Ernährungsforschung - Gesünder essen mit

Transcription

Ernährungsforschung - Gesünder essen mit
Ernährungsforschung
Gesünder essen mit funktionellen Lebensmitteln
FORSCHUNG
Ernährungsforschung
Gesünder essen mit funktionellen Lebensmitteln
FORSCHUNG
BILDUNG
Vorwort
Vorwort
Unsere Ernährung hat Auswirkungen auf den Gesund­
heitszustand und die Lebenserwartung eines jeden
Menschen. Das Leben gesundheitsbewusst und kör­
perlich, geistig und sozial aktiv zu führen, kann helfen,
Krankheiten zu vermeiden. Insbesondere Fettleibigkeit,
Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ein­
zelne Krebsarten stehen in einem engen Zusammen­
hang mit unserem Lebensstil. Besonders besorgniserre­
gend ist, dass auch immer mehr jüngere Menschen von
diesen Zivilisationskrankheiten betroffen sind.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) hat deshalb die Förderinitiative „Funktionelle
Ernährungsforschung“ auf den Weg gebracht. Ziel ist,
genauere Erkenntnisse über die Wechselwirkungen
von Lebensmitteln und menschlichem Organismus zu
gewinnen und so ein fundiertes Wissen über die Zu­
sammensetzung der Nahrung sowie die Funktionalität
einzelner Nahrungsbestandteile auf physiologischer,
zellulärer und molekularer Ebene zu erlangen.
Die vorliegende Broschüre stellt die Projekte der
Förderinitiative und die erzielten Forschungsergebnisse
zu funktionellen Lebensmitteln vor. Neue Erkenntnisse
der Ernährungsforschung tragen dazu bei, ernährungs­
und lebensstilabhängigen Erkrankungen gezielt vor­
beugen zu können.
Das BMBF baut seine Aktivitäten auf diesem For­
schungsgebiet weiter aus. Mit dem „Aktionsplan Prä­
ventions- und Ernährungsforschung“ bündeln wir alle
relevanten Forschungsansätze. Das Ziel: Die Gesund­
heit und das Wohlbefinden der Menschen in unserem
Land weiter zu verbessern. Gleichzeitig stärken wir
damit aber auch die internationale Wettbewerbsfähig­
keit der akademischen sowie der industriellen Ernäh­
rungsforschung in Deutschland.
Prof. Dr. Johanna Wanka
Bundesministerin für Bildung und Forschung
Inhalt
1
Inhalt
Funktionelle Ernährungsforschung
3
Die Projekte im Überblick
6
Mehr Geschmack trotz weniger Salz: Auf der Suche nach wirkungsvollen Salzgeschmacksverstärkern
7
Mit einer chemischen Formel fing es an
Prof. Frank Döring leitet Deutschlands ersten Lehrstuhl für Molekulare Ernährung
11
Übergewicht und Diabetes: Wie Fette und Kohlenhydrate das Erkrankungsrisiko beeinflussen
14
„Ernährung kann zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen“
Im Gespräch mit Prof. Gerald Rimbach, Universität Kiel
16
Die Heilkraft der Beeren: Vom Wirkstoff zum funktionellen Lebensmittel
18
Pflanzenfarben für Darm und Hirn: Anthocyane schützen Zellen vor Stress
22
Wenn harmlose Mikroben zum Problem werden
Prof. Dirk Haller erforscht die Wechselwirkungen von Darm und Bakterien
24
Lupinen für die Gefäßgesundheit:
Ballaststoffe aus den Samen der Hülsenfrucht senken den Cholesterinspiegel
27
Dreifach funktionelle Brötchen:
Weizen-Aleuron und probiotische Bakterien verringern das Darmkrebsrisiko
29
„Wir schaffen eine Schnittstelle zwischen Ernährungsforschung und Lebensmittelindustrie“
Im Gespräch mit Prof. Hannelore Daniel, ZIEL-TUM-Akademie
33
Achtung Angreifer! Wie sich die Darmschleimhaut gegen Krankheitserreger wehrt
35
Kohl gegen Krebs: Brokkoli & Co könnten zur Vermeidung von Tumorerkrankungen beitragen
37
Gesunder Genuss: Kaffee enthält zahlreiche Substanzen mit gesundheitsfördernden Wirkungen
41
Derselbe Ernährungsstil ist nicht für jeden gesund
Prof. Joachim Spranger untersucht die molekularen Grundlagen von Diabetes
45
Mit Hochdruck gegen Durchfall:
Ein neues Verfahren soll heilende Wirkstoffe reiner und kostengünstiger herstellen
48
„Funktionelle Ernährungsforschung erfordert die Zusammenarbeit von Akademia und Industrie“
Im Gespräch mit Prof. Dr. Joachim Schmitt, Hochschule Fulda
50
Metabolisches Syndrom:
Wie pflanzliche Proteine und Ballaststoffe den Krankheitsverlauf beeinflussen
52
Kontaktadressen
54
2�
3
FunktioneLLe ernährunGsForschunG
Funktionelle Ernährungsforschung
Was ist gesunde ernährung? ist für jeden Men­
schen dasselbe essen gesund? Was sollten speziel­
le Gruppen wie zum Beispiel kinder, ältere Men­
schen, Berufstätige, genetisch vorbelastete oder
kranke Menschen essen, damit sie gesund bleiben
oder nicht noch stärker erkranken? Zur Beant­
wortung dieser Fragen bedarf es wissenschaftlich
fundierter kenntnisse über die vielfältigen Wech­
selwirkungen zwischen nahrungsbestandteilen
und körperfunktionen. Die Generierung dieses
Wissen fördert das Bundesministerium für Bildung
und Forschung mit der Maßnahme „Funktionel­
le ernährungsforschung“: hierbei werden die
komplexen Einflüsse von Lebensmitteln auf die
menschliche Gesundheit untersucht und damit
die Grundlage für die entwicklung funktioneller
Lebensmittel mit speziellem Zusatznutzen ge­
schaffen.
Deutschland ist ausreichend mit Lebensmitteln
versorgt. Die Verbraucher können aus einem äußerst
vielseitigen Angebot an qualitativ hochwertigen
Nahrungsmitteln auswählen. Dennoch leiden immer
mehr Bundesbürger an Krankheiten, die durch falsche
Ernährung ausgelöst oder mitbedingt werden: Etwa
sechs Millionen Menschen sind zuckerkrank, weit über
300.000 erkranken jedes Jahr an Krebs, und ebenso
viele erleiden einen Herzinfarkt. Neben einer wach­
senden Zahl von übergewichtigen und fettsüchtigen
Erwachsenen sind vermehrt Kinder und Jugendliche
von Adipositas und diversen Folgeerkrankungen wie
Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen.
Zahlreiche wissenschaftliche Studien der jüngsten Zeit
kommen zu dem Schluss, dass auch die Entstehung von
Krebserkrankungen und chronischen Entzündungs­
prozessen insbesondere des Darms durch die Ernäh­
rung beeinflusst werden kann – zum Guten wie zum
Schlechten. Daher ist es von entscheidender Bedeutung
für den Einzelnen und für die Gesellschaft, die viel­
fältigen Einflüsse bestimmter Lebensmittel und ihrer
Bestandteile auf den Stoffwechsel und die Körperfunk­
tionen des Menschen genauer zu verstehen.
Um die dazu notwendigen Anstrengungen voran­
zutreiben, hat das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) eine Reihe von Fördermaßnahmen
zur Ernährungsforschung initiiert. Die Ernährungs­
forschung ist auch Teil der Hightech-Strategie für
Deutschland, mit der die Bundesregierung durch
Forschung und Innovationen neue Arbeitsplätze und
Wohlstand schaffen will. Die im Jahr 2002 begonnene
Aktion „Netzwerke der Molekularen Ernährungs­
forschung: Lebensmittel zur Gesunderhaltung des
Menschen – Krankheitsprävention durch Ernährung“
dient der strukturellen Stärkung einer ganzheitlich
ausgerichteten Ernährungsforschung, die sich durch
eine fachübergreifende Zusammenarbeit von Medizi­
nern, Biologen, Ernährungswissenschaftlern, Lebens­
mittelchemikern und Lebensmitteltechnologen aus­
zeichnet. Um die Nachhaltigkeit dieser Netzwerke zu
sichern, wurden an mehreren Universitäten zusätzliche
Professorenstellen und Arbeitsgruppen eingerichtet,
die über den Förderzeitraum hinaus Bestand haben.
Weiter gehend unterstützt das BMBF im Zuge eines
Wettbewerbs zum Forschungsschwerpunkt „Mole­
kulare Grundlagen der humanen Ernährung“ sieben
selbstständige Nachwuchsgruppen. Sie ermöglichen es
jungen Wissenschaftlern, bislang ungeklärte Mechanis­
FunktioneLLe ernährunGsForschunG
4
men der molekularen Wirkung von Nahrungsbestand­
teilen auf den Stoffwechsel zu charakterisieren und
deren Potenzial zur Prävention ernährungsassoziierter
Krankheiten auszuloten.
Die Initiative „Ernährungsforschung – für ein
gesundes Leben“ dient ebenfalls dazu, die Forschungs­
kompetenz im Bereich der akademischen und indus­
triellen Ernährungsforschung in Deutschland weiter
auszubauen. Die Fördermaßnahme gliedert sich in
Für funktionelle Lebensmittel gibt es in Deutschland
und in der EU bislang keine lebensmittelrechtlich
verbindliche Definition.
1995 wurde auf Anregung der EU-Kommission eine
gemeinsame Arbeitsgruppe über die Wissenschaft
funktioneller Lebensmittel in Europa („Functional
Food Science in Europe“, kurz: FUFOSE) eingerich­
tet. 1999 wurde folgender FUFOSE-Konsensus ver­
öffentlicht, an den sich unter anderem die amtliche
Lebensmittelüberwachung anlehnt:
„Ein Lebensmittel kann als ‚funktionell‘ angesehen
werden, wenn es über adäquate ernährungsphysio­
logische Effekte hinaus einen nachweisbaren posi­
tiven Effekt auf eine oder mehrere Zielfunktionen im
Körper ausübt, sodass ein verbesserter Gesundheits­
status oder gesteigertes Wohlbefinden und/oder
eine Reduktion von Krankheitsrisiken erreicht wird.
Funktionelle Lebensmittel werden ausschließlich in
Form von Lebensmitteln – und nicht wie Nahrungs­
ergänzungsmittel in arzneimittelähnlichen Darrei­
chungsformen – angeboten. Sie sollen Bestandteil
der normalen Ernährung sein und ihre Wirkungen
bei üblichen Verzehrsmengen entfalten. Ein funktio­
nelles Lebensmittel kann ein natürliches Lebensmit­
tel sein oder ein Lebensmittel, bei dem ein Bestand­
teil angereichert bzw. hinzugefügt oder abgereichert
bzw. entfernt worden ist. Es kann außerdem ein
Lebensmittel sein, in dem die natürliche Struktur
einer oder mehrerer Komponenten modifiziert oder
deren Bioverfügbarkeit verändert wurde. Ein funkti­
onelles Lebensmittel kann für alle oder für definierte
Bevölkerungsgruppen funktionell sein, zum Beispiel
definiert nach Alter oder genetischer Konstitution.“
Produkte, die mit Vitaminen oder Mineralstoffen
angereichert werden, zählen nicht zu den funktio­
nellen Lebensmitteln, da sie – über die Deckung des
Nährstoffbedarfs hinaus – keine zusätzliche gesund­
heitsfördernde Wirkung haben. Als funktionelle Zu­
taten im strengeren Sinne haben derzeit besonders
die präbiotischen Ballaststoffe sowie probiotische
Mikroorganismen die größte Marktbedeutung; sie
werden zur Anreicherung von Milchprodukten, Spei­
seeis, Getränken und Säuglingsnahrung eingesetzt.
Intensiv erforscht werden darüber hinaus verschie­
dene Gruppen der sekundären Pflanzenstoffe. Die
Bedingungen für die Auslobung eines funktionellen
Zusatznutzens regelt die seit dem 1. Juli 2007 gel­
tende europäische Health-Claims-Verordnung.
Prototyp eines funktionellen Lebensmittels: Dieser Gemüseburger enthält Ballaststoffe aus Lupinensamen, die cholesterinsenkend wirken.
5
FunktioneLLe ernährunGsForschunG
Geschulte Sensorik-Prüfer beurteilen die geschmacklichen Qualitäten funktioneller Lebensmittel.
Module mit unterschiedlichen Themenschwerpunk­
ten: Das erste Modul „Biomedizinische Ernährungs­
forschung“ konzentriert sich auf die molekularen und
physiologischen Wirkungsbeziehungen zwischen
Ernährung und Gesundheit – mit dem Ziel, passge­
naue funktionelle Lebensmittel zu entwickeln und
entsprechende Ernährungsempfehlungen zu formu­
lieren. Ein weiteres Modul fördert „Innovationen und
neue Ideen für den Ernährungssektor“; dazu wurden
in einem Ideenwettbewerb Mittel für die Förderung
von Nachwuchsgruppen und Forschungsprojekten
bereitgestellt. Auch diese Initiative dient dem Ziel, die
Ernährungs- und Gesundheitssituation in Deutschland
zu verbessern und sowohl den Ernährungswissenschaf­
ten als auch der Ernährungswirtschaft Impulse für eine
verstärkte Innovationstätigkeit zu geben.
Die genannten Förderprogramme knüpfen an die
Initiative „Funktionelle Ernährungsforschung“ an, die
im Herbst 2006 begonnen wurde und nach dreijähriger
Laufzeit zum Abschluss gekommen ist. Die insgesamt
13 Verbünde und ein Einzelvorhaben widmen sich
einem breiten Spektrum von Fragestellungen – von
der Aufklärung grundlegender Wirkzusammenhänge
bis zur Entwicklung von Lebensmittel-Prototypen mit
speziellem Zusatznutzen. Wichtiger Partner der Funkti­
onellen Ernährungsforschung ist die Industrie: Ins­
gesamt 29 kleine und mittelständische Unternehmen
aus der Lebensmittelbranche beteiligten sich an den
Verbundprojek ten und investierten etwa 4,3 Millionen
Euro für vorwettbewerbliche Forschung in die vom
BMBF mit 13 Millionen ausgestattete Fördermaßnah­
me. Durch diese Kooperation von akademischer und
Industrieforschung wird sichergestellt, dass die erziel­
ten Forschungsergebnisse gleichermaßen für Wissen­
schaft und Wirtschaft zugänglich gemacht und so rasch
wie möglich in Technologien und Produkte umgesetzt
werden können.
Das Förderprogramm zur Funktionellen Ernäh­
rungsforschung zeichnet sich durch seine große
Vielfalt an Fragestellungen, Untersuchungsmethoden
und Anwendungspotenzialen aus. Mehrere Projek­
te befassen sich mit der Prüfung und Bereitstellung
bislang wenig genutzter Pflanzenstoffe, die der Ent­
wicklung von Fettleibigkeit und Diabetes vorbeugen
können. Ein anderer Forschungsschwerpunkt liegt in
der Untersuchung potenziell gesundheitsfördernder
Eigenschaften verschiedener Pflanzeninhaltsstoffe
und deren Eignung zur Prävention oder Linderung
von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Ge­
fäßerkrankungen oder Prostatakrebs. Weitere Projekte
befassen sich mit dem Einfluss von Mikroorganismen
auf Entzündungen des Magen-Darm-Trakts, mit der
Identifizierung von Salzgeschmacksverstärkern zur
Anwendung in kochsalzarmen Lebensmitteln oder mit
der Sicherheitsprüfung von Lebensmitteln mithilfe
von Biosensoren. Ziele und Ergebnisse sämtlicher
Forschungsprojekte werden auf den folgenden Seiten
vorgestellt.
Die Projekte iM ÜBerBLick
6
Die Projekte im Überblick
Universität Kiel
S. 11, 16
3
KIEL
HAmBURG
Deutsches Institut
für Lebensmittel­
technik (DIL)
S. 48
Tchibo GmbH
S. 41
Deutsches Institut
für Ernährungs­
forschung (DIfE)
Potsdam-Rehbrücke
S. 7, 14, 45, 52
QUAKENBRÜCK
Universität
Potsdam
S. 18
POTSDAM
MüNSTERganzseitige Projektkarte – wird noch ergänzt
Universität
Münster
S. 22
JENA
Universität Jena
S. 29
Deutsches
Krebsforschungs­
zentrum (DKFZ)
S. 35, 37
HEiDELBERG
Fraunhofer-Institut
für Verfahrenstechnik
und Verpackung
S. 27
Wissenschaftszentrum
Weihenstephan
an der TU München
S. 24
FREISING
ZIEL-TUM-Akademie
an der TU München
S. 33
Kontaktadressen der Projektkoordinatoren finden Sie auf Seite 54.
7
Mehr GeschMack trotZ WeniGer saLZ
Mehr Geschmack trotz weniger Salz:
Auf der Suche nach wirkungsvollen
Salzgeschmacksverstärkern
salz – genauer gesagt: natriumchlorid – ist für alle
wesentlichen Lebensfunktionen unverzichtbar. in
modernen Gesellschaften übersteigt die aufnahme
von kochsalz jedoch um ein Vielfaches die phy­
siologischen Bedürfnisse des körpers und erhöht
das risiko von Gefäßerkrankungen, schlaganfall
und herzinfarkt. in einem vom BMBF geförderten
Verbundprojekt suchen ernährungswissenschaftler
gemeinsam mit Lebensmittelchemikern und einem
führenden aromahersteller nach substanzen, die
den salzgeschmack verstärken: sie sollen eine re­
duzierung des kochsalzgehaltes in Lebensmitteln
ermöglichen, ohne deren Geschmacksqualitäten zu
beeinträchtigen.
„Auf Arbeit folgt fast immer auch eine Belohnung“, sagt
Wolfgang Meyerhof mit Blick auf sein Studienobjekt.
Der Wissenschaftler leitet die Abteilung Molekulare
Genetik am Deutschen Institut für Ernährungsfor­
schung (DIfE) und beschäftigt sich mit jenen biologi­
schen Strukturen, die sich im Laufe der Evolution als
Teil eines besonderen Belohnungssystems entwickelt
haben: die Geschmackssinneszellen. „Der Salzgehalt
von Speisen geht mit Wohlgeschmack einher. Und
dieser Wohlgeschmack ist die Belohnung, die uns dazu
antreibt, salzhaltige Nahrungsmittel zu erschließen
und zu verzehren“, erklärt Meyerhof.
Leider scheint der Körper nicht zu merken, wann
er sich zu viel des Guten holt. Zahlreiche Studien
belegen, dass ein dauerhaft überhöhter Salzkonsum
– zusammen mit weiteren Risikofaktoren – das
Auftreten von Bluthochdruck und schwerwiegender
Folgeerkrankungen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt
fördert. „Umgekehrt lässt sich zeigen, dass eine Redu­
zierung des Kochsalzkonsums diese Symptomatiken
wieder verbessern kann“, betont Meyerhof. Deshalb
mahnen Ernährungswissenschaftler schon seit
Langem, den täglichen Salzkonsum – also auch den
Salzgehalt in verarbeiteten Lebensmitteln – drastisch
Geschmackstest in einer Sensorikkabine. in Wasser gelöste potenzielle Salzgeschmacksverstärker werden mit standardisierten Kochsalzlösun­
gen verglichen. Rotes Licht in der Testkabine dient dazu, mögliche Farbeffekte der Proben zu kaschieren.
Mehr GeschMack trotZ WeniGer saLZ
8
Der Salzgeschmack wird beim menschen vermutlich durch das als ionenkanal fungierende ENaC-Protein vermittelt. in einer Geschmackspore
(im linken Bild durch einen ENaC-Antikörper braun gefärbt) befindet sich eine Vielzahl solcher ionenkanäle an der Spitze von Geschmackssinneszellen; diese bilden zusammen eine zwiebelförmige Geschmacksknospe (durch gestrichelte Linie umgrenzt). Zahlreiche Geschmacksknospen
(braune Strukturen im mittleren Bild) liegen eingebettet im Epithel einer Geschmackspapille, die von einer grabenartigen Einbuchtung umgeben
ist (im rechten Bild im Gewebeschnitt). in den Einbuchtungen gelangt das im Speichel gelöste Natrium des Kochsalzes zu den ENaC-Kanälen.
zu senken. Doch mit einfachem Weglassen ist es nicht
getan; schwächer gesalzene Speisen empfindet der Ver­
braucher als fad und kauft sie nicht mehr. Daher sucht
Wolfgang Meyerhof zusammen mit seinen Verbundpart­
nern nach einer Alternative: „Wir wollen Stoffe isolieren
und charakterisieren, die eine geringe Salzkonzentrati-
Wo sich das salz versteckt
Nach Lebensmitteln mit besonders hohem Salz­
gehalt gefragt, tippen die meisten Verbraucher auf
Salzstangen, Chips und andere Snacks. Tatsächlich
aber steuern solche Produkte nur etwa 5 % zu der
Salzmenge bei, die mit der Nahrung in den Körper
gelangt. Das meiste Salz nehmen wir indirekt zu
uns. Extrem salzhaltig ist beispielsweise traditionell
hergestellte Pizza mit Salami, denn sie kombiniert
zwei besonders starke Kochsalzquellen: 35 % der
täglich aufgenommenen Salzmenge versteckt sich in
Brot und anderen Getreideprodukten – insbesondere
auch in süßen Backwaren –, weitere 25 % in Fleischund Wurstprodukten. Gewöhnliches Brot enthält be­
zogen auf seinen mehlanteil 1,5 % Kochsalz. Schon
ein verringerter Gehalt von 1 % wird vom durch­
schnittlichen Verbraucher als geschmacklos emp­
funden; dagegen schneidet Brot mit einem erhöhten
Salzgehalt von 2 % bei vielen Testpersonen besser ab
als normal gesalzenes Brot. Diese Vorlieben vereiteln
die Bemühungen von Ernährungswissenschaftlern,
den derzeitigen Kochsalzverzehr der Bundesbürger
nennenswert zu senken.
on wie eine vergleichsweise höhere Salzkonzentration
schmecken lassen, also den Salzgeschmack verstärken.“
Mit der Suche nach geeigneten Substanzen be­
schäftigt sich Thomas Hofmann, der den Lehrstuhl für
Lebensmittelchemie und Molekulare Sensorik an der
TU München innehat und dort zugleich die Abteilung
Bioanalytik des Zentralinstituts für Ernährungs- und
Lebensmittelforschung leitet. Hofmann hat bereits im
Jahr 2003 einen überaus wirkungsvollen Geschmack­
modulator namens Alapyridain entdeckt. Er ist ein Pro­
dukt aus der Maillard-Reaktion: So nennt man Stoffe,
die beim Kochen und Braten roher Lebensmittel durch
komplexe chemische Reaktionen aus Kohlenhydraten
und Aminosäuren entstehen und häufig geschmacksoder geruchsaktiv wirken. Daher konzentrierte sich der
Chemiker auch diesmal zunächst auf Maillard-Produk­
te: „Wir haben ausgewählte Zucker und Aminosäuren
‚ex food‘, also im Reagenzglas, erhitzt und aus den
Reaktionsprodukten Extrakte hergestellt. So konnten
wir eine Vielzahl von Extrakten erzeugen, von denen
jeder mehrere Hundert Einzelsubstanzen enthält.“ Zwei
dieser Extrakte zeigten in sensorischen Tests salzge­
schmacksmodulierende Effekte.
Als weitere Quelle für potenziell wirksame Sub­
stanzen nutzen Hofmann und seine Kollegen Prote­
inhydrolysate, zu denen etwa Soja- oder Fischsoßen
zählen. Diese Stoffgemische werden durch enzymati­
sche Spaltung von Eiweißen hergestellt und enthalten
als Abbauprodukte eine Vielzahl unterschiedlicher
Peptide. Thomas Hofmann: „Handelsübliche Prote­
9
Mehr GeschMack trotZ WeniGer saLZ
Unreife Eizellen des südafrikanischen Krallenfrosches (links, im Blick durch ein Binokular gezeigt) sollen in ihrer Zellmembran das ENaC-Protein
ausbilden, das vermutlich den Salzgeschmack beim menschen vermittelt. Dazu wird mithilfe feiner Glaskapillaren die genetische Vorlage in
Form der RNA für das Protein ins innere jeder Eizelle injiziert (rechtes Bild).
inhydrolysate sind bekanntlich sehr würzig. Deshalb
wollten wir überprüfen, ob es darin Peptide gibt, die
den Salzgeschmack modulieren. Außerdem haben wir
mittels enzymatischer sowie saurer Hydrolyse auch
eigene Proteinhydrolysate aus Lebensmittelproteinen
hergestellt. So erhält man extrem komplexe PeptidMischungen, die wir chromatografisch in Fraktionen
aufgetrennt haben.“ Zusätzlich verfügen die Münchner
Lebensmittelchemiker über 400 unterschiedliche Pep­
tide, die aus je zwei oder drei Aminosäuren bestehen.
