Fluch oder Segen – wie verändert der Klimawandel

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Fluch oder Segen – wie verändert der Klimawandel
Sonderheft 274
Special Issue
Ackerbau 2025
herausgegeben von
Folkhard Isermeyer
Vortrags- und Diskussionstagung am 30.März 2004 im
Forum der FAL, gemeinsam veranstaltet von der
Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL)
und der Gesellschaft der Freunde der FAL
Braunschweig, im Oktober 2004
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Weltmärkte
1
Martina Brockmeier, Oliver von Ledebur
Landwirte oder Energiewirte – welche Signale geben die internationalen Rohstoffmärkte bis 2025?
Klimawandel
15
Hans-Joachim Weigel
Fluch oder Segen – wie verändert der Klimawandel die Pflanzenproduktion global und hierzulande?
Nährstoffe
37
Jutta Rogasik, Ute Funder, Ewald Schnug
Kommen wir im Jahr 2025 zu geschlossenen Nährstoffkreisläufen?
Ökologischer Landbau
57
Hans Marten Paulsen, Gerold Rahmann
Wie sieht der energieautarke Hof mit optimierter Nährstoffbilanz im Jahr 2025 aus?
Pflanzenzüchtung
75
Peter Wehling
Wohin entwickelt sich die Pflanzenzüchtung bis zum Jahr 2025?
Pflanzenschutz
99
Bernd Freier
Welche Risiken liegen vor uns, und wie bekommen wir sie in den Griff?
Pflanzenbau
103
Jörg Michael Greef, Frank Höppner, Andreas Bramm
Wie werden Fruchtfolgen und Produktionsverfahren im Jahr 2025 aussehen?
Mechanisierung
109
Franz-Josef Bockisch, Rainer H. Biller, Joachim Brunotte, Heinz Sourell, Hans-Heinrich Voßhenrich
Immer größere Maschinen oder kleine fahrerlose Schlepper – wohin führt der Weg?
Precision Farming
133
Holger Lilienthal, Silvia Haneklaus, Ewald Schnug
Immer mehr Daten für jeden Quadratmeter – was machen wir daraus?
Precision Farming
147
Hans-Heinrich Voßhenrich, Heinz Sourell
Immer mehr Daten für jeden Quadratmeter – Bodenbearbeitung und Beregnung
Wettbewerbsfähigkeit
159
Folkhard Isermeyer
Können deutsche Betriebe ohne Zollschutz und ohne gekoppelte Prämien international mithalten?
Vorwort
Nach „Milch 2025“ (2002) und „Fleisch 2025“ (2003) wurde im Frühjahr 2004 die Trilo­
gie der Perspektivtagungen mit „Ackerbau 2025“ abgeschlossen. In 12 Vorträgen brachten
Fachleute aus der FAL, der BBA und der BAZ ihre Visionen für den Ackerbau zum Aus­
druck.
Nachfolgend sollen aus den Referaten und Diskussionsbeiträgen einige Kernaussagen vor­
gestellt werden, die als „Appetithappen“ zur vertieften Lektüre der einzelnen Beiträge die­
ses Tagungsbandes anregen mögen.
Die Welternährungssituation wird besser, das Angebot kann mit der steigenden Nach­
frage Schritt halten, die Weltmarktpreise bleiben daher auf derzeitigem Niveau.
Das Klima auf der Erde wird sich verändern. Die Landwirtschaft der meisten Industrie­
nationen wird die Änderungen der durchschnittlichen Klimawerte verkraften. Proble­
matischer könnte sich auswirken, dass die extremen Klimaereignisse zunehmen.
Die Bedrohung durch Schaderreger verändert sich, nicht zuletzt durch den Klimawan­
del. Pflanzenschutz ist auch künftig zwingend erforderlich. Der Mitteleinsatz wird ab­
nehmen, integrierter und ökologischer Pflanzenschutz werden sich einander annähern.
Pflanzenzüchtung fußt auch künftig auf den konventionellen Methoden, doch wird die
Biotechnologie neue Chancen eröffnen, auch für die Nachhaltigkeit. Es ist fraglich, ob
eine Koexistenz von grüner Gentechnik und Ökolandbau langfristig möglich ist.
Die N-Überschüsse werden in Deutschland um ca. 10 Prozent reduziert. Eine besonders
große Herausforderung entsteht durch absehbare Erschöpfung der P-Vorräte. Eine Teil­
lösung kann die Rückgewinnung aus Sekundärrohstoffen sein.
Der ökologische Landbau wird 2025 energieautark und nährstoffoptimiert sein. Eine
bessere Brachenutzung verringert N-Überschüsse und erhöht den nutzbaren Energieer­
trag. Unter Einbeziehung der Biogasanlage werden mobile Düngerpools geschaffen.
Die Fruchtfolgen im konventionellen Anbau werden auch künftig eng bleiben. Erwei­
terte Fruchtfolgen könnten jedoch insbesondere bei ungünstigen Standortbedingungen
eine bessere Stabilisierung des Produktionssystems bewirken.
Im Jahr 2025 werden an vielen Standorten fahrerlose Schlepper und Arbeitsmaschinen
den größten Teil der Feldarbeit erledigen. Fortschritte in der Agrartechnik verbessern
Umweltwirkungen und Effizienz der Agrarproduktion.
Die Erfassung quadratmetergenauer Daten wird enorm zunehmen. Die Integration be­
trieblicher Daten mit Daten aus anderen Quellen führt zu Applikationskarten, mit de­
nen die bedarfsgerechte Bewirtschaftung Routine wird.
Die Ackerbauern in der EU werden 2025, von wenigen Ausnahmen abgesehen (Zucker),
ohne Außenschutz und mit stark reduzierten, entkoppelten Direktzahlungen zurecht­
kommen. Ein großflächiges Brachfallen der Ackerflächen ist nicht zu erwarten.
Bei den Referenten und den Besuchern, die mit ihren Beiträgen die Tagung inhaltlich gestal­
teten, möchte ich mich herzlich bedanken, außerdem bei der Gesellschaft der Freunde der
FAL für die finanzielle Unterstützung der Tagung. Der Dank für die redaktionelle Bearbei­
tung des Tagungsbandes gebührt Annerose Gillner, Kerstin Martens und Helga Prüße.
Braunschweig, im Oktober 2004
Folkhard Isermeyer
Weltmärkte
1
Landwirte oder Energiewirte – welche Signale geben die internatio­
nalen Rohstoffmärkte bis 2025?
Martina Brockmeier und Oliver von Ledebur
1
1, 2
Einleitung
Die globale Ernährungssituation rückt angesichts wachsender Weltbevölkerung zunehmend
in den Mittelpunkt des Interesses. Im vorliegenden Beitrag werden daher die bisherigen
Entwicklungen auf den Nahrungsmittelmärkten analysiert und Aussagen hinsichtlich der
Ernährungssituation aus globaler Sicht getroffen. Darauf bauend werden anhand von Mo­
dellprojektionen Entwicklungstendenzen für die wichtigsten Agrarmärkte aufgezeigt und
mögliche Rückkopplungen auf die Welternährungssituation identifiziert. Vor dem Hinter­
grund dieser Analyse wird auf die erkennbaren Nutzenpotenziale landwirtschaftlicher Er­
zeugnisse als Energieträger eingegangen.
2
Fakten zur Welternährung
Schätzungen der FAO (2003a) verdeutlichen, dass im Jahr 2002 ca. 815 Mio. Menschen
bzw. 11 % der Weltbevölkerung ihren grundlegenden Energiebedarf nicht durch eine aus­
reichende Nahrungsaufnahme decken können. Betroffen hiervon sind insbesondere Ent­
wicklungsländer, in denen 95 % (799 Mio.) der hungernden Weltbevölkerung leben (vgl.
Abbildung 1).
Ein großer Teil der unterernährten Menschen befindet sich in den bevölkerungsreichen Ent­
wicklungsländern Asiens, insbesondere in China (ca. 15 %) und Indien (ca. 28 %). Ein
hoher Anteil an den hungernden Menschen ist jedoch auch in Afrika südlich der Sahara mit
25 % gegeben. Im Gegensatz dazu ist der Anteil der Industrie- und Transformationsländer
an den weltweit hungernden Menschen mit 1 bzw. 4 % verschwindend gering.
Ist eine unzureichende globale Nahrungsmittelproduktion für diese Situation verantwort­
lich? Abbildung 2 zeigt, dass sich die Nahrungsmittelproduktion in den letzten Jahrzehnten
1
2
Prof. Dr. Martina Brockmeier und Dr. Ernst-Oliver von Ledebur, Institut für Marktanalyse und Agrarhan­
delspolitik, Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), Bundesallee 50, 38116 Braunschweig.
E-Mail: martina.brockmeier@fal.de, oliver.ledebur@fal.de
Die Autoren bedanken sich bei Ulrich Sommer und Dirk Lehmann für die Hilfestellung bei der Erarbei­
tung dieses Beitrags.
2
positiv entwickelt hat. Die Zuwachsraten der Nahrungsproduktion haben sich allerdings
verlangsamt. So steigerte sich die Nahrungsmittelproduktion in den 70er Jahren um durch­
schnittlich 2,5 % pro Jahr, während sie in den 90er Jahren nur noch durchschnittlich um 1%
pro Jahr anstieg.
Wird das gesamte globale Nahrungsmittelangebot unter rein statistischen Gesichtspunkten
auf die Weltbevölkerung bezogen, so ergeben sich die folgenden Fakten: Für jeden Men­
schen sind im Durchschnitt knapp 30 g tierisches Protein bzw. 2.800 kcal Energie pro Tag
vorhanden. Bei alleiniger Verwendung der globalen Getreideproduktion von ca. 2 Mrd. t
für Nahrungsmittelzwecke wäre ohne vorherige tierische Veredlung sogar eine Energiezu­
fuhr von 3.600 kcal pro Person im Jahr möglich.
Abbildung 1:
Unterernährung nach Regionen und in Entwicklungsländern (2003)
China
15 %
Subsahara
25 %
Transformations­
länder 4 %
Indien
28 %
Naher Osten /
Nordafrika
5%
Industrie­
länder 1 %
Entwicklungsländer 95 %
Latein­
amerika
7%
Sonstiges
Asien
20 %
Quelle: FAO (2003a).
Ist diese Protein- bzw. Energiezufuhr ausreichend? Als Hilfestellung bei der Beantwortung
dieser Frage kann die aktuelle Ernährungssituation in Deutschland herangezogen werden.
Laut dem aktuellen Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)
ergibt sich für die weibliche bzw. männliche Bevölkerung in Deutschland eine durch­
schnittliche Kalorienaufnahme von 2.152 kcal bzw. 2.438 kcal und eine durchschnittliche
Proteinaufnahme von 13,5 bzw. 13,6 g pro Tag, die als ausreichend angesehen wird (DGE,
3
2000, S. 42-49). Grundsätzlich kann somit festgehalten werden, dass das globale Nah­
rungsmittelangebot mehr als ausreichen würde, um die Weltbevölkerung von derzeit 6 Mrd.
Menschen zu ernähren. In der Diskussion um die globale Ernährungssituation ist dieser
3
Laut Berechnungen der DGE (2000, S. 48/49) liegt die mittlere tägliche Energie- und Proteinzufuhr in
Deutschland für die weibliche (männliche) Bevölkerung um 18 bzw. 69 % (10 bzw. 64 %) über den ent­
sprechenden Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr.
Weltmärkte
3
Punkt unstrittig und wird auch von den internationalen Organisationen, wie z. B. FAO und
IFPRI, vertreten.
Die aktuelle Ernährungssituation ist daher nicht auf eine zu geringe physische Verfügbar­
keit von Nahrungsmitteln, sondern auf Armut bzw. fehlende Kaufkraft und einen damit in
Zusammenhang stehenden Mangel an Verfügungsmöglichkeiten der Bevölkerung über
Ressourcen in den meisten Entwicklungsländern zurückzuführen. Maßnahmen zur Reduzie­
rung des Hungers bzw. der Armut sollten daher nicht in erster Linie die physische Verfüg­
barkeit von Nahrungsmitteln erhöhen, sondern vor allem die Kaufkraft in Entwicklungslän­
dern stärken.
Abbildung 2:
Entwicklung der globalen Fleisch- und Getreideproduktion (Mio. t)
Getreide
Fleisch
100
1.000
Sonstiges Getreide
800
80
Schweine
60
Rinder
Weizen
600
400
Reis
40
20
200
Ölsaaten
Geflügel
Schafe und Ziegen
0
0
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
Quelle: FAOSTAT (08.12.2003).
Da der Agrarsektor in den meisten Entwicklungsländern einen hohen Anteil am BSP er­
wirtschaftet, stellen z. B. die Stärkung des Agrarsektors in Entwicklungsländern durch Li­
beralisierung des Weltagrarhandels, Förderung der Agrarforschung, oder direkte Nah­
rungsmittelhilfe in Form von Geld oder Kupons geeignete Maßnahmen zur Erhöhung der
Kaufkraft von Entwicklungsländern dar. Auch der in diesem Zusammenhang häufig disku­
tierte Einsatz von Gentechnologie ist in der aktuellen Situation nur dann zur Reduzierung
von Armut und Hunger geeignet, wenn hierdurch die Kaufkraft in den Entwicklungsländern
gestärkt werden kann. Von einer reinen Erhöhung der zurzeit bereits mehr als ausreichen­
den Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln durch den Einsatz von Gentechnologie in Indust­
rieländern ist in der gegenwärtigen Situation dagegen keine Verminderung von Armut und
Hunger in Entwicklungsländern zu erwarten (vgl. hierzu FAO, 2000 und 2003a; TANGER­
MANN, 2001).
4
Kann die globale Ernährungssituation in den nächsten Jahrzehnten verbessert werden?
Können sich auch die Menschen in Entwicklungsländern langfristig betrachtet mehr Fleisch
leisten und wird dann die hierfür erforderliche Futtermittelproduktion in ausreichendem
Umfang möglich sein?
3
Entwicklungstendenzen der Agrarmärkte und ihre Auswirkungen auf
die Welternährungssituation
Die globale Ernährungssituation wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Von besonde­
rer Bedeutung sind das Wachstum der Bevölkerung und des Einkommens. Die zukünftige
Entwicklung dieser beiden Parameter wird im Folgenden kurz vorgestellt.
Die Weltbevölkerung hat sich in den letzten 40 Jahren nahezu verdoppelt. Nach Schätzun­
gen der United Nations wird sie von zurzeit 6 Mrd. Menschen auf rund 7,7 Mrd. (8,9 Mrd.)
im Jahr 2020 (2050) und in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts sogar auf 12 Mrd. an­
gewachsen sein. Dieses Bevölkerungswachstum findet zu 95 % in Entwicklungsländern
statt, während die Bevölkerung in vielen Industrieländern, wie z. B. in Deutschland, ab­
nehmen wird (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3 repräsentiert darüber hinaus auch Schätzungen der Weltbank über die Ent­
wicklung des Pro-Kopf-Einkommens für Entwicklungs-, Transformations- und Industrie­
länder sowie die Welt insgesamt. Demzufolge wird das Einkommen in Entwicklungslän­
dern im Zeitraum von 2000 bis 2015 um 3,7 % und in der Periode von 2015 bis 2030 sogar
um 4,4 % ansteigen. Besonders hohe Einkommenszuwächse können innerhalb der Gruppe
der Entwicklungsländer vor allem die Regionen Ost- und Südostasien (6,0 %), Lateiname­
rika (4,5 %) sowie Indien (5,8 %) realisieren. Auch für Transformationsländer werden ähn­
liche Wachstumsraten vorausgesagt. Im Gegensatz dazu wird das durchschnittliche ProKopf-Einkommen in den Industrieländern in diesen beiden Zeitperioden nur um 2,6 bzw.
2,8 % ansteigen.
Weltmärkte
5
Abbildung 3:
1)
Entwicklung der Bevölkerung (Mrd.) und des Pro-Kopf-Einkommens (%)
Jahr
2015-2030
2050
IL
2000-2015
2040
2030
TL
2020
EL
2010
IL
EL
Welt
2000
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
0
1
2
3
4
5
%
Mrd.
1) Industrieländer (IL), Entwicklungsländer (EL) und Transformationsländer (TL).
Quelle: United Nations (2003).
Kann die Nahrungsmittelproduktion mit dieser Einkommens- und Bevölkerungsentwick­
lung mithalten? Aussagen hierüber können mit Hilfe von Projektionsmodellen getroffen
werden. Vorgestellt werden hier die Ergebnisse, die mit Hilfe des Modells der FAO und
des Impact Model des International Food Policy Research Institute (IFPRI) erstellt worden
sind. Andere Systeme (z. B. Modell des Food and Agriculture Policy Research Institute
(FAPRI)) kommen zu sehr ähnlichen Aussagen.
Abbildung 4:
Projektion der Getreideproduktion (Mrd. t)
3
1974
1997
2030
2
1
0
Welt
Entwicklungsländer
Industrieländer
Quelle: FAO (2003b).
Abbildung 4 zeigt die Projektion der Getreideproduktion für Entwicklungs- und Industrielän­
der sowie für die Welt insgesamt in einer so genannten Baseline. In der Baseline wird von
der Annahme ausgegangen, dass sich die ökonomischen Rahmenbedingungen nicht sehr
stark verändern und die Staaten keine sehr großen Veränderungen in ihren nationalen Wirt­
schafts- und Agrarpolitiken vornehmen. Die Berechnungen mit Hilfe des FAO-Modells
6
kommen zu dem Ergebnis, dass die Zunahme in der Getreideproduktion maßgeblich von
Entwicklungsländern beeinflusst wird, während die Getreideproduktion der Industrieländer
bei hohem Ausgangsniveau nur geringfügig anwächst.
Ähnliche Entwicklungen ergeben sich auch bei der Nachfrage nach Getreide. Ein Vergleich
von Getreideproduktion und -verbrauch in Entwicklungs- und Industrieländern in den Jah­
ren 1997 und 2020 zeigt daher auch deutlich die Verschiebung von Getreideproduktion und
-verbrauch von den Industrieländern in die Entwicklungsländer (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5: Veränderung der Produktions- und Verbrauchsanteile von Getreide und
Fleisch in Entwicklungs- und Industrieländern im Zeitraum 1997 bis 2020
Getreide
Produktion
Fleisch
Verbrauch
Kreis 1
Kreis 3
46 %
39 %
Produktion
Verbrauch
Kreis 1
Kreis 3
48 %
47 %
1997
54 %
61 %
Kreis 5
52 %
Kreis 7
41 %
53 %
Kreis 5
33 %
Kreis 7
37 %
35 %
2020
59 %
67 %
Entwicklungsländer
63 %
65 %
Industrieländer
Quelle: FAO (2003b); Rosegrant et al. (2001).
Während im Jahr 1997 noch 46 % des globalen Getreideangebots in Industrieländern pro­
duziert wurde, sind es im Jahr 2020 nur noch 41 %. Analog hierzu reduziert sich im selben
Zeitraum die Getreidenachfrage der Industrieländer von 39 % (1997) auf 33 % (2020). In
Entwicklungsländern steigen die entsprechenden Anteile für die Getreideproduktion und
den Getreideverbrauch dagegen an. Grundsätzlich erscheint es daher interessant, zu hinter­
fragen, welche Regionen in Zukunft einen verstärkten Anstieg in der Getreidenachfrage
entwickeln werden. Abbildung 6 präsentiert eine regionale Aufteilung des globalen An­
stiegs der Getreidenachfrage von 1997 bis 2020. Bei der Betrachtung wird zunächst deut­
lich, dass die Industrieländer in diesem Zeitraum nur einen Anstieg von 16 % realisieren,
während sich die verbleibenden 85 % auf Entwicklungsländer verteilen. Hier nehmen insbe­
sondere China (24 %), Südostasien (14 %) und Indien (13 %) eine bedeutende Stellung ein.
Weltmärkte
Abbildung 6:
7
Regionale Aufteilung des Anstiegs der Getreidenachfrage von 1997 bis 2020
Naher Osten / Nordafrika
10 %
Subsahara-Afrika
11 %
Indien
13 %
Industrieländer
16 %
Lateinamerika
12 %
China
24 %
Quelle: Rosegrant et. al. (2001).
Südostasien
14 %
Wie wird die steigende Getreideproduktion in Industrie- und Entwicklungsländern verwen­
det? Untersuchungen internationaler Organisationen (vgl. z. B. FAO, 2003b) belegen eine
globale Getreideproduktion von zurzeit etwa 2 Mrd. t jährlich, die mit 330 kg bzw.
3.600 kcal pro Kopf und Jahr den Energiebedarf bei entsprechender Verteilung mehr als
ausreichend decken würde. In Industrieländern wird aufgrund der Getreideveredlung mit
über 600 kg pro Kopf und Jahr eine sehr viel höhere Menge verbraucht als in Entwick­
lungsländern (200 kg pro Kopf und Jahr). Abbildung 7 verdeutlicht, dass sich auch in den
Entwicklungsländern längerfristig eine ähnliche Verbrauchsstruktur abzeichnet. Im Zeit­
raum von 1997 bis 2020 wird hier der Anteil der Nahrungsmittel an der Getreidenachfrage
von 67 auf 62 % zurückgehen, während die Verwendung für Futtermittel im gleichen Zeit­
raum von 21 auf 26 % ansteigt. Trotz steigender Getreideproduktion in den Entwicklungs­
ländern wird sich deren Bedarf an Importen hierdurch erhöhen.
Analog zu den Entwicklungen im Getreidebereich ergibt sich daher langfristig auch eine
parallel verlaufende Verlagerung der Fleischproduktion von den Industrie- in die Entwick­
lungsländer. Angesichts der sehr hohen Wachstumsraten in der Fleischproduktion in Ent­
wicklungsländern wird in Anlehnung an die „Green Revolution“ dabei im Bereich der tieri­
schen Produktion in den Entwicklungsländern auch von der so genannten „Livestock Revo­
lution“ gesprochen. Diese beinhaltet u. a. eine Substitution der pflanzlichen Nahrungsmittel
durch Milch und Fleisch in der Humanernährung, einen drastischen Anstieg der Getreide­
veredlung in Entwicklungsländern sowie eine zunehmende Verlagerung in der Fleischpro­
duktion von Kleinerzeugerbetrieben zu global agierenden Großunternehmen (DELGADO et
al., 1999).
8
Abbildung 7:
Getreidenachfrage in Entwicklungsländern nach Verwendung
1997
2020
Sonstige
1212,0%
%
Futtermittel
21,0%
21 %
Sonstige
12 12,0%
%
Futtermittel
26 %
26,0%
Nahrungsmittel
62 %
62,0%
67,0%
Nahrungsmittel
67 %
Quelle: Rosegrant et al. (2001).
Veränderungen dieser Art werden verursacht durch hohe Einkommenssteigerungen, sind
somit nachfrageseitig orientiert und gehen mit Urbanisierungsprozessen und entsprechen­
den Veränderungen des Ernährungsverhaltens einher. Darüber hinaus werden sehr hohe
Anforderungen an die politische und institutionelle Gestaltung des Entwicklungsprozesses
in den betroffenen Ländern gestellt. Die tierische Produktion in den ländlichen Bereichen
der Entwicklungsländer stellt eine wichtige Einnahmequelle dar und stärkt insbesondere die
Kaufkraft der Bevölkerung in ländlichen Regionen. Vor dem Hintergrund der Ernährungs­
situation ist diese Entwicklung als positiv zu bewerten. Die Tiere dienen dem Landwirt im
Rahmen dieses Veränderungsprozesses als wichtige Nährstoffquelle, finanzielle Sicherheit
(Kapital) und zur physischen Unterstützung im Produktionsprozess.
Langfristig dokumentiert sich diese Entwicklung auch in einem Anstieg des Anteils der
Entwicklungsländer an der Weltproduktion. So wird in der Periode 1997 bis 2020 der An­
teil der Entwicklungsländer an der globalen Fleischproduktion von 52 auf 63 % ansteigen,
während der Anteil der Industrieländer entsprechend von 48 auf 37 % zurückgeht (vgl. Ab­
bildung 5). Analog hierzu steigt (sinkt) der Anteil der Entwicklungsländer (Industrieländer)
am weltweiten Fleischkonsum von 53 auf 65 % (47 auf 35 %).
Weltmärkte
Abbildung 8:
9
Projektion der Weltmarktpreise für Getreide (US-$/t)
300
1997
2020
Mrd. US-$/t
250
200
150
100
50
0
Weizen
Mais
Reis
Sonstiges Getreide
Quelle: Rosegrant et al. (2001).
Diese Entwicklung führt jedoch nicht dazu, dass Getreide als Nahrungsmittel in nicht mehr
ausreichendem Maß zur Verfügung steht (vgl. IFPRI, 2001). Weltweit bestehen insbeson­
dere in der Getreideproduktion umfangreiche Reserven. So könnten vor allem die großen
Exportländer (USA, Kanada, Australien) durch die Verwendung von brach liegenden Flä­
chen ihre Getreideproduktion bei Bedarf steigern und hierdurch die seit 1982 signifikante
Abnahme der globalen Steigerungsraten bei den Hektarerträgen auffangen. Wie Beispiele
in vielen europäischen Ländern zeigen, besteht in einigen Ländern jedoch auch das Poten­
zial, eine Steigerung der Produktionsmenge über höhere Hektarerträge mit Hilfe techni­
schen Fortschritts zu erzielen. In Entwicklungsländern könnten außerdem zusätzliche Flä­
chen mobilisiert werden, wenn es langfristig gelingt, Produktionshemmnisse (z. B. Ent­
wicklung von salzwasserresistenten Pflanzen mit Hilfe von Züchtung oder durch den Ein­
satz von Gentechnologie) zu überwinden. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte werden
die realen Getreidepreise zwar in der Zukunft weiterhin sinken, jedoch wird sich dieser
Prozess bei abnehmenden Verminderungsraten verlangsamen.
Welche Auswirkungen ergeben sich durch diese Entwicklungen für die Verwendung von
landwirtschaftlichen Erzeugnissen für Nichtnahrungsmittelzwecke, d. h. wird es in der Zu­
kunft Energie- und/oder Landwirte geben?
4
Mögliche Auswirkungen auf die Energiemärkte
Die im Folgenden dargestellten Aspekte fassen erkennbare Trends zusammen und leiten
Trendaussagen ab. Genauere Aussagen erfordern jedoch eine detaillierte, quantitative
Analyse, die den Rahmen des vorliegenden Beitrags jedoch bei weitem übersteigt.
10
Zurzeit bildet Rohöl die Hauptquelle der gegenwärtig genutzten Energie. Abbildung 9 ver­
deutlicht daher die Entwicklung des realen Preises für Rohöl, die langfristig keine steigen­
de Tendenz verzeichnet. Grundsätzlich besteht natürlich die Möglichkeit, dass die Rohöl­
preise sich beispielsweise durch wirtschaftliche oder politische Ereignisse (Rohölkrise in
den 70er Jahren) kurzfristig verändern. Wie Abbildung 9 zeigt, ergibt sich langfristig hier­
durch jedoch kein Aufwärtstrend des realen Rohölpreises. Ereignisse dieser Art führen je­
doch häufig zu Anpassungsreaktionen. So bemühten sich insbesondere nach der Rohölkrise
der 70er Jahre viele Länder, ihre Abhängigkeit von Erdölimporten zu senken. In Europa
wurde beispielsweise verstärkt Rohöl aus Nordseevorkommen genutzt, während die USA
und Brasilien die Nutzung regenerativer Quellen zur Erzeugung von Alkohol (insbesondere
Ethanol) aus Mais bzw. Zucker zur Beimischung in Benzin gefördert haben.
Abbildung 9:
Entwicklung des Rohölpreises
35
30
$/Barrel
25
20
15
Nominal
10
Real
5
0
1970
1972
1974
1976
1978
1980
1982
1984
1986
1988
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
Jahr
Quelle: OPEC (2002).
Inwieweit eine Veränderung der energetischen Grundlage der Industrieländer auf regenera­
tive Ressourcen setzen kann, ist derzeit nicht exakt einschätzbar. Die meisten Studien zur
Verwendung von Energieträgern aus regenerativen Energiequellen weisen darauf hin, dass
mit den derzeitigen Verfahren noch keine gesicherte positive Energiebilanz erzielt werden
kann (USDA, 1995, 1996). Effizientere Technologien verwenden Energieträger aus regene­
rativen Quellen, die Bei- oder Abfallprodukte anderer Prozesse sind. Wenn sich aus einem
Rohstoff (Zuckerrohr) beispielsweise zwei verschiedene Endprodukte gewinnen lassen (Al­
kohol und Zucker), kann entsprechend der aktuellen Preisrelation entschieden werden,
welchem Endprodukt der Vorzug gegeben wird. In diesem Fall können die Bereitstellungs­
kosten zwischen den beteiligten Prozessen aufgeteilt werden, sodass die Verwendung der
erneuerbaren Energiequelle bei der vorhandenen Technologie rentabel wird. Als Beispiel
hierfür kann auch die Verwendung von Holz bzw. Holzabfällen zur Wärmeerzeugung ge­
nannt werden.
Weltmärkte
11
Wie wird sich die Nachfragestruktur im Energiebereich in den nächsten 20 Jahren entwi­
ckeln? Abbildung 10 zeigt hierzu eine Schätzung der International Energy Agency (ECO­
NOMIST, 2001), die einen gleich bleibenden Einsatz von Gas und Öl mit jeweils 18 bzw.
49 % am Gesamteinsatz von Energie weltweit im Zeitraum 1997 bis 2020 prognostiziert.
Im gleichen Zeitraum wird jedoch die Verwendung von Kohle und Erd- und Fernwärme um
3 bzw. 1 % zurückgehen, während die Verwendung von erneuerbaren Ressourcen und die
Elektrizität um 1 bzw. 3 % ansteigen.
Abbildung 10: Globaler Endverbrauch von Brennstoffen
1997 : 5.808 Mio t*
2020 : 9.117 Mio t*
11
Kohle
Erneuerbare Ressourcen
Erd- und Fernwärme
1
4
49
17
Elektrizität
20
18
Gas
18
Öl
8
2
3
49
* Öläquivalent
Quelle: Economist (2001).
5
Zusammenfassung
Wie wirken sich diese Entwicklungen auf die Welternährungssituation aus? Die FAO
(2003a) prognostiziert, dass sich unter Berücksichtigung der langfristigen Entwicklungen
der Bevölkerung, der Einkommen und der Technologie die Anzahl der Hungernden bis zum
Jahr 2015 (2030) auf 600 Mio. (401 Mio.) reduziert (vgl. hierzu Abbildung 11). Demnach
werden sich in Zukunft mehr Menschen Fleisch, aber auch den Kauf anderer Nahrungsmit­
tel leisten können. Ausschlaggebend hierfür ist jedoch eine Stärkung derjenigen Maßnah­
men in der Entwicklungshilfe, die die Kaufkraft in den Entwicklungsländern erhöhen und
die Armut vermindern. Hierzu gehören vor allem eine Liberalisierung des Handels der In­
dustrieländer und eine Öffnung der Märkte der Entwicklungsländer bei gleichzeitiger staat­
licher Unterstützung der besonders gefährdeten Personengruppen in Entwicklungsländern.
12
Abbildung 11: Anzahl der unterernährten Personen (Mio.)
1.000
840
800
600
600
401
400
200
0
2002
2015
2030
Quelle: FAO (2003a).
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte können daher langfristig die folgenden Trends zu­
sammengefasst werden:
–
Das Wachstum der Nahrungsmittelmärkte findet fast ausschließlich in Entwicklungs­
ländern statt.
–
Die Produktion und der Verbrauch von Fleisch und Getreide steigen mit sinkenden
Wachstumsraten.
–
Das Angebot von Nahrungsmitteln wird geringfügig stärker ansteigen als die Nachfrage.
–
Die Preise für Nahrungsmittel werden real langfristig leicht sinken oder konstant bleiben.
Literaturverzeichnis
DELGADO E, ROSEGRANT MW, STEINFELD H, EHUI S, CURBOIS S (1999) Livestock 2020:
The next Food Revolution. IFPRI-Discussionpaper 28
DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNÄHRUNG (DGE) (2002) Ernährungsbericht 2000. Frankfurt/M.
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14 Klimawandel
15
Fluch oder Segen – wie verändert der Klimawandel die Pflan­
zenproduktion global und hierzulande?
Hans-Joachim Weigel
1
1
Einführung
Die Landwirtschaft steht global vor großen Herausforderungen. Der Notwendigkeit nach
mehr Nahrung für die nach wie vor schnell wachsende Zahl an Menschen steht die Not­
wendigkeit einer größtmöglichen Schonung der natürlichen Ressourcen gegenüber. Bereits
heute ist jedoch in vielen Gebieten der Erde die Nahrungsmittelproduktion durch Boden­
verluste, Bodenerosion, Anreicherung von Chemikalien, Wasserknappheit, Versalzungs­
probleme etc. gefährdet. Diese Probleme werden mittelfristig weiter zunehmen. In der eu­
ropäischen bzw. einheimischen Landwirtschaft werden politische und gesellschaftliche
Entwicklungen (Globalisierung, EU-Erweiterung, WTO-Verhandlungen, verändertes Ver­
braucherverhalten etc.) ebenfalls zu Veränderungen im Agrarsektor führen. Zudem wird
der technologische Fortschritt, insbesondere in der Informations- und Biotechnologie, die
Landwirtschaft erheblich beeinflussen.
All diese Entwicklungen werden begleitet von und interagieren mit den Änderungen des
Klimas. Wegen seiner unmittelbaren Abhängigkeit von Witterung und Klima gehört der
Agrarsektor zu den sensibelsten Bereichen, die der Klimawandel in den nächsten Jahrzehn­
ten betrifft. Es ist daher notwendig, Szenarien zu entwickeln, die die Bedeutung dieses
Wandels für die Landwirtschaft beschreiben. Die möglichen Auswirkungen des Klimawan­
dels auf die Landwirtschaft bzw. den Agrarsektor insgesamt sind in den letzten Jahren in
einer erheblichen Fülle von Studien beschrieben worden (z. B. PARRY, 1990; ROSENZWEIG
and HILLEL, 1998; REILLY, 1999; REDDY and HODGES, 2000; IPCC, 2001; POLLEY, 2002).
Der vorliegende Beitrag befasst sich in kurzer Form nur mit möglichen direkten Wirkungen
von Klimaänderungen auf die Pflanzenproduktion vorwiegend im Bereich Ackerbau.
1
Prof. Dr. Hans-Joachim Weigel, Institut für Agrarökologie, Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft
(FAL), Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
E-Mail: hans.weigel@fal.de
16
2
Elemente des Klimawandels
Das Klima umfasst physikalische (z. B. Strahlung, Temperatur, Windgeschwindigkeit,
Niederschläge) und chemische Klimaelemente (stoffliche Zusammensetzung von Luft und
Niederschlägen). Änderungen dieser Klimaelemente lassen sich auf globaler, regionaler
und lokaler Ebene feststellen. Die Sicherheit der Vorhersagen über zukünftige Änderungen,
insbesondere zu deren Ausmaß, nimmt von der globalen zur lokalen Ebene hin ab. Das
gleiche gilt für Vorhersagen von Wirkungen der Klimaänderung, insbesondere auch des­
halb, weil deren Richtung und Ausmaß zusätzlich von weiteren Faktoren mitbestimmt wird.
Aus den unmittelbaren, biophysikalischen bzw. physiologischen Wirkungen einzelner Kli­
maelemente auf die Pflanzenproduktion bzw. auf Agrarökosysteme ergeben sich Auswir­
kungen auf die regionale und nationale Agrarproduktion. Daraus wiederum resultieren wei­
tergehende sozioökonomische Auswirkungen bis hin zu Effekten auf die globale Agrarpro­
duktion und die globalen Handelsströme.
Aussagen zu Änderungen des zukünftigen Klimas beziehen sich meist auf den Zeitraum der
nächsten 100 Jahre. Zugrunde gelegt werden dabei verschiedene Emissionsszenarien von
Treibhausgasen, die wiederum von der zukünftigen wirtschaftlichen Gesamtentwicklung
der unterschiedlichen Gesellschaften der Erde abhängen (Einzelheiten vgl. IPCC, 2001).
Von Bedeutung sind sowohl Änderungen mittlerer Klimawerte als auch Änderungen der
Klimavariabilität und hier insbesondere von Klimaextremen.
Die mittlere globale Temperatur soll sich je nach Emissionsszenario bis zum Jahr 2100 um
1,4 bis 5,8 oC erhöhen (IPCC 2001). Bedingt durch diese Temperaturerhöhung wird eine
„Beschleunigung“ des globalen hydrologischen Kreislaufs erwartet, mit der Folge, dass die
Niederschläge aus globaler Sicht tendenziell zunehmen (ca. +3,5 %).
Regional kann die Erwärmung durchaus unterschiedlich ausfallen. In Europa z. B. sollen
sich die nördlichen Breitengrade etwas stärker erwärmen als der Süden. Insgesamt soll
zwar auch mehr Niederschlag fallen, allerdings soll sich dieser stärker auf die Wintermona­
te verteilen, während die Niederschlagsmenge im Sommer abnimmt. Dies dürfte in Län­
dern, die bereits heute unter Wasserknappheit leiden, die Situation weiter verschärfen. Wei­
terhin werden Änderungen der Saisonalität der Temperaturvariabilität erwartet, d. h. zum
Beispiel, dass „heiße“ Sommer häufiger und „kalte“ Winter eher seltener auftreten werden
(PARRY, 2000).
In Deutschland wird die Entwicklung mittlerer Klimawerte dem globalen Trend weitgehend
folgen. Die Durchschnittstemperaturen sollen in etwa im gleichen Ausmaß wie auf globaler
bzw. europäischer Ebene ansteigen, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß in den ver­
schiedenen Landesteilen. Je nach Szenarium soll der jährliche Temperaturanstieg zwischen
0,1 bis 0,45 oC pro Dekade liegen, wobei die Erwärmung in Süddeutschland schneller von­
Klimawandel
17
statten gehen könnte als im Norden. Die Niederschlagsmengen sollen im Winter, Frühjahr
und Herbst zunehmen, während die Sommer eher trockener werden. Regionale Klimavor­
hersagen bis ca. 2050, wie die im Rahmen der bayerischen Klimastudie BayFORKLIM
(ENDERS, 1999) und des für das Land Brandenburg berechneten Klimaszenariums (GERS­
TENGRABE, 2003), bestätigen diesen Trend steigender mittlerer Temperaturen und abneh­
mender Sommerniederschläge.
Im Gegensatz zu den vorausgesagten Änderungen der mittleren Klimawerte, ist die Vorher­
sage über das zukünftige Auftreten von Klimaextremen erheblich schwieriger. Zu den Kli­
maextremen zählen Frost-, Hitze- und Trockenperioden, Starkniederschläge, Hagel, Stür­
me, Hochwasser und Sturmfluten. Statistische Trendanalysen der letzten Jahre zeigen zwar
eine Zunahme extremer Klimaereignisse an, die Vorhersage von Änderungen in der Fre­
quenz oder in der Stärke derartiger Ereignisse für die Zukunft ist sehr unsicher (EASTER­
LING, 2000). Es wird jedoch von einer Zunahme von extremen Klimaereignissen (z. B. Hit­
zeperioden, Sommertrockenheit) ausgegangen. Klimaextreme haben besondere Bedeutung
im Hinblick auf ihre Auswirkungen. Im Gegensatz zu den eher allmählich und auf globa­
lem Niveau ablaufenden Veränderungen der mittleren Klimawerte werden extreme Klima­
ereignisse regional und lokal konkret wirksam und als solche eher von den Betroffenen
wahrgenommen.
Zusätzlich zu den angesprochenen Änderungen physikalischer Klimaparameter verändert
sich die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre (DÄMMGEN and WEIGEL, 1998). So
haben die Konzentrationen zahlreicher Spurengase (Kohlenstoffdioxid CO2; troposphäri­
sches Ozon O3; Distickstoffmonoxid/Lachgas N2O; Stickstoffmonoxid und -dioxid,
NO/NO2; Methan CH4; Fluorchlorkohlenwasserstoffe) in den letzten 100 Jahren stark zu­
genommen (Tabelle 1). Neben Wasserdampf tragen diese Spurengase als sog. „Treibhaus­
gase“ zur Änderung des globalen Klimas bei (Treibhauseffekt). Spurengase wie CO2, O3
und NO/NO2 wirken zusätzlich direkt auf terrestrische Ökosysteme und damit auch auf die
Landwirtschaft ein, indem sie unmittelbar mit Pflanzen und Böden interagieren (DÄMMGEN
and WEIGEL, 1998; LUO and MOONEY, 1999; AMTHOR, 2001; FUHRER, 2003).
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Spurengas CO2. Während die
globale CO2-Konzentration der Atmosphäre über > 100.000 Jahre hinweg bis etwa zum
Ende des 19. Jahrhunderts bei ca. 280-290 ppm lag (PETIT et al., 1999), steigt sie seitdem
rasch an und beträgt gegenwärtig bereits ca. 375 ppm. Dieser Trend wird sich mit noch
größerer Intensität als bisher fortsetzen. Nach den Vorhersagen des Intergouvernmental
Panel on Climate Change (IPCC, 2001) wird die CO2-Konzentration – je nach Emissions­
szenarium – in 50 Jahren bereits bei ca. 450 bis 500 ppm liegen (Abbildung 1).
18
Tabelle 1:
Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre und
Deposition von Stoffen aus der Atmosphäre (Angaben in Größenordnungen;
nach verschiedenen Quellen; aus DÄMMGEN and WEIGEL 1998)
Einheit
„historisch“
„gegenwärtig“
Konzentrationen
CO2
ppm
280
365
CH4
ppb
800
1800
N2O
ppb
µg m-3
285
330
25
50
2
30
0.02
3
0.05
3
0.5
10
O3
NO2
NO
NH3
µg m
-3
-3
µg m
µg m-3
-3
SO2
µg m
NH4-N
kg ha-1a-1
Depositionen
NO3-N
SO4-S
Abbildung 1:
-1 -1
kg ha a
-1 -1
kg ha a
2
6
2
5
1
8
Bisheriger und auf der Basis von Emissionsszenarien vorausgesagter Ver­
lauf der CO2-Konzentration in der Atmosphäre (nach IPCC, 2001)
Klimawandel
19
Der weitere Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre gehört zu den am sichersten
vorhersagbaren und unausweichlichen Entwicklungen der vorausgesagten Klimaänderun­
gen. Erhöhte CO2-Konzentrationen führen in der Regel zu einer Stimulation der pflanzli­
chen Photosynthese (sog. CO2-Düngeeffekt) und beeinflussen damit das Pflanzenwachstum
prinzipiell positiv (s. u.). Trendaussagen zu anderen Spurengasen sind schwieriger. Für O3
sagen Modelle voraus, dass dessen Konzentrationen im Laufe der nächsten 50 Jahre insbe­
sondere in den urban-agroindustriellen Ballungsräumen der Erde mit einer Rate von 0,3 bis
1,0 %/Jahr zunehmen werden (CHAMEIDES et al., 1994). Dies dürfte z. B. in den Ländern zu
erwarten sein, deren Volkswirtschaften sich entwickeln bzw. deren Schadstoffemissionen
zunehmen (z. B. China, Indien, Mexiko, Ägypten).
3 Auswirkungen der Änderung einzelner Klimaelemente auf das
Pflanzenwachstum
3.1
E
rhöhte Temperaturen
Die Temperatur ist ein fundamentaler Faktor, der alle biologischen und chemischen Prozes­
se in Organismen und Ökosystemen beeinflusst. Stoffwechsel und Wachstum von Pflanzen
sind durch Optimaltemperaturen gekennzeichnet, die je nach Pflanzenart (oder -sorte) bzw.
je nach Standort und Herkunft sehr unterschiedlich ausgeprägt sind (Abbildung 2; EVANS,
1993). Daraus lässt sich ableiten, dass eine Temperaturerhöhung unterhalb des Optimums
prinzipiell zu einer Leistungssteigerung, oberhalb des Optimums dagegen zu einer negati­
ven Wirkung führt.
Demnach sollten positive Effekte auf die Photosynthese bzw. das Wachstum überall dort
auftreten, wo die gegenwärtige Temperatur limitierend ist. Bei Pflanzen, die im Bereich
ihres Temperaturoptimums wachsen, führt eine Temperaturerhöhung dagegen zu negativen
Effekten. Zu beachten ist aber, dass höhere Temperaturen gleichzeitig die Dunkelatmung
bzw. die Photorespiration beschleunigen, über die 40 bis 50 % des photosynthetisch assimi­
lierten Kohlenstoffes wieder verloren gehen. Dies führt zur Verringerung des Bilanzüber­
schusses aus Photosynthese und Atmung und damit zu verminderten Wuchsleistungen.
