung, sie war in Bezirke aufgegliedert. Die neuen Bundesländer entstanden im Zuge der Einheit. Eine geschichtliche Darstellung der Bundesländer, ihrer Gemeinsamkeiten und Besonderheiten, sollte in der Hauptstadt geleistet werden. - Insbesondere auch die Geschichte des vereinten Deutschland nach 1989 muss für jüngere Generationen aufgearbeitet und erzählt werden. Die 25 Jahre des Zusammenwachsens Deutschlands und insbesondere Berlins mit seinen Erfolgen und Schwierigkeiten bilden die Basis für unser Zusammenleben heute. Die Vollendung der inneren Einheit Deutschlands war in diesen 25 Jahren gerade in Berlin, wo aus Ost- und Westteil eine Stadt wurde, die zentrale Herausforderung. Berlin ist in diesen 25 Jahren aber auch historisch immer wieder ein Ort der Zuwanderung gewesen. Es ist an der Zeit, diesen Aspekt und die Chancen kultureller Vielfalt in der Entwicklung der Stadt auch zeitgeschichtlich stärker herauszuarbeiten. Berlin ist Heimat für Menschen, die aus vielen verschiedenen Regionen der Welt gekommen sind und die Stadt heute kulturell bereichern. - 4. Berlin als Bühne der Bundesländer und Regionen Berlin ist Teil der föderalen Vielfalt der Bundesrepublik Deutschland. Bundeshauptstadt zu sein bedeutet nicht Zentralisierung und Dominanz. Die Bundesländer mit ihren Regionen müssen sich in der Hauptstadt angenommen und repräsentiert wissen. Die Wahrnehmung Berlins als Hauptstadt ist bundesweit kein „Selbstläufer“, sondern bedarf der aktiven gemeinsamen Gestaltung. Berlin sollte sich folgende Aufgaben stellen: - Die Erwartungen der Bundesländer an ihre Hauptstadt immer wieder neu aufgreifen und erfragen. Angebote an die Bundesländer zur Darstellung und Profilierung in der Hauptstadt (Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft). Von Berlins Rolle als europäische Weltmetropole sollten auch die anderen Bundesländer profitieren. - Einbeziehung von Anregungen aus den Bundesländern bei der Gestaltung der Hauptstadt Berlin. - Die Bundesländer sind mit Vertretungen und Institutionen in Berlin präsent. Die Bundesländer erhalten von Berlin Unterstützung bei der Lösung konkreter Alltagsfragen ihrer Repräsentanzen. 3 5. Das Band des Bundes weiter gestalten Das Regierungs- und Parlamentsviertel ist immer noch unfertig. Teile zwischen Hauptbahnhof, Spreebogen, Kanzleramt, Paul-Löbe-Haus und Reichstag sind ungestaltetes Land und laden nicht zum Aufenthalt ein. Bei der weiteren Entwicklung des Bandes des Bundes herrscht Stillstand. Bei der Gestaltung und Pflege des Areals müssen die Kompetenzen von Bund, Senat und Bezirk effektiv abgegrenzt bzw. geklärt werden – im ganzheitlichen Sinne und im Interesse des Gesamtbildes der Hauptstadt Berlin. 6. Deutsche Hauptstadt in Weltoffenheit, europäischer und internationaler Verantwortung Berlin sollte eine Hauptstadt sein, die das Land nach außen gegenüber der Welt in einer Weise repräsentiert, mit der sich die Deutschen identifizieren und die international als weltoffen wahrgenommen wird. Deutsche Hauptstadt zu sein bedeutet heute auch immer, europäische Verantwortung wahrzunehmen. Berlin kann für Deutschland eine wichtige Rolle unter den Weltmetropolen spielen. Und Berlin kann bei der Aufnahme von Zuwanderern und Flüchtlingen Vorbild sein. Die aktuellen Flüchtlingswellen stellen Berlin ebenso wie alle anderen deutschen Kommunen vor neue Herausforderungen, bei denen es immer auch auf die grundsätzliche Haltung einer Stadt und ihrer Verantwortlichen ankommt. Berlin steht für eine Grundhaltung der Weltoffenheit und Solidarität, aber dies muss in die Bevölkerung hinein immer neu vermittelt werden. Im Zusammenhang mit der Hauptstadtrolle bietet sich eine zusätzliche Chance, die Bedeutung und den Wert einer solidarischen Flüchtlingspolitik zu vermitteln. Berlin kann auch ein Beispiel