vermesser
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vermesser
für Entdeckungsreisen, ferne Länder und Abenteuer. In den Karten der Frühen Neuzeit begegnen sich Kunst und Wissenschaften. Erd- und Himmelskartographie dieser Epoche schufen die Grundlage für unser heutiges Weltbild. Der Katalog der Lemgoer Ausstellung gibt mit fast 400 Farbabbildungen einen Überblick über die Geschichte Das Goldene Z e i ta lt e r d e r Kartographie Karten dienen der Orientierung, doch darüber hinaus geht von ihnen seit jeher eine Faszination aus. Sie stehen namhafter internationaler Autoren nähern sich dem Thema aus den Blickwinkeln von Kartographie- und Wissen schaftsgeschichte, Vermessungstechnik, Kunst- und Kulturgeschichte sowie Bildwissenschaft. Weserrenaissance-Museum Schloss Brake, Lemgo ISBN 978-3-95498-180-9 Welt vermesser der europäischen Kartographie, von ihrem Aufschwung im Zeitalter der Entdeckungen bis zur Aufklärung. Essays Welt vermesser D a s G o l d e n e Z e i ta lt e r d e r Kartographie Katalog zur Ausstellung vom 13. September bis 6. Dezember 2015 in Kooperation mit der Staatsbibliothek zu Berlin Welt vermesser D a s G o l d e n e Z e i ta lt e r der Kartographie Herausgegeben von Michael Bischoff, Vera Lüpkes und Rolf Schönlau Weserrenaissance-Museum Schloss Brake, Lemgo Sandstein Verlag, Dresden Inhalt 10Ute Schäfer Grußwort 11Ernst Messerschmid Aussichten und Einsichten Essays 14Michael Bischoff Mit Globus und Zirkel Entdecker, Schöpfer, Weltvermesser 24Peter Barber Zur Subjektivität von Karten 40Wolfram Dolz Vermessungstechnik und Kartenherstellung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert 60Dirk Imhof Ein Theater der Welt Atlaskartographie in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts 76Peter van der Krogt Das Goldene Zeitalter der niederländischen Kartographie 90Catherine Hofmann Vermessung der Erde, Vermessung der Gebiete Die französische Kartographie im Zeitalter der Aufklärung 100Markus Heinz Deutsche Verlagskartographie im 18. Jahrhundert 112Jan Mokre De mundo globorum Von der Antike bis zum Ende des 18. Jahrhunderts 124Jürgen Hamel Astronomie als Basiswissenschaft Himmels- und Erdkartographie um 1600 134Bernd Roeck Bilder deutscher Städte zwischen Renaissance und Romantik 148Heiner Borggrefe Von Abraham Ortelius bis Johannes Vermeer Bilder in Karten – Karten in Bildern 164Franz Reitinger Toposallegorie und Landkartenfiktion Eine Einführung 178Rolf Schönlau Über das Auftauchen und Verschwinden imaginärer Inseln katalog 190 Frühe Karten: Antike und Mittelalter 200 Zeitalter der Entdeckungen: Die Erweiterung der Welt 208Ferne Länder, neue Karten: Von Grönland bis Patagonien, von Japan bis Guinea 232 Spiegel der Seefahrt: Die Vermessung der Meere 239 Die Erde ist rund: Globen als Modell 250 Von der Erdkugel zur Karte: Projektion und Gradnetz 256 Kartenmacher: Geographen und Verleger 262 Zu den Sternen: Himmelskarten und Weltbilder 279 Karten machen: V ermessen, zeichnen, drucken 295 Die formatierte Erde: Das Zeitalter der Atlanten 307 Dokumente der Macht: Territorium und Grenze 319 Für unterwegs: Straßenkarten und Entfernungstafeln 328 Themenkarten: Geographie und Geschichte 337 Nachgemessen: Kartographie der Aufklärung 342 Das Bild der Stadt: Veduten und Pläne 353 Mehr als Geographie: Bilder in Karten – Karten in Bildern anhang 368 Bibliographie 383 Personenregister 390 Bildnachweis Mit Globus und Zirkel Michael Bischoff E ntdecker, S chöpfer, W eltvermesser 1590 schuf Abraham Ortelius (1527–1598) eine erstaunliche Karte (Abb. 2, Kat. 177). Die Erdkugel ist als Oval mit Äquator, Wendekreisen, Längen- und Breitengraden dargestellt, doch wo Ozeane und Kontinente sein sollten, herrscht weitgehende Leere. Nur in der Mitte gewährt ein Ausschnitt den Blick auf Vertrautes: Europa, Teile von Asien und Afrika. Eine lateinische Inschrift erklärt den Sinn dieser fragmentarischen Weltkarte, zu Deutsch: »Siehe, Betrachter, die Karte des ganzen Erdballs, wie er den Alten bis zum Jahr des Heils 1492 bekannt war.« Das ausgearbeitete Kartenbild zeigt die so genannte Ökumene, die bewohnte Welt des Altertums, die durch Reisen und Handelsbeziehungen, durch Kriege und Eroberungen erschlossen worden war. Was bis zur Entdeckung Amerikas durch Kolumbus im Jahre 1492 eine unumstößliche Wahrheit war, eine Drei-Kontinente-Welt, ist bei Ortelius zur eindringlichen Bildformel eines überwundenen Welt bildes geworden. Bei den begradigten Rändern handelt es sich freilich um eine Zuspitzung, die die Grenze Abb. 1 Amerika, Ausschnitt aus: Martin Waldseemüller, Weltkarte, Holzschnitt, 1507 (Washington, Library of Congress) Abb. 2 Abraham Ortelius, Karte der a ntiken Welt, kolorierter Kupferstich, Antwerpen, 1590 (1592) (Lemgo, WeserrenaissanceMuseum Schloss Brake) – Kat. 177 Abb. 3 ˛ Martin Waldseemüller, Weltkarte, Holzschnitt, 1507 (Washington, Library of Congress) 15 16 Michael Bischoff Mit Globus und Zirkel 17 Abb. 5 Geograph als Narr, Holzschnitt, in: Sebastian Brant, N arrenschiff, Basel, 1494 (1498) (Paderborn, Erzbischöfliche Akademische Bibliothek) – Kat. 218 Abb. 6 König Atlas, Titelblatt des Mercator-Atlasses, kolorierter Kupferstich, Duisburg, 1595 (Bitburg, Sammlung Niewodniczański) – Kat. 136 Abb. 4 Schöpfergott, Deckfarben auf Pergament, Frankreich, um 1220/30 (Wien, Öster reichische Nationalbibliothek) z wischen Wissen und Nichtwissen besser verdeutlicht als ein unscharfer Übergang, der den antiken und mittelalterlichen Vorstellungen vom Ende der Welt als unheimlichem, mythologisch aufgeladenem Ort eher entsprochen hätte. Erst mehr als 100 Jahre später führte der französische Kartograph Guillaume Delisle (1675–1726) die sprichwörtlichen weißen Flecken auf der Landkarte ein, indem er unbekannte Gebiete unkartiert ließ und mit allen zweifelhaften geographischen Informationen wie auch mit den als Flächenfüller eingesetzten dekorativen Elementen konsequent aufräumte. Ähnlich griff bereits Ortelius auf seiner Karte der in der Antike bekannten Welt zum Stilmittel des kartographischen Verschweigens – jedoch mit dem Ziel, einen historischen Kenntnisstand zu visualisieren. Dass man es zu seiner Zeit besser wusste, wird dem Betrachter durch die kleinen Eckmedaillons vor Augen geführt. Sie zeigen vier Kontinente, neben den drei altbekannten auch die fast genau 100 Jahre zuvor entdeckte Neue Welt (links unten). Zudem folgen die Umrisse Amerikas, ebenso wie die von Europa, Asien und Afrika, in den übrigen Medaillons und in der Hauptkarte den aktuellen Erkenntnissen des späten 16. Jahrhunderts. Was ist das Bemerkenswerte an einer Weltkarte, die ein zu ihrer Entstehungszeit bereits hoffnungslos veraltetes Wissen abbildet? Es ist das Bewusstsein für historischen Abstand und Zeitgebundenheit menschlicher Erkenntnis. Indem sie aus geeigneten Quellen ein Weltbild der Vergangenheit – hier der Antike – rekonstruiert, erweist sie sich als typisches Erzeugnis der Renaissance. Der Antwerpener Abraham Ortelius war nicht nur ein erfolgreicher Kartograph, sondern verfügte auch über eine umfassende humanistische Bildung (Karrow 1998). Neben mehreren modernen europäischen Sprachen beherrschte er Latein und Griechisch. Sichere Kenntnisse antiker Autoren kamen ihm bei der Anfertigung von Geschichtskarten wie der vorliegenden zugute. In einer Zeit, in der Informationsmangel auf Karten als willkommene Gelegenheit für figürliches Beiwerk – Schiffe, Seeungeheuer, exotische Tiere, ethnographische Szenen – genutzt