„Einige Hundert dieser zahlreichen Substanzen
haben wir in unserem Bioassay auf ihre Wirkung als
Salzgeschmacksverstärker getestet“, berichtet Wolfgang
Meyerhof. Dabei kamen speziell präparierte FroschOozyten zum Einsatz, die genau jene Rezeptoren in sich
trugen, die beim Menschen vermutlich die Wahrneh­
mung des Salzgeschmacks ermöglichen. Oozyten sind
unbefruchtete Eier, die vergleichsweise groß und robust
sind und eine entscheidende Eigenschaft haben: Sie
blockieren ihre zelleigene Boten-RNA, um die Bildung
von Proteinen zu verhindern – schließlich werden
diese ja erst nach der Befruchtung zur Versorgung des
Embryos gebraucht. Von außen eingeschleuste RNA ist
von dieser Blockade ausgenommen. Das machen sich
die Ernährungsforscher am DIfE zunutze: Sie injizieren
die genetische Vorlage für ein Protein namens ENaC, das
aller Wahrscheinlichkeit nach den Salzgeschmack beim
Menschen vermittelt (siehe nebenstehenden Kasten).
Die so behandelten Oozyten enthalten in ihrer Zell­
membran Ionenkanäle – eben die ENaCs –, durch die
Natrium-Ionen fließen können.
salzig, sauer, süß und bitter …
… sowie „umami“ (japanisch für fleischig, herzhaft, wohlschmeckend) – das sind die fünf bislang
bekannten Grundqualitäten des Geschmackssinns.
Sie lösen zusammen mit Gerüchen, Tast- und
Temperaturwahrnehmungen jene Empfindung
aus, die wir als Geschmack bezeichnen. Die je­
weils zuständigen Sinneszellen befinden sich, zu
Geschmackspapillen gebündelt, in der Zunge und
in den Schleimhäuten der mundhöhle. Für die Qua­
litäten bitter, süß und umami sind die molekularen
Strukturen, die als Rezeptoren fungieren und Sin­
nessignale weiterleiten, mittlerweile gut charakteri­
siert. Dagegen sind die Details der Wahrnehmung
von sauer und salzig bis heute ungeklärt. Als wahr­
scheinlichster Kandidat für den Salzrezeptor bei
Säugetieren gilt ein in den Epithel-(= Schleimhaut-)
zellen von Zunge und Rachenraum ausgebildeter
Natriumkanal, kurz ENaC. Dieser Kanal wird von
einem Protein gebildet, das aus vier Untereinheiten
(2 x α, 1 x β, 1 x γ) besteht und auch in den Epi­
thelien der Niere oder Lunge wichtige Funktionen
erfüllt. Wie Wolfgang meyerhof und Kollegen zei­
gen konnten, ist das ENaC-Protein beim Menschen
abgewandelt: Anstelle der γ-Untereinheit enthält
es eine leicht veränderte δ-Form. Das modifizierte
Kanalprotein kommt in den Geschmackspapillen
von Zunge und Rachenraum vor und vermittelt dort
vermutlich die Salzwahrnehmung.
10
Wolfgang Meyerhof erklärt, wie sein Testsystem
funktioniert: „Wir legen unsere Oozyten in eine Koch­
salzlösung zwischen zwei Elektroden und messen den
Strom, der durch die Zellmembran fließt. Dann geben
wir unsere Testsubstanz dazu und sehen nach, ob sich
die Leitfähigkeit der Membran ändert. Falls der Strom­
fluss größer wird, schließen wir daraus, dass unsere
Substanz den ENaC-Kanal aktiviert – also genau den
Verstärkungseffekt hat, den wir uns wünschen.“
Tatsächlich lösten in diesem Bioassay unerwar­
tet viele Substanzen einen stärkeren Stromfluss aus,
erzählt Meyerhof: „Keiner von uns hat damit gerechnet,
dass es so viele positive Hits geben würde. Jetzt sind
wir damit beschäftigt, sämtliche Kandidaten näher zu
betrachten.“ Auffällig ist die Vielfalt der wirksamen
Strukturen; sie umfassen Maillard-Reaktionsprodukte
ebenso wie basische und saure Peptide. „Es ist durchaus
möglich, dass wir es mit mehreren Funktionsprinzipien
zu tun haben; darüber können wir bislang nur speku­
lieren“, so der DIfE-Forscher. Trotz der erfreulich hohen
Trefferzahl sind die Projektpartner noch längst nicht
am Ziel. Denn der eigentliche Bewährungstest jeder
Substanz besteht darin, ob er wirklich den Salzge­
schmack beim Konsumenten verstärkt.
Um dies herauszufinden, hat Thomas Hofmann
15 Freiwillige darin geschult, die Intensität zweier
Kochsalzlösungen mit und ohne Zusatz einer Testsub­
stanz zu vergleichen. „Dabei kam heraus, dass eine 50
millimolare Kochsalzlösung zusammen mit einem
unserer Kandidaten genauso salzig schmeckt wie eine
70 millimolare reine Kochsalzlösung – das ist also eine
Steigerung von 40 %“, berichtet der Münchner Wis­
senschaftler. Ähnliche sensorische Experimente führt
Jakob Ley in den Labors der Symrise GmbH & Co KG
in Holzminden durch. Das weltweit agierende Unter­
nehmen ist auf die Herstellung von Aromastoffen und
funktionellen Inhaltsstoffen für Lebensmittel speziali­
siert; als kompetenter Industriepartner koordiniert es
das aus dem BMBF-Verbundprojekt hervorgegangene
Folgevorhaben und trägt 50 % dessen Kosten. Jakob
Ley erklärt, worin sich seine Studien von denen an der
TU München unterscheiden: „Wir lassen die Reinsub­
stanzen nicht nur in Kochsalzlösung testen, sondern
auch in klarer Brühe, Ketchup sowie brauner und
Béchamel-Soße – also in Modellsystemen, die fertigen
Nahrungsmitteln ähnlicher sind. Die darin enthaltenen
anderen Aroma- und Geschmacksstoffe sowie Stärke
Mehr GeschMack trotZ WeniGer saLZ
und weitere Dickungsmittel können den Salzge­
schmack und auch dessen Verstärkung offenbar mehr
oder weniger stark beeinflussen.“ Tatsächlich bewerten
die Testpersonen die Salzigkeit vieler Testsubstanzen je
nach Darreichungsform durchaus unterschiedlich.
Diskrepanzen zeigen sich auch zwischen den senso­
rischen Studien und dem Bioassay. Einige Substanzen,
die beim Oozyten-Test besonders gut abgeschnitten
hatten, fielen bei den Probanden glatt durch. „Dass die
Abweichungen so groß waren, hatten wir nicht erwar­
tet“, sagt Wolfgang Meyerhof, „deshalb sind wir nun
dabei, mögliche Ursachen abzuklären.“
Insgesamt zieht der Ernährungsforscher eine
positive Bilanz: „Wir haben zahlreiche Stoffe identifi­
ziert, die in beiden Testsystemen verstärkend auf den
mutmaßlichen Salzrezeptor einwirken.“ Nun arbeitet
sein Münchner Kollege Hofmann daran, ausgewählte
Substanzen chemisch so zu modifizieren, dass sie ihre
erwünschte Wirkung bei deutlich geringerer Konzen­
tration erreichen. Ein vielversprechender Kandidat ist
bereits gefunden und zur Patentierung angemeldet.
Acht mit menschlichem ENaC-Protein ausgestattete Frosch-Oozy­
ten werden parallel getestet. Dazu liegt jede Eizelle in einer mess­
kammer (Bildmitte) und wird mit Perfusionslösung umspült. Jede
Oozyte wird von zwei Elektroden rechts und links der Messkammer
penetriert, um die Spannung der Zellmembran konstant zu halten.
Die Zugabe von Testsubstanzen zur Perfusionslösung verändert die
membranleitfähigkeit. Die sich daraus ergebenen Stromänderungen
werden aufgezeichnet und dienen als maß der Zellantwort.
11
Mit einer cheMischen ForMeL FinG es an
Mit einer chemischen Formel fing es an
Prof. Frank Döring leitet Deutschlands ersten lehrstuhl für Molekulare Ernährung
Was muss ich essen, um beim 5000-Meter-Lauf
zu punkten? sportlicher ehrgeiz motiviert Frank
Döring schon als schüler, sich mit ernährungsfra­
gen zu beschäftigen. heute hat der geborene Friese
an der universität kiel Deutschlands erste Profes­
sur für Molekulare ernährung inne. Damit gehört
der Wissenschaftler zu den Pionieren einer neuen
Forschungsrichtung namens nutrigenomik. er will
verstehen, wie Lebensmittelbestandteile den Fett­
stoffwechsel und damit verbundene krankheiten
beeinflussen und welche Rolle dabei der indivi­
duellen genetischen ausstattung eines Menschen
zukommt.
Mit einer chemischen Formel namens ATP fängt es an.
Das Kürzel steht für Adenosintriphosphat und bezeich­
net die universelle Energiewährung aller Lebewesen.
„Das tauchte in allen Ernährungs- und Trainings­
büchern auf, und ich wollte verstehen, was dahin­
tersteckt“, erinnert sich Frank Döring. Damit ist sein
Interesse an eben jenen beiden Disziplinen geweckt, die
er heute in seiner Professur vereint: Ernährungswissen­
schaft und Molekularbiologie. So zielstrebig sein beruf­
licher Werdegang im Rückblick erscheint, so untypisch
hat er begonnen. „Anders als viele Studierende hab‘ ich
erst mal was Vernünftiges gemacht“, sagt Döring.
Geboren 1962 in Hooksiel, Friesland – Hauptschul­
abschluss – Berufsausbildung Verkäufer (Rundfunk, TV)
– Karstadt Wilhelmshaven, so steht es in seiner Vita.
„Dann Realschulabschluss nachgeholt, Abitur gemacht
und an der Uni Gießen mit Oecotrophologie angefan­
gen“, ergänzt Döring: „Doch außer Sprachen hätte ich
eigentlich alles studieren wollen.“ Die Grundlagen der
angewandten Informatik fesseln ihn ebenso wie die
erkenntnistheoretischen Vorlesungen von Gerhard
Vollmer und Odo Marquard. „Aber ich war realistisch
genug, die Philosophie als Spielbein zu betrachten.
Mein Standbein war immer die Ernährungswissen­
schaft“, betont der Forscher. Als Zusatzfach belegt er
Angewandte Biochemie, denn er will schon damals,
im Jahr 1989, Ernährung auf der molekularen Ebene
verstehen. Mit dem Diplom in der Tasche, geht er ans
Göttinger Max-Planck-Institut für Biophysikalische
Chemie und schreibt dort seine Doktorarbeit über ein
spezielles Gen der
Bäckerhefe. „Eine
solche Phase sehr
starker Spezialisie­
rung als Ergänzung
zu einem breiten
Hauptstudium
empfehle ich jedem
Ernährungswissen­
schaftler“, sagt Frank
Döring heute.
1995 zieht es den
frisch Promovierten
wieder zurück in sei­
Frank Döring, Universität Kiel
ne Disziplin, zurück
an die Universität Gießen. Damals beschäftigt sich das
Gros seiner Kollegen mit klassischer Ernährungsphy­
siologie. Dagegen verknüpft Hannelore Daniel – als
eine der Ersten ihres Fachs – ernährungswissenschaft­
liche Fragestellungen mit molekularen Ansätzen. Ihr
Labor ist somit genau die richtige Adresse für Frank
Döring, der die Molekularbiologie in Göttingen von der
Pieke auf gelernt hat und überdies Spaß an der Lehre
hat: „Damals wie heute sage ich meinen Studenten:
Wenn ihr den Fettstoffwechsel verstehen wollt, dann
müssen wir uns mal genauer ansehen, welche Gene da
beteiligt sind und welche individuellen Unterschiede
sich durch einzelne Genvarianten ergeben.“
Gemeinsam mit Hannelore Daniel will Döring he­
rausfinden, wie Nährstoffe von körpereigenen Biomolekülen aufgenommen und durch die Darmschleimhaut
transportiert werden. Dazu exprimiert und charakteri­
siert er die Gene, die den Transport kurzer Eiweißmo­
leküle, sogenannter Peptide, vermitteln. Die Ergebnisse
präsentiert er im Jahr 2000 in seiner Habilitations­
schrift – und wird dafür von der Deutschen Gesell­
schaft für Ernährung mit dem Hans Adolf Krebs Preis
für herausragende Grundlagenforschung geehrt. An­
schließend wechselt er an die TU München, wo Daniel
inzwischen eine Professur für Ernährungsphysiologie
angenommen hat (siehe Interview auf Seite 33).
Zusammen gehen die beiden Pioniere der Frage
nach, wie sich ein Mangel an Zink auf den menschli­
chen Organismus auswirkt. Denn das Spurenelement
12
Mit einer cheMischen ForMeL FinG es an
An weißen Blutkörperchen vom menschen, sogenannten monocyten (a und b unter dem Lichtmikroskop, c und d mit Fluoreszenzfarbstoffen
markiert), werden die Zusammenhänge zwischen Fettstoffwechsel und Entzündungsreaktionen untersucht.
ist ein wesentlicher Bestandteil sogenannter Tran­
skriptionsfaktoren, die die Expression von Genen
steuern. „Wir wollten wissen, welche Gene von Zink
reguliert werden. Also haben wir Prototypen von
DNA-Chips genutzt, mit denen wir an die 10.000 Gene
screenen konnten. Überraschenderweise kam dabei
heraus, dass Zink an der Regulation des Fettstoffwech­
sels beteiligt ist“, berichtet der Wissenschaftler. Im Jahr
2002 sind solche Chips eine kleine Revolution; heute
gehören sie zur molekularbiologischen Standardaus­
rüstung und erlauben die Analyse ganzer Genome.
„Genau genommen haben wir damals schon Nutri­
genomik betrieben – lange bevor dieses Schlagwort
erfunden wurde“, so Döring.
Mit finanzieller Unterstützung des BMBF gründet
der Nachwuchswissenschaftler eine eigene Arbeits­
gruppe an der Universität Kiel, um dort das neue
Forschungsfeld „Molekulare Ernährung“ einzuführen.
Überzeugt von diesem innovativen Ansatz entschließt
sich das Land Schleswig-Holstein bereits zwei Jahre
später, eine neue Professur mit dieser Widmung – es
ist die erste in Deutschland – zu schaffen und Frank
Döring zu berufen. Der Lehrstuhlinhaber erklärt,
worum es dabei geht: „Im Mittelpunkt steht die Frage:
Was macht Nahrung mit den Genen und warum kann
die gleiche Ernährung bei verschiedenen Personen
unterschiedlich wirken?“ Solche individuellen Un­
terschiede findet Döring bei Patienten mit Typ-IIDiabetes: Mit einer neuen Generation von Genchips
und anderen Hochdurchsatztechnologien gelingt es
ihm nachzuweisen, dass zuckerkranke Menschen sehr
unterschiedlich auf den Verzehr gesättigter Fettsäu­
ren reagieren – je nachdem, welche Variante eines
bestimmten Risikogens sie besitzen. Und er kann
diese Unterschiede auf eine veränderte Genregulation
zurückführen.
Was für Diabetes gilt, lässt sich auch für viele andere
Volkskrankheiten zeigen: Die Träger bestimmter
Genvarianten können Stärke und Verlauf ihrer Leiden
durch ihre Essgewohnheiten stärker senken als andere.
„Das führt uns zum Konzept einer personalisierten
Ernährung und zur Entwicklung funktioneller Lebens­
mittel“, erklärt Döring. Dieses Konzept verfolgt ein vom
BMBF finanziertes Forschungsvorhaben zur Gefäßge­
sundheit unter Leitung von Dörings Kieler Kollegen
Gerald Rimbach (siehe Interview auf Seite 16). Im Fokus
dieses Vebundprojekts stehen die gesundheitsför­
dernden Effekte des Pflanzenfarbstoffs Quercetin. Wie
13
Mit einer cheMischen ForMeL FinG es an
sich zeigte, profitieren gefäßkranke Patienten unter­
schiedlich stark von der regelmäßigen Einnahme dieser
Wirksubstanz – je nachdem, welche von vier möglichen
Varianten eines ApoE genannten Gens sie besitzen.
„ApoE3-Träger können ihr Ateriosklerose-Risiko durch
Quercetin möglicherweise stärker reduzieren als ApoE4Träger“, betont Döring, der die Blutzellen der Probanden
mittels Genexpressionsanalysen untersucht hat. Eine
Vielzahl von mittelständischen und großen Unterneh­
men aus der deutschen Lebensmittelindustrie beteiligt
sich im Rahmen des Verbundprojekts an der Entwick­
lung quercetinangereicherter Produkte. Sie könnten
künftig als funktionelle Lebensmittel einen Beitrag zur
Gefäßgesundheit bestimmter Risikopatienten liefern.
Noch weiter in die Zukunft zielt ein weiteres BMBFProjekt unter Federführung von Frank Döring. Unter
dem Titel „Vision Epifood“ treibt es die Entwicklung
einer zweiten Generation von funktionellen Lebens­
mitteln voran, die auf strukturelle Veränderungen der
Erbsubstanz abzielen. Mit diesem Forschungsansatz be­
tritt der Ernährungswissenschaftler abermals Neuland
Durch markierung mit einem grün fluoreszierenden Protein lässt
sich ein an der Aktivierung von Fettsäuren beteiligtes Enzym in der
Zelle lokalisieren (rot: mitochondrien, blau: Zellkern).
und ist damit auch im Kieler Exzellenzcluster „Entzün­
dung an Grenzflächen“ vertreten.
Mit leistungsfähigen Genchips gelingt es nachzuweisen, dass zucker­
kranke Menschen sehr unterschiedlich auf den Verzehr gesättigter
Fettsäuren reagieren – je nachdem, welche Variante eines bestimm­
ten Risikogens sie besitzen.
„Nutriepigenomik“ heißt die vielversprechende
Disziplin, die sich mit den dauerhaften und genom­
weiten Veränderungen genetischer Aktivität befasst.
Im konkreten Fall geht es darum, einen verringerten
Kalorienbestand vorzutäuschen. Denn es gibt klare
Hinweise, dass eine eingeschränkte Kalorienzufuhr die
Gesundheit nachhaltig fördert und das Leben verlän­
gert, indem sie den Fettstoffwechsel sowie Entzün­
dungsvorgänge in Organismen beeinflusst. Die mole­
kularen Grundlagen dieser Wechselwirkungen sollen
an Fruchtfliegen, Mäusen, Schweinen und schließlich
auch an Menschen erforscht werden. Parallel dazu su­
chen die Verbundpartner nach pflanzlichen Extrakten,
die dem Körper mittels epigenetischer Effekte einen
verminderten Kalorienbestand vortäuschen. Frank
Döring betont den Grundlagen- und Anwendungsbe­
zug dieses ehrgeizigen Vorhabens: „Einerseits wollen
wir verstehen, wie Nahrungsenergie unser Epigenom
dauerhaft verändern kann. Andererseits soll unsere
Forschung übergewichtigen Menschen helfen, die auf­
grund entzündlicher Prozesse besonders gesundheits­
gefährdet sind. Molekulare Ernährungsforschung hat
also einen erkenntnisstiftenden und praktischen Sinn.“
14
ÜBerGeWicht unD DiaBetes
Übergewicht und Diabetes:
Wie Fette und Kohlenhydrate das Erkrankungs­
risiko beeinflussen
ob ein Mensch im Laufe seines Lebens an adipo­
sitas oder Diabetes erkrankt, hängt zum teil von
seinem Lebensstil – insbesondere der ernährung
– ab, zum teil aber auch von seiner genetischen
ausstattung. Wissenschaftler des Deutschen ins­
tituts für ernährungsforschung (Dife) in Potsdam
spüren Genvarianten auf, die in abhängigkeit von
bestimmten nahrungsbestandteilen das Diabetes­
risiko beeinflussen. Ihr überraschender Befund:
kohlenhydrate spielen eine bedeutendere rolle als
Fette.
„Entscheidend für die Entstehung von Übergewicht
und Diabetes ist nicht nur, wie viel und was wir essen,
sondern auch, wie wir die aufgenommene Nahrung
in unserem Körper umsetzen“, sagt Hans-Georg Joost,
wissenschaftlicher Direktor des DIfE. Dass es dabei
große Unterschiede gibt, lässt sich eindrucksvoll an
verschiedenen Mausstämmen beobachten (siehe Bild):
Die „New Zealand obese“-Maus nimmt durch fettrei­
ches Futter sehr schnell an Gewicht zu, wird adipös
und erkrankt schließlich an Typ-2-Diabetes. Dagegen
Mäuse des „New Zealand obese“-Stamms (links) nehmen bei einer
fettreichen Diät schnell an Gewicht zu und erkranken schließlich an
Diabetes. Dagegen bleiben Artgenossen des „Swiss Jim Lambert“Stamms (rechts) wegen eines Gendefekts bei gleicher Ernährung
schlank.
nehmen Mäuse des „Swiss Jim Lambert“-Stamms trotz
einer ebenso fettreichen Diät kaum zu und haben kei­
nen überhöhten Blutzuckerspiegel.
Durch gezielte Rückkreuzungsexperimente zwi­
schen diesen beiden Mausstämmen konnten HansGeorg Joost und sein DIfE-Kollege Hadi Al-Hasani das
Gen identifizieren, das die Nager trotz fettreicher Kost
schlank bleiben lässt und vor Diabetes schützt. Dieses
Gen interagiert mit allen bisher bekannten Diabetes­
genen und spielt zugleich eine wesentliche Rolle bei
der Regulation des Fett- und Glucosestoffwechsels. „Wir
haben diese äußerst zeitaufwendigen Experimente vor
mehr als zehn Jahren begonnen und nun – auch mit
finanzieller Förderung des BMBF – zu einem guten
Ende gebracht“, freut sich Joost. Doch damit nicht ge­
nug: Zusammen mit Stephan Scherneck vom DIfE hat
der Mediziner ein weiteres neues Risikogen für Typ­
2-Diabetes identifiziert und zudem den Mechanismus
seiner Regulation entdeckt: „Wir konnten zeigen, dass
die Wirkung des Risikogens Zfp69 bei einigen Maus­
stämmen durch ein Transposon, das heißt ein Erb­
gutfragment viralen Ursprungs, abgeschwächt wird“,
erklärt Joost. Das neu entdeckte Diabetesgen lässt sich
auch beim Menschen nachweisen. Von der Aufklärung
der Genfunktionen erhoffen sich die Forscher daher
wichtige Impulse für die Vorbeugung und Behandlung
von Übergewicht und Diabetes.
In dem vom BMBF geförderten Projekt zur Funk­
tionellen Ernährungsforschung will Hans-Georg Joost
nun herausfinden, ob sich die Entstehung von Diabetes
bei „New Zealand obese“-Mäusen durch Nahrungs­
komponenten modifizieren lässt. Zahlreiche Studien
weisen auf einen günstigen Einfluss von Omega3-Fettsäuren wie der Linolensäure hin, die vor allem
in Seefischen und bestimmten Pflanzenölen enthalten
sind. Ob diese Öle sich tatsächlich zur Vorbeugung
von Diabetes eignen, sollte durch Fütterungsversu­
che an den zu Übergewicht und Diabetes neigenden
Mäusen überprüft werden. „Unser Industriepartner,
die Norddeutsche Pflanzenzucht Hans-Georg Lembke
KG, hat drei verschiedene Rapssorten mit unterschied­
lich hohen Gehalten an Linolensäure zur Verfügung
gestellt. Das daraus gewonnene Öl sowie Leinöl haben
15
ÜBerGeWicht unD DiaBetes
Ein Acrylamidgel wird mit DNA-Proben beladen. Damit lässt sich der Verlauf von Rückkreuzungsexperimenten zwischen unterschiedlichen
mausstämmen verfolgen.
wir getestet. Als Kontrolle diente Distelöl, das weniger
als ein halbes Prozent Linolensäure enthält“, so Joost.
Eine Gruppe Mäuse bekam elf Wochen lang eine Diät,
die 40 % reines Schweinefett enthielt; bei den anderen
Gruppen war gut ein Drittel des Fettanteils durch eines
der Pflanzenöle ersetzt.
Das Ergebnis des Versuchs war überraschend: „An­
ders als erwartet, hatte die Fettart keinen Einfluss auf
die Diabetesentstehung – alle Mäuse wurden gleicher­
maßen dick und zuckerkrank“, fasst Joost zusammen.