Wärme Temperaturen werden insbesondere die Entwicklungsphasen von Kulturpflanzen
beeinflussen, wobei die Effekte von Entwicklungsstadien bzw. Wachstumsphasen (Kei­
mung, Blütenbildung und -entwicklung, Reife, Dormanz, Vernalisation, Blattentfaltung)
abhängen. Wärmere Winter- und Frühjahrsmonate z. B. werden in einem verstärkten
Wachstum in diesen Zeiten resultieren. Arten, deren Entwicklung durch Vernalisationspro­
zesse bestimmt wird, können durch wärmere Temperaturen dagegen negativ beeinflusst
werden.
20
Abbildung 2: Die Temperaturabhängigkeit der Photosyntheseleistung bei Pflanzenarten
unterschiedlicher Standorte (oben) und wichtige Temperaturbereiche ver­
schiedener Kulturpflanzenarten (unten)
Kultur
Weizen
Mais
Sojabohne
Kartoffel
Topt
Tmax
Kältetoleranz (Wachstumsbeginn)
17 - 23
25 - 30
15 - 20
15 - 20
30 - 35
32 - 37
35
25
4-6
12 - 15
--8 - 10
Da eine Temperaturerhöhung auch mit einer Verlängerung der Vegetationsperiode ver­
knüpft ist (eine Temperaturerhöhung von 2 oC bedeutet eine Verlängerung der Wachstums­
periode von ca. 2 bis 3 Wochen), werden die Erträge von Arten, die mit Wachstum reagie­
ren, solange die Temperaturen dazu ausreichend sind (z. B. Zuckerrübe, Grünlandarten)
positiv auf ansteigende Durchschnittstemperaturen reagieren. Getreidearten (Weizen, Gers­
te), die durch festgelegte Reife- bzw. Entwicklungsstadien gekennzeichnet sind, reagieren
auf eine temperaturbedingte Entwicklungsbeschleunigung dagegen eher negativ, da hier die
Entwicklung durch Wärmesummen bestimmt wird (BATTS et al., 1997; REDDY and HOD­
o
GES, 2000; AMTHOR, 2001). Eine durchschnittliche Temperaturerhöhung von z. B. 1 C
kann in einer Verkürzung der Kornfüllungsphase von bis zu 10 % und damit einem ent­
sprechenden Ertragsverlust resultieren.
Klimawandel
21
Führt eine Temperaturerhöhung zur Aufhebung der Temperaturlimitierung des Wachstums,
sind Verschiebungen in den Anbaugebieten zu mehr nördlichen Breitengraden (pro Grad
Temperaturerhöhung ca. 100 bis 150 km nordwärts) und zu größeren Höhenlagen (pro Grad
Temperaturerhöhung ca. 100 m) zu erwarten. Dies bedeutet z. B. für Europa eine Nord­
wärtsverschiebung der Anbaumöglichkeiten für Sommergetreide und Körnermais bzw. eine
Verschiebung des Raufutteranbaus in alpinen Gebieten in höhere Lagen.
Oberhalb des art- bzw. sortenspezifischen Temperaturoptimums (Abbildung 2) werden
Kulturpflanzen durch Temperaturextreme jedoch meist geschädigt (LONG and WOODWORD,
1988; EVANS, 1993). Phasen der Samen- und Fruchtbildung z. B. sind relativ temperatur­
empfindlich. Es ist bekannt, dass Extremtemperaturen (z. B. Hitzeperioden in den heißen
Sommermonaten), die nur wenig oberhalb der Durchschnittstemperaturen liegen, die Be­
stäubungsvorgänge bei Getreidearten (Weizen, Reis) beeinträchtigen. Treten solche Extrem­
ereignisse vermehrt auf, muss daher mit relativ größeren Schäden gerechnet werden.
3.2
Erhöhte CO2-Konzentrationen
CO2 in der Atmosphäre ist einzige Kohlenstoffquelle für Pflanzen. Da die heutige CO2­
Konzentration der Atmosphäre für die meisten C3-Pflanzen noch immer suboptimal ist,
führt eine Erhöhung der CO2-Konzentration in der Umgebungsluft daher bei den meisten
Pflanzenarten in der Regel unmittelbar zu einer Stimulation der Photosynthese („CO2­
Düngeeffekt“). Gleichzeitig wird die Blatttranspiration zumindest bei krautigen Pflanzenar­
ten bzw. Kulturpflanzen reduziert (Abbildung 3). Diese primäre CO2-Wirkung führt zu Se­
kundär- bzw. Folgeeffekten auf der Ebene der Einzelpflanze bis hin zum Ökosystem. Die
Vielzahl der bislang beobachteten Pflanzenreaktionen kann hier nicht dargestellt werden.
Häufig beobachtete Effekte sind
–
eine Zunahme der Biomassebildung bzw. der Ernteerträge,
–
eine Zunahme der Kohlenstoff-Verlagerung in die Wurzel (d. h. das Wurzel-/SprossVerhältnis wird größer),
–
eine Steigerung der Effizienz der Nutzung von Ressourcen (Wasser, Stickstoff und
Licht), (d. h. z. B., dass die Wasserausnutzungseffizienz von Pflanzen steigt),
–
eine Änderung der stofflichen Zusammensetzung des Blattgewebes (insbesondere
nimmt der Gehalt an wasserlöslichen Kohlenhydraten zu, während der Stickstoff- bzw.
Proteingehalt in vegetativen Geweben und in Samen und Früchten abnimmt),
–
eine Abnahme der relativen Stressempfindlichkeit (z. B. gegenüber Trockenheit, Ver­
salzung, Luftschadstoffen),
–
eine Änderung der Struktur von Pflanzenbeständen und
–
eine Änderung des Konkurrenzverhaltens in Pflanzengemeinschaften mit Auswirkun­
gen auf die Biodiversität.
22
Abbildung 3: Photosynthese (oben) und Transpiration (unten) eines Sommerweizenblat­
tes in Abhängigkeit von der eingestrahlten Lichtintensität bei gegenwärti­
ger (360 ppm; offene Symbole) und erhöhter (700 ppm; geschlossene
Symbole) CO2-Konzentration in der Atmosphäre (BURKART, unveröffent­
licht)
Allein zur Wachstumsbeeinflussung von Kulturpflanzen liegt eine Fülle von Informationen
vor, die zum überwiegenden Teil aus Experimenten stammen, die allerdings unter eher na­
turfernen Bedingungen (z. B. optimale Wasser- und Nährstoffversorgung) für die jeweili­
gen Pflanzen durchgeführt wurden (z. B. WALKER and STEFFEN, 1996; DRAKE et al., 1997;
ROSENZWEIG and HILLEL, 1998; BENDER et al., 1999; REDDY and HODGES, 2000; AMTHOR,
2001). Die unter solchen Bedingungen erzielten Biomasse- und Ertragszuwächse bei Kul­
turpflanzenarten und -sorten sind relativ hoch, variieren allerdings auch stark (Abbildung 4;
Tabelle 2).
Klimawandel
Abbildung 4:
Tabelle 2:
23
Reaktionen von Pflanzen auf erhöhte CO2-Konzentrationen in der Umge­
bungsluft: Häufigkeitsverteilung des Verhältnisses der Gesamtbiomasse­
bildung von verschiedenen Pflanzenarten ermittelt in Experimenten unter
heutigen und zukünftigen (erhöhten) CO2-Konzentrationen in der Umge­
bungsluft (verändert nach POORTER, 1993)
Ertragszuwächse verschiedener Sommerweizensorten ermittelt in unter­
schiedlichen CO2-Anreicherungsexperimenten (OTC = open top chambers;
FT = Folientunnel) (verändert nach FANGMEIER et al., 2001)
Weizen-Sorte
Anzucht
Ertragsveränderung
%
Star
Turbo
OTC
OTC
+ 26
+ 35
Nandu
Minaret
OTC
OTC
+ 47
+ 32
MV 16
Hartog
Late
Hereward
Hereward
Minaret
Minaret
OTC
FT
FT
FT
FT
OTC
OTC
-2
+ 36 / + 11
+ 34
+ 7 bis + 44
+ 7 bis + 168
+ 43
+ 35
24
Versuchsanstellungen unter Feldbedingungen mit sog. Freiland-CO2-Anreicherungssystemen (Free Air Carbondioxide Enrichment = FACE) in den USA, Japan, der Schweiz und
Italien unter CO2-Konzentrationen, wie sie im Laufe der nächsten 50 Jahre relevant sein
werden, ergaben niedrigere Wachstumszuwächse (Tabelle 3) (KIMBALL et al., 2002). Ähn­
liche Ergebnisse wurden bei den Ertragsleistungen erzielt. Eigene Untersuchungen in
Fruchtfolgen mit der FACE-Technik (550 ppm CO2) in Braunschweig ergaben Ertragszu­
nahmen bei Wintergerste („Theresa“), Zuckerrübe („Wiebke“) und Winterweizen („Batis“)
zwischen ca. 8 bis 15 % (MANDERSCHEID et al., 2002, 2003). Es kann davon ausgegangen
werden, dass sich die in den nächsten Jahrzehnten zunehmende CO2-Konzentration in der
Atmosphäre grundsätzlich positiv auf die Wachstumsleistungen unserer Kulturpflanzen
auswirken wird. Das Ausmaß dieser positiven Wirkung ist allerdings noch unsicher.
Tabelle 3:
Oberirdische Gesamtbiomassebildung von Kulturpflanzenarten ermittelt aus
verschiedenen FACE-Versuchen (n = 7-8) unter Feldbedingungen in ver­
schiedenen Ländern (verändert nach KIMBALL et al., 2002)
Mittlere Veränderung durch CO2 in %
Pflanzenart
C3-Gräser:
Weizen, Reis, Weidelgras
Kartoffel
+ 11,5 ± 1,4
- 21,0 ± 8,6
Leguminosen:
Klee, Luzerne
+ 24,0 ± 4,5
Mehrjährige:
Wein, Baumwolle
+ 31,5 ± 2,2
Ein zukünftig wärmeres Klima soll die Evapotranspiration von Pflanzenbeständen erhöhen
und damit auch mehr Probleme mit Bodentrockenheit bzw. Trockenstress verursachen.
Dies wird insbesondere in den Regionen auftreten, wo die Wasserversorgung bereits heute
limitiert ist. Zahlreiche Versuche vorwiegend mit krautigen Pflanzen haben aber gezeigt,
dass die Evapotranspiration bzw. der Wasserverbrauch von Kulturpflanzen unter erhöhten
CO2-Konzentrationen abnehmen bzw. dass die Wasserausnutzungseffizienz sowie die rela­
tive Empfindlichkeit gegenüber Trockenstress ansteigen (KIMBALL et al., 2002; KANG et
al., 2002; POLLEY, 2002, Tabelle 4). Unter erhöhten CO2-Bedingungen wurden zudem er­
höhte Bodenfeuchten festgestellt. Diese CO2-Wirkung auf den pflanzlichen Bestandswas­
serhaushalt deutet auf einen weiteren positiven Effekt hin, der negative, durch hohe Tem­
peraturen verursachte erhöhte Verdunstungsraten abmildern könnte.
Eine in fast allen Studien zum „CO2-Düngeeffekt“ beobachtete Reaktion ist die Verände­
rung der chemischen Zusammensetzung des pflanzlichen Gewebes (IDSO and IDSO, 2001).
Betroffen sind sowohl der Gehalt an Makro- und Mikroelementen als auch die Konzentra­
tionen sonstiger Inhaltsstoffe (z. B. Zucker, Vitamine, sekundäre Pflanzenstoffe). Heraus­
ragendes Beispiel dafür ist die Reduktion des Stickstoffgehaltes sowohl in vegetativen Or­
ganen (Blatt, Stengel) als auch in Früchten, Samen bzw. Körnern (COTRUFO et al., 1998;
Klimawandel
25
WEIGEL and MANDERSCHEID, 2004). Daraus ergeben sich einerseits negative Konsequen­
zen der CO2-Erhöhung im Hinblick auf die Produktqualität (z. B. Kornqualität bei Weizen;
Futterqualität bei Grünlandarten). Andererseits führt die Änderung der Qualität der Wirts­
pflanze zur Veränderung der Nahrungsquelle für herbivore Insekten bzw. für sonstige
Schaderreger (s. u.). Aus ökologischer Sicht kann das erweiterte C-/N-Verhältnis der anfal­
lenden pflanzlichen Rückstände den Streuabbau im Boden verzögern. Eine Zusammenfas­
sung eigener Arbeiten zur Wirkung erhöhter CO2-Konzentrationen auf die Qualität von
Grünland- und Getreidearten findet sich bei WEIGEL and MANDERSCHEID (2004).
Tabelle 4:
Wirkung einer CO2-Anreicherung auf die Wasserausnutzungseffizienz (WNE;
g Trockenmasse pro kg Wasser) von Sommerweizen bei ausreichender und re­
duzierter Wasserversorgung. Die Untersuchung wurde in Open-top-Kammern
im Feld durchgeführt (nach MANDERSCHEID et al., unveröffentlicht)
Jahr
Wasserversorgung
„Normal“ CO2
670 ppm CO2
CO2-Effekt
%
1998
Ausreichend
Reduziert
4,88
5,30
6,22
7,59
+ 27
+ 43
1999
Ausreichend
Reduziert
4,08
4,10
4,64
6,98
+ 14
+ 70
3.3 Interaktionen zwischen Temperatur und erhöhten CO2-Konzentrationen
Da die mittleren Temperaturen und die atmosphärische CO2-Konzentration gleichzeitig
zunehmen, interessiert, wie diese beiden Klimavariablen in Wechselwirkung treten könn­
ten. Aus der Biochemie der CO2-Fixierung lässt sich ableiten, dass die Stimulation der Pho­
tosyntheserate durch erhöhte CO2-Konzentrationen mit steigender Temperatur zunehmen
sollte, was in bestimmten Temperaturbereichen auch experimentell belegt worden ist
(LONG, 1991). Entsprechende Synergieeffekte wurden auf der Ebene der Gesamtbiomasse­
reaktion bzw. des Ertrages von Pflanzen allerdings nicht immer beobachtet. Innerhalb eines
bestimmten (relativ niedrigen) Temperaturbereichs nimmt der positive Wachstumseffekt
der hohen CO2-Konzentrationen mit steigender Temperatur jedoch im Allgemeinen zu.
Demgegenüber ergaben einige Untersuchungen, dass der o. g. negative Effekt erhöhter
Temperaturen auf Getreideerträge durch den positiven CO2-Effekt kompensiert werden
kann (WHEELER et al., 1996; AMTHOR, 2001). Hier gibt es jedoch starke artspezifische Un­
terschiede.
26
Die geschilderte Interaktion spielt eine wichtige Rolle bei der Bewertung der Folgen von
Klimaänderungen (Temperatur; Niederschlag) für die Ernteerträge auf lokaler, regionaler
und globaler Ebene. Je nachdem, ob der physiologische CO2-Effekt in entsprechenden
Pflanzenwachstums- bzw. Ertragsmodellen berücksichtigt wird oder nicht, kann sowohl die
Richtung als auch das Ausmaß der vorausgesagten Effekte variieren. Negative Ertragsef­
fekte bei Getreide z. B., die allein aufgrund erhöhter Temperaturen (und schlechterer Was­
serversorgung) berechnet werden, fallen wesentlich geringer aus bzw. kehren sich in posi­
tive Wirkungen um, wenn der CO2-Düngeeffekt in die Bewertung mit einbezogen wird
(HULME et al., 1999).
3.4
Sonstige Interaktionen
Von den zahlreichen weiteren Klima- bzw. Wachstumsfaktoren (Strahlung, Wasser- und
Nährstoffversorgung, arten- und sortenspezifische Reaktionen etc.), die in ihrer Wechselwir­
kung für eine Vorhersage von Effekten einer Klimaänderung auf die Pflanzenproduktion zu­
sätzlich berücksichtigt werden müssen, sollen hier nur zwei angesprochen werden.
Phytotoxische O3-Konzentrationen in der bodennahen Atmosphäre beeinträchtigen nach
wie vor in vielen Teilen der Erde das Wachstum von Kulturpflanzen (FUHRER and BOOKER,
2003). Das Schadgas O3 wird ebenso wie CO2 über Spaltöffnungen der Blätter in die Pflan­
ze aufgenommen. Daraus lässt sich folgern, dass beide Gase in Wechselwirkung treten soll­
ten: experimentelle Studien konnten zeigen, dass hohe CO2-Konzentrationen Pflanzen vor
O3 „schützen“ bzw. dass positive CO2-Wirkungen in Anwesenheit phytotoxischer O3­
Konzentrationen abgeschwächt werden. Die dieser Interaktion zugrunde liegenden Wirk­
mechanismen beruhen z. T. auf einer Reduktion der Spaltöffnungsweiten (s. o.), z. T. auf
einer Erhöhung der antioxidativ wirkenden Kapazitäten der Pflanzen durch hohe CO2­
Konzentrationen (WEIGEL, 2003). In Regionen mit hoher sommerlicher O3-Belastung könn­
ten damit die positiven Wirkungen einer CO2-Erhöhung nicht voll wirksam werden könn­
ten, woraus sich wiederum ableiten lässt, dass die Wirkung des CO2-Düngeeffektes nicht
isoliert betrachtet werden kann.
Pflanzenkrankheiten gehören zu den größten Risiken in der Agrarproduktion. Das Ausmaß
ihres Auftretens wird stark von Witterungseinflüssen (Temperatur, Niederschlag, Luft­
feuchte, Strahlung etc.) beeinflusst, da diese Faktoren sowohl die Anfälligkeit der Wirts­
pflanze als auch Wachstum sowie Überdauerungs- und Ausbreitungsvermögen der Schad­
erreger bestimmen. Änderungen der o. g. Klimafaktoren werden sich daher auch auf dieses
Beziehungsgeflecht auswirken. Im Zusammenhang mit der Bewertung der Folgen von Kli­
maänderungen ist diesem Problem allerdings bisher vergleichsweise wenig Aufmerksam­
keit geschenkt worden. So fehlt z. B. in den vielen Studien zur Klimafolgenabschätzung
dieser Aspekt völlig. Nahezu alle Agrarsektoren (Ackerbau, Grünland, Gartenbau, Forst­
Klimawandel
27
wirtschaft) sind empfindlich gegenüber Veränderungen im Auftreten von Pflanzenkrank­
heiten, Pathogenen oder Parasiten (Unkräuter, bakterielle, pilzliche und virale Pflanzen­
krankheiten, Insekten/Schädlinge, invasive gebietsfremde Arten etc.), die sich aus einem
veränderten Klima ergeben (CHAKRABORTY and PANGGA, 2003). Dabei spielen die Reakti­
onen der Wirtspflanzen auf die Veränderung eine entscheidende Rolle.
Trockenere, heißere Sommer werden z. B. die Infektionsgefahr für bestimmte Pilzkrankhei­
ten eher reduzieren, da diese eher unter feuchtwarmen Bedingungen auftreten. Treten in
Zukunft mildere Wintertemperaturen auf, würden dagegen andere Krankheiten (z. B. Cercospora-Blattfleckenkrankheit, echter Mehltau, Zwergrost, Rhizomania) begünstigt (P AT­
TERSON et al., 1999). Auch die Überlebensrate tierischer Schädlinge könnte steigen, was
größere Populationen im Frühjahr und höhere Schäden an den Wirtspflanzen während der
Vegetationsperiode zur Folge hätte. Höhere Durchschnittstemperaturen könnten weiterhin
dazu führen, dass Pflanzenkrankheiten in Regionen der höheren Breiten auftreten, in denen
sie bislang eher nicht bekannt waren.
Änderungen chemischer Klimafaktoren (erhöhte Konzentrationen von CO2, O3) wirken
direkt auf die pflanzliche Qualität und beeinflussen damit die Empfindlichkeit gegenüber
Schaderregern bzw. Insekten. Die durch hohe CO2-Konzentrationen verursachte Reduktion
der Blattstickstoffgehalte bei gleichzeitiger Zunahme löslicher Kohlenhydrate resultierte in
experimentellen Studien in einem verstärkten Konsum von Blattmaterial durch herbivore
Insekten. Saugende Insekten sollen dagegen durch die durch hohe CO2-Konzentrationen
veränderte Blattmorphologie („dickere“ Blätter) eher behindert werden. Die unterschiedli­
che Reaktion von C3-und C4-Pflanzen auf erhöhte CO2-Konzentrationen könnte zu verän­
derten Verhältnissen zwischen Nutzpflanzen und Unkräutern führen: viele Unkräuter gehö­
ren dem C4-Typ an und in vielen Experimenten wurde das Wachstum von C3-Pflanzen auf
Kosten von C4-Pflanzen durch hohe CO2-Konzentrationen begünstigt. Weitere mögliche
Implikationen eines Klimawandels für Pflanzenkrankheiten sind z. B. bei PORTER et al.
(1991), LINCOLN et al. (1993), MANNING and V. TIEDEMANN (1995), PATTERSON (1995)
sowie COAKLEY et al. (1999) beschrieben.
4
Anpassungen
Die Landwirtschaft hat Möglichkeiten zur Anpassung an sich ändernde Klimabedingungen.
Anpassung kann in diesem Zusammenhang beschrieben werden als autonome (d. h. priva­
te) Anpassung des Landwirtes bzw. des Betriebes an sich ändernde Temperaturen, Nieder­
schläge oder atmosphärische Spurengaskonzentrationen. Diese werden meist eher kurzfris­
tig entwickelt und angewandt und nicht durch externe Einflüsse (Politik, Forschung) vor­
gegeben bzw. gesteuert. Eine geplante Anpassung umfasst dagegen gezielte Maßnahmen
oder Strategien, die z. B. seitens der Politik entwickelt werden, um Kapazitäten des Agrar­
28
sektors gezielt zu ändern, zu beeinflussen bzw. aufzubauen. Dazu zählen u. a. längerfristig
wirksame strukturelle Anpassungen (z. B. Züchtung neuer Sorten, Entwicklung neuer
Landnutzungstechniken).
Zu den für die Betriebsebene bzw. den pflanzenbaulichen Bereich relevanten, häufig ge­
nannten Kategorien von Anpassungsmaßnahmen zählen z. B. (SCHNEIDER et al., 2000)
–
Änderungen der Aussaattermine,
–
Wahl alternativer Arten und Sorten,
–
Einsatz neuer Arten und Sorten,
–
Änderungen des Wassermanagements bzw. der Bewässerungsmaßnahmen
–
Änderungen sonstiger Inputgrößen (Dünger, Bodenbearbeitung, Korntrocknung,
Fruchtfolgegestaltung etc.).
Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang auch, dass der technologische Fort­
schritt als solcher (z. B. im Bereich der Biotechnologie) Beiträge leisten wird, um mit mög­
lichen Folgen der Klimaänderung umzugehen. Dazu gibt es durchaus optimistische Vorstel­
lungen, wie in Tabelle 5 beispielhaft gezeigt wird.
Tabelle 5:
Auswahl expertengestützter Vorhersagen über Entwicklungen des Sektors
Landwirtschaft und Ernährung im Rahmen der Studie zur globalen Entwick­
lung von Wissenschaft und Technik, die Bezug zur Thematik Klimaänderung
haben (DELPHI, 1998) (CUHLS et al., 2002)
.
Züchtungen von Pflanzen, die gegen Trockenheit und Salz beständig sind und einen Schutz gegen eine
Ausbreitung der Wüste darstellen, finden praktische Anwendung.
.
Der Wasserverbrauch von Kulturpflanzen wird durch Züchtung von 300-500 l/kg erzeugter Biomasse
auf 100-200 l/kg gesenkt.
.
Die Entwicklungsdauer von Nutzpflanzen kann gezielt verkürzt werden, so dass mehr als eine Ernte
bzw. die Verschiebung der Anbauregionen in nördlichere Breiten möglich wird.
.
Durch den Einbau von Frostschutz-Genen in Nutzpflanzen kann im Frühjahr auf den Einsatz von Ab­
deckfolien bzw. die Anzucht in Treibhäusern verzichtet werden.
.
Das Auftreten der wichtigsten Schädlinge kann vorausgesagt und ein umfassendes Schutzsystem ent­
wickelt werden.
.
Die Klimaveränderung und entsprechende agrartechnische Entwicklungen haben die Nahrungs­
pflanzenproduktion in die nördlicheren Regionen der Erde und in Höhenlagen über 600 m verlagert.
Klimawandel
29
Grundsätzlich setzen erfolgreiche Anpassungsmaßnahmen voraus, dass eine Klimaände­
rung von den Akteuren auch als eine tatsächliche Änderung des Klimas und nicht als
Klimavariabilität wahrgenommen wird, dass sie rechtzeitig eingeleitet werden und dass
ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, um die Anpassung umzusetzen. Im Hinblick
auf diese Ressourcenverfügbarkeit gehen modellgestützte Vorhersagen zur Auswirkung
von Klimaänderungen auf den Agrarsektor, die explizit Anpassungsstrategien in ihren Sze­
narien berücksichtigen, davon aus, dass die Möglichkeiten zur effektiven Anpassung der
Landwirtschaft in den entwickelten Ländern der mittleren Breitengrade am größten und in
den Entwicklungsländern der südlichen Breitengrade am geringsten sind (PARRY et al.,
1999).
5
Wirkungen auf die Agrarproduktion
Die auf der biophysikalisch-physiologischen Ebene ablaufenden Wechselwirkungen von
Klimaänderungen mit dem Pflanzenwachstum resultieren auf der nächst höheren Ebene in
Veränderungen der pflanzlichen Agrarproduktion insgesamt. Produktionsänderungen im
Allgemeinen werden von Faktoren geleitet, zu denen das Betriebsmanagement (z. B. Sor­
tenwahl, Düngung, Pflanzenschutz), die Verfügbarkeit von Ressourcen (z. B. Bodenquali­
tät) sowie Angebots-/Nachfrage-Gleichgewichte (z. B. resultierend aus Verbraucherpräfe­
renzen) gehören. Im Hinblick auf die Folgen von Klimaänderungen gilt es daher, den Ein­
fluss einer Klimaänderung unabhängig von den Entwicklungen dieser anderen Faktoren
abzuschätzen. Für derartige Abschätzungen werden unterschiedliche Modelle herangezo­
gen. Modellansätze, die biophysikalisch-physiologisch basierte Pflanzenwachstumsmodelle
mit ökonomischen Modellen koppeln, spielen eine wichtige Rolle. Unter Annahme unter­
schiedlicher Klimaszenarien, die wiederum auf globalen Zirkulationsmodellen (GCM) ba­
sieren, haben zahlreiche „Klima-Impakt-Studien“ die Folgen eines Klimawandels auf die
globalen (ROSENZWEIG and PARRY, 1994; DARWIN et al., 1999) sowie auf regionale (USA,
Europa, einzelne Länder) Erträge (ADAMS, 1999; HARRISON et al., 2000; BINDI and OLE­
SEN, 2000) modelliert. In diesen Studien wurden teilweise Anpassungsszenarien bzw. di­
rekte physiologische CO2-Wirkungen mitberücksichtigt.
In Abbildung 5 sind Ergebnisse dieser Abschätzungen stark aggregiert beispielhaft für Ge­
treide bzw. Weizen als relative Veränderungen dargestellt. Es wird deutlich, dass für einige
Entwicklungsländer der tropischen bzw. subtropischen Regionen mit starken Ertragseinbu­
ßen gerechnet werden muss, sofern sich die Klimabedingungen in den in Kapitel 2 genann­
ten Größenordnungen ändern. Dagegen kann für die Kontinente Australien, Europa und
Nordamerika im Mittel durchaus mit Ertragszunahmen bzw. mit keinen bedeutenden Ver­
änderungen gerechnet werden. Allerdings werden für einzelne Regionen Europas und
Nordamerikas Produktionsverluste in der Größenordnung >10 % vorausgesagt.
30
Abbildung 5: Relative Änderung der Getreide- bzw. Weizenerträge in unterschiedlichen
Kontinenten, Ländern und Regionen der Erde. Die Streubalken geben die
Spannbreite möglicher Änderungen an, die sich aus der Stärke der Klima­
änderung ergibt, die mittels gekoppelter Klimamodelle (GCM) berechnet
wurden (n. verschiedenen Autoren)
Mögliche Folgen eines Klimawandels für die einheimische Landwirtschaft mit ihren jewei­
ligen regionaltypischen Besonderheiten sind bisher noch nicht systematisch untersucht
worden. Unter Annahme einer grundsätzlich positiven Wirkung steigender atmosphärischer
CO2-Konzentrationen und mäßig ansteigender Durchschnittstemperaturen, die eher wachs­
tumsfördernd sein dürften, könnte auf ausreichend mit Wasser versorgten Standorten mit
eher positiven Wirkungen gerechnet werden. Das deutlich trockenere Klima im Osten
Deutschlands ist jedoch bereits heute ein stark ertragslimitierender Faktor. Zunehmende
Durchschnittstemperaturen werden hier zu einer weiteren Anspannung des Wasserhaushal­
tes führen. Die im Rahmen der sog. Brandenburg-Studie berechneten Szenarien (GERSTEN­
GRABE, et al. 2003) zeigen daher auch, dass bereits bei relativ geringen Zunahmen der
Durchschnittstemperaturen (+ ca. 1,0 bis 1,5 0C) und bei Abnahme der Sommernieder­
schläge die Winterweizenerträge bis 2030 – trotz angenommener positiver CO2-Wirkung
auf die Wuchsleistung der Pflanzen – um ca. 17 % gegenüber dem heutigen Niveau abneh­
men könnten.
Klimawandel
6
31
Schlussfolgerung
Ändern sich die mittleren Klimawerte in der vorausgesagten Weise, wird dies für die land­
wirtschaftliche Pflanzenproduktion der meisten entwickelten Industrienationen in den nächs­
ten 2 bis 3 Jahrzehnten verkraftbar sein. Die gleichzeitige weitere Zunahme der atmosphäri­
schen CO2-Konzentration wird sich generell positiv auf das Pflanzenwachstum auswirken.
Dieser Effekt könnte bei gezielter Suche nach Arten und Sorten mit größtmöglicher Reaktion
bzw. bei angepasstem Management noch weiter optimiert werden. Heutige Kulturpflanzenar­
ten, die über die letzten 5.000 bis 8.000 Jahre züchterisch entwickelt wurden, tragen in ihrem
Genom keine Information zur optimalen Nutzung dieser zusätzlichen Kohlenstoffquelle. Der
CO2-Effekt wirkt negativen Wachstumseffekten, die z. B. aus erhöhten Temperaturen und
reduzierter Wasserverfügbarkeit resultieren, teilweise entgegen. In Ländern der gemäßigten
Klimazonen (z. B. in Mittel- und Nordeuropa) sind – bei nur wenig veränderten Nieder­
schlagsbedingungen – aufgrund des positiven CO2-Effektes und positiver Temperaturwir­
kungen (verlängerte Vegetationsperioden, mildere Kälteperioden) Zunahmen des Pflanzen­
wachstums durchaus möglich.
Die Vorhersage einer Veränderung in der Frequenz und Stärke des Auftretens extremer
Klimaereignisse ist für einen konkreten Raum schwierig. Die negativen Folgen derartiger
Extremereignisse für das pflanzliche Wachstum (z. B. Hitze- und Trockenheit, Überflu­
tung, Staunässe) sind vom Wirkmechanismus her aus Untersuchungen zur Stressphysiolo­
gie bei Pflanzen im Prinzip bekannt (SCHULZE et al., 2002).
Eine Bewältigung der anstehenden Klimaänderungen gelingt bei rechtzeitiger Anpassung.
Dazu müssen seitens der Wissenschaft Szenarien möglicher Folgen und möglicher Anpas­
sungsstrategien entwickelt werden. Andererseits muss bei den Betroffenen (d. h. den
Landwirten) die Erkenntnis greifen, dass eine tatsächliche Änderung des Klimas im Gange
ist bzw. bevorsteht. Weiterhin müssen die Ressourcen zur Verfügung stehen, die Anpas­
sung auch umzusetzen. Kosten-Nutzen-Betrachtungen zu diesem Punkt sind notwendig.
Für Entwicklungsländer, die Landwirtschaft bereits heute schon in klimatisch ungünstigen
Regionen betreiben müssen, stehen viele Anpassungsoptionen nicht in ausreichendem Ma­
ße zur Verfügung. Hier sind negative Folgen des Klimawandels zu erwarten.
Die meisten der bisherigen wissenschaftlichen Einschätzungen über mögliche Folgen des
Klimawandels auf die Pflanzenproduktion beruhen auf monofaktoriellen Untersuchungen,
d. h. in den jeweiligen Szenarien wurde jeweils nur eine Klimavariante als Einflussgröße
berücksichtigt. Wechselwirkungen verschiedener Klimaparameter untereinander (Tempera­
tur, Wasserversorgung, CO2-Konzentration, Luftschadstoffe etc.) sind kaum untersucht
worden. Zudem sind indirekte Effekte, die sich aus der Interaktion mit Pflanzenkrankheiten
und dem landwirtschaftlichen Management (Düngung, Sortenspezifität, Bodenbearbeitung)
32
ergeben könnten, zu wenig berücksichtigt worden. Weiterhin ist es notwendig, die Folgen
von Klimaänderungen für die Qualität pflanzlicher Produkte stärker als bisher zu beachten.
Klimaänderungen (Temperaturen, Niederschläge, CO2- und O3-Konzentrationen) beeinflus­
sen jedoch auch direkt oder indirekt die Systemeigenschaften von Agrarflächen, z. B. die
Wasser- und Stoffkreisläufe sowie chemische und biologische Bodenkenngrößen. Hierzu
besteht weiterer Informations- bzw. Forschungsbedarf. Stärker als bisher muss zudem der
technologische Fortschritt in der landwirtschaftlichen Produktion berücksichtigt werden:
nicht nur das Klima des Jahres 2050 wird anders sein als heute, auch die Produktionsver­
fahren werden sich bis dahin deutlich ändern. Bisherige Klimawirkungsstudien haben in
der Regel zu einseitig heutige Produktionsverfahren mit einem zukünftigen Klima ver­
knüpft.
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Nährstoffe
37
Kommen wir im Jahr 2025 zu geschlossenen Nährstoffkreisläufen?
Jutta Rogasik, Ute Funder, Ewald Schnug
1
1
Einleitung
Natürliche Ökosysteme zeichnen sich durch weitgehend geschlossene Nährstoffkreisläufe
aus. Durch die Entkopplung von Tierhaltung und Pflanzenproduktion sind die Nährstoff­
kreisläufe in der Landwirtschaft einerseits überfrachtet, andererseits völlig offen, so dass
der mit dem Verkauf pflanzlicher Produkte verbundene Nährstoffexport durch Düngerzu­
kauf ausgeglichen werden muss. Der Nährstoffeinsatz in der Landwirtschaft hat somit als
Beitrag zur Klärung der Interaktionen zwischen Landwirtschaft und Umwelt einen hohen
Stellenwert. Diskussionen über die Rolle der Landwirtschaft in Bezug auf Umweltschäden
betreffen vor allem die Eutrophierung von Oberflächen- und Grundwasser sowie die gas­
förmigen Verluste in die Atmosphäre.
Der Entwicklung von Kriterien zur Bewertung der Nährstoffsalden wird zukünftig ein ho­
her Stellenwert beizumessen sein (FAO, 2003; OENEMA, et al., 2003; ROY et al., 2003). Die
Quantifizierung der Beziehungen zwischen Nährstoffmanagement, Nährstoffüberschüssen
und -verlusten sowie Umwelteinflüssen muss dringend durch ein besseres Prozessverständnis
der Nährstoffdynamik ergänzt werden (OBORN et al., 2003; SACCO et al., 2003).
Die Diskussion um geschlossene Nährstoffkreisläufe betrifft schwerpunktmäßig Stickstoff
und Phosphor, da beide eine hohe Umweltrelevanz besitzen. In den nachfolgenden Ausfüh­
rungen soll die Frage nach „geschlossenen Stoffkreisläufen“ für N und P im Jahr 2025 be­
antwortet werden.
2
Stickstoff
In der Landwirtschaft wird der natürliche N-Kreislauf durch die Abfuhr von Nährstoffen
(Erntemengen) unterbrochen (Abbildung 1). Dieser Nährstoff-Output muss durch einen
entsprechenden Nährstoff-Input ausgeglichen werden.
1
Dr. Jutta Rogasik, Ute Funder, Prof. Dr. Dr. Ewald Schnug, Institut für Pflanzenernährung und Boden­
kunde, Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
E-Mail: jutta.rogasik@fal.de, ute.funder@fal.de, ewald.schnug@fal.de
38
N-Inputparameter sind:
–
N-Düngung (mineralisch und organisch)
–
Symbiotische N-Fixierung
–
N-Deposition aus der Atmosphäre
–
N aus Saat- und Pflanzgut
–
N aus dem Bodenvorrat
N-Outputparameter sind:
–
N-Abfuhr durch Erntemengen
–
Denitrifikation
–
Emission von NH3 (vor allem die Lagerung und Ausbringung organischer Dünger)
Abbildung 1:
2
2
Schema des N-Kreislaufes (nach OECD, 2001, modifiziert)
Environmental Indicators for Agriculture - Volume 3: Methods and Results, Publications Service, Paris, France.
Nährstoffe
39
Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Nährstoffzufuhr und Nährstoffentzug ist unerläss­
lich für ein hohes Ertragsniveau, die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, Minimierung der
Umweltverschmutzung und eine nachhaltige Ressourcennutzung. Ständige N-Überschüsse
erhöhen das potenzielle Risiko der Umweltverschmutzung, aber auch Unterversorgung mit
Nährstoffen gefährdet die Ressource „Boden“ durch „nutrient mining“, Bodendegradation
und abnehmende Bodenfruchtbarkeit (SHELDRICK et al., 2002).
Dringend notwendig ist eine abgestimmte Methodik zur Bilanzierung der unterschiedlichen
Bilanzgrößen, um Vergleichbarkeit auf der Fläche, im Stall und im nationalen Maßstab zu
gewährleisten. Ein derartiger Standard ist für die Umsetzung von Richtlinien auf nationaler
und internationaler Ebene unerlässlich.
2.1
Methodik der N-Bilanzierung (Fläche)
Die N-Flächenbilanz betrachtet den Boden als Bilanzeinheit, auf die alle In- und Outputs
bezogen werden (Abbildung 2). Der N-Überschuss aus der Brutto-N-Bilanz ist ein geeigne­
ter Indikator zur Einschätzung der potenziellen N-Verluste in die Umweltmedien (Luft,
Boden, Wasser).
Abbildung 2:
Mineral­
dünger
Hauptelemente der N-Flächenbilanz (brutto)
Dünger
tierischer
Herkunft
Organische
Dünge­
stoffe
Biologische
N-Fixierung
Atmos­
phärische
Deposition
Saat- und
Pflanzgut
N-Input
N-Bilanz (butto)
Saldo als
N-Überschuss:
↓ !Luft
↓ !Boden
↓ !Wasser
LN : landwirtschaftliche Nutzfläche
N-Entzug
Marktprodukte
N-Entzug
Futterpflanzen
N-Output
40
Gegenüber der Brutto-N-Bilanz werden in der Netto-N-Bilanz die NH3-Emissionen aus
Lagerung und Ausbringung der Dünger tierischer Herkunft berücksichtigt:
Netto-N-Bilanz = (N-Input) - (N-Output) - (N-Verluste)
Die In- und Outputdaten der Nährstoffbilanzierung werden aus statistischen Jahrbüchern
des Bundesamtes für Statistik übernommen, die Koeffizienten für die Nährstoffkonversion
aus der Muster-Verwaltungsvorschrift für den Vollzug der Düngeverordnung.
3
Die N-Depositionen werden mit 23 kg ha-1 N für Acker- und Grünland sowie Dauerkultu­
ren veranschlagt. Die N-Verluste durch Lagerung und Ausbringung von Dung tierischer
4
Herkunft betragen bei Rindern 20 %, bei Schweinen 30 %, bei Geflügel 35 % und bei
Pferden/Schafen 45 %.
Die N-Flächenbilanz kennzeichnet den Produktionszweig „Pflanzenproduktion“ als Be­
standteil der Hoftor- oder Gesamtbilanz (s. BACH und FREDE, 1998; BACH et al., 2003).
2.2
Ergebnisse der N-Bilanzierung
Im Berechnungszeitraum von 1991 bis 2002 ist eine tendenzielle Abnahme der NBilanzüberschüsse erkennbar. Entsprechend steigt die N-Effizienz für N-Flächenbilanz an
(Abbildung 3). In Jahren mit geringerem Ertragsniveau und damit niedrigem N-Output ver­
größert sich der N-Überschuss und reduziert somit die N-Effizienz.
3
4
[http://www.nav.uni-stuttgart.de/German/Forschung/CriticalLoads/deutsch.html].
Angaben gemäß Entwurf Novellierung Düngeverordnung.
Nährstoffe
Abbildung 3:
41
Entwicklung der N-Überschüsse sowie der N-Effizienz in der Flächenbi­
lanz für die Bundesrepublik Deutschland
Durch Mittelwertbildung kann die witterungsbedingte Variabilität der N-Bilanzsalden et­
was nivelliert werden (Tabelle 1), der negative Trend der berechneten N-Überschüsse wird
deutlicher. Aus den N-Salden kann abgeleitet werden, dass die N-Überschüsse auf land­
wirtschaftlichen Nutzflächen im Zeitraum von etwa 10 Jahren (2001 bis 2002 vgl. zu 1992
bis 1994) um ca. 15 % reduziert wurden.
Insgesamt muss aber eingeschätzt werden, dass N-Überschüsse in der Flächenbilanz von
ca. 80 bis 100 kg ha-1 N zukünftig deutlich reduziert werden müssen, um eine bessere NEffizienz zu erreichen und damit das potenzielle Risiko von Umweltrisiken zu minimieren.
Tabelle 1:
Mittlere N-Bilanzsalden für die Flächenbilanz in der Bundesrepublik Deutschland
-1
N-Bilanzen
N-Bilanzsaldo [kg ha ]
1992-1994
1995-1997
1998-2000
2001-2002
Brutto-Flächenbilanz
114
108
107
98
Netto Flächenbilanz
94
88
87
79
42
Den größten Umfang am N-Input in der Flächenbilanz machen Mineraldünger und NZufuhr durch tierische Exkremente (Stalldung, Gülle) aus (Abbildung 4).
Abbildung 4: Prozentualer Anteil der Bilanzparameter an der N-Flächenbilanz, Mittel
aus 1999-2002, Bundesrepublik Deutschland
Durch Reduzierung der N-Verluste beim Einsatz mineralischer und organischer Düngemit­
tel kann der N-Aufwand für die Ertragsoptimierung reduziert werden. Wichtige Ansatz­
punkte sind verlustarme Lagerungs- und Applikationstechniken für Dünger, verbesserte
Fütterungsstrategien und vieles mehr. Beispielhaft wird in Tabelle 2 ein Szenario vorge­
stellt, wie zukünftig die N-Überschüsse verringert werden können. Mit sehr geringem Auf­
wand und vor allem ohne Auswirkungen auf das Ertragsniveau könnte kurzfristig eine
Verminderung der umweltrelevanten N-Salden bis zu 13 % erreicht werden. Durch Abbau
zu hoher Tierbestände und Anwendung phasenangepasster Fütterung ließe sich eine weitere
Reduzierung erreichen.
Nährstoffe
Tabelle 2:
43
N-Flächenbilanz und Möglichkeiten der Reduzierung der N-Überschüsse
Parameter
Bilanzierungszeitraum
2001-2002
Reduzierungspotenzial
N-INPUT
1.000 t
3.871
3.667
Dünger (mineralisch, organisch)
Mineraldünger
Anfall tierischer Exkremente
Klärschlamm
Kompost
1.000 t
1.000 t
1.000 t
1.000 t
1.000 t
3.231
1.820
1.359
26
26
3.046
1.729
1.291
0
26
Sonstige N-Input
Deposition
Biologische N- Fixierung
Saat- und Pflanzgut
1.000 t
1.000 t
1.000 t
1.000 t
640
391
228
21
621
372
228
21
N-OUTPUT
1.000 t
2.206
2.206
1.000 t
1.000 t
1.000 t
1.136
1.046
24
1.136
1.046
24
N-Saldo Brutto
1.000 t
-1
kg ha
1.665
98
1.461
86
Lager- und Ausbringverluste
1.000 t
329
296
-10%
N-Saldo Netto
1.000 t
-1
kg ha
1.336
79
1.165
69
-13%
Feldfrüchte
Futterpflanzen
Koppelprodukte
-5%
-5%
-100%
-5%
Quelle: Funder et al. (2003).
2.3 Überhöhte N-Düngung bringt keinen Ertragsvorteil, sondern
Umweltrisiken!
Im Ackerbau muss die Düngung das Ziel verfolgen, durch effektiven Nährstoffeinsatz hohe
und stabile Erträge bei gleichzeitig geringen C- und N-Verlusten zu erzeugen. Dieser Forde­
rung wird im Hinblick auf Ertrag, Bodenfruchtbarkeit und Umwelt langfristig nur der kom­
binierte Einsatz organischer und mineralischer Düngemittel gerecht (ROGASIK et al., 2004).
Die Zufuhr organischer Substanz kann in Form von Dung aus der Tierproduktion, Gründün­
gung, Stroh oder durch Ernte- und Wurzelrückstände bzw. deren Kombinationen erfolgen.