wurde, mag Ortelius’ leere Karte als irritierend empfunden worden sein. Doch ist es gerade dieser Effekt, der die Bedeutung der neuzeitlichen geographischen Entdeckungen bewusst macht: den Aufbruch ins Ungewisse, hinaus über die 18 Michael Bischoff Ränder der bekannten Welt, die nur eine Insel in einer gewaltigen, erdumspannenden leeren Fläche ist. Die Farbe Weiß dient als Sinnbild für das Unerforschte, von Entdeckern und Kartographen Unberührte. Die Karte vermittelt ein wenig von dem Schauder, der Seefahrer wie Kolumbus oder Magellan bewegt haben wird, als sie zu ihren Reisen aufbrachen. Zugleich lässt sie die Neugierde ahnen, die die Entdecker zu unbekannten Horizonten trieb, die Faszination, die von den nicht kartierten Weiten ausging. Die wohl bekannteste kartographische Ikone des Entdeckungszeitalters ist die Weltkarte von Martin Waldseemüller (um 1470–1520) (Abb. 1, 3). Sie wurde 1507 unter dem Titel Universalis cosmographia als monumentale Holzschnittkarte (128 × 233 cm) von zwölf Druckstöcken veröffentlicht (Hessler, Van Duzer 2012; Lehmann 2010). Heute ist sie nur noch in einem einzigen Exemplar in der Library of Congress in Washington erhalten, bei dem es sich um einen kurz nach 1507 entstandenen Abdruck handelt (Harris 1985). Erstmals auf einer Karte erscheint die Neue Welt als eigenständiger Erdteil und unter dem Namen America (Bezeichnung innerhalb Südamerikas), wie auch auf einem von Waldseemüller im selben Jahr geschaffenen Globus (Kat. 52). Waldseemüller hatte den vierten Kontinent zusammen mit seinem Gelehrtenkollegen Matthias Ringmann (1482–1511) nach dem italienischen Seefahrer Amerigo Vespucci (1451/54– 1512) benannt, weil beide ihn für dessen Entdecker hielten. In ihrer ebenfalls 1507 erschienenen Einführung in die Kosmographie (Cosmographiae introductio) begründeten sie ihre Namenswahl. Weltkarte, Globus und Begleitschrift bilden somit den »dreiteiligen ›Taufschein‹ der Neuen Welt« (AKat. München 1992, 112). Oberhalb der herzförmigen Hauptkarte befinden sich zwei Bildnisse. Das linke zeigt Claudius Ptolemäus (um 100 – nach 160), der in der Beischrift als Cosmograph (dt.: Weltbeschreiber) betitelt wird. Er hält einen Quadranten und blickt auf eine kleine Hemisphäre mit den von ihm kartierten Erdteilen der Ökumene – Europa, Asien und Afrika. Rechts ist Vespucci folgerichtig mit der westlichen, Amerika zeigenden Hemisphäre zu sehen. Auch wenn Waldseemüller und Ringmann irrtümlich ihm – statt Kolumbus – die Entdeckung zuschrieben, so hatte er doch maßgeblichen Anteil an der Erforschung der Ostküste des südamerikanischen Kontinents, die hier bereits recht gut erfasst ist. Vespucci präsentiert einen Zirkel, der in den Bildkünsten eine länger zurückreichende Geschichte hatte. Mit Globus und Zirkel 19 Abb. 7 Cornelis Cort nach Frans Floris, Geometria, Kupferstich, Antwerpen, 1565 (Amsterdam, Rijksmuseum) Abb. 8 Frans Hogenberg, Gerhard Mercator, Kupferstich, 1574 (Amsterdam, Rijksmuseum) Auf einer berühmten, um 1220/30 entstandenen Miniatur in der Bible moralisée (Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2554) verleiht Gott der gestaltlosen Urmaterie mit Hilfe eines Zirkels die vollkommene Kreisform (Abb. 4). Das Bild veranschaulicht, dass die Schöpfung der Welt auf Vermessung, auf harmonischen Zahlenverhältnissen und Teilungen beruht. Eine Quelle dieser im Mittelalter verbreiteten Vorstellung ist ein apokrypher Text des Alten Testaments, das Buch der Weisheit Salomos (11, 20). Dort heißt es, der Weltenschöpfer habe alles »nach Maß, Zahl und Gewicht« angeordnet. Auf diese Weise geadelt, galt der Zirkel als vornehmstes aller Handwerksgeräte, da er den Beginn jeder Art von Gestaltung markiert. Deshalb tauchte er später oft auf Bildnissen von Baumeistern auf. Doch zugleich steht er für die Naturwissenschaften, die das Geheimnis der göttlichen Schöpfung messend entschlüsseln und nachvollziehen wollen. Er ist ein Attribut der Gelehrten sowie der Personifikation der Geometrie. Diese Wissenschaft zählte im Mittelalter zu den von Martianus Capella im 5. oder frühen 6. Jahrhundert beschriebenen Sieben Freien Künsten (Septem artes liberales) und wurde in Buchmalerei und Kathedralskulptur mit dem Zirkel dargestellt. Bereits Augustinus (354–430) hatte die menschliche Neugierde (curiositas) in seinen Confessiones (X, 35) als illegitime Augenlust und mithin als Sünde verunglimpft. Auch Humanisten wie Francesco Petrarca (1304–1374), Coluccio Salutati (1331–1406) oder Agrippa von Nettesheim (1486–1535) griffen die Naturwissenschaften an, da sie für die moralische Vervollkommnung des Menschen unnütz seien (AKat. Lemgo 2005, 5–7). Sebastian Brant (1457/58–1521) nahm 1494 in seinem Narrenschiff die zu den empirischen Wissenschaften gehörende Geographie aufs Korn. Im Kapitel Von Erforschung aller Länder warnt er: »Wer ausmisst Himmel, Erd und Meer und darin sucht Lust, Freud und Lehr, der seh, dass er den Narren wehr.« Der Vermesser im zugehörigen Holzschnitt parodiert die Pose des Schöpfergottes mit Zirkel und betont so das Blasphemische des menschlichen Forscherdranges (Abb. 5, Kat. 218). 1595 erschien Gerhard Mercators (1512–1594) Atlas als erste Kartensammlung in Buchform unter dieser bis heute üblichen Bezeichnung. Auf dem Titelblatt misst ein bärtiger Riese mit dem Zirkel einen Himmelsglobus aus (Abb. 6, Kat. 136) (Shirley 2009, Nr. 17A). Ein Erdglobus liegt zu seinen Füßen. In der 20 Michael Bischoff Vorrede erklärt Mercator, dass es sich nicht um den Titanen Atlas handeln würde, der in der griechischen Mythologie das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt. Stattdessen sei ein mythischer mauretanischer König gleichen Namens gemeint, über den der antike Autor Diodor schrieb: »Vom Lauf der Gestirne hatte er genaue Kenntnisse; er war der Erste, welcher die Menschen den Himmel als eine Kugel betrachten lehrte. Darum hieß es, die ganze Welt ruhe auf den Schultern des Atlas« (Historische Bibliothek, 3, 60). Der wie im Schaffensrausch dargestellte König Atlas erinnert wie der Geograph im Narrenschiff an den Weltenschöpfer aus der Bible moralisée. Doch ist das Motiv hier positiv gewendet, indem Geographie und Astronomie als kreative Leistungen gewürdigt werden. Die menschliche Neugier wird rehabilitiert. Mercator konnte bereits auf eine positiv besetzte Bildtradition der Vermessungskunst zurückgreifen, die sich im 16. Jahrhundert etabliert hatte. Die zum erhabenen Kanon der Sieben Freien Künste zählende Geometrie, die bisher an Zirkel, Winkel und Messstab zu erkennen war, erhielt nun oft einen Globus. Damit konnte sie zugleich als Personifikation der Geographie verstanden werden. So ist sie auf dem zu einer Serie der Artes liberales gehörenden Blatt, das Cornelis Cort nach Frans Floris (Antwerpen 1565) stach, mit der Erdkugel zu sehen (Abb. 7). Diese ist mit der Neuen Welt zum Betrachter gekehrt und verweist somit ausdrücklich auf die größte Entdeckungsleistung der jüngeren Vergangenheit. Die mit dem Zirkel hantierende Geometrie trägt zudem eine Stadtkrone, das Attribut der Erdgöttin Kybele, das ihre Bedeutungsverschiebung hin zur Geographie unterstreicht. Die Geometrie hat sich in eine Weltvermesserin verwandelt. Dass der Zirkel jenseits von Allegorie und Mythologie inzwischen zum Erkennungszeichen der Geographen geworden war, zeigt das 1574 entstandene Porträt von Mercator (Abb. 8). Von Frans Hogenberg gestochen, ist der Kosmograph in Gelehrtenkleidung mit Erdglobus und Zirkel zu