Daher richtet sich das Augenmerk der DIfE-Forscher
nun auf andere Nahrungskomponenten, vor allem auf
Kohlenhydrate. Zunächst wurden Mäuse mit einer Diät
gefüttert, die völlig frei von Kohlenhydraten war; eine
Kontrollgruppe bekam mit Kohlenhydraten versetztes
Futter. Nach 17 Wochen waren die Mäuse beider Grup­
pen gleichermaßen übergewichtig. Hinsichtlich des
Gesundheitsstatus unterschieden sich die Tiere jedoch
deutlich: Die meisten der mit Fetten und Kohlenhy­
draten gefütterten Mäuse wiesen bereits nach acht
Wochen übermäßig hohe Blutzuckerwerte auf; nach
Abschluss des Versuchs waren zwei Drittel dieser Tiere
an Diabetes erkrankt. Dagegen blieben die kohlenhy­
dratfrei ernährten Nager von hohen Blutzuckerwerten
und Diabetes verschont.
Durch vergleichende Untersuchungen der Insu­
lin produzierenden Inselzellen beider Mausgruppen
konnte Hadi Al Hasani zur Aufklärung der zugrunde
liegenden molekularen Mechanismen beitragen:
Demnach beeinflussen die Kohlenhydrate die Aktivität
zahlreicher Gene, die auch beim Menschen mit der Di­
abetesentstehung in Zusammenhang gebracht werden.
Der Großteil dieser Gene wird bei Kohlenhydratzufuhr
verstärkt abgelesen; infolgedessen werden vermehrt
solche Enzyme hergestellt, die den oxidativen Stoff­
wechsel in den Inselzellen anregen und zu oxidativem
Stress führen. „Der Stress lässt die Zellen schneller
altern und früher sterben. Damit zeigen unsere Daten,
dass Kohlenhydrate besonders in Zusammenhang mit
einer fettreichen Ernährung kritisch zu sehen sind.
Sie schädigen die Insulin produzierenden Zellen der
Bauchspeicheldrüse und begünstigen so Diabetes“,
erklärt Al Hasani.
„Eine kohlenhydratfreie, fettreiche Ernährungswei­
se wie in unseren Versuchen ist für Menschen nach­
teilig und auch nicht praktikabel“, merkt Hans-Georg
Joost an: „Dennoch sollten wir in unseren Ernährungs­
empfehlungen ein größeres Gewicht auf die Effekte der
Kohlenhydrate legen. Mit anderen Worten: Personen
mit erhöhtem Diabetesrisiko sollten Nudeln statt
Kartoffeln und Vollkorn- statt Weißbrot essen, da sie so
einen schnellen und übermäßigen Anstieg der Blutzu­
ckerwerte vermeiden können.“
GesPräch Mit ProF. riMBach, uniVersität kieL
16
„Ernährung kann zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
beitragen“
im Gespräch mit Prof. Gerald rimbach, universität kiel
Welche aspekte der Gefäßgesundheit
untersuchen sie?
Gerald Rimbach,
Universität Kiel
Unterschiedliche Varianten von Genen des Lipid­
stoffwechsels beeinflussen die Entstehung von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Eine besondere
Funktion kommt hierbei dem Apolipoprotein E
zu, das in drei Formen – ApoE2, ApoE3 und ApoE4
– ausgeprägt ist. Man weiß seit Längerem, dass die
Träger von ApoE4 ein erhöhtes Erkrankungsrisiko
haben – vor allem, wenn weitere Risikofaktoren
wie Rauchen, Bewegungsmangel oder fettreiche
Ernährung dazukommen. Eine bessere Kenntnis
dieser Zusammenhänge könnte einer personali­
sierten Ernährung den Weg weisen.
herr Professor rimbach, wie kann die
ernährung zur Gefäßgesundheit beitragen?
Wie häufig sind die verschiedenen
apoe-Varianten in der Bevölkerung?
Ernährung ist ganz allgemein eine der wichtigsten
Strategien zur Prävention von Krankheiten. Hin­
sichtlich der Gefäßgesundheit deuten epidemiolo­
gische Befunde darauf hin, dass eine mediterrane
Ernährung, die reich an Obst und Gemüse – und
damit auch an sekundären Pflanzenstoffen – ist,
zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
beitragen kann. Unsere Forschung konzentriert
sich auf die Flavonoide, als Modellsubstanz haben
wir das Quercetin ausgewählt. Es ist in vielen hei­
mischen Obst- und Gemüsesorten enthalten; wir
gewinnen es aus natürlichen Quellen, nämlich aus
den Schalen von Zwiebeln und Äpfeln.
Am häufigsten ist das ApoE3 vertreten, der E4- Ge­
notyp findet sich höchstens bei 20 % der Bevölke­
rung, in Reinform – also bei homozygoten Allelträ­
gern – sogar nur bei einem von hundert.
Interessanterweise gibt es ein geografisches Ge­
fälle: Im Norden leben mehr ApoE4-Träger als im
Süden. In den mediterranen Ländern haben die
Menschen also nicht nur die „bessere Ernährung“
im Hinblick auf die Gefäßgesundheit, sondern
auch den „besseren Genotyp“. Bei sehr alten Men­
schen findet man übrigens nur selten den ApoE4Genotyp – offenbar weil dieser infolge eines erhöh­
ten Erkrankungsrisikos abnimmt.
Was hat Quercetin mit der Gefäßgesundheit
zu tun?
Wie messen Sie den Einfluss von Quercetin
auf entzündliche Prozesse?
Bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankun­
gen spielen entzündliche Prozesse eine entschei­
dende Rolle, und Quercetin zeichnet sich – dies
konnten wir in eigenen Zellkulturstudien zeigen –
durch eine entzündungshemmende Wirkung aus.
Da liegt die Verbindung.
Zunächst haben wir über Genchip-Analysen un­
tersucht, welche Gene reagieren, wenn sie mit dem
Flavonoid in Kontakt gebracht werden. Dabei zeig­
te sich, dass Gene, die an chronisch entzündlichen
Reaktionen beteiligt sind, durch Quercetin eher
abgeschaltet werden. Außerdem haben wir das
17
GesPräch Mit ProF. riMBach, uniVersität kieL
Äpfel und viele andere Obst- und Gemüsesorten lagern in ihren Schalen große Mengen Quercetin ein, um sich vor Fraßschädlingen zu
schützen.
menschliche Gen für ApoE3 oder ApoE4 in weiße
Blutzellen eingebaut und mit Mäusen gearbeitet,
die humanes ApoE3 und ApoE4 bilden. Wir lassen
Quercetin auf diese Zellkulturen einwirken oder
füttern damit die transgenen Mäuse und untersu­
chen anschließend anhand verschiedener Bio­
marker die Stärke entzündlicher Prozesse. Solche
Biomarker haben wir auch bei Hochrisikopatienten
gemessen, die sechs Wochen lang täglich eine Kapsel
mit 150 Milligramm Quercetin gegessen haben.
Welches sind die wesentlichen erkenntnisse
aus ihren studien?
Sowohl die ApoE3- als auch die ApoE4-transgenen
Mäuse reagieren auf die Zufuhr von Quercetin
mit einer Entzündungshemmung – allerdings
spricht der E3-Genotyp wesentlich stärker auf
den Wirkstoff an. Das bedeutet für die Träger der
E4-Genvariante: Sie besitzen einerseits den RisikoGenotyp im Hinblick auf ihre Gefäßgesundheit und
können diese andererseits auch weniger stark durch
Ernährung beeinflussen. Positiv werten wir die Hu­
manstudie an den Risikopatienten: Bei ihnen senkte
die tägliche Einnahme von Quercetin – unabhängig
vom Genotyp – zwei bedeutende Risikofaktoren in
der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankun­
gen, nämlich den systolischen Blutdruck und die
Konzentration an oxidiertem LDL-Cholesterin. Ein
weiterer wichtiger Befund ergibt sich aus den Dosis­
Wirkungs-Studien: Selbst in sehr hohen Dosen
konnten wir keine toxischen Effekte beobachten.
Dies erscheint wichtig, wenn man auf eine künftige
Anreicherung funktioneller Lebensmittel abzielt.
Welche erfahrungen haben sie bei der ent­
wicklung funktioneller Produktprototypen
gemacht?
Quercetin hat – wie auch einige andere Flavonoide
– eine Bitternote. Es hat eine Menge an Technologie
und Know-how erfordert, diese Bitternote durch
lebensmitteltechnologische Verfahren abzudecken
– doch für einige Produkte wie Müsliriegel oder
Backwaren ist es unseren Industriepartnern zusam­
men mit den Lebensmitteltechnologen gelungen.
Aus unserem BMBF-Netzwerk zur Funktionellen
Ernährungsforschung haben sich auch Patentan­
meldungen ergeben. Die Basis für die Entwicklung
gesundheitsbezogener Lebensmittel scheint also
gelegt, und es gibt ernsthafte Überlegungen unserer
Industriepartner, hier mit eigenem Engagement
anzuknüpfen.
An dem Forschungsvorhaben beteiligen sich die Univer­
sität Kiel mit verschiedenen Arbeitsgruppen (Molekulare
Prävention, Lebensmittelwissenschaft, Tierernährung
und Stoffwechselphysiologie, Humanernährung, Lebens­
mitteltechnologie) sowie das max Rubner-institut in Kiel.
In enger Kooperation mit den akademischen Partnern
arbeiten sechs Unternehmen – Kampffmeyer Food Inno­
vation GmbH, A.C.T. FOODS, Schwartauer Werke GmbH
& Co. KGaA, Cremilk GmbH, Carl Kühne KG (GmbH & Co.)
und Rudolf Wild GmbH & Co. KG – an der Entwicklung
geschmacklich ansprechender Produkte mit erhöhtem
Gehalt an Quercetin, die als Prototypen funktioneller
Lebensmittel für die Gefäßgesundheit dienen.
18
Die heiLkraFt Der Beeren
Die Heilkraft der Beeren:
Vom Wirkstoff zum funktionellen Lebensmittel
Die gesundheitsfördernden Wirkungen von Beeren­
inhaltsstoffen aus der Gruppe der Flavonoide
sind durch zahlreiche wissenschaftliche studien
belegt. Dagegen sind die Wirkmechanismen
dieser stoffgruppe weitgehend unbekannt. Wie
die Pflanzenstoffe im menschlichen Organismus
verstoffwechselt werden, welche rolle dabei die
Darmmikrobiota spielt und wo genau die einzelnen
substanzen ihre Wirkung entfalten, untersucht ein
Forschungsverbund aus akademischen arbeitsgrup­
pen und industriepartnern. im Fokus steht eine
bislang wenig erforschte klasse der Flavonoide,
die Procyanidine.
„Procyanidine – Vom besseren Verständnis der Wir­
kung zur Entwicklung funktioneller Lebensmittel“
heißt das vom BMBF geförderte Forschungsvorhaben
unter Leitung von Sabine Kulling, die am Max RubnerInstitut (MRI), Bundesforschungsinstitut für Ernährung
und Lebensmittel in Karlsruhe arbeitet. Der Name ist
Programm: Das Projekt reicht von grundlagenorien­
tierten bis zu anwendungsbezogenen Fragestellungen.
Entsprechend unterschiedlich sind die Expertisen der
Projektpartner. Peter Winterhalter, Leiter des Instituts
für Lebensmittelchemie der TU Braunschweig, entwi­
ckelte Methoden, um die Naturstoffe zu charakteri­
sieren, in Reinform zu isolieren und in ausreichender
Menge bereitzustellen. Am Deutschen Institut für
Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke
untersucht die Mikrobiologin Annett Braune, wie
ernährungsphysiologisch wichtige Procyanidine von
Darmbakterien ab- und umgebaut werden. Sabine
Kulling betrachtet den Metabolismus sowie die Bio­
verfügbarkeit einzelner Komponenten im menschli­
chen Organismus und untersucht deren Wirkung auf
Darmkrebszellen. Esther Mayer-Miebach und Diana
Behsnilian prüfen – ebenfalls am Max Rubner-Institut
in Karlsruhe –, ob und wie unterschiedliche Verar­
beitungstechniken den Gehalt an Procyanidinen in
Lebensmitteln beeinflussen.
Als Rohstoffe dienen Traubenkernextrakt und
Aroniabeeren (siehe Kasten), die von zwei Industrie­
partnern bereitgestellt werden. Die Kelterei Walther
GmbH in Arnsdorf bei Dresden, ein Familienunterneh­
men, das sich seit Jahrzehnten auf Nischenprodukte
wie Aronia konzentriert, liefert die Aronia-Beeren, den
daraus gewonnenen Direktsaft sowie den werthaltigen
Pressrückstand (Trester); die BREKO GmbH in Bremen,
die auf funktionelle Ingredienzien aus Trauben spezia­
lisiert ist, stellt den Traubenkernextrakt. Dass anthocy­
anhaltige Früchte gesundheitsfördernde Eigenschaften
haben, wird seit Langem vermutet.
Sowohl die Volksmedizin als auch wissenschaftliche
Studien liefern dafür zahlreiche Hinweise. „Welche
Aroniabeeren sind besonders reich an Procyanidinen, denen ge­
sundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben werden. im Rahmen
des BmBF-Forschungsvorhabens wird das Verhalten dieser Verbindungen im menschlichen Organismus untersucht.
Deutschlands größte Aroniaplantagen liegen in Sachsen.
Die heiLkraFt Der Beeren
19
aroniabeeren
Schwarze Eberesche oder Apfelbeere heißt sie im
Volksmund, Aronia melanocarpa lautet ihr wissen­
schaftlicher Name. Tatsächlich gleichen die üppigen
weißen Blütendolden der Aroniapflanze denen der
Eberesche. Der Saft reifer Aroniabeeren ist beson­
ders reich an Procyanidinen: 664 milligramm sind in
100 Gramm frischen Früchten enthalten, mehr als
30-mal so viel wie in der gleichen menge Holun­
derbeeren. Der zu den Rosengewächsen zählende
Strauch ist in Nordamerika heimisch; Anfang der
1970er-Jahre wurde er in der damaligen DDR
großflächig angepflanzt und Aroniabeeren über­
wiegend in Form ihrer Extrakte zur Farbgebung bei
Lebensmitteln verwendet. Auch heute noch werden
die holzigen Pflanzen in Sachsen kultiviert; zwischen
Dresden und Meißen liegt das größte Aroniaanbau­
gebiet Deutschlands. Die Beeren werden getrocknet
oder als Saft, daneben auch als Tee, Gelee, Sirup,
Likör und Obstwein angeboten.
Substanzen im Einzelnen die beobachteten Effekte
verursachen, ist noch unklar“, sagt Sabine Kulling,
„denn dazu muss man reine Verbindungen testen – und
die lassen sich oft nur mit großem Aufwand in ausrei­
chenden Mengen gewinnen.“
In den Beeren kommen die Procyanidine als ein
komplexes Gemisch vor: Neben den beiden Einzelbau­
steinen – den Monomeren Catechin und Epicatechin
– gibt es Oligomere aus zwei bis zehn und Polymere
aus noch mehr dieser monomeren Bausteine, die
zudem unterschiedlich verknüpft sein können. Peter
Winterhalter ist es nun zusammen mit seiner Dokto­
randin Tuba Esatbeyoglu gelungen, mithilfe moderner
chromatografischer Methoden und semisynthetischer
Verfahren ein breites Spektrum an Procyanidinen aus
Aronia- und Traubenkernextrakt zu isolieren. Durch
diese Pionierarbeit konnten sie den Verbundpartnern
die sechs bedeutendsten Dimere, ein Trimer sowie je
eine Fraktion aus oligo- und polymeren Procyanidinen
in ausreichender Menge und mit hohem Reinheitsgrad
zur Verfügung stellen.
Was geschieht mit diesen Verbindungen, wenn sie mit
der Nahrung in den menschlichen Körper gelangen? Um
ihren Metabolismus aufzuklären, verfolgen die Potsda-
Ein Teil der wertvollen Procyanidine bleibt nach der Saftgewinnung
im Pressrückstand (Bilder oben und mitte). Am max Rubner-institut
in Karlsruhe wurden geeignete Verfahren ermittelt, um den Trester
zu einem Pulver (unten) zu verarbeiten, das sich als Lebensmittelzu­
satz verwenden lässt.
20
Die heiLkraFt Der Beeren
mer Wissenschaftlerinnen verschiedene Ansätze. Sabine
Kulling betrachtet zusammen mit ihrer Doktorandin Ste­
fanie Wiese die Rolle der körpereigenen fremdstoffmeta­
bolisierenden Enzyme: Mit einem geeigneten Testsystem
aus Leberhomogenaten konnten sie nachweisen, dass die
endogenen Enzyme vorrangig monomere Procyanidine
umsetzen, kaum aber die längerkettigen.
Was genau die Mikroorganismen mit ihnen an­
stellen, will Maren Kutschera, Doktorandin am DIfE,
zusammen mit Annett Braune herausfinden. Um eine
repräsentative Mischung der menschlichen Darmmi­
krobiota in ihrer natürlichen Zusammensetzung zu
bekommen, bat sie gesunde Testpersonen um frische
Stuhlproben. Dann versetzte sie Suspensionen dieser
Proben – und parallel dazu verschiedene Reinkulturen
von verbreiteten Darmbakterien – mit gereinigten Ein­
zelsubstanzen aus dem Braunschweiger Labor oder mit
Extrakten aus Aroniabeeren und Traubenkernen. Das
Experiment lief bis zu sieben Tage; während der gesam­
ten Zeit wurden Proben entnommen und analysiert.
Ergebnis: „Alle Procyanidine werden umgesetzt, jedoch
dauert es bei den Oligo- und Polymeren deutlich länger
als bei den Di- und Trimeren“, so Braune. Der Abbau
erfolgt in einer Art Kaskade: Erst werden die größeren
Einheiten in Monomere zerlegt; dann entstehen daraus
bis zu 20 kurzlebige Zwischenprodukte, aus denen
am Ende hauptsächlich eine phenolische Säure, die
3-(3-Hydroxyphenyl-)Propionsäure, gebildet wird.
Allerdings kommt dieser Prozess nicht immer
zum Ende. „Wenn wir den Traubenkernextrakt in hö­
heren Konzentrationen einsetzen, ist die Umsetzung
unvollständig – das weist darauf hin, dass am Abbau
beteiligte Bakterien von den Inhaltsstoffen in ihrem
Wachstum behindert werden“, sagt Braune. Weniger
empfindliche Arten könnten davon möglicherweise
profitieren – was eine veränderte Zusammensetzung
der Mikrobiota zur Folge hätte. Welche Bedeutung dies
für den menschlichen Organismus hat, müssen weite­
re Versuche zeigen. Tatsächlich reagieren verschiedene
Bakterienarten sehr unterschiedlich auf den procyani­
dinreichen Traubenkernextrakt, fand Braune heraus:
„Wir isolierten Darmbakterien, deren Wachstum ge­
hemmt wurde, und andere, die mit dem Extrakt besser
wuchsen. Welche Spezies in den Stuhlproben – und
somit im Darm – an der Spaltung der Procyanidine in
die Monomere beteiligt sind, wissen wir noch nicht“,
so die Mikrobiologin.
Mithilfe dieses Gegenstromverteilungs-Chromatografen gelang es
Lebensmittelchemikern der TU Braunschweig, etwa 900 milligramm
hochreines Procyanidin B1 sowie dieselbe menge eines oligomeren
Procyanidins zu gewinnen und für die Humanstudien zur Verfügung
zu stellen.
Parallel zu Braunes Studien untersuchte Sabine
Kulling, wie die einzelnen Procyanidine im menschli­
chen Organismus verstoffwechselt werden. „Wir woll­
ten wissen, was wirklich im Blutkreislauf ankommt“,
betont die Lebensmittelchemikerin. Dazu erklärten
sich sieben gesunde Männer bereit, Gelatinekapseln
mit verschiedenen Procyanidinen, die von den Braun­
schweiger Kollegen isoliert und gereinigt worden
waren, einzunehmen. „Die Probanden bekamen jeweils
eine einmalige Dosis Epicatechin, in der zweiten Phase
ein Dimer und schließlich noch eine Oligomerfraktion.
Die Mengen wurden auf ihr Körpergewicht standardi­
siert und entsprachen etwa dem natürlichen Procyani­
din-Gehalt von zwei Äpfeln“, so Achim Bub vom MRI,
der als Mediziner die Studie leitete. Vor der Einnahme
und während der folgenden 48 Stunden wurden die
Testpersonen mehrmals um Blut-, Urin- und Stuhl­
proben gebeten. Aus diesem umfangreichen Datensatz
konnte Stefanie Wiese am Lehrstuhl für Lebensmittel­
chemie der Universität Potsdam mittels gaschroma­
tografischer und massenspektrometrischer Verfahren
den Stoffwechsel der Procyanidine nachvollziehen.
Das Fazit: „Wir konnten im Blut unserer Probanden die
Die heiLkraFt Der Beeren
21
Mono- und Dimeren nachweisen, aber keine Oligome­
ren. Außerdem fanden wir darin die gleichen Produkte,
die unsere Kollegen am DIfE als Hauptmetabolite der
Darmbakterien beschrieben haben, nämlich verschie­
dene phenolische Säuren“, so Kulling.
Die Oligomere könnten vor allem im Dickdarm ihre
gesundheitsfördernde Wirkung entfalten. Darauf deutet
eine weitere Versuchsserie der Potsdamer Forscherin
hin, in der sie den Einfluss der Procyanidine auf huma­
ne Dickdarmepithel-Zelllinien untersucht hat: Dabei
hatte eine Zelllinie ähnliche Eigenschaften wie normale,
gesunde Darmepithelzellen, die andere war dagegen
chemisch zur Krebszelle transformiert. Eindeutiges
Ergebnis: „Die monomeren und dimeren Procyanidine
bewirken bei keiner der beiden Zelllinien messbare Ver­
änderungen. Dagegen hat die Fraktion der Oligomeren
einen deutlich wachstumshemmenden Effekt auf die
tumorigenen Darmkrebszellen, während sie die nicht
transformierten Zellen kaum beeinflusst“, sagt Kulling.
Diese potenziell antikanzerogene Wirkung zeigte sich
auch, wenn statt der Oligomerenfraktion ein Trauben­
kernextrakt der Firma BREKO GmbH verwendet wurde.
Die gesundheitsfördernden Beereninhaltsstoffe
sind vorwiegend in den Zellwänden der Fruchtschalen
und -kerne enthalten. Was bei der Herstellung von
Aroniasaft mit ihnen geschieht, haben Esther MayerMiebach und Diana Behsnilian vom MRI in Karlsru­
he untersucht. Die beiden Chemikerinnen konnten
zeigen, dass ein Teil der Procyaninide und Anthocyane
unversehrt in den Saft gelangt, der größte Teil aber im
Pressrückstand bleibt. Deshalb wollten sie den Trester
zu Pulver verarbeiten, das sich als Lebensmittelzu­
satz verwenden lässt. Dazu haben sie verschiedene
Verfahren wie Gefrier- oder Konvektionstrocknung
sowie eine Kombination aus Warmluft- und Mikro­
wellentrocknung verglichen und das Trockenprodukt
anschließend zermahlen. Wie sich zeigte, wurden die
Inhaltsstoffe in keinem Fall zerstört.
Alternativ wurde der Trester mit Wasser befeuchtet
und dann mit einer speziellen Rührwerkskugelmühle
im Nassmahlverfahren zerkleinert. Dabei erhält man
wesentlich kleinere Partikel – und damit eine höhere
Ausbeute an herauslösbaren und folglich analysierba­
ren Procyanidinen. „Wir gehen davon aus, dass diese
Feinzerkleinerung der Zellwände auch das Heraus­
lösen der Procyanidine während der Verdauung im
Um die Darmbakterien in ihrer natürlichen Zusammensetzung
untersuchen zu können, werden frische Stuhlproben von gesun­
den Testpersonen aufbereitet (oben). Damit die Bakterien unter
sauerstofffreien Bedingungen – ähnlich wie im menschlichen
Darm – wachsen können, werden alle notwendigen Arbeiten an der
Anaerobierbox ausgeführt (unten).
Magen-Darm-Trakt unterstützt. Wenn wir das Aronia­
pulver zusätzlich mit heißem Wasser extrahieren und
den Extrakt trocknen, können wir die gewünschten
Inhaltsstoffe insgesamt fünffach konzentrieren“, er­
klärt Mayer-Miebach. Der Polymerisierungsgrad der
Procyanidine – sprich: ihre Kettenlänge – wird durch
die unterschiedlichen Zerkleinerungs- und Trock­
nungsverfahren nicht beeinträchtigt. „Wir können nun
mehrere Trockenprodukte zur Verfügung stellen, die
sich zu funktionellen Lebensmitteln mit den wertvol­
len Beereninhaltsstoffen weiterverarbeiten lassen“,
fasst Mayer-Miebach zusammen. „Denkbar wären
verschiedene Backwaren. Derzeit arbeiten wir an der
Herstellung eines mit Aroniapulver angereicherten
Produktprototypen.“
22
PFLanZenFarBen FÜr DarM unD hirn
Pflanzenfarben für Darm und Hirn:
Anthocyane schützen Zellen vor Stress
rotwein und Blaubeeren, schwarzer holunder
und buntes herbstlaub verdanken ihre Farben den
Anthocyanen. Ausschließlich Pflanzen stellen diese
komplexen chemischen Verbindungen her und
schützen sich damit vor Fraßfeinden und sonnen­
brand. Doch auch der Mensch kann von ihnen
profitieren: Sie können oxidativen Stress sowie
entzündungen und bakterielle krankeitserreger
eindämmen. ein interdisziplinärer Forschungsver­
bund hat nun den positiven Einfluss zahlreicher
anthocyane auf chronische Darmentzündungen
gezeigt sowie neue Wirkmechanismen aufgedeckt,
die vor neurodegenerativen erkrankungen schüt­
zen können.