Im Braunschweiger Nährstoffsteigerungsversuch wird im Mittel der Versuchsjahre 2000 und
2004 das Ertragsoptimum bei Winterweizen mit 140 bis 160 kg ha-1 N erreicht. Überhöhte NDüngung dagegen bringt keinen signifikanten Ertragsvorteil (Abbildung 5).
44
Abbildung 5: Einfluss der mineralischen und organischen N-Düngung auf den Korner­
trag von Winterweizen (Dauerdüngungsversuch auf Parabraunerde, Braun­
schweig) (ROGASIK et al., 2001)
Ein hohes Ertragsniveau bei gleichbleibend guter Qualität der Ernteprodukte ist mit der
Forderung nach ressourcenschonendem und damit umweltgerechtem Ackerbau durchaus in
Einklang zu bringen, wenn die Langzeiteffekte der ackerbaulichen Maßnahmen in ihrer
Wirkung auf Ertrag und Bodenfruchtbarkeit berücksichtigt und gezielt gesteuert werden.
Aus Dauerfeldversuchen ist seit langem bekannt, dass hohe positive N-Bilanzsalden mit
ansteigenden NO3-N-Konzentrationen im Bodenprofil korrelieren (Abbildung 6) (ROGASIK
et al., 1997). Das potenzielle Risiko des N-Austrages steigt an, was zur Eutrophierung von
Oberflächen- und Grundwasser führen kann (LORD et al., 2002; OENEMA und VELTHOF,
2002; BEEK et al., 2003; BOOIJ et al., 2003; HANEGRAAF und DEN BOER, 2003).
Nitrat, als Ausgangsprodukt für die Denitrifikation, kann als ein wesentlicher Faktor für die
Risikoabschätzung von Lachgasemissionen gesehen werden. Hohe Nitratgehalte im Boden
verstärken das potenzielle Risiko von N2O-Emissionen in die Atmosphäre. Ergebnisse aus
Dauerversuchen belegen diesen Zusammenhang (ROGASIK et al., 2002) (Abbildung 7).
Nährstoffe
Abbildung 6:
45
Nmin-Konzentration im Bodenprofil als Funktion der N-Bilanzsalden (Dau­
erdüngungsversuch auf Braunerde, Müncheberg, Probenahme 1992, 0-25 cm
Profiltiefe; Stm1/ 2: 1,2/ 3,2 t ha-1 a-1 Stalldung-TM) (ROGASIK et al., 1997)
Abbildung 7: Einfluss der Bodenbearbeitungsintensität auf die NO3-N-Konzentration im
Bodenprofil und die N2O-Emission (Dauerdüngungsversuch auf Braunerde,
Müncheberg, Probenahme 1996)
46
Entscheidend für umweltgerechte, nachhaltige Wirtschaftsweisen ist eine ausgewogene organisch-mineralische Düngung, deren Höhe sich am Nährstoffbedarf der Pflanzen und an den
natürlichen Standortbedingungen orientiert. So können unwirtschaftliche Nährstoffüber­
schüsse vermieden und ökologisch bedenkliche Nährstoffausträge verhindert werden.
2.4
Kommen wir im Jahr 2025 zu einem geschlossenen N-Kreislauf?
Übereinstimmend wird ein umfassendes und konsistentes Verfahren bei der N-Bilanzierung
gefordert, um damit N-abhängige Umweltveränderungen besser bewerten zu können und
somit auch den N-Kreislauf räumlich und zeitlich exakter zu erklären (KRUG und
WINSTANLEY, 2002; SCHRODER et al., 2003).
Die Bilanzierung der N-Flüsse in der Landwirtschaft ist von hoher politischer Relevanz.
Sie ermöglicht die Abschätzung der Umweltbelastungspotenziale aus der Landwirtschaft,
Aussagen zum Qualitätsmanagement und zum Ressourcenverbrauch (FIXEN und WEST,
2002; JANZEN et al., 2003; MUNOZ et al., 2003).
Einen geschlossenen N-Kreislauf wird es in der Landwirtschaft nicht geben, denn der
menschliche Einfluss auf die vielfältigen Transferprozesse von Stickstoff in die Hydro- und
Atmosphäre ist begrenzt. Realistisch bleibt die Forderung nach einer verbesserten NEffizienz (Abbildung 8).
Abbildung 8:
Ackerbau und Umwelt – Einschätzung der N-Effizienz
Nährstoffe
3
47
Phosphor
Phosphor besitzt wie auch Stickstoff, neben der Bedeutung als lebensnotwendiges Element,
eine hohe Relevanz als umweltbelastender Stoff. Außerdem ist Phosphor bzw. Phosphat ein
nur noch begrenzt verfügbarer Rohstoff. Aus diesen Gründen ist eine möglichst verlustfreie
und effiziente Verwendung von P in der Landwirtschaft ein Schlüsselmerkmal nachhaltiger
Wirtschaftsweisen (GUSTAFSON et al., 2003; SCHNUG et al., 2003).
Der Boden besitzt eine hohe Affinität für PO43-, er reagiert als Speichermedium. Austräge
sind dadurch vermeidbar. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass vor allem Dünger tierischer
Herkunft dem Bedarf angepasst verabreicht werden. P-Anreicherungen im Boden stellen ein
hohes Belastungspotenzial für Gewässer dar, da P über den partikelgebundenen, erosiven
Transport ausgetragen wird (FREDE und BACH, 2003; SAPORITO und LANYON, 2004).
In der Landwirtschaft wird der natürliche P-Kreislauf durch die Abfuhr der Ernteprodukte
unterbrochen (Abbildung 9). Dieser Output muss wie bei Stickstoff durch einen entspre­
chenden Input ausgeglichen werden.
Abbildung 9:
5
Schema des P-Kreislaufes (nach OECD, 2004, modifiziert)
www.oecd.org/agr/env/indicators.htm.
5
48
3.1
Ergebnisse der P-Bilanzierung
Für P ist, im Gegensatz zu N, grundsätzlich anzustreben, dass die Zufuhr dem Entzug der
abgefahrenen P-Mengen entsprechen sollte. Der P-Überschuss in der Flächenbilanz der
Bundesrepublik Deutschland liegt mit ca. 37.000 t P im Mittel der Jahre 2000 bis 2002 in
einem akzeptablen Bereich. Bezogen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche sind das
2,2 kg ha-1 P (Abbildung 10).
Abbildung 10: Phosphor-Bilanzparameter für die Bundesrepublik Deutschland
Im Hinblick auf Ressourcenschonung und Verbesserung der Nachhaltigkeit konnten im
letzten Jahrzehnt erhebliche Fortschritte verzeichnet werden. Allerdings muss auch festge­
stellt werden, dass sich die P-Bilanzen der Betriebe in Abhängigkeit von der Produktions­
struktur deutlich unterscheiden. Marktfruchtbetriebe und Betriebe der organischen Land­
wirtschaft weisen oft negative P-Bilanzen auf, während Veredlungsbetriebe deutlich positi­
ve P-Salden aufzeigen (FREDE und BACH, 2003; TUNNEY et al., 2003).
P-Überhänge werden im Boden akkumuliert, die P-Gehalte steigen an und erhöhen so das
Risiko der Gewässereutrophierung (Abbildung 11).
Nährstoffe
49
Abbildung 11: Beziehung zwischen kumulativem P-Bilanzüberschuss und Gehalt des
Bodens an DL-löslichem P (0 bis 25 cm Bodentiefe, kumulativ 25 Ver­
suchsjahre)
3.2
P-Recycling organischer Reststoffe
Geschlossene Nährstoffkreisläufe werden gefördert, indem Reststoffe ökologisch verträg­
lich wiederverwertet werden, um natürliche Ressourcen zu schonen. Die Verknappung der
Rohstoffe, und hierzu zählt im Bereich der Landwirtschaft vor allem die endliche Ressour­
ce Phosphor, wirft schon seit Jahren die Frage nach alternativen Lösungen der Wiederver­
wertung phosphorhaltiger Abfallprodukte auf. Unter den phosphorhaltigen organischen
Reststoffen sind Klärschlämme und Tiermehle als besonders problematisch zu sehen und
zwar sowohl aus mengenmäßiger Sicht, als auch unter dem Aspekt des Gefährdungspoten­
zials für die menschliche Gesundheit. Die Verbrennung von Klärschlämmen und Tiermeh­
len, die die organischen Bestandteile thermisch zerstört, stellt eine Alternative zur direkten
Ausbringung auf landwirtschaftlich genutzte Flächen dar. Beide thermisch aufgearbeiteten
Produkte enthalten den Rohstoff „Phosphor“. Der Einsatz der Sekundärrohstoffe Tiermehl­
und Klärschlammasche als Phosphor-Quelle steht deshalb in Einklang mit einem nachhalti­
gen Einsatz dieser Ressource.
Im Vergleich zu den Originalprodukten (Klärschlamm, Tiermehl) liegt mit den Aschen ein
definierteres, d. h. in seiner Zusammensetzung kontrollierbares Produkt vor. Untersuchun­
gen von FAN et al. (2003), FLECKENSTEIN et al. (1998), HANEKLAUS et al. (2000), ROGASIK
et al. (2003) und ROSYADI et al. (2001) zum Einsatz von Klärschlamm- und Tiermehl­
aschen als Phosphorquelle ergaben, dass beide als „Sekundärrohstoffdünger“ geeignet wä­
50
ren (Tabelle 3), sofern bei deren Anwendung die Mengen an ausgebrachten, umweltrele­
vanten Elementen berücksichtigt werden.
Tabelle 3:
Ausgewählte Nährstoffgehalte für Tiermehl- und Klärschlammaschen
Inhaltsstoffe [ %]
Pgesamt
Pcitric acid
Ca
Na
Tiermehlasche
18,6
7,0
34,3
2,3
Klärschlammasche
3,6
2,0
45,0
0,3
Quelle: Rosyadi (2004).
Die Entwicklung neuer Düngemittel und Düngungsstrategien auf der Grundlage von
schwermetallarmen, aus tierischen Aschen gewonnenen Ca-Phosphaten ist ein wichtiger
Schritt auf dem Weg zu einer sinnvollen Wiederverwertung des Rohstoffes Phosphor und
damit zu einem geschlossenen P-Kreislauf.
3.3
Kommen wir im Jahr 2025 zu einem geschlossenen P-Kreislauf?
P-Bilanzen sind gegenwärtig Teil zahlreicher administrativer Maßnahmen zur Verringe­
rung von P-Verlusten aus der Landwirtschaft. Dies ist notwendig, um
–
P-Quellen, Austragspfade und Flussraten zu identifizieren,
–
ein nachhaltiges landwirtschaftliches Management zur Kontrolle der P-Verluste zu
etablieren sowie
–
die Methodenstandardisierung voranzutreiben.
Aus der Sicht von Landwirtschaft und Umwelt ist einzuschätzen, dass die bodenschutz- und
düngerrechtlichen Regelungen der kommenden Jahre zu geschlossenen P-Kreisläufen füh­
ren werden.
Nährstoffe
51
Abbildung 12: Ackerbau und Umwelt - Einschätzung der P-Effizienz
4
Zusammenfassung
Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Nährstoffzufuhr und Nährstoffentzug ist unerläss­
lich für ein hohes Ertragsniveau, die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, Minimierung der
Nährstoffausträge und damit für eine nachhaltige Ressourcennutzung. Permanent hohe
Nährstoffüberschüsse vergrößern das potenzielle Risiko der Umweltverschmutzung, aber
auch Unterversorgung mit Nährstoffen gefährdet die Ressource „Boden“ und zwar durch
„nutrient mining“, Bodendegradation und abnehmende Bodenfruchtbarkeit.
N- und P-Bilanzen sind gegenwärtig Bestandteil zahlreicher administrativer Maßnahmen
zur Verringerung von Nährstoffverlusten aus der Landwirtschaft. Dies ist notwendig, um
–
Quellen, Austragspfade und Flussraten zu identifizieren,
–
ein nachhaltiges landwirtschaftliches Management zur Kontrolle der Nährstoffverluste
zu etablieren sowie
–
die Methodenstandardisierung voranzutreiben.
Einen geschlossenen N-Kreislauf wird es in der Landwirtschaft nicht geben, denn der
menschliche Einfluss auf die vielfältigen Transferprozesse von Stickstoff in die Hydro- und
52
Atmosphäre ist begrenzt. Realistisch bleibt die Forderung nach einer verbesserten NEffizienz.
Aus der Sicht von Landwirtschaft und Umwelt ist allerdings einzuschätzen, dass boden­
schutz- und düngerrechtliche Regelungen zu geschlossenen P-Kreisläufen führen werden.
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56 Ökologischer Landbau
57
Wie sieht der energieautarke Hof mit optimierter Nährstoff­
bilanz im Jahr 2025 aus?
Hans Marten Paulsen und Gerold Rahmann
1
1
Einleitung
Landwirtschaftliche Betriebe sind Produzenten von Biomasse. Erzeugt werden Pflanzen,
Tiere, tierische Produkte und Wirtschaftsdünger, die als Verkaufsprodukt, Futter, Energie­
quelle oder als Dünger genutzt werden. Grundlage für die tierische Erzeugung ist die
Pflanzenproduktion. Motor des Pflanzenwachstums sind Sonnenlicht, Wasser, Kohlendi­
oxid und Nährstoffe. Zusätzlich beansprucht Pflanzenbau Fläche. Dies ist für alle Betriebs­
typen gleich.
Im ökologischen Landbau bestehen jedoch durch die zugrunde liegende Produktionsweise
und die Philosophie des Anbausystems einige Besonderheiten, die hinsichtlich der weiteren
Verbesserung der Umweltverträglichkeit und der Leistungsfähigkeit der Produktion deutli­
ches Optimierungspotenzial aufweisen. Durch den Verzicht auf chemisch-synthetische
Düngemittel besteht hier ein systemimmanenter Zwang zur Verbesserung der Nährstoffef­
fizienz. Weiterhin wäre eine weitere Verbesserung der Umweltfreundlichkeit der Produkti­
on, z. B. auch durch die Erzeugung eigener Energie, ein zusätzlicher Benefit für das Mar­
keting der Betriebe. Auch für die politische Ausgestaltung der Landwirtschaft der Zukunft
wird die Gestaltung umweltfreundlicher Betriebe mit günstiger Kohlenstoff(C)- und Stickstoff(N)-Bilanz richtungweisend sein.
Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten ein ökologisch wirtschaftender Be­
trieb hat, um sich dem Ideal der energieautarken und nährstoffoptimierten Produktion an­
zunähern. Bis 2025 wäre es durch entsprechende Ausgestaltung der politischen Rahmenbe­
dingungen durchaus möglich, auf breiter Basis umweltfreundliche Produktionseinheiten
dieser Art eingeführt zu haben.
1
Dir. und Prof. PD Dr. Gerold Rahmann und Dr. Hans-Marten Paulsen, Institut für ökologischen Land­
bau (FAL), Trenthorst 32, 23847 Westerau
E-Mail: gerold.rahmann@fal.de, hans.paulsen@fal.de
58
2 Besonderheiten des ökologischen Landbaus und Optimierungs­
potenzial
2.1 Zwang zur Gründüngung
Im ökologischen Landbau besteht durch den Zwang zum Leguminosenanbau die Notwendig­
keit von Grünbrachen oder von Feldfutterbau. Auch Leguminosen als Untersaaten und Zwi­
schenfrucht zur N-Anreicherung sowie Nichtleguminosen als Winterzwischenfrüchte, um
Nährstoffe vor der Auswaschung zu schützen, sind unverzichtbare Bestandteile ökologischer
Fruchtfolgen. Auch wenn ökologische Betriebe in der Gesamt N-Bilanz geringere Über­
schüsse aufweisen als konventionelle Betriebe (KORSAETH und ELTUN, 2000) ist der Legu­
minosenbau ein „hot spot“ für N-Austräge (BERRY et al., 2003; JENSEN et al. 2004) und das
Einarbeiten organischer Grünmasse eine relativ ungezielte Arte der Düngung. Unter den Ge­
sichtspunkten der Düngungseffizienz und des Umweltschutzes haben Grünbracheflächen
daher ein Optimierungspotenzial. Jedoch ist der Düngewert von Gründüngungsflächen (LO­
GES, 1998) in der Vollkostenrechnung zu berücksichtigen (LABER, 2003) und besonders in
ökologischen Betrieben ein wesentlicher Faktor für das Betriebseinkommen.
2.2 Mangel an beweglichen Nährstoffquellen im Betrieb
Ökologisch wirtschaftende Betriebe können Ihren Nährstoffbedarf nur begrenzt durch den
Import von Düngemitteln decken. Zulässig sind z. B. die Zufuhr von P, K und Mg aus na­
türlichen Quellen im Rahmen einer Entzugsdüngung oder dann, wenn eine unzureichende
Bodenversorgung nachgewiesen wird. Als N-haltige Dünger dürfen Wirtschaftsdünger so­
wie organisches Material aus ökologischer Erzeugung importiert werden (EU, 1991). Je­
doch wird dieses Material meist in den Betrieben benötigt in denen es anfällt. Es steht da­
mit für Betriebe ohne Viehhaltung in der Regel nicht zur Verfügung.
In allen viehhaltenden Betrieben werden Körnerfrüchte und Stroh zu tierischen Produkten
aber auch zu Wirtschaftsdünger veredelt; in wiederkäuerhaltenden Betrieben auch die
Grünmasse des Feldfutterbaus. Dadurch existieren hier mobile Nährstoffmengen, mit denen
Versorgungsengpässe bei der pflanzlichen Produktion geschlossen werden können. Die
konsequente Nutzung jedes Grünaufwuchses als Viehfutter ist unter Gesichtspunkten der
Futterqualität, der benötigten Futtermenge und auch aus Kostengründen jedoch meist nicht
möglich. Während Gülle, Jauche und Biogasgülle N in pflanzenverfügbarer Form enthalten
und daher pflanzenbedarfsgerecht ausgebracht werden können, erfordert die N-Freisetzung
von Stallmist und unvergorenen organischen Materialien deutlich mehr Zeit und ist unkon­
trollierter. Zudem werden die festen Materialien meist vor dem Anbau der Kulturpflanzen
ausgebracht, so dass Pflanzenwachstum und Umweltbelastungen beim Einsatz dieser Dün­
gerformen weniger steuerbar sind.
Ökologischer Landbau
59
Bei Grünbracheflächen im Rahmen der zurzeit noch gültigen konjunkturellen Flächenstill­
legung verbleibt vor allem bei viehlosen Betrieben die oberirdische organische Masse meist
vollständig auf den Flächen. Die darin enthaltenen Nährstoffmengen sind damit immobil
und können nur relativ ungezielt ausgenutzt werden.
Die Verordnungen zum ökologischen Landbau favorisieren zwar eine Bodendüngung statt
einer Pflanzendüngung, jedoch wäre es im Sinne der Einsparung ohnehin knapper Pflan­
zennährstoffe und der Vermeidung von Nährstoffausträgen für den ökologischen Landbau
sehr interessant, anstelle von festen organischen Wirtschaftsdüngern oder in den Boden
eingearbeiteten Pflanzenmaterialien mobile wirksame Düngemittel zu erzeugen und deren
pflanzenverfügbare Nährstoffe gezielt in den Versorgungslücken der Pflanzen zuzuführen.
Die Schaffung solcher mobilen Düngepools ist daher für alle Betriebstypen anzustreben.
2.3
Marketingansatz: Umwelt- und klimafreundlich
Umweltfreundliche Produktion ist ein wichtiges Kriterium für die Kaufentscheidung ökolo­
gisch erzeugter Produkte. Zunehmend gelangen auch Gesichtspunkte und Möglichkeiten des
Klimaschutzes durch den Anbau nachwachsender Energieträger ins öffentliche und politische
Interesse. Die Nutzung betriebseigener regenerativer Treibstoffe oder der Anbau von Ener­
giepflanzen für die Vergärung in Biogasanlagen sind auch im ökologischen Landbau heute
bereits Gegenstand verschiedener Forschungsprojekte (BMU, 2004; MÖLLER, 2003).
Der in ökologischen Betrieben notwendige oben beschriebene Leguminosenanbau bietet
hier Chancen zur Biomassebereitstellung für die Energiegewinnung. Die Einführung von
Biogasanlagen in landwirtschaftliche Betriebe führt zu einer Kombination der Aspekte der
CO2-neutralen Energiebereitstellung und der Mobilisierung organisch gebundener Pflan­
zennährstoffe (MÖLLER, 2003) und wird daher 2025 besonders im ökologischen Landbau
ein wichtiger Bestandteil der Produktion sein.
3 2025: Biogasanlagen zur Optimierung der Nährstoffverteilung und
-ausnutzung
In Biogasanlagen können erhebliche Energiemengen erzeugt werden. Bei der Vergärung
von Gülle werden Kofermentate für einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen für not­
wendig erachtet (KEYMER, 2002). Bei der Kofermentation von Gras und Grassilage wird
mit Biogasmengen zwischen ca. 100 und 500 m3/t Frischmasse gerechnet (KEYMER und
ACHNER, 2003). In Marktfruchtbetrieben können Trockenfermentationsverfahren zur Ver­
gärung von Pflanzenmaterial eingesetzt werden (ASCHMAN und MITTERLEITNER, 2002).
Die Wirtschaftlichkeit von Biogasanlagen wird jedoch überwiegend von der Stromerzeu­
60
gung und der Einspeisevergütung beeinflusst (KÖTTNER, 2002), da z. B. die Nutzung der
entstehenden Wärme nur in wenigen Fällen vollständig möglich ist (KEYMER, 2002). Die
Rentabilität der Biogasproduktion wird aber auch in Zukunft stark von betriebsspezifischen
Rahmenbedingungen abhängen und über Investitionsentscheidungen entscheiden. So ist
zum Beispiel der betriebsinterne Düngewert der Biogasgülle für ökologischen Betriebe
sicherlich höher anzusetzen, als in den gängigen Kalkulationen für Biogasanlagen, da N­
haltige Düngemittel nicht importiert werden können. Auch gibt es im ökologischen Land­
bau heute bereits erhebliche Probleme mit der P-Nachlieferung aus Böden (SCHULTE, 1996;
EMMERLING und SCHRÖDER, 1999; PAGEL et al., 1999; OEHL et al., 2002). Die ausschließ­
lich als Dünger zulässigen Rohphosphate haben erhebliche Wirkungsdefizite gegenüber
aufgeschlossenen P-Düngern. Daher wird in Zukunft für ökologische Betriebe auch die
Zufuhr von dem pflanzenverfügbarem P, das vorher von Pflanzen aufgenommen wurde und
in die Biogasgülle gelangt, unverzichtbares Element in der Düngung werden und die Ren­
2
tabilität der Biogasanlagen zusätzlich zu steigern..
Zum Beispiel liefert bei einer Grünbrache ein Schnitt mit 15 t ha-1 bei vorsichtiger Ab­
schätzung ca. 1.500 m3 Biogas (kalkuliert mit Werten für Wiesengras nach KEYMER und
SCHILCHER, 2003). Das entspricht 8.400 kWh und damit ca. 840 l Heizöl. Zusätzlich wer­
den pro Hektar ca. 100 kg N und 8 kg P abgefahren und in der Biogasanlage mobilisiert.
Werden alle Aufwüchse der Flächen konsequent zu Biogas vergoren können pro Hektar
zwischen 10 und 400 N für die Düngung verfügbar werden (Tabelle 1) und große Mengen
Heizöl ersetzt werden.
Tabelle 1:
N-Entzüge durch vergärbare Aufwüchse
Vergärbare Aufwüchse
Kleegras
Zwischenfrüchte
Erbsenstroh
Getreidestroh
Rapsstroh
-1
N-Menge (kg ha )
250
50
40
10
40
- 400
- 120
­ 80
­ 30
­ 80
Quelle: Möller (2004); Rapsstroh ergänzt.
2
Grundsätzlich ist die Frage der Verwendung von Klärschlämmen bzw. menschlicher Fäkalien neu zu dis­
kutieren. Deren Rohstoffe wie Phosphor, Kalium und andere Elemente sowie Nährstoffe stellen eine wert­
volle Ressource dar und werden langfristig für einen „wirklich“ nachhaltigen Stoffkreislauf benötigt wer­
den. Dann sind aber die mit Klärschlamm verbundenen Risiken wie pathogene Keime, Reststoffe von Me­
dizinalstoffen und Hormonen, organische und anorganische toxische Verbindungen, Schwermetalle etc. zu
eliminieren, damit eine Belastung von Böden, Luft und Wasser vermieden wird. Es gibt bereits heute kon­
zeptionelle Ansätze der getrennten Sammlung von menschlichen Fäkalien und sonstigen Abwässern. Hier
ist jedoch ein erheblicher infrastruktureller Aufwand notwendig, der in den nächsten 20 Jahren nicht be­
wältigt werden kann. Deswegen wird dieses Thema hier nicht weiter behandelt.
Ökologischer Landbau
61
Bei der Betrachtung ganzer Fruchtfolgen wird deutlich, das in viehlosen Betrieben (Tabelle
2) für die düngerbedürftigen Kulturen durch konsequente Vergärung von Grünschnitten
und Stroh in Biogasanlagen erhebliche N-Mengen als mobil einsetzbarer Dünger zur Ver­
fügung gestellt werden können. Für 6 ha Anbaufläche sind dies nach der Abschätzung
500 kg N und zusätzlich 70 kg P, also durchschnittlich 80 kg ha-1 N und 11 kg ha-1 P. Zu­
sätzlich bleibt der im Wurzelraum der Leguminosen verfügbare N als langsam mobilisier­
barer immobiler Dünger vorhanden. Im viehhaltenden Betrieb können durch Nutzung von
nicht als Einstreu benötigtem Stroh und Restschnitten von Futterflächen in einer Biogasan­
lage, zusätzlich zur ohnehin stattfindenden Nährstoffverteilung über die Wirtschaftsdünger,
ca. 40 kg ha-1 N und 4-5 kg ha-1 P in der Fruchtfolge verteilt werden (Tabelle 2). Durch die
Entnahme der oberirdischen Pflanzenmasse wird eine unkontrollierte Nährstofffreisetzung
vermieden und ungewollte Austräge vermieden.
Tabelle 2:
Abschätzung zusätzlich verfügbarer mobiler N- und P-Mengen zur gezielten
Düngung in der Fruchtfolge bei Vergärung von Grünschnitten und Stroh in
einer Biogasanlage im viehlosen Betrieb
Marktfruchtbetrieb,
viehlosa
für Biogas
Kleegras
3 Schnitte
Winterweizen
üüü
Mobiles N u. P
kg ha-1
Nährstoffmengen
300 N, 30 P
Immobil: 200 N ha-1
Stroh
20 N, 4 P
Hafer
Stroh
20 N, 4 P
Erbsen
Stroh
50 N, 10 P
Stroh
40 N, 8 P
Stroh
1 Schnitt
20 N, 4 P
50 N, 10 P
Winterraps
Dinkel
mit Kleegrasuntersaat
üüü
üüü = Düngung, aFruchtfolge ‚Marktfrucht’ im Versuchsbetrieb Trenthorst, FAL
Verfügbare
Mobiler Düngepool
500 N
70 P
für 6 ha
62
Tabelle 3:
Abschätzung zusätzlich verfügbarer mobiler N- und P-Mengen zur gezielten
Düngung in der Fruchtfolge durch Vergärung von Grünschnitten und Stroh in
einer Biogasanlage im Vieh haltenden Betrieb
Milchviehbetrieba
für Biogas
Mobiles N u. P
kg ha
Kleegras
üüü
Kleegras
Winterweizen
üüü
1 Schnitt
100 N, 10 P
1 Schnitt
100 N, 10 P
Stallmist/Biogas
Hafer/Ackerbohne
Stroh
Erbsen/Sommergerste
Stallmist/Biogas
Triticale
mit Kleegrasuntersaat
Stallmist/Biogas
-
+ Grünlandflächen
üüü
-1
1 Schnitt
35 N, 7 P
Verfügbare
Nährstoffmengen
Immobil: 200 N ha-1
Mobiler Düngepool
280 N
32 P
für 6 ha
und Grünland
50 N, 5 P
üüü = Düngung, aFruchtfolge ‚Milchvieh’ im Versuchsbetrieb Trenthorst, FAL
4
2025: Der energieautarke Hof
4.1
Strom- und Wärmegewinnung
Die Strom- und Wärmegewinnung in Biogasanlagen, kann in landwirtschaftlichen Betrie­
ben z. B. durch Windkraftanlagen, Solarzellen, Holzhackschnitzel und Holz- und Strohhei­
zungen und Solarwärme ergänzt werden. Strom und Wärme können im landwirtschaftli­
chen Betrieb bereits heute schon im ausreichenden Maße für Eigen- und Betriebsbedarf zur
Verfügung gestellt werden.
Laufende Forschungs- und Demonstrationsprojekte beschäftigen sich heute mit der effi­
zienten Bereitstellung von Biomasse. So werden spezielle Maissorten mit hohem Masseer­
trag für den ökologischen Anbau gezüchtet (KWS, 2004). Das Zweikultur-Nutzungssystem (SCHEFFER, 2000; SCHEFFER et al. 2003) erlaubt die zweimalige Beerntung von
Biomasse und/oder Körnern aufeinander folgender Früchte. Zu nennen ist z. B. das Verfah­
ren, das von GRASS und SCHEFFER (2003) vorgestellt wurde, bei dem im Herbst als Erstkul­
tur früh erntbare Arten für die Biomassegewinnung angebaut werden (Wintererbsen oder
Rübsen) und nach der Ernte Ende Mai als Zweitkultur Mais angebaut wird. Hierbei sind bei
zwei Ernten Flächenerträge von insgesamt über 25 t TM/ha möglich. Zusätzlich verbleiben
durch Abfuhr der Grünmasse und starken Massenwuchs weniger auswaschungsgefährdete
Rest-Nitratmengen im Boden.
Ökologischer Landbau
63
Die Entwicklungen auf diesem Sektor werden bis 2025 sicherlich tragfähige Energiekonzepte
hervorbringen. In Projekten wie dem Bioenergiehof Obernjesa (www.bioenergiehof.de) wer­
den bereits heute unter anderem durch das Zweikulturnutzungskonzept lagerfähige Energie­
speicher in Form feucht konservierter Biomasse erzeugt. Bei der dort in der Erprobung be­
findlichen Kombination von Biogasgewinnung (CH4) aus Presssaft silierter Biomasse und
der Gewinnung von Wasserstoff (H2) durch Vergasung (Pyrolyse) des getrockneten Press­
rückstandes sollen weitere Effizienzgewinne in der Gasausbeute erzielt werden. Der Vergä­
rungsprozess wird von überschüssigem Material befreit, welches einem eigenständigen Gas­
gewinnungsprozess unterzogen wird. Entwicklungen dieser Art zeigen, dass eine verbesserte
und vollständigere Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung durch neue Technologien
und Denkansätze weiterhin möglich ist. Eine ausschließliche Spezialisierung auf Biomasse­
gewinnung zur Energieerzeugung ist jedoch ein Spezialfall landwirtschaftlicher Produktion.
Aber auch durch weiteres Gedankengut ökologischer Produktion, wie z. B. die Förderung
der Biodiversität (IFOAM, 2002) ergeben sich Potenziale zur Nutzung von Biomasse.
Ökologischer Landbau zeichnet sich durch eine höhere Biodiversität im Fruchtanbau, sowie
in der Landschaftsgestaltung aus. Hecken, Feldraine und Dauerkulturen gehören hier zu
den wesentlichen Elementen. Auch die Biomasse dieser Bereiche könnte zur Energiege­
winnung genutzt werden. Weiterhin sind im ökologischen Landbau durch die fehlende
Möglichkeit chemisch-synthetische Düngemittel einzusetzen mehr Grenzstandorte der Pro­
duktivität für einjährige Ackerkulturen vorhanden als im konventionellen Landbau. Hier
könnten bei Vorhandensein entsprechender Verwertungsschienen mehrjährige Kulturen
oder Dauerkulturen etabliert werden, die Nährstoffe gut ausnutzen können und die auf sol­
chen Flächen einen nachhaltigen Ertrag liefern. Im Sinne der ökologischen Richtlinien
(IFOAM, 2002) würde damit eine standortangepasste landwirtschaftliche Produktion wie­
der aufgenommen. Die Verwertung des Pflanzenaufwuchses der genannten Flächen in Bio­
gasanlagen oder Heizanlagen würde einen weiteren wesentlichen Beitrag zur Verbesserung
der Energie-, Nährstoff- und Klimabilanz ökologischer Betriebe darstellen.
4.2
2025: Anbausysteme zur Herstellung einer Treibstoffautarkie
Vervollständigt wird die Energieautarkie von landwirtschaftlichen Betrieben durch den
Einsatz selbst erzeugter regenerativer Treibstoffe. Bioethanol, Biodiesel und extrahiertes
Pflanzenöl sind nur mit erheblichem technischen Aufwand in Großanlagen zu gewinnen.
Kaltgepresstes Pflanzenöl kann dagegen auch in kleineren Einheiten produziert werden, die
eher dem Ziel einer größtmöglichen Regionalität der Produktion bei ökologischer Wirt­
schaftsweise (OPPERMANN, 2003) entsprechen. Heute wird Pflanzenöl bereits in darauf spe­
zialisierten ökologischen landwirtschaftlichen Betrieben oder in kleineren Ölmühlen ge­
presst. Zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit wird hier heute zum Teil auch konventioneller
Raps verarbeitet und Öl und Ölkuchen getrennt vermarktet.
64
Pflanzenölmotoren sind heute bereits ebenfalls verfügbar und werden bisher meist auf eige­
nes Risiko von Landwirten, Spediteuren und PKW-Fahrern aber in enger Absprache und mit
Kulanz der Umrüstfirmen betrieben. Im sogenannten 100-Schlepper Programm der Bundes­
regierung wird der Betrieb von verschiedenen Umrüstern auf Pflanzenölbetrieb modifizierten
Schleppern wissenschaftlich untersucht. 70 % der Schlepper laufen dabei ohne größere Stö­
rungen. Die Störungsanfälligkeit ist dabei abhängig vom Motoren- und Einspritzpumpentyp
und vom Umrüster (SCHÜMANN et al., 2004). Weiterhin sind viele Störungen durch eine
schlechte Treibstoffqualität bedingt (SCHÜMANN, 2004). Die Umrüsttechnik ist für bestimmte
Schleppermodelle ausgereift, so dass es heute bereits Firmen gibt, die auf Ihre Motorumrüs­
tung Garantien geben. Blockiert wird die Entwicklung zurzeit durch mangelndes Interesse
von Motoren- und Schlepperherstellern, die notwendige Entwicklungsarbeit für eine Serien­
fertigung verschiedener Pflanzenölmotoren zu leisten. Die Umrüstkosten sind daher hoch, da
für neue Motorenentwicklungen auch jeweils neue Umrüstkonzepte gefunden werden müs­
sen. Jedoch ist zu erwarten, dass es bis 2025 zu einer deutlichen Verteuerung der Ölpreise
gekommen ist und auch die Dieselrückvergütung für Landwirte bis dorthin weggefallen oder
durch Pauschalzahlungen ersetzt ist. Daher wird der Betrieb mit Pflanzenöl zunehmend ren­
tabler werden und die Nachfrage aus der Praxis nach Motoren dieser Art steigen. Denn be­
reits heute wird aus dem Speditionsgewerbe über sehr hohe Laufleistungen pflanzenölgetrie­
bener LKWs berichtet, die mit deutlichen Kostenvorteilen gegenüber Mineralölbetrieb fah­
ren. Einsatzerfahrungen liegen jedoch bis heute überwiegend mit Rapsöl vor. Mit anderen
Ölen sind Versuche zum Betrieb von Motoren erst in kleineren Studien durchgeführt worden
(NIEMIE et al., 1999; BERNARDO et al., 2003). Für die Herstellung einer Treibstoffautarkie im
ökologischen Anbau ist der Einsatz von Ölen verschiedener Kulturpflanzen jedoch zwingend,
denn aus Gründen der Fruchtfolge und der Minimierung des Anbaurisikos kann hier nicht
ausschließlich auf Raps gesetzt werden (PAULSEN, 2003).
4.2.1
Optimierte Grünbrache (Teilbrache)
Da Raps im ökologischen Landbau unter starkem Schädlingsdruck leidet, ist er normaler­
weise nicht Bestandteil der Fruchtfolgen (PETTERSON, 2002). Um aber sein hohes Ertrags­
potenzial auch im ökologischen Betrieb für die Treibstoffgewinnung verfügbar zu machen,
wurde in Forschungsarbeiten der letzten Jahren Experimente zur Etablierung von Kleeun­
tersaaten im ökologischen Winterrapsanbau angestellt (P AULSEN et al., 2003a, Abbildung
1). Der Raps profitiert im Anbaujahr nicht von der N-Lieferung des Klees (Tabelle 4). Für
den Nachbau z. B. von Weizen ist durch diese Anbauform aber noch eine gute Vorfrucht
vorhanden. Die Versuche zeigten, dass diese Variante eine wertvolle Aufwertung der Grün­
brachefläche darstellt und gleichzeitig das hohe Anbaurisiko von Winterraps auf die
ohnehin in der Fruchtfolge notwendige Grünbrachefläche verlagert werden kann. Auf diese
Weise können selbst in Jahren schwachen Ertrages immerhin noch 300 l Öl pro Hektar er­
zeugt werden. Da der Treibstoffbedarf ökologischer Produktion zwischen 50 und 150 l ha-1
Ökologischer Landbau
65
liegt (HOLZ, 2002; PAULSEN, 2003) kann mit dieser Ölmenge der Treibstoffbedarf für
durchschnittlich 3 ha Landbewirtschaftung sichergestellt werden. Diese Ölmenge entspricht
auch der zugrundeliegenden Ertragserwartung im Konzept des Mischfruchtanbaus mit Öl­
pflanzen, das im folgenden Abschnitt erläutert wird.
Zusätzlich zur Öllieferung hinterlässt bei der Teilbrache eine Hauptkultur mit Ihrer Unter­
saat Klee(gras)-Kohlenstoff (C) für die Biogasanlage und N für die Nachfrucht und passt in
das vorher vorgestellte Konzept zur Schaffung mobiler Düngemittel bei gleichzeitiger
Energiegewinnung und Verminderung von Nährstoffverlusten.
Abbildung 1:
Tabelle 4:
Winterraps mit Weißkleeuntersaat, Trenthorst, Herbst 2001
Kornerträge, N-Entzüge und N-Aufnahme von Winterraps mit und ohne
Weißkleeuntersaat sowie Kornerträge der Nachfrucht Hafer, Trenthorst 2002
und 2003
Anbauvariante
Korn-
N-Gehalte [%] bzw. (N-Aufnahme) [kg ha-1]
ertrag
dt ha-1
Pflanze
-1
kg ha
a
Hafer
Stroh
dt ha-1
Blühbeginn
Ertrag 03
Nmin Mrz./03
Nachfrucht
0-90 cm
Hafer
a
kg ha-1
dt ha-1
Mit Kleeuntersaat
8,6
2,2 (69)
104
75
- (44)
75
104
Ohne Kleeuntersaat
8,9
2,3 (87)
79
56
- (73)
56
79
F-Testa
ns
ns
ns
***
ns
***
ns
a
a
: *** = P = 0,001; ns = nicht signifikant; = Böhm (2003), unveröffentlicht, Rohertrag.
66
4.2.2
Mischfruchtanbau mit Ölpflanzen
Beim Mischfruchtanbau mit Ölpflanzen werden Ölpflanzen mit anderen Kulturen gemeinsam
angebaut. Pflanzenbauliche Vorteile können z. B. durch eine verbesserte Unkrautunterdrü­
ckung durch dichtere Bestände, durch Stützwirkungen und durch eine höhere Ertragselastizität
gegeben sein (BRANDT et al., 2002; PAULSEN und SCHOCHOW, 2004). Mischfruchtanbau passt
besonders in ökologische Betriebe, da dort keine Pestizide eingesetzt werden und es zu keinen
Mittelunverträglichkeiten bei den verschiedenen Pflanzen kommt. Zur Zeit werden Mischun­
gen von Leindotter (Abbildung 2), Färberdistel (Abbildung 3), Senf, Raps, Öllein (Abbildung
4) und Sonnenblume (Abbildung 5) mit Leguminosen, Getreide bzw. Mais oder miteinander
(Abbildung 6) erprobt (BRANDT et al., 2003; IEU 2003; MAKOWSKI und PSCHEIDL, 2003;
PAULSEN, 2003; PAULSEN et al., 2003b; PAULSEN, 2004; PAULSEN et al. 2004). Das Ertragspo­
tenzial der Ölfrüchte im Mischanbau ist stark abhängig von den Standortbedingungen, Klima
und Witterung. In normalen Anbaujahren kann neben der Ernte der Hauptkultur mit zusätzli­
chen Ölerträgen von der Ölsaat zwischen 100 und 300 kg ha-1 gerechnet werden. Gelingt es
Ölfrüchte als Mischkultur in mehreren Fruchtfolgegliedern zu etablieren, kann der Treibstoff­
bedarf für die Flächenbewirtschaftung allein mit Ölen aus Mischfruchtanbau sichergestellt
werden (Tabelle 5). Wird zusätzlich Raps als Fruchtfolgeglied, z. B. in Form der oben be­
schriebenen Teilbrache eingeführt, übertrifft die Pflanzenölerzeugung der Treibstoffbedarf
deutlich.
Anbausysteme dieser Art werden sich in Zukunft gerade im ökologischen Landbau noch wei­
ter durchsetzen. Erforderlich sind aber technische Anpassungen bei der Drilltechnik und der
Saatgutreinigung (PAULSEN et al., 2003c). Bei den Motoren ist weitere Entwicklungsarbeit
zur Anpassung an verschiedene Ölqualitäten und auf Treibstoffseite Forschung zur Standar­
disierung von Mischölen oder Nicht-Rapsölen zur Treibstoffnutzung notwendig.
Ökologischer Landbau
67
Abbildung 2: Erntegut aus Mischfruchtanbau
von Erbsen u. Leindotter,
Trenthorst 2004
Abbildung 3:Mischfruchtanbau von Lupine u.
Färberdistel, Trenthorst 2004 Abbildung 4:Mischfruchtanbau von Sommerweizen u. Öllein, Trenthorst 2004
Abbildung 5: Mischfruchtanbau von Mais u.
Sonnenblumen, Trenthorst 2004
68
Abbildung 6:
Tabelle 5:
Mischfruchtanbau von Öllein u. Leindotter, Trenthorst 2004
Abschätzung der Korn- und Ölerträge und des Treibstoffbedarfs für die Flä­
chenbewirtschaftung einer Fruchtfolge mit Ölkulturen in Mischkultur mit
und ohne Raps auf der Grünbrache im ökologischen Landbau
*
**
Kornertrag
Ölertrag
dt ha-1
kg ha-1
kg ha-1
Klee mit Raps (Teilbrache)
Klee ohne Raps
Winterweizen-Leindotter
(8)
40/4
(240)
120
140
120
120
Lupine-Saflor
Mais-Sonnenblumea
25/8
20/6
8/10
240
200
300
120
140
120
Kulturen
Öllein-Leindotter
860 (-1100)
Fruchtfolge [kg gesamt]
* 30 % Ölausbeute, Sonnenblume 40 % zusätzlich fällt Ölkuchen an; ** nach Holz (2002).
a
b
b
Abschätzung noch im Versuchsstadium; nur Leindotteröl.
Treibstoffbedarf
620-640
Ökologischer Landbau
5
69
Zusammenfassung
Anhand laufender Forschungsprojekte wird beschrieben, welche Möglichkeiten der ökolo­
gische Landbau hat, in Zukunft energieautark und nährstoffoptimiert arbeiten zu können.
2025 wird der ökologische Landbau durch eine konsequente Nutzung aller produktionsspe­
zifischen Koppelprodukte des Pflanzenbaus und in geringerem Maße auch von eigens an­
gebauten Energiepflanzen erhebliche Mengen organisches Material in Biogasanlagen ver­
werten. Die für eine weitere Intensivierung durch gezielte Nährstoffzufuhr in der Pflanzen­
produktion notwendige N-und P-Mobilität wird durch diese Maßnahme geschaffen. Gleich­
zeitig verringert die konsequente Abfuhr der oberirdischen Pflanzenmasse von den Flächen
eine unkontrollierte N-Mineralisierung und damit die Auswaschungsgefahr. In Kombinati­
on mit anderen bereits heute anwendbaren Methoden der regenerativen Energiegewinnung
(u. a. Windkraft, Sonnenenergie, Holzheizung, Vergasung von Feststoffen) wird eine
Elektrizitäts- und Wärmeautarkie in den Betrieben möglich sein. Bis 2025 wird diese Ent­
wicklung durch steigende Energiepreise und politische Rahmenbedingungen deutlich vo­
rangeschritten sein.