sehen. Zwar handelt es sich um allgemeine Attribute, doch dienen sie hier zusätzlich der Hervorhebung von Mercators kartographischen Leistungen: die Verortung des Magnetpols auf der Erde, auf den er mit der Zirkelspitze hinweist (Polus magnetis), sowie die Darstellung der Nordpolregion mit den von ihm angenommenen vier Inseln. Beides hatte Mercator auf seiner berühmten Weltkarte von 1569 kartiert (Horst 2012, 84–89) (Kat. 66). Mit Globus und Zirkel 21 Abb. 9 Astronom und Geograph, Ausschnitt aus dem Titelblatt des Blaeu-Atlasses, kolorierter Kupferstich, Amsterdam, 1630 (1658) (Privatbesitz) – Kat. 143 Abb. 10 Vermessungsszene, Ausschnitt aus: Johannes Janssonius, Gastinois et Senonois, kolorierter Kupferstich, Amsterdam, 1644 (Privatbesitz) In idealtypischer Überhöhung finden sich mit Globus und Zirkel ausgestattete Vermesser von Himmel und Erde oftmals im dekorativen Beiwerk frühneuzeitlicher Karten oder auf den gestochenen Atlastitel blättern. Auf dem Kupfertitel für Willem Jansz. Blaeus (1571–1638) Kartenwerk Atlantis appendix (Amsterdam 1630) (Shirley 2009, Nr. 46) werden ein Astronom und ein Geograph – erkennbar an Himmels- und Erdglobus – in eine geradezu kosmische Sphäre erhoben, indem sie mit ihren Schülern neben göttlichen Verkörperungen von Mond und Sonne sowie den Personifikationen der vier Elemente Luft, Wasser, Erde und Feuer erscheinen (Abb. 9, Kat. 143). Geographen waren jedoch nicht nur für die Welt als Ganzes und die Herstellung von Globen und Erdkarten zuständig, sondern ebenso für die Vermessung von Territorien und kleinräumigen Gebieten. Dies findet seinen künstlerisch deutlich prosaischeren Niederschlag im Auftritt des Landmessers oder Geodäten, der die Maßstabsleiste abzirkelt und von seinen Arbeitsgeräten umgeben ist. Auf einer Karte von Corvey (um 1620) ist mit der Figur, die unterhalb eines großen Zirkels mit einem Messstab arbeitet, vermutlich ihr Autor Johannes Gigas (1582–1637) gemeint (Kat. 159). Bei dem Vermesser auf der großen Pommernkarte (1618) von Eilhard Lubin (1565–1621) handelt es sich zweifellos um ein Bildnis: Als Gelehrter und Universitätsprofessor standesgemäß gekleidet, verweisen Stech zirkel, Vollkreisinstrument, Jakobsstab und Quadrant auf Lubins Profession, auf handfeste Triangulation, Entfernungs- und astronomische Ortsbestimmung (Kat. 157; Abb. S. 131). Die Berufsbilder von Geographen und Astronomen, Landmessern und Kartographen, Stechern und Verlegern waren in der Frühen Neuzeit noch vermischt (Abb. 10). Sie und ihre Erzeugnisse – Erd- und Himmelskarten, Globen und Atlanten, Pläne und Veduten – stehen im Mittelpunkt der Ausstellung Weltvermes ser – Das Goldene Zeitalter der Kartographie. Sie gibt einen Überblick über die europäische Kartenproduktion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, die sich vor dem Hintergrund spektakulärer Entdeckungsreisen und europäischer Expansion, immer präziser werdender Navigations- und Vermessungsmethoden sowie neuartiger Reproduktionsverfahren und verlegerischer Praktiken rasant wandelte. Die historischen Ursachen für die Professionalisierung der frühneuzeitlichen Kartographie verdeutlichen, dass sich jede Zeit die Karten schafft, die sie benötigt und die die Erwartungen ihrer Nutzer erfüllen. Da sich diese Erwartungen nicht allein auf räumliche Orientierung beschränkten, sind Karten einzigartige Geschichtsquellen, die ein Bild von ihrer Epoche zeichnen – und das über den Bereich der Land-, Erd- und Himmelsvermessung hinaus. 22 Michael Bischoff Der geographische Erkenntniszuwachs brachte seit der Antike tradierte Weltbilder ins Wanken. Die Entdeckung neuer Welten – Kolumbus’ Landung in Amerika oder Magellans Weltumsegelung – führte im 16. Jahrhundert zu einer geradezu stakkatoartigen Abfolge jeweils verbesserter Weltkarten und Globen. Die insbesondere für die Schiffsnavigation entscheidende Längenbestimmung erreichte bis ins 18. Jahrhundert eine hohe Genauigkeit und schlug sich in den Seekarten nieder. Ähnlich revolutionär wie die Wider legung der bis dahin gültigen Vorstellung einer Drei-Kontinente-Welt war die Formulierung der heliozen trischen Theorie durch Nicolaus Copernicus (1473–1543), die durch astronomische Beobachtungen zu nehmend bestätigt wurde. Kartographen und Verleger verhalfen der Kartensammlung in Buchform zum Erfolg, ab 1595 unter dem Titel Atlas (Kat. 136). Mit dem Kupferstich war es möglich, akkurat gezeichnete kartographische Produkte in hohen Auflagen zu drucken. Die Vermessung von Herrschaftsgebieten spielte eine wichtige Rolle bei der Herausbildung der frühneuzeitlichen Territorialstaaten und später der modernen europäischen Nationen. Für die verschiedensten Zwecke entwickelten sich kartographische Sonderformen, wie Straßen- und Routenkarten, Stadtpläne und Veduten, thematische und didaktische Karten zur Ver mittlung geschichtlicher Kenntnisse oder einzelner geographischer Aspekte. Mit der Aufklärung wurden ältere geographische Wissensstände kritisch überprüft – Neuvermessungen auf der Grundlage von astro nomischer Ortsbestimmung und flächendeckender Triangulation führten zu Ergebnissen von nie zuvor erreichter Präzision. Doch historische Karten sind nicht nur im Hinblick auf ihre Genauigkeit und Objektivität zu beurteilen. Seit den 1980er Jahren wird zunehmend in Frage gestellt, ob es sich überhaupt um die entscheidenden Aspekte von Karten handelt (Harley, Woodward 1987, XV – XXI), zumal jede Projektion der gekrümmten Erdoberfläche zu Verzerrungen führt und die Auswahl der kartierten Gegebenheiten stets zutiefst subjektiv ist. Orientierung können auch Karten geben, die die Wirklichkeit verzerrt abbilden (z. B. Verkehrsnetzpläne) – und sogar solche, die imaginäre Gebiete zeigen, um komplexe allegorische, theologische oder moral philosophische Sachverhalte zu veranschaulichen. Mehr als Geographie bieten die zahllosen Bilder in Karten und Karten in Bildern, die bis heute den Reiz frühneuzeitlicher Kartographie ausmachen – und das nicht nur für den Fachhistoriker. Mit Globus und Zirkel 23 De mundo globorum Jan Mokre Von der A ntike bis zum E nde des 18 . Jahrhunderts Globen (von lat. globus, Kugel) sind mit einem Kartenbild versehene Modelle sphärischer Himmelskörper (insbesondere der Erde, einiger anderer Planeten und des Erdmondes) sowie der die Erde scheinbar um gebenden Himmelskugel. Während die erstgenannte Kategorie von Globen Modelle der Realität darstellt, sind die Himmelsgloben dreidimensionale Objekte, die eine gedankliche Konstruktion veranschaulichen – das die Erdkugel in einem nicht bestimmten Abstand umgebende Firmament (von lat. firmamentum, Befestigungsmittel), eine transparente Sphäre, an der sich die Himmelskörper, vor allem die Fixsterne, befinden (angeheftet sind). Das Modell der Himmelskugel wird von außen betrachtet, die Erde als im Zentrum befindlich angenommen. Globen haben als spezielle kartographische Ausdrucksformen Karten gegenüber Vor- und Nachteile. Dies wird besonders am Beispiel der Erdgloben deutlich. Ihre wesentlichen Vorteile bestehen darin, dass sie die (annähernd) sphärische Gestalt der Erdkugel unmittelbar wahrnehmbar machen und dass ihr kartographisches Bild die Erdoberfläche maßstabsgetreu und nicht verzerrt, das heißt längen-, flächen- und winkel treu wiedergibt. Der wichtigste Nachteil liegt im notwendigerweise kleinen Maßstab des Kartenbildes. Um eine Übersichtlichkeit zu gewährleisten, beträgt der Durchmesser einer Globuskugel üblicherweise zwischen 20 