„Unser Ziel war es, die Wirkung von Beereninhaltsstof­
fen auf das menschliche Gehirn zu testen“, sagt Philipp
Sand, Neurowissenschaftler am Universitätsklinikum
Regensburg. „Doch zunächst wollten wir uns davon
überzeugen, dass von den Prüfsubstanzen keine Gefahr
für unsere Studienteilnehmer ausgeht. Denn es gibt
bisher zu wenige toxikologische Untersuchungen, die
die Unbedenklichkeit dieser Stoffe belegen“, so der Arzt.
Gemeinsam mit der Lebensmittelchemikerin Andrea
Dreiseitel untersuchte er die Wechselwirkungen ver­
schiedener Anthocyane und ihrer Abbauprodukte
mit fünf ausgewählten Enzymen, die als wichtige
Schaltstellen im menschlichen Metabolismus gelten
und auch im Gehirn aktiv sind. „Dabei zeigten sich nur
sehr schwache Interaktionen, die wir für unbedenklich
halten“, so Sands Fazit.
In weiteren Enzymtests konnten die Regensburger
Wissenschaftler neue positive Effekte der Pflanzenstoffe beobachten. „Wir fanden neben den bekannten
antioxidativen Wirkungen noch eine ganze Reihe
weiterer zellulärer Mechanismen, die sich gesund­
heitsfördernd auswirken können“, betont Philipp
Sand. Einige der etwa zwei Dutzend Testsubstanzen
hemmen bereits in geringer Dosierung wichtige
Enzyme des Gehirnstoffwechsels – namentlich zwei
Monoaminooxidasen, eine Phospholipase sowie einen
Komplex aus eiweißspaltenden Enzymen namens
Proteasom – und könnten somit dem Fortschreiten von Parkinson und anderen degenerativen
Erkrankungen entgegenwirken. „Verglichen mit der
Hemmwirkung von bereits zugelassenen Arznei­
mitteln sind die Effekte der Naturstoffe schwach
ausgeprägt“, räumt der Forscher ein, „doch durch ihre
entzündungshemmenden und neuroprotektiven
Funktionen können sie zur Prävention von Gehirner­
krankungen beitragen und herkömmliche therapeu­
tische Maßnahmen ergänzen.“
Die transkranielle magnetstimulation gibt Auskunft über die neuronale Erregbarkeit bestimmter Hirnareale. mit dieser methode soll der Einfluss
von Beereninhaltsstoffen untersucht werden.
PFLanZenFarBen FÜr DarM unD hirn
23
mäuse mit chronischer Darmentzündung profitieren von Anthocyanen im Futter: Die Darmwand behandelter Tiere (links) enthält weniger Ent­
zündungszellen (violett) als die der unbehandelten Kontrolltiere (rechts) und zugleich deutlich mehr Becherzellen (weiße Bläschen), die den für
die Darmfunktion unverzichtbaren Schleim produzieren.
Wie das Gehirn gesunder Menschen auf die Zufuhr
von Anthocyanen reagiert, soll sich in einer Dop­
pelblindstudie an 66 jungen Männern und Frauen
erweisen. Die Probanden werden vier Wochen lang
täglich eine Ration Heidelbeerextrakt einnehmen, der
eine natürliche Mischung der Wirkstoffe enthält. Un­
mittelbar vor und nach der Studie sowie einen Monat
später wollen die Regensburger Forscher mit elektro­
physiologischen und bildgebenden Verfahren prüfen,
ob sich die neuronale Erregbarkeit der Testpersonen
oder Form und Größe bestimmter Areale in ihrem
Gehirn verändert haben.
Eine weitere Humanstudie plant Gerhard Rogler
am Universitätsspital Zürich. Dabei soll sich zeigen,
ob die Beereninhaltsstoffe einen heilenden Effekt auf
chronisch entzündliche Darmerkrankungen haben.
„Patienten mit einer mäßig ausgeprägten Colitis ulce­
rosa werden dreimal täglich 100 Gramm getrocknete
Heidelbeeren essen, die unser Industriepartner Symrise
zu einem schmackhaften Müsliriegel verpresst hat“, so
Rogler. Der Gastroenterologe ist zuversichtlich, dass
seine Patienten von der Behandlung profitieren: „Wenn
wir Mäusen mit akuten oder chronischen Darment­
zündungen getrocknete Heidelbeeren ins Futter geben,
dann geht es ihnen anschließend deutlich besser“,
berichtet Rogler. Die kranken Nager nehmen weniger
ab als unbehandelte Artgenossen, ihr Darm ist weniger
entzündet, er blutet weniger, die Darmschleimhaut
enthält weniger entzündungsfördernde Signalstoffe,
und die Mäuse haben wesentlich weniger Durchfall.
In welcher Form die Substanzen ihre heilsame
Wirkung im Darm entfalten, wissen die Forscher noch
nicht genau. Allerdings ist bekannt, dass die Anthocy-
ane eine sehr geringe Bioverfügbarkeit haben. HansUlrich Humpf am Institut für Lebensmittelchemie der
Universität Münster will deshalb herausfinden, wie die
chemisch komplexen Verbindungen im Verdauungs­
trakt verstoffwechselt werden. Als Modellorganismus
dienen ihm Schweine, denn deren Verdauungssystem
ist dem menschlichen sehr ähnlich. „Dazu nehmen wir
die Bakterienflora aus dem Darm frisch geschlachteter
Bioschweine in Kultur. Darauf träufeln wir einzelne
Anthocyane und messen nach zwei, vier und sechs
Stunden die gebildeten Metabolite. Dabei zeigt sich,
dass die Anthocyane schnell von den Darmbakterien
abgebaut werden und am Schluss nur kleine phenoli­
sche Verbindungen übrig bleiben“, erklärt der Forscher.
Welche Abbauprodukte schließlich ins Blut ge­
langen, will der Lebensmittelchemiker an lebenden
Schweinen untersuchen. „Die Tiere bekommen eine
Woche lang einen anthocyanhaltigen Fruchtextrakt zu
fressen. Während dieser Zeit nehmen wir laufend Blut-,
Urin- und Kotproben. So wollen wir uns ein Bild von
den Stoffwechselvorgängen machen“, erklärt Humpf.
In welcher natürlichen Zusammensetzung die wertvol­
len Inhaltsstoffe in Früchten vorkommen, konnte Peter
Schreier aufklären: Der Initiator und Koordinator des
BMBF-Verbundprojekts – er ist inzwischen emeritiert –
hat am Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie
der Universität Würzburg Methoden entwickelt, um die
in Heidelbeeren enthaltenen Anthocyane quantitativ
nachzuweisen. Dabei entdeckte er, dass aus Griechen­
land stammende Trockenbeeren weniger gehaltvoll
sind als skandinavische Früchte. Der Grund: Die stärke­
re Sonneneinstrahlung in südlichen Ländern zerstört
beim Trocknen der Beeren einen Teil der wertvollen
Inhaltsstoffe.
24
Wenn harMLose MikroBen ZuM ProBLeM WerDen
Wenn harmlose Mikroben zum Problem werden
Prof. Dirk haller erforscht die Wechselwirkungen von Darm und Bakterien
immer mehr Menschen entwickeln eine chronisch
entzündliche Darmerkrankung; allein in Deutsch­
land leben rund 300.000 Patienten mit Morbus
crohn oder colitis ulcerosa. Bislang lassen sich
diese Leiden nur lindern, aber nicht heilen – denn
bislang weiß man zu wenig über ihre ursachen.
eine wichtige rolle kommt an sich harmlosen
Darmbakterien zu, die jedoch das körpereigene
immunsystem zu entzündlichen reaktionen anre­
gen können. Dirk Haller will herausfinden, welche
molekularen Mechanismen dieser fatalen Fehlre­
aktion zugrunde liegen.
Schon als Gymnasiast interessiert sich Dirk Haller für
die Naturwissenschaften, doch geht es ihm dabei in
erster Linie um den Menschen. „Diese grundlegend
medizinische Orientierung war mir immer wichtig“,
sagt der gebürtige Schwarzwälder, Jahrgang 1968.
Heute leitet Haller in Personalunion die Abteilung
Biofunktionalität im Zentralinstitut für Ernährungs­
und Lebensmittelwissenschaft (ZIEL) und den Lehr­
stuhl für Biofunktionalität der Lebensmittel an der TU
München-Weihenstephan. In Deutschland ist dieses
Fach nur ein weiteres Mal vertreten, an der Universität
Hohenheim. In dieser renommierten Hochschule im
Süden Stuttgarts nimmt Dirk Hallers wissenschaftliche
Karriere ihren Anfang. 1990 schreibt er sich dort für ein
Studium der Lebensmitteltechnologie ein.
Das Lehrangebot empfindet der junge Student
zunächst als frustrierend, „weil es zu ingenieurwissen­
schaftlich ausgerichtet war und wenig Bezug zu Krank­
heiten hatte“. Deshalb entscheidet er sich, zusätzlich
Ernährungswissenschaften zu studieren. Besonders an­
getan ist er von der Mikrobiologie, die sich sowohl mit
Krankheitskeimen als auch mit gesundheitsfördernden
Bakterien befasst. Hier wird der künftige Ernährungs­
forscher mit den Fragen konfrontiert, die ihn bis heute
beschäftigen: Was genau passiert im Darm, wenn
Nahrungsbestandteile, Bakterien und der körpereigene
Stoffwechsel aufeinandertreffen?
An einem besseren Verständnis dieser grundlegen­
den Zusammenhänge sind auch die großen Lebens­
mittelhersteller interessiert, allen voran die Schweizer
Firma Nestlé S. A. Sie
lockt Dirk Haller – er
hat gerade mit Bravour
sein Doppeldiplom
absolviert – mit einer
spannenden Aufga­
be in ihr großzügig
ausgestattetes For­
schungszentrum am
Genfer See. Im Rahmen
seiner Doktorarbeit
entwickelt er dort ein
Modellsystem, das die
Darmschleimhaut und Dirk Haller, TU München-Weihen­
stephan
ihre Wechselwirkungen
mit Mikroben nachstellen soll. „Damals herrschte noch
das Dogma, dass die nicht pathogene Mikrobiota quasi
als unbeteiligte Masse im Darm herumliegt“, erin­
nert sich Haller. „Wir waren mit die Ersten, die zeigen
konnten, dass diese Bakterien mit dem Darmepithel
kommunizieren und es aktivieren.“
Der amerikanische Mediziner Balfour Sartor leitet
aus den neuen Erkenntnissen eine provokante Hypo­
these ab: Wenn gewöhnliche Darmbakterien mit der
Darmschleimhaut Signale austauschen, dann können
sie womöglich auch Immunfunktionen und somit
Krankheitsprozesse beeinflussen – zum Guten ebenso
wie zum Schlechten. „Sartor postulierte schon sehr
früh, dass an sich harmlose Bakterien die chronische
Entzündung bei Darmerkrankungen vorantreiben“,
erinnert sich Dirk Haller, „und er hatte damals schon
keimfreie Tiermodelle, um solche mikrobiellen Wech­
selwirkungen gezielt zu untersuchen.“ Fasziniert von
diesem Ansatz, geht Haller nach seiner Promotion im
Jahr 2001 mit einem Stipendium aus dem damals neu
aufgelegten Emmy Noether-Programm der DFG in
Sartors Labor nach North Carolina.
„Das hätte auch schiefgehen können“, lacht Hal­
ler, „doch zum Glück konnten wir unsere Hypothese
belegen und haben damit einigen Wirbel gemacht.“ An
die Verblüffung der Fachkollegen kann er sich noch gut
erinnern: Wenn harmlose Bakterien Entzündungen im
Darmepithel auslösen können, so die naheliegende Fra­
ge, warum sind wir dann nicht alle krank? Dirk Haller
betrachtet es als Herausforderung, diese komplexen
Wenn harMLose MikroBen ZuM ProBLeM WerDen
Zusammenhänge zu verstehen. Trotz seiner Erfolge in
den USA zieht es den Nachwuchswissenschaftler schon
nach zwei Jahren zurück nach Deutschland. Von Stutt­
gart und München umworben, entscheidet er sich für
Bayern. Denn der neu gestaltete Life Science Campus in
Weihenstephan bietet ein exzellentes Forschungsum­
feld; Grund genug für Haller, später einen Ruf an die
University of Alberta und einen weiteren an die ETH
Zürich auszuschlagen.
Inzwischen hat in seiner Disziplin ein Dogmen­
wechsel stattgefunden: „Heute herrscht Konsens
darüber, dass nicht pathogene Bakterien im Darm
ganz wesentlich die Integrität und Durchlässigkeit der
Darmschleimhaut verändern können. Außerdem weiß
man, dass Probiotika die Freisetzung entzündungsför­
dernder Signalmoleküle modulieren sowie die Überle­
bensfähigkeit der Darmepithelzellen beeinflussen“, so
der Ernährungsforscher. Zu diesen Signalmolekülen
zählt das Protein IP-10; es fördert die übermäßige
Produktion von Immunzellen und verursacht so eine
chronische Darmentzündung. Bleibt die Frage, war­
um manche Menschen von diesem Prozess verschont
bleiben, während andere dauerhaft erkranken. „Nicht
pathogene Darmbakterien können nur Personen mit
entsprechender genetischer Vorbelastung schädigen“,
erklärt Haller. Das belegen vergleichende Versuche an
gesunden Mäusen und solchen, die aufgrund bekann­
ter Genveränderungen Morbus-Crohn-ähnliche Symp­
tome entwickeln. Infiziert man beide Mäusegruppen
mit denselben Darmbakterien, so erkranken nur die
genetisch vorbelasteten Tiere. Hält man die Nager aber
unter sterilen Bedingungen – also frei von Darmbakte­
rien –, so bleiben beide Gruppen gesund.
25
Ein europäischer Forschungsverbund, dem auch Dirk
Haller angehört, sucht derzeit nach den Faktoren und
Wirkmechanismen, mit denen gewöhnliche Darmbak­
terien die krankhaften Prozesse bei genetisch vorbelaste­
ten Patienten in Gang setzen. Als sicher gilt der Einfluss
verschiedener eiweißspaltender Enzyme, sogenannter
Proteasen. Allerdings befasst sich Haller nicht nur mit
den negativen Effekten der Mikrobiota. In einem vom
BMBF geförderten Verbundprojekt erforscht er den –
positiven – Einfluss probiotischer Mikroorganismen auf
Entzündungen des Magen-Darm-Trakts. Projektpartner
sind der Humanbiologe Michael Schemann von der
TU München sowie die Firma Nestlé, vertreten durch
Hallers einstige Chefin Stefanie Blum.
„Wir wollen durch dieses BMBF-Projekt grundle­
gende Wirkprinzipien in der Wechselwirkung zwischen
probiotischen Bakterien, Darmepithel und enterischem
Nervensystem aufzeigen. Kurz gesagt geht es um die
Frage: Was macht ein Bakterium probiotisch?“, so Hal­
ler. Dazu untersucht er mit seinen Partnern, welchen
Einfluss verschiedene Bakterienarten und -stämme
der Gattungen Bifidobakterium und Lactobacillus auf
den Gesundheitszustand von Mäusen mit genetischer
Anfälligkeit für chronische Dünn- oder Dickdarm­
entzündungen haben. Experimente mit speziellen
Zellkulturen aus Darmepithelzellen ergänzen die
Tierversuche. „In beiden Fällen haben wir geschaut,
ob sich durch die Bakterien bestimmte Entzündungs­
prozesse reduzieren lassen und wenn ja, auf welcher
Ebene man das messen kann. So sind wir auf das IP-10
aufmerksam geworden und konnten zeigen, dass einige
Bakterienstämme seine Produktion hemmen“, erklärt
der Wissenschaftler.
Mit Fluoreszenzfarbstoffen behandelte Gewebeschnitte zeigen Unterschiede in der Darmschleimhaut von gesunden Mäusen (links) und solchen,
die an einer chronischen Darmentzündung leiden (rechts). Bei den kranken mäusen ist die Darmoberfläche durch tiefe Einbuchtungen stark
vergrößert; ihre Zellen enthalten deutlich mehr Stressproteine (grün) als die gesunder mäuse. Blau bezeichnet die Lage der Zellkerne.
26
Tatsächlich unterscheiden sich die Bakterien
sehr stark in ihrer Wirkung: Positive Effekte zeigen
nur wenige der getesteten Mikroben, darunter ein
Lactobacillus-casei-Stamm, der bereits als Probiotika
zur unterstützenden Behandlung von chronischen
Entzündungen im Dickdarm eingesetzt wird. Au­
ßerdem sind positive Effekte im Dünndarm weniger
stark ausgeprägt als im Dickdarm. „Das passt zu der
Beobachtung, dass sich eine Dünndarmentzündung
mit Probiotika nur schwer beeinflussen oder gar
behandeln lässt“, sagt Haller. Im nächsten Schritt
wollen die Forscher das für die Effekte zuständige
Wenn harMLose MikroBen ZuM ProBLeM WerDen
entzündungshemmende Molekül identifizieren.
Bisher deutet alles darauf hin, dass es sich um eine
Protease handelt. Ihre krankheitslindernde Wirkung
könnte darauf beruhen, dass sie das IP-10 spaltet und
damit außer Gefecht setzt. „Sollte sich unsere Vermu­
tung bestätigen, dann hätten wir erstmals eine Prote­
ase, die vor entzündlichen Prozessen schützt, statt sie
zu fördern“, betont Haller und gibt sich optimistisch:
„Diese Entdeckung könnte uns dem Ziel einer effek­
tiven und risikofreien Behandlungsmöglichkeit für
chronisch entzündliche Darmerkrankungen einen
Schritt näher bringen.“
Probiotische Bakterien – im Bild Kolonien
von Lactobacillus casei auf Kulturmedium
– können Entzündungsprozesse im Darm
abschwächen.
27
LuPinen FÜr Die GeFässGesunDheit
Lupinen für die Gefäßgesundheit:
Ballaststoffe aus den Samen der Hülsenfrucht
senken den Cholesterinspiegel
Lupinen sind wegen ihrer Blütenpracht beliebte
Gartenpflanzen. Weniger bekannt ist hierzulande,
dass einige Lupinensorten für den menschlichen
Verzehr geeignet sind: sie enthalten unter an­
derem wertvolle Ballaststoffe, die zur senkung
des cholesterinspiegels beitragen können. auf
dieses gesundheitsfördernde Potenzial der hül­
senfrüchte konzentriert sich ein Verbund aus zwei
akademischen Forschungsgruppen und sechs
industriepartnern. Das Ziel ist die entwicklung
cholesterinsenkender und zugleich geschmacklich
ansprechender Lebensmittel.
„Ballaststoffe aus Hülsenfrüchten sind aufgrund ihrer
Zusammensetzung aus unlöslichen und löslichen Fasern
sehr wertvoll. Außerdem schmecken sie nicht so rau
und trocken wie Getreidefasern“, sagt die Koordinatorin
des Forschungsvorhabens, Katrin Hasenkopf. Damit hat
die Lebensmittelchemikerin vom Fraunhofer-Institut
für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising zwei
gute Gründe, sich für die Nutzung dieser neuartigen
Ballaststoffquelle einzusetzen: Zum einen haben sich
lösliche Ballaststoffe in zahlreichen klinischen Studien
als cholesterinsenkend erwiesen und eignen sich somit
zur Prävention von Gefäßerkrankungen. Zum anderen
lassen ein angenehmes Mundgefühl sowie ein neutraler
Geschmack darauf hoffen, dass Produkte aus Lupinenfa­
sern vom Verbraucher angenommen werden.
„Zunächst haben wir nach einer Faser gesucht, die
eine starke Gallensäurenbindung aufweist und sich gut
verarbeiten lässt“, erzählt Katrin Hasenkopf. Denn diese
Bindungskapazität hat direkten Einfluss auf den Blut­
fettspiegel: Zur Herstellung von Gallensäuren, die zur
Unterstützung der Fettverdauung in den Dünndarm
abgesondert werden, benötigt der Körper Cholesterin.
Je mehr Gallensäuren an Ballaststoffe gebunden und
mit ihnen ausgeschieden werden, umso stärker sinkt
daher die Cholesterinmenge im Blut. Mithilfe eines In­
vitro-Systems, das die wesentlichen Abbauprozesse im
menschlichen Verdauungstrakt simuliert, untersuchten
Hasenkopfs Mitarbeiter die Gallensäurenbindung von
Lupinen werden bislang hauptsächlich als Zierpflanzen und zur Bodenverbesserung eingesetzt. Zum Verzehr geeignete Sorten finden
neuerdings auch wegen ihrer gesundheitsfördernden Ballaststoffe
Beachtung.
Lupinen, Erbsen und Sojabohnen. Alle drei Hülsen­
früchte zeigten die gewünschte Fähigkeit; am besten
schnitten die Samen der Blauen Lupine (Lupinus
angustifolius) ab.
Nun galt es herauszufinden, ob die Gallensäurenbindung durch die Verarbeitung der Lupinensamen
beeinflusst wird. Die Extraktionsprozesse hatten keine
negativen Auswirkungen; als kritisch erwiesen sich
jedoch hohe Temperaturen, wie sie bei der thermi­
schen Trocknung auftreten. „Hier ist eine Gefrier- oder
Sprühtrocknung vorzuziehen“, so die Fraunhofer-For­
scherin. Je feiner die Fasern vermahlen werden, umso
besser vermögen die Partikel Gallensäuren zu binden
– offenbar spielt hier die Oberflächenvergrößerung
eine entscheidende Rolle. „Komplizierter verhält es
sich bei der hydrolytischen Spaltung durch Säure oder
28
LuPinen FÜr Die GeFässGesunDheit
Wie sich aus Lupinensamen möglichst schonend die wertvollen Bal­
laststoffe isolieren, trocknen und vermahlen lassen, haben Forscher
am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in
aufwendigen Testreihen ermittelt.
Fünf Industriepartner des Verbundprojekts stellten aus Lupinenfa­
sern eine breite Palette schmackhafter Lebensmittel her, darunter
diese Brühwurst. Deren gesundheitsfördernde Effekte belegte eine
Studie an Patienen mit erhöhten Blutfettwerten.
Enzyme“, betont Hasenkopf: „Einige Prozesse begüns­
tigen die Bindungsfähigkeit, andere behindern sie. Die
maßgeblichen Mechanismen kennen wir noch nicht.“
Die Kost war so bemessen, dass jede Person täglich
25 Gramm der Ballaststoffe zu sich nahm. Allerdings
wussten die Probanden nicht, wann sie welche Speisen
erhielten. Die Herstellung der angereicherten Lebens­
mittel oblag den Industriepartnern: Brühwürste und
Aufschnitt machte die Metzgerei Pointner; Gemü­
sebratlinge kamen von der Albert Hess GmbH und
eine Art Knäckebrot von der Gutena Nahrungsmittel
GmbH; die Freiberger Lebensmittel GmbH & Co. Pro­
duktions- und Vertriebs KG entwickelte Baguettebrote
sowie Tortellini mit verschiedenen Füllungen und So­
ßen, und die Dr. August Oetker GmbH Nahrungsmittel
KG steuerte lupinenfaserhaltige Getreideprodukte bei.
Parallel zu diesen verfahrenstechnischen Test­
reihen begann Anita Fechner am Lehrstuhl für Ernäh­
rungsphysiologie der Universität Jena mit einer ersten
Humanstudie. Die Probanden – insgesamt 76 gesunde
junge Frauen und Männer – sollten zwei Wochen lang
Milchprodukte oder Fruchtsäfte mit eingerührten
Ballaststoffen aus Sojabohnen oder Lupinen essen
und deren Geschmack und Mundgefühl bewerten.
Außerdem wurden die physiologischen Effekte einer
täglichen Dosis von 25 Gramm beurteilt. Ergebnis: Im
sensorischen Test ging die Bestnote abermals an die
Blaue Lupine. „Der Fettstoffwechsel dieser jungen und
gesunden Studienteilnehmer wurde von den getesteten
Lupinenfasern nicht beeinflusst“, betont Anita Fechner.
In einer weiteren Humanstudie bat die Jena­
er Ernährungswissenschaftlerin dann genau jenen
Personenkreis um Mithilfe, der künftig von choleste­
rinsenkenden Lebensmitteln profitieren könnte: ältere
Menschen mit moderat erhöhten Bluttfettwerten.