Durch eine Intensivierung der Brachenutzung in Form eines Anbaus von Energiepflanzen
mit Kleeuntersaaten werden punktuelle N-Überschüsse vermindert und der nutzbare Ener­
gieertrag der Flächen diversifiziert und erhöht. Die Erzeugung von Pflanzenöl im Misch­
fruchtanbau von Ölpflanzen mit anderen Kulturen in standortangepassten Fruchtfolgen
wird den Betrieb der landwirtschaftlichen Zugmaschinen mit selbst erzeugten Treibstoffen
zulassen. Eine CO2-neutrale Energieerzeugung mit verringertem N-Austrag durch neue
Anbausysteme als weitere verbesserte Umweltleistung wird das Marketinginstrument für
ökologische Produkte im Jahr 2025 sein.
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74 Pflanzenzüchtung
75
Wohin entwickelt sich die Pflanzenzüchtung bis zum Jahr 2025?
Peter Wehling
1
1
Bedeutung und Aufgaben von Pflanzenzüchtung und Züchtungsfor­
schung
Die zentrale Bedeutung der Pflanzenzüchtung für den Ackerbau ergibt sich aus der einfa­
chen Formel P = G x U, die besagt, dass der Phänotyp (P) eines Lebewesens aus der Wech­
selwirkung seines Genotyps (G) mit der Umwelt, der es unterworfen ist (U), resultiert (Ab­
bildung 1). Diese Beziehung gilt prinzipiell für alle Lebewesen, die über einen eigenen
Stoffwechsel verfügen. Auf den Anbau von Kulturpflanzen übersetzt bedeutet dies, dass für
den agronomisch relevanten Phänotyp, den der Landwirt in Form von Ertragsleistung und ­
sicherheit, Qualität, Krankheits- und Schädlingsresistenz, Nährstoffeffizienz, etc. als Out­
put von der Kulturpflanze erwartet, Inputs zum rechten Teil der Gleichung geleistet werden
müssen. Während für die Bereitstellung einer günstigen Umwelt (Faktor U) zahlreiche
Maßnahmen wie zum Beispiel Standortwahl, Bodenbearbeitung, Düngung, Pflanzenschutz
vonnöten sind, ist für den Faktor G allein die Pflanzenzüchtung verantwortlich.
Abbildung 1:
Die zentrale Bedeutung der Pflanzenzüchtung für den Ackerbau
P=GxU
Phänotyp
Biomasse
Habitus
Inhaltsstoffe
Nutzungseffizienz (N, H2 O)
...
Genotyp
additive Geneffekte
Dominanzeffekte
epistatische Effekte
Heterosis
Umwelt
Temperatur
Wasser, Nährstoffe
Licht
Boden
Schädlinge
Krankheiten
...
Kulturpflanzen
Agronom. Leistung,
Qualität, Resistenz
1
Sorte
Pflanzenbau
Dir. und Prof. PD Dr. Peter Wehling, Institut für landwirtschaftliche Kulturen, Bundesanstalt für Züch­
tungsforschung an Kulturpflanzen, Rudolf-Schick-Platz 3a, 18190 Groß Lüsewitz
E-Mail: bafz-lk@bafz.de
76
Allgemein wird geschätzt, dass an den zum Teil enormen Ertragssteigerungen bei den ein­
zelnen Kulturpflanzen während der vergangenen 70 Jahre Pflanzenbau und Pflanzenzüch­
tung etwa je zur Hälfte beigesteuert haben. DUVICK (1984, 1992) schätzt den pflanzenzüch­
terischen Anteil an dem mit Einführung der Maishybriden 1930 einsetzenden und bis 1989
verfolgten, linearen jährlichen Ertragsanstieg bei Mais im amerikanischen Bundesstaat
Iowa auf 56 %. Nach einer konservativen Schätzung wurden 30 bis 50 % der potenziellen
Erlössteigerung im deutschen Agrarsektor in Höhe von 600 Mio. €/Jahr im Zeitraum 1980
bis 2000 durch den pflanzenzüchterischen Fortschritt beigesteuert (V. WITZKE et al., 2004).
Bei Schätzungen anteiliger Beiträge einzelner Produktionsfaktoren ist zu bedenken, dass
auch verstärkter pflanzenbaulicher Input – z. B. in Form von höherer N-Düngung, deutlich
höheren Bestandesdichten, Mechanisierung – nicht zuletzt aufgrund entsprechend ange­
passter, d. h. standfesterer, trockenheitstoleranterer und krankheitsresistenterer Sorten erst
möglich wurde. Durch die Anpassung von Zuchtzielen des Züchters an die Erfordernisse
des Landwirts einerseits und von pflanzenbaulichen Maßnahmen des Landwirts an die
durch die Sorte vorgegebenen Möglichkeiten andererseits besteht somit nicht nur auf der
biologischen, sondern auch auf der betrieblichen Ebene eine direkte Wechselwirkung zwi­
schen den Faktoren Genotyp und Umwelt.
Allgemeine Aufgabe der Pflanzenzüchtung ist es, „Pflanzen genetisch so zu verändern,
dass sie besser an die Bedürfnisse des Menschen angepasst sind“ (BECKER, 1993). Diese
Bedürfnisse lassen sich den Gebieten Ernährung, Tierfütterung, Umwelt, Industrieverwer­
tung und Verbraucherschutz zuordnen und haben sich an dem Prinzip der Nachhaltigkeit zu
orientieren. Nach SCHMID et al. (1999) können folgende mittelfristige Schwerpunkte einer
auf Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft ausgerichteten Pflanzenzüchtung gesehen werden:
–
Züchtung von Pflanzen mit Eignung für eine ressourcenschonende Erzeugung von qua­
litativ hochwertigen, gesunden Produkten unter Beibehaltung eines hohen, stabilen Er­
tragsniveaus
–
Züchterische Bearbeitung von Kultur- und Wildpflanzen zwecks Erschließung von
Märkten mit neuen Produkten
–
Entwicklung von Methoden zur Erhöhung der Geschwindigkeit und Flexibilität in der
Realisierung neuer Zuchtziele
–
Erhaltung, Charakterisierung und Nutzung genetischer Vielfalt
Diese Schwerpunkte sind aufgrund des langen zeitlichen Vorlaufs in der Realisierung ent­
sprechender Zuchtziele zunächst vorwiegend im vorwettbewerblichen Raum angeordnet. In
besonderem Maße gilt dies für die Erhaltung, Charakterisierung und Nutzung von pflan­
zengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (PGREL), denen weltweit
eine Schlüsselstellung in der Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen zukommt und
zu denen sich die Unterzeichnerstaaten des International Treaty on Plant Genetic Resour­
ces for Food and Agriculture verpflichtet haben. Soweit PGREL in züchterisch nicht adap­
Pflanzenzüchtung
77
tiertem Zustand vorliegen, bedürfen sie der besonderen Betreuung durch öffentliche Züch­
tungsforschung.
2
K
ünftige Zuchtziele
Ausgehend vom Elitegenpool des Züchters dauert die Entwicklung einer neuen Sorte 8 bis
12 Jahre. Sollte zukünftig vermehrt auf nichtadaptierte pflanzengenetische Ressourcen zu­
rückgegriffen werden, verlängert sich der erforderliche zeitliche Vorlauf entsprechend. Die
mittelfristig auf den Horizont 2025 orientierten Zuchtziele werden daher die absehbaren
Entwicklungen im Hinblick auf steigende Qualitätsanforderungen, Verbraucherschutz,
Notwendigkeit weiterer Diversifizierung der landwirtschaftlichen Produktion, sich ver­
knappende Ressourcen und Klimaentwicklung berücksichtigen. Die im Hinblick auf die
nächsten 20 Jahre und unter Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten wichtigsten Zucht­
ziele, von denen die meisten nicht völlig neu sind, jedoch zum Teil eine andere Gewichtung
als in der Vergangenheit erfahren werden, können wie folgt definiert werden:
–
Resistenz gegen Krankheiten und Schädlinge
–
Stresstoleranz (insbesondere gegen Trockenheit, Hitze; in manchen Regionen auch
gegen Salz)
–
Nährstoff- und Wassernutzungseffizienz
–
Qualitätsmerkmale und spezielle Inhaltsstoffe
–
Nachwachsende Rohstoffe
–
Alternative oder neue Kulturarten
–
Ertragssicherheit (als summarisches, allgemeines Zuchtziel)
Einige dieser Zuchtziele werden im Folgenden näher betrachtet.
3
Krankheits- und Schädlingsresistenz
Die Züchtung von Kulturpflanzen, die resistent gegen pilzliche, bakterielle und virale
Krankheitserreger oder gegen Schadinsekten sind, wird weltweit und auch in Deutschland
in ihrer Bedeutung zunehmen. Die Resistenzzüchtung wird, ernsthafter als dies bislang der
Fall war, als ein unverzichtbarer Eckpfeiler für nachhaltige PflanzenschutzmanagementKonzepte begriffen werden. Ein wachsender Stellenwert wird widerstandsfähigen Kultur­
pflanzen und bevorrateten Ernteprodukten auf globaler Ebene durch die Zunahme der
Weltbevölkerung verliehen, vor deren Hintergrund die sich auf weltweit 30 bis 40 % des
Ertragspotenzials akkumulierenden Ernte- und Vorratsverluste durch Pflanzenkrankheiten
78
und Schädlinge ein zunehmend drängendes Problem darstellen. Die Resistenzzüchtung
stellt hier einen unverzichtbaren Eckpfeiler in der Ernährungssicherung dar.
Die Entwicklung der Resistenzzüchtung als zentrale Komponente nachhaltigen Pflanzen­
schutzmanagements in Deutschland und Europa wird abhängig sein von der Schaffung po­
litischer und gesetzlicher Rahmenbedingungen zur weiteren Reduzierung des chemischen
Pflanzenschutzes sowie von der klimatischen Entwicklung in verschiedenen Regionen. Der
Einsatz von Pestiziden in Deutschland lag in den vergangenen Jahren relativ konstant bei
26.000 bis 30.000 t reinen Wirkstoffs (inkl. Herbizide). Dieser Pestizideinsatz verursacht
hohe gesamtwirtschaftliche Kosten, die von WAIBEL und FLEISCHER (1998) für die alten
Bundesländer auf umgerechnet 130 Mio. € je Jahr geschätzt werden und sich zum überwie­
genden Teil aus verbraucher- und umweltbezogenen Vorbeuge- und Folgeschädenkosten
zusammensetzen (Tabelle 1). Der potenzielle Stellenwert, den die Resistenzzüchtung – ent­
sprechende Rahmenbedingungen vorausgesetzt – als „inhärenter Pflanzenschutz“ in Ergän­
zung zum chemischen Pflanzenschutz im Hinblick auf den Verbraucher- und Umweltschutz
hat, ist evident.
Tabelle 1:
Geschätzte Kosten des Pestizideinsatzes in Deutschland (nur alte Bundes­
länder) in Mio. € je Jahr
Trinkwasserschutz
Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen
Gesundheitsschäden und Krebsfälle
Lebensmittelüberwachung
Staatliche Institutionen
Summe
66
6
12
12
34
130
Quelle: nach Waibel und Fleischer (1998).
Neben der Reduzierung des Pestizideinsatzes liegt ein weiterer verbraucherschutzrelevanter
Aspekt der Resistenzzüchtung in der Möglichkeit, durch die Züchtung von weniger fusa­
rienanfälligen Getreidesorten die Mykotoxinbelastung des Ernteguts und daraus gewonne­
ner Produkte zu reduzieren. In der Beschreibenden Sortenliste Getreide liegen die am we­
nigsten anfälligen Weizensorten bei Note 2; die genetische Variabilität für das Auffinden
von Fusarienresistenzen ist also durchaus gegeben. Durch die Einbeziehung sehr wirksamer
Resistenzquellen aus China, Japan und den USA. mit z. T. oligogener Resistenzvererbung
ist in den nächsten Jahren, insbesondere dank der Möglichkeiten zur Selektion auf diese
Gene mit Hilfe von molekularen Markern, mit weiterem Züchtungsfortschritt bei Weizen
im Hinblick auf Fusariumresistenz zu rechnen. Inwiefern gentechnische Ansätze erfolg­
reich sein werden, ist zurzeit, nicht zuletzt wegen der Zerstörung entsprechender Freiset­
zungsversuche im laufenden Jahr, schwer einzuschätzen.
Pflanzenzüchtung
79
Auch im Kartoffelbau wird in Deutschland innerhalb der nächsten 20 Jahre die Resistenz­
züchtung zunehmende Bedeutung erlangen, und zwar im Hinblick auf horizontale Resis­
tenz gegen Kraut- und Braunfäule. Mit 3 bis 14 Fungizidbehandlungen je Schlag wird in
Deutschland allein für die chemische Bekämpfung der Kraut- und Braunfäule eine hohe
Umweltbelastung verursacht (SCHEPERS, 2003). Die Kosten für Bekämpfung und infolge
von krankheitsbedingten Ertragsausfällen sowie durch Qualitätseinbußen belaufen sich auf
schätzungsweise 470 €/ha (DARSOW, 2002a). Zwar nutzt die Züchtung seit 10 bis 15 Jahren
die polygen bedingte, weitgehend rassenunabhängige Resistenzform. Hohe Umweltvarianz
und die enge genetische Korrelation von Resistenz und Spätreife der Kartoffel machen die­
se Züchtungsaufgabe jedoch sehr schwierig. Dennoch ist es gelungen, polygene Resistenz
mit früher Reifezeit und Qualität zu kombinieren (DARSOW, 2002b; DARSOW und HANSEN,
2004). Damit liegt Material vor, das zutreffender als bisheriges in der relativen Resistenz
charakterisiert ist und künftig als Vererber zur Züchtung horizontal resistenter Sorten ein­
gesetzt werden kann.
Das Spektrum der durch Resistenzzüchtung vordringlich anzusprechenden Zielorganismen
sowie deren Inzidenz und Abundanz werden sich voraussichtlich in Folge der sich vollzie­
henden Klimaveränderung auch in Deutschland verschieben. Bei steigenden Jahresdurch­
schnittstemperaturen ist mit einer Ausdehnung der geografischen Verbreitung von Wärme
liebenden Schädlingen und Krankheitserregern in neue Gebiete zu rechnen. Durch mildere
Winter werden frostempfindliche Schadinsekten und Wurzelparasiten begünstigt. So be­
schleunigt ein Temperaturanstieg bei Insekten die Entwicklungsgeschwindigkeit und den
Entwicklungszyklus; darüber hinaus werden Fraßaktivität, Mobilität bzw. Wanderung und
Populationsdynamik beeinflusst.
Ein ernstzunehmendes Problem stellt schon heute der Maiszünsler (Ostrinia nubilalis) dar.
Dieser Schädling war in Deutschland bis etwa 1960 auf einzelne wärmere, überwiegend
südliche Regionen beschränkt. In den letzten Jahrzehnten ist der Falter jedoch auch in kli­
matisch weniger begünstigte Gebiete vorgedrungen. In Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern beginnt die Besiedlung; Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind
noch befallsfrei. Ein weiteres Vordringen des Maiszünslers in den nächsten Jahren ist sehr
wahrscheinlich. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) werden durch
die Zünslerraupen weltweit jährlich 4 % der Maisernte vernichtet. Das entspricht dem Nah­
rungsbedarf von 60 Millionen Menschen. In Deutschland sind bereits mehr als 300.000 ha
Anbaufläche betroffen; in den Hauptbefallsgebieten verursacht der Schädling hier Er­
tragseinbußen bis zu 20 %. Neben tief wendender Bodenbearbeitung stellt der Einsatz re­
sistenter Sorten die effektivste Bekämpfungsmöglichkeit dar. Die Maiszünsler-Problematik
ist dank der Verfügbarkeit entsprechender Bt-Sorten das bisher überzeugendste Argument
für den Einsatz der Grünen Gentechnik in Deutschland und Europa. Auf diesem Feld wer­
den daher gentechnisch bearbeitete Maissorten in den kommenden Jahren die beste Akzep­
tanz und die meiste Verbreitung erfahren, sofern es gelingt, nachhaltig funktionierende
80
Konzepte für ein Bt-Management anzuwenden, um die Bildung von Bt-Resistenzen unter
den Schadinsekten-Populationen langfristig zu verhindern. Eine weitere Voraussetzung für
die effiziente Bekämpfung des Maiszünslers mit Hilfe der Grünen Gentechnik ist die Ent­
wicklung tragfähiger Konzepte zur Koexistenz der verschiedenen Bewirtschaftungsformen.
Ein erst vor gut 10 Jahren von Nordamerika nach Europa eingeschleppter und sich seitdem
rasant ausbreitender Maisschädling, der ein mindestens ebenso hohes Schadenspotenzial
wie der Maiszünsler aufweist, ist der Westliche Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera
virgifera). Auch hier erscheint der Anbau von Bt-Maissorten als die Bekämpfungsmethode
der Wahl.
Durch höhere, relative Luftfeuchtigkeit als Folge einer höheren Verdunstung ist eine Zu­
nahme des Befalls mit Wärme liebenden Rostpilzarten sowie mit durch Pilze verursachten
Ähren- und Wurzelinfektionen bei Nutzpflanzen zu rechnen. Bei einer Erhöhung der jährli­
chen Durchschnittstemperatur von 2 °C und etwa gleich bleibender Niederschlagsmenge
wird mit 5- bis 20fach stärkerem Auftreten von Getreiderosten in Zentraleuropa gerechnet
(JAHN et al., 1995). Mit drastischen Problemen in den kommenden Jahren ist auch im Hin­
blick auf bodenbürtige Virosen bei Weizen und Roggen zu rechnen (HUTH, 2002). An­
strengungen in der Züchtungsforschung sind daher bereits angelaufen, um Resistenzquellen
zu finden und sie für die Züchtung resistenter Sorten zu erschließen.
Mit den Möglichkeiten, die sich aus der markergestützten Selektion mit Hilfe molekularer
Marker, aus genomanalytischen Verfahren wie der DNA-Chip-Technologie sowie aus der
Gentechnik in den kommenden 20 Jahren ergeben, wird ein altes Thema der Resistenzzüch­
tung neue Impulse erhalten, nämlich „Nachhaltige Resistenzzüchtung durch dauerhafte
Resistenz“. Zur Herstellung dauerhaft resistenter Kulturpflanzen können sich, je nach
Wirt/Pathogensystem und verfügbaren genetischen und züchtungsmethodischen Ressour­
cen, verschiedene züchterische Ansätze anbieten:
–
Verwendung polygen vererbter Resistenzen („horizontale Resistenzen“)
–
Zusammenführung („Pyramidisierung“) unterschiedlicher Resistenzgene gegen dassel­
be Pathogen, u. U. in wechselnden, aufeinander abgestimmten Kombinationen („Resis­
tenzmanagement“)
–
Verbreiterung der genetischen Basis von Resistenzen durch Erschließung neuer Re­
sistenzgene aus genetischen Ressourcen
–
Suche nach rassenunabhängig wirkenden Resistenzgenen (z. B. Slow-rusting-Gene bei
Getreiderosten)
–
Erzeugung neuartiger, rassen- oder gar artunabhängig wirkender Resistenzmechanis­
men durch Gentechnik
Pflanzenzüchtung
81
Da Krankheits- und Schädlingsresistenz einen potenziellen Selektionsvorteil für den Resis­
tenzträger auch unter natürlichen Bedingungen verleiht, wird sich die letztgenannte, gen­
technische Möglichkeit auf solche Kulturarten beschränken, die kein nennenswertes Aus­
wilderungspotenzial erwarten lassen und keinen Genfluss zu verwandten Wildarten in der
Anbauregion zeigen.
4
Stresstoleranz
Es kann davon ausgegangen werden, dass Pflanzenzüchter im Zuge der zum Teil erhebli­
chen Steigerungen in den Bestandsdichten in den vergangenen Jahrzehnten und im Rahmen
der Auslese auf ausreichende Ertragsstabilität über verschiedene Umwelten bereits seit län­
gerem indirekt auf Toleranz gegenüber abiotischen Stressfaktoren, insbesondere gegenüber
Wasserknappheit, selektiert haben (DUVICK und CASSMAN, 1999; TOLLENAAR und LEE,
2002). Die bis Mitte dieses Jahrhunderts prognostizierten Änderungen im Klima könnten
allerdings weitaus größere Anforderungen an die Widerstandsfähigkeit unserer Kultur­
pflanzen stellen.
Für das Bundesland Brandenburg beispielsweise werden für den Zeitraum 2046 bis 2055
gegenüber dem Vergleichszeitraum 1951 bis 2000 generell um mehr als 2 K höhere Jah­
resmitteltemperaturen prognostiziert sowie ein Rückgang der Niederschlagsjahressummen,
welcher in weiten Teilen des Landes bei 100 bis 150 mm liegen und räumlich stark diffe­
renziert sein wird (GERSTENGARBE et al., 2003; Abbildung 2).
Sollte dieses Szenarium eintreten, ist mit tief greifenden Auswirkungen auf das Agraröko­
system zu rechnen. Das erzielbare Ertragsniveau, aber auch die relative Vorzüglichkeit von
Fruchtarten und die Fruchtfolgen, werden von einer solchen Entwicklung betroffen sein.
Für Winterweizen etwa ist mit einem durch die geringere Evapotranspiration bedingten
Rückgang des mittleren Ertrags um 17 %, für Mais dagegen mit einem leichten Anstieg um
2 % zu rechnen. Wird die photosynthesestimulierende Wirkung der ebenfalls prognostizier­
ten, erhöhten CO2-Konzentration in der Atmosphäre mit berücksichtigt, betragen die mittle­
ren Ertragsverluste bei Weizen als relativ stark reagierender C3-Pflanze nur 10 %; bei Mais
sind dagegen leichte Ertragsgewinne um 8 % zu erwarten (GERSTENGARBE et al., 2003). Es
ist davon auszugehen, dass sich die skizzierte klimatische Entwicklung bereits lange vor
dem Erreichen des Prognosezeitraums bemerkbar und nicht an den Landesgrenzen Halt
machen wird. Wasseraneignungsvermögen, Wassernutzungseffizienz und Toleranz gegen­
über temporärer Trockenheit und hohen Temperaturspitzen werden daher schon im Lauf
der kommenden zwei Jahrzehnte stärker als bisher als Zuchtziele in das Bewusstsein von
Pflanzenzüchtern und Landwirten rücken.
82
Abbildung 2: Prognostizierte Klimaveränderung im Bundesland Brandenburg im Zeit­
raum 2046 bis 2055 gegenüber dem Vergleichszeitraum 1951 bis 2000
Räumliche Verteilung der Differenzen (A) des Jahresmittels der Lufttem­
peratur und (B) der Jahressumme des Niederschlags)
Quelle:
5
Nach GERSTENGARBE et al. (2003), veränd.; mit freundlicher Genehmigung der Autoren
Alternative/„Neue“ Fruchtarten
In der konventionellen Landwirtschaft dominieren enge, wintergetreidebetonte Fruchtfol­
gen. Im Hinblick auf die sich ändernden Rahmenbedingungen der Gemeinsamen Agrarpoli­
tik der EU – Einführung von Direktzahlungen, gekoppelt an die Einhaltung von Umwelt-,
Tierschutz- und Qualitätsvorschriften (Cross Compliance) – und auf das Erfordernis zur
Senkung der betrieblichen Produktionskosten könnten weitere Fruchtfolgen in der Zukunft
für die Landwirte jedoch wieder interessanter werden. Eine Auflockerung der heutigen
Fruchtfolgen kann unter verschiedenen Aspekten attraktiv erscheinen:
–
Pestizideinsatz (Herbizide, Fungizide)
–
Herbizid- und Fungizidresistenzen
–
Düngemitteleinsatz und Nährstoffbilanzen
–
Bodenfruchtbarkeit (vs. Bodenerosion, -verdichtungen)
–
Produktionskosten (Pflugeinsatz bei getreidebetonten Fruchtfolgen)
Pflanzenzüchtung
–
Erschließung neuer Absatzmöglichkeiten durch Diversifizierung
–
Landwirtschaftliche Produktion nach ökologischen Prinzipien
–
Freizeit- und Erholungswert ländlicher Räume; Entwicklung von Kulturlandschaften
–
Biodiversität in der Landwirtschaft
83
Die züchterische Bearbeitung landwirtschaftlicher Kulturarten im Rahmen der kommerziel­
len Pflanzenzüchtung hat sich aus ökonomischen Gründen während der vergangenen fünf
Jahrzehnte auf die überschaubare Reihe der großen, anbaustarken Fruchtarten konzentriert.
Sollen weitere, bislang züchterisch vernachlässigte Fruchtarten für den Anbau beispiels­
weise als Zwischenfrüchte oder zur Erschließung neuer Wertschöpfungsmöglichkeiten –
z. B. durch Inkulturnahme von Fruchtarten mit neuen Ölqualitäten - gefördert werden, ist
die züchterische Bearbeitung solcher Fruchtarten zur Verbesserung ihrer Anbauwürdigkeit
und Rentabilität eine entscheidende Voraussetzung, um sie als „neue“ Fruchtarten in die
landwirtschaftliche Produktion sinnvoll eingliedern zu können. Dies gilt für den ökologi­
schen Landbau und die konventionelle Landwirtschaft gleichermaßen. Zu den züchterisch
wenig oder nicht bearbeiteten Kulturpflanzen zählen beispielsweise Leindotter, Amaranth,
Krambe, Ölkürbis, Lein, Saflor, Buchweizen, Topinambur, Weißer Senf, Brauner Senf,
Hanf; eine ganz neue landwirtschaftliche Kulturart wäre Cuphea mit hohem Anteil mittel­
kettiger Fettsäuren im Samenöl. Als fruchtfolgetechnisch wichtige Gruppe, die von intensi­
verer züchterischer Bearbeitung ebenfalls deutlich profitieren könnte, sind weiterhin die
Leguminosen (Ackerbohne, Erbse, Lupine) zu nennen.
Zuchtfortschritte sind insbesondere hinsichtlich der agronomischen Anpassung dieser
Fruchtarten (z. B. Ertrag und Ertragskomponenten, Habitus, Abreife, Temperaturansprüche,
Boden-pH-Verträglichkeit) sowie der Qualität (Gehalte und Zusammensetzung bei Protein,
Stärke, Öl, bzw. Faser) erforderlich. Aber auch die Resistenzzüchtung würde mit einem
größeren Anbauumfang in solchen Fruchtarten schnell Bedeutung erlangen. Ähnlich wie
dies für die Produktion von „ökologischem Saatgut“ für den Ökolandbau gilt, wird eine
züchterische Hinwendung zu bislang vernachlässigten Fruchtarten entscheidend von den
Rahmenbedingungen und den damit verknüpften, ökonomischen Perspektiven züchteri­
scher Aktivität abhängen. Mit Blick auf den anhaltenden Konsolidierungsprozess und den
steigenden, biotechnologischen Forschungsaufwand in Saatgutindustrie und Pflanzenzüch­
tung ist eine solche Hinwendung zu „kleinen“ Fruchtarten innerhalb der kommenden zwan­
zig Jahre eher als Ausnahmefall zu erwarten. Von der Gentechnik sind in dieser Hinsicht
kaum Beiträge zu erwarten, weil sie – methodisch bedingt – auf den „added value“ in etab­
lierten Kulturarten setzt und somit eher eine Entwicklung in Richtung weniger, „multifunk­
tioneller“ Fruchtarten fördern dürfte. Die züchterische Bearbeitung vernachlässigter Kul­
turarten wird sich somit hauptsächlich auf klassische Züchtungsmethoden stützen, wobei
diese durch biotechnologische Verfahren flankiert werden können.
84
Als ein Beispiel sei die durch Züchtungsforscher und Pflanzenzüchter gemeinsam bearbei­
tete Blaue Süßlupine angeführt. Die Verträglichkeit dieser Kulturart gegenüber neutralen
bis alkalischen Boden-pH-Werten soll durch Hybridisierung mit pH-toleranteren Wildlupi­
nenarten verbessert werden. Diese interspezifischen Hybridisierungen erfordern die An­
wendung biotechnologischer Verfahren, nämlich die Kultivierung isolierter Embryonen auf
künstlichem Nährmedium (Embryo Rescue) nach weiter Kreuzung bzw. die somatische
Hybridisierung durch Protoplastenfusion. Weiterhin soll die Resistenz der Blauen Süßlupi­
ne gegenüber der Anthraknose verbessert werden; hierzu werden Resistenzgene aus aus­
ländischen Herkünften mit Hilfe molekularer Marker in ein an hiesige Anbaubedingungen
adaptiertes Zuchtmaterial eingekreuzt. Dieses Beispiel zeigt, dass dort, wo züchterisches
Interesse, biotechnologisches Know-how und Kompetenz in der Erschließung pflanzenge­
netischer Ressourcen zusammenfinden, auch wirtschaftlich derzeit weniger bedeutende
Fruchtarten eine Chance auf vorausschauende, züchterische Bearbeitung haben.
Apomixis
In den meisten Arten der Bedecktsamer (Angiospermen) erfordert die Samenentwicklung
die Beteiligung männlicher und mütterlicher Gameten in der Weise, dass eine der beiden
haploiden Spermazellen des Pollens mit der haploiden Eizelle des mütterlichen Kreuzungs­
partners zur einer diploiden Zygote verschmilzt, aus welcher sich der Embryo entwickelt,
während die zweite Spermazelle des Pollens mit dem diploiden Embryosackkern zum
triploiden Endospermkern fusioniert; hieraus entsteht das Endosperm, das den sich entwi­
ckelnden Embryo ernährt. Eine Ausnahme von diesem Befruchtungsmodus bildet die
Apomixis, welche darin besteht, dass sich der Embryo ohne die Beteiligung paternaler Ge­
ne entwickelt. Dies setzt in den meisten Fällen den Ausfall oder vorzeitigen Abbruch der
Meiose bei der zuvor verlaufenden Entwicklung des Embryosacks voraus mit dem Ergeb­
nis, dass die Eizelle in ihrem Chromosomensatz unreduziert ist.
Es gibt verschiedene Formen von Apomixis. Allen gemeinsam ist jedoch, dass der sich
entwickelnde Embryo genetisch identisch mit dem mütterlichen Kreuzungspartner ist; des­
sen Genotyp ist somit in allen apomiktisch entstandenen Nachkommen fixiert. Dies macht
die bereits seit Mitte des vorletzten Jahrhunderts bekannte Apomixis für die Pflanzenzüch­
tung zu einem züchtungsmethodisch hochinteressanten biologischen Phänomen. Das Vor­
kommen der Apomixis kann mit „weit verbreitet, aber selten“ umschrieben werden. Sie ist
in 35 der 400 Blütenpflanzenfamilien, aber nur in 1 % der 40.000 Arten, beschrieben wor­
den und am weitesten verbreitet innerhalb der Poaceae, Asteracea und Rosaceae. Nur we­
nige kultivierte Fruchtarten (Citrus, Mango) enthalten apomiktische Formen. In Getreide­
fruchtarten ist Apomixis nicht bekannt, wohl aber in verwandten Gräserarten (Tripsacum
sp., Pennisetum sp., Poa sp.).
Pflanzenzüchtung
85
Sollte es gelingen, Apomixis als Reproduktionsmechanismus in Kulturarten zu etablieren,
hätte dies umwälzende Auswirkungen auf Pflanzenzüchtung und Saatgutproduktion, bei­
spielsweise
–
Erschließung des Potenzials der Heterosiszüchtung für Fruchtarten, in denen bislang
Hybridzüchtung nicht möglich ist,
–
erheblich effizientere Produktion von Hybridsaatgut, ohne aufwendigen Einsatz von
Mechanismen der Befruchtungslenkung wie cytoplasmatische männliche Sterilität oder
Selbstinkompatibilität und der damit verbundenen Erstellung, Erhaltung und Vermeh­
rung von Maintainer- und Restorerlinien,
–
Möglichkeit für jeden Bauern, Hybridsorten nachzubauen und zu vermehren ohne Ver­
lust der agronomischen Leistung und Einheitlichkeit (Abbildung 3), mit allen ihren
Implikationen für Welternährung sowie ländliche Räume einerseits und Züchter sowie
Saatgutproduzenten andererseits,
–
Erhaltung jeglicher heterozygoter Genotypen, z. B. solchen aus weiten Kreuzungen,
mit der Perspektive, neue Züchtungsstrategien sowohl in sexuell als auch in vegetativ
vermehrten Kulturarten zu entwickeln; Pflanzenzüchtung könnte durch die Vermeh­
rung einzelner, gut angepasster Genotypen zu Sorten so beschleunigt werden, dass spe­
zielle Züchtungen für Mikroumwelten (Lokalsor „Pflanzenzüchtung nach Maß“) in se­
xuell als auch in vegetativ vermehrten Kulturarten zur Unterstützung von Agroökosystem-Managementstrategien, vermittelt durch die Möglichkeit, gut an Mikroumwel­
ten und Märkte angepasste, durch gezielte Kreuzung geeigneter Eltern erzeugte For­
men auf apomiktischem Wege schnell zu konstanten Sorten zu entwickeln,
–
Möglichkeit, vegetativ vermehrte Arten wie Kartoffel, Cassava oder Yam über den
Samen zu vermehren, mit besserer Gesunderhaltung durch Vermeidung phytosanitärer
Probleme (Virus u. a.); Ausdehnung des weltweiten Verkehrs und Austausches von ge­
netischen Ressourcen in solchen Kulturarten,
–
höhere Sicherheit in Saatguterzeugung und Anbau von Körnerfrüchten (Unabhängig­
keit von Pollenschüttung, Blühzeitpunkten, Inkompatibilitäten etc.),
–
Erhöhung der Produktivität einiger Fruchtarten durch züchterische Eliminierung der
energiezehrenden männlichen Reproduktionsorgane,
–
Transgen-Containment gegen unerwünschten Genfluss bei Kombination von Apomixis
und männlicher Sterilität.
(JEFFERSON, 1994; SPIELMAN et al., 2003).
Im Hinblick auf die revolutionären Implikationen, welche apomiktische Fruchtarten für
Landwirtschaft und Saatgutindustrie bedeuten könnten, wird die Apomixis seit ca. 15 Jah­
ren weltweit, unter besonderem Engagement großer Saatgutkonzerne, intensiv auf moleku­
larer Ebene erforscht. Wenngleich es noch nicht gelungen ist, die Apomixis in nutzbarer
86
Form in Kulturarten wie den Mais zu etablieren, sind innerhalb der letzten Jahre doch er­
hebliche Erkenntnisfortschritte zu den genetischen und molekularen Grundlagen der Apo­
mixis erzielt worden. Erste Versuche, das Merkmal Apomixis auf klassische Weise durch
interspezifische Kreuzung aus der Wildart (Tripsacum) in die Kulturart (Mais) einzuführen,
stellten sich als zu einfacher Ansatz für dieses biologisch hochkomplexe Merkmal heraus.
Der mittlerweile favorisierte Forschungsansatz besteht darin, die Apomixis zunächst in
ihren Einzelheiten grundlegend zu verstehen, um dann auf gentechnischem Wege die
Schlüsselkomponenten in Kulturarten zu transferieren.
Abbildung 3: Potenzielle Bedeutung der Apomixis für die Vermehrung von Hybridsaat­
gut und den Nachbau von Hybridsorten: Während es bei sexueller Fort­
pflanzung zur Aufspaltung in der nächsten Generation kommt, sind die
durch Apomixis entstandenen Nachkommen identisch mit der Mutter­
pflanze)
Quelle:
http://billie.btny.purdue.edu/apomixis/apotech.html; veränd.
Hinsichtlich der intensiven Forschungsanstrengungen darf angenommen werden, dass bis
zum Jahr 2025 die wesentlichen molekularen Mechanismen der Apomixis aufgeklärt sein
werden. Die Einführung apomiktischer Sorten wird jedoch vermutlich länger auf sich war­
ten lassen. Hierfür sind zum ersten züchtungsmethodische Gründe anzuführen. Ein mögli­
ches Problem könnte z. B. daraus resultieren, dass, nach heutiger Kenntnis, alle natürlich
vorkommenden Apomikten polyploid sind. Sollte sich herausstellen, dass Apomixis und
Polyploidie aus biologischen Gründen miteinander untrennbar assoziiert sind, müssten
diploide Fruchtarten wie Mais zunächst auf höherer Ploidiestufe züchterisch remodelliert
werden.
Zum zweiten ergibt sich im Hinblick auf den Anbau apomiktischer Kulturarten eine Reihe
von grundlegenden Fragen zur biologischen Sicherheit, die eingehender Betrachtung und
Pflanzenzüchtung
87
Klärung bedürfen. So könnten infolge der Möglichkeit, existierende Sorten beliebig nach­
zubauen, langfristig nicht nur der Saatgutwechsel, sondern auch der Sortenwechsel und die
Sortenvielfalt zurückgehen und die genetische Vielfalt einer Region innerhalb gegebener
Fruchtarten abnehmen, mit möglichen Folgen für Pathogen- und Schädlingsanfälligkeit und
für die biologische Diversität in der Landwirtschaft. Ein ernstzunehmender Aspekt ist des
Weiteren, dass Apomixis bedingende Transgene bei stattfindendem Genfluss in benachbar­
te Populationen einen permanenten, von äußeren Bedingungen unabhängigen Fitnessvorteil
für ihre Träger bedingen und somit in den Empfängerpopulationen innerhalb kurzer Zeit
die sexuelle Fortpflanzungsvariante verdrängen könnten. Bei dominanter Vererbung des
Apomixiemerkmals würde ein solcher Verdrängungsprozess relativ schnell in der Fixierung
der apomiktischen Fortpflanzungsvariante resultieren - ein Szenarium, welches im Hinblick
auf die Bewahrung pflanzengenetischer Ressourcen, insbesondere in den Diversitäts­
zentren, als kritisch erscheint (VAN DIJK und VAN DAMME, 2000). Eine offene Frage betrifft
schließlich die Allokation von proprietären Rechten – bzw. von Nutzungsrechten - an künf­
tigen, züchterisch relevanten Apomixis-Systemen. Die Tragweite dieser Frage würde ange­
sichts der grundlegenden Bedeutung, die apomiktische Fruchtarten – insbesondere Getrei­
dearten - für die Welternährung und für landwirtschaftliche Strukturen haben könnten, eine
bis dato nicht bekannte Dimension erlangen und ist in der Deklaration von BELLAGIO
(1998) „Entwurf einer Forschungsstrategie zur Produktion von asexuellen Samen in Ge­
treidepflanzen“, welche einen breiten und fairen Zugang zu künftigen Apomixis-Technologien fordert, bereits gewürdigt.
6
Methodische Entwicklungen in der Pflanzenzüchtung
Wie können die genannten Zuchtziele erreicht werden? Mit Sicht auf die kommenden
zwanzig Jahre wird die auf Kreuzung, Rekombination und Auslese beruhende, klassische
Pflanzenzüchtung das Rückgrat züchterischer Entwicklung bei Kulturpflanzen bleiben. Sie
wird dabei zunehmend durch unterstützende Verfahren flankiert, wie insbesondere
–
markergestützte Selektion mit Hilfe genomanalytischer Verfahren,
–
In-vitro-Verfahren wie Doppelhaploid-Techniken, Protoplastenfusion, Embryo Rescue,
–
Gentechnik und
–
DNA-Chiptechnologie.
Markergestützte Selektion hat bereits Einzug in die züchterische Praxis gefunden. Sie wird
sich innerhalb der nächsten 10 bis 5 Jahre für eine Reihe von Kulturarten zu einem unver­
zichtbaren Bestandteil des Züchtungsprozesses entwickeln, insbesondere in den sog. cash
crops wie Mais, Weizen und Gerste, für die sich die mit markergestützter Selektion ver­
bundenen Entwicklungs- und Anwendungskosten am schnellsten rentieren. Interessante
Anwendungsmöglichkeiten für die markergestützte Selektion sind insbesondere bei Zucht­
88
merkmalen gegeben, die im Züchtungsprozess nur schwierig und aufwendig direkt zu er­
fassen sind, wie z. B. Resistenz gegen bodenbürtige Virosen bei Getreide, und/oder die in
gezielter Weise aus nichtadaptierten pflanzengenetischen Ressourcen in die Kulturart über­
tragen werden sollen (RUGE et al., 2003).
Folgende Voraussetzungen werden für die weitere Etablierung der markergestützten Selek­
tion zu erfüllen sein:
–
Entwicklung hochdurchsatzfähiger Markertechniken, die zeit- und kosteneffizient die
Genotypisierung tausender Pflanzen erlauben; der größte Einfluss wird hier von der
DNA-Chiptechnologie ausgehen, welche die Analyse tausender von Markern in einem
Schritt erlaubt. Voraussetzung dafür sind allerdings Chip-fähige Marker wie die SNP
(single-nucleotide polymorphism), deren Entwicklung kosten- und zeitaufwendig und
an die Verfügbarkeit von entsprechenden genomischen Ressourcen (Genomsequenzie­
rung, EST-Sammlungen) für die betreffende Fruchtart gebunden ist.
–
Verfügbarkeit bioinformatischer Tools, die die Interpretation und Umsetzung sehr gro­
ßer Mengen an Markerinformation in züchterische Entscheidungen unterstützen; ent­
sprechende Konzepte befinden sich in der Entwicklung (PELEMAN und VAN DER
VOORT, 2003).
–
Verfügbarkeit von Markern und Konzepten, die die Selektion auf quantitative Eigen­
schaften wie z. B. Ertrag oder Stresstoleranz erlauben; hier haben sich die Hoffnungen,
die im Hinblick auf die Selektion von QTL (Quantitative Trait Loci) seit Anfang der
80er Jahre des vorigen Jahrhunderts in zufällige DNA-Marker gesetzt wurden, nicht er­
füllt. Abhilfe könnten „funktionelle Marker“ schaffen, die direkt von merkmalsbe­
stimmenden Genen bzw. ihren allelen Varianten abgeleitet und somit in ihrer Vorher­
sagekraft nicht mehr von Kopplungsphase und Rekombination abhängig sind (ANDER­
SEN und LÜBBERSTEDT, 2003). Die derzeit auch für Pflanzen forcierten Untersuchun­
gen zur kompletten oder partiellen Genomsequenzierung sowie zu der aus der Human­
genetik adaptierten Assoziationskartierung werden in den kommenden Jahren zu dieser
Entwicklung wichtige Impulse liefern.
Ein erheblicher Entwicklungsschub im Hinblick auf die Identifizierung von Genen, die an
der Ausprägung agronomisch wichtiger Merkmale beteiligt sind, wird in den kommenden
Jahren von der DNA-Chiptechnologie ausgehen. Diese Technologie erlaubt es, im Idealfall
den gesamten Genbestand einer Pflanze auf einem einzigen Chip einer Expressionsanalyse
(„Expression Profiling“) zu unterziehen, um auf diese Weise solche Gene zu identifizieren,
die unter bestimmten Umweltbedingungen (z. B. Stressbedingungen) oder in bestimmten
Genotypen (z. B. Hybriden mit hoher Heterosis) differentiell exprimiert werden. Solche
Gene können als Kandidaten für merkmalsbestimmende Erbfaktoren analysiert und im Er­
folgsfall für die Entwicklung genspezifischer, funktioneller Marker für die markergestützte
Selektion verwendet werden. Darüber hinaus könnten solchermaßen identifizierte Merk­
Pflanzenzüchtung
89
malsgene dort, wo es sinnvoll erscheint, für den direkten, gentechnisch vermittelten Gen­
transfer in Sorten oder andere Kulturpflanzen benutzt werden.
7
Gentechnik
Weltweit stieg die mit gentechnisch modifizierten (GM) Fruchtarten bestellte Fläche im
Jahr 2003 auf rund 68 Mio. ha (Abbildung 4). Auch in 2004 werden in den USA Zunahmen
im Anbau von GM-Soja, -Mais und –Baumwolle von 3 bis 5 % im Vergleich zum Vorjahr
erwartet. Nach Einschätzung des International Service for the Acquisition of Agri-biotech
Applications (ISAAA) werden innerhalb der kommenden fünf Jahre 10 Millionen Landwir­
te in mindestens 25 Ländern GM-Sorten auf 100 Mio. ha anbauen. Derzeit beträgt das
Marktvolumen ca. 4,5 Mrd. US-$ (ISAAA). Gemessen an der rasanten Ausdehnung des
Anbaus von GM-Fruchtarten seit 1995 erscheint damit die Grüne Gentechnik als die am
raschesten von den Landwirten angenommene Technologie seit Anbeginn der Landwirt­
schaft, und es ist zu erwarten, dass sie in den kommenden 10 Jahren auch in Europa in
ökonomisch nennenswertem Umfang Fuß fassen wird.
Abbildung 4: Entwicklung der weltweit mit transgenen Kulturpflanzen bestellten An­
baufläche
80
70
Mio. ha
60
39,9
(+43 %)
50
40
58,7
(+12 %)
27,8
(+153 %)
30
11,0
(+547 %)
20
10
44,2
(+11 %)
52,6
(+19 %)
67,7
(+15 %)
0
1,7
1995
1996
0
1997
1998
1999*
2000*
2001*
2002*
2003*
* Inkl. China.
Quelle: James (2003).