und 40 cm; das über Jahrhunderte gültige Standardmaß war und ist ein Durchmesser von einem Fuß (zwischen 28 und 33 cm). Die daraus resultierende, relativ kleine Fläche des Kartenbildes bedingt eine starke Generalisierung, das bedeutet eine sowohl inhaltliche als auch graphische Vereinfachung. Insbesondere alte Himmelsgloben zeigen neben den Positionen der Fixsterne und deren scheinbarer Helligkeit oft dekorativ gestaltete, teilweise sogar künstlerisch anspruchsvolle, figurale Darstellungen der Sternbilder. Häufig sind auch die Milchstraße, veränderliche Sterne, Sternhaufen und Nebel sowie weitere astronomische Phänomene, wie zum Beispiel Kometen, verzeichnet. Da es sich um Objekte handelt, die nicht die Wirklichkeit abbilden, weisen sie keinen Maßstab auf. Ihr Informationsgehalt ist – wie bei den Erdgloben – vom Kugeldurchmesser bestimmt. Himmelsgloben geben, im Gegensatz zu Himmelskarten, die Beziehungen der Positionen von Himmelskörpern, wie sie von der Erde aus beobachtet werden, unverzerrt, in ihrer richtigen gegenseitigen Lage und in ihren Winkelbeziehungen zueinander, wieder. Da die Himmelskugel jedoch von außen betrachtet wird, erscheinen die Sternpositionen und -konstellationen auf der Globuskarte seitenverkehrt. Die geographischen beziehungsweise astronomischen Inhalte der Erd- und Himmelsgloben sind in der Regel in ein Gradnetz von Breiten- und Längenkreisen eingezeichnet. Erdgloben werden in die Kategorien Karten- und Reliefgloben unterschieden, die Kartengloben wiederum in physische und in Thema globen. Physische Erdgloben zeigen zumindest die Verteilung der Landmassen und der Meere, meist jedoch auch Informationen zu weiteren physischen Realitäten der Erdoberfläche, etwa Geländeformen und Gewässernetz. Themagloben veranschaulichen über die Topographie hinausgehend erdraumbezogene Sachverhalte, zum Beispiel geologische und geotektonische sowie klimatische Gegebenheiten oder auch wirtschaftspolitische Inhalte, wie zum Beispiel Aspekte des Weltverkehrs und des Welthandels, die geographische Lage von Bodenschätzen oder Standorte bedeutender Wirtschaftszweige. Streng genommen zählen Abb. 1 Johannes Schöner, Erdglobus, Ø 27 cm, Bamberg, um 1515 (Frankfurt am Main, Historisches Museum) 113 auch Erdgloben, deren Kartenbild von Staatengrenzen und/oder administrativen Einteilungen wesentlich (mit-)bestimmt wird, zu den Themagloben. Im allgemeinen Bewusstsein sind diese politischen Globen jedoch als die übliche Form der Erdgloben verankert. Reliefgloben stellen das Oberflächenprofil der Erdkugel plastisch dar, jedoch kann die Höhe der Geländeformationen nicht im selben Maßstab wie die Kugel wiedergegeben werden, da diese im Vergleich zur Größe der Erde so gering ist, dass sie nicht erkennbar wäre. Daher werden die Erhebungen der Erdoberfläche mit einem Faktor, meist zwischen 20 und 40, überhöht. Die ersten Reliefgloben wurden zum Ende des 18. Jahrhunderts als Einzelstücke gefertigt, die Serienproduktion begann im frühen 19. Jahrhundert. Himmelsgloben sind grundsätzlich Kartengloben. Sie unterscheiden sich im Wesentlichen durch die mehr oder weniger anspruchsvolle Gestaltung des Kartenbildes. Anzahl und Benennung der Sternbilder änderten sich, den kulturellen Mustern der Epoche entsprechend, im Laufe der Jahrhunderte; ihre bildliche Wiedergabe unterlag einem stilistischen Wandel. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts trat das Dekorative und Bildhafte der Konstellationen in den Hintergrund, die Darstellung des Sternenhimmels wurde abstrakter. Qualitativ hochwertig und präzise gearbeitet sowie mit zusätzlichen Messeinrichtungen (Horizontring, Meridianring, Höhenquadrant, Stundenring und Stundenzeiger sowie Kompass) versehen, wurden Erd- und Himmelsgloben in der Vergangenheit auch als wissenschaftliche Instrumente, als Analogrechner verwendet, mit denen zahlreiche geographische und astronomische Fragestellungen mit ausreichender Genauigkeit durch Direktablesen ohne langwierige Rechnungen gelöst werden konnten. Insbesondere alte Globen waren jedoch nicht nur naturwissenschaftliche Objekte und Instrumente. Sie sind darüber hinaus Zeugnisse sowohl historischer, geographischer und astronomischer Vorstellungen als auch aufwendiger künstlerischer Gestaltung, kunsthandwerklicher Fertigung und gewerblicher Produktionsverfahren. Sie dienten der Dokumentation und Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse, aber auch repräsentativen und dekorativen Zwecken. Die Geschichte der Globen beginnt in der griechischen Antike. Eudoxos von Knidos (408–355 v. Chr.) beschrieb bereits um 360 v. Chr. das Modell Himmelsglobus. Schriftliche und bildliche Quellen berichten von ihrer Beschaffenheit aus Stein, Metall oder aus Holz. Der älteste überlieferte Himmelsglobus, Teil einer als Atlas Farnese bekannten Skulptur, stammt aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. Himmelsgloben wurden auch in der römischen Antike hergestellt, jedoch haben sich aus dieser Zeit nur zwei kleine Originale erhalten. Obwohl die Kugelgestalt der Erde bekannt war, hatte das Modell Erdglobus sowohl in der griechischen als auch in der römischen Wissenschaft keine Bedeutung. Der Ausschnitt der als bewohnbar bekannten Erdoberfläche (Ökumene) war mit etwa 20 Prozent der Kugelfläche so gering, dass sich Karten besser zur Veranschaulichung geographischer Informationen und Konzepte eigneten. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass Erdgloben in der Antike angefertigt wurden, es sind jedoch keine bekannt geworden. Der arabisch-islamische Kulturkreis (der zeitlich unterschiedlich von Spanien bis nach Indien reichte) über nahm die antike Tradition der Himmelsgloben und entwickelte diese weiter. Zahlreiche Himmelsgloben wurden vor allem als gravierte Hohlkugeln aus Metall hergestellt; Erdgloben, beziehungsweise Informatio nen über Erdgloben, sind nicht überliefert (Abb. 2). Entgegen der irrigen modernen Ansicht eines der Antike gegenüber rückständigen, wissenschafts fernen Mittelalters, in dem die Scheibengestalt der Erde die dominante Lehrmeinung darstellte, wurde die antike Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde, neben konkurrierenden kosmologischen Modellen, im christlichen Europa kontinuierlich über die Spätantike und das Mittelalter in die Frühe Neuzeit transferiert. Im 15. Jahrhundert, am Vorabend der europäischen Expansion nach Übersee, erlangten die antiken Kenntnisse um Himmel und Erde in Verbindung mit dem im arabisch-islamischen Kulturkreis weiterentwickelten Wissen in Europa praktische Bedeutung, was unter anderem auch zur Anfertigung von Erd- und Himmelsgloben führte. Im Zuge der europäischen maritimen und kolonialen Unternehmungen im 16. Jahrhundert erlebten diese als Modelle, als wissenschaftliche Instrumente, aber auch als Lehrmittel eine deutliche Aufwertung. Der gesteigerte Bedarf an anschaulichen Nachbildungen der Erd- und der scheinbaren Himmelskugel bewirkte innerhalb weniger Jahrzehnte den Übergang von Einzelstücken zur Serienherstellung. Viele Globenkonstrukteure und Globen fabrizierende Firmen veröffentlichten auch gedruckte Be schreibungen und Gebrauchsanleitungen, die zumeist mit Einführungen in die Geographie und/oder Astronomie versehen waren. Abb. 2 Ja’far ibn ’Umar ibn Dawlatschah al Kirmani, Himmelsglobus, Ø 16,5 cm, Persien, 1362/63 (Oxford, Museum of the History of Science) Abb. 3 Martin Behaim, Erdglobus, Ø 51 cm, Nürnberg, 1492–1494 (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum) 