Die Probanden – 18 Männer und 36 Frauen – sollten
nacheinander jeweils vier Wochen lang, unterbrochen
von je sieben Tagen Pause, drei verschiedene Diäten
essen: Sie bestanden aus Lebensmitteln, die entweder
mit Ballaststoffen aus Lupinen oder aus Zitrusfrüch­
ten angereichert waren oder keinen Ballaststoffzusatz
enthielten.
Die Studie belegt einen eindeutigen Zusammen­
hang zwischen der Faserquelle und dem Blutfettspiegel
der Probanden. Das aus medizinischer Sicht unbedenk­
liche HDL-Cholesterin blieb in seiner Konzentration
unverändert; dagegen konnten zwei unerwünschte
Komponenten (LDL-Cholesterin und Triglyceride)
durch den Verzehr der mit Lupinenfaser zubereiteten
Kost deutlich gesenkt werden – und zwar signifikant
stärker als durch die Kontrollfaser. Die positive Bilanz
wird noch durch folgende Beobachtungen verstärkt:
Nur 6 der ursprünglich 60 Probanden brachen die
Studie vorzeitig ab; alle Teilnehmer hatten die Diät gut
vertragen, sie als bekömmlich empfunden – und dabei
noch ein bis zwei Kilo abgenommen.
29
DreiFach FunktioneLLe Brötchen
Dreifach funktionelle Brötchen:
Weizen-Aleuron und probiotische Bakterien
verringern das Darmkrebsrisiko
Ballaststoffe gelten aufgrund ihrer gesundheits­
fördernden eigenschaften als unverzichtbarer
Bestandteil einer ausgewogenen ernährung. Be­
sonders ballaststoffreiche Lebensmittel wie Voll­
kornprodukte werden jedoch von breiten teilen
der Bevölkerung nicht in nennenswerten Mengen
verzehrt. ein vom BMBF gefördertes Verbundpro­
jekt hat sich daher zum Ziel gesetzt, neuartige Le­
bensmittel mit dreifach funktionellen eigenschaf­
ten zu entwickeln: sie sollen die schutzwirkungen
einer bislang ungenutzten Ballaststoffquelle – des
Weizen-Aleurons – mit den positiven Einflüssen
probiotischer Darmbakterien kombinieren.
Dickdarmkrebs ist in Deutschland die zweithäufigste
Krebserkrankung mit Todesfolge; zusammen mit an­
deren Tumorerkrankungen verursacht das Leiden etwa
ein Drittel aller Todesfälle in der westlichen Welt. Mit
einer ballaststoffreichen Ernährung ließe sich das än­
dern, betont Michael Glei vom Institut für Ernährungs­
wissenschaften der Universität Jena: „Wenn die Men­
schen ihre Ballaststoffaufnahme verdoppeln würden,
dann könnten sie ihr Risiko für Darmkrebs um etwa
40 % reduzieren.“ Glei beruft sich auf die Ergebnisse
einer umfangreichen epidemiologischen Langzeitstu­
die namens EPIC, in der eine halbe Million Menschen
im Alter zwischen 25 und 70 Jahren aus zehn europä­
ischen Ländern über ihre Ernährungsgewohnheiten
und Krankheitsgeschichten befragt wurden. „Esst mehr
Ballaststoffe!“, empfiehlt deshalb auch die Deutsche
Gesellschaft für Ernährung, konkret: mindestens 30
Gramm pro Tag.
„Durch die Kombination von Getreideprodukten,
Gemüse und Obst könnte man dieser Empfehlung sehr
leicht nachkommen. Vor allem Vollkornprodukte ent­
halten durch ihren Kleiegehalt eine Menge Ballaststoffe,
doch diese Backwaren werden von der Allgemeinheit
Stuhlproben enthalten Bakterien, die normalerweise im menschlichen Dickdarm leben. mit ihrer Hilfe lässt sich eine Art „Dickdarm im Labor“
nachstellen – und der Abbau unverdaulicher Aleuron-Bestanteile untersuchen.
DreiFach FunktioneLLe Brötchen
30
Zum einen enthält es einen hohen Anteil an Ballast­
stoffen, zum anderen sind an eben diese Ballaststoffe
sogenannte Phenolsäuren wie die Ferulasäure
gebunden, die wegen ihrer Rolle als Antioxidantien
geschätzt werden. Die dritte Komponente bilden zwei
Stämme der probiotischen Bakterienarten Lactobacillus rhamnosus und Bifidobacterium lactis, die
für ihren positiven Einfluss auf die Darmgesundheit
bekannt sind.
Das aleuron
Das Aleuron liegt als einlagige Schicht aus auffällig großen Zellen
– die Stärke der Lage beträgt 40 bis 60 mikrometer – zwischen Stär­
kekörper und Schale des Weizenkorns (unten mit dem Mikroskop
aufgenommen, oben mit dem Rasterelektronenmikroskop).
nicht besonders gern verzehrt. Also haben wir nach ei­
ner anderen Ballaststoffquelle Ausschau gehalten und
sind auf das Weizen-Aleuron gekommen“, erzählt Mi­
chael Glei, der das BMBF-Projekt „Triple Plus – drei­
fach funktionelle Eigenschaften von Lebensmitteln“
koordiniert. Das Weizen-Aleuron (siehe Kasten) liefert
gleich zwei der drei Komponenten, denen gesund­
heitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben werden:
umhüllt als dünne Schicht den Mehlkörper von
Getreidekörnern und anderen pflanzlichen Samen.
Als Hauptbestandteil der Kleie wird es beim Mahlen
und Sieben des Mehls normalerweise größtenteils
entfernt. Die Aleuronschicht enthält neben Vita­
minen und Proteinen große Mengen an bakteri­
ell abbaubaren (fermentierbaren) Ballaststoffen,
insbesondere Arabinoxylane. Dies zeichnet sie vor
den übrigen Kleiebestandteilen des Korns aus, die
überwiegend nicht fermentierbare Ballaststoffe, na­
mentlich Zellulose, enthalten. Arabinoxylane gelten
auch deshalb als ernährungsphysiologisch wertvoll,
weil sie zur Verknüpfung mit verschiedenen Biomo­
lekülen neigen, die als Antioxidantien schützend in
zellschädigende Prozesse eingreifen.
Ob diese drei Komponenten halten, was sich
Ernährungswissenschaftler von ihnen versprechen,
wird in dem BMBF-Projekt geklärt. Verbundpartner
sind das Forschungszentrum Karlsruhe, das Max
Rubner-Institut Detmold sowie die KAMPFFMEYER
Food Innovation GmbH, ein Tochterunternehmen von
Europas größter Mühlengruppe mit Hauptsitz in Ham­
burg. Um die Kleie aufzuschließen und das Aleuron
zu gewinnen, bedarf es spezieller Mahltechniken. Die
weltweit beste Technik beherrscht die von KAMPFF­
MEYER beauftragte Schweizer Firma Bühler AG; sie
stellt den Jenaer Wissenschaftlern Aleuron in hoher
Reinheit für ihre Studien zur Verfügung. Welche Reak­
tionen das mit der Nahrung aufgenommene Aleuron in
der menschlichen Darmwand auslösen kann, unter­
suchen die Forscher an gesunden Darmzellen und an
Zelllinien des Darmes, die verschiedene Krebsstadien
repräsentieren. „Allerdings können wir das gemahlene
Aleuron nicht einfach auf die Zellen geben und nach­
sehen, was es dort bewirkt. Denn wir wollen ja der Situ­
31
DreiFach FunktioneLLe Brötchen
ation möglichst nahekommen, die im menschlichen
Verdauungstrakt herrscht“, erklärt Glei.
zugesetzt, um einen möglichen Einfluss der probioti­
schen Bakterien abzuschätzen.
Daher haben Gleis Doktorandinnen Anke Boro­
wicki und Katrin Stein ein Testsystem entwickelt, das
die Passage durch Mund, Magen, Dünn- und Dickdarm
möglichst realitätsnah nachahmen soll. Darin set­
zen sie das Aleuron Schritt für Schritt verschiedenen
Verdauungsenzymen aus, lassen Gallensäuren einwir­
ken und verändern den pH-Wert entsprechend den
Verhältnissen im Körper. Durch diesen künstlichen
Verdauungsprozess entstehen Spaltprodukte aus
Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen, welche sich
anschließend mit einer Dialysemembran abtrennen
Nach dieser insgesamt 32-stündigen Prozedur wird
das inzwischen stark fermentierte Aleuron auf Eis
gesetzt, um seine weitere Zersetzung zu verhindern.
Danach wird die Masse mehrmals zentrifugiert, bis man
einen klaren Fermentationsüberstand erhält. „Wir gehen
davon aus, dass in diesem Überstand alle wichtigen
Substanzen enthalten sind, die im Körper mit der Darm­
schleimhaut in Kontakt kommen“, sagt Michael Glei.
Brötchen und Schokokeks, zubereitet von der KAmPFFmEYER Food
innovation GmbH in Hamburg. Beide Produkte sind Prototypen
funktioneller Lebensmittel: Sie enthalten Weizen-Aleuron.
lassen. Um die zurückgebliebenen, nicht verdaulichen
Ballaststoffe aufzuschließen, werden sie mit Stuhl­
proben von gesunden Freiwilligen versetzt – und sind
damit genau jenen Bakterien ausgesetzt, die auch
im menschlichen Dickdarm für ihren Abbau sorgen.
Einem Teil der Proben wurden zusätzlich Kulturen von
Lactobacillus rhamnosus und Bifidobacterium lactis
Wie schmeckt ein aleuron-Brötchen?
Lecker – und kaum anders als ein ganz normales
Weißmehlbrötchen! So lautet das Urteil freiwilliger
Testpersonen, die das herkömmliche mit dem neuen
Produkt vergleichen sollten. Neben den AleuronBrötchen bewerteten die Probanden neun weitere
Prototypen von dreifach funktionellen Backwaren.
„Wir haben eine Milchschnitte aus Aleuron-Teig mit
süßer Creme oder herzhafter Fleisch- oder Käsefül­
lung entwickelt, außerdem Misch- und Toastbrot,
ein Knäckebrot mit Käsefüllung oder Kekse mit Pro­
biotika in der Schokofüllung“, sagt Michael Gusko,
Geschäftsführer der KAMPFFMEYER Food Innova­
tion GmbH. Das Hamburger Unternehmen hat als
Industriepartner neben Finanzmitteln vor allem sein
Know-how in das BmBF-Projekt eingebracht. in
den innovativen Backwaren waren bis zu 8 % des
Getreidegehalts durch gemahlenes Aleuron ersetzt
– also genauso viel, wie in Vollkornmehl enthalten
ist. „Wir möchten die breite Bevölkerung mit Pro­
dukten ansprechen, die wie herkömmliche Brötchen
oder Toastbrot schmecken, aber gesünder sind“, so
Gusko. Zwar gibt es derzeit nur wenige Lebensmit­
telhersteller, die über die nötigen Technologien zur
Produktion der Aleuron-Backwaren verfügen. Doch
Michael Gusko ist optimistisch: „Wir haben gezeigt,
dass wir diese dreifach funktionellen Lebensmittel
herstellen können – und dass sie extrem gut
schmecken.“
Welche Substanzen dies sind, untersucht Gerald
Brenner-Weiss zusammen mit seiner Kollegin Kerstin
Scheu am Institut für Funktionelle Grenzflächen des
Forschungszentrums Karlsruhe. Als Kontrolle dient
32
den Wissenschaftlern ein Fermentationsüberstand,
der mit demselben In-vitro-Verdauungssystem aus
Stuhlproben ohne Zugabe des Aleurons gewonnen
wurde. Das Fazit ihrer umfangreichen Analysen: Im
fermentierten Aleuron sind dreimal mehr kurzkettige
Fettsäuren enthalten als in der Kontrolle; eine davon –
das Butyrat – ist sogar auf das Fünffache angewachsen.
Die erhöhte Säurekonzentration spiegelt sich in einem
erniedrigten pH-Wert wider. Gleichzeitig fällt ein
deutlich geringerer Gehalt an sekundären Gallensäu­
ren auf; sie entstehen beim mikrobiellen Abbau der
primären Gallensäuren und sind wegen ihrer krebsfördernden Eigenschaften gefürchtet.
„Mit der Nahrung aufgenommenes Aleuron könnte
im Darm chemopräventiv wirken, also die Entstehung
oder Weiterentwicklung von Entartungen im Darm
verhindern“, schließt Michael Glei aus den Analysen
seiner Karlsruher Projektpartner. Diese Chemoprä­
vention wirkt auf mehreren Ebenen: Hohe Butyrat­
konzentrationen fördern das Wachstum der gesunden
Darmzellen, hemmen aber gleichzeitig die Entwick­
lung bereits entarteter Zellen – ein Paradoxon, das man
DreiFach FunktioneLLe Brötchen
seit Langem kennt, aber noch nicht vollständig versteht.
Zudem wirkt sich der niedrige pH-Wert günstig auf die
Zusammensetzung der Darmmikrobiota aus: Er be­
vorzugt säureliebende Bakterien wie die probiotischen
Kulturen und schwächt vor allem jene Mikrobenarten,
die für den Abbau der primären in die – kanzeroge­
nen – sekundären Gallensäuren sorgen. Die übrigen
Gallensäuren werden im Dickdarm größtenteils von
den Ballaststoffen des Aleurons gebunden und letztlich
mit ihnen ausgeschieden.
Besonders beeindruckend sind die chemopräventi­
ven Effekte, die Anke Borowicki und Katrin Stein direkt
an den Zellkulturen beobachten konnten: Die Zellen
steigern die Aktivität wichtiger Entgiftungsenzyme
(namentlich Katalase und Glutathion-S-Transferase)
auf das Doppelte, wenn sie mit fermentiertem Aleuron
in Kontakt gebracht werden. Diese Enzyme sind an der
Beseitigung von reaktiven Verbindungen beteiligt und
schützen die Zellen vor oxidativem Stress. Außerdem
wird das Erbgut der Zellen weniger geschädigt, wenn zu­
vor das fermentierte Aleuron auf sie einwirkt; dies zeigt
eine Behandlung der Zellen mit Wasserstoffperoxid, mit
der sich absichtlich DNA-Schäden erzeugen lassen.
„Sämtliche chemopräventiven Effekte werden schon
vom Aleuron alleine ausgelöst. Einige von ihnen treten
leicht verstärkt auf, wenn wir während des In-vitroVerdauungsprozesses zusätzlich die probiotischen
Bakterienstämme zugeben“, betont Michael Glei und
fasst die wichtigsten Ergebnisse der Versuche zusam­
men: „Gesunde Darmzellen sind in ihrer Vitalität nicht
beeinträchtigt. Dagegen werden Krebszelllinien zweier
unterschiedlicher Krebsstadien massiv am Wachstum
gehindert oder sogar zum Absterben gebracht. Das
sieht man nicht nur an den molekularen Markern,
sondern schon mit bloßem Auge: Die Tumorzellen
wachsen in der Kulturschale nur halb so dicht, wenn
wir sie mit dem Fermentationsüberstand behandeln.“
Die Länge des „Kometenschweifes“ im Comet-Assay lässt auf den
Grad einer DNA-Schädigung schließen. Der Bildausschnitt zeigt
Verbände mit ungeschädigter (Mitte) und geschädigter DNA (oben
und unten).
Besonderen Wert legt der Jenaer Ernährungswis­
senschaftler auf folgenden Befund: Bei den Zellen des
früheren Krebsstadiums ist der Effekt größer als bei den
stärker entarteten Zellen. Damit steige die Chance, den
Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen, so Glei: „Diese
vielen chemopräventiven Effekte sprechen dafür, dass
Weizen-Aleuron mit oder ohne Ergänzung durch probi­
otische Bakterien die Darmgesundheit fördern und einer
Entartung der Schleimhautzellen entgegenwirken kann.“
33
GesPräch Mit ProF. DanieL, ZieL-tuM-akaDeMie
„Wir schaffen eine Schnittstelle zwischen Ernährungsforschung
und Lebensmittelindustrie“
im Gespräch mit Prof. hannelore Daniel, Wissenschaftliche Leiterin
der ZieL-tuM-akademie Lebensmittel, ernährung, Gesundheit an der tu München
Wo liegen die größten herausforderungen
für die Lebensmittelhersteller?
Hannelore Daniel, Technische Universität München
Frau Prof. Daniel, was hat sie zur Gründung der
ZieL-tuM-akademie veranlasst?
Die Tatsache, dass die deutsche Lebensmittelindus­
trie in vielen Bereichen den Anschluss an aktuelle
Entwicklungen in der Ernährungsforschung verlo­
ren hat. Deutschland hat fast ausschließlich kleine
und mittelständische Unternehmen, darunter viele
traditionsreiche Familienunternehmen. Weniger
als 10 % aller Unternehmen betreiben überhaupt
regelmäßig Forschung und Entwicklung. Allein die
Firma Nestlé investiert zehnmal so viel in F&E wie
alle deutschen Unternehmen zusammen.
Welches Ziel verfolgt die akademie?
Wir wollen den Unternehmern klarmachen,
dass sich die Ernährungswissenschaften enorm
verändert und weiterentwickelt haben. Auch die
Anforderungen an die Lebensmittel werden sich
in den nächsten 20 Jahren dramatisch ändern. Wer
sich damit nicht auseinandersetzt, wird früher oder
später ein Nischendasein führen.
Die meisten Unternehmen haben traditionel­
le Rezepturen und wissen oft gar nicht, welche
Nährstoffe ihr Produkt enthält – Hauptsache, es
schmeckt gut und verkauft sich. EU-weite Kenn­
zeichnungsvorschriften und neue rechtliche
Bestimmungen für funktionelle Inhaltsstoffe
und Health-Claims setzen die Unternehmen nun
unter Druck. Häufig fehlt ihnen aber das nötige
Wissen zur Beurteilung der Qualität und Wirkung
bestimmter Inhaltsstoffe oder zu den rechtlichen
Bestimmungen. Genau dieses Wissen wollen wir
vermitteln.
Welche inhalte vermittelt die akademie?
Unsere Seminare beinhalten vier unabhängige
Module, die einzeln oder im Paket gebucht werden
können. Im ersten Modul geht es um die Frage,
was menschliche Ernährung eigentlich ist. Wir
wissen heute, dass Ernährungsfaktoren für wich­
tige Organsysteme spezifische Funktionen haben
– jenseits von der Versorgung mit Nährstoffen und
Kalorien. Generell vermitteln wir zunächst die
Grundlagen zum Verständnis beispielsweise des
Magen-Darm-Trakts oder des kardiovaskulären
Systems. Dann fragen wir danach, welche Bedeu­
tung Ernährungsfaktoren in der Entstehung von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder chronischen
Entzündungsprozessen im Darm haben.
Das klingt wie eine art schnellstudium der
ernährungswissenschaften …
Wenn Sie so wollen. Aber wir vermitteln nicht nur
Grundlagen, sondern fragen auch: Was haben uns
die Studien der letzten Jahre wirklich gebracht?
Im Modul drei lernen die Teilnehmer, welche
Methoden es gibt. Doch am Ende steht die Frage:
Wo stehen wir heute, nachdem wir mit all diesen
GesPräch Mit ProF. DanieL, ZieL-tuM-akaDeMie
34
Methoden ins Genom hineinleuchten oder nachse­
hen können, was irgendein Polyphenol in unserem
Körper tut? Wir geben Bewertungen ab, welche Zu­
sammenhänge belegt sind und welche nicht. Denn
da wird bekanntlich auch viel Unsinn verbreitet
– insbesondere über funktionelle Lebensmittel.
Wir zeigen auf, welche Evidenzen es dafür gibt,
dass man zum Beispiel über Veränderungen der
Fettsäurezusammensetzung in Lebensmitteln tat­
sächlich protektiv auf das kardiovaskuläre System
einwirken kann.
zeigt, dass die Teilnehmer äußerst zufrieden damit
sind, wie glaubwürdig unsere Referenten ihr Fach­
wissen weitergeben, aber auch individuell bewer­
ten und strittige Fragen kontrovers diskutieren.
Diese offene Atmosphäre wird von den Teilneh­
mern besonders geschätzt.
Wie können die teilnehmer das Gelernte
umsetzen?
Im Modul vier geht‘s um praktische Fragen: Was
erwartet der Konsument? Wie entwickeln sich
die Märkte? In welchem Rechtsrahmen bewegen
wir uns mit Supplementen, mit funktionellen
Lebensmitteln oder mit dem Nutrition Profiling?
Wir sagen den Unternehmen: Wenn ihr diesen
oder jenen Health-Claim ausloben wollt, dann
müsst ihr folgende Studien machen, zu folgenden
Kosten. Damit vermitteln wir den Leuten Kompe­
tenzen für die eigene Entscheidung.
Geben sie auch hilfestellungen bei der
Produktentwicklung?
Als universitäre Einrichtung ist das nicht unser
Auftrag. Aber wir machen den Unternehmen
klar, dass sie sich mit den Nährstoffprofilen in
ihren Produkten beschäftigen, ihre Rezepturen
durchgehen und sich fragen müssen: Was kann
ich tun, damit ich die Fettzusammensetzung in
meinem Produkt ändern, zu viel Salz oder Zucker
rausnehmen oder es mit funktionellen Inhalts­
stoffen anreichern kann – und dabei immer noch
ein schmackhaftes Lebensmittel schaffe, das sich
verkauft? Das ist ein wesentlicher Teil der Pro­
duktentwicklung.
Wie wird ihr angebot aufgenommen?
Die Nachfrage ist überwältigend! Wir haben Teil­
nehmer aus kleinen und mittelständischen, aber
auch aus den ganz großen Unternehmen, außer­
dem Leute, die in der Beratung tätig sind, beispiels­
weise bei Krankenkassen oder als Selbstständige.
Die Auswertung unserer Evaluations-Fragebögen
Seminarteilnehmer bei der Auswertung von Laborexperimenten
Die ZiEL-TUm-Akademie, im November 2007 mit finanzi­
eller Unterstützung des BmBF gegründet, greift mit ihrem
Weiterbildungsprogramm aktuelle Entwicklungen in der
Ernährungs- und Lebensmittelforschung auf. Die wissen­
schaftliche Leitung obliegt Prof. Dr. Hannelore Daniel, die
zugleich der Abteilung Biochemie am Zentralinstitut für
Ernährungs- und Lebensmittelforschung (ZIEL) vorsteht
und den Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie an der Tech­
nischen Universität münchen (TUm) innehat. Das Angebot
richtet sich an Mitarbeiter der Lebensmittelbranche und
des Handels sowie an Beratungsfachkräfte im Bereich
Ernährung und Gesundheit. Das 27-köpfige Akademie­
kollegium besteht aus Ernährungs- und Naturwissen­
schaftlern, medizinern, Ökonomen, marketingexperten
und Anwälten. Ein Teil der Referenten ist am ZiEL oder
an der TUM beschäftigt; dazu kommen Gastdozenten aus
dem deutschsprachigen Raum sowie Experten aus der
industrie.
www.wzw.tum.de/ziel/akademie/
35
achtunG anGreiFer!
Achtung Angreifer!
Wie sich die Darmschleimhaut gegen Krankheits­
erreger wehrt
Mit der nahrung gelangen nicht nur nährstoffe
in den körper, sondern auch krankheitserreger.
aufgrund einer angeborenen immunität sind die
Zellen der Darmschleimhaut jedoch in der Lage,
ein breites spektrum an pathogenen Bakterien und
Viren sehr schnell zu erkennen und unschädlich zu
machen. am Deutschen krebsforschungszentrum
heidelberg (DkFZ) werden Proteine des Darm­
epithels näher untersucht, die an dieser unmittel­
baren schutzantwort beteiligt sind. sie sollen nun
auch als Biosensoren dienen, um die sicherheit von
nahrungsmittelbestandteilen zu testen.
Worin besteht seine Funktion? Hilft das Protein, den
Krankheitsprozess zu lindern, oder trägt es etwa dazu
bei, ihn zu verstärken oder gar erst auszulösen? Wichti­
ge Hinweise auf seine Wirkung gibt die Häufung einer
bestimmten Variante des DMBT1-Gens bei MorbusCrohn-Patienten: Gesunde besitzen überwiegend eine
Genvariante, die dem Protein eine starke Bindungs­
fähigkeit an Bakterien verleiht; es erkennt bestimmte
chemische Strukturen – sogenannte Phosphatreste
– an deren Oberfläche und bindet sich an sie, sodass
die Bakterien verklumpen und an einer Infektion
gehindert werden. Dagegen findet sich bei chronisch
Erkrankten überdurchschnittlich häufig eine Gen­
variante für ein DMBT1-Protein mit vergleichsweise
geringer Bakterienbindungsfähigkeit. „Dieser geneti­
sche Unterschied könnte für die Betroffenen einen ver­
minderten Schutz vor Bakterien zur Folge haben und
hierdurch die Ausprägung chronisch entzündlicher
Darmerkrankungen begünstigen. Dagegen sind die
Träger der häufigeren Genvariante vermutlich besser
vor Bakterien und entzündlichen Prozessen geschützt“,
so Mollenhauer.