geben, wie die europäischen Hauptstädte dazu beitragen, Entwicklung und Identität Europas zu fördern und zu festigen. Es ist ein Beitrag zum Europa der Bürgerinnen und Bürger. Gleichzeitig rücken die Fragen der Stadtentwicklung und Stadtgestaltung immer stärker in den Fokus der europäischen Institutionen. Hier müssen die Metropolen des Kontinents selbst Impulse in Richtung Brüssel geben. Berlin hat 17 Städtepartnerschaften – europäische und außereuropäische. Diese Städtepartnerschaften sind mehr und auch weniger mit Leben erfüllt. Berlin sollte einzelne stärker zu strategischen Partnerschaften weiterentwickeln. Berlin sollte mit Unterstützung des Bundes europäische Hauptstädte einladen und einen Verbund europäischer Hauptstädte gründen. Der Erfahrungsaustausch kann sich auf Bereiche wie Wissenschaft, Wirtschaft, Energie, kommunale Versorgung, Stadtentwicklung und Kultur beziehen. Aber auch Jugendaustausch und Dialog zwischen den Zivilgesellschaften sind wichtig. Letzteres gilt vor allem auch für die Beziehungen zu osteuropäischen Hauptstädten wie Moskau, Budapest und Kiew. Der Austausch mit Weltmetropolen macht vor allem dann Sinn, wenn konkrete Projekte auf den Weg gebracht werden können und Berlin sich international gut darstellen kann. Dabei spielen aktuelle Themen wie Migration, Integration, Demographie, Städtebau und soziale Stadt eine zentrale Rolle. Über neue Städtepartnerschaften, wie z. B. zu Städten in Israel und arabischen Staaten, sollte nachgedacht werden. 7. Stärkung von Exzellenz in Berlin Berlin kann viel von anderen Regionen und Städten in Deutschland und der Welt lernen. Die Metropole Berlin kann und muss aber auch selbst Labor sein, zum „Label“ für die Innovationskraft und den Gründergeist Deutschlands werden sowie gesellschaftlich und wirtschaftlich bedeutsame Pilotprojekte initiieren. Berlin hat mit seinen Universitäten, Hoch- und Fachschulen, Forschungs4 instituten und Akademien eine europaweit einmalige Dichte an wissenschaftlichen Einrichtungen mit internationaler Ausrichtung. Dies bedeutet ein hohes Innovationspotenzial. Berlin ist und bleibt Industriestadt. Die Zukunft Berlins als Industriestandort rückt wieder deutlich stärker in den Mittelpunkt. Die Digitalisierung der Wirtschaft ist die Herausforderung der Zukunft. Über das Zusammenwirken von Wissenschaft, speziell dem IT-Sektor und Wirtschaft bietet sich langfristig die Chance, Berlin noch stärker zu einer internationalen Wirtschaftsmetropole zu entwickeln und eine hohe industrielle Wertschöpfung in der Stadt zu verankern. Insbesondere große nationale und internationale Firmen haben schon jetzt zunehmend ein Interesse daran, von Berlin aus zu agieren. Ihnen gegenüber sollte die Hauptstadt in besonderer Weise offen sein. Berlin ist Stadt der Gründer. Viele junge Talente aus Deutschland, Europa und der Welt kommen nach Berlin. Neue Start-Up-Unternehmen entstehen in den Bereichen IT, Medien, Werbung, neue Technologien. Die Chancen für die Stadt sind groß. International sagen manche, wer eine Startup-Firma gründen möchte, geht nach New York, Tel Aviv oder Berlin. Für Berlin und den Bund stellt sich die Chance zur Stärkung von deutscher Exzellenz in Berlin. Bund und Berlin können die Internationalität und die Ausstrahlungskraft der deutschen Hauptstadt nutzen. Berlin und Bund sollten gemeinsam Interesse daran haben, die Hauptstadt zu unterstützen und zum Aushängeschild für deutsche Kompetenz zu machen. Die Rahmenbedingungen, wie z. B. die digitale Infrastruktur, müssen deutlich verbessert werden. Dazu gehören ebenso Plattformen und Transferwege der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Forschung, ITUnternehmen, Start-Ups sowie bestehenden Unternehmen der Industrie, der Dienstleistungen und des Tourismus. Stand: 10. September 2015 5