114 Jan Mokre De mundo globorum 115 Abb. 5 Heinrich Arboreus, Himmels globus, Ø 76 cm, München, 1575 (München, Bayerische Staatsbibliothek) Abb. 6 Philipp Apian, Erdglobus, Ø 76 cm, München, 1576 (München, Bayerische Staatsbibliothek) Abb. 4 Gerhard Mercator, Himmels globus und Erdglobus, Ø 41 cm, Löwen, 1551 und 1541 (Wien, Österreichische National bibliothek, Globenmuseum) 116 Während 1492 bis 1494 unter Anleitung und Mitwirkung Martin Behaims (1459–1507) der älteste erhaltene Erdglobus in Nürnberg noch als Unikat gefertigt wurde (Abb. 3), veröffentlichte Martin Waldseemüller (um 1470–1520) bereits 1507 (vermutlich in Straßburg) die ersten in einem Reproduktionsverfahren (Holzschnitt) vervielfältigten Segmente für einen Erdglobus (Kat. 52). Die im 15. und 16. Jahrhundert von Europa ausgehenden Expeditionen zu Lande und zu Wasser wurden vor allem von Italien, Portugal, Spanien und England aus unternommen. Erstaunlich und bisher nicht hinreichend erklärt ist der Umstand, dass in der Frühen Neuzeit auf der Iberischen Halbinsel nur eine äußerst geringe Anzahl Globen entstanden ist. Die Herstellung von Erd- und Himmelsgloben erfolgte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor allem im deutschsprachigen Raum. In Bamberg und Nürnberg wirkte Johannes Schöner (1477–1547), dessen seriell gefertigte Erd- und Himmelsgloben ab dem Jahr 1515 in unterschiedlichen Durchmessern belegt sind. Die Kartenbilder wurden in Holzschnitt vervielfältigt. Schöner leitete einen Paradigmenwechsel ein: Globen als vor allem kommerzielle Produkte, mit denen ein wirtschaftlicher Gewinn angestrebt wurde (Abb. 1). Seit der ersten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Erd- und Himmelsgloben üblicherweise als Paare hergestellt – ein Erd- und ein Himmelsglobus im selben Durchmesser, die Kugeln in identisch gestalteten Gestellen gelagert, die Kartenbilder von einem Autor entworfen und stilistisch aufeinander abgestimmt. In der Mitte des 16. Jahrhunderts machte der zuerst in Löwen (Leuven/Louvain), später in Duisburg tätige Gerhard Mercator (1512–1594) mit den bis dahin größten in Serie gefertigten Globen, die einen Kugeldurchmesser von jeweils 41 cm aufwiesen, auf sich aufmerksam (Abb. 4, vgl. Kat. 53). Mercator gilt als der bedeutendste Kartograph des 16. Jahrhunderts; er war der Schüler des Gemma Frisius (1508–1555) und bereits an der Herstellung von dessen Globen beteiligt. Sowohl Gemma Frisius als auch Gerhard Mercator reproduzierten die Globuskarten in Kupferstich. 1575 und 1576 schufen Heinrich Arboreus (1532–1602) und Philipp Apian (1531–1589) für die Residenz des bayerischen Herzogs Albrecht V. ein prunkvolles Globenpaar mit Kugeldurchmessern von 76 cm, deren Kartenbilder außer ordentlich dekorativ von Hand gemalt wurden (Abb. 5, 6). Jan Mokre Vor allem aufgrund des enormen Aufschwungs des Seehandels verlagerte sich die Globenherstellung Ende des 16. Jahrhunderts in die nördlichen Niederlande. Jacob Floris van Langren (gest. 1610) und sein Sohn Arnold (1571–1644) waren die ersten Globenkonstrukteure, weitere folgten. Amsterdam entwickelte sich rasch zum Zentrum der Karten- und Globenproduktion. In intensiver Konkurrenz zueinander stehend, stiegen Jodocus I Hondius (1563–1612) und Willem Jansz. Blaeu (1571–1638) zu den bedeutendsten und kommerziell erfolgreichsten Globenfabrikanten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf (Abb. 7, 8, Kat. 54, 55). Ihre Unternehmen wurden von ihren Söhnen Jodocus II Hondius (1593–1629) und Henricus Hondius (1597–1651) sowie Joan Blaeu (1596–1673) und später von anderen Geschäftsnachfolgern weitergeführt. Die in Amsterdam produzierten Globen in mehreren Durchmessern und unterschiedlichen Ausstattungen bestimmten bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts fast konkurrenzlos den Markt und waren in Europa weit verbreitet. Diese herausragende Stellung konnten die niederländischen Hersteller nicht halten; die Globenproduktion verlagerte sich Ende des 17. Jahrhunderts in andere Länder und Regionen. Nur am Anfang des 18. Jahrhunderts erlangten mit den Objekten von Gerard Valk (1652–1726) und dessen Sohn Leonard (1675–1746) noch einmal Globen aus Amsterdam eine gewisse überregionale Bedeutung. Der im 17. Jahrhundert außerhalb der nördlichen Niederlande bedeutendste Globenkonstrukteur und -hersteller war der Minoritenpater (später General des Ordens der Frati Minori) Vincenzo Coronelli (1650–1718) in Venedig (Abb. 9). Der vielseitige Gelehrte – er wirkte als Kosmograph, Kartograph, Techniker sowie als Autor und Herausgeber mehrbändiger Atlanten und Bücher – kompilierte das Wissen seiner Zeit und nutzte alle Möglichkeiten, die sich ihm als einem hochgestellten Mitglied eines katholischen Ordens mit hervorragenden überregionalen Beziehungen boten, um dieses Wissen in Form von Büchern, Karten und Globen zu verbreiten. Er schuf eigene, attraktive Kartenbilder für Globen unterschiedlicher Durchmesser und war insbesondere mit seinen seriell hergestellten, prunkvollen Globen im Durchmesser von 108 cm europaweit erfolgreich. Bereits zuvor wurden durch Giuseppe de Rossi (keine Lebensdaten bekannt, tätig um 1615) in Mailand sowie durch Matthaeus Greuter (1557–1638) (Abb. 10), Giovanni Battista de Rossi (keine Lebensdaten bekannt, tätig 1640–1672) und Domenico de Rossi (keine De mundo globorum Abb. 7 ˛ Jodocus II Hondius, Himmels globus und Erdglobus, Ø 53,5 cm, Amsterdam, 1613 (Amsterdam, Scheepvaartmuseum) Abb. 8 ˛ Willem Jansz. Blaeu, Himmels globus und Erdglobus, Ø 23 cm, Amsterdam, 1602 (nach 1621) (Wien, Sammlung Rudolf Schmidt) 117 118 Jan Mokre De mundo globorum 119 1 (Ausschnitt) Frühe Karten: Antike und Mittel alter Von den Karten nach Ptolemäus mit den drei Erdteilen, die in Antike und Mittel alter die Welt ausmachten. Von einer römisch-antiken Straßenkarte, die immer wieder kopiert wurde. Von erstaunlich genauen Seekarten auf Tierhaut und vom Globus, der das Wissen der alten Welt versammelte, kurz bevor eine neue entdeckt wurde. 1 Tabula Peutingeriana, Nachzeichnung Heinrich Kiepert | Berlin | 1837 | kolorierte Federzeichnung auf Papier | 35 × 669 cm | Lit. Rathmann 2015. Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin, Kartenabteilung, Kart. U 4973 190 Katalog 2 Der erste bekannte Besitzer der Tabula Peutingeriana ist Conrad Celtis (1459–1508), der den Rotulus 1507 Konrad Peutinger (1465–1547) übergab. Nach dessen Tod gelangte die Rolle über zahlreiche Zwischenstationen 1738 in den Besitz der Hofbibliothek in Wien, wo sie sich noch heute befindet (Österreichische Nationalbibliothek, Codex Vindobonensis 324). Die erste vollständige Abzeichnung durch Franz Christoph von Scheyb von 1753 zeigt Details, die auf dem Original heute unkenntlich sind. Die Tabula ist auf die Zeit um 1200 zu datieren und geht zurück auf einen antiken Vorgänger um 435. Der mittelalterliche Kopist kann den Originalanfang nicht mehr gekannt haben, denn links fehlen etwa zwei Meter, auf denen sich u. a. Westafrika, Iberien, Irland und Britannien befunden haben dürften. Die Tabula wurde in der Forschung vor allem wegen der prächtigen Stadtvignette für Rom und der übergroßen Ita liendarstellung als Produkt römischer Kartographie betrachtet. Neuere Studien zeigen, dass es sich bei dem Archetypus der Tabula um ein Zeugnis aus hellenistischer Zeit handeln muss, das über zahlreiche Kopierstufen in der Antike bis 435 abgeschrieben und partiell modifiziert wurde. Dafür spricht u. a. die Darstellung Indiens, die mit dem Kenntnisstand der Alexanderzeit übereinstimmt und spätere Entdeckungen in römischer Zeit zu ignorieren scheint. Auch verharrt der Raum östlich des Euphrat informationstechnisch auf dem Stand des 3. Jahrhunderts v. Chr. Der Archetypus wurde im Kopierprozess bei jeder Abschrift mit neueren Informationen angereichert. Doch trauten sich die Kopisten offenbar nicht, neu entdeckte Landmassen einzuarbeiten. So hat man im Osten die Bezeichnung »Sera Maior« als Toponym für China nachgetragen, ohne einen physischen Raum zu berücksichtigen. Zu den weiteren Kuriosa zählen in Süd indien Küstennamen aus römischer Zeit (z. B. »Templum Augusti«), die sich von den übrigen, älteren Ortsnamen auf dem Subkontinent absetzen. Der Hintergrund für die punktuelle Innovation in der Beschriftung dürfte im Indienhandel Roms in der Kaiserzeit zu sehen sein. Im Gegenzug blieben auch überholte Ortsnamen, wie das im Jahr 79 zerstörte Pompeji, im Kopiersystem stehen. 