Zu den bekannten Schutzfaktoren der Darmschleim­
haut zählt ein Protein namens DMBT1. „Norma­
lerweise kommt dieses Protein im Darm in sehr
geringen Mengen vor; vermutlich soll damit erreicht
werden, dass die reguläre bakterielle Mikroflora in
einer gewissen Balance gehalten wird. Nur nach einer
Infektion oder Entzündung wird das entsprechende
Gen hochreguliert und sehr viel Protein hergestellt“,
Für eine Schutzwirkung des Schleimhautproteins
sagt Jan Mollenhauer, der das BMBF-Projekt am
spricht auch der Vergleich von normalen Mäusen mit
Deutsches Krebsforschungszent­
rum leitet und seit März 2008 eine
Professur am Institut für Medi­
zinische Biologie der Universität
Odense in Dänemark innehat. Wie
Mollenhauer und seine Kollegen
zeigen konnten, ist das Schutzpro­
tein bei Menschen mit chronisch
entzündlichen Darmerkrankungen
wie Morbus Crohn und Colitis
ulcerosa gleichsam im Dauerein­
satz: „Im Oberflächenepithel – also
direkt dort, wo Bakterien mit den
Darmzellen Kontakt haben – findet
bei diesen Erkrankungen eine
drastische Hochregulation des
DMBT1-Gens statt. Daraus schlie­
ßen wir, dass das Protein hier eine
mit Antikörpern lässt sich das Schutzprotein DmBT1 in Gewebeschnitten braun anfärben. Links
bedeutende Funktion ausübt“, so
der Darm eines gesunden menschen (maßbalken: 100 μm), rechts der eines Morbus-CrohnMollenhauer.
Patienten (maßbalken: 200 μm).
achtunG anGreiFer!
36
solchen, deren DMBT1-Gen inakti­
viert worden war. Nachdem Tieren
beider Stämme mit dem Trinkwas­
ser eine entzündungsfördernde
Substanz namens Dextransulfat
verabreicht worden war, stellten die
Nager mit intaktem DMBT1-Gen
große Mengen des Proteins her und
entwickelten weniger ausgeprägte
Darmentzündungen als jene mit
dem inaktivierten Gen. „Da haben
wir uns gefragt: Wie übt das Protein
seinen Schutzeffekt aus? Bindet
es vielleicht an das Dextransulfat,
so wie es an die Bakterien bindet?“
Durch ein einfaches Experiment
schaffte sich der DKFZ-Forscher
Klarheit: „Bakterien verklumpen,
wenn wir sie mit dem Protein in
Kontakt bringen. Sobald man Dex­
transulfat dazugibt, lösen sie sich
wieder. Offenbar konkurriert der
Stoff mit den Bakterien um diesel­
ben Bindungsstellen am Protein.“
im Darm einer normalen maus (links) gibt sich das DmBT1-Protein durch seine rote Färbung zu
erkennen. im Darm der maus rechts fehlt das Protein, weil das zugehörige Gen inaktiviert wurde.
Durch den Vergleich der beiden mausstämme lässt sich die Funktion von DmBT1 erforschen. Die
maßbalken entsprechen jeweils 100 μm.
Die Ursache für dieses Kon­
kurrenzverhalten sind die zahlreichen Sulfatgruppen
des Dextransulfats, die den Phosphatgruppen auf der
Bakterienoberfläche strukturell sehr ähnlich sind. „Das
hat uns zu der Überlegung geführt, ob womöglich auch
sulfatierte Nahrungsmittelkomponenten mit dem
Protein um bakterielle Bindungsstellen konkurrieren
und dadurch dessen Schutzfunktion hemmen.“ Che­
misch nah verwandt mit dem Dextransulfat ist das aus
Rotalgen gewonnene Carragen. Der Naturstoff findet
in der Lebensmittelindustrie vielseitige Verwendung
als Gelier- und Dickungsmittel in Wurst, Marmela­
den, Milch- und Lightprodukten, Babynahrung oder
Eiscreme. Nach der Europäischen Öko-Verordnung ist
Carragen unter der Nummer E 407 auch als Zusatzstoff
für Biolebensmittel zugelassen.
Die DKFZ-Forscher konnten nachweisen, dass
Carragen die bakterielle Bindungsaktivität des Schutz­
proteins DMBT1 genauso hemmt wie Dextransulfat.
Jan Mollenhauer regt daher an, man solle mögliche
Auswirkungen dieser Nahrungsmittelkomponente auf
den Verlauf chronisch entzündlicher Darmerkrankun­
gen genauer untersuchen. „Unser Interesse konzen­
triert sich aber auf einen anderen Aspekt“, erklärt der
Wissenschaftler: „Wir haben gesehen, dass Carragen
ebenso wie Dextransulfat zu einer Hochregulation
des DMBT1-Gens und damit zu einer vermehrten
Produktion des Schutzproteins in Darmzellen führt.
Wenn aber Gene so empfindlich auf potenziell schäd­
liche Substanzen reagieren – dann ließen sie sich doch
vielleicht industriell nutzen, um damit auch andere
Lebensmittelbestandteile auf ihre Schädlichkeit oder
Unbedenklichkeit zu testen.“
Tatsächlich gelang es Mollenhauer, ein solches
Testsystem herzustellen – allerdings benutzte er dazu aus
verschiedenen Gründen nicht das Gen für DMBT1,
sondern jenes für ein Signalmolekül, das bei der Immun­
abwehr eine ähnliche Rolle spielt wie das Schutzpro­
tein. Gekoppelt an ein sogenanntes Reportergen – es
zeigt an, ob und in welchem Ausmaß das eigentlich in­
teressierende Gen aktiv ist – und eingeführt in mensch­
liche Darmtumorzellen, fungiert es nun als Biosensor,
der zwischen schädlichen und unschädlichen sulfatier­
ten Lebensmittelbestandteilen unterscheiden kann.
37
kohL GeGen kreBs
Kohl gegen Krebs:
Brokkoli & Co könnten zur Vermeidung
von Tumorerkrankungen beitragen
Prostatakrebs ist bei deutschen Männern die
zweithäufigste Krebserkrankung mit Todesfolge.
Zahlreiche studien deuten darauf hin, dass be­
stimmte inhaltsstoffe des Brokkoli – namentlich
Glucosinolate und selen – das erkrankungsrisiko
senken können. Diesen Zusammenhang umfassend
zu untersuchen ist Ziel eines Verbundprojekts
unter Leitung des Deutschen krebsforschungs­
zentrums heidelberg. Die dabei gewonnenen
erkenntnisse sollen dazu beitragen, funktionelle
Lebensmittel mit einem erhöhten Potenzial zur
Prävention von krebs zu entwickeln.
Industriepartnern Unilever Deutschland und Frucht­
saft Bayer. Die Forschungsmethoden reichen von der
Auswertung epidemiologischer Daten über kontrollier­
te Anbaustudien natürlicher Brokkolisorten und analy­
tische Studien zur Bioverfügbarkeit der Glucosinolate
bis hin zu Zellkulturexperimenten, Tierversuchen und
Humanstudien.
Clarissa Gerhäuser vom Deutschen Krebsfor­
schungszentrum (DKFZ) in Heidelberg koordiniert das
Verbundprojekt und leitet zugleich die Versuchsreihen
an Zellkulturen und Mäusen. Als Testmaterial dienten
Extrakte aus Brokkoli, Brokkolisprossen und -samen,
die das gesamte Spektrum an Glucosinolaten und an-
Brokkoli und andere Kohlpflanzen sind reich an gesundheitsfördernden inhaltsstoffen.
Gesundheitsvorsorge beginnt mit einer ausgewoge­
nen Ernährung, die reich an Obst und Gemüse ist. In
den letzten Jahren mehren sich die Hinweise auf eine
krebsvorbeugende Wirkung bestimmter Pflanzen­
inhaltsstoffe, die besonders in Brokkoli und anderen
Kohlpflanzen enthalten sind: die Glucosinolate. Ob sich
Brokkoliprodukte als funktionelle Lebensmittel zur
Prävention von Prostatakrebs und anderen Tumorer­
krankungen eignen, untersucht ein Konsortium aus
vier akademischen Forschungseinrichtungen und den
deren Inhaltsstoffen in ihrer natürlichen Zusammen­
setzung enthalten – so wie es auch beim Essen in den
Körper gelangt. Dazu wurde der Brokkoli mit Wasser
homogenisiert und ohne weitere Aufbereitung dem
Kulturmedium von Prostatakrebszelllinien zugesetzt.
Zum Vergleich kamen verschiedene Einzelsubstanzen
zum Einsatz, die beim Abbau der Glucosinolate im
Verdauungstrakt entstehen. In verschiedenen Testsys­
temen zeigten die so behandelten Zellen im Vergleich
zu unbehandelten Kontrollen deutliche Reaktionen:
Kohl gEgEn KrEbs
38
Sowohl die Einzelsubstanzen als auch der Gesamtex­
trakt aktivierten wichtige Enzyme der antioxidativen
Abwehr wie NAD(P)H:Chinon-Reduktase, Thiore­
doxin-Reduktase und Glutathion-Peroxidase. War der
verwendete Brokkoli zuvor mit Selen gedüngt worden
(siehe Kasten), so zeigte sich dies in einer gesteigerten
Aktivität selenabhängiger Enzymsysteme – ohne dass
dadurch eine Störung der anderen Stoffwechselprozes­
se zu beobachten war.
selen fördert die körpereigene krebsabwehr
Als Bestandteil zahlreicher Enzyme ist Selen unver­
zichtbar für wesentliche Körperfunktionen, insbe­
sondere für ein aktives immunsystem. Verschiedene
Studien lassen darauf schließen, dass Selen vor
Krebserkrankungen schützen kann. Eine wichtige
Rolle kommt dabei dem selenhaltigen Enzym Glu­
tathionperoxidase zu: Es unterstützt den Körper bei
der Entsorgung von Giftstoffen, die beim Fettstoff­
wechsel anfallen, und schützt die Zellmembranen
vor der Zerstörung durch reaktive Sauerstoffmole­
küle. indem man Brokkolipflanzen mit Selen düngt
und sie so gezielt mit dem Spurenelement anrei­
chert, hofft man sich dessen gesundheitsfördernde
Effekte besser nutzbar zu machen. Allerdings sind
in den Pflanzen die gleichen Biomoleküle dafür
zuständig, sowohl Selensalze als auch Schwefelsalze
aufzunehmen und zu transportieren. „Daraus ergab
sich die Befürchtung, dass eine Selenatzudüngung
möglicherweise so in den Stoffwechsel der Pflanzen
eingreift, dass die Biosynthese der schwefelhal­
tigen Glucosinolate gestört wird“, erklärt Thomas
Rausch vom institut für Pflanzenwissenschaften der
Universität Heidelberg. im Rahmen des BmBF-Ver­
bundprojekts hat Rausch diese Vermutung überprüft
– und konnte sie nicht bestätigen: „Wenn man die
Selendüngung so dosiert, dass die Endkonzentration
im Brokkoli für den Konsumenten unbedenklich ist,
dann wird die Biosynthese der Glucosinolate nicht
gestört – im Gegenteil: Selenat aktiviert eine ganze
Reihe von Sulfattransportern und führt dazu, dass
der Schwefelgehalt im Spross ansteigt.“ Leider wird
aus dem überschüssigen Schwefel kein zusätzliches
Glucosinolat gebildet, wie Rauschs Studien zeigten:
„Nun suchen wir nach den Flaschenhalsreaktionen,
die einer gesteigerten Glucosinolatsynthese entge­
genstehen.“
Auf einem Versuchsfeld wird Brokkoli via Blattdüngung mit Selen
angereichert.
Dagegen können sich verschiedene Abbauproduk­
te der Glucosinolate – namentlich Isothiocyanate und
Indolderivate – sehr wohl gegenseitig in ihrer Wir­
kung hemmen, wie Clarissa Gerhäuser zusammen mit
Gerlinde Pappa und weiteren DKFZ-Wissenschaftlern
in früheren Zellkulturstudien herausfand: „Jede der
beiden Reinsubstanzen kann für sich genommen das
Wachstum von Krebszellen hemmen. Dagegen wirken
beide zusammen antagonistisch, das heißt, sie behin­
dern sich gegenseitig, sodass der wachstumshemmen­
de Effekt aufgehoben wurde.“
Möglicherweise erklärt dieses Phänomen auch die
widersprüchlichen Ergebnisse der Tierversuche, die
Gerhäuser im Rahmen des BMBF-Projekts durchführte.
Als Versuchstiere dienten Mäuse, denen menschliche
Prostatakrebszellen unter die Haut gespritzt worden
waren; das Tumorwachstum lässt sich an der Zunahme
von Gewicht und Volumen messen. Die Mäuse beka­
men Pellets zu fressen, denen 20 % handelsüblicher
Brokkoli oder Grünkohlextrakt zugesetzt worden
war. Doch anders als erhofft konnte keines der beiden
Lebensmittel das Tumorwachstum bremsen. „Das zeigt,
39
kohL GeGen kreBs
dass man von In-vitro-Testergebnissen in Zellkultur
nicht ohne Weiteres auf die Wirkung eines komple­
xen Lebensmittels auf das Tumorwachstum schließen
kann“, betont Gerhäuser. „Wir vermuten, dass auch hier
wachstumshemmende und -fördernde Mechanismen
zusammenspielen und sich gegenseitig in ihrer Wir­
kung aufheben.“
Ob und wie sich der Genuss von Brokkoli auf den
menschlichen Organismus auswirkt, untersuchte
Achim Bub vom Max Rubner-Institut in Karlsruhe.
Zunächst sollte geklärt werden, inwiefern die Art der
Zubereitung die Bioverfügbarkeit der Glucosinolate
beeinflusst. Dazu bekamen zwölf freiwillige Testper­
sonen – alles junge, gesunde Männer – im Abstand von
einer Woche jeweils 200 Gramm Brokkoli zum Früh­
stück: entweder als rohes oder blanchiertes Gemüse,
als Püree oder als Saft, zubereitet von der Fruchtsaft
Bayer GmbH & Co. KG aus Ditzingen. Den Probanden
wurde im Stundentakt Blut und Urin abgenommen
und an die Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmit­
telchemie in Garching bei München weitergeleitet;
dort analysierte Johanna Hauder als Doktorandin in
der Arbeitsgruppe von Veronika Somoza ihren Gehalt
an Sulforaphan und anderen Glucosinolatabkömmlin­
gen. Die höchsten Wirkstoffwerte fanden sich im Blut
jener Probanden, die rohen Brokkoli gegessen hatten;
deutlich niedriger lagen sie nach dem Genuss von
blanchiertem Brokkoli, am niedrigsten nach dem Ver­
zehr von Saft. Achim Bub hat eine Erklärung für die
unterschiedliche Bioverfügbarkeit der Wirksubstan­
zen: „Um die Glukosinolate aufzuschließen, braucht
der Körper ein pflanzliches Enzym, das erst beim
Zerkleinern des Brokkoli freigesetzt wird. Das passiert
beim Kauen genauso wie beim Zerschneiden, Pres­
sen oder Pürieren. Zu langes Erhitzen zerstört dieses
Enzym – daher die geringen Werte beim blanchierten
Gemüse.“
In einer weiteren Studie mit gesunden, jungen
Männern sollte sich die Funktionalität des Brokkoli
erweisen. Dazu gab Achim Bub den insgesamt 125
Probanden vier Wochen lang täglich 200 Gramm
blanchiertes oder püriertes Testgemüse zu essen, das
entweder aus gewöhnlichem oder aus eigens mit Selen
gedüngtem Brokkoli zubereitet war. Ein weiterer Teil
der Testpersonen sollte Kapseln mit Gemüseextrakt
einnehmen; eine Kontrollgruppe bekam wirkstofffreie
Kapseln. Die Analysen zeigten, dass – verglichen mit der
Kontrollgruppe – durch die Selenaufnahme mit Brok­
koli die Aktivität wichtiger Entgiftungsenzyme wie
der Glutathionperoxidase erhöht wird. Somit können
durch regelmäßigen Brokkoliverzehr wesentliche Me­
chanismen der Körperabwehr gestärkt werden.
menschliche Prostatakrebs-Zelllinien werden im inkubator unter physiologischen Temperatur-, pH- und Feuchtebedingungen gehalten.
40
kohL GeGen kreBs
im Tumorgewebe von mäusen lässt sich mithilfe spezifischer Antikörper die Expression eines Zellwachstumsmarkers (dunkelbraune Färbung der
Zellkerne) nachweisen. Das Gewebe von mäusen, deren Futter glykosinolatreiche Grünkohlsprossen enthielt (linkes Bild) unterscheidet sich nicht
von Gewebe aus Kontrolltieren, die Futter ohne Grünkohlzusatz gefressen hatten (rechtes Bild).
Jakob Linseisen vom Helmholtz-Zentrum München
ging der Frage nach, ob sich diese gesundheitswirksa­
men Effekte glucosinolathaltiger Gemüsepflanzen
auch unter Alltagsbedingungen nachweisen lassen.
Vor seinem Wechsel nach Bayern war der Ernäh­
rungswissenschaftler am DKFZ mit der Leitung einer
groß angelegten epidemiologischen Studie namens
EPIC (European Prospective Investigation into Cancer
and Nutrition) betraut. In dieser europaweit größten
Kohortenstudie lassen insgesamt 25.000 Frauen und
Männer aus dem Raum Heidelberg seit nunmehr 17
Jahren ihren Gesundheitszustand und ihre Ernäh­
rungsgewohnheiten aufzeichnen. „Wir prüfen anhand
dieser Daten, ob es bei den Männern einen Zusammen­
hang zwischen dem Risiko für Prostatakrebs und der
Zufuhr von Selen und Glucosinolaten gibt“, sagt Jakob
Linseisen. Kohortenstudien haben den Vorteil, dass die
erfragten Informationen über den Ernähungszustand
aus einer Zeit stammen, zu der die Befragten – auch
jene, die in späteren Jahren an Krebs erkranken – noch
gesund waren, und geben deshalb Hinweise auf mögli­
che präventive Effekte des Lebensstils.
Um möglichst genau abzuschätzen, welche Mengen
an Glucosinolaten die Teilnehmer der EPIC-Heidel­
berg-Studie gewöhnlich zu sich nehmen, gingen die
Helmholtz-Forscher folgendermaßen vor: Zunächst
sammelte Linseisens Doktorandin Astrid Steinbrecher
alle bis dato veröffentlichten Messdaten zum Gehalt
von 26 unterschiedlichen Glucosinolaten in insgesamt
18 verschiedenen Gemüsepflanzen. Besonders hohe
Werte fand sie in Brokkoli und weiteren Kohlsorten,
aber auch in einer Reihe von Kulturpflanzen, die in
vielen wissenschaftlichen Studien oft nicht in Be­
tracht gezogen wurden. So trug der Verzehr von Ret­
tich, Radieschen, Kresse, Senf und Kapern zusammen
ein Fünftel zur Gesamtmenge der aufgenommenen
Glucosinolate bei. Verknüpft man die Daten zum Glu­
kosinolatgehalt in Lebensmitteln mit den tatsächlich
verzehrten Mengen einzelner Lebensmittel, so lässt
sich berechnen, welche Mengen an Glucosinolaten die
befragten Personen zu sich genommen hatten. Laut
dieser Rechnung nahmen die Männer in der EPIC­
Heidelberg-Studie jeden Tag durchschnittlich 14,2
Milligramm der Wirkstoffe zu sich – das entspricht
einem Achtel der Menge, die Achim Bubs Probanden
täglich zum Frühstück bekamen.
„Diese Informationen zur Glukosinolataufnah­
me bei knapp 12.000 Männern aus der EPIC-Kohorte
haben wir genutzt, um nach einem Zusammenhang
mit dem Auftreten von Prostatakrebs zu suchen“,
so Linseisen. Dazu wurde jeder Mann einer von vier
Untergruppen zugeteilt – je nachdem, ob er viel oder
wenig Glucosinolate zu sich genommen hatte. Dann
wurde die Anzahl derjenigen Männer ermittelt, die
in den Jahren seit Beginn der Studie an Prostatakrebs
erkrankt waren. Jakob Linseisen: „Dabei haben wir
einen eindeutigen Zusammenhang gefunden: In der
Gruppe mit der höchsten Glucosinolatzufuhr lag die
Erkrankungsrate 30 % niedriger als in der Gruppe mit
der geringsten Zufuhr. Dieser Unterschied ist beacht­
lich – und statistisch signifikant.“
41
GesunDer Genuss
Gesunder Genuss:
Kaffee enthält zahlreiche Substanzen
mit gesundheitsfördernden Wirkungen
kaffee ist das Lieblingsgetränk der Deutschen: sie
konsumieren den Muntermacher in größeren Men­
gen als Mineralwasser oder Bier. neben seiner be­
kanntesten komponente, dem koffein, enthält das
naturprodukt substanzen mit nachweislich posi­
tivem Einfluss auf lebenswichtige Zellfunktionen.
in einem vom BMBF unterstützten Forschungspro­
jekt soll der bislang unbekannte Wirkmechanismus
von zwei gesundheitsfördernden inhaltsstoffen
aufgeklärt werden. Darauf aufbauend wird eine
kaffeekomposition mit optimierten Gehalten
dieser Bestandteile entwickelt. Fernziel ist ein
nicht nur genussvolles, sondern auch funktionelles
Getränk zur Prävention von krankheiten, die mit
oxidativem stress einhergehen.
Als traditioneller Filterkaffee zubereitet oder als Mok­
ka, Capuccino oder Latte Macchiato serviert – das brau­
ne Pulver wird wegen seines aromatischen Geschmacks
und der stimulierenden Wirkung weithin geschätzt
und ist nach Wasser das am häufigsten konsumierte
Getränk weltweit. Ob es unserem Körper eher schadet
oder nutzt, wird kontrovers diskutiert. Einige Studien
nähren den Verdacht, dass ein überdurchschnittlicher
Kaffeekonsum negative Folgen für die Gesundheit
haben kann: Er soll dem Körper Wasser entziehen,
Schlafstörungen verursachen, den Magen übersäuern
und durch eine Erhöhung des Blutdrucks das Herz­
Kreislauf-System schädigen. Neuere Untersuchungen
lassen jedoch den Schluss zu, dass Kaffee lediglich von
Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen besser
gemieden werden sollte, jedoch selbst nicht als Ursache
dieser Erkrankungen in Betracht kommt.
Zugleich mehren sich die wissenschaftlichen
Hinweise auf eine Reihe von gesundheitsfördernden
Effekten des Heißgetränks. So zeigen verschiedene
Studien, dass ein moderater Kaffeegenuss das Risiko
senkt, Parkinson, Alzheimer, Typ-II-Diabetes oder
koronare Herzerkrankungen zu entwickeln. Möglicher­
weise schützt Kaffeekonsum sogar vor Krebserkran­
kungen: Die Mehrzahl der diesbezüglichen Untersu­
chungen findet Hinweise darauf, dass er das Risiko für
den Ausbruch von Dickdarm-, Brust- und Leberkrebs
verringern kann. Vermutlich entfaltet das Getränk
diese Schutzwirkung, indem es freie Sauerstoffradikale
bindet und so davon abhält, wichtige Biomoleküle und
insbesondere die Erbsubstanz zu schädigen. Welche der
zahlreichen – teils noch nicht identifizierten – Kaffeeinhaltsstoffe diese antioxidativen, chemopräventiven
und antikanzerogenen Effekte im Einzelnen bedingen,
ist bis heute ebenso wenig verstanden wie die Mecha­
nismen, die den Wirkungen zugrunde liegen.
In den kirschförmigen Früchten des Kaffeestrauches reifen je zwei
Kaffeebohnen heran. Wächst der Kaffee nahe am Äquator, hat man
regelmäßig Früchte und Blüten am selben Zweig.
„Wir wollen dazu beitragen, diese Wissenslücken
zu schließen. Außerdem möchten wir herausfinden,
wie die Prozessbedingungen geändert werden müssten,
um Kaffees zu entwickeln, die mit positiven Inhalts­
stoffen angereichert sind“, betont Gerhard Bytof. Als
Wissenschaftlicher Referent der Tchibo GmbH koor­
diniert der Biologe ein ehrgeiziges Vorhaben, das im
Rahmen der BMBF-Initiative „Funktionelle Ernäh­
rungsforschung“ gefördert wird. „Coffeeprevention:
Identifizierung, Prüfung und Optimierung der gesund­
heitsfördernden Eigenschaften von Kaffee“ lautet der
Name des Projekts, an dem sich Wissenschaftler der
Technischen Universitäten München, Kaiserslautern,
Hamburg-Harburg und Karlsruhe sowie der Deutschen
Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in Garching
bei München beteiligen.