Die genannte Anbaufläche von 68 Mio. ha wird derzeit praktisch ausschließlich mit GMPflanzen bestellt, die gentechnisch modifizierte Merkmale der ersten Generation, d. h. Her­
bizidtoleranz oder/und Bt-vermittelte Insektenresistenz, tragen. Welche Entwicklungen
sind für die kommenden zwei Jahrzehnte für Europa zu erwarten? Eine nicht vollständige
Liste der in der Entwicklung befindlichen, gentechnischen Merkmalsmodifikationen ist in
Tabelle 2 gegeben.
90
Tabelle 2:
Einige bis 2025 zu erwartende, gentechnische Entwicklungen; weiter fortge­
schrittene Entwicklungen, die auch für die deutsche Landwirtschaft beson­
ders interessant erscheinen, sind durch Fettdruck hervorgehoben
Agronomische Eigenschaften (Input Traits)
- Bt-Insektenresistenz (gegen Maiszünsler in klimatisch determinierten Regionen)*
- Herbizidtoleranz*
- Pilzresistenz: Fusarien; Oomyceten (Phytophthora sp., Plasmopara sp.)
- Bakterienresistenz: Feuerbrand bei Obstgehölzen
Futterqualität
- Energiedichte (Raps: Rohfasergehalt/Proteingehalt; Schalenanteil am Samen)
- Proteinwertigkeit (Lys, Met, Trp)
- Verfügbarkeit von P, Spurenelementen, Aminosäuren für Monogastriden
(- Phytinsäure durch + GM-Phytase)
Lebensmittelsicherheit und -qualität (Output Traits)
- Glutenfreier Weizen (wg. Zöliakie)
- Entfernung antinutritiver Komponenten (- Solanin bei Kartoffel; - Sinapin bei Raps)
- Funktionelle Lebensmittel
÷ Raps: langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren (LCPUFA)
÷ Raps: + Antioxidantien (Tocopherole/Vit. E; Resveratrol)
÷ Kartoffel: - Fettaufnahme beim Frittieren durch + GM Sucrose-Phosphorylase
÷ Kartoffel, Zuckerrübe: + Ballaststoffe durch GM Oligofructose/Inulin
Nachwachsende Rohstoffe
- Raps: Optimierte Fettsäurezusammensetzung
- Kartoffel: Optimierte Stärkezusammensetzung (Amylopektin vs. Amylose)
- Kartoffel, Raps: Bio-Kunststoffe (Polyhydroxybutyrat, Polyaspartat), Wachsester
* Bereits im kommerziellen Anbau.
+ Erhöhung im Gehalt.
- Reduzierung im Gehalt.
Neben der bereits weltweit genutzten, Bt-vermittelten Insektenresistenz, die für die deut­
sche Landwirtschaft insbesondere im Hinblick auf den vordringenden Maiszünsler (s. o.
Abschnitt „Krankheits- und Schädlingsresistenz“) interessant ist und bei der hiesigen Ein­
führung von GM-Sorten die Vorreiterrolle spielen dürfte, erscheinen auch Resistenzen ge­
genüber Pilzen und Bakterien interessant. Unter den Aspekten Nachhaltigkeit und Lebens­
mittel- bzw. Futtermittelqualität sind insbesondere Resistenzen gegen Ährenfusarium und
Oomyceten vordringlich, weil sich die klassische Resistenzzüchtung gegen diese Pathogene
zwar nicht erfolglos, aber schwierig gestaltet und der Fungizideinsatz immer noch erheb­
lich ist. Versuche zu künstlich erzeugten, transgen vermittelten Resistenzen (z. B. Übertra­
gung von Chitinase-, Glucanase-, Resveratrol-, Lysozymgenen), die auf allgemeine Wir­
kungsmechanismen abzielen, führten bislang zwar noch zu keinem Durchbruch. Die Ent­
wicklung hinsichtlich transgener Fusarium-Resistenz ist aber immerhin bis zum Stadium
Pflanzenzüchtung
91
von Freisetzungsversuchen in Deutschland (Weizen; Fa. Syngenta) gediehen. Schnelleren
Erfolg versprechend verliefen Arbeiten bei Kartoffeln zur gentechnischen Übertragung ei­
nes natürlich vorkommenden, kürzlich aus der Wildart Solanum bulbocastanum isolierten
Resistenzgens gegenüber Phytophthora infestans. Die gentechnische Übertragung dieses
Resistenzgens in anfällige Sorten führte zu einer breiten Resistenz gegen das bedeutende
Pathogen (SONG et al., 2003). Es ist daher zu erwarten, dass bereits in den kommenden 5
bis 10 Jahren gentechnisch übertragene Kraut- und Braunfäuleresistenz, zunächst auf der
Grundlage bereits existierender anfälliger Sorten, in Kartoffelsortimenten einiger Länder
vertreten sein wird.
Im Futtermittelbereich könnte insbesondere die Verwendbarkeit des bei der Ölgewinnung
anfallenden Rapsschrots für Fütterungszwecke von der Gentechnik profitieren. Rapsschrot
enthält im Vergleich zu Sojaschrot höhere Anteile an essentiellen Aminosäuren (Methio­
nin, Cystein), Vitaminen und Mineralstoffen, allerdings geringere Rohproteingehalte und
deutlich höhere Rohfasergehalte, was die Energiedichte ungünstig beeinflusst. Es laufen,
zum Teil mit Hilfe der vergleichenden Genomanalyse unter Heranziehung der Modellgenom-Pflanze Arabidopsis thaliana, Untersuchungen zur Reduzierung des Schalenanteils,
um gelbsamigen Raps zu züchten. Weitere Arbeiten werden zur Reduzierung störender In­
haltsstoffe wie Glucosinolate, Tannine, Phytate und Sinapine durchgeführt.
Im Hinblick auf Merkmale, die insbesondere für die Verbraucher interessant erscheinen
(Output Traits), werden Forschungsanstrengungen zur Verbesserung der Lebensmittelquali­
tät und -sicherheit unternommen. Ein Beispiel ist die gentechnische Anreicherung des
Rapsöls mit spezifischen Fettsäuren und Antioxidantien. So laufen im Rahmen des durch
das BMBF geförderten Leitprojekts „NAPUS 2000“ (LECKBAND et al., 2002), an dem uni­
versitäre Forschergruppen, Pflanzenzüchter und Verarbeiter beteiligt sind, Arbeiten zur
Erhöhung von ernährungsphysiologisch wertvollen, im Allgemeinen unzureichend verfüg­
baren langkettigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren (LCPUFA) im Rapsöl. Zu solchen
LCPUFA gehören beispielsweise die omega-3-Fettsäuren Eikosapentaen- und Dokosahe­
xaensäure, aus denen im Körper kardioprotektive Eikosanoide entstehen und denen weitere
positive Wirkungen, wie etwa Stressdämpfung bei Hypertonikern, zugeschrieben werden
(ANONYMUS, 2003). Des Weiteren bietet sich der Raps, als agronomisch gut adaptierte,
wichtigste Ölpflanze in Deutschland, für die gentechnische Erhöhung bzw. Einführung von
Antioxidantien wie Tocopherolen und Resveratrol an. Auch hierzu laufen Arbeiten in dem
bereits genannten NAPUS-2000-Vorhaben.
Die Anreicherung von Lebensmitteln mit als günstig erachteten Inhaltsstoffen – omega-3Fettsäuren erscheinen in diesem Zusammenhang als besonders attraktives Beispiel – könnte
der Grünen Gentechnik in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu einem Durchbruch in der Ak­
zeptanz durch die Verbraucher verhelfen. Künstlich angereicherte Lebensmittel, die durch
nachträglichen Zusatz der wertgebenden Inhaltsstoffe oder, im Falle von omega-3-
92
Fettsäuren in Hühnereiern, auch durch Verfütterung erzeugt werden, erfreuen sich bereits
heute großer Beliebtheit bei den Verbrauchern. Ob und inwieweit funktionelle Lebensmit­
tel ein dauerhaftes Betätigungsfeld für die Pflanzenzüchtung bieten können, hängt indes
von mehreren Faktoren ab, über denen bislang Fragezeichen schweben. So sind die rechtli­
chen Bedingungen im Hinblick auf die Darstellung gesundheitlicher Wirkungen und die
Bewerbung von funktionellen Lebensmitteln, die als „Nutraceuticals“ gewissermaßen eine
Zwischenstellung zwischen konventionellen Lebensmitteln und Pharmazeutika einnehmen,
erst noch zu definieren. Auch fehlen in den meisten Fällen noch belastbare, wissenschaftli­
che Erkenntnisse zu den positiven – oder auch möglichen kontraindikativen – gesundheitli­
chen Wirkungen bestimmter Inhaltsstoffe. Weiterhin bleiben – vor dem Hintergrund des für
die europäischen Verbraucher bereits verfügbaren, reichhaltigen Angebots an Obst, Gemü­
se und anderen Lebensmitteln als Grundlage für eine ausgewogene Ernährung – der zusätz­
liche Wert funktioneller Lebensmittel für die öffentliche Gesundheit und ihr langfristiger
Einfluss auf die künftige Entwicklung des kulturellen Verhältnisses der Verbraucher zu
ihren traditionellen Lebensmitteln zu beleuchten.
Der für Deutschland und Europa auf den ersten Blick attraktivste potenzielle Beitrag der
Grünen Gentechnik in den nächsten 20 Jahren liegt auf dem Feld der Nachwachsenden
Rohstoffe. Die Förderung Nachwachsender Rohstoffe lässt sich am unmittelbarsten mit
dem Nachhaltigkeitsprinzip in der Landwirtschaft – und zwar für die drei Teilaspekte öko­
logisch, ökonomisch und sozial gleichermaßen – verknüpfen. Die Züchtung von Kultur­
pflanzen als Nachwachsende Rohstoffe erlaubt die Entwicklung „multifunktionaler Nutz­
pflanzen“ mit verschiedenen Qualitäten für unterschiedliche Anwendungen, z. B. maßge­
schneiderte Pflanzenöle für verschiedene Richtungen in der oleochemischen Verabeitung
oder optimierte Stärke- oder Faserqualitäten für die Verarbeitung. Da die Gentechnik es
prinzipiell ermöglicht, züchterisch bereits gut adaptiertem Material relativ schnell weitere,
wohldefinierte Eigenschaften als zusätzlichen Wert („added value“) hinzuzufügen, könnte
sie der künftigen Landwirtschaft die Chance bieten, eine flexible, den jeweiligen Bedürf­
nissen angepasste Diversifizierung in der landwirtschaftlichen Produktion zu betreiben und
neue Wertschöpfungspotenziale zu schaffen. Sie kann daher auf dem Gebiet der Nach­
wachsenden Rohstoffe einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung ländlicher Räume bei­
tragen. Als weniger attraktiv für die Landwirtschaft erscheint dagegen das sog. Molecular
Farming (auch: Molecular Pharming) mit gentechnisch modifizierten, landwirtschaftlichen
Kulturpflanzen, die Impfstoffe und andere pharmazeutisch wirksame Inhaltsstoffe produ­
zieren. Für solche Pflanzen wird der Flächenbedarf relativ gering bleiben; auch dürften die
Anforderungen an ein Containment zur Verhinderung von unbeabsichtigten Beimengungen
in anderen, für den menschlichen oder tierischen Verzehr produzierten, Erntepartien sehr
hoch ausfallen.
Es darf erwartet werden, dass mit Hilfe der gegenwärtig international mit Hochdruck be­
triebenen pflanzlichen Genomanalyse wichtige wissenschaftliche Voraussetzungen für ei­
Pflanzenzüchtung
93
nen breiteren Einsatz der Grünen Gentechnik, nämlich die Verfügbarkeit einer größeren
Zahl von isolierten, interessanten Merkmalsgenen mit definierter Wirkung, von feinjustier­
baren Steuerelementen der Genexpression (Promotoren, etc.) und von effizienten Trans­
fermethoden, bis zum Jahr 2025 geschaffen sein werden. Für die gentechnische Entwick­
lung Nachwachsender Rohstoffe (wie auch anderer Verwertungsrichtungen) wird dies al­
lerdings nicht immer hinreichend sein. Als Beispiel sei die Modifizierung der Ölzusam­
mensetzung bei Raps angeführt. Die seit ca. 15 Jahren laufenden, intensiven Arbeiten zur
gentechnischen Modifizierung der Fettsäurezusammensetzung haben gezeigt, dass der an­
fangs als verstanden und überschaubar geltende Triacylglycerid-Biosyntheseweg offenbar
komplexer ist als angenommen und sich daher mit einfachen gentechnischen Eingriffen
nicht im gewünschten Umfang steuern lässt. Versuche, die Akkumulation neuartiger Fett­
säuren im Rapsöl auf ein kommerziell relevantes Niveau zu heben, sind trotz Teilerfolgen
bislang nicht gelungen. Eine schon 1995 in Nordamerika durch Calgene in den Verkehr
gebrachte Rapssorte (Laurical) mit 40 %, später bis 60 % Anteil an der mittelkettigen Fett­
säure Laurinsäure (C12:0), hat sich mittlerweile als nicht konkurrenzfähig zu den am inter­
nationalen Markt verfügbaren preiswerteren Kokos- und Palmölqualitäten erwiesen.
Mindestens ebenso wichtig wie die Erarbeitung der methodisch-wissenschaftlichen Vor­
aussetzungen wird die Schaffung geeigneter politischer und ökonomischer Rahmenbedin­
gungen sein, die über Preiswürdigkeit und verfügbare Mengen an Nachwachsenden Roh­
stoffen mit definierter Qualität letztlich entscheiden. Nur wenn es gelingen sollte, robuste
Märkte mit vertretbarem Aufwand für die Segregation von Erntegut mit definierten Roh­
stoffqualitäten aufzubauen, wird die Einführung gentechnisch maßgeschneiderter Nach­
wachsender Rohstoffe Aussicht auf Erfolg haben. Aus heutiger Sicht könnte dies in abseh­
barer Zeit am ehesten für Stärkekartoffeln zutreffen.
Völlig offen ist gegenwärtig, ob, unter welchen Bedingungen und für welche Kulturarten es
künftig eine für alle Beteiligten praktikable Form der Koexistenz der landwirtschaftlichen
Bewirtschaftungssysteme in Europa geben wird. Während eine solche Koexistenz für die
Fruchtarten Mais, Kartoffel und Zuckerrübe noch vergleichsweise unproblematisch und
absehbar erscheint, werden die Widerstände gegen den Anbau von GM-Fruchtarten mit
höherem Potenzial für den vertikalen Gentransfer auch in den nächsten Jahren hoch sein.
Bei einer Fruchtart wie dem Raps ist nicht auszuschließen, dass sich in Deutschland die
Koexistenzfrage in die existenzielle Frage „Gentechnik – ja oder nein?“ verwandeln wird.
In der öffentlichen Diskussion entsteht zuweilen der Eindruck, als stelle die Gentechnik
eine Art „Neue Pflanzenzüchtung“ dar, die – schneller und gezielter als die klassische
Züchtung – die Sortenzüchtung im Reagenzglas erlaube. Ein solcher Paradigmenwechsel in
der Pflanzenzüchtung ist bis 2025 und darüber hinaus indes nicht in Sicht. Neben externen
Faktoren wie Akzeptanz der Grünen Gentechnik, Koexistenz, gesetzliche Rahmenbedin­
94
gungen oder Marktentwicklung gibt es auch immanente Aspekte, die einen solchen Wech­
sel unwahrscheinlich erscheinen lassen.
Die methodischen Ansätze von klassischer Pflanzenzüchtung und Grüner Gentechnik sind
fundamental verschieden.
Die klassische Pflanzenzüchtung nutzt für ihre Zwecke denselben evolutionären Mecha­
nismus, der zur Mannigfaltigkeit des gesamten Lebens auf der Erde geführt hat. Dieser
Mechanismus besteht aus dem Zusammenspiel von Mutation, Selektion und Rekombinati­
on und ist die treibende Kraft für die Entstehung der biologischen Diversität auf der Erde
sowie für die Domestikation unserer Kulturpflanzen und Nutztiere als Ergebnis der züchte­
rischen Aktivität des Menschen. Durch kontinuierliche züchterische Selektion im Zuchtgar­
ten und anschließende sexuelle Vermehrung der verbliebenen Individuen kommt es zur
Rekombination der akkumulierten Gene, und es entstehen völlig neue, bisweilen unerwar­
tete Genkombinationen (Genotypen) unter den Nachkommen. Schon bei Rekombination
unter 10 Genen, die sich zwischen mütterlichem und väterlichem Kreuzungspartner unter­
scheiden, ist in einem diploiden Organismus die Entstehung von mehr als 59.000 verschie­
denen Genotypen unter den Nachkommen möglich; bei 100 Genen sind es bereits mehr als
5 x 1047 Kombinationsmöglichkeiten. Da nicht einzelne Gene, sondern in den meisten Fäl­
len komplexe Genkombinationen über die Ausprägung eines gegebenen Merkmals bestim­
men, sind es solche immer wieder neu entstehenden Genotypen und ihre Phänotypen, die
die einzigartige „schöpferische Kraft der Selektion“ (TRACY, 2003) ausmachen, derer sich
die klassische Pflanzenzüchtung bedient. Durch die Jahr für Jahr erfolgende, züchterische
Selektion auf erwünschte Phänotypen passt der Züchter Genome kontinuierlich und unmit­
telbar an die sich verändernden Umwelten und agronomischen Erfordernisse an; er bedarf
dazu prinzipiell keiner Vorinformation über künftige Entwicklungen und biologische Kau­
salitäten. Eine Anpassung des Zuchtmaterials an sich ändernde Bedingungen ist jederzeit
durch entsprechende Modifikation der Selektionskriterien möglich. Pflanzenzüchtung im
klassischen Sinn ist somit ein stetiger und dynamischer Prozess.
Demgegenüber müssen bei Anwendung eines gentechnischen Ansatzes Identität und
Merkmalsausprägung der zu transferierenden Gene bzw. Genkombinationen im Vorhinein
genau bekannt sein. Mit der Auswahl der zu transferierenden Gene ist somit die züchteri­
sche Entscheidung grundsätzlich abgeschlossen. Dies ist im Hinblick auf die züchterische
Bearbeitung typischer agronomischer, stark umweltabhängiger Merkmale wie z. B. ernte­
fähiger Ertrag ein Nachteil, weil a priori nicht vorhersagbar ist, welche Ausprägungen und
Kombinationen von bekannten (sowie noch nicht bekannten) physiologischen, morphologi­
schen, genetischen und epigenetischen Einzelfaktoren (z. B. Photosyntheserate, Wurzel­
masse und -morphologie, Wassernutzungseffizienz, Blattzahl, -stellung und -fläche, Trans­
pirationsrate, Kornzahl und TKG, Halmdicke, Bestockungsgrad, Ährengröße, Standfestig­
keit, verwendete genetische Ressourcen, Heterosis, DNA-Methylierung) sich künftig in
Pflanzenzüchtung
95
variierenden Umwelten und Anbausystemen als günstig und entscheidend im Sinne des zu
verbessernden agronomischen Merkmals erweisen werden. Aufschluss zu der Frage, auf
welchen Einzelfaktoren der verbesserte Ertrag neuer Sorten beruht, kann nur retrospektiv
nach erfolgreicher, klassisch-züchterischer Selektion gewonnen werden, und vor Überra­
schungen ist der Züchter hierbei nicht sicher (TRACY, 2003).
Zusammenfassend ist zu erwarten, dass in den kommenden zwei Jahrzehnten die Gentech­
nik für ausgewählte Fruchtarten und physiologisch robuste, umweltstabile Zielmerkmale
sowie „außer Konkurrenz“ mit konventionellen Züchtungsmethoden als unterstützendes
Verfahren eingesetzt werden dürfte. Die größte Eigenständigkeit dürfte die Gentechnik bei
der Hinzufügung von Merkmalen zu vegetativ vermehrten Fruchtarten, insbesondere Kar­
toffeln, einnehmen. Stärker als bei den Input-Traits der „ersten Generation“ (Herbizidtole­
ranz, Insektenresistenz) dürfte das künftige Anwendungspotenzial von gentechnisch ver­
mittelten Output Traits der zweiten und dritten Generation (Lebensmittelqualität, Inhalts­
stoffe) durch politische und vor allem marktbezogene Rahmenbedingungen definiert sein.
Unabhängig von züchtungsmethodischen Fragen wird, wie in der Vergangenheit, auch in
den kommenden Jahrzehnten die Pflanzenzüchtung einen ganz wesentlichen Beitrag für
eine nachhaltige Landwirtschaft und für die Sicherung der menschlichen Ernährung leisten
können. In welchem Umfang und unter welchen Rahmenbedingungen dieses Leistungspo­
tenzial umgesetzt werden kann, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob und wie deutlich die
sozioökonomische Bedeutung der Pflanzenzüchtung, die Außenstehenden nicht selten als
speziell und separiert von der übrigen Landwirtschaft erscheint, von der Öffentlichkeit rea­
lisiert wird. Eine klarere öffentliche Perzeption der Pflanzenzüchtung zu erreichen, darin
liegt eine wichtige Aufgabe von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft für die kommenden
Jahre.
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verlag Vauk KG, ISBN 3-8175-0276-1
98 Pflanzenschutz
99
Welche Risiken liegen vor uns, und wie bekommen wir sie in den
Griff?
Bernd Freier
1
1
Einleitung
In den nächsten Jahrzehnten werden weltweit noch größere Anstrengungen unternommen,
um mit Hilfe von Pflanzenschutzmaßnahmen die Verluste durch Schadorganismen zu mini­
mieren. Das gilt auch für die Ackerbauregionen in Europa bzw. in Deutschland, wenngleich
der Pflanzenschutz stärker denn je durch stärkere Restriktionen bei der Anwendung von
chemischen Pflanzenschutzmitteln geprägt sein wird. Im Pflanzenschutz ist der Begriff des
Risikos schon lange nicht mehr auf die Sicherung der Ernte, also das Auftreten der Schador­
ganismen und die Ernteverluste fokussiert, sondern wird zunehmend im Zusammenhang mit
der kritischen Bewertung der chemischen Pflanzenschutzmaßnahmen angewendet: im Mit­
telpunkt steht das Risiko für die Verbraucher sowie für die Umwelt. Mit dem Blick auf das
Jahr 2025 müssen dementsprechend beide Seiten des Pflanzenschutzes – die Risiken bei der
Sicherung der Pflanzenproduktion und die Risiken für Verbraucher und Umwelt – betrachtet
werden. Sie lassen sich in fünf Schwerpunkte eingliedern:
1.
Verluste durch Schadorganismen
2.
Veränderte Schadorganismensituation infolge Klimawandel
3.
Veränderte Schadorganismensituation infolge Einschleppung
4.
Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel
5.
Grüne Gentechnik
2
Verluste durch Schadorganismen
Es existieren keine Anhaltspunkte dafür, die potenziellen Gefahren der klassischen Schad­
organismen im Jahr 2025 anders einzuschätzen als in der Gegenwart. Das Ertrags- und
Qualitätsrisiko „Schadorganismen“ bleibt permanent bestehen. Ohne Pflanzenschutzmaß­
nahmen werden im Mittel der acht wichtigsten Ackerbaukulturen Verluste in Höhe von
weit mehr als 20 % durch Unkräuter, fast 20 % durch pilzliche Schadorganismen und auch
fast 20 % durch tierische Schadorganismen erwartet. Die Pflanzenschutzmaßnahmen, che­
1
Dr. Bernd Freier, Institut für integrierten Pflanzenschutz, Biologische Bundesanstalt für Land- und
Forstwirtschaft, 14532 Kleinmachnow
E-Mail: b.freier@bba.de
100
mische und nichtchemische, werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass die Verluste zum
großen Teil abgewehrt werden können. Allerdings muss dennoch mit fast 20 % Verlust
gerechnet werden, die mit dem Instrumentarium des Pflanzenschutzes nicht abgefangen
werden können. Dafür sprechen einige Probleme, die trotz wissenschaftlich-technischen
Fortschritts bei der Bereitstellung von Entscheidungshilfen und trotz gezielter Abwehr­
maßnahmen auch in Zukunft kaum gelöst werden können:
–
witterungsbedingte Ungenauigkeiten der Prognosen,
–
Fehler bei Diagnosen von Schaderregern und nicht optimale Durchführung von Pflan­
zenschutzmaßnahmen, vor allem aufgrund unzureichender Beratung und
–
das Nichtvorhandensein von geeigneten Pflanzenschutzlösungen bei einzelnen Schad­
organismen.
3 Veränderte Schadorganismensituation infolge Klimawandel
Nach J AHN und FREIER (2001) ist bei einer allgemeinen Temperaturerhöhung um 2 °C be­
reits mit deutlichen Auswirkungen auf das Auftreten von Schadorganismen zu rechnen:
–
Veränderungen der geografischen Verbreitung von Schadorganismen,
–
schnellere Entwicklungsraten und größere Anzahl von Generationen,
–
Verlängerung der biologisch aktiven Jahreszeit,
–
Veränderung der Synchronität zwischen Pflanze und Schadorganismus und zwischen
Schadorganismus und natürlichen Gegenspielern,
–
zunehmende vitale Überwinterung von Schädlingen und
–
zunehmendes Risiko invasiver, Wärme liebender Schadorganismen.
Hinzu kommen noch andere Effekte des „global change“, die z. B. mit der Zunahme von
Ozon und CO2 in der Atmosphäre einhergehen.
Es wird angenommen, dass mit einer zunehmenden Erwärmung Getreideroste trotz großer
Anstrengungen in der Resistenzzüchtung an Bedeutung gewinnen. Der Maiszünsler wird
sich in Deutschland weiter nach Norden ausdehnen. Getreidewanzen, die in Südosteuropa
und der Türkei zu den wichtigsten Schädlingen zählen, könnten auch in Deutschland schäd­
lich auftreten. Der Getreidelaufkäfer und verschiedene Blattlausarten an Getreide, Zucker­
rübe, Kartoffel und anderen Kulturen werden häufiger zu Gradationen neigen. Auch die
Wintersaateule und Gammaeule werden von der allgemeinen Erwärmung profitieren. Com­
putersimulationen zeigen aber auch, dass einige natürliche Feinde der Blattläuse, insbeson­
dere die Wärme liebenden Marienkäfer schon bei Temperaturen, die 2 °C höher liegen als
normal, mit einer deutlich gesteigerten Fraßaktivität reagieren.
Pflanzenschutz
101
4 Veränderte Schadorganismensituation infolge Einschleppung
Die Einschleppung von Schadorganismen insbesondere aus Nordamerika ist eine perma­
nente Bedrohung der Pflanzenproduktion in Mitteleuropa. Dabei zeigt sich, dass nicht die
Einschleppung an sich, sondern das invasive Verhalten der „Aliens“ das eigentliche Prob­
lem darstellt. Allerdings gehen Experten davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten rela­
tiv wenige neue interkontinental verschleppte Schadorganismen Sorgen bereiten, weil in
vielen Ländern zunehmend „Biosecurity services“ aufgebaut werden. Für Probleme sorgen
vielmehr bereits eingeschleppte Schadorganismen, die nach Jahren ihre „Lag phase“ über­
wunden haben und sich dann massenhaft vermehren.
Der aus Nordamerika stammende Westliche Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera virgi­
fera) breitet sich seit 1992 über Europa aus und wird auch bald in Deutschland auftreten.
Mit Hilfe von Computersimulationen wurde nachgewiesen, dass die Ausbreitung über Süd­
deutschland ohne Gegenmaßnahmen mindestens 10 Jahre beansprucht und der Schädling
im Jahr 2025 noch nicht in allen Maisanbaugebieten Deutschlands Fuß gefasst hat.
5
Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel
Im Pflanzenschutz lassen sich langfristig zwei Strategien identifizieren, die das Potenzial
für eine nachhaltige Landbewirtschaftung haben:
1. der integrierte Pflanzenschutz im Rahmen einer kontrollierten integrierten Produktion
und
2. der Pflanzenschutz im Rahmen des ökologischen Landbaues.
Während der ökologische Landbau auf die Anwendung synthetischer chemischer Pflanzen­
schutzmittel verzichtet, setzt der integrierte Pflanzenschutz auf die Begrenzung der An­
wendung chemischer Mittel auf das notwendige Maß. Diese Zielstellung findet auch den
Widerhall in der Gesellschaft, denn die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel im
konventionellen Landbau wird aus der Sicht des Verbraucher- und Umweltschutzes perma­
nent kritisch gesehen. Die langfristig stärkere Hinwendung zum integrierten Pflanzenschutz
wird dazu führen, dass die Pflanzenschutzintensität im Ackerbau sinkt. Voraussetzung ist
allerdings, dass veränderte GAP-Rahmenbedingungen greifen, strenge Anwendungsbe­
stimmungen für Pflanzenschutzmittel existieren und Beratung sowie andere Elemente eines
Reduktionsprogramms einen entsprechenden Beitrag leisten.
Große Erwartungen werden zukünftig in die differenzierte Regionalität der Anwendung
von Pflanzenschutzmitteln gesetzt, einerseits bei der ortsbezogenen Umsetzung von An­
wendungsbestimmungen und andererseits bei der situationsbezogenen Applikation von
Pflanzenschutzmitteln. Eine wichtige Technologie wird die GIS-basierte Ausbringung von
102
Pflanzenschutzmitteln sein. Sensoren erkennen Befallsunterschiede innerhalb von Feldern
und passen die Dosierung an. Darüber hinaus liefern digitale Karten dem Bordcomputer
zusätzliche Informationen zur Umgebung eines Schlages, z. B. zu Gewässern und Saumbio­
topen. Der Code des verwendeten Pflanzenschutzmittels liefert die Auflageinformation.
Auf Grundlage dieser Daten steuert der Bordcomputer das Zu- und Abschalten der Düsen
gemäß der Anwendungsbedingungen.
Angesichts der erwarteten agrarpolitischen Rahmenbedingungen und der technischen Per­
spektiven kann damit gerechnet werden, dass die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln
von derzeit 1,7 kg Wirkstoff/ha auf unter 1 kg/ha im Jahr 2025 sinkt. Diese Tendenz wird
sich auch beim Behandlungsindex, der die Anzahl der Applikationen auf einer Fläche be­
schreibt (BURTH et al., 2003), widerspiegeln.
Schließlich wird auch erwartet, dass sich in der konventionellen Produktion zunehmend
Qualitätssicherungssysteme mit konkreten Pflanzenschutzparametern durchsetzen werden
und die lückenlose Dokumentation der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und anderer
Maßnahmen die volle Transparenz im Pflanzenschutz sichert.
6
Grüne Gentechnik
Die grüne Gentechnik kann zur Lösung von Pflanzenschutzproblemen beitragen, ist aller­
dings in der Gesellschaft umstritten. Besonderes Interesse verdienen gentechnisch modifi­
zierte Sorten mit Resistenzen gegenüber Schadorganismen, wie z. B. Bt-Maissorten, in de­
nen das Toxin des insektenpathogenen Bakteriums Bacillus thuringiensis synthetisiert
wird, zur Abwehr des Maiszünslers (Ostrinia nubilalis). Jedoch ist die Risikobewertung der
Anwendung derartiger Sorten noch nicht abgeschlossen und der Rechtsrahmen noch nicht
endgültig gelegt, so dass die weitere Entwicklung völlig offen ist und eine Prognose der
Anwendung gentechnisch modifizierter Kulturpflanzensorten mit Resistenzen gegenüber
Schadorganismen bis zum Jahr 2025 nicht möglich ist.
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wendung chemischer Pflanzenschutzmittel. Nachrichtenbl. Dt. Pflanzenschutzd.
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Pflanzenbau
103
Wie werden Fruchtfolgen und Produktionsverfahren im Jahr
2025 aussehen?
Jörg Michael Greef, Frank Höppner, Andreas Bramm
1
1
Einleitung
Von der Vergangenheit bis in die Gegenwart ist eine Vereinfachung der Fruchtfolgen zu
beobachten. Mit der Technisierung, Spezialisierung und Rationalisierung ist eine Simplifi­
zierung der Produktion eingetreten.
Dieser Trend wird sich auch in die Zukunft fortsetzen. Verantwortlich sind vor allem öko­
nomische Rahmenbedingungen, aber auch die Meinung, dass mit Pflanzenschutz, Dünge­
mitteln und Technik ertragsbeeinflussende Fruchtfolgewirkungen überdeckt werden kön­
nen. Dabei stehen die positiven Auswirkungen einer vielfältigen und an den Standort ange­
passten Fruchtfolge auf die Bodenfruchtbarkeit und Pflanzengesundheit außer Zweifel.
Vielfältige Fruchtfolgen wirken sich durch ihre komplexen Wechselwirkungen positiv auf
die Umwelt aus. Dieses ist besonders im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung unter dem
Aspekt der Nachhaltigkeit von Bedeutung. Boden- und Gewässerschutz, Nährstoffkreisläu­
fe sowie ein ausgewogenes Landschaftsbild durch wechselnde Fruchtarten sind nur einige
Aspekte von vielfältigen Fruchtfolgen. Trotz dessen beruht das gegenwärtig (2001) ange­
baute Fruchtartenspektrum auf wenigen Arten: Auf der 10,8 Mio. ha großen bundesdeut­
schen Ackerfläche werden ca. 6,6 Mio. ha Getreide angebaut, wovon Weizen ca. 3 Mio. ha
und Wintergerste 1,5 Mio. ha ausmacht. Mais (Silo- und Körnermais) ist mit 1,5 Mio. ha
die nächst größere Anbaufrucht. Ölfrüchte (Raps) werden auf 1,1 Mio. ha produziert. Zu­
ckerrüben belegen ca. 500.000 ha und Kartoffeln 280.000 ha Anbaufläche. Die Legumino­
sen (Erbsen, Ackerbohnen) beanspruchen nur einen kleinen Anteil der Flächen von ca.
180.000 ha. Andere Fruchtarten spielen so gut wie keine Rolle. Damit ist festzuhalten, dass
das gegenwärtige Anbauspektrum sehr getreidelastig ist und folglich die Fruchtfolgegestal­
tung sehr einseitig ist.
Nach wie vor und auch in Zukunft wird eine hohe Flächenleistung Voraussetzung für einen
guten Agrarwirtschaftsstandort bleiben, wobei die Effizienz der Produktion entscheidend
für das Ergebnis sein wird. Dabei werden die in den Anbauregionen etablierten Betriebs­
zweige und Absatzwege die Anbauverhältnisse prägen bzw. umgestalten.
1
Dir. und Prof. Dr. Jörg Michael Greef, Dr. Frank Höppner, Dr. Andreas Bramm, Institut für Pflanzenbau
und Grünlandwirtschaft, Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), Bundesallee 50, 38116 Braun­
schweig
E-Mail: joerg.greef@fal.de, frank.hoeppner@fal.de, andreas.bramm@fal.de
104
2
Vorfrucht und Fruchtfolgewirkung
Grundsätzlich ist zwischen der Vorfruchtwirkung und der Fruchtfolgewirkung zu unter­
scheiden.
Die Vorfruchtwirkung ist die Summe aus der Nachwirkung des vorjährigen Pflanzenbe­
standes (N- und C-Rückstände, Krankheiten, Schädlinge etc.) und den Nachwirkungen der
Anbaumaßnahmen (organische und mineralische Düngung, Bodenbearbeitung, Herbizid­
einsatz, etc.).
Die Fruchtfolgewirkung setzt sich aus der akkumulierten Wirkung mehrerer Vorfruchtrück­
stände und der akkumulierten Wirkung mehrerer Rotationen auf alle Fruchtarten einer Ro­
tation zusammen.
Bei der Frage, ob Vorfrucht oder Fruchtfolgewirkung die größere Bedeutung haben, gehen
die Meinungen auseinander. Verlässliche Daten sind schwer zu erheben, da sich einerseits
die Wirkungen überlagern und anderseits das experimentelle methodische Vorgehen an die
Problematik von Dauerversuchen geknüpft ist. Eine Reihe von Versuchsanstellungen zei­
gen allerdings, dass die unmittelbare Vorfrucht einen größeren Einfluss auf die Ertragshöhe
hat, als die Gesamtrotation einer Fruchtfolge. Allerdings zeigen sowohl Versuche als auch
die Praxis, dass die negativen Effekte von unvorteilhaften Fruchtfolgen nur bedingt durch
Düngungsmaßnahmen ausgeglichen werden können.
Einige Beispiele von Fruchtarten, die eine besondere Bedeutung in Fruchtfolgen haben:
Die bedeutende Kulturart Weizen reagiert verhältnismäßig stark auf Vorfruchtwirkungen.
Es können relativ hohe Ertragseinbußen nach ungünstigen Vorfrüchten festgestellt werden.
Raps und auch Leguminosen (Erbsen, Ackerbohnen) übertreffen heute häufig als Vorfrüch­
te Mais und Zuckerrüben, die früher als die tragenden Glieder als Hackfrüchte einer
Fruchtfolge Bedeutung hatten. Die Einschränkungen bei Zuckerrüben und Mais ergeben
sich aus den arbeitswirtschaftlichen und produktionstechnischen Verfahren. Gründe sind
u. a. die Bedingungen während der Ernte oder Herbizidrückstände.
Hafer ist eine typische Gesundungsfrucht und damit den Hackfrüchten oft gleichwertig.
Allerdings muss ein relativ großer Anbauabstand eingehalten werden. Dagegen ist z. B. der
Roggen selbstverträglicher und kann in einem engeren Abstand angebaut werden. Neben
den Winterkulturen, die für einen Bodenbedeckungsgrad sorgen und damit u. a. Erosions­
vorgängen entgegenwirken, ist die Einbeziehung von Zwischenfrüchten sehr positiv zu be­
werten. Neben dem Gesundungsaspekt beim Zuckerrübenanbau führen sie besonders auf
leichten Böden zu Ertragssteigerungen.
Pflanzenbau
3
105
Getreidebetonte Fruchtfolgen
Die Produktionstechnik nimmt eine besondere Stellung ein. Der Einarbeitung von Ernte­
rückständen (Stroh) kommt in Fruchtfolgen mit hohen Anteilen von Getreide einschließlich
Körnermais eine entscheidende Rolle zu. Die nachteiligen Wirkungen einer ungenügenden
Strohrotte werden abgemildert, sofern der Standort durch eine hohe Bodenfruchtbarkeit,
ausreichender Wasserversorgung und geringem Krankheits- und Schädlingsdruck charakte­
risiert ist. Die Mindererträge resultieren aus einem Faktorenkomplex, der u. a. durch eine
erschwerte Saatbettbereitung oder einer temporären N-Fixierung bzw. verspäteten NFreisetzung gekennzeichnet ist. Befallene Ernterückstände verschärfen die Problematik,
besonders tendenziell durch Frühsaaten ein höheres Ertragspotenzial ausschöpfen zu wol­
len.
4
Diversifizierung oder Kostenübernahme
Die agrarpolitischen Rahmenbedingungen werden durch den Abbau von leistungsneutralen
Zahlungen vermutlich zu einer stärkeren Differenzierung zwischen den landwirtschaftli­
chen Unternehmen führen. Inwieweit ein Betrieb weitergeführt wird, hängt von seiner Posi­
tionierung ab. Einerseits kann er den Weg der Diversifizierung gehen. Dies bedeutet, dass
Konkurrenzvorteile durch spezifische wesentliche Merkmale ausgenutzt werden. Bei­
spielsweise können sich spezielle Qualitäten im Produktionsverfahren oder in Produkten
gekoppelt mit einer Direktvermarktung auch von Sonderkulturen positiv auf das Betriebs­
ergebnis auswirken. Solche Produktionsweisen sind typisch für den ökologischen Landbau.
Im Rahmen dieser Produktionsweise werden und müssen bewusst die positiven Effekte von
weiten Fruchtfolgen besonders durch den Einbau von Leguminosen (N-Sammlung) ausge­
nutzt werden. Aufwendige mechanische Produktionstechniken müssen den Verzicht auf
bestimmte Faktormittel ausgleichen. Weiterhin ist es notwendig, dass Ertragsminderungen
durch eine höhere Flächenbeanspruchung kompensiert werden müssen. Die Optionen für
die Variante der Diversifizierung werden allerdings nur einen begrenzten Umfang einneh­
men, da standörtliche Gegebenheiten und auch vorhandene Betriebs- und Vermarktungs­
strukturen vorgegeben sind.
Die Mehrheit der Betriebe bzw. Unternehmen einschließlich der der ökologischen Land­
baubetriebe wird den Weg gehen müssen, Produkte möglichst effizient zu produzieren, um
durch kostengünstigere Verfahren Konkurrenzvorteile ausnutzen zu können. Die Präferenz
wird auf den rentablen Feldfrüchten liegen. Diese werden nach wie vor Weizen, Raps und
Zuckerrüben bleiben. Neben der Zuckerrübe auf den Bördeböden wird der Weizen und zu­
nehmend der Körnermais sowohl auf günstigen Standorten (gute Wasserführung) als auch
weniger günstigen (trockenen) die rentabelste Anbaufrucht bleiben bzw. werden. Entspre­
chend hoch war und ist der Weizenanteil in der Fruchtfolge und wird es auch in Zukunft
106
bleiben. Einschränkend ist allerdings der Qualitätsaspekt zu nennen, der zu Einschränkun­
gen führen kann, da hohe Backqualitäten unter den klimatischen Bedingungen Mitteleuro­
pas nicht immer erzielt werden können.
5
Rotationen
Auch zukünftig wird nicht die Einzelfruchtbetrachtung, sondern das so genannte „Rotati­
onsergebnis“ ausschlaggebend für das Betriebsergebnis sein. Unter diesem Gesichtspunkt
reagiert Weizen am günstigsten auf die direkten Vorfrüchte wie z. B. Raps oder Legumino­
sen (Erbsen/Ackerbohnen). Der Anbaufrequenz von Winterweizen/Winterraps dominierten
Fruchtfolgen sind jedoch Grenzen gesetzt. Versuche und auch die Praxis zeigen, dass mit
jeder Erhöhung des Anteils von Weizen auf Kosten anderer Kulturen (z. B. Winterweizen
statt Wintergerste) von einer dreigliedrigen Fruchtfolge (Winterraps/Winterweizen/Wintergerste) zu einer zweigliedrigen Fruchtfolge (Winterraps/Winterweizen) das Ertragsni­
veau sinkt bzw. das Produktionssystem instabiler und anfälliger wird. Verschiedene Gründe
lassen solche engen Fruchtfolgen häufig nicht zu. Die Wintergerste wird in dreigliedrigen
Fruchtfolgen aufgrund standortörtlicher und betriebsstrukturellen Gegebenheiten (knappen
Maschinenkapazitäten/Arbeitskraftausstattung) und einer begrenzten Zeitspanne zwischen
Ernte und Bestellung seine Berechtigung behalten, auch wenn es sich um eine wettbe­
werbsschwächere Kulturart handelt. Auf ertragsschwachen Standorten wird dieses auch
nach wie vor für den Roggen- bzw. Triticaleanbau sprechen. Besonders für Raps wirkt sich
ein weiter Anbauabstand (vierjährig) aus phytosanitären Gründen günstig aus (Verticilli­
um). Fortschritte in der Produktionstechnik, im Pflanzenschutz und in den Sorteneigen­
schaften werden dieses nur begrenzt ausgleichen können. Eine Erweiterung der Fruchtfolge
durch Integration von Leguminosen kann sich sehr positiv auf Stabilität des Systems aus­
wirken. Monokultursysteme werden sich nur auf den Standorten mit günstigen Bedingun­
gen etablieren lassen.
6
Produktionstechnik und Bodenbearbeitung
Um den Faktoreinsatz zu minimieren, können auch pfluglose Bodenbearbeitungsverfahren
eingesetzt werden. Verschiedene Versuche zeigen, dass zwar die Erträge von Weizen und
Raps zwischen pflugloser Bodenbearbeitung und regelmäßigem Pflugeinsatz vergleichbar
waren, aber hinsichtlich der Anfälligkeit bzw. Stabilität des Produktionssystems schnitten
die pfluglosen Varianten ungünstiger ab. Entscheidender Punkt in diesen Verfahren ist die
Einarbeitung der Ernterückstände. Besonders wird Stoppelweizen mit diesen Problemen
behaftet bleiben. Technische Fortschritte, die speziell für die Stroheinarbeitung, d. h. der
Grad, mit dem Stroh mit Boden vermischt werden kann, um eine schnelle Strohrotte zu
ermöglichen, werden in der Kombination von Frühsaatverträglichkeit und pfluglosen Ver­
Pflanzenbau
107
fahren zukünftig an Bedeutung zunehmen. Erfolgreiche pfluglose Bodenbearbeitungssys­
teme werden sich nur in angepassten Fruchtfolgen mit Wintergetreide und Blattfrüchten
und Sommergetreide realisieren lassen. Hierbei sollten auch wieder weite Anbauabstände
für Raps gelten. Werden in diesen Fruchtfolgen Zuckerüben und Mais statt Raps integriert,
können geringere Anbauabstände gelten.