1837 fertigte Heinrich Kiepert (1818–1899) als 19-jähriger Student der Klassischen Philologie eine Abzeichnung der Tabula an, die auf die unkolorierten Kupferstiche aus der Ausgabe von Scheyb zurückgeht. Die Anregung kam wohl von seinem Lehrer Carl Ritter. Die Informationen für die Kolorierung dürfte Kiepert aus einer zur Rolle zusammen geklebten farbigen Scheyb-Version von unbekannter Hand erhalten haben, die sich heute ebenfalls in der Staatsbibliothek zu Berlin befindet. Auffällig an Kieperts Tabula ist das dem Original nahekommende Grün des Meeres, das von dem Blau der Scheyb-Rolle abweicht und vermutlich auf Angaben in der Literatur beruht. Kiepert wurde einer der berühmtesten Kartographen des 19. Jahrhunderts. | MRa 2 Ebstorfer Weltkarte Niedersachsen | um 1300 | Feder, Wasser- und Deck farben auf Pergament | 358 × 356 cm | Lit. Kugler 2007; Barber 2005, 58 f.; Wilke 2001; AKat. Nürnberg 1992, Nr. 2.7; Wolf 1989; Brincken 1970 und 1968. Reproduktion nach der Kopie im Landschaftsmuseum Obermain, Kulmbach Die Ebstorfer Weltkarte wurde nach ihrem ehemaligen Aufbewahrungsort benannt, dem Benediktinerinnenkloster Ebstorf in der Lüneburger Heide. Sie ist die wohl größte und an Bildern, Zeichen und Texten reichste Weltkarte (Mappa mundi) des späten Mittelalters. Vermutlich liegen ihr kleinformatigere Karten als Vorlagen zugrunde (Kugler 2007), vielleicht wurde das direkte Vorbild in den 1240er Jahren für den Welfen Otto das Kind geschaffen und am Lüneburger Hof verwendet (Wolf 1989). Der christlich bestimmten Sicht auf die Welt entsprechend, ist der Erdkreis dem Leib Christi einbeschrieben. Dessen Kopf, Hände und Füße ragen an den Rändern heraus. Im Zentrum befindet sich Jerusalem. Das Paradies liegt im Osten oben, Europa links unten. Dort sind die niedersächsischen Städte Braunschweig und Lüneburg, aber auch Köln und Rom zu erkennen. Insgesamt enthält die Karte etwa 1 500 Texteinträge und 500 Gebäudedarstellungen. Neben dem biblischen Wissen (z. B. Arche Noah, Turm von Babel) verortet die Karte mythologische Inhalte und geschichtliche Frühe Karten: Antike und Mittelalter 191 Die Zeitzer Weltkarte gehört zu einer kleinen erlesenen Grup pe noch erhaltener mittelalterlicher Weltkarten (Mappae mundi). Ursprünglich war sie der abschließende Teil einer im Jahr 1470 verfassten Handschrift der Γεωγραφικὴ Ὑφήγησις (Geographike hyphegesis) des antiken Geographen Claudius Ptolemäus (um 100 – nach 160) – ein Handbuch der Kartographie, das erst im 15. Jahrhundert eine größere Verbreitung in Handschriften und Frühdrucken erfahren hat. Obwohl die Zeitzer Weltkarte Teil der wahrscheinlich in Bayern entstandenen Ptolemäus-Handschrift war, steht sie nicht im Kontext der übrigen Länderkarten des großformatigen Kodex. Sie gehört vielmehr zum Typus der originär mittelalterlichen kreisrunden sog. T-O-Karten, deren Name auf die Verteilung des alle Kontinente umspannenden Weltmeeres (O) und die auffällige Anordnung der beiden dominierenden Flüsse Nil und Don sowie des Mittelmeeres (T) zurückgeht. Im Mittelpunkt der Karte liegt Jerusalem als Zentrum der Christenheit. Im Gegensatz zu den bereits nach Norden ausgerichteten ptolemäischen Karten oder den üblicherweise geosteten T-O-Karten, bei denen der obere Kartenteil vollständig von Asien eingenommen wird, weist die Zeitzer Weltkarte bemerkenswerterweise eine Südung auf. Der obere Teil der Karte wird hier also von Afrika eingenommen, während Europa das untere rechte Viertel ausfüllt und Asien den größten Teil der linken Kartenhälfte bedeckt. Meere, Seen und Flüsse sind grün ausgefüllt, während die weißflächigen Kontinente und Inseln mit schwarzer Tinte konturiert sind. Gebirgszüge sind in brauner Farbe wiedergegeben. Während die jeweils mit einem roten Punkt markierten Orte ebenfalls in schwarzer Tinte ausgeführt sind, erscheinen die Namen der Landschaften in roter Schrift. Die zahlreichen teils legendenhaften Berichte zu den unterschiedlichen Ländern sind alternierend in roter und schwarzer Tinte verfasst. Unter den bildlichen Darstellungen befinden sich Zeichnungen der Völker Gog und Magog, der Arche Noah und des Katharinenklosters auf dem Sinai. | ML 4 Weltkarte, in: Isidor von Sevilla, Origines sive Etymologiae Augsburg: Günther Zainer | 1472 | Buchdruck und Holzschnitt | Ø 7,5 cm, 4° | Lit. AKat. Nürnberg 1992, Nr. 2.6. – Baumgärtner 2008, 13 f.; Edson, Savage-Smith, Brincken 2005, 54 f.; Shirley 1993, Nr. 1; AKat. Nürnberg 1992, Nr. 2.6; GW, Nr. M15250. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 4° Inc. 32418-19 3 Kenntnisse. Nachrichten über ferne Völker, Tiere und Pflanzen wurden vor allem aus klassischen Quellen bezogen, z. B. Plinius d. Ä. Die Verteilung dieser Informationen auf der Kartenfläche erzeugt eine Wissensordnung, die sich nicht mit dem neuzeitlichen Streben nach einer möglichst exakten Kartierung der Erdoberfläche vergleichen lässt. Die Karte wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und ist in Reproduktio nen und Rekonstruktionen überliefert. Abb. S. 24 | KS F 192 Katalog 3 Mappa mundi Cicensis (Zeitzer Weltkarte) Bayern (?) | 1470 | Feder in Braun, Grün, Rot und Schwarz auf Papier | 38 × 48 cm, Ø (Kartenbild) 46 cm | Lit. Mittenhuber, Stewing 2009, 74 f.; Stewing, Ludwig 2008; Kreuer 1999, 65–78. Zeitz, Stiftsbibliothek, Hist. fol. 497, fol. 48r (herausgelöst) 4 setzen konnten. Entgegen heutigen Sehgewohnheiten sind sie zumeist geostet. Die Vermutung der Zeitgenossen, dass das Paradies an einem nicht bekannten Ort im Osten läge, die Tatsache, dass im Osten die Sonne aufgeht, und der Glaube daran, dass Christus gen Osten in den Himmel aufgefahren sei, boten Argumente für diese Ausrichtung. Oben liegt dementsprechend der größte der bekannten Kontinente, Asien. Dieser wurde nach der Sintflut laut gängiger Interpretation Noahs ältestem Sohn Sem zugesprochen. Die untere Hälfte nimmt auf der rechten Seite den zu Ham gehörigen Kontinent Afrika auf, links davon findet sich Europa, wo sich Japhet niedergelassen haben soll. Getrennt werden die Kontinente durch das Große Meer (Mare magnum, Mittelmeer), das sich T-förmig aufteilt. Eingeschrieben ist die Gesamtheit von Kontinenten und Meer in einen Kreis, der das Symbol für einen alles umfassenden Ozean darstellt – durch diese Gestaltung ergibt sich das typische T-O-Schema. Zainers Weltkarte ist der erste Kartendruck des Abend landes. | AM Die T-O-Karte des frühmittelalterlichen Autors Isidor von Sevilla aus seinen Etymologiae stammt aus dem 7. Jahrhundert und wurde während des gesamten Mittelalters als gültig angesehen. Deshalb erscheint sie auch in Günther Zainers Druckausgabe des Werkes. Die Besonderheit von T-O-Karten war, dass sie seit der Antike tradiertes Wissen über die Dreiteilung der Erde in harmonischen Einklang mit der im Mittelalter einsetzenden biblischen Prägung des Weltbildes Frühe Karten: Antike und Mittelalter 193 5 5 Weltkarte, in: Rudimentum novitiorum Lübeck: Lucas Brandis | 1475 | Buchdruck und kolorierter Holzschnitt | Ø 36 cm, 2° | Lit. AKat. Göttingen 2002, Nr. 11. – Brown 2000; Shirley 1993, Nr. 2; AKat. München 1979, Nr. 4; GW, Nr. M39062. Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitäts bibliothek, !HSD! 2 H UN II, 11 Inc Im 15. Jahrhundert wurden handgezeichnete mittelalterliche Karten im Druck reproduziert. Zu diesen zählt auch die 1475 in einer Lübecker Inkunabel erschienene Radkarte. In Holzschnitt gedruckt, wurde sie im ausgestellten Exemplar koloriert. Sie orientiert sich noch am T-O-Schema, das jedoch nicht mehr so ausgeprägt zu erkennen ist. Nach wie vor ist Osten oben, allerdings fehlt die Darstellung des Paradieses. An der Stelle, wo dieses sonst in mittelalterlicher Tradition verortet wurde, finden sich nun zwei disputierende Männer. Die Dreiteilung der Erde, wie sie von älteren Karten bekannt ist, wurde auch hier wieder aufgenommen: So findet sich auf der oberen Hälfte Asien als größter Kontinent. Die untere Hälfte teilen sich links Europa und rechts Afrika. Entgegen dem klassischen T-O-Schema ist hier aber kein die Kontinente trennendes Meer eingezeichnet, sondern lediglich feine Linien. Interessant ist, dass es bereits erste Versuche von Reliefdarstellung gibt. So ist die gesamte Oberfläche von kleinen Hügeln durchzogen, die teilweise von Wasserläufen getrennt werden. Fast jede dieser Erhebungen ist beschriftet 194 Katalog 6 und wird von einer Architektur bekrönt. Die Inschriften helfen bei der Identifizierung der einzelnen Länder und Städte, die zwar ihren Kontinenten zugeordnet, jedoch innerhalb dieser Umgrenzung nicht an ihrem eigentlichen Platz sind. Rom ist zusätzlich an einer kleinen Papstfigur zu erkennen. | AM 6 Weltkarte, aus: Claudius Ptolemäus, Cosmographia Johannes von Armßheim | Ulm: Lienhart Holl | 1482 | kolorierter Holzschnitt | 40 × 55 cm | Lit. AKat. Luxemburg 2007, Nr. 13. – Nebenzahl 2004, Nr. 1.2; S hirley 1993, Nr. 10; AKat. Nürnberg 1992, Nr. 2.16; AKat. München 1979, Nr. 11; GW, Nr. M36379. Bitburg, Sammlung Niewodniczański Der in Alexandria wirkende Gelehrte Claudius Ptolemäus (um 100 – nach 160) verfasste Werke über Astronomie (Alma gest) und Geographie (Geographia, auch: Cosmographia). Seine Cosmographia bietet mit Tabellen und der Beschreibung des Gradnetzes eine Art Anleitung zum Kartenzeichnen. Sie enthält eine Liste mit den Koordinaten von etwa 8 000 Orten der in der Antike bekannten Welt, die aus Europa, Asien und Afrika bestand (Ökumene). Auf dieser Grundlage angefertigte Karten aus der Zeit vor dem 12. Jahrhundert sind nicht überliefert. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurde das in griechischen Handschriften tradierte Werk ins Lateinische übersetzt und das Kartenmaterial ausgearbeitet. Bald kursierte eine Reihe von Abschriften. Zusammen mit den ab 1577 erschienenen Druckfassungen trug Ptolemäus’ Cosmo graphia entscheidend zum Aufschwung der Kartographie in der Renaissance bei. Die Weltkarte stammt aus der vierten gedruckten und mit Karten versehenen Ausgabe (nach Bologna 1477, Rom 1478, Florenz 1480/82). Anders als bei den italienischen Vorgängern sind die Karten nicht in Kupferstich-, sondern in Holzschnitttechnik gefertigt. Die Ulmer Ausgabe beruht auf dem sog. Wolfegger Codex mit den Ptolemäus-Karten des Nicolaus Germanus (um 1420–1490), der zu den 27 ursprünglichen Karten fünf neue (Tabulae novae), darunter die Weltkarte, hinzugefügt hatte. Typisch ist das von Ptolemäus eingeführte Gradnetz, auf dessen Grundlage sich die Koordinaten von Orten eindeutig angeben lassen, ebenso die gekrümmten Längen- und Breitenkreise, die die Kugel gestalt der Erde veranschaulichen. Neu ist die Erweiterung des Kartenbilds um Skandinavien durch eine Ausstülpung im Nordwesten. | MB 7 Portolankarte (Europa und Nordafrika) Vesconte Maggiolo | Genua | 1541 | Feder und Deckfarben auf Pergament | 68 × 103 cm | Lit. Mesenburg 2006; Astengo 1996; Mesenburg 1994 und 1988; Grosjean 1979. Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin, Kartenabteilung, F 31 Die wohl bemerkenswertesten Produkte der mittelalterlichen Kartographie sind Portolankarten (auch: Portulankarten). Soweit bekannt ist, tauchen sie gegen Ende des 13. Jahrhunderts unvermittelt auf und werden für einen Zeitraum von rund 400 Jahren überliefert, ohne dass markante Entwicklungsunterschiede zu erkennen wären. Im Gegensatz zu anderen Karten des Mittelalters beschreiben sie mit hoher Genauigkeit zunächst vorwiegend die Küstenlinien des Mittelmeeres und der unmittelbar angrenzenden Gebiete. Die exakte Darstellung der Küstenlinien zeugt davon, dass Portolane offensichtlich zunächst zum praktischen Gebrauch als Seekarten entworfen wurden. Spätere Exemplare enthalten auch – wie z. B. die hier präsentierte Karte des Vesconte Maggiolo – Teile der Atlantikküste, der Nordsee und der Ostsee. Dabei wurde die Darstellung des Landesinneren nur grob skizziert. Portolane sind handgezeichnete, mehrfarbig angelegte Karten auf Pergament (Unikate auf gegerbter Tierhaut). Ihr besonderes Markenzeichen sind Liniennetze (Rumben), die durch regelmäßige Teilung (in der Regel 16 Teile) eines meist in der Mitte der Darstellungsfläche gelegenen Kreises ent stehen. Auch die ältesten Portolane sind nach Norden ausgerichtet, wobei die Ost-West-Achse des Mittelmeeres um einen geringen Betrag gegen den Uhrzeigersinn gedreht erscheint. Zur besseren Orientierung und zur Erläuterung der Darstellung wird in allen Portolankarten eine Vielzahl von Hafennamen wiedergegeben. Diese werden – ebenfalls kartentypisch – immer senkrecht zur Küstenlinie landeinwärts geschrieben. Wahrscheinlich wird zu Recht vermutet, dass die Wiedergabe der vielen Hafennamen auch zur Namensgebung der Portolane geführt hat. Frühe Karten: Antike und Mittelalter 195 Spiegel der Seefahrt: Die Vermessung der Meere Von Karten für Schiffer, Steuerleute und Liebhaber der großen Seefahrt. Von den Schifffahrtsrouten an der niederländischen und der ostfriesischen Küste, von Seekarten der gesamten Ostsee. Von der Missweisung der Kompassnadel und den Hilfsmitteln der Navigation. 