42
GesunDer Genuss
Das Konsortium konzentrierte sich auf zwei Kaffee­
inhaltsstoffe, die bereits in zahlreichen Studien ihre
gesundheitsfördernden Eigenschaften unter Beweis
gestellt haben: Chlorogensäure (CGA) und N-Methylpy­
ridinium (NMP). Frühere Studien anderer Arbeitsgrup­
pen zeigten: Beide Wirkstoffe sind offenbar in der Lage,
wichtige Entgiftungsenzyme zu aktivieren sowie freie
Sauerstoffradikale abzufangen und somit die Zelle vor
oxidativer Schädigung zu schützen. Parallel zu diesen
Entdeckungen wurde Ende der 1990er-Jahre ein Signal­
weg entschlüsselt, der mit dem Kürzel Nrf2/ARE (EpRE)
benannt wurde. Ihm kommt eine elementare Rolle
beim Schutz der Zelle vor Angriffen durch oxidative
Agentien zu.
Könnte es nicht sein, dass die Kaffeeinhaltsstoffe
CGA und NMP ihre positiven Wirkungen durch Ein­
flussnahme auf diesen Signalweg entfalten? Diese Frage
stellte sich die Lebensmittelchemikerin Ute Böttler
an der TU Karlsruhe in ihrer Doktorarbeit. Daher be­
handelte sie zwei unterschiedliche Zellkulturen – von
menschlichen Dickdarmzellen und von Lymphozyten
– zunächst mit den beiden Reinsubstanzen sowie mit
Extrakten aus den drei im Handel erhältlichen Kaffee­
sorten Arabica Columbia, Arabica Brasil und Robusta
India. Dann verglich sie die Genaktivität der Zellen mit
derjenigen in unbehandelten Kontrollen. Das Ergebnis:
Tatsächlich entpuppten sich beide Wirkstoffe als po­
tente Aktivatoren des Nrf2/ARE (EpRE)-Signalwegs; sie
setzten sowohl in Reinform als auch als Kaffee-Extrakt
die Enzymkaskaden in Gang, mit denen die Zellen freie
Radikale und andere Giftstoffe unschädlich machen.
„Die gezeigten Effekte stellen sich in Konzentrationen
ein, die bei einer Aufnahme von fünf Tassen Kaffee am
Tag durchaus in den Epithelien des Darmes erreicht
werden könnten“, berichtet Ute Böttler.
Im nächsten Schritt galt es zu klären, ob die in
Zellkulturen beobachteten Schutzwirkungen auch
im menschlichen Organismus auftreten. Dazu entwi­
ckelte Tchibo in Zusammenarbeit mit Rudolf Eggers
vom Institut für Thermische Verfahrenstechnik der
TU Hamburg-Harburg zwei neuartige Studienkaffees:
Einer war – dank einer speziell darauf ausgerichte­
ten Röstung – reich an CGA und arm an NMP, beim
anderen verhielt es sich umgekehrt. Die genaue Analyse
und Mengenbestimmung der Wirkstoffe wurde im
Labor des Lebensmittelchemikers Thomas Hofmann
an der TU München vorgenommen. In der folgenden
Durch die Röstung werden die Bestandteile der Rohkaffeebohne zu
großen Teilen zersetzt oder umgewandelt; dadurch entstehen an
die tausend unterschiedliche neue Substanzen, die entscheidend
zum Aroma und Geschmack des Kaffees beitragen.
Humanstudie tranken 35 Studenten der Deutschen
Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in Gar­
ching – nach einer 14-tägigen kaffeefreien „Washout“-Phase – vier Wochen lang täglich drei Tassen
des CGA-reichen Studienkaffees. Nach einer weiteren
kaffeefreien Pause von zwei Wochen konsumierten sie
ausschließlich den NMP-reichen Studienkaffee. Wäh­
rend der gesamten Testperiode ließen sich die jungen
Männer regelmäßig Blut- und Urinproben abnehmen.
43
GesunDer Genuss
Welchen Veränderungen die Kaffeebohne während einer Röstung unterworfen ist, macht die hier gezeigte Sequenz von Querschnitten ungerös­
teter bzw. zunehmend stark gerösteter Kaffeebohnen deutlich.
„Um die Ergebnisse nicht zu verfälschen, mussten sie
außerdem konsequent auf Rotwein, Tee und Scho­
kolade verzichten, weil darin ebenfalls antioxidative
Wirkstoffe enthalten sind“, erläutert Gerhard Bytof.
Die Auswertung der Blutproben übertraf alle
Erwartungen: „Beide Studienkaffees lösen eine anti­
oxidative Abwehrkaskade aus und machen die Zellen
abwehrbereiter“, fasst Bytof die Testergebnisse mit
verschiedenen Biomarkern zusammen. Außerdem
verringerte sich durch den Kaffeegenuss signifikant das
Ausmaß an Schäden an der Erbsubstanz DNA. Dies zei­
gen Messungen von Christine Janzowski, TU Kaisers­
lautern, mithilfe des sogenannten Comet-Assays, der
schadhafte DNA-Abschnitte in einem Gelbett sichtbar
macht (siehe Bild Seite 32): Die Probanden hatten in
ihren Blutzellen signifikant weniger schadhafte DNA –
erkennbar an einem schwächer ausgeprägten „Kome­
tenschweif“ –, wenn sie Kaffee konsumiert hatten als
während der zweiwöchigen Abstinenzzeit. Die Freude
über den deutlich nachweisbaren Schutzeffekt der bei­
den Studienkaffees ist aber nicht ganz ungetrübt: „Das
Aroma und der Geschmack dieser Testsorten lassen
noch etwas zu wünschen übrig“, räumt Gerhard Bytof
ein. „Hier müssen wir unsere Expertise bei der Schaf­
fung genussvoller Kaffees noch intensiver nutzen.“
auf die röstung kommt es an
Kaffeebohnen enthalten an die tausend identifi­
zierte Inhaltsstoffe sowie mehrere Dutzend bislang
unbekannte Substanzen. ihr Anteil verändert sich
durch den Röstprozess: Lipide, Mineralien und
Koffein durchlaufen die Hitzebehandlung weitge­
hend unbeschadet. Dagegen werden viele Stoffe
durch die hohen Temperaturen von bis zu 260 Grad
Celsius zersetzt oder umgewandelt. So werden
beispielsweise die in grünen Rohbohnen enthaltene
Saccharose oder das Eiweiß im Rohkaffee während
der Röstung nahezu vollständig abgebaut. Gleich­
zeitig entstehen durch die thermischen Kräfte
zahlreiche neue Substanzen, die in der Rohbohne
nicht vorkommen, aber entscheidend zum Aroma
des Kaffees beitragen.
im mittelpunkt des BmBF-Projekts stehen die
beiden gesundheitsfördernden Kaffeeinhaltsstoffe
Chlorogensäure (CGA) und N-Methylpyridinium
(NmP). Verschiedene Kaffeesorten enthalten
unterschiedliche Anteil dieser Wirkstoffe: Manche
Robusta-Sorten sind reicher an CGA, aber oft ärmer
an der NMP-Vorläufersubstanz Trigonellin als Ara­
bica-Sorten. Die mengenverhältnisse verschieben
sich noch zusätzlich durch den Röstungsprozess.
Chlorogensäuren haben in Rohkaffee einen Anteil
von 7–12 % ; nach der thermischen Zersetzung
bleibt davon nur etwa die Hälfte übrig. Außer­
dem enthält gerösteter Kaffee um mindestens ein
Drittel weniger Trigonellin als der entsprechende
Rohkaffee – dafür aber umso mehr NMP, das beim
Abbau von Trigonellin entsteht. Demnach verhal­
ten sich die beiden Wirkstoffe CGA und NMP bei
der Röstung konträr: Wenn der Anteil des einen
steigt, sinkt die menge des anderen. Die Kunst
besteht nun darin, verschiedene Kaffeesorten mit
entsprechenden Trocken- und Röstverfahren zu
kombinieren, um eine optimale Kombination beider
Wirkstoffe zu erzielen.
Dieses Manko sollte in einer zweiten Humanstu­
die – betreut von Gerhard Eisenbrand am Institut für
Lebensmittelchemie und Umwelttoxikologie der
TU Kaiserslautern – durch einen neuartigen Studienkaffee behoben werden: Er enthält CGA und NMP in
44
höheren Konzentrationen als handelsübliche Sor­
ten. Das Ergebnis der Studie ist in doppelter Hinsicht
erfreulich. Zum einen konnte sie die positiven Einflüsse
auf die Zellgesundheit weitgehend bestätigen. Zum an­
deren wurde der Studienkaffee von den Probanden gut
angenommen. „Wir haben uns hinsichtlich der Sen­
sorik deutlich verbessert“, betont Bytof, „jetzt arbeiten
wir daran, den Gehalt an antioxidativen Wirkstoffen
zur Stärkung der zellulären Abwehrmechanismen zu
erhöhen und den Kaffee dabei zu dem zu machen, was
er aus unserer Sicht vor allem ist: ein Genussmittel, das
diesen Namen verdient.“
GesunDer Genuss
Das ist leichter gesagt als getan. Denn die beiden
wesentlichen Komponenten verhalten sich beim Röst­
vorgang gegensätzlich: CGA wird durch starke Hitze
zersetzt, während sich NMP erst bei hohen Tempera­
turen bildet. Doch Gerhard Bytof setzt auf innovative
Trocken- und Rösttechniken. Er ist zuversichtlich, dass
sich ein Kaffee mit allen gewünschten Eigenschaften
entwickeln lässt. Mit einem derartigen Produkt könnte
Tchibo künftig einen Beitrag zum Schutz vor oxidati­
vem Stress und einer Vielzahl damit einhergehenden
Leiden wie Diabetes oder Krebserkrankungen leisten.
Zur Analyse von Kaffeeinhaltsstoffen werden die Proben in der Ionenquelle des Massenspektrometers zunächst durch Anlegen einer Spannung
in feine geladene Tröpfchen (blau) vernebelt. Das Lösungsmittel wird durch Heizer (gelb) verdampft, die verbleibende Probensubstanz in ein
Hochvakuum (schwarzer Punkt mitte) gezogen und dort nach molekülmasse aufgetrennt.
45
DerseLBe ernährunGsstiL ist nicht FÜr jeDen GesunD
Derselbe Ernährungsstil ist nicht für jeden gesund
Prof. joachim spranger untersucht die molekularen Grundlagen von Diabetes
Wie nimmt unsere Nahrung Einfluss auf den Stoff­
wechsel – und damit auch auf unseren Gesund­
heitszustand? joachim spranger will das komplexe
Wechselspiel zwischen ernährung und Metabolis­
mus besser verstehen. in seiner Forschungsarbeit
untersucht der endokrinologe die molekularen
Mechanismen, die zur entstehung von Diabetes
und adipositas beitragen. als arzt bemüht er sich
darum, dass dieses Wissen möglichst rasch den
betroffenen Patienten zugutekommt.
„Es genügt nicht, im Experiment neue Erkenntnis­
se über bestimmte Mechanismen zu gewinnen. Wir
müssen anschließend auch den Nachweis führen,
dass diese Mechanismen für den Menschen relevant
sind“, sagt der Mediziner, der seit 2008 an der Berliner
Charité eine Heisenberg-Professur für Endokrinolo­
gie, Diabetes und Ernährungsmedizin innehat. Dieser
translationale Ansatz zieht sich wie ein roter Faden
durch Sprangers beruflichen Werdegang. Nach seinem
Medizinstudium an den Universitäten Bochum und
Newcastle upon Tyne in Großbritannien praktiziert
der gebürtige Kölner zunächst als Assistenzarzt am
Universitätsklinikum Bochum. Seine Patienten leiden
an hormonellen Störungen und Stoffwechselentglei­
sungen, vor allem an Diabetes und Adipositas. Daher
untersucht er schon in der Doktorarbeit die Bedeutung
einzelner Signalstoffe bei der Entstehung dieser Krank­
heitsbilder.
Im Jahr 2000 wechselt Spranger als Wissenschaft­
licher Mitarbeiter an das Deutsche Institut für Ernäh­
rungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke und
befasst sich mit der Frage, wie das Ernährungsverhal­
ten die hormonelle Antwort des Körpers beeinflusst:
Wie interagieren Kohlenhydrate, Eiweiße oder andere
Nahrungskomponenten mit den hormonellen Regula­
tionsmechanismen in der Leber, im Muskelapparat und
insbesondere im Fettgewebe? Gibt es dabei Unterschie­
de zwischen normalgewichtigen und übergewichtigen
Personen? Und welche Konsequenzen ergeben sich
daraus im Hinblick auf das Risiko, an Diabetes oder
Adipositas zu erkranken? Dieses Bündel von Fragen
lässt sich nicht durch einen einzigen Forschungsan­
satz lösen. Entsprechend vielseitig sind die Techniken,
mit denen Joachim
Spranger nach
Antworten sucht.
Experimente an
Zellkulturen und
Mäusen, ergänzt
durch klinische
Studien, liefern
wichtige Erkennt­
nisse: Eine bedeu­
tende Rolle bei der
Entstehung von
Diabetes kommt
demnach jenen
Signalmolekülen
Joachim Spranger, Charité-Universitätszu, die bei entzünd­
klinikum Berlin
lichen Prozessen
beteiligt sind. „Ob jemand zuckerkrank wird oder nicht,
bestimmen aber nicht nur die Entzündungsmarker
an sich. Entscheidend ist vielmehr das Muster der von
ihnen modulierten Entzündungsantwort“, so Spranger.
Diese Einsicht führt den Arzt zu folgender Über­
legung: Sollte sich mithilfe individueller Megaboli­
tenmuster womöglich vorhersagen lassen, ob jemand
krank wird oder gesund bleibt? Schon heute erlauben
einzelne Parameter – wie beispielsweise der Choles­
terinwert eines Patienten – eine grobe Einschätzung,
mit welcher Wahrscheinlichkeit der Betroffene einen
Herzinfarkt oder Diabetes bekommen wird. „Mittler­
weile können wir im Blut mehr als tausend Metabo­
liten messen. Damit sollte sich das Erkrankungsrisiko
präziser vorhersagen lassen als mit einigen wenigen
Molekülen“, so Sprangers Idee. „Nutrigenomik“ heißt
dieser Forschungsansatz, der die Wirkung bestimmter
Nahrungsmittel auf individuelle genetische Unter­
schiede zurückführen und so erklären will, warum
derselbe Ernährungsstil den einen gesund erhält,
den anderen jedoch krank macht. Im Rahmen der
BMBF-Fördermaßnahme BioProfile Nutrigenomik
und im Rahmen eines großen EU-Forscherverbundes
vergleicht Joachim Spranger die Metabolitenprofile
von Diabetespatienten und gesunden Probanden.
Im nächsten Schritt will er versuchen, in einer Zelle
einzelne Stoffwechselwege zu identifizieren, die die
Funktionalität dieser Zelle beeinflussen. Als Untersu­
chungsobjekte dienen ihm Fett-, Leber- und Muskel-
46
DerseLBe ernährunGsstiL ist nicht FÜr jeDen GesunD
Gemahlene maisstärke in 800-facher Vergrößerung, mit Polfilter aufgenommen
zellen sowie die Insulin produzierenden Betazellen aus
der Bauchspeicheldrüse.
2006 bewirbt sich Joachim Spranger für ein
Heisenberg-Stipendium der Deutschen Forschungs­
gemeinschaft DFG, um damit einen Forschungsauf­
enthalt an der Universität Cambridge in England zu
finanzieren. „Wir hatten schon Schulen für unsere
Kinder ausgesucht“, erinnert sich der Forscher. Doch
dann kommt alles anders: Die Charité bietet ihm an,
eine Heisenberg-Professur einzurichten, und die DFG
wandelt sein Stipendium in eine Heisenberg-Professur
um. Gleichzeitig bewilligt ihm das BMBF im Rahmen
des Nachwuchswettbewerbs „Molekulare Grundlagen
der humanen Ernährung“ eine Nachwuchsgruppe.
Also verwirft Spranger seine Pläne – und bleibt in
Deutschland, wo er vom DIfE an die Charité wechselt.
Dort will er herausfinden, welche Stoffwechselwege
an der Entstehung der Insulinresistenz beteiligt sind.
Parallel dazu sucht er nach Möglichkeiten, wie fettlei­
bige und zuckerkranke Menschen den Verlauf ihrer
Krankheit günstig beeinflussen können. „Die wichtigste
therapeutische Maßnahme ist allgemein bekannt:
mehr bewegen und weniger essen“, sagt Joachim Spran­
ger. Doch in der Praxis erlebt Spranger tagtäglich, wie
schwer es den Betroffenen fällt, diesen einfachen Rat
umzusetzen: „Die meisten Menschen bringt man leider
nicht dazu, ihren Lebensstil zu ändern. Deshalb muss
man auch andere Lösungswege in Betracht ziehen.
Einer davon könnte darin bestehen, die Lebensmittel
zu verändern“, so der Arzt.
Ob sich diese Idee verwirklichen lässt, untersucht
Joachim Spranger nun in einem vom BMBF geförderten
Verbundprojekt zur Funktionellen Ernährungsfor­
schung. Dabei soll zunächst geprüft werden, welche
Kohlenhydrate sich günstig auf den Glucosestoffwech­
sel auswirken. Zur Auswahl stehen Kartoffeln der Sorte
Desirée sowie sechs Züchtungen der Firma Bayer BioScience GmbH, die aufgrund gentechnischer Eingriffe
unterschiedliche Mengenverhältnisse von Amylose und
Amylopectin enthalten. Diese beiden Stärkekohlen­
hydrate unterscheiden sich im Aufbau ihrer Moleküle:
Amylose bildet lange Ketten, die von den menschlichen
Verdauungsenzymen nur sehr langsam in ihre Zucker­
DerseLBe ernährunGsstiL ist nicht FÜr jeDen GesunD
47
bestandteile gespalten werden; Amylopectin ist stärker
verzweigt und lässt sich leichter abbauen. Als Kontrolle
dient Maisstärke, die von Natur aus einen vergleichs­
weise hohen Anteil der schwer verdaulichen Amylose
enthält.
Effekte auf den Stoffwechsel hat“, freut sich Spranger.
Ob diese positiven Wirkungen längerfristig anhalten,
soll sich in weiteren Studien erweisen, bei denen die
Probanden sieben Tage lang Gerichte aus den Testkar­
toffeln essen werden.
„Weil Amylose im Darm schlechter gespalten und
resorbiert wird, steigt der Blutzuckerspiegel weniger
schnell an“, erklärt Spranger. Je höher der Amylosean­
teil einer Kartoffelsorte, umso günstiger sollte sie sich
also auf den Blutzuckerstoffwechsel – und damit auf
den Diabetesverlauf – auswirken, so die Vermutung
der BMBF-Forscher. Um dies zu überprüfen, wurden
junge, gesunde Probanden gebeten, Stärke, Chips oder
Pommes frites zu essen, die eigens aus den transgenen
Kartoffeln hergestellt worden waren. Vor, während
und nach den Mahlzeiten wurde den Probanden
Blut abgenommen und dessen Gehalt an Blutzucker,
Insulin und verschiedenen Sättigungshormonen
bestimmt. Fazit: „Wir haben eine Kartoffelsorte iden­
tifiziert, deren Stärke metabolisch sogar vorteilhafter
ist als die Maisstärke und nicht nur während der
Mahlzeit, sondern auch noch am Folgetag günstige
Joachim Spranger weiß, dass gentechnisch mo­
difizierte Lebensmittel bei deutschen Konsumenten
derzeit auf geringe Akzeptanz stoßen. „Vielleicht ändert
sich das, wenn wir zeigen können, dass funktionelle
Produkte aus transgenen Kartoffeln gut schmecken
und sich gleichzeitig zur Vorbeugung von Diabetes
eignen“, meint der Mediziner. Ob seine Vision ei­
nes Tages Realität wird, hängt nicht zuletzt von der
Sicherheit solcher neuartiger Lebensmittel ab. Deshalb
beteiligt sich ein Team um Lothar Willmitzer vom
Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiolo­
gie in Potsdam an dem BMBF-Projekt. Neben anderen
sicherheitsrelevanten Aspekten wird dabei gründlich
überprüft, ob die genveränderten Kartoffeln – neben
den erwünschten Einflüssen auf den Zuckerstoffwech­
sel – weitere, möglicherweise ungünstige Wirkungen
auf den menschlichen Metabolismus haben.
Vielen menschen fällt es schwer, ihre Essgewohnheiten zu ändern. Funktionelle Lebensmittel – beispielsweise Kartoffeln mit veränderter Stärke­
zusammensetzung – könnten möglicherweise zu einer gesünderen Ernährung beitragen.
48
Mit hochDruck GeGen DurchFaLL
Mit Hochdruck gegen Durchfall:
Ein neues Verfahren soll heilende Wirkstoffe
reiner und kostengünstiger herstellen
karotten – weich gekocht oder fein gerieben – gel­
ten seit Langem als bewährtes Mittel gegen Durch­
fall. Wissenschaftliche untersuchungen konnten
diesen heilbringenden effekt bestätigen und als
Wirksubstanzen die oligogalacturonsäuren (oGas)
ausmachen. Sie entstehen, wenn der in Pflanzen
weitverbreitete Zellbaustoff Pektin in kleinere
einheiten zerlegt wird. am Deutschen institut für
Lebensmitteltechnik wird ein neuartiges Verfahren
zur Pektinspaltung erprobt, das die oGas reiner
und kostengünstiger als bisher bereitstellen soll.
Zahlreiche Krankheitskeime lösen Durchfallerkrankun­
gen aus, weil sie sich an die Darmwand anheften und
sie mit Giftstoffen schädigen. Oligogalakturonsäuren
können das verhindern, indem sie genau jene Rezep­
toren blockieren, die den Mikroben als Kontaktstellen
dienen. Folglich finden die Erreger keinen Halt und
werden ausgeschieden. Diese Zusammenhänge sind seit
Mitte der 1990er-Jahre bekannt. Seither gibt es Überle­
gungen, funktionelle Lebensmittel mit OGAs herzustel­
len, um damit Darminfektionen vorzubeugen oder zu
behandeln. „Bevor man diese Substanzen der Nahrung
zusetzen kann, müssen sie gut charakterisiert und auf
ihre Unbedenklichkeit geprüft werden“, sagt Stefan Töpfl
vom Deutschen Institut für Lebenmitteltechnik (DIL) in
Quakenbrück. Dieser Aufgabe widmet sich nun ein von
Töpfl koordinierter Forschungsverbund, an dem sich die
TU München, das Bundesinstitut für Risikobewertung in
Berlin sowie zwei Industriepartner beteiligen.
Kernstück des Projekts ist die Entwicklung eines neu­
artigen Verfahrens zur Spaltung von Pektin. Denn die der­
zeit praktizierten Methoden – enzymatische oder che­
mische Hydrolyse mittels starker Säuren – haben ihre
Schwächen: Enzyme arbeiten zwar sehr spezifisch, aber
langsam und mit geringer Ausbeute. Dagegen verläuft die
saure Hydrolyse zwar schnell, aber unspezifisch – und be­
lastet ihr Endprodukt mit großen Mengen Salz, das beim
Neutralisieren der Säure anfällt. Stefan Töpfl und seine
Kollegen haben nun eine Biomassespaltanlage entwickelt,
die mit überkritischem Wasser arbeitet (siehe Kasten).
Oligogalakturonsäuren verhindern die Anheftung pathogener
Bakterien (schwarze Striche) an menschliche Darmzellen (im Bild als
Zellkulturen, mit roten Zellkernen) und wirken somit Durchfaller­
krankungen entgegen.
Die Pilotanlage besteht aus einem Durchflussreaktor, der 25 Liter pro Stunde fasst (siehe Bild Seite 49).
Überkritisches Wasser
existiert bei hohem Druck (über 221 bar), kombiniert
mit großer Hitze (mehr als 374 Grad Celsius). Unter
diesen Bedingungen verhält es sich wie eine Art
Zwitter: Manche seiner Eigenschaften sind typisch
für Flüssigkeiten, manche für Gase. Daraus ergeben
sich besondere Fähigkeiten. Zum Beispiel lösen sich
in überkritischem – anders als in gewöhnlichem
Wasser – organische Substanzen, darunter auch
Pektin. Außerdem bilden sich darin besonders viele
geladene Teilchen, die seine hydrolytische Wirkung
erhöhen. Bisher wird überkritisches Wasser vor­
wiegend zur Entsorgung von Giftmüll und anderer
schwer abbaubarer Abfallstoffe eingesetzt.
Als Rohstoff dient Zitruspektin, ein Gemisch aus ver­
schieden langen Molekülketten, deren Glieder überwie­
gend aus einem Zucker namens Galakturonsäure beste­
hen. „Durch Steuerung der Prozessbedingungen können
wir 80 Hydrolysatmischungen herstellen, die sich in der
Zusammensetzung ihrer Spaltprodukte unterscheiden“,
berichtet Stefan Töpfl.
Mit hochDruck GeGen DurchFaLL
Ob die Hydrolysate die Anheftung von Krankheits­
keimen an menschliche Darmzellen hemmen und
wie stark der erwünschte Effekt jeweils ausgeprägt ist,
prüft Töpfl an Zellkulturen (siehe Bild Seite 48). „Wir
lassen die Spaltprodukte einige Minuten lang auf die
Darmzellen einwirken und waschen sie wieder ab.
Dann geben wir pathogene E.-coli-Bakterien dazu und
zählen unter dem Mikroskop aus, wie viele Keime sich
an die Zellen heften“, erklärt der Ingenieur. Das Ergebnis:
Die Hydrolysate verringern die Anheftung der Bakterien
um 20 bis 80 % . Am wirkungsvollsten sind Mischungen,
die einen hohen Anteil an OGAs aus drei bis acht Zuckern
enthalten. Bestätigt werden Töpfls Befunde durch ein
neuartiges Testsystem, das am Lehrstuhl für Medizinische
Elektronik der TU München entwickelt wurde. Dazu wer­
den die Darmzellen auf einem Chip mit bioelektrischen
Mikrosensoren kultiviert, die den Sauerstoffverbrauch
und die Säurefreisetzung sowie zellmorphologische
Größen erfassen. „Damit können wir in Echtzeit messen,
ob und wie sich der Zustand der Zellen nach Kontakt mit
pathogenen Bakterien verändert und inwiefern sich diese
Reaktionen durch OGAs abschwächen lassen“, erklärt
Martin Brischwein von der TU München.
Allerdings haben die Hydrolysate auch uner­
wünschte Nebenwirkungen. „Bei Prozesstemperaturen
49
über 230 Grad Celsius entstehen giftige Spaltprodukte,
die nicht nur die Bakterien hemmen, sondern auch die
Darmzellen schädigen“, betont Thorsten Buhrke vom
Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin, der im
Auftrag des DIL eine Reihe von toxikologischen Tests
durchgeführt hat. Die Konsequenz aus diesem Fund:
„Entweder muss man die Hydrolyse bei niedrigeren
Temperaturen laufen lassen – auch wenn das den
Durchsatz verringert. Oder man braucht ein Aufreini­
gungsverfahren zum Abtrennen der unerwünschten
Bestandteile – was machbar, aber kostenaufwendiger
ist“, erläutert Töpfl.
An der wirtschaftlichen Gewinnung von toxiko­
logisch unbedenklichen OGAs aus Pektin sind zwei
mittelständische Firmen interessiert, die neben Finanz­
mitteln auch ihr Know-how in das BMBF-Projekt ein­
bringen: Herbstreith & Fox KG Pektin Fabriken gewinnt
aus Resten der Obst- und Gemüseverarbeitung Pektin
als Dickungsmittel für Lebens- und Arzneimittel. Von
den hochwertigen Hydrolysaten erhofft sich die Firma
eine Erweiterung ihrer Produktpalette. Nutrichem
diät+pharma GmbH stellt dietätische und funktionelle
Lebensmittel sowie Sondennahrung her und ist damit
ein potenzieller Vertreiber für OGAs mit nachgewiese­
ner physiologischer Wirksamkeit.
In dieser Pilotanlage wird ein neuartiges Verfahren zur Pektinspaltung erprobt: Mithilfe von überkritischem Wasser sollen Oligogalakturonsäu­
ren reiner und kostengünstiger als bisher bereitgestellt werden.
GesPräch Mit ProF. schMitt, hochschuLe FuLDa
50
„Funktionelle Ernährungsforschung erfordert die Zusammenarbeit
von Akademia und Industrie“
Im Gespräch mit Dr. Joachim Schmitt, Professor für die Technologie pflanzlicher
Lebensmittel an der hochschule Fulda
begünstigen. Doch letztlich wissen wir noch viel
zu wenig über so komplexe Krankheitsbilder wie
Diabetes; ein einfaches Ursache-Wirkungs-Denken
greift zu kurz. Hier herrscht noch ein enormer For­
schungsbedarf.
Welches sind aus ihrer sicht die drängensten
Fragen?
Joachim Schmitt,
Hochschule Fulda
herr Dr. schmitt, was kann die Funktionelle
ernährungsforschung leisten?
Wir haben es mit einem grundsätzlichen Dilemma zu
tun: Unsere Kultur unterscheidet sich sehr stark von
der Lebensweise, für die unser Körper ursprünglich
gebaut wurde. Die meisten Menschen bewegen sich
zu wenig und arbeiten mehr mit dem Kopf als mit
den Muskeln. Für die Ernährungsforschung ergeben
sich daraus zwei wichtige Zielrichtungen: Erstens
muss sie Antworten darauf geben, welche Nährstoffe
wir brauchen, um unter den veränderten Anforde­
rungen gesund und leistungsfähig zu bleiben. Zwei­
tens muss sie der Tatsache Rechnung tragen, dass
wir im Geiste immer noch Jäger und Sammler sind
und unser Geschmackssinn entgegen dem physio­
logischen Bedarf auf sehr fette, süße und salzhaltige
Nahrung abgestellt ist.
erklärt das die Zunahme ernährungsbedingter
krankheiten?
Vieles deutet darauf hin, dass mangelnde Bewegung
und zu süße, zu fettreiche Ernährung die zuneh­
mende Verbreitung verschiedener Volkskrankheiten
Wir müssen verstärkt nach Möglichkeiten suchen,
durch geeignete Ersatzstoffe die biologisch veran­
kerten Geschmacksvorlieben auszuleben, ohne uns
mit den damit verbundenen Mengen an Kalorien
oder Salz zu belasten. Denn es ist nicht damit getan,
Produkte anzubieten, die einfach 30 % weniger
Salz oder Fett enthalten. Wir haben die Erfahrung
gemacht, dass ein Großteil der Bevölkerung solche
salz- oder fettreduzierten Produkte nicht annimmt.
Die Leute lieben eben diesen Fetteindruck! Da stellt
sich die Frage: Wie können wir diesen Eindruck auch
bei fettarmen Produkten erzeugen? Neueste Ergeb­
nisse aus der Rezeptorforschung deuten darauf hin,
dass es einen Geschmackssinn für Fett geben könnte.
Wenn sich das bestätigt, sollte sich auch ein Fetter­
satzstoff finden lassen – ähnlich den Süßstoffen, die
als Ersatz für Zucker inzwischen gut etabliert sind.
Nach solchen Modulatoren wird zurzeit in Industrie
und Akademia gesucht. Der Staat bietet dabei für
grundlegende Projekte finanzielle Hilfe an.
Warum brauchen solche Forschungskonsortien
staatliche unterstützung?
Derartige Projekte kosten mehrere Millionen Euro.
Und sie beinhalten immer auch ergebnisoffene
Grundlagenforschung – denn man muss erst neues
Wissen schaffen, bevor man daraus etwas ableiten
und gestalten kann. Die Industrie, die auf Gewinne
angewiesen ist, kann solche großen Forschungsvor­
haben nicht alleine schultern. Da kommt das BMBF
als Lenkungsinstanz ins Spiel, indem es Denkim­
51
GesPräch Mit ProF. schMitt, hochschuLe FuLDa
pulse aus der akademischen Forschung aufgreift
und sie zum Förderschwerpunkt macht. Dass dieses
Modell ganz ausgezeichnet funktioniert, zeigt die
Geschichte der Glycobiotechnologie, aus der letzt­
lich unser Wissen über die Präbiotika stammt.
können sie das genauer erklären?
Glycoproteine sind eine Klasse von Zuckermole­
külen auf der Außenhaut von Zellen. Inzwischen
weiß man, dass sie das Kommunikationssystem des
Körpers schlechthin sind, doch Ende der 1990er­
Jahre war das eher ein exotisches Thema. Professor
Werner Reutter von der Charité in Berlin hatte
ein erkenntnistheoretisches Interesse an diesen
Strukturen; damit kam er zu Milupa und regte an,
auch in der Muttermilch nach ihnen zu suchen.
Wir wussten damals nichts von diesen Stoffen und
erhofften uns Ideen für neue Produkte. So entstand
ein Verbundprojekt, an dem weitere Industriever­
treter und Universitäten beteiligt waren. Das BMBF
finanzierte ein teures Analysegerät, mit dem wir
schließlich Hunderte verschiedene Oligosaccharide
in der Muttermilch nachweisen konnten. Das war
eine große Überraschung.
Was fängt man mit so einer Überraschung an?
Man fragte sich natürlich, wozu diese vielen Zu­
ckermoleküle gut sind. Schließlich kam man zu der
Erkenntnis, dass sie die Darmbakterien ernähren
– und entwickelte daraus das Konzept der Präbio­
tika. Milupa machte sich sofort daran, dieses neue
Wissen bei der Herstellung der Babynahrung zu
nutzen. Denn die Formelnahrung soll ja möglichst
gut die Funktionen der Muttermilch ersetzen, und
das betrifft auch die Zusammensetzung der Darm­
mikrobiota im kindlichen Organismus. Tatsächlich
haben wir schon wenige Jahre nach dem Projekt
Oligosaccharide aus Pflanzen und Kuhmilch
identifizieren können, die sich günstig gewinnen
lassen und als Präbiotika die gewünschte Funktion
erfüllen: Sie fördern eine Mikrobiota, die ähnlich
zusammengesetzt ist wie bei Kindern, die gestillt
werden. Diese verbesserte Babynahrung ist inzwi­
schen auf dem Markt. Das ist ein Paradebeispiel
dafür, wie aus einem zunächst ergebnisoffenen
Forschungsprojekt, das mit öffentlichen Mitteln
mitfinanziert ist, Schritt für Schritt ein funktionel­
les Produkt entsteht.
Wo sehen sie die herausforderungen
der kommenden sechs jahre?
Auf dem Gebiet der Babynahrung müssen wir uns
noch stärker an den vielfältigen Funktionen der
Muttermilch orientieren. Wir wissen, dass darin
Stoffe enthalten sind, die gegen Bakterien wirken
oder das Immunsystem stimulieren – aber sie
sind noch nicht identifiziert. Eine ebenso große
Herausforderung ist es, wirkungsvolle Salzge­
schmacksverstärker zu finden, um den übermäßi­
gen Salzkonsum zu drosseln. Bislang gibt es keine
akzeptablen Ersatzstoffe. Industrie und akademi­
sche Forschungseinrichtungen arbeiten daran,
auch mit Förderung des BMBF. Der erste Schritt ist
getan – so wie damals mit den Glycoproteinen.
Glycoproteine sind Eiweiße (Proteine), an die eine oder mehrere Kohlenhydratgruppen gebunden sind.
52
MetaBoLisches synDroM
Metabolisches Syndrom:
Wie pflanzliche Proteine und Ballaststoffe
den Krankheitsverlauf beeinflussen
eine steigende Zahl von Menschen leidet am me­
tabolischen syndrom, das durch Übergewicht und
Diabetes sowie Bluthochdruck und erhöhte Blut­
fettwerte gekennzeichnet ist. ein Forschungsver­
bund aus Medizinern, ernährungswissenschaftlern
und Lebensmittelherstellern will dazu beitragen,
die diesem krankheitsbild zugrunde liegenden Me­
chanismen aufzuklären. Darauf aufbauend sollen
neue gesundheitsfördernde und zugleich kosten­
günstige und einfach zu nutzende Lebensmittel
entwickelt werden, die die Insulinempfindlichkeit
der körperzellen bei Übergewichtigen verbessern
und einer Gewichtszunahme und Leberverfettung
entgegenwirken können.
„Profimet – Wirkung von Proteinen und Ballaststoffen
auf Parameter des metabolischen Syndroms“ heißt das
Verbundprojekt unter Leitung des Deutschen Instituts
für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrü­
cke. „Wir wollen den Einfluss dieser beiden Nahrungs­
komponenten – einzeln und in Kombination – auf den
Stoffwechsel verstehen“, sagt der Projektkoordinator
Martin O. Weickert vom DIfE, der mittlerweile als Chef­
arzt für Endokrinologie und Diabetes des Universitäts­
klinikums Coventry und Warwickshire und assoziierter
Professor der Universität Warwick in England arbeitet.
Dass schon der tägliche Verzehr von 30 Gramm unlös­
licher Ballaststoffe aus Weizen oder Hafer deutliche
gesundheitsfördernde Effekte hat, konnte Weickert
bereits in mehreren Kurzzeitstudien an jungen, gesun­
den Frauen zeigen: „Schon am zweiten Versuchstag
verringerte sich der nach einer Mahlzeit gemessene
Blutzuckeranstieg um ein Drittel. Dagegen blieb der In­
sulinspiegel im Vergleich zum Vortag unverändert oder
sank sogar etwas ab. Das lässt vermuten, dass unlösli­
che Ballaststoffe die Insulinwirkung deutlich verstär­
ken und hierüber das Risiko für Diabetes und Gefäßer­
krankungen senken können“, erklärt Weickert. In einer
Studie an übergewichtigen und adipösen Frauen zeigte
sich, dass eine über drei Tage eingehaltene Diät mit
sehr hohem Ballaststoffanteil eine Verbesserung der
Gesamtkörper-Insulinempfindlichkeit bewirkt.
„Diese Daten liefern wichtige Einsichten in die
bislang weitgehend unbekannten Mechanismen hinter
den positiven Effekten der unlöslichen Ballaststoffe“,
sagt Andreas F. H. Pfeiffer, der als Leiter der Abteilung
Klinische Ernährung am DIfE maßgeblich an dem
Profimet-Projekt beteiligt ist. Aufbauend auf diesen Er­
gebnissen betreute das Team um Weickert und Pfeiffer
eine 18 Wochen andauernde, kontrollierte Verzehr­
studie mit 115 übergewichtigen Männern und Frauen.
Die Probanden wurden darin geschult, ihre Mahlzeiten
über den gesamten Zeitraum der Studie so auszuwäh­
len, dass darin entweder ein möglichst hoher Anteil an
Ballaststoffen oder an Proteinen enthalten war. Um
dieses Ziel zu erreichen, sollten sie als Teil ihres Früh­
stücks und Abendessens spezielle Milchshakes sowie
Crêpes oder Waffeln zu sich nehmen, die entweder mit
50 Gramm Proteinen aus Erbsen und Molke oder mit
30 Gramm Ballaststoffen aus Getreide oder mit einer
Mischung aus beidem (25 und 15 Gramm) angerei­
chert waren. Eine vierte Probandengruppe diente als
Kontrolle und bekam die entsprechenden Produkte als
Placebo ohne zugesetzte Testkomponenten. In regel­
mäßigen Abständen untersuchten die DIfE-Forscher,
Für eine Stoffwechselstudie in der Abteilung Klinische Ernährung
wird einer Teilnehmerin Blut abgenommen.
MetaBoLisches synDroM
53
gestrebten Diäten – auf höchstens 22 % Proteinanteil
und sind damit weniger aussagekräftig“, sagt Pfeiffer.
Sein Kollege Weickert fasst erste Ergebnisse der
aufwendigen Profimet-Studie zusammen: „Die prote­
inreiche Diät scheint eine Änderung der Körperzusam­
mensetzung zu bewirken und damit auch verschiedene
Stoffwechselprozesse günstig zu beeinflussen, während
die Hochballaststoffdiät möglicherweise die Insulin­
empfindlichkeit verstärkt.“ Allerdings seien wesentliche
Schlüsseldaten der Studie derzeit noch nicht ausgewer­
tet, insbesondere die Insulinempfindlichkeit der Leber
sowie bestimmte molekulare Signalwege im Muskel­
gewebe, so der Arzt: „Die Betrachtung dieser Parame­
ter spielt eine wesentliche Rolle, wenn wir mögliche
günstige Effekte der hier untersuchten Diäten im
Gesamtzusammenhang beurteilen wollen.“
mit einer Backmischung aus der Tüte können sich die Teilnehmer
einer Verzehrstudie nach Belieben Waffeln oder Crêpes zubereiten.
Die vom Institut für Getreideverarbeitung hergestellte Rezeptur ent­
hält – obwohl sich Konsistenz und Geschmack nicht unterscheiden –
wahlweise geringe oder sehr hohe Anteile an Proteinen und/oder
Ballaststoffen.
wie sich in den vier Probandengruppen verschiedene
Parameter wie Insulinempfindlichkeit, Glukosestoff­
wechsel oder Körperfettverteilung infolge der unter­
schiedlichen Diäten veränderten.
An der Bereitstellung der Testlebensmittel waren
zwei Industriepartner aus Sachsen – die Firmen ano­
nanährmittel C.L. Schlobach GmbH und KATHI Rainer
Thiele GmbH in Halle – sowie das Institut für Getreide­
verarbeitung (IGV) in Nuthetal beteiligt. Am IGV wurde
großer Wert darauf gelegt, dass alle Produkte, egal ob
mit und ohne Zusatz von Proteinen oder Ballaststoffen,
möglichst ähnlich in ihrer Konsistenz, ansprechend
im Geschmack und zudem in mehreren Geschmacks­
richtungen verfügbar waren. Die ballaststoffreichen
Produkte enthielten überwiegend unlösliche Getrei­
defasern; die Proteinprodukte wurden aus Molke und
Erbsen hergestellt, weil die darin enthaltenen Eiweiße
nach heutigem Wissensstand eine günstige Amino­
säurezusammensetzung aufweisen. „Mithilfe dieser
sorgfältig gefertigten Testlebensmittel konnten wir
sicherstellen, dass die Probanden der „Proteingruppe“
tatsächlich Mahlzeiten mit einem Proteinanteil von
mindestens 30 % zu sich nahmen. Bisherige Lang­
zeitstudien zur Wirkung proteinreicher Kost basieren
dagegen – aufgrund mangelnder Einhaltung der an­
Für die Gewinnung pflanzlicher Proteine sieht
Andreas Pfeiffer ein enormes Potenzial: „Bei der Pro­
duktion von Kartoffelstärke und Rapsöl fallen allein in
Deutschland große Mengen Protein an, und auch die
Samen zahlreicher Lupinensorten sind eine bislang
ungenutzte Proteinquelle. Unsere Industriepartner ha­
ben bereits Konzepte für Plätzchen und einige andere
Produktprototypen entwickelt, die mit Lupinenprotein
angereichert sind.“
Der dunkle Milchshake schmeckt nach Schokolade, der hellere nach
Vanille. Ob die Getränke 50 Gramm unlösliche Ballaststoffe aus
Getreidefasern enthalten oder nicht, können die Teilnehmer der
Profimet-Studie weder an deren Eigengeschmack noch eindeutig am
„mundgefühl“ unterscheiden.
kontaktaDressen
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Kontaktadressen
Bioassayunterstützte Identifizierung von Salzgeschmacksverstärkern
zur entwicklung kochsalzarmer Lebensmittel (s. 7)
Prof. Dr. Wolfgang Meyerhof
Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114–116
14558 Nuthetal
Optimierte Pflanzenöle und Omega-3-Fettsäuren in der Prävention von
hyperlipidämie, insulinresistenz und typ-2- Diabetes (s. 14)
Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Joost
Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114–116
14558 Nuthetal
Funktionelle Lebensmittel für die Gefäßgesundheit – vom nutraceuti­
cal zur personalisierten ernährung (s. 11 und 16)
Prof. Dr. Gerald Rimbach
Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Heinrich-Hecht-Platz 10
24118 Kiel
Procyanidine – vom besseren Verständnis der Wirkung zur entwicklung
funktioneller Lebensmittel (s. 18)
Prof. Dr. Sabine Kulling
Max Rubner-Institut
Haid-und-Neu-Straße 9
76131 Karlsruhe
Präventive gesundheitsfördernde Wirkung neuer Lebensmittel auf
Anthocyan- und Procyanidin-Basis: Validierung antiinflammatorischer
und neuroprotektiver effekte (s. 22)
Prof. Dr. Hans-Ulrich Humpf
Institut für Lebensmittelchemie
Universität Münster
Corrensstraße 45
48149 Münster
Einfluss probiotischer Mikroorganismen auf Entzündungen
des Magen-Darm-trakts (s. 24)
Prof. Dr. Dirk Haller
Technische Universität München
Z I E L-TUM-Akademie
Weihenstephaner Berg 1
85350 Freising
analyse der Gallensäurebildung von Ballaststoffen aus Leguminosen
zur entwicklung cholesterinsenkender Lebensmittel (s. 27)
Dr. Katrin Hasenkopf
Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung
Giggenhauser Straße 35
85354 Freising
Dreifach funktionelle eigenschaften von Lebensmitteln durch präbioti­
sche Ballaststoffe, antioxidantien des Weizen-aleurons und probioti­
sche Butyratbildner (s. 29)
PD Dr. michael Glei
institut für Ernährungswissenschaften, Biologisch-Pharmazeutische
Fakultät
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Dornburger Straße 24
07743 Jena
entwicklung der tuM – akademie für ernährungs- und Lebens­
mittelwissenschaft (s. 33)
Prof. Dr. Hannelore Daniel
Technische Universität München
Z I E L-TUM-Akademie
Weihenstephaner Berg 1
85350 Freising
auswirkungen von nahrungsmittelkomponenten auf Wirtsfaktor-Mik­
roben-interaktionen und Generierung von Biosensoren zur Überprüfung
der sicherheit von nahrungsmittelkomponenten (s. 35)
Prof. Dr. Jan Mollenhauer
Institute of Molecular Medicine, University of Southern Denmark,
J. B. Winsløws Vej
5000 Odense C
Denmark
Glucosinolat- und selenangereicherter Brokkoli als funktionelles
Lebensmittel zur Prävention von Prostatakrebs (s. 37)
Dr. Clarissa Gerhäuser
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
Coffeeprevention: Identifizierung, Prüfung und Optimierung
gesundheitsfördernder eigenschaften des kaffees (s. 41)
Dr. Gerhard Bytof
Tchibo GmbH
Suederstraße 293
20537 Hamburg
komplexe kohlenhydrate und menschlicher Metabolismus: unter­
suchungen über die Wirkung von qualitativ und quantitativ unter­
schiedlichem stärkegehalt in kartoffeln und mögliche implikationen
für populationsbasierte Präventionsstrategien (s. 45)
Prof. Dr. Joachim Spranger
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Arthur-Scheunert-Allee 114–116
14558 Nuthetal
Gewinnung und charakterisierung von oligogalacturonsäuren sowie
untersuchungen zur inhibierung der anheftung pathogener keime und
cytotoxine an intestinalzellen mittels in-vitro-testsystemen (s. 48)
Prof. Dr.-Ing. Stefan Töpfl
Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) e.V.
Prof.-v.-Klitzing-Straße 7
49610 Quakenbrück
Profimet – Wirkung von Proteinen und Ballaststoffen auf Parameter
des metabolischen syndroms (s. 52)
Dr. Martin O. Weickert
University Hospitals Coventry and Warwickshire
Clifford Bridge Road
Coventry CV2 2DX
United Kingdom
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GmbH, 7, 52: G. Olias, DIfE, 8, 9, 10: Frauke Stähler, DIfE, 11,
13 u.: S. Onur, Universität Kiel, 12, 13 o.: F. Döring, Universität
Kiel, 14, 15, 21: DIfE Potsdam-Rehbrücke 16, 45, 50: privat, 17:
Lebensmittelfotos.com, 18: S. Kulling, Universität Potsdam, 19:
MRI Karlsruhe, 20: P. Winterhalter, TU Braunschweig, 22: Scholz,
Universitätsklinikum Regensburg, 23: H. Piberger, Universitäts­
klinikum Regensburg, 24, 25, 26: Lehrstuhl für Biofunktionalität
der Lebensmittel, TU München, 27, 28: Fraunhofer-IVV, Freising,
29: K. Stein/A. Borowicki, Universität Jena, 30, 31: Kampffmeyer
Food Innovations GmbH, 32: A. Borowicki, Universität Jena,
33, 34: ZIEL-TUM-Akademie, 35, 36: J. Mollenhauer, DKFZ, 37:
iStockphoto, 38: T. Rausch, HIP Universität Heidelberg, 39, 40:
DKFZ, 41, 42: Tchibo GmbH, 43: R. Eggers, Institut für Thermische
Verfahrenstechnik TU Hamburg-Harburg, 44: Lehrstuhl für
Lebensmittelchemie und molekulare Sensorik, TU München, 46:
Jan Homann, 47: iStockphoto, 48, 49: DIL Quakenbrück, 51: The
Lorenz Bahlsen Snack World, 53: M. O. Weickert, DIfE
Text und Redaktion
Norbert Grust (wbv); Dr. Monika Offenberger (Autorin);
Dr. Henrike Boermans, Dr. Daniel Dreesmann und Wiebke Müller
(Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH)
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