7
Gentechnik und Sorten
Sofern zukünftig ein Anbau von genetisch veränderten Sorten möglich sein wird, wird
vermutlich der Anbau eher auf die Entwicklungen der 2. und 3. Generation von GVO’s
abzielen. Diese umfassen Sorten u. a. mit spezifischen Veränderungen von Qualitätseigen­
schaften. Diese Kulturen werden hinsichtlich der Fruchtfolgegestaltung keine Unterschiede
machen. Sorten mit Herbizidresistenzen werden standörtlich eine bestimmte Rolle spielen,
wobei allerdings die Vorteile gegenüber den konventionellen Verfahren noch bestätigt
werden müssen.
8
Produktionsalternativen und nachwachsende Rohstoffe
Der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen ist hinsichtlich der Fruchtfolgegestaltung dif­
ferenziert zu betrachten. Sofern Pflanzen als Industrierohstoffe mit spezifischen Qualitäts­
eigenschaften produziert werden, lassen sich diese mit den weitgehend bekannten Effekten
in ein Fruchtfolgesystem integrieren. Beim Anbau von Kulturen zur energetischen Nutzung
kann es zu einer Erhöhung der Anbaufrequenz kommen. Da der Massen- bzw. Energieer­
trag im Vordergrund stehen soll, kann einerseits die Leistungseffizienz einzelner Kulturen
gesteigert werden oder andererseits die Flächenproduktivität durch Kombination mit einem
erweiterten Zwischenanbau erreicht werden. Allerdings sind hier Limitationen zu erwarten,
die hauptsächlich mit nur begrenzt zur Verfügung stehenden Wasserreserven zusammen­
hängen. Es bleibt zu konstatieren, dass sich der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen auf
die bereits etablierten Hauptfruchtarten (Getreide, Mais, Raps, Zuckerrüben und eventuell
Kartoffeln) beschränken wird. Alternative Fruchtarten werden nur einen geringen Anteil
ausmachen und somit nur einen geringen Beitrag für eine Fruchtfolgediversifizierung leis­
ten.
9
Beispiele aus Niedersachsen
Einige Beispiele aus dem niedersächsischen Raum sollen die Verschiebungen in den An­
bauschwerpunkten aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart verdeutlichen. Sehr wahr­
scheinlich werden die eingesetzten Prozesse sich auch zukünftig fortsetzen.
108
Niedersachsen weist eine Drittelung der Anbauflächen in Grünland, Getreide und Anbau
von Blattfrüchten einschließlich Sonderkulturen (Zuckerrüben, Mais, Kartoffeln, Raps,
Gemüse) auf. Diese Einteilung spiegelt die Hauptausrichtungen hinsichtlich Milch-, Vered­
lungs- und Marktfruchtregion wider. Für diese Strukturierung und Verteilung sind natürli­
che Voraussetzungen wesentlich. Dabei haben Eigenschaften und Lage der Böden ent­
scheidenden Einfluss auf die Landnutzung. Dieses wird auch zukünftig so bleiben. Die Zo­
nen lokalisieren sich mit der Grünlandnutzung in Weser-Ems, dem Zuckerrüben- und Wei­
zenanbau in der Börde und dem Kartoffel- sowie Roggenanbau in der Heide. Der derzeitige
wesentlichste Prozess ist der Rückgang des Grünlandes mit einem Rückzug in die Niede­
rungen und Feuchtgebiete des nördlichen Niedersachsens sowie auf die nicht ackerfähigen
Grünlandflächen. Der Grünlandanteil ging von ca. 44 % im Jahr 1960 auf ca. 30 % der
landwirtschaftlichen Nutzfläche im Jahr 2002 zurück. Inwieweit agrarpolitische Vorgaben
diese Entwicklung aufhalten können, wird sich zeigen, zumal dieser Prozess schon weit
fortgeschritten ist. Die Konzentration der Veredlungsbetriebe im Südwesten Niedersach­
sens wird den Maisanbau weiterhin favorisieren, da auf den leicht erwärmbaren humosen
Böden günstige Wachstumsbedingungen für Mais gegeben sind. Außerdem kann Mais die
Gülle gut verwerten. Die Ackerbaugebiete im südlichen und östlichen Niedersachsen wer­
den durch einen intensiven Zuckerrüben- und Weizenanbau geprägt bleiben. In begrenztem
Umfang hat der Kartoffelanbau für die Veredlungsindustrie (Pommes frites) Bedeutung.
Die Kartoffel kombiniert mit Roggen oder Triticale wird auf den Geeststandorten stattfin­
den, wobei für Speisekartoffeln eine Beregnung notwendig bleiben wird, sofern überhaupt
noch Wasser zu einem rentablen Preis verfügbar sein wird. Auf den fruchtbaren Böden der
Ackermarschen wird weiterhin der Weizen- und Rapsanbau durchgeführt.
10 Fazit
Unter dem zukünftig ansteigenden ökonomischen Druck wird die Praxis gezwungen blei­
ben, vereinfachte Fruchtfolgen anzuwenden. Fruchtfolge, Bodenfruchtbarkeit und Pflan­
zengesundheit werden ihre hohe Priorität behalten. Durch eine günstige Platzierung von
Vorfrüchten und der Ausnutzung von Vorfruchteffekten können die negativen Auswirkun­
gen zu enger Fruchtfolgen zumindest auf günstigen Standorten ausgeglichen werden. Weite
Fruchtfolgen wirken sich günstig auf die Stabilität des Produktionssystems aus und dieses
umso mehr, je ungünstiger die Standortbedingungen sind. Im geschickten Umgang mit
standörtlichen Gegebenheiten können durchaus noch nachteilig bewertete Verfahren erfolg­
reich ausgestaltet werden. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollten die positiven Auswirkungen
von vielfältigen Fruchtfolgen auf die Bodenfruchtbarkeit und Umwelt von Bedeutung sein.
Mechanisierung
109
Immer größere Maschinen oder kleine fahrerlose Schlepper –
wohin führt der Weg?
Franz-Josef Bockisch, Rainer H. Biller, Joachim Brunotte, Heinz Sourell und Hans1
Heinrich Voßhenrich
In diesem Beitrag werden Aspekte und Beispiele aufgezeigt, wie die Mechanisierung in der
Verfahrenstechnik der Pflanzenproduktion in 25 Jahren aussehen kann. Dazu wird ausge­
hend von Lösungsansätzen - die bereits auf dem Markt erhältlich sind -, von aktuellen Ent­
wicklungen, die in agrartechnischen Forschungsprojekten bearbeitet werden und von Tech­
niken und Entwicklungen, die im außerlandwirtschaftlichen Bereich bereits vorhanden sind
oder an denen in Projekten gearbeitet wird, versucht, die Zukunftsperspektive für die Me­
chanisierung in der Pflanzenproduktion auf eine nachvollziehbare Basis zu stellen.
1
Einleitung und Problematik
Ein derzeitiges Ziel bei der Beurteilung und Weiterentwicklung der Verfahrenstechniken in
der Pflanzenproduktion ist - und dies wird noch viel stärker für die Mechanisierung in 25
Jahren gelten - die Berücksichtigung vielfältiger Einflussfaktoren, die dann durch eine an­
gepasste Verfahrenstechnik umzusetzen sind. Solche Kriterien sind neben den „üblichen“
wie Senkung der Verfahrenskosten, Effizienzsteigerung, Verbesserung der Wettbewerbsfä­
higkeit, arbeitswirtschaftliche und ergonomische Kriterien, rechtliche Rahmenbedingungen
etc., insbesondere die Zielvorgaben zur Umwelt- und Bodenschonung sowie die einer
schnellen automatischen Datengewinnung und -verarbeitung, speziell für Online-Steuerungs- und Regelungsaufgaben.
Ein Hauptproblem und damit eine gewichtige Herausforderung ist, dass zunächst die viel­
fältigen Anforderungen quantitativ und qualitativ nachvollziehbar zu erfassen sind und in­
nerhalb der Prozesstechnik auch umgesetzt werden können; daneben sollten gleichzeitig
mehrere Parameter erfasst und online realisiert werden.
1
Dir. und Prof. Dr. Franz-Josef Bockisch, Dr. Rainer H. Biller, Dr. Joachim Brunotte, Heinz Sourell und
Dr. Hans-Heinrich Voßhenrich, Institut für Betriebstechnik und Bauforschung, Bundesforschungsanstalt
für Landwirtschaft (FAL), Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
E-Mail: franz.bockisch@fal.de, rainer.biller@fal.de, joachim.brunotte@fal.de, heinz.sourell@fal.de,
hans.vosshenrich@fal.de
110
2
Entwicklungsstand und zukünftige Zielvorgaben
Hinsichtlich des Bodenschutzes gilt es beispielsweise den Kontaktflächendruck so gering
wie möglich zu halten, damit keine Probleme mit einer Bodenverdichtung auftreten. Dazu
gibt es z. B. folgende technische Lösungsvarianten:
–
Applikationsmaßnahmen wie Dünger- und Herbizidausbringung können beispielsweise
aus der Luft über Agrarhubschrauber (Abbildung 1) oder Agrarflugzeuge erfolgen. Mit
dieser Verfahrenstechnik kann der Kontaktflächendruck bis auf Null reduziert werden.
Allerdings hat diese Technik u. a. Nachteile wie die hoher Verfahrenskosten, einer un­
genauen Verteilqualität, große Abdriftgefahr etc.
Abbildung 1:
Einsatz eines Agrarhubschraubers für die Düngerapplikation
Foto: Sourell.
–
Für Erntemaßnahmen kommen in der Regel „erd- oder bodengebundene“ Fahrzeuge zum
Einsatz. Speziell hierfür und natürlich auch bei allen anderen „bodengebundenen Tech­
niken“, die z. T. hohe Gesamtgewichte haben können, gilt es den Bodendruck so gering
wie möglich zu halten (Abbildung 2). Dazu gibt es u. a. folgende Lösungsmöglichkeiten:
Breitreifen, Niederquerschnittsreifen, niedriger Reifeninnendruck, automatische Reifen­
druckregelanlage, Bandlauffahrwerke, Erhöhung der Tragfähigkeit der Böden z. B.
durch Direktsaatverfahren oder konservierende Bodenbearbeitungsverfahren.
–
Bei der konventionellen Bodenbearbeitung mit Pflug und Sekundärbodenbearbeitung
besteht ein Teillösungsansatz darin, dass beim Pflügen alle Räder oder die Bandlauf­
werke auf dem nicht gepflügten Boden laufen, dem sog. Onlandpflügen; dadurch kön­
nen grundsätzlich Bodenschadverdichtungen eher vermieden werden (Abbildung 3).
Ein Problem besteht allerdings derzeit noch bei der exakten Spurführung.
Mechanisierung
Abbildung 2:
111
Zuckerrübenvollernter – Messung der Radlast
Foto: Brunotte.
Abbildung 3:
Foto: Brunotte.
Onlandpflügen
112
–
Ein weiteres Beispiel ist die Arbeitsplatzgestaltung für die Bedienung selbst fahrender
Arbeitsmaschinen. Hier gilt es z. B. neben einer optimalen Bedienhebelanordnung und
-betätigungsmöglichkeit, einer guten Klimatisierung, einer guten Informationsbereit­
stellung, insbesondere eine optimale Übersichtlichkeit der Fahrzeuge bzw. für die Ar­
beitsgeräte zu schaffen, dass heißt ein optimales Sichtfeld für den Fahrer; dies war oder
ist nicht immer gewährleistet (Abbildung 4).
Abbildung 4:
Sichtfelder bei verschiedenen Schlepperbauarten
Das Ziel ist daher, zukünftig die vielfältigen und z. T. divergierenden Anforderungen mög­
lichst komplex umzusetzen und für die Praxis nutzbar zu machen. Für die landwirtschaftli­
che Verfahrenstechnik bedeutet dies, dass ein Monitoring von Techniken und Sensoren
notwendig ist und anschließend geeignete Lösungsvarianten ggf. für spezielle und/oder
komplexe Einsatzbereiche anzupassen und weiter zu entwickeln sind.
3
Aspekte zur derzeitigen Ausgangssituation
Neben dem aktuellen Entwicklungsstand in der Verfahrenstechnik der Pflanzenproduktion
und dem was innerhalb von Projekten derzeit beforscht wird, gibt es vielfältige Entwicklun­
gen im industriellen Bereich und in außerlandwirtschaftlichen Forschungsdisziplinen. Dazu
Mechanisierung
113
zählen u. a. Entwicklungen für autonome Fahrzeuge. Damit diese funktionieren, sind einzel­
ne Sensortechniken zu entwickeln und weiter zu entwickeln; diese sind anschließend zu
kombinieren und zu vernetzen. Die so gewonnenen Informationen sind zu verarbeiten und
aufzubereiten und dann über Steuer- und Regelungstechniken umzusetzen, damit die entspre­
chenden Aktoren die notwendigen Informationen bekommen. Hierzu gibt es schon zahlreiche
Lösungen aus dem Bereich der Fahrzeugtechnik und -forschung, der Raumfahrttechnik, der
Militärtechnik etc. Sensortechniken zur autonomen Fahrzeugsteuerung können beispielswei­
se bildverarbeitende Techniken, Laser-, Ultraschall- oder Radartechniken, Thermografie­
techniken oder GPS-/DGPS-Techniken und Kombinationen daraus sein. Derartige Sensor­
techniken mit den entsprechenden weiter verarbeitenden Technologien und Aktoren sind
notwendig, wenn autonome Fahrzeuge in der Raumfahrt eingesetzt werden (Abbildung 5).
Weitere Beispiele sind in der Militärtechnik mit autonomen Roboterfahrzeugen, in der Au­
tomobilindustrie mit fahrlosen PKW und in der Kommunaltechnik zu finden (z. B. PASSIG,
1999; Forschungsbericht der FACHHOCHSCHULE HANNOVER, 2003).
Abbildung 5: Autonomes Fahrzeug für die Raumfahrt – Lunar Rover Initiative, Carne­
gie Mellon University
114
4 Beispielhafte Darstellung derzeitiger Lösungs- und Forschungsansätze
und daraus abgeleitete zukünftige Entwicklungen
Aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion
werden nachfolgend exemplarisch sechs Beispiele für den derzeitigen Entwicklungs- und
Forschungsstand aufgezeigt und daraus eine Zukunftsvision abgeleitet. Die Beispielsberei­
che sind Bodenbearbeitung, Beregnung, Unkrautkontrolle und -regulierung, Erntetechnik,
Datenkommunikation und Fahrzeugsteuerung.
4.1
Bodenbearbeitung
Um Bodenschadverdichtungen zu vermeiden bzw. deutlich zu reduzieren, besteht bei der
konventionellen Bodenbearbeitung mit Pflug heute schon die Möglichkeit des so genannten
Onlandpflügens (s. Abbildung 3). Mit dieser Verfahrenstechnik wird die Pflugsohlenbildung
vermieden und es können auch sehr breite Reifen mit niedrigem Innendruck eingesetzt wer­
den. Verbesserungsbedürftig an dieser Technik ist allerdings die Steuerungstechnik zur exak­
ten Maschinenführung. Dies wird zukünftig mit weiter entwickelter Sensor- (Taster, Radar,
Ultraschall, Laser, GPS etc.) und Steuerungstechnik jedoch möglich sein (siehe z. B. Mittei­
lungen des HDLGN-Hessen, Furchenscout der Fa. Lemken). Ein anderer Ansatzpunkt wäre
die Realisierung eines kleinen, selbst fahrenden Pflugroboters, so wie es in einer Studie (Ab­
bildung 6) von STEINKAMPF und SOMMER (1993) skizziert wurde.
Abbildung 6:
Skizze zur Konstruktion und Auslegung eines Pflugroboters
Mechanisierung
115
Weitere verfahrenstechnische Möglichkeiten, um den Boden zu schonen und Bodenschad­
verdichtungen zu vermeiden, sind konservierende und nicht wendende Bodenbearbeitungs­
verfahren sowie Direktsaatverfahren. Werden solche Verfahrenstechniken über mehrere
Vegetationsperioden kontinuierlich angewendet, so bildet sich eine andere Bodenstruktur –
je nach Bodenart etc. unterschiedlich – heraus, z. B. wird die Bodenfauna intensiver, vor
allem die Regenwurmpopulation (wodurch das Infiltrationsvermögen des Bodens steigt),
das Porenvolumen nimmt zu und der Boden wird grundsätzlich stabiler und damit tragfähi­
ger. Beispielsweise steigt nach BROUER (1990) der Ertrag je ha tendenziell an, wenn das
Porenvolumen zunimmt (Abbildung 7).
Abbildung 7:
Ertrag je Hektar in Abhängigkeit des Bodenporenvolumens in 15 cm Tiefe
Im Vergleich zur üblichen Bodenbearbeitung ist die nicht wendende, konservierende Bo­
denbearbeitung (Abbildung 8) verfahrenstechnisch weniger aufwendig und verursacht ge­
ringere Verfahrenskosten bei meistens gleichen oder z. T. besseren Erträgen (z. B.
TEBRÜGGE, 2003). Diese Tendenz kann zukünftig dadurch verbessert werden, wenn bei­
spielsweise die Bearbeitungstiefe teilflächenspezifisch offline nach den jeweiligen aktuel­
len Bedingungen geregelt wird (s. auch Beitrag VOSSHENRICH et al. in diesem Sonderheft).
Durch eine ortsspezifische Bodenbearbeitung ist es vor allem bei flacher konservierender
Bearbeitungstechnik möglich, den Dieselverbrauch je ha gegenüber dem Einsatz nach tiefer
Bearbeitung mit Pflug weiter zu senken (Abbildung 9). In dieselbe Richtung (Pflug → konservierend-tief → konservierend-flach) wird auch der Zugkraftbedarf und der Schlupfanteil
reduziert. Dies trägt zur Bodenschonung und zum Umweltschutz bei. Durch eine entspre­
chende Weiterentwicklung der Verfahrenstechnik können solche Vorteile zukünftig ver­
stärkt genutzt werden. Zukünftig könnte für die Bodenbearbeitung ein anderer technischer
116
Lösungsansatz das „Pflügen mit Ultraschalltechnik“ sein; durch Ultraschallwellen könnte
der Boden gelockert werden, ohne dass ein mechanischer Eingriff in den Boden stattfinden
muss (ABU-HAMDEH, 2004).
Abbildung 8: Beispiel für nicht wendende Bodenbearbeitung ()
Foto: Vosshenrich.
Abbildung 9: Auswirkung unterschiedlicher Bodenbearbeitung auf den Parameter Die­
selverbrauch bei Bearbeitung mit Pflug, konservierend-tief und konservierend-flach (WEISSBACH und VOSSHENRICH, 2003)
Mechanisierung
117
Verbesserungsbedürftig bei der konservierenden Bodenbearbeitung kann die gleichmäßige
Einarbeitung von Stroh nach der Getreideernte mit großen Arbeitsbreiten sein; Ziel ist es
jedoch, sowohl in Längs- als auch in Querrichtung das auf dem Acker verbleibende Stroh
gleichmäßig flach einzuarbeiten, um einen schnellen und gleichmäßigen Rotteprozess zu
erreichen. Derzeit gibt es hier Unterschiede zwischen verschiedenen konservierenden Be­
arbeitungsverfahren (Abbildung 10). Ziel muss es jedoch sein, bei allen in Frage kommen­
den Verfahren, eine optimale Einarbeitungsqualität zu erreichen. Ansatzpunkte, um dies zu
erreichen, sind eine bessere Verteilqualität durch den Häcksler, insbesondere bei großen
Arbeitsbreiten, eine ortsspezifische Bodenbearbeitung und Sensortechniken, die die tat­
sächliche Strohbeaufschlagung online erkennen und die Einarbeitungstechnik dann ent­
sprechend regeln.
Abbildung 10: Einarbeitungsqualitäten bei der Einarbeitung von Stroh bei unterschiedli­
chen konservierenden Bodenbearbeitungsverfahren (BRUNOTTE und VOSS­
HENRICH, 2003)
Unabhängig davon, welche verfahrenstechnischen Maßnahmen durchzuführen sind, wel­
cher Bodenzustand im Einzelnen anzutreffen ist, welche sonstigen technischen Rahmenbe­
dingungen vorhanden sind etc., kann auf die aktuelle Tragfähigkeit des Bodens reagiert
werden, indem online der Reifeninnendruck reguliert wird (Abbildung 11). Dazu gibt es
heute schon eine Reihe von technischen Lösungen, die für die Zukunft jedoch noch zu
verbessern sind, indem z. B. die aktuelle Bodenzustandserfassung komplexer erfolgt und
118
die daraus gewonnenen Informationen online umgesetzt werden, z. B. mit Hilfe von Spur­
tiefensensoren. Informationen über die aktuelle Bodenfeuchte sind ein weiterer wichtiger
Parameter, der in die Entscheidungsfindung zukünftig online eingehen sollte (s. Kapitel
4.2, Abbildung 13). Um derartige Daten zu gewinnen, können z. B. Abstandsmessungen,
Laser-, Ultraschall und Radarsensoren eingesetzt werden; diese Problematik wird u. a. im
Institut für Betriebstechnik und Bauforschung im Rahmen eines BMBF-Projektes bearbei­
tet (BRUNOTTE und SOMMER, 2004).
Abbildung 11: Schlepper mit Reifendruckregelanlagen und die Auswirkungen auf die
Spurtiefe (VOLK, 2004; MERCEDES-BENZ, 2004)
4.2
Beregnung
Ein Beispiel für fahrerlose bzw. autonome Applikationstechniken sind schon heute Bereg­
nungsmaschinen, z. B. Kreisberegner oder Linearberegnungsmaschinen (Abbildung 12).
Diese Maschinen können vollautomatisch teilflächenspezifisch und über Telekommunika­
tionstechniken gesteuert und kontrolliert werden (s. auch VOSSHENRICH et al. in diesem
Sonderheft). Mit verbesserten Applikationstechniken (z. B. Tropfbewässerung) tragen sie
zu einer effektiven Nutzung der Ressource Wasser, zur Bodenschonung, zur Ertragssteige­
rung etc. bei (z. B. SOURELL, 2004). Zukünftig ist es ein Ziel, den aktuellen Bodenfeuchte­
zustand online in die Bemessung der speziellen Wasserapplikationsmenge mit einzubeziehen.
Dazu ist es notwendig, entsprechende Bodenfeuchtesensoren für diesen Einsatzbereich weiter
zu entwickeln, z. B. mit Hilfe kapazitiver Bodenfeuchtesensoren (Abbildung 13). Der Daten­
Mechanisierung
119
austausch zwischen Sensoren, Telekommunikation, Applikationstechnik und Aktoren ist
nach genormten Vorgaben zu vollziehen (z. B. DIN, VDI, En-Normen, ISO-Normen).
Abbildung 12: Autonome Kreisberegnungsmaschine
Foto: Sourell.
Abbildung 13: Varianten von Bodenfeuchtesensoren (SOURELL und THÖRMANN, 2004)
120
4.3
Unkrautkontrolle und -regulierung
Bei der Applikation von Pflanzenschutzmitteln (PSM) sollte versucht werden, so wenig wie
möglich auszubringen, aber soviel, dass die gewünschten Wirkungen erzielt werden. Mit
einer solchen Vorgehensweise kann der PSM-Aufwand gegenüber üblicher Applikations­
technik deutlich reduziert werden, was die Kosten senkt und die Umweltbelastung deutlich
reduziert. Damit aus verfahrenstechnischer Sicht solche Aspekte genutzt werden können,
ist es notwendig, automatisch und online Pflanzen zu erkennen und zu unterscheiden und
gezielt nur die Unkräuter zu bekämpfen, die die ökonomische Schadensschwelle über­
schnitten haben. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es derzeit verschiedene verfahrens- und
sensortechnische Lösungsansätze, z. B. über bildverarbeitende Verfahren, thermografisch­
bildverarbeitende Verfahren oder optoelektronische Verfahren (z. B. BILLER, 2003). Mit
dem letztgenannten Lösungsansatz beschäftigt sich seit einiger Zeit eine Arbeitsgruppe im
Institut für Betriebstechnik und Bauforschung u. a. im Rahmen eines BMBF-Projektes
(BILLER, 2004). Mit Hilfe eines weiterentwickelten optoelektronischen Sensors bzw. Sen­
sorsystems ist es möglich, Pflanzen anhand unterschiedlicher Relexionsgrade von dem Un­
tergrund (Boden) zu unterscheiden (Abbildung 14). Werden zusätzlich mit Hilfe weiterer
Sensoren, z. B. für die aktuelle Windgeschwindigkeit, die tatsächlichen Rahmenbedingun­
gen für die PSM-Applikation erfasst, so besteht die Möglichkeit, beim Ausstoß der Mittel
die Stellung der Ausbringdüsen zu korrigieren, um die Wirkstoffe gezielt auf die entspre­
chenden Pflanzen zu applizieren (BILLER, 2004). Ziel ist es in diesem Projektbereich, ein
online-agierendes Multisensorsystem zu entwickeln. Beispielsweise ist es mit Hilfe sehr
schnell reagierender AOS-(Advanced Optoelektronik System) Technik vorstellbar, dass
über individuelle Spritzdüsensteuerung und ggf. Direkteinspeisungsverfahren sehr gezielt
besonders ausgewählte Selektivherbizide ausgebracht werden können; der Einsatz einer
flächendeckenden Behandlung mit Totalherbiziden wäre dann nicht mehr notwendig.
Zukünftig kann es notwendig sein, verschiedene Verfahren zu kombinieren, um eine opti­
male Pflanzenerkennung zu realisieren. Diese Pflanzenerkennungstechnik ist weiter mit
Online-Sensoren und -Steuerungstechniken zur exakten und differenzierten Wirkstoffappli­
kation zu kombinieren, um eine optimale Mittelanwendung zu gewährleisten; dazu sind
u. a. schnell reagierende Aktoren notwendig. Beim Vorhandensein entsprechender Sensor­
und Steuerungstechniken sowie der dazu notwendigen schnell reagierenden Aktoren wird
es zukünftig auch möglich sein, auf chemischen Pflanzenschutz bei weitreihig gesäten
Feldfrüchten zu verzichten, wenn vollautomatisch eine mechanische Unkrautbekämpfung
realisiert werden kann.
Mechanisierung
121
Abbildung 14: Relexionsgrade von Ampfer, Ackerdistel, Wintergerste, Winterweizen und
Boden im Wellenlängenbereich von 400 nm bis 1.800 nm (nach BILLER,
2003)
4.4
Erntetechnik
In der Körnerernte werden heute schon sehr große Arbeits- bzw. Mähwerksbreiten beim
Mähdrescher eingesetzt (Abbildung 15); zudem bleibt häufig das Getreidestroh auf dem
Acker. Mähdrescherarbeitsbreiten von 6 bis 9 m sind auch in Deutschland gängige Praxis.
Dies bedeutet, dass das Getreidestroh nach dem Dreschen zerkleinert und über die abgeern­
tete Fläche optimal verteilt werden sollte, damit eine gute gleichmäßige und flache sowie
eine gleichmäßige und schnelle mikrobielle Umsetzung des Strohs im Boden stattfinden
kann. Andererseits zeigen aber aktuelle Untersuchungen, dass gerade bei großen Arbeits­
breiten (6 bis 9 m), unabhängig vom Hersteller, Variationskoeffizienten bei der Strohquer­
verteilung von bis zu 90 % auftreten können (VOSSHENRICH, 1999). Hier müssen Fort­
schritte erreicht werden. Ansatzpunkte zur Verbesserung der Verteilqualität sind weiter­
entwickelte Zerkleinerungstechniken im Mähdrescherhäcksler sowie eine bessere Querver­
teilung; hinsichtlich der Längsverteilung ist eine Online-Abstimmung auf den aktuellen
Strohdurchsatz und die Vorfahrtgeschwindigkeit notwendig. Ein weiterer Ansatzpunkt, um
die Verteil- und Einarbeitungsqualität von Stroh zu verbessern, ist die Online-Anpassung
der Einarbeitungstechnik (siehe auch Kapitel 4.1). Ein weiteres Beispiel, um den Einsatz
großer Arbeitsbreiten unter optimalen Prozessqualitätsbedingungen zu realisieren, ist die
Verwendung von Lenkhilfen, z. B. über Tast- oder Lasersensoren und die Unterstützung
122
über GPS-Informationen (siehe auch Kapitel 4.6). Insbesondere bei zunehmenden Arbeits­
breiten und Fahrzeuggrößen gilt auch hier, dass durch technische und verfahrenstechnische
Weiterentwicklungen Bodenschadverdichtungen bzw. Bodenschutz zu realisieren ist (z. B.
BRUNOTTE, 2003; SOMMER und BRUNOTTE, 2003; siehe auch Kapitel 4.1). Zukünftig wird
der Einsatz derartiger Technik Standard sein, der grundsätzlich auch für jeden landwirt­
schaftlichen Betrieb nutzbar ist, z. B. über Lohnunternehmer oder Maschinenringe.
Abbildung 15: Einsatz eines Mähdreschers mit großer Arbeitsbreite bei der Getreideernte
mit Strohverteilung auf dem Acker
Foto: Vosshenrich, 2003.
4.5
Datenkommunikation
Damit vorhandene (z. B. offline) und online ermittelte Informationen auf dem Schlepper,
den Anbaugeräten und bei selbst fahrenden Maschinen genutzt werden können, ist ein stan­
dardisierter oder genormter Datenaustausch notwendig. Derartige Daten sind z. B. digitale
Schlagkarteien, die mit Online-Informationen über GPS-/DGPS-Informationen verknüpft
werden (siehe z. B. auch Beitrag VOSSHENRICH et al. oder HANEKLAUS et al. in diesem
Sonderheft) oder Online-Sensordaten, die vor dem Schlepper erfasst werden und dann an
Bearbeitungsgeräte weitergegeben werden müssen, die im Heck des Schleppers angebaut
sind. Zudem muss gewährleistet werden, dass die z. T. immensen Datenmengen auch aktu­
Mechanisierung
123
ell verarbeitet werden können (z. B. DLG-WORKSHOP, 2004). Dies ist heute schon in eini­
gen Bereichen problemlos möglich und ist in Zukunft unabdingbare Voraussetzung. Vor
allem zukünftig muss sichergestellt werden, dass jedes Anbaugerät mit jedem Schlepper
und jedem anderen Anbaugerät störungsfrei kommunizieren kann sowie vorhandene Daten
(z. B. digitale Schlagdateien) oder GPS-Daten ebenfalls störungsfrei in den Informations­
fluss einfließen können. Zukünftig wäre die aktuelle Erfassung der Aggregatgrößen bei der
Sekundärbodenbearbeitung ein weiteres Beispiel für die Online-Verarbeitung großer Da­
tenmengen, um die Bodenbearbeitungsmaschinen (z. B. Kreiselegge) nach den gewünsch­
ten Vorgaben für das Saatbett spezifisch in Abhängigkeit des aktuellen, teilflächenspezifi­
schen Zustandes zu steuern und zu regeln. Die Erfassung des Aggregatgrößenzustandes
könnte – nach erfolgten F+E-Arbeiten – über bildverarbeitende Techniken, Ultraschall,
Radar, Laser oder Kombinationen daraus erfolgen. Von deutscher Seite wurden für die
Normung eine Reihe grundlegender Arbeiten durchgeführt, z. B. im Rahmen der Entwick­
lung des LBS (Landwirtschaftliches Bus System) und/oder bei der Erarbeitung der DIN
9684 (z. B. DLG-MERKBLATT, 1999). Viele dieser nationalen Anforderungen an die Nor­
mung für die Datenkommunikation sind in die ISO 11898 eingegangen. Unabhängig davon,
welche spezielle Datengewinnungs- oder -bereitstellungstechnik eingesetzt wird, ist die
reibungslose Datenkommunikation eine grundlegende Voraussetzung, um z. B. „große Ma­
schinen“ auch auf kleinen Flächen einzusetzen. So können zukünftig durch einen überbe­
trieblichen Maschineneinsatz mehrere kleine Flächen „grenzüberschreitend“ mit einer Ma­
schine individuell bearbeitet werden; eine solche Verfahrenstechnik kann auch als „Ge­
wannenbewirtschaftung“ bezeichnet werden (AUERNHAMMER et al., 2001). Mit einer sol­
chen Vorgehensweise ist somit eine virtuelle Flurbereinigung zu realisieren.
Abbildung 16: Definitionen für die Datenkommunikation nach LBS, DIN 9684 und ISO
11898 (Quelle: DLG-MERKBLATT 317, 1999)
124
4.6
Fahrzeugsteuerung
Zur Verbesserung der Qualität von Verfahrensketten, zur Verbesserung der Arbeitsqualität
und des -erfolges, zur Effizienzsteigerung von Produktionsverfahren etc. ist es für viele Be­
reiche wünschenswert und notwendig, von manuellen Lenkungs- bzw. Steuerungsvorgängen
auf halbautomatische oder vollautomatische umzustellen; das zukünftige Ziel können dann
autonome landwirtschaftliche Fahrzeuge sein. Autonome Fahrzeuge können u. a. den Vorteil
haben, dass die Arbeitszeit und/oder Einsatzzeiten nicht mehr die Hauptentscheidungskrite­
rien für oder gegen eine Technik sind. Damit könnten auch sehr kleine Fahrzeuge wieder
eine größere Bedeutung erlangen; auch dürfte die Übersichtlichkeit von Fahrzeugen und die
visuelle Kontrollmöglichkeit von Anbaugeräten kein entscheidendes Kriterium mehr sein
(siehe z. B. Kapitel 2). Um halb- oder vollautomatisches Fahren zu realisieren sind Lenkhil­
fen bzw. Sensortechniken notwendig, um Informationen zur Steuerung der Fahrzeuge zu be­
kommen. Beispielsweise können bei Reihenkulturen mechanische Tastersysteme oder zur
Bestandsgrenzenerkennung Laserscansysteme eingesetzt werden, die zudem durch GPS/DGPS-Informationen unterstützt werden (Abbildung 17). Daneben bieten sich Ultraschall­
techniken, bildverarbeitende Sensoren oder Radartechniken an. Zur Fahrzeugsteuerung
kommt man bei Reihenkulturen auch schon mit alleinigen bildverarbeitenden Sensoren recht
weit, wie z. B. Untersuchungen von KEICHER (2002) eindeutig zeigen; ein anderes Beispiel
dazu sind Versuche von PASSIG (1999). Insbesondere bei großen Arbeitsbreiten kann durch
satellitengestützte Lenk-/Steuerungshilfen eine deutliche Entlastung des Fahrers und eine
Qualitätsverbesserung erreicht werden (z. B. Fa. AGCO, Fa. Claas). Insgesamt kann das An­
bringen und Nutzen von Sensor- und Informationstechnologien im Frontanbau eines Schlep­
pers als Lenkhilfe und für Pflanzenbestandserkennungen genutzt werden, um gezielt Dünger
und Pflanzenschutzmittel auszubringen (Abbildung 18).
Abbildung 17: Beispielhafte Übersicht zu automatischen Lenkungsmöglichkeiten von
selbst fahrenden Landmaschinen [Quelle: FRERICHS (Fa. Claas), 2004]
Mechanisierung
125
Abbildung 18: Schlepper mit Sensoren zur Lenkhilfe und für Applikationstechniken
(Fa. Reichhardt-Steuerungstechnik, 2004)
Für autonome landwirtschaftliche Fahrzeuge ist es aufgrund der bisher dargelegten Anfor­
derungen damit logisch und nachvollziehbar, dass dann alle notwendigen Funktionen und
Aktionen, die solche Fahrzeuge vornehmen sollen, vollautomatisch zu erfolgen haben. Da­
zu sind – wie bereits erwähnt – Sensor-, Datenverarbeitungs-, Steuer-, Regel- und Aktor­
techniken notwendig, die natürlich selbständig miteinander kommunizieren müssen. Für
derartige autonome Agrarfahrzeuge gibt es auch heute schon Lösungsansätze oder realisier­
te Beispiele. So gibt es eine Designstudie für ein autonomes Saat- und Pflegesystem (Ab­
bildung 19) oder in Japan werden bereits fahrerlose bzw. automatisch geführte selbst fah­
rende Erntetechniken für Reis eingesetzt (Abbildung 20) oder in Finnland werden bereits
Prototypen fahrerloser Fahrzeuge für die vollautomatische Ernte von Dünn- oder Schwach­
holz eingesetzt (LEHTINEN et al., 2003). Ein anderes Beispiel ist, übliche Traktoren ohne
Kabine und Fahrerplatz auszustatten (Abbildung 21), dafür aber mit einer multifunktiona­
len und komplexen Sensor- und Steuerungstechnik, um den Schlepper autonom fahren zu
lassen (z. B. Fa. John Deere). Erste Einsatzbereiche für solche Traktoren könnten Spezial­
kulturen wie Obst, Hopfen und Wein sein, z. B. bei der Ausbringung von PSM, um den
„Fahrer zu schützen“. Neben vielen anderen Vorteilen, wäre einer, dass bei der Entwick­
lung, Design, Gestaltung und Bau derartiger Traktoren keine Rücksicht mehr auf die „Fah­
rersichtverhältnisse“ genommen werden muss. Neben den Einsatzbereichen Bearbeitung,
Applikationen und Ernte werden zukünftig weitere Aufgaben von autonomen Fahrzeugen
Kontrollen und Datenerfassung sein. Solchen Entwicklungen wird beispielsweise an der
Universität in Wageningen (Abbildung 22) oder der in Kopenhagen nachgegangen.
126
Abbildung 19: Designstudie für ein autonomes Saat- und Pflegesystem [nach Pilgram,
1995; Quelle: Archiv Landtechnik-Weihenstephan (AUERNHAMMER und
DEMMEL, 2004)]
Abbildung 20: Halbautonome und fahrerlose Erntefahrzeuge für Reis [Quelle: Archiv
Landtechnik-Weihenstephan (AUERNHAMMER und DEMMEL; 2004)]
Mechanisierung
127
Abbildung 21: Autonomer bzw. fahrerloser Traktor, z. B. für den Einsatz in Obstplanta­
gen (nach REID und NIEBUHR, 2001)
Foto: Weiss, Fa. John Deere, 2004.
Abbildung 22: Miniagrarroboter für Kontroll- und Datenerfassungsaufgaben (Quelle:
UNIVERSITÄT WAGENINGEN, 2003)
128
5
Wohin führt der Weg?
Bezogen auf die Titelfrage können aufgrund der dargelegten Ausführungen und Beispiele
folgende Aussagen für die Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion in 25 Jahren stich­
punktartig vorgenommen werden:
–
es wird in 25 Jahren sowohl große als auch kleine Maschinen geben,
–
durch die Gewannenbewirtschaftung können mit großen Maschinen kleine Parzellen
individuell bearbeitet werden,
–
alle Traktoren und Maschinen werden bodenschonend, verfahrenstechnisch effizienter
und umweltschonender arbeiten,
–
Sensor-, Informations-, Steuerungs- und Aktortechniken werden komplex agieren,
–
es wird für viele Bereiche fahrerlose Schlepper und selbst fahrende, autonome Ar­
beitsmaschinen geben,
–
bei „autonomen landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Maschinen“ wird die Bauart hin­
sichtlich der Übersichtlichkeit keine besondere Rolle mehr spielen und
–
obwohl derzeit schon viele Entwicklungen aus Forschung und Industrie in Techniken
umgesetzt sind, wird es noch viele Jahre dauern, bis derzeit bekannte Entwicklungen
einen breiten Einzug in die Praxis gefunden haben.
Verwendete und ergänzende Literatur
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search und Bericht in „Der Spiegel“ 8/04
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AUERNHAMMER H (1988) Spezial- oder Universalschlepper, das ist die Frage – 10 Thesen
zum Traktor der Zukunft. dlz 39, H. 10, S. 1470-1477
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verhältnisse an Ackerschleppern. Landtechnik 32, H. 12, S. 497-500
AUERNHAMMER H, DEMMEL M, ROTHMUND M (2001) Gewannebewirtschaftung im Projekt
„Zeilitzheim“. Landtechnik 56, H. 3, S. 136-137
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BILLER RH (2004): Das Projekt Advanced Optoelectronic System (AOS) : Teil 2, Das Kon­
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132 Precision Farming
133
Immer mehr Daten für jeden Quadratmeter – was machen wir
daraus?
Holger Lilienthal, Silvia Haneklaus, Ewald Schnug
1
1
Einleitung
Die Freigabe des militärischen Globalen Positionierungssystems (GPS) für zivile Anwen­
dungen Ende der 80er Jahre (GPS World 2004) eröffnete die Möglichkeit, diese Technolo­
gie auch für die Landwirtschaft nutzbar machen zu können und eine völlig neuartige, res­
sourcenschonende Art der Landbewirtschaftung zu etablieren.
Mit Hilfe der Satellitennavigation sollen Felder kartiert werden, um kleinräumige Unter­
schiede in Bestands- und Bodenmerkmalen innerhalb des Schlages zu lokalisieren. Die
Aufwandmengen, z. B. an Dünge- und Pflanzenschutzmitteln können dieser Variabilität
entsprechend gesteuert werden. Die Begriffe Computer Aided Farming (CAF) (LAMP und
SCHNUG, 1990), Lokales Ressourcen Management (MURPHY et al., 1994; SCHNUG, 1996),
teilflächenspezifische Landwirtschaft (GRIEPENTROP, 1997), site specific farming (ROBERT
et al., 1995) oder Precision Agriculture (PA) (BLACKMORE, 1994) wurden geprägt. Alle
diese Begriffe stehen für eine Umorientierung der Landwirtschaft hin zu einem effizienten
Einsatz von Ressourcen, in dem Aufwandmengen und Bearbeitungsmaßnahmen der klein­
räumlichen Variabilität von Boden- und Bestandsmerkmalen angepasst werden. Auf diese
Weise wird, im Gegensatz zu einer einheitlichen Bewirtschaftung von Schlägen, agronomi­
schen und ökologischen Ansprüchen an die Landbewirtschaftung Rechnung getragen.
2
Datenerfassung
Grundlage für den Einsatz von PA ist die Erfassung der räumlichen Variabilität von Boden­
und Bestandsmerkmalen innerhalb des Schlages. Die Datenerfassung nimmt deshalb eine
zentrale Bedeutung innerhalb des PA-Konzeptes ein. Karteninformationen, wie zum Bei­
spiel die Reichsbodenschätzung in Deutschland, bieten bereits einen ersten Anhaltspunkt
zur Lokalisierung von Texturunterschieden des Bodens innerhalb eines Schlages. Mit der
Entwicklung der Erdbeobachtung durch Satelliten (Fernerkundung) wurde eine schnelle
Datenerfassung von Merkmalen wie z. B. die Variabilität von Böden, Pflanzenvitalität und
Wachstumsunterschiede innerhalb von Beständen auch für größere Regionen möglich.
1
Holger Lilienthal, Dr. Silvia Haneklaus, Prof. Dr. Dr. Ewald Schnug, Institut für Pflanzenernährung und
Bodenkunde, Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
E-Mail: holger.lilienthal@fal.de; silvia.haneklaus@fal.de; ewald.schnug@fal.de
134
Die Nutzung des GPS's ermöglichte zudem ein schnelles Auffinden von Kartenpositionen
im Gelände. Parallel zur Entwicklung von GPS-gestützten Sensoren zur Erfassung von In­
formationen über die räumliche Variabilität (Ertragsmessung, Online-Sensoren für Humus­
gehalt und Leitfähigkeit etc.) wurde das GPS zum Werkzeug für Kartierungen aller Art. In
Tabelle 1 sind die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung der Datenakquirierung für
PA dargestellt.
Tabelle 1:
Meilensteine in der Akquirierung von Daten für Precision Agriculture
seit
1934
Bereitstellung flächendeckender Bodeninformation durch die Reichsbodenschätzung in
Deutschland
1977
Nutzung von Fernerkundungsdaten zur Ertragsvorhersage (Colwell et al., 1977)
1989
Beginn der GPS-gestützten On-the-go-Sensorik (Ertragskartierung, Ableitung von Equifertilen)
(Hansen, 1990; Schnug et al., 1994)
1990
Nutzung von Fernerkundungsdaten zur Klassifikation von Bodentypen und Bestimmung der
räumlichen Variabilität von Merkmalen der Bodenfruchtbarkeit (Humusgehalt, Textur, Geo­
morphologie) (Henderson et al., 1989; Thamm, 1990; Cary, 1990)
1991
On-the-go Sensor für Humus (Sudduth und Borgelt, 1993)
1998
On-the-go-Sensor für Leitfähigkeit, Self-surveying, Directed sampling (Davis et al., 1997;
Haneklaus et al., 1998)
2000
Monitorpedozellen (Haneklaus et al., 2000; Panten, 2002; Panten et al., 2002)
Neben den Verfahren zur Erfassung der Variabilität spielt die räumliche Auflösung und
Positionsgenauigkeit der Daten eine wichtige Rolle. Die räumliche Auflösung bei der Da­
tenerhebung konnte durch leistungsfähigere Sensoren kontinuierlich verbessert werden (zu
beachten ist hier allerdings, dass sich bei einer Verdopplung der Auflösung die Datenmen­
ge um den Faktor vier erhöht), so dass auch flächenmäßig kleinste Einheiten angesprochen
werden können. Die Steuerung variabler Verfahren bei der Landbewirtschaftung erfolgt in
sog. Management-Zonen (FLEMING et al., 1999) oder kontinuierlich, auf der Basis der Ar­
beitsbreite der Maschinen (LAMP et al., 1999). In Tabelle 2 sind die Positionsgenauigkeiten
verschiedener Daten und Technik aufgelistet.
Precision Farming
Tabelle 2:
135
Positionsgenauigkeit verschiedener Daten und Technik im Precision Farming
(nach HANEKLAUS und SCHNUG, 2004)
Quelle
Satelliten Positionierung
Standard
Differentiell
mit S/A
Topographische Information
Karten (Maßstab 1:5000)
Digitale Höhendaten
Positionsgenauigkeit (m)
2-3
<1
25
3
12,5 horizontal; 0,5 vertikal
Bodeninventur
Digitalisierung von Kartenmerkmalen
Feldgrenzen aus Choroplethen-Karten
3
15-20
Fernerkundungsdaten
10-20
Ertragsdaten
10-15
3
Variable Ausbringungstechnik
Basierend auf den erhobenen Daten können Managementstrategien abgeleitet werden und
mit Hilfe geographischer Informationssysteme (GIS) Applikationskarten erstellt werden.
Mit diesen Karten wird der Bordcomputer bestückt und die variable Ausbringungstechnik
angesteuert. Die historische Entwicklung in der Ausbringungstechnik ist in Tabelle 3 dar­
gestellt.
Der Begriff Lokales Ressourcen-Management (LRM) steht für ein interdisziplinäres
Konzept, in dem Informationen über Merkmale der Bodenfruchtbarkeit und Bestände
geokodiert erfasst, in Geographischen Informations-Systemen (GIS) gespeichert und mit
Hilfe von Entscheidungsmodellen verarbeitet und letztlich in variable produktionstech­
nische Applikationen umgesetzt werden. LRM ist der pflanzenernährerische und
bodenkundliche Teil in „Precision Agriculture“ (PA). Die verschiedenen Module sind in
Abbildung 1 graphisch dargestellt. Mit Hilfe von GPS werden die Landmaschinen gesteuert
und die Aufwandmengen zielgenau auf den Schlägen ausgebracht. Mit der ErnteErtragskartierung kann der Erfolg der variablen Bewirtschaftungsmaßnahmen abgeschätzt
werden. Darüber hinaus dienen Ertragskarten als Grundlage zur Ableitung von Equifertilen,
d. h. Zonen gleicher Bodenfruchtbarkeit (SCHNUG et al., 1992a, 1994).
136
Tabelle 3:
bis 1988
Meilensteine der technischen Entwicklung von PA
Erste Anwendungen teilflächenspezifischer Bearbeitung in Dänemark, Deutschland und den
USA mit variablen Düngerstreuern (AgriMatic (DK); CAF (D); SoilTeq (USA)).
30.06.1988 Erste praktische Demonstration GPS-gestützter, räumlich variabler Düngung auf den DLGFeldtagen in Schwarzenraben, (CAF Verbund).
1989
Anwendung des ersten GPS gestützten Ertragskartierungssystems ("Yieldometer" von Jeff
Claydon, UK) in Osterhof, Schleswig-Holstein auf einem Deutz Mähdrescher (Hansen, 1990).
28.06.1989 Erste praktische Demonstration GPS-estützter, räumlich variabler Herbizidausbringung
(Phenmedipham) in Abhängigkeit vom Gehalt an organischer Substanz in Birkenmoor,
Schleswig-Holstein durch den CAF Verbund (Agra-Europe, 1989; Bauernblatt/Landpost, 1989;
Paulsen, 1989; Preusse, 1989).
07.1991
Erste praktische Anwendung eines GPS-gestützten Ertragskartierungssystems basierend auf dem
"Gamma ray flow meter" von Dronningborg A/S and T&O A/S, Randers (Denmark) auf einem
Case Mähdrescher (Modern Farming, 1991).
1995
Kommerzielle Freigabe von LORISTM (Local Resource Information System), einer für variable
Düngung spezifische Software (Gemeinschaftsentwicklung von Kemira Europe, Wavre, Belgien
und PB-FAL (Schroeder et al., 1997)).
1997
Entwicklung von "Surf-eye", später "Lassie" (Low Altitude Stationary Surveillance Instrumenta
Equipment) als neue Datenquelle für PA-Anwendungen (Schnug et al., 1998; Lilienthal, 2003).
Abbildung 1:
Das Konzept des lokalen Ressourcenmanagements landwirtschaftlicher
Böden im Precision Agriculture
Precision Farming
137
Die Landmaschinen- und Düngemittelindustrie bietet heute ein umfangreiches Angebot an
Zubehör für teilflächenspezifische Bodenbearbeitung, Saatbettbereitung, Aussaat, Düngung
und Pflanzenschutz an. Obwohl die technischen Voraussetzungen für die Anwendung von
PA-Technologien prinzipiell gegeben sind, beschränkt sich die betriebliche Umsetzung und
Akzeptanz immer noch auf eine begrenzte Anzahl an Pionier- und Pilotbetrieben. Die Iden­
tifizierung der Ursachen für die unbefriedigende Nutzung von PA-Technologien ist jedoch
von herausragender Bedeutung, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern.
4
Probleme bei der Umsetzung
Bei der Umstellung des Betriebes zur teilflächenspezifischen Bearbeitung erwarten den
Landwirt nicht nur Umrüstung und Neuanschaffung von Landmaschinen und EDVSystemen, sondern auch Kontakt mit einer Vielzahl neuartiger und komplexer Daten. Die
Verwaltung und Verarbeitung dieser Daten erfordert spezielle Softwarekenntnisse, die viel­
fach nicht vorhanden sind bzw. erbracht werden können, so dass in diesen Fällen private
Dienstleistungsfirmen diese Aufgabe übernehmen müssen, was mit entsprechenden Kosten
für den Landwirt verbunden ist. Hier öffnen sich jedoch neue Möglichkeiten durch Aus­
und Fortbildung. Je besser die Ausbildung des Landwirtes hinsichtlich PA ist, desto besser
wird die Anpassung variabler Düngergaben an die tatsächlichen Bedürfnisse von Boden
und Pflanzen sein (HANEKLAUS und SCHNUG, 2004). Eine fundierte Ausbildung in teilflächen-spezifischer Bewirtschaftung ist auch ein Teil des PA-Konzeptes, das sicherstellt,
dass das Wissen am effizientesten aus den Büchern in das Feld übertragen wird (HOLT und
SONKA, 1995; KRILL, 1997; MANGOLD, 1995). Derzeit gängige Praxis ist, dass der Be­
triebsleiter entweder selber die teilflächenspezifische Bewirtschaftung durchführt, oder die
Aufgaben an einen in der Regel schlechter ausgebildeten Maschinenführer weiter delegiert.
Im ersten Fall ist die Auffassungsgabe des menschlichen Gehirns der limitierende Faktor,
um die Vielzahl der variablen Arbeitsschritte richtig durchzuführen, im letzten Fall die
schlechtere Ausbildung des Maschinenführers. Gut ausgebildetes Personal, das die PATechnologie richtig einsetzt, führt oft zu einem Wissenstransfer bis auf die Ebene der Feld­
arbeiter. Die Komplexität der Entwicklung von Handlungsstrategien für PA im Vergleich
zur konventionellen Bewirtschaftung wird neue Märkte für Dienstleister und Berater schaf­
fen.
Im Idealfall werden PA-Technologien im Bereich des Pflanzenbaus auf sämtliche Maß­
nahmen wie Aussaat, Düngung, Bearbeitung und Ernte (s. Abbildung 1) angewandt. Für
eine großflächige, d. h. statistisch erfassbare Implementierung dieser Technologie ist es
hingegen zunächst notwendig, die für den einzelnen Betrieb profitablen Maßnahmen zu
erfassen und umzusetzen. Ging man zu Beginn der Entwicklung von PA davon aus, dass
über Mehrerträge und Einsparung von Düngemitteln die Rentabilität der notwendigen ma­
schinellen Investitionen und Kosten für die Datenbereitstellung und -auswertung finanziert
138
werden könnten, so ist festzustellen, dass dies in Einzelfällen zutreffen mag, jedoch nicht
pauschal gilt. Ursache hierfür sind niedrige Produkt- und Düngemittelpreise. Die derzeit
profitabelste Anwendung dürfte im Pflanzenschutz zu finden sein.
Ein weiteres Problem besteht im Bereich des Datenmanagements. Hier ist nicht nur ge­
schultes Personal auf dem Gebiet der Datenaufarbeitung und -verwaltung erforderlich
(s. o.), sondern auch das notwendige Know-how für die Interpretation und letztendliche
Umsetzung in variable, standortspezifische Handlungsoptionen. Obwohl im Bereich der
Düngung allgemeingültige Algorithmen erarbeitet wurden (SCHNUG et al., 1985; SCHNUG et
al., 1992b; SCHNUG et al., 1993; SCHNUG et al., 1996; HANEKLAUS et al., 1997a; HANEKLAUS
et al., 1997b; HANEKLAUS und SCHNUG, 1998; SCHNUG und HANEKLAUS, 1998; SCHNUG et
al., 1998; HANEKLAUS und SCHNUG, 1999a; HANEKLAUS und SCHNUG, 1999b; HANEKLAUS
et al., 1999), bestehen Defizite in anderen Bereichen wie Bodenbearbeitung und Pflanzen­
schutz.
5
Lösungsansätze
Lösung für Algorithmen: DIY – Do it yourself
Die meisten Regeln für die Ausbringung von Düngern basieren auf Ergebnissen von Feld­
versuchen. Die Versuchsstandorte sind aber meist nicht aus Gründen der Variabilität, son­
dern oftmals rein aus administrativen Gründen gewählt worden (HANEKLAUS und SCHNUG,
2004). Für Testglieder, die unabhängig von den Bodeneigenschaften sind, wie zum Beispiel
unterschiedliche Sorten oder der Einsatz von Pestiziden, sind suboptimale Standorte weni­
ger ein Problem, hinsichtlich pflanzenverfügbarer Nährstoffe jedoch hat der gewählte
Standort einen sehr großen Einfluss. Je größer die räumliche Distanz zwischen der Ver­
suchseinrichtung, an der Düngevorschläge erarbeitet wurden, und einem landwirtschaftli­
chen Betrieb ist, der diese Vorschläge in die Praxis umsetzt, desto größer ist die Möglich­
keit, dass die Düngeempfehlungen nicht für den Standort geeignet sind.
Früher, als noch keine PA-Technologie verfügbar war, wurden von einer Vielzahl von Ver­
suchsstationen traditionelle Gefäßversuche durchgeführt, um ein möglichst großes ökologi­
sches Spektrum der unterschiedlichen Standortverhältnisse abzubilden.
Die heutige Technologie mit GPS, variabler Ausbringungstechnik und Ertragskartierung
erlaubt es, multivariate Experimente mit der ganzen Bandbreite der lokalen ökologischen
Variabilität in jedem beliebigen landwirtschaftlichen Betrieb durchzuführen (R EETZ, 1997;
SCHROEDER und SCHNUG, 1995).
Mit Hilfe des teilflächenspezifischen Managements entwickelt sich der landwirtschaftliche
Betrieb in Richtung eines Data warehouses. Mit Hilfe der gesammelten Daten lassen sich
Precision Farming
139
mit derzeit verfügbaren Strategien wie Data Mining, Expertenwissen und Wissensmanage­
ment (NRC 1997; BAUER und GUENZEL, 2001) Regelwerke für die teilflächenspezifische
Düngung entwickeln, die exakt auf den lokalen Standort angepasst sind.
Neue Navigationsformen wie selbststeuernde und unbemannte Fahrzeuge werden Einzug in
die Landwirtschaft halten und auch hier für einen weiteren Personalabbau sorgen. Gerade
für eine automatisierte Landwirtschaft ist die Konzeption von PA unabdingbar, weil die
Bordcomputer wissen müssen, was wann wo auszubringen ist.
Generell werden zwei verschiedene autonome Komponenten für die Landwirtschaft benö­
tigt. Erstens autonome Fahrzeuge, die die Landmaschinen schleppen und zweitens intelli­
gente Technik für jeden landwirtschaftlichen Bearbeitungsschritt (Bodenbearbeitung, Aus­
saat, Düngung, Pflanzenschutz) und zwar zur Kontrolle der korrekten Bearbeitung und zur
Anpassung der Fahrgeschwindigkeit. Die vielen unterschiedlichen Bearbeitungsgerätschaf­
ten erfordern eine Standardisierung der Kommunikation mit dem Schlepper.
Der Einsatz autonomer Fahrzeuge in der Landwirtschaft ist darauf angewiesen, dass die
Arbeitsabläufe störungsfrei ablaufen können. Hierbei ergeben sich Probleme, die auch in
der herkömmlichen Bewirtschaftung immer noch auftreten, wie zum Beispiel das Verstop­
fen des Mährdreschers während der Ernte.
Zudem müssen autonome Fahrzeuge auch in der Lage sein, schnell auf unvorhergesehene
Ereignisse und schnelle Witterungsänderungen angemessen zu reagieren, um die Funkti­
onsfähigkeit des Systems zu gewährleisten. Aktuelle Informationen über den Zustand des
Schlages können durch bodengestützte Fernerkundungssysteme wie z. B. LASSIE gewon­
nen werden (LILIENTHAL and SCHNUG, 2002). Zusätzlich kann LASSIE als Sicherheitssys­
tem zur Überwachung der Funktionsfähigkeit der autonomen Fahrzeuge eingesetzt werden,
beispielsweise zur Aktivierung eines Notschalters, falls die Fahrzeuge ihre geplante Positi­
on verlassen haben.
Der Betrieb von unterschiedlichen Maschinen erfordert auch eine aktive Abstimmung un­
tereinander, wie zum Beispiel das automatische Betanken und Entladen von autonomen
Mährdreschern.
Der Einsatz komplett autonomer Systeme in der Landwirtschaft hängt von der Entwicklung
hoch entwickelter Technologien ab, wobei der größere Serviceaufwand die Rentabilität in
Frage stellen kann. Autonome Systeme können mit geringerem Gewicht als herkömmliche
Fahrzeuge konzipiert werden und somit einen Beitrag zum Schutz des Bodens vor Boden­
verdichtung leisten (BLACKMORE and GRIEPENTROP, 2002).
140
Neben einer Standardisierung und Vereinheitlichung der PA-Technologien ist es erforder­
lich, dass es zu einer besseren Vernetzung zwischen Dienstleistern und Landwirten kommt.
Die Praktiker verfügen über ein großes Maß an Erfahrungen und Kenntnissen
über die Standorte. Dieses Wissen muss mit den Ergebnissen der Sensoren kombiniert und
optimale Strategien zur Bewirtschaftung gemeinsam mit Beratern und Landwirten entwi­
ckelt werden.
5
Ausblick
Das Konzept des PA ist intrinsisch. Dies bedeutet, dass davon ausgegangen werden kann,
dass eine variable Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen nachhaltig ist im Vergleich
zu einer einheitlichen Bewirtschaftung, wo einzelne Teilflächen zum Beispiel mit Dünge­
mitteln über- bzw. unterversorgt sind, was weder ökonomisch sinnvoll, noch ökologisch
verträglich ist. Die Akzeptanz in der Praxis wird jedoch nur erhöht werden, wenn das Da­
tenhandling und die Auswertung erheblich vereinfacht werden, beziehungsweise die Inter­
pretation in Zusammenarbeit von Service Providern und Praktikern erfolgt. Die technische
Umsetzung ist bereits verfügbar und wird sich, ähnlich wie Technologien in der Automo­
bilbranche (z. B. ABS, Airbag), zukünftig bereits als Serienausstattung in Neufahrzeugen
befinden.
Sollte sich der Bereich der autonomen Fahrzeuge etablieren, derzeit gibt es vor allem versi­
cherungstechnische Bedenken, so liefert PA die Handlungsanweisung für die selbstfahren­
den Landmaschinen.
Der zunehmende Kostendruck in der Landwirtschaft wird Alternativen zur Kosteneinspa­
rung erfordern. Die Einsparung von Betriebsmitteln (Dünger und Pflanzenschutz) konnte
bisher die PA-Technologie nicht finanzieren, möglicherweise liefert jedoch die Einsparung
von Arbeitskräften durch den Einsatz von autonomen Systemen (SCHNUG et al., 2003) zu­
künftig finanziellen Spielraum für den Einsatz von PA. Allerdings sind dabei erhebliche
soziale Auswirkungen auf den ländlichen Raum zu erwarten.
6
Zusammenfassung
Die Freigabe des militärischen Globalen Positionierungssystems (GPS) für die Öffentlich­
keit Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts weckte die Hoffnung, diese Technologie
auch für die Landwirtschaft nutzbar machen zu können und eine völlig neuartige Art der
Landbewirtschaftung zu etablieren. Diese wurde zunächst als „Computer Aided Farming
(CAF)“ eingeführt und ist international nunmehr als „Precision Agriculture (PA)“ bekannt.
Ziel dieser Technologie war bzw. ist es, mit Hilfe von GPS Landmaschinen exakt zu steu­
Precision Farming
141
ern und die Aufwandmengen zielgenau auf den Schlägen auszubringen, um ökonomisch
und ökologisch effizienter zu wirtschaften.
15 Jahre nach Einführung von PA-Technologien in der Landwirtschaft ist die Euphorie der
Anfangstage einer realistischeren Betrachtungsweise gewichen. Obwohl immer neue Sen­
soren eine Vielzahl unterschiedlichster kleinräumiger, geo-kodierter Informationen über
den Schlag liefern, findet die Technologie keinen großflächigen Eingang in die landwirt­
schaftliche Praxis.
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146 Precision Farming
147
Immer mehr Daten für jeden Quadratmeter – Bodenbearbeitung
und Beregnung
Hans-Heinrich Voßhenrich, Heinz Sourell
1
1
Einleitung und Problemstellung
Viele Felder weisen mehr oder weniger starke kleinräumige Bodenunterschiede auf. Diese
kleinräumigen Standortunterschiede sowie zusätzlich auch bewirtschaftungsbedingte Ein­
flüsse und Effekte führen zu inhomogen aufgebauten Pflanzenbeständen auf den Schlägen
und oft auch zu differenzierten Erträgen. Der Landwirt stimmt seine Maßnahmen (Bereg­
nung, Bodenbearbeitung, Düngung, Pflanzenschutz etc.) auf eine durchschnittliche
Standortqualität des Schlages ab. Teilflächenspezifisches Management ermöglicht in
Zukunft, die Standort- und Bestandsunterschiede innerhalb eines Feldes gezielt zu
berücksichtigen.
2
Bausteine für Precision Farming
Precision Farming ist auf digital aufbereitete Informationen angewiesen, die den Boden
exakt beschreiben. Die Informationen werden in einen Entscheidungsbaum (Algorithmus)
integriert. Die Entscheidung für gezielt wechselnde Intensitäten wird schließlich in Appli­
kationskarten geografisch dargestellt. Die Durchführung der Arbeiten erfolgt mit DGPS­
gesteuerten Geräten.
2.1
Informationsquellen
Ortsspezifische Maßnahmen setzen ein detailliertes Wissen voraus. Ertragswirksame
Einflüsse, die sich aus den Bodenverhältnissen ableiten lassen, sollten möglichst lückenlos
bekannt sein.
Die erforderlichen Informationen zur Variabilität eines Standortes werden zukünftig aus
Bohrstockproben, Informationen der Reichsbodenschätzung, Leitfähigkeitsmessungen
(EM38) (Abbildung 1) und der Lokalisation von Kuppen und Senken (Relief) abgeleitet.
1
Dr. Hans-Heinrich Voßhenrich und Heinz Sourell, Institut für Betriebstechnik und Bauforschung, Bun­
desforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
E-Mail: hans.vosshenrich@fal.de, heinz.sourell@fal.de
148
Abbildung 1:
Karte der elektrischen Leitfähigkeit als Abgrenzung der Managementzonen
Die elektromagnetische Leitfähigkeit eines Bodens erlaubt beispielsweise Rückschlüsse auf
die Textur eines Bodens, ebenfalls das Georadar. Luftbilder geben Hinweise zu Pflanzen­
entwicklung und Ertrag. Die Reichsbodenschätzung gibt Hinweise zu Bodentyp und -art.
Aus den Höhenlinien lassen sich u. a. erosionsgefährdete Zonen eines Standortes eingren­
zen. Bohrstockproben geben differenzierte Rückschlüsse zu jeder der gewünschten Infor­
mation. Um die Aussagen anderer Messmethoden zu relativieren (zu eichen), beispielswei­
se die der elektromagnetischen Leitfähigkeit, sind Bohrstockproben unverzichtbar. Der
große Aufwand schränkt aber ihre Anwendung ein.
2.2
Algorithmus für ortsspezifische Bodenbearbeitung und Beregnung
2.2.1
Algorithmus für ortsspezifische Bodenbearbeitung
Eine tiefe Lockerung (20-25 cm) innerhalb eines Standortes wird dort durchgeführt, wo
eine Vernässung des Bodens durch Vergleyung oder Pseudovergleyung angegeben wird,
oder wo ein sandiger Boden bonitiert wird. Tief gelockert wird ebenfalls in stark ausge­
prägten Senken und an Kuppen. Der Lockerungsbedarf in den Senken besteht aufgrund
häufig auftretender hydromorpher Erscheinungen und der Lockerungsbedarf an den Kup­
pen aufgrund schlechter Bodenstruktur durch geringen Humusgehalt, der durch Abtrag
nach jahrzehntelangem Einsatz des Pfluges bedingt ist. Trifft keine der geschilderten Situa­
tionen zu, so wird nur auf 8 bis 10 cm Tiefe gearbeitet. Die tiefe Lockerung des Bodens
Precision Farming
149
wird grundsätzlich nur zu einem Zeitpunkt durchgeführt, während sich der Boden in tro­
ckenem Zustand befindet. Durch tiefe Lockerung erfolgt eine Durchlüftung schlecht mit
Sauerstoff versorgter Böden. Die genannten Kriterien für flache oder tiefe Bearbeitung
werden im Entscheidungsbaum nacheinander abgerufen (Abbildung 2).
Abbildung 2:
Entscheidungsbaum
Start
Tongehalt
< 12 %
ja
tiefe Bodenbearbeitung
nein
hydro­
morphe Merkmale
(rezent)
ja
tiefe Bodenbearbeitung
nein
Humuszustand
mangelhaft
ja
tiefe Bodenbearbeitung
nein
erosions­
gefährdeter Hang­
bereich
ja
tiefe Bodenbearbeitung
nein
flache Bodenbearbeitung
Quelle: Sommer und Voßhenrich (2002).
2.2.2
Algorithmus für ortsspezifische Beregnung
Die Differenzierung der Beregnungshöhe ist in ähnlicher Weise wie die Bodenbearbeitung
im Wesentlichen abhängig von der Bodentextur. Zunehmender Gehalt eines Bodens an
wasserbindenden Mittelporen durch zunehmenden Schluffgehalt vermindert den Bereg­
nungsbedarf. Zunehmender Sandgehalt erhöht den Beregnungsbedarf. Die Bindung des
pflanzenverfügbaren Wassers (nFK) lässt sich aus Kartieranleitungen abschätzen. Doch es
fehlen handhabbare Sensoren für die Bestimmung bodenphysikalischer Parameter, die den
Bodenwasserhaushalt genauer und zeitnäher bestimmen.
150
2.3 Applikationskarten für ortsspezifische Bodenbearbeitung und Be­
regnung
Applikationskarten werden unter Einbeziehung aller verfügbaren Bodeninformationen an­
gefertigt. Jeweils ein Beispiel für ortsspezifische Bodenbearbeitung und Beregnung wird
dargestellt (Abbildungen 3 und 4). Die dunklen Zonen in der Applikationskarte für Boden­
bearbeitung bedeuten tiefe Bearbeitung. Hier ist der Boden, bedingt durch Textur, Hydro­
morphie oder Humusgehalt schlecht durchlüftet. Die hellen Zonen stehen für flaches Arbei­
ten. Hier ist der Boden gut durchlüftet. Die Notwendigkeit einer tiefen Bearbeitung entfällt
aus diesem Grund.
Während die Bodenbearbeitung zweistufig erfolgt, wird die Beregnungshöhe vierstufig
dargestellt. Böden, die durch hohen Sandgehalt (blauer Sektor) stärker zur Austrocknung
neigen, werden intensiver beregnet, Böden mit hohem Schluffanteil oder höherem Humus­
gehalt, die das Wasser stärker binden und daher weniger austrocknungsgefährdet sind,
werden weniger intensiv beregnet.
Abbildung 3:
Applikationskarte zur ortsspezifischen Bodenbearbeitung
Quelle: Voßhenrich et al. (2001).
Precision Farming
Abbildung 4:
151
Applikationskarte für den Einsatz einer Kreisberegnungsmaschine
Quelle: Al-Karadsheh (2003).
3
Technik für ortsspezifische Bodenbearbeitung und Beregnung
3.1
Technik für ortsspezifische Bodenbearbeitung
Die im Verbundprojekt für Precision Agriculture „pre agro“ (SOMMER und VOSSHENRICH,
2002) erstmals eingesetzte Technik für ortsspezifische Bodenbearbeitung besteht aus einem
Vorlockerer (VL), einem Kreiselgrubber (KG), einer Keilringwalze (KW) und einem Ex­
aktstriegel (ES) (Abbildung 5). Sie wurde für ortsspezifische Bodenbearbeitung durch In­
tegration eines Hydraulikzylinders umgebaut und aufgerüstet. Der Hydraulikzylinder wird
über DGPS für tiefe und flache Bodenbearbeitung ortsspezifisch angesteuert. Der Prototyp´99 ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Herrn Gattermann und Herrn Marque­
ring der Fa. Amazone (SOMMER und VOSSHENRICH, 2002).
Abbildung 5:
Technik für ortsspezifische Bodenbearbeitung, Prototyp`99
Quelle: Sommer und Voßhenrich (2002).
152
3.2
Technik für ortsspezifische Beregnung
Die technische Umsetzung erfolgt mit mobilen Beregnungs- und Kreisberegnungsmaschi­
nen. Entsprechend sind zwei unterschiedliche Lösungswege im Versuchsstadium. Für mo­
bile Beregnungsmaschinen wird eine Variation der Einzugsgeschwindigkeit über die be­
regnende Feldlänge vorgeschlagen. Bei konstantem Durchfluss ergibt sich daraus eine un­
terschiedliche Beregnungshöhe. Die differenzierte Einstellung der Geschwindigkeit pro
Schlag kann an der Maschine gespeichert oder vom Betriebsleiter eingestellt werden.
3.2.1
Einzugsgeschwindigkeit
Um die Einzugsgeschwindigkeit einzustellen und zu kontrollieren sind Steuerungssysteme
auf dem Markt verfügbar. Diese Geräte wurden bisher überwiegend nur für die Steuerung
einer konstanten Einzugsgeschwindigkeit über das Feld benutzt. Zwei Beispiele für die
variablen Geschwindigkeitseinstellungen sind in Abbildung 3 dargestellt. Für die Versuche
wurden vier verschiedene Geschwindigkeiten 32, 16, 24, 40 m/h in den Geräten program­
miert. Die Versuche zur Kongruenz der Einzugsgeschwindigkeit zwischen programmiert
und gemessen, wurden über eine Messstrecke von 100 m durchgeführt. Mit dem Ziel, wie
ändert sich die Beregnungshöhe mit der gewählten Geschwindigkeit. In Regenmessbechern
mit einem Gitterabstand von 1x1 m wurde die Beregnungshöhe gemessen.
3.2.2 Durchfluss
Bei Kreisberegnungsmaschinen wurde eine Ansteuerung jeder Düse im Abstand von 3 m
durchgeführt. Vor jeder Düse wurde ein Magnetventil installiert. Grundlage für das Öffnen
bzw. Schließen der einzelnen Düse ist die Applikationskarte. Ein Programmable Logic
Control (PLC) System wurde im Institut entwickelt, um die Applikationskarte als Datei zu
speichern. Die Positionsbestimmung der Maschine wurde am Zentralturm mit einem Dreh­
sensor bestimmt. Pro Grad wird die Position festgestellt und in Abhängigkeit von der Ent­
fernung vom Mittelpunkt der Maschine werden die Magnetventile geschaltet. Die Fahrge­
schwindigkeit der Maschine war konstant. Variiert wird der Durchfluss und somit die Be­
regnungshöhe. Die Beregnungshöhe wird in handelsüblichen Messbechern gemessen. Dazu
sind die Messbecher im Abstand von 1 Grad, mit dreifacher Wiederholung strahlenförmig
aufgebaut.
Precision Farming
153
4
Ergebnisse
4.1
Ortsspezifische Bodenbearbeitung
Nach ortsspezifischer Bodenbearbeitung (bodenangepasste Arbeitstiefen) wird das Ertragsniveau
im Vergleich zu betriebsüblicher Bodenbearbeitung (i. d. R. konsequent tiefe Bearbeitung) gehal­
ten (Abbildung 6). Dies belegt beispielhaft die Ertragskartierung auf dem pre agroVersuchsstandort von Landwirt Täger-Farny aus Querenhorst (SOMMER und VOSSHENRICH,
2002). An den in der Kartierung eingetragenen Monitoringpunkten wurde das Ergebnis durch
Handernte zusätzlich bestätigt.
Abbildung 6:
Ertragskartierung und Monitoringpunkte
Quelle: Voßhenrich et al. (2001); Sommer und Voßhenrich (2002).
Die Vorteile ortsspezifischer Bodenbearbeitung liegen damit auf der Hand. Das Ertragsni­
veau wird gehalten und dies mit weniger Aufwand. Es bleibt die Frage, unter welchen
Rahmenbedingungen lohnt sich ortsspezifische Bodenbearbeitung und welche Einsparun­
gen sind möglich? Um hierauf eine Antwort zu finden, muss die Variabilität eines Stand­
orts betrachtet werden. Leicht und schnell zu bearbeiten ist ein sandiger Boden, schwerer
ein lehmiger und besonders aufwendig ein toniger Boden.
Ein Standort mit 80 % Flächenanteilen Sand, der gelockert wird, 10 % Lehm, der flach be­
arbeitet wird und 10 % Ton, der ebenfalls flach bearbeitet wird, bietet durch eine ortsspezi­
fische Bodenbearbeitung mit 82 % Dieselverbrauch gegenüber betriebsüblich mit 100 %
weniger Einsparpotenzial als ein Standort mit nur 20 % Sand, 40 % Lehm und 40 % Ton
154
(Abbildung 7). Der Erfolg ortsspezifischer Bodenbearbeitung hängt damit entscheidend
von der Variabilität einer Fläche ab.
Ähnlich ist die Situation hinsichtlich der Flächenleistung. Ein Standort mit hohen Lehmund Tonanteilen bietet mittels ortsspezifischer Bodenbearbeitung größere Vorteile als ein
Sandstandort mit wenig Ton- und Lehmanteilen (Abbildung 8).
Abbildung 7:
Dieselverbrauch für Grundbodenbearbeitung
betriebsüblich krumentief
100
Lockerung
v
krumentief = 25 cm
flach
= 5-10 cm
80
v
Flächenanteil
(%)
Sand 80
Lehm 10
Ton
10
20
0
Sand = 1
Lehm = 1,5
Ton = 2
Flächenanteil
(%)
Sand 20
Lehm 40
Ton
40
v
40
Zugkraftbedarf für
45
v
60
v
Dieselverbrauch (%)
82
ortsspezifisch
Quelle: Sommer und Voßhenrich (2002).
Abbildung 8:
Flächenleistung bei 3 m Arbeitsbreite
Arbeitsgeschwindigkeit
5
Flächenausstattung (ha/h)
4,28
4
3,75
3
Flächenanteil
(%)
2
Sand 80
Lehm 10
10
Ton
Flächenanteil
(%)
Flächenanteil
(%)
Sand 20
Lehm 40
40
Ton
ortsspezifisch
Quelle: Sommer und Voßhenrich (2002).
betriebsüblich
2,34
Flächenanteil
(%)
Sand 20
Lehm 40
Ton
40
Sand 80
Lehm 10
Ton
10
1
0
3,17
Sand - tief
Lehm - tief
Ton - tief
Lehm - flach
Ton - flach
ortsspezifisch
betriebsüblich
=
=
=
=
=
12 km/h
9 km/h
6 km/h
15 km/h
15 km/h
Precision Farming
155
4.2
Ortsspezifische Beregnung
4.2.1
Beregnungshöhenanpassung durch Geschwindigkeitswahl
Nachdem die Applikationskarte festgelegt wurde, sollen unterschiedliche Beregnungshöhen
über die zu beregnende Fläche verteilt werden, um die ungleiche Wasserspeicherfähigkeit
des Bodens auszugleichen.
In Abbildung 9 ist beispielhaft ein Geschwindigkeitswechsel von 32 auf 16 m/h eingestellt.
Die Beregnungshöhe steigt dann von 22 auf 45 mm. Es wurden auch Versuche mit anderen
Einstellungen durchgeführt, die zu ähnlich guten Ergebnissen führten. Die Geschwindigkeit
ändert sich innerhalb von 2 m, dagegen wurde für die Änderung der Beregnungshöhe ein
Übergangsbereich von ca. 16 m benötigt. Dieser Bereich wurde unter einem Düsenwagen
gemessen. Bei einem Einsatz eines Großflächenregners würde dieser Übergangsbereich
größer werden. Somit ist es möglich, mit mobilen Beregnungsmaschinen unterschiedliche
Beregnungshöhen in Abhängigkeit von Boden oder Pflanzen zu verteilen.
Abbildung 9:
Beregnungshöhe in Abhängigkeit von der Einzugsgeschwindigkeit
60
Beregnungshöhe (mm)
50
2
Mittelwert
3
4
5
6
50
V
40
40
30
30
20
20
10
10
0
Einzugsgeschwindigkeit V (m/h)
60
WH 1
0
0
10
20
30
40
50
60
Länge der Messstrecke (m)
Quelle: Al-Karadsheh (2003).
4.2.2
Beregnungshöhenanpassung durch Durchflussveränderung
Grundlage für die differenzierte Beregnung mit einer Kreisberegnungsmaschine ist wieder
die Applikationskarte. Auf der Fläche eines ausgewählten Kreissektors wurde die theore­
tisch berechnete und im PLC programmierte Beregnungshöhe überprüft. In Abbildung 10
ist die berechnete und gemessene Beregnungshöhe entlang der Rohrleitung einer Kreisbe­
regnungsmaschine gemessen. Diese ersten Versuche zeigen eine gute Übereinstimmung der
Soll-Ist-Werte. Der flache Anstieg oder Abfall der Wasserverteilung ist auf die Wurfweite
156
der Düsen mit ca. 8 m zurückzuführen. Dieser Verlauf ist positiv zu bewerten und passt
sich dem Verlauf der Bodenunterschiede gut an.
Abbildung 10: Differenzierte Wasserverteilung einer Kreisberegnungsmaschine entlang
einer Messstrecke
50
Beregnungshöhe (mm)
WH 1
40
3
4
5
Ist
30
20
eingespart
10
0
5
2
Ziel
0
10
20
30
Länge der Messstrecke (m)
40
50
Schlussfolgerung
Die vorgestellten Techniken beschreiben den Anfang einer neuen landtechnischen Genera­
tion. Wurde in vergangenen Jahrzehnten immer wieder versucht, die Feldarbeiten mög­
lichst gleichmäßig durchzuführen, so soll zukünftig differenzierter auf dem Feld gearbeitet
werden.
Die differenzierte Bearbeitung entspricht der „Guten Fachlichen Praxis“. Die Böden wer­
den geschont und mit an ihrem Potenzial angepasster Intensität bewirtschaftet. Je nach
Ausrichtung kann Energie und Zeit eingespart werden, wie am Beispiel der Bodenbearbei­
tung gezeigt, oder es wird durch gezielte Beregnung Wasser eingespart.
Für die Bodenbearbeitung und Beregnung wurden Techniken vorgestellt, die eine differen­
zierte Bearbeitung gestatten. Es handelt sich weitgehend um Prototypen, die aber realis­
tisch Zukunftschancen aufweisen. Die für ortsspezifische Maßnahmen erforderliche Daten­
basis wird in Offline-Verfahren gewonnen.
Der Forschungsbedarf muss sich zukünftig, dies gilt insbesondere für die Beregnung, aber
auch auf die Erhebung/Ermittlung von Online-Daten aus dem Feld konzentrieren. Diese
Daten, z. B. aktuelle Bodenfeuchte, werden benötigt, um gute Applikationskarten mit ge­
nau definierten Managementzonen zu entwickeln. Denn die Technik kann nur so gut arbei­
ten, wie sie Informationen bereitgestellt bekommt.
Precision Farming
157
Die hier beschriebenen Arbeiten im Feld sind nur ein Ausschnitt aus dem komplexen Ge­
bilde Precision Farming. Neben den Basisdaten aus dem Feld wird sich ein weiterer Ar­
beitsschwerpunkt um die Schnittenstellen-Problematik bemühen müssen. Hier besteht nach
wie vor Handlungsbedarf. Wichtig ist auch die Bereitstellung digitaler Informationen, z. B.
der Reichsbodenschätzung, für alle landwirtschaftlichen Flächen in allen Bundesländern.
Dies sollte innerhalb von einem Jahrzehnt der Fall sein, damit anschließend die breite
Landwirtschaft entsprechende Arbeiten ausführen kann. Erst dann kann der Einsatz von
Applikationskarten Routine werden. Online erstellte Applikationskarten, mit GPS gesteuer­
ten Maschinen und Geräten unter Verwendung Landwirtschaftlicher Bus-Systeme für die
Steuerung verschiedener Feldarbeiten wird die zukünftige Entscheidungshilfe für den
Landwirt sein.
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158 Wettbewerbsfähigkeit
159
Können deutsche Betriebe ohne Zollschutz und ohne gekoppelte
Prämien international mithalten?
Folkhard Isermeyer
1
1
Einleitung
Der globale Wettbewerb wird für die deutsche Agrarwirtschaft in Zukunft deutlich an Be­
deutung gewinnen. Die Reform der europäischen Agrarpolitik (Entkopplung der Direktzah­
lungen, Abschaffung der Roggenintervention), die Auswirkungen der laufenden WTORunde, der verbesserte Marktzugang für zahlreiche Entwicklungsländer und die Verhand­
lungen über ein Freihandelsabkommen mit Südamerika werfen ihre Schatten voraus.
Ziel dieses Beitrags ist es, eine Einschätzung über die internationale Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen Ackerbaubetriebe zu geben. Zu diesem Zweck wird in vier Schritten
vorgegangen.
Zunächst wird kurz skizziert, wie sich der agrarpolitische Schutz der Ackerbaubetriebe in
der Vergangenheit entwickelt hat und wie er sich in Zukunft voraussichtlich entwickeln
wird. Anschließend wird untersucht, welche Auswirkungen die im Jahr 2005 vorgesehene
Entkopplung der Direktzahlungen auf den Ackerbau haben wird. Die Entkopplung stellt,
wenn man einmal von einer möglichen Reform der Zuckermarktordnung absieht, den wich­
tigsten Einschnitt dar, der den Ackerbaubetrieben in absehbarer Zukunft bevorsteht. Im
dritten Schritt werden Produktionskosten von Ackerbaubetrieben im internationalen Ver­
gleich vorgestellt und Schlussfolgerungen für die Zukunft der Produktionsbereiche Getrei­
de, Ölsaaten und Zucker gezogen.
2
Entwicklung der agrarpolitischen Rahmenbedingungen
Die Entwicklung der deutschen Landwirtschaft wird maßgeblich durch die Entwicklung der
EU-Agrarpolitik bestimmt. Daher muss man sich, wenn man die Zukunftsperspektiven für
die deutsche Landwirtschaft vorhersagen will, unweigerlich mit der Zukunft der EUAgrarpolitik auseinandersetzen.
1
Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Institut für Betriebswirtschaft, Bundesforschungsanstalt für Landwirt­
schaft (FAL), Bundesallee 50, Braunschweig
E-Mail: folkhard.isermeyer@fal.de
160
Die EU-Agrarpolitik durchläuft einen großen Politikzyklus, dessen Gesamtdauer auf mehr
als 50 Jahre zu veranschlagen ist.
–
Zu Beginn ihrer Gemeinsamen Agrarpolitik war die Europäische Union (EU) auf wich­
tigen Agrarmärkten unterversorgt. Dadurch war es relativ einfach möglich, durch staat­
liche Marktintervention die Inlandspreise oberhalb des Weltmarktpreisniveaus festzu­
setzen. Diese Politik konnte auch deshalb funktionieren, weil die EU im GATT bzw. in
der WTO einen relativ hohen Zollschutz für ihre Agrarprodukte verankert hatte. Die
Landwirte freuten sich über die höheren Einkommen, und die Finanzminister über die
Zolleinnahmen.
–
Die hohen Binnenmarktpreise stimulierten die Agrarproduktion. Das führte schon bald
zu Marktüberschüssen in der EU, die mit Hilfe von staatlichen Exportsubventionen auf
das niedrige Weltmarktpreisniveau heruntergeschleust werden mussten. Dieses Ventil
wurde durch die GATT/WTO-Verträge gebilligt, führt aber bei den Welthandelspart­
nern zu immer größerem Unmut. Auch die Finanzminister verloren nun die Freude an
der Agrarpolitik, da die Zolleinnahmen ausblieben und immer mehr Steuermittel für
die Subventionierung der Exporte eingesetzt werden mussten.
–
Daraufhin versuchte die EU in den 80er Jahren, die Überschussproblematik durch
Mengenbegrenzungen in den Griff zu bekommen (z. B. Flächenstillegungen, Milch­
quoten). Es zeigte sich aber, dass die Strategie „Mengen runter, Preise rauf“ auf Dauer
und in der vollen Breite der EU-Agrarwirtschaft nicht funktioniert.
–
Anfang der 90er Jahre wurde dann ein grundlegender Politikwechsel vollzogen. Das
interne Stützpreisniveau wurde für eine Reihe wichtiger Agrarprodukte abgesenkt, und
im Gegenzug erhielten die Landwirte Direktzahlungen je Hektar oder je Tier. Außer­
dem wurde eine „zweite Säule“ der Agrarpolitik eingeführt. Hier wurden unter ande­
rem Maßnahmen angesiedelt, an denen die Landwirte freiwillig teilnehmen können und
bei denen sie für konkrete Dienstleistungen, welche z. B. der Entwicklung des ländli­
chen Raumes oder dem Umweltschutz zugute kommen, Geld erhalten.
–
Mit der im Jahr 2003 beschlossenen Agrarreform werden die Direktzahlungen in der
„ersten Säule“ nun vollständig von der Produktion entkoppelt. Bisher waren sie nur
teilentkoppelt, d. h. die Landwirte erhielten die Prämien zwar nicht je Tonne Weizen
oder Rindfleisch, aber sie mussten zumindest Weizenfelder oder Mastrinder vorweisen,
um die Zahlungen zu erhalten. Künftig erhalten sie die Zahlungen ungeschmälert selbst
dann, wenn sie ihre Flächen nur noch mulchen und ansonsten gar keine Landwirtschaft
mehr betreiben.
An dieser Stelle des Politikzyklus stehen wir heute, doch ist der Zyklus damit noch nicht
abgeschlossen. Es ist zu erwarten, dass in den kommenden 20 Jahren sowohl die entkoppel­
ten Direktzahlungen als auch der Außenschutz teilweise abgebaut werden.
Wettbewerbsfähigkeit
161
Direktzahlungen
Ein partieller Abbau der entkoppelten Direktzahlungen ist allein schon deshalb wahrschein­
lich, weil (a) die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Finanzierung des EU-Budgets ange­
sichts der Mittelknappheit in den öffentlichen Haushalten zurückgeht und weil (b) die Legi­
timierung von Zahlungen, die ursprünglich einmal als Ausgleich für einen Preisbruch ein­
geführt wurden, im Zeitablauf immer schwieriger wird.
Aber auch die künftig aktiven Landwirte werden das Interesse an diesen Zahlungen immer
mehr verlieren. In jenen Mitgliedstaaten, die einheitliche Zahlungen je Hektar LF vorsehen,
wird der größte Teil der Zahlungen über die Pachtpreise an die Grundeigentümer überwälzt
werden. Der Pachtflächenanteil in Deutschland liegt heute bereits bei 65 %, mit deutlich
steigender Tendenz. Aber auch in jenen Mitgliedstaaten der EU, die sich für eine stärkere
Bindung der Zahlungen an die historische Prämiensumme der Betriebe entschieden haben,
wird das System im Laufe der Zeit unter Druck geraten. Dort profitieren weniger die
Grundeigentümer, sondern in erster Linie die Landwirte der Periode 2000/02. Je weiter der
Strukturwandel voranschreitet, desto größer wird der Teil der Prämiensumme, welcher von
den künftig aktiven Landwirten an die ehemals aktiven Landwirte („Sofabauern“) transfe­
riert wird. Mittel- und langfristig profitieren aber auch hier in zunehmendem Maße die
Grundeigentümer, da die Fläche, die zur Aktivierung der Prämienrechte nötig ist, immer
knapper wird. Kurzum: Die künftig aktiven Landwirte werden in allen Regionen der EU
erkennen, dass sie in der gesellschaftlichen Diskussion als Subventionsempfänger am Pran­
ger stehen, während sie aufgrund der Überwälzungseffekte von diesen Zahlungen immer
weniger profitieren.
Ein weiterer Aspekt, der Landwirten in allen Mitgliedstaaten zu denken geben wird: Je län­
ger die Zahlungen auf hohem Niveau bleiben, desto schwieriger wird es für die Agrarpoli­
tik, den Forderungen nach (a) betrieblichen Obergrenzen und (b) Bindung zusätzlicher
Umweltauflagen an die Zahlungen (cross compliance) zu widerstehen. Es bleibt abzuwar­
ten, ob die Landwirte das Risiko fortwährend steigender Auflagen in Kauf nehmen wollen,
wenn absehbar ist, dass die Zahlungen aus den oben genannten Gründen letztlich doch ab­
gebaut werden.
Außenschutz
Deutschland und die übrigen Mitgliedstaaten der EU haben ein großes volkswirtschaftli­
ches Interesse daran, dass die WTO-Runde erfolgreich zum Abschluss gebracht wird. Um
diesen Abschluss zu erreichen, muss die EU den Forderungen der Handelspartner nach ei­
ner Liberalisierung der Agrarhandelspolitik zumindest teilweise entgegenkommen. Partiku­
larinteressen des Agrarsektors spielen letztlich nur eine untergeordnete Rolle, wenn es um
den Gesamtabschluss geht.
Für den Agrarbereich ist zu erwarten, dass die Exportsubventionen schneller abgebaut wer­
den als der Importschutz. Wenn die Exportsubventionen fallen, wird bei allen Produkten,
auf denen die EU Überschüsse produziert, der Binnenmarktpreis auf Weltmarktniveau sin­
162
ken. Sinkt der Selbstversorgungsgrad der EU jedoch bei einem Produkt unter 100 % (bzw.
90 %, wenn in der WTO 10 % Importquoten vereinbart sind), dann bildet sich nach den
Gesetzen von Angebot und Nachfrage ein interner Gleichgewichtspreis heraus, der oberhalb
des Weltmarktpreises liegt und eine weitgehende Selbstversorgung der EU gewährleistet.
Auf sehr lange Sicht ist damit zu rechnen, dass auch der Importschutz immer weiter abge­
baut wird, so dass sich EU-Preise und Weltmarktpreise immer weiter annähern werden.
Dieser Prozess wird für die Landwirtschaft der EU umso schmerzfreier verlaufen, je güns­
tiger sich die Aussichten für die Weltlandwirtschaft insgesamt entwickeln. Hier gibt es be­
rechtigte Hoffnungen, denn der wirtschaftliche Aufschwung von Teilen Asiens und Süd­
amerikas führt nicht nur zu einer stark steigenden Nachfrage nach Futter- und Nahrungs­
mitteln, sondern auch zu einer weiteren Verknappung der fossilen Energieträger und damit
zu günstigeren Perspektiven für nachwachsende Rohstoffe.
Die einzelnen Produktionszweige der deutschen Landwirtschaft werden von den skizzierten
außenhandelspolitischen Entwicklungen in unterschiedlichem Maße betroffen sein. In der
Tierhaltung ergeben sich besondere Risiken bei Rindfleisch und Milchprodukten, weil hier
der Zollsatz derzeit noch in einer Größenordnung von 90 % liegt (zum Vergleich: Schwein
und Geflügel 25 %). Bei den Ackerfrüchten weist Weizen mit ca. 60 % zwar einen hohen
Zollsatz auf, doch kommt dieser Zollsatz nicht zur Anwendung, weil die EU bei Weizen ein
Nettoexporteur ist und im Inland inzwischen Weltmarktpreise herrschen. Die Zollsätze für
sonstiges Getreide betragen ca. 10 %, für Ölsaaten 0 %, so dass hier von einer weiteren
Liberalisierung der Agrarhandelspolitik keine zusätzlichen Risiken ausgehen können. Ganz
anders ist die Situation bei Zucker mit einem Zollsatz von über 200 %.
Zwischenfazit
Für Getreide und Ölsaaten ist festzustellen, dass der Zollschutz nur für Weizen ein wirksa­
mes Sicherheitsnetz bieten könnte. Die anderen Getreidearten und die Ölsaaten stehen in
der Handelspolitik schon jetzt schutzlos da und können deshalb von einer weiteren Libera­
lisierung nicht negativ betroffen sein.
Die Politik hat die Wettbewerbsfähigkeit von Getreide und Ölsaaten bisher in erster Linie
durch die gekoppelten Direktzahlungen gestützt, nicht durch den Außenschutz. Das bedeu­
tet: Die Entkopplung der Direktzahlungen im Jahr 2005 ist der wesentliche politische Ein­
schnitt auf dem Weg des deutschen Ackerbaues in den freien Weltmarkt.
Zucker ist unter den Ackerfrüchten ein Sonderfall. Wegen des sehr hohen Zollsatzes und
der besonderen Konkurrenzsituation zwischen Zuckerrüben und Zuckerrohr bedarf dieser
Sektor einer speziellen Analyse (Kapitel 4.4).
Wettbewerbsfähigkeit
163
3 Auswirkungen der Entkopplung der Direktzahlungen
Einige Auswirkungen der Entkopplung lassen sich durch theoretische Überlegungen vor­
hersagen, ohne dass es empirischer Analysen oder betriebswirtschaftlicher Berechnungen
bedarf:
–
Durch die Entkopplung werden günstigere Voraussetzungen für eine Diversifizierung
des Fruchtartenspektrums geschaffen, weil die Landwirte künftig Direktzahlungen für
alle Früchte bekommen und nicht nur, wie das bisher der Fall war, für eine begrenzte
Anzahl von „Marktordnungsfrüchten“.
–
Dieser Effekt wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass die insgesamt prämienfähige
Fläche für Feldobst, Feldgemüse und Speisekartoffeln durch den Luxemburger Kom­
promiss begrenzt worden ist (sogenannte „OGS-Regelung“). Da die politisch bedingte
Sonderstellung der OGS dem Grundprinzip der Entkopplung widerspricht, gibt es eine
gewisse Chance dafür, dass die OGS-Regelung nach der nächsten Halbzeitbewertung
der EU-Agrarpolitik abgeschafft wird.
–
Naturschutzmaßnahmen auf der landwirtschaftlichen Fläche können für die öffentliche
Hand kostengünstiger werden. Das betrifft solche Maßnahmen, die eine Abkehr von
der Produktion der bisherigen Marktordnungsfrüchte (z. B. Getreide, Ölsaaten) erfor­
dern und deshalb für den Landwirt bisher zu Prämienverlust geführt haben. Wichtig ist
allerdings, dass eine Beibehaltung des landwirtschaftlichen Charakters der Flächennut­
zung möglich bleibt, weil die Fläche ansonsten nicht zur Aktivierung der Prämienrech­
te genutzt werden kann.
–
Die quasi-obligatorische Flächenstilllegung wird zu einer räumlichen Konzentration
der Stilllegungsverpflichtungen führen. Aus dem Luxemburger Beschluss ergibt sich,
dass je nach Bundesland für 7 bis 9 % der Ackerfläche sogenannte „StilllegungsPrämienrechte“ ausgegeben werden müssen. Die Landwirte können diese Rechte nur
aktivieren, wenn sie die Stilllegung eines entsprechenden Flächenäquivalents nachwei­
sen. Da diese Rechte aber handelbar sind, wird die quasi-obligatorische Flächenstillle­
gung aus den guten Ackerbaustandorten weitgehend verschwinden und sich an den un­
günstigen Standorten konzentrieren.
–
Angesichts dieser Wirkungen ist es wahrscheinlich, dass die quasi-obligatorische Flä­
chenstilllegung in der Halbzeitbewertung 2009 unter Druck geraten wird, zumal sie
weder mit dem Grundprinzip der Entkopplung in Einklang zu bringen ist noch nen­
nenswerte Marktentlastungen auslöst. Man kann also darauf spekulieren, dass diese
Form der Stilllegung nach 2010 nicht mehr existieren wird.
Die wichtigste Frage lässt sich jedoch mit einem ausschließlich theoretischen Ansatz nicht
beantworten. Sie lautet: Können die Ackerbaubetriebe in den verschiedenen Regionen
Deutschlands überhaupt ohne Direktzahlungen rentabel produzieren? Oder ist es für sie
rentabler, den Betrieb komplett stillzulegen, die Flächen per Bewirtschaftungsvertrag ein­
164
mal jährlich mulchen zu lassen und die Direktzahlungen weitgehend ungeschmälert für ihre
Lebenshaltung zu verwenden? Betriebszweiganalysen zeigen, dass derzeit die Vollkosten
des Ackerbaus in vielen Betrieben deutlich höher liegen als die Markterlöse. Für diese Be­
triebe lohnt es sich über Stilllegung nachzudenken. Die Kalkulation ist einfach: Wer weiter
wirtschaftet wie bisher, muss einen Teil der Direktzahlungen für die Abdeckung der lau­
fenden Verluste verwenden, und wer stilllegt, muss einen Teil der Direktzahlungen für die
Flächenpflege verwenden. Wenn also die Verluste aus laufender Produktion höher sind als
die Kosten des Mulchens, dann ist die Stilllegung die rentablere Variante.
Dieses war der Ausgangspunkt für eine empirische Analyse, die EBMEYER (2004) am Bei­
spiel eines Ackerbaubetriebes in Ostwestfalen-Lippe vorgenommen hat. Die Analyse er­
folgte in enger Zusammenarbeit mit einem „Panel“ von Landwirten des dortigen Arbeits­
kreises für Betriebsführung. Der modellierte Betrieb ist als typischer Betrieb für die Gruppe
der großen Ackerbaubetriebe der Region anzusehen. Die Flächenausstattung beträgt 260 ha
LF, davon 120 ha Pacht (Pachtpreis 320 Euro/ha), das Ertragsniveau im Weizenanbau liegt
bei 80 dt/ha, und 14 % der Ackerfläche werden mit Zuckerrüben bebaut. Vier Strategien
wurden analysiert:
–
Der Betrieb wirtschaftet weiter wie bisher.
–
Der Betrieb bleibt erhalten, legt aber die gesamte Fläche still und erhält weiterhin die
Direktzahlungen.
–
Der Betrieb bleibt erhalten, überlässt die Flächen unentgeltlich dem Nachbarbetrieb,
erhält aber weiterhin die Direktzahlungen.
–
Der Betrieb pachtet unentgeltlich 140 ha von Nachbarbetrieben hinzu. Die Direktzah­
lungen für diese Flächen bleiben bei den Nachbarbetrieben. Um die Zupacht ohne zu­
sätzliche Maschineninvestitionen und ohne Aufstockung des Besatzes an ständigen Ar­
beitskräften zu bewältigen, passt der Betrieb die Fruchtfolge an (mehr Sommergetrei­
de) und beschäftigt mehr Aushilfskräfte und Lohnunternehmer.
Die Ergebnisse zeigen: Sofern außerlandwirtschaftliche Beschäftigungsmöglichkeiten vor­
handen sind, liegen die Varianten „Mulchen“ und „weiter wie bisher“ ökonomisch gleich­
auf, allerdings auf unbefriedigendem Niveau. Weitaus rentabler als diese beiden Varianten
sind die beiden „Strukturwandel“-Varianten, d. h. entweder die kostenlose Überlassung der
eigenen Fläche an einen wachsenden Betrieb oder das eigene betriebliche Wachstum durch
kostenlose Übernahme von Nachbarflächen. Schlussfolgerung: Der Strukturwandel in Rich­
tung auf größere Einheiten wird durch die Entkopplung weiter beschleunigt, und ein groß­
flächiges Brachfallen ist auf guten Ackerbaustandorten nicht zu erwarten, solange die
Weltmarktpreise nicht deutlich absinken.
Aus diesen Ergebnissen können keine Schlussfolgerungen darüber abgeleitet werden, wie
der Ackerbau an ertragsschwachen Standorten auf die Möglichkeit zur Stilllegung ganzer
Wettbewerbsfähigkeit
165
Betriebe reagieren wird. Ein zunehmender Strukturwandel in Richtung auf größere Betriebe
und Extensivierung (im weiteren Sinne) ist auch hier zu erwarten, doch bleibt die offene Fra­
ge, bei welchen Standortbedingungen in Deutschland trotz Strukturwandel keine rentable
Bewirtschaftung mehr möglich ist. Hierzu sind weitere empirische Analysen erforderlich.
4
Internationale Produktionskostenvergleiche
4.1
Das Konzept des IFCN
Bis vor wenigen Jahren gab es weder eine einzelbetriebliche Datenbank, die international
vergleichbare Kennziffern enthält, noch ein Expertennetzwerk, das entsprechende Resultate
kurzfristig hervorbringen könnte. Die wenigen Ad-hoc-Studien, in denen überhaupt interna­
tionale Vergleiche durchgeführt wurden, zeigten immer wieder, dass eine einfache Zusam­
menführung von nationalen betriebswirtschaftlichen Datenbanken im globalen Maßstab (a)
organisatorisch außerordentlich aufwändig ist und (b) wegen der vielfältigen methodischen
Unterschiede bei der Datenerhebung und -aufbereitung oft keine belastbaren Ergebnisse
hervorbringt (ISERMEYER, 1988).
Aus diesem Grund hat die FAL in der Mitte der 90er Jahre die Initiative zum Aufbau eines
geeigneten organisatorischen und methodischen Instrumentariums für international verglei­
chende Analysen ergriffen. Mit dem International Farm Comparison Network (IFCN) wur­
de ein internationales Netzwerk ins Leben gerufen, in dem Wissenschaftler, Berater und
Landwirte aus vielen verschiedenen Ländern zusammenwirken. Auf diese Weise soll im
Laufe der Zeit ein universell einsetzbares Informationssystem entstehen, das in der Lage
ist, bei Bedarf kurzfristig weltweite Einblicke in Produktionsmethoden, Produktionskosten
sowie Rahmenbedingungen und Zukunftsperspektiven der Agrarproduktion zu geben. Im
Netzwerk werden sogenannte „typische Betriebe“ erfasst und unter Verwendung internati­
onal harmonisierter Methoden quantitativ analysiert (DEBLITZ et al., 1998; HEMME, 2000).
Inzwischen verläuft der Aufbau des IFCN nach Branchen getrennt und in zunehmendem
Maße mit Unterstützung ausgegründeter Firmen. Im Bereich „Milch“ ist der Aufbau der
Partnerstruktur am weitesten vorangeschritten. Das internationale Netzwerk von Fachleuten
(Konsortium) umfasst inzwischen fast 30 Länder, die zusammen mehr als drei Viertel der
Weltmilchproduktion stellen. Das Konsortium bringt jährlich den „Dairy Report“ heraus, in
dem (a) die aktuelle Situation des Milchsektors und der typischen Betriebe sowie (b) die
Ergebnisse spezieller Studien vorgestellt werden (HEMME et al., 2003). Im Bereich „Rind­
fleisch“ befindet sich das Konsortium derzeit in der Gründungsphase. Bisher sind zwei
„Beef Reports“ erschienen (DEBLITZ et al., 2003), allerdings ist die nachhaltige Finanzie­
rung der Zusammenarbeit hier noch nicht gesichert. Im Bereich „Ackerbau“ wurden Wei­
zen, Ölsaaten und Zucker zunächst im Rahmen in Dissertationsvorhaben für einen Zeit­
166
punkt analysiert (MÖLLER, 2004; PARKHOMENKO, 2004; RIEDEL, 2004). Der Aufbau einer
nachhaltigen Konsortialstruktur konnte hier allerdings erst ab 2004 in Angriff genommen
werden. Der erste „Arable Crop Report“ für Ölsaaten und Getreide wird voraussichtlich im
Herbst 2005 erscheinen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können die IFCN-Ergebnisse im Bereich Ackerbau besten­
falls erste Anhaltspunkte für die Beurteilung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit lie­
fern, ein belastbares Gesamtbild wird erst in einigen Jahren vorliegen. Bei der Interpretati­
on der nachfolgend präsentierten Produktionskostenvergleiche ist vor allem zu berücksich­
tigen, dass (a) die ausgewählten Betriebe nur einen kleinen Ausschnitt aus den vielfältigen
Ackerbausystemen der teilnehmenden Staaten abbilden, dass (b) beim gegenwärtigen Ent­
wicklungsstand des Netzwerks nur Ergebnisse für die Ist-Situation vorliegen, nicht jedoch
zukunftsgerichtete Simulationen, und dass (c) die Vollkostenrechnung für die Beurteilung
der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Ackerfrüchte nur eingeschränkt brauchbar ist. Die
Durchführung von Simulationsrechnungen, in denen die Anpassung typischer Betriebe an
künftige Preis- und Politikszenarien projektiert wird, soll in einem künftig stabilisierten
Netzwerk stärkere Verbreitung finden.
4.2
Ergebnisse für Getreide
MÖLLER (2004) untersucht in einem primär methodisch ausgerichteten Dissertationsvorha­
ben die Kostenstrukturen der Weizenerzeugung an ausgewählten Produktionsstandorten in
Nordamerika und Deutschland. Zwischenergebnisse aus dieser Analyse sind in den Abbil­
dungen 1 und 2 dargestellt.
Abbildung 1 veranschaulicht am Beispiel von zwei Betrieben einige fundamentale Unter­
schiede, die beim Weizenanbau zwischen Deutschland und den meisten Exportstandorten in
Übersee bestehen. Die beiden ausgewählten Betriebe aus North Dakota (USA) und der
Magdeburger Börde (Deutschland) unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des Ertragsni­
veaus (2,6 t/ha gegenüber 7,2 t/ha). Dem niedrigen Ertragsniveau entsprechend, produziert
der US-Betrieb auf einem wesentlich niedrigeren Intensitätsniveau. Der Gesamtaufwand
(Vollkosten, ohne Pachtansatz) liegt bei ca. 300 $/ha, verglichen mit ca. 880 $/ha im ost­
deutschen Betrieb. Die Produktionskosten (ohne Pachtansatz) liegen jedoch in beiden Be­
trieben ungefähr gleichauf, weil in Deutschland nicht nur die Kosten je Hektar, sondern
auch die Erträge je Hektar ungefähr dreimal so hoch liegen wie in den USA.
Wettbewerbsfähigkeit
Abbildung 1:
167
Produktionskosten für Weizen, 2000
Es muss allerdings zu denken geben, dass der ausgewählte ostdeutsche Betrieb trotz güns­
tiger Betriebsstruktur und wesentlich höherer Erträge nicht in der Lage ist, kostengünstiger
zu produzieren als der US-Betrieb.
Um die Ursachen hierfür zu erkennen, sind weiterführende betriebswirtschaftliche Analy­
sen erforderlich. Einen Anhaltspunkt gibt bereits die Analyse der beiden Kostenkomponen­
ten Diesel und Stickstoffdünger, die ebenfalls Abbildung 1 dargestellt ist. Die für die
Landwirte relevanten Dieselpreise lagen im Jahr 2000 im US-Betrieb mit 0,16 $/l nur etwa
halb so hoch wie im deutschen Betrieb. Es ist bemerkenswert, dass die „Effizienz“ des Die­
seleinsatzes - ausgedrückt in Liter Diesel pro Tonne Weizen – im Magdeburger Betrieb
wesentlich höher ist als im US-Betrieb. Dies könnte auf das wesentlich höhere Ertragsni­
veau in Deutschland zurückzuführen sein, vielleicht aber auch auf die höheren Dieselpreise
und die dadurch ausgelöste Sparsamkeit. Aufgrund des effizienteren Einsatzes sind die
Dieselkosten je t Weizen im ausgewählten ostdeutschen Betrieb trotz des Preisnachteils
sogar etwas niedriger als im ausgewählten US-Betrieb.
Der US-Betrieb kann Stickstoff-Düngemittel einsetzen, die deutlich preisgünstiger sind als
die Düngemittel, die der deutsche Betrieb einsetzt (0,24 gegenüber 0,30 $/kg N). Die Ver­
wendung von Ammoniakgas hat weite Verbreitung in den USA, ist in Deutschland in dieser
Form aber nicht zulässig. Der Magdeburger Betrieb verwendet AHL. Bezüglich der Effi­
zienz des Faktoreinsatzes zeichnet sich für den Magdeburger Betrieb auch beim Stickstoff
168
ein Vorteil gegenüber dem North-Dakota-Betrieb ab, der aber angesichts des höheren
Stickstoffpreises nicht ausreicht, um auch einen Vorteil in den Stückkosten zu erlangen.
Die relativ geringe Stickstoffeffizienz im North-Dakota-Betrieb ist zum einen auf die rela­
tiv hohen Verluste bei der Verwendung von Ammoniakgas zurückzuführen, zum anderen
auf die Tatsache, dass im ausgewählten US-Betrieb die Ausbringung der gesamten Stickstoff­
menge zu Weizen aus arbeitstechnischen Gründen einmalig im Herbst erfolgt. Zu diesem
Zeitpunkt kann kaum eine realistische Einschätzung des möglichen Ertrages erfolgen, was in
jener Region bedeutsam ist, da die Weizenerträge dort sehr großen Schwankungen unterlie­
gen.
Diese Ergebnisse deuten an, dass die Ausprägung der wettbewerbsrelevanten rechtlichen
Rahmenbedingungen (Umweltgesetze, Baugesetze, Nachbarschaftsrecht, etc.) von erhebli­
cher Bedeutung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit landwirtschaftlicher Produkti­
onssysteme sein kann. Dieser Aspekt soll bei der Weiterentwicklung des IFCN verstärkt
beachtet werden, um auch der Politik Hinweise geben zu können, wie sie zu einer Verbes­
serung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen kann.
Abbildung 2 zeigt die Produktionskosten für Weizen in sechs ausgewählten Ackerbaube­
trieben Nordamerikas und Deutschlands. Auch hier handelt es sich durchweg um Großbe­
triebe, bei denen die Kostendegression weitgehend ausgeschöpft ist. Die drei kanadischen
Betriebe weisen mit ca. 75 US-$ je Tonne Weizen (ohne Pachtansatz) einen deutlichen
Kostenvorsprung gegenüber den ausgewählten Standorten in Ostdeutschland und in den
USA auf, die bei ca. 100 US-$ je Tonne liegen. Innerhalb Kanadas schneiden ertragreiche
Betriebe bzw. Standorte besser ab als ertragschwache, doch wird auch in dieser Abbildung
deutlich, dass Deutschland seinen Ertragsvorteil nicht in einen Kostenvorteil verwandeln
kann.
Im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit reichen Analysen von Loco-Hof-Produktionskosten nicht aus, weil die Waren aus verschiedenen Herkunftsländern erst am Ort des
Verbrauchs in einen Wettbewerb zueinander treten. Bezieht man die Transport- und Ver­
marktungskosten (Zielhafen Algerien) in die Analyse mit ein, liegen die Gesamtkosten für
die deutschen Herkünfte auf ungefähr gleicher Höhe wie die nordamerikanischen Herkünf­
te. In einem weiteren Ergänzungsschritt berücksichtigt MÖLLER auch die Wertdifferenzen
der an den verschiedenen Standorten erzeugten Weizenqualitäten. Dadurch erlangen die
kanadischen Anbieter wieder einen Kostenvorteil in der Größenordnung von 10 bis 20 %
gegenüber den ostdeutschen und den US-amerikanischen Anbietern, die ungefähr gleichauf
liegen.
Wettbewerbsfähigkeit
Abbildung 2:
169
Produktionskosten für Weizen, 2000
200
Deutscher
Qualitätsweizen/
Brotweizen
Canada Western
Red Spring
8,4
Binnenland
Mecklenburg
Deutschland
1,9
Brown Soil
Canada Prairie
Spring Red
Hard Red
Winter
Dark Northern
Spring
3,2
2,8
Süd-ZentralKansas
2,7
Zentral-NordDakota
Bodenkosten
Direktkosten
Arbeitserledigungskosten
Allgemeinkosten
Zinskosten
150
US-$/t
Canada Western
Red Spring
100
50
0
Ertrag (t/ha)
Standort
Land
2,7
Black Soil
Kanada/Saskatchewan
USA
Quelle: Möller (2003).
Das relativ günstige Gesamtbild, das sich aus den bisher vorgestellten Ergebnissen für die
Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Weizenanbaues ergibt, darf nicht ohne weiteres auf
andere Getreidearten übertragen werden. Die Abbildungen 3 und 4 zeigen, dass Deutsch­
land beim Weizenertrag weit aus der Gruppe der Übersee-Exportstandorte herausragt, wäh­
rend die internationalen Ertragsunterschiede bei Mais wesentlich schwächer ausfallen. Vor
diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die bisher nur für Weizen vorliegenden Analysen
des IFCN baldmöglichst auf den Futtergetreidesektor auszudehnen.
Abbildung 3:
Weizenerträge, 1970 bis 2003
100
Deutschland
USA
Kanada
Brasilien
Argentinien
Australien
90
80
70
dt/ha
60
50
40
30
20
10
0
1970
1973
1976
1979
1982
1985
1988
Jahre
1991
1994
1997
2000
2003
170
Abbildung 4:
Maiserträge, 1970 bis 2003
100
Brasilien
Argentinien
Australien
Deutschland
USA
Kanada
90
80
70
dt/ha
60
50
40
30
20
10
0
1970
1973
1976
1979
1982
1985
1988
1991
1994
1997
2000
2003
Jahre
4.3
Ergebnisse für Ölsaaten
Die erste IFCN-Analyse für pflanzliche Produkte, die alle wichtigen Erzeugerländer um­
fasst, wurde von PARKHOMENKO (2004) für den Bereich der Ölfrüchte vorgelegt. Die Er­
gebnisse der Vollkostenrechnungen werden in Abbildung 5 zusammengefasst. Dabei wur­
den die Kosten der verschiedenartigen Ölfrüchte auf die Bezugseinheit „Rapsäquivalent“
umgerechnet.
Abbildung 5:
Produktionskosten von Ölfrüchten
400
Raps
Sojabohnen
Palmöl
(FFB)
€/t Rapsäquivalent
300
Verarbeitungskosten
200
Einrichtungskosten
Landkosten
Zinskosten
100
Gemeinkosten
Betriebskosten
Kanada
Deutsch- China
land
Quelle: Parkhomenko (2003).
Südamerika
USA
China
Südost­
asien
MY-4300
MY-2300
ID-2
ID-2500
CN-1.2
CN-4.3
USA-810
USA-405
USA-1943
USA-1012
USA-713
USA-1903
BR-500
BR-1000
AR-350
AR-1500
AR-250
CN-0.34
DE-560
DE-1300
DE-700
DE-1500
CA-2024
CA-1214
CA-2430
Direktkosten
CA-1214
0
Wettbewerbsfähigkeit
171
Als besonders kostengünstige Produktionsstandorte erweisen sich Malaysia und Indonesien
(Palmöl) sowie Brasilien und – mit Abstrichen – Argentinien (Sojabohnen). Im Vergleich
dazu liegen die Kosten (ohne Bodenkosten) für den Sojabohnenanbau in den USA und den
Rapsanbau in Kanada um ca. 50 % höher, für den Rapsanbau in Deutschland um ca. 100 %
höher. Hierbei handelt es sich um ostdeutsche Großbetriebe. Es ist davon auszugehen, dass
die Kosten in typischen westdeutschen Ackerbaubetrieben noch höher liegen.
Wie bereits beim Weizen ist auch bei Raps und Sojabohnen festzustellen, dass die deut­
schen Betriebe Kostennachteile aufweisen, obwohl sie deutlich höhere Erträge erzielen als
ihre Mitbewerber in Amerika. Die Rapserträge liegen in Deutschland bei ca. 4 t/ha, in Ka­
nada hingegen unter 2 t/ha. Die Sojabohnenerträge in den typischen Betrieben Argenti­
niens, Brasiliens und den USA liegen zwischen 2,0 und 3,3 t/ha. Höhere Hektarerträge,
gemessen als Summe der Komponenten Öl und Schrot, weisen lediglich die Palmölbetriebe
in Indonesien und Malaysia auf.
Die Frage, weshalb der Rapsanbau in Deutschland trotz des deutlichen Ertragsvorteils ge­
genüber Kanada einen so deutlichen Kostennachteil aufweist, bedarf der weiteren Analyse.
Diese wird auch zeigen, welche Kostensenkungspotenziale bestehen und was getan werden
kann, um diese erforderlichenfalls zu mobilisieren.
Bezieht man die Pachtkosten bzw. Pachtansätze mit ein, so verändert sich das internationa­
le Kostengefüge vor allem zum Nachteil der USA. Hierbei ist allerdings zu berücksichti­
gen, dass diese Kostenkomponente teilweise nur die günstige Erlössituation für Ölsaaten
(z. B. bedingt durch besondere politische Unterstützung in den zurückliegenden Jahren)
zum Ausdruck bringt. Im Falle einer vollständigen Liberalisierung der Agrarpolitik würde
diese spezielle Unterstützung verschwinden, und das würde auch zu einer Reduktion des
vermeintlichen Kostennachteils „Pachtkosten“ führen. (vgl. ISERMEYER, 1988).
Die in Abbildung 5 ausgewiesenen Ergebnisse für China sind mit vielen Fragezeichen zu
versehen, weil die Untersuchung hier durch die eingeschränkte Datenverfügbarkeit stark
begrenzt wurde und weil die Kostenberechnung in Kleinstbetrieben in besonders starkem
Maße von den Annahmen über die Höhe der Opportunitätskosten für Arbeit abhängt.
Generell ist bezüglich der Aussagefähigkeit der Ergebnisse anzumerken, dass bei der An­
fertigung dieser von der UFOP geförderten Studie die erstmalige Gewinnung eines welt­
weiten Überblicks im Vordergrund stand. Dieses Ziel wurde erreicht. Belastbarere Ergeb­
nisse lassen sich jedoch erfahrungsgemäß erst gewinnen, wenn eine nachhaltige Zusam­
menarbeit von Experten aufgebaut werden kann. Dies ist das Ziel eines inzwischen ange­
laufenen Folgeprojektes.
172
4.4
Ergebnisse für Zucker
In einer ersten IFCN-Analyse für den Zuckersektor hat RIEDEL (2004) die Produktionskos­
ten von Zuckerrüben und Zuckerrohr untersucht. Bisher konnten allerdings nur typische
Betriebe aus den USA, Australien und Deutschland einbezogen werden, so dass wichtige
Produktionsstandorte der Welt noch fehlen.
Die in Abbildung 6 zusammengestellten Ergebnisse weisen die Zuckerrohrproduktion in
Australien als besonders kostengünstig aus. Der Kostenvorteil gegenüber den deutschen
Betrieben liegt (ohne Pachtansatz) in der Größenordnung von 30 bis 70 Euro je Tonne Zu­
cker. Innerhalb Deutschland weisen die beiden Betriebe der Magdeburger Börde besonders
günstige Kostenwerte aus, da sie relativ hohe Zuckererträge mit einer sehr günstigen Agrar­
struktur verbinden können. Bei fortschreitendem Strukturwandel könnten die bayrischen
Betriebe aufgrund der höheren Erträge die Führung übernehmen. Die großen Zuckerrüben­
betriebe in den USA liegen ungefähr auf gleicher Höhe mit den Betrieben der Magdeburger
Börde. Die Zuckerrohrproduktion weist in den typischen Betrieben der USA einen deutli­
chen Kostennachteil gegenüber den Rübenbetrieben auf. Dieser Kostennachteil ist jedoch
auf die speziellen Standortvoraussetzungen zurückzuführen und lässt keine Rückschlüsse
auf das Konkurrenzverhältnis zwischen Rohr und Rübe im weltweiten Vergleich zu.
Abbildung 6:
Produktionskosten Zuckerrüben/-rohr, 2000
Zuckerrüben
Zuckerrohr
350
Kosten für Boden und Rechte
Zinskosten
Gemeinkosten
Arbeitserledigungskosten
Direktkosten
€ / t Zucker Ww
300
250
200
150
100
50
0
Erträge (t Ww/ha)
Betriebsgröße (ha)
Region
Land
7,1 7,1 8,2 8,2 9,3
700 1500 560 1300 100
Zentrales
MagdeMecklenb.- burger
Vorpommern Börde
9,3 9,6
500 120
Südhannover
Deutschland
Wechselkurs: 1 US-$ = 1,09 EUR, 1 $A = 0,63 EUR.
Quelle: Riedel (2003).
9,6 10,7 10,7
70 200
420
KölnAachen
Niederbayern
6,3 6,3 7,8 7,8
1012 1944 445 1173
Red River
Valley
Louisiana
USA
13,2 13,4 9,2 17,0 16,2 11,1
240 120 100 210 210 200
MDIA Ather- Her- Delta BRIA Mackey
ton bert
Atherton
Burdekin
Tablelands
Australien
Wettbewerbsfähigkeit
173
Einen breiter angelegten Kostenvergleich für die Zuckerwirtschaft haben ZIMMERMANN
und ZEDDIES (2003) angestellt. Ein besonderer Pluspunkt der Hohenheimer Analyse besteht
darin, dass der Kostenvergleich über die landwirtschaftliche Produktionsstufe hinausgeht
und auch den Transport, die Verarbeitung und die Nebenprodukte umfasst. Dies ist beim
Zucker noch wichtiger als bei anderen Produkten. Da die Datenverfügbarkeit für alle Berei­
che jenseits des Hoftores allerdings besonders unbefriedigend ist, gibt es hinsichtlich der
Belastbarkeit der Ergebnisse sicher noch einige offene Fragen. Hinzu kommt, dass auch die
Ergebnisse der Hohenheimer Studie nicht auf mehrjährigen Analysen beruhen und nicht
durch ein nachhaltig kooperierendes Netzwerk abgestützt sind.
Die Ergebnisse sind in Abbildung 7 zusammengefasst. Bei der Interpretation der Abbildung
ist zu berücksichtigen, dass in dieser Abbildung für die Erzeugung der Rohstoffe Zuckerrü­
ben bzw. Zuckerrohr keine Produktionskosten, sondern Erzeugerpreise angesetzt wurden.
Im Falle einer schrittweisen Liberalisierung würden sich deshalb insbesondere in Deutsch­
land und den USA deutlich niedrigere Werte einstellen, denn die Erzeugerpreise würden an
diesen Standorten schrittweise sinken, ohne dass es zu einer deutlichen Reduktion des An­
bauumfangs käme.
Abbildung 7:
Produktionskosten von Zucker, 1999
800
Nebenprodukte
Verarbeitung
Transport
Rohstoff
700
€/t Zucker Ww
600
500
400
300
200
100
0
Deutschland
Polen
Ukraine
USA
(Rohr)
USA
(Rübe)
Brasilien
Südafrika
Indien
Thailand
Australien
Quelle: Zimmermann und Zeddies (2003).
Aus Sicht der europäischen Zuckerwirtschaft ist besonders der große Nachteil besorgniser­
regend, den die Rübenstandorte bei den Verarbeitungskosten haben. Der Vorteil der Rohr­
standorte wird von den Autoren unter anderem auf die wesentlich längere Verarbeitungs­
kampagne zurückgeführt. Sollte sich in weiterführenden Untersuchungen herausstellen,
dass der Verarbeitungskostennachteil der Rübenstandorte tatsächlich bei über 100 Euro je
Tonne Zucker liegt, dann ließe sich daraus nur eine Schlussfolgerung ableiten: Der Stand­
ort Europa ist gegenüber den Zuckerrohrstandorten, und hier insbesondere gegenüber Bra­
174
silien, langfristig chancenlos, wenn es tatsächlich zu einer vollständigen Liberalisierung
des Zuckermarktes kommt.
Diese Schlussfolgerung ist deshalb zwingend, weil speziell für Brasilien von einem großen
zusätzlichen Angebotspotenzial und allenfalls geringfügig steigenden Grenzkosten auszu­
gehen ist. Brasilien verwendet nach wie vor einen erheblichen Teil seines Zuckerrohrauf­
kommens für die Produktion von Alkohol, der dem Kraftstoff beigemischt wird. Bei stei­
genden Weltmarktpreisen für Zucker könnte Brasilien diese Zuckermengen leicht in den
Zuckerexport leiten und zu weitgehend konstanten Grenzkosten zusätzlichen Kraftstoff auf
Rohölbasis zukaufen. Außerdem dürfte es Brasilien nicht schwerfallen, die Zuckerrohrflä­
che weiter auszudehnen. Die Mengenbilanz für Zucker in den wichtigsten Produktionsregi­
onen verdeutlicht, dass dadurch – zumindest theoretisch – die Zuckerrübenerzeugung
weltweit ausgelöscht werden könnte (Abbildung 8).
Abbildung 8:
Erzeugung und Verbrauch von Zucker
24
Produktion Rohrzucker
21
Produktion Rübenzucker
Mio. t Zucker
18
Verbrauch Zucker gesamt
15
12
9
6
3
0
Brasilien
EU
Indien
USA
China
Pakistan
Australien
Thailand
Mexiko
Südafrika
Kuba
Russland
Ukraine
Quelle: Nöhle (2004).
Ein Worst-case-Szenario auf der Basis von NÖHLE (2004) zeigt, dass die Zuckererzeugung
in der EU schon in naher Zukunft unter erheblichen Druck geraten kann (Tabelle 1). In dem
Szenario wird unterstellt, dass verschiedene parallel laufende Entwicklungen eintreten:
Verlust der zwei laufenden WTO-Panels zum Re-Export von AKP-Zucker und zum Export
von C-Zucker; exzessive Ausnutzung des bereits beschlossenen EBA-Abkommens; Ver­
einbarung zusätzlicher Importquoten in den laufenden Verhandlungen mit den MercosurLändern; erhebliche Erhöhung der Einfuhren von Isoglukose. Zwar ist nicht zu erwarten,
dass alle Entwicklungen gleichzeitig eintreten und voll wirksam werden, doch veranschau­
lichen die Zahlen, dass schon die Hälfte dieser Ereignisse zu massiven Einschnitten in der
europäischen Zuckerwirtschaft führen wird.
Wettbewerbsfähigkeit
Tabelle 1:
175
Ein Worst-case-Szenario für die Zuckermarktordnung
Mengenbilanz Zucker EU-25, in Mio. t
1)
2003
2009
(worst case)
Verbrauch (inkl. Isoglukose)
Quote Import AKP
Quote Import LDC
Quote Import Balkan
Quote Mercosur
Quote Isoglukose
Re-Export AKP (Panel)
Export C-Zucker (Panel)
-16,1
1,6
0,2
0,0
0,0
0,3
-1,6
-5,0
-16,7
1,6
2,8
0,9
3,0
6,0
0,0
0,0
Mögliche Erzeugung EU-25
20,6
2,4
1) - Abfluss, + Zufluss.
Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Nöhle (2004).
Sollte es zu einer starken Reduktion der EU-Zuckerquote kommen, wird die Verteilung der
Zuckerproduktion innerhalb der EU zu überdenken sein. Eine proportionale Einschränkung
der Produktion an allen Standorten ist gewiss keine optimale Lösung, weil die schlechtere
Auslastung der Anlagen dann überall zu Kostenerhöhungen führt. Eine ökonomisch günsti­
gere Lösung besteht darin, einen EU-weiten Handel mit Zuckerquoten einzuführen. Dieser
führt zur Arrondierung der Zuckererzeugung auf den günstigsten Standorten, wobei die
aufgebenden Regionen durch die Erlöse aus dem Quotenverkauf bestmöglich profitieren.
Nach Expertenschätzungen ist zu erwarten, dass in solch einem Szenario die deutschen Rü­
benanbaugebiete eher zu jenen Regionen zählen, die Quote aus anderen EU-Regionen
übernehmen und mittelfristig weiter produzieren.
5
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft wurde in der Ver­
gangenheit durch die EU-Agrarpolitik gewährleistet. Dieser agrarpolitische Schutz wird
zurzeit deutlich reduziert.
Für die Ackerbauern stellt die Entkopplung der Direktzahlungen im Jahr 2005 den wesent­
lichen politischen Einschnitt dar. Im Vergleich dazu wird der Einfluss der kommenden
WTO-Runde im Ölsaaten- und Getreidebereich relativ gering sein, weil der Außenschutz
bei diesen Produkten nur noch eine geringe Rolle spielt. Nur beim Zucker ist der Außen­
schutz von überragender Bedeutung, hier hängt die Zukunft des Anbaues in der EU ent­
scheidend von den Verhandlungsergebnissen in der WTO ab.
176
Die Entkopplung der Direktzahlungen bedeutet für die Landwirte, dass sie ihre Betriebe kom­
plett stilllegen können, ohne dadurch die Direktzahlungen zu verlieren. Das ist für jene Betrie­
be interessant, deren Produktion (ohne Berücksichtigung der Direktzahlungen) bisher Verluste
gebracht hat. Am Beispiel eines größeren Ackerbaubetriebes auf relativ gutem Standort kann
jedoch gezeigt werden, dass die Variante „Stilllegen und mulchen“ betriebswirtschaftlich nicht
optimal ist. Stattdessen ist zu erwarten, dass sich durch Strukturwandel Großbetriebe heraus­
bilden, welche die Flächen der ausscheidenden Betriebe ohne große Mehrkosten übernehmen
und ggf. in geänderter Fruchtfolge und Intensität weiter produktiv nutzen.
Ob diese Prognose auch für ertragsschwächere Standorte in Deutschland gilt, kann beim der­
zeitigen Stand der Forschung nicht verlässlich beantwortet werden. Mit dem Aufbau des In­
ternational Farm Comparison Network (IFCN) versucht die FAL eine Forschungsinfrastruk­
tur zu schaffen, die künftig für eine verbesserte Analyse und Prognose der Wettbewerbsfä­
higkeit eingesetzt werden kann. Im IFCN werden Betriebe und Produktionssysteme mit in­
ternational harmonisierten Methoden vergleichend analysiert. Das IFCN wurde zunächst für
den Betriebszweig Milch entwickelt. Der Aufbau für den Betriebszweig Ackerbau begann
später, so dass hier bisher nur Ergebnisse für wenige Standorte zur Verfügung stehen.
Hieraus, aus weiteren Informationsquellen sowie aus theoretischen Überlegungen lassen
sich die folgenden vorläufigen Einschätzungen zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen Ackerbaubetriebe ableiten.
Mitteleuropäische Standorte verfügen über vorteilhafte natürliche Bedingungen für die
Pflanzenproduktion, insbesondere über ein hohes Ertragspotenzial. Dennoch liegen die
Stückkosten in den meisten Betrieben derzeit noch weit oberhalb der Weltmarktpreise und
oberhalb der Stückkosten, zu denen Konkurrenten an Überseestandorten produzieren.
–
Bei Weizen sind gut strukturierte Betriebe in Deutschland ihren nordamerikanischen
Konkurrenten fast ebenbürtig.
–
Zu Futtergetreide liegen bisher keine Forschungsergebnisse vor, doch lassen Ertrags­
vergleiche die Vermutung zu, dass EU-Standorte hier deutliche Kostennachteile ge­
genüber den Maisstandorten in Nord- und Südamerika haben.
–
Für Ölsaaten zeigen erste Kostenvergleiche, dass Deutschland bei Raps (trotz deutlich
höherer Erträge) Stückkostennachteile gegenüber Kanada aufweist. Noch kostengüns­
tiger ist allerdings die Sojaproduktion in Südamerika und die Palmölproduktion in In­
donesien und Malaysia.
–
Bei Zucker schneiden die Zuckerrohrstandorte in Brasilien besonders günstig ab, was
vor allem vor dem Hintergrund der dortigen Expansionspotenziale bedeutsam ist. Weil
nur ein relativ kleiner Teil der weltweit verfügbaren Ackerfläche benötigt wird, um den
Weltbedarf an Zucker zu decken, könnte eine weltweite Liberalisierung der Zucker­
marktpolitiken zu einer Konzentration an wenigen Standorten in der Welt führen.
Wettbewerbsfähigkeit
177
Für eine umfassende Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit ist es erforderlich, über die
Loco-Hof-Produktionskosten hinaus auch die Verarbeitungs- und Transportkosten sowie
Aspekte der Produktqualität in den Vergleich einzubeziehen. Hierdurch verbessert sich bei
Getreide und Ölsaaten die Wettbewerbsposition Deutschlands tendenziell, weil die Produk­
tion in Nord- und Südamerika zum Teil weit im Landesinneren erfolgt und der Transport zu
den Häfen relativ hohe Kosten verursacht. Bei Zucker verschlechtert sich die Wettbe­
werbsposition Deutschlands dagegen – zumindest nach den bisher vorliegenden Zahlen –
noch einmal ganz erheblich, weil die Verarbeitungskosten von Zuckerrüben deutlich höher
liegen