42 Beschrijvinghe van de zee Custen van Oost-Vrießlandt (Ostfriesische Küste), aus: Speculum nauticum (Spieghel der Zeevaert) Joannes van Doetecum nach Lucas Jansz. Waghenaer | Leiden: Franciscus Raphelengius | 1584 (1586) | kolorierter Kupferstich | 33 × 51 cm | Lit. Recke 2008, 54 f. – Koeman 1970a, Wag 5A. Emden, Sammlung Michael Recke Waghenaers Spieghel der Zeevaert war in vieler Hinsicht ein einzigartiges Werk und wurde zu einem Modell für zahlreiche Segelhandbücher und Seeatlanten des 17. Jahrhunderts. Bis 1584 waren Seekarten meistens als schlichte Holzschnitte hergestellt worden. Waghenaer dagegen ließ von einem der besten Stecher seiner Zeit, Joannes van Doetecum, Kupferstiche anfertigen, die eine feinere und damit genauere Darstellung erlaubten. Seine Karten enthalten folgende Merk male: Die Orientierung der Karte ist so gewählt, dass die vom Meer kommenden Seeleute leicht den Weg zur Küste und zu den Häfen fanden. Im Fall der Karte der ostfriesischen Küste bedeutete das, dass sie gesüdet wurde, genauer: Süd-Süd-Ost ist oben. Aus früheren Segelanweisungen übernahm Waghenaer die Seitenansichten (Vertoonungen) der Inseln, die in die Darstellung der Inseln eingearbeitet und zusätzlich im Landesinneren vergrößert gezeigt wurden. Die Ortschaften des Binnenlandes wurden nur dargestellt, wenn Kirchtürme, Mühlen oder andere Objekte als Peilmarken für die Seefahrer dienen konnten. Besonders wichtig für die Kapitäne waren die neuesten Tiefenangaben der Fahrrinnen, die auf der Karte durch Prikken bzw. Baken gekennzeichnet sind. Waghenaers Spieghel der Zeevaert war das erste gedruckte Segelhandbuch, in dem eine systematische Sammlung von Segelanweisungen und Seekarten einem Seefahrer alle Informationen bot, die nötig waren, um an den europäischen Küsten sicher entlangzufahren. | MRe 232 Katalog 43 A DESCRIPTION OF THE Sea coastes of Eyder Ditmers & a part of Jeverland [. . .] (Deutsche Bucht), aus: Mariners Mirrour Lucas Jansz. Waghenaer | London: Charlewood | 1588 | kolorierter Kupferstich | 32 × 49 cm | Lit. Recke 2008, 100 f. – Koeman 1970a, Wag 13. Emden, Sammlung Michael Recke Im Jahre 1588 bekam Anthony Ashley, Beamter des britischen Kronrats, den Auftrag, eine englische Version von Waghenaers Spieghel der Zeevaert vorzubereiten. Dazu wurden in England von berühmten Kupferstechern neue Druckplatten angefertigt. Der Atlas The second part oft he Mariners Mir rour containing in divers perfect plots & sea charts boeth the Northern and Eastern Navigation […] enthält auch dieses ge ostete Blatt, das den südöstlichen Teil der Deutschen Bucht darstellt. Es beeindruckt durch seine klaren Küstenlinien, die Türme und Häuser als Symbole für Dörfer und Städte, die Sandbänke und Fahrrinnen mit Seetonnen, Prikken und Tiefenangaben und besonders durch die dekorativen Segelschiffe und Meeresungeheuer. Außerdem findet man auch hier die Seitenansichten der Inseln, die den Seefahrern als eine wichtige Hilfe zur Ansteuerung der Küste dienen sollten. Auffällig ist, dass die zweite Titelkartusche leer blieb – wohl ein Zeichen dafür, dass die englische Kopie schnell angefertigt werden musste. Der Mariners Mirrour von Waghenaer wurde so populär, dass man fortan jedes Seehandbuch in England einen Waggoner nannte. Die Schiffer allerdings verlangten die ihnen geläufigen schriftlichen Segelanweisungen, und Waghenaer kam diesem Wunsch mit der Herausgabe des Thresoor der Zeevaert im Jahr 1592 nach. | MRe 42 44 Paskaert Van een gedeelte vande Noortzee Streckende Van Harwitz en Egmon tot Stavanger (Nordsee) Hendrick Doncker | Amsterdam: Doncker | 1688 | kolorierter Kupferstich | 51 × 59 cm | Lit. Recke 2008, 12 f. – Koeman 1970a, Don 23. Emden, Sammlung Michael Recke Hendrick Doncker gab im Verlauf von 30 Jahren viele See atlanten und Segelhandbücher heraus, in denen sich unterschiedliche Karten der Nordsee finden. Er nennt in seinem Atlastitel (De Nieuwe Groote Vermeerderde Zee-Atlas ofte Water- Werelt, Vertoonende alle de Zee-kusten des Aerdtrycks, Seer diens tigh voor Schippers, Stuurlieden en Liefhebbers der groote Zee-vaert) die Zielgruppe für seine Karten, nämlich Schiffer, Steuerleute und Liebhaber der großen Seefahrt. Im Vorwort betont Doncker, dass er seine Kunden mit »seer nette en correcte Kaerten, soo platte of gelykgradige, als ronde of wassende 43 Spiegel der Seefahrt: Die Vermessung der Meere 233 47 Die Karte erschien als Einzelblatt, ebenso in Van Keulens Zee-Fakkel und in seinem Zee-Atlas. Sie wurde sowohl von Johannes van Keulen wie auch von Gerard van Keulen herausgebracht, ohne das Impressum zu verändern. Schon die Verleger Henricus Hondius und Johannes Janssonius hatten ab 1634 in ihren Atlanten eine Caerte waerinne vertoont wordt de gantsche Vaert van Amsterdam over de WATTEN tot de Stadt Hamborch toe (Die ganze Fahrt von Amsterdam bis nach Hamburg über die Watten) veröffentlicht. Sie lieferte aber im Gegensatz zur Van-Keulen-Karte keine genauen Informationen zu Fahrwasserbegrenzungen und Seezeichen und kann daher auch nicht als Seekarte betrachtet werden. | MRe in zweiter Auflage erschien. Er enthielt 28 großformatige Karten, die auf russischen, dänischen und schwedischen Messungen beruhten. Es ist schwer vorstellbar, dass so eine große Karte je mals an Bord eines Schiffes war. Wer aber genau hinschaut, erkennt einen eingezeichneten Kurs. Der Eindruck eines Repräsentationsstückes, den die Karte ansonsten macht, ist auch auf die dezente Kolorierung zurückzuführen, die wohl jüngeren Datums ist. Abb. S. 235 | MRe 48 F 47 TABULA NAUTICA (Weltkarte) 46 A NEW AND ACCURATE CHART OF THE BALTIC OR EAST SEA (Ostsee), mit fünf Nebenkarten: Stockholm, Sund mit Kopenhagen, Riga, Gotland und die Bucht von Rogerwick Robert Sayer | London: Sayer | 1786 | kolorierter Kupferstich | 99 × 123 cm | Lit. Recke 2008, 114 f. Emden, Sammlung Michael Recke Bei dieser beeindruckenden Seekarte der Ostsee spricht der Titel für sich: »neu und genau« sowie »nach den Beobachtungen der erfahrensten Seefahrer«. Interessant ist, dass die russische Zarin Katharina II. diese Seekarte in Auftrag gegeben haben soll. Neue Recherchen ergaben, dass die königlichen Museen in Greenwich ein Exemplar der Karte aus dem Jahr 1779 in ihren Beständen haben. Der Titel nimmt Bezug auf einen russischen Atlas, gemeint ist wohl der Atlas vsego Baltijskago Morja (Atlas der gesamten Ostsee), der nach Vermessungen in den Jahren 1746 bis 1753 im Jahr 1757 von Alexej Nagajew herausgegeben wurde und 1776 236 Katalog Edmond Halley | London: Richard Mount, Thomas Page | 1701 | Kupferstich | 122 × 53 cm | Lit. Cook 1998; Thrower 1981. Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin, Kartenabteilung, Kart. W 759 Der englische Astronom, Geophysiker und Kartograph Ed mond Halley (1656–1742) erkundete 1698 bis 1700 als Kommandant des Kriegsschiffes HMS Paramore während zweier Expeditionen den Nord- und Südatlantik, um die Ausrichtung der Kompassmagnetnadel an verschiedenen Orten zu überprüfen. Das Ergebnis ist seine Weltkarte der magnetischen Deklination (auch: Missweisung), auf der die Abweichung zwischen der geographischen Nordrichtung und den Magnetfeldlinien am Beobachtungsort erstmals mit Hilfe sog. Isogonen (Linien gleicher Deklination) dargestellt wird. Die Kartierung der Kompass-Missweisung war von entscheidender Bedeutung für die Navigation. | MB 49 51 50 Spiegel der Seefahrt: Die Vermessung der Meere 237 für Entdeckungsreisen, ferne Länder und Abenteuer. In den Karten der Frühen Neuzeit begegnen sich Kunst und Wissenschaften. Erd- und Himmelskartographie dieser Epoche schufen die Grundlage für unser heutiges Weltbild. Der Katalog der Lemgoer Ausstellung gibt mit fast 400 Farbabbildungen einen Überblick über die Geschichte Das Goldene Z e i ta lt e r d e r Kartographie Karten dienen der Orientierung, doch darüber hinaus geht von ihnen seit jeher eine Faszination aus. Sie stehen namhafter internationaler Autoren nähern sich dem Thema aus den Blickwinkeln von Kartographie- und Wissen schaftsgeschichte, Vermessungstechnik, Kunst- und Kulturgeschichte sowie Bildwissenschaft. Weserrenaissance-Museum Schloss Brake, Lemgo ISBN 978-3-95498-180-9 Welt vermesser der europäischen Kartographie, von ihrem Aufschwung im Zeitalter der Entdeckungen bis zur Aufklärung. Essays Welt vermesser D a s G o l d e n e Z e i ta lt e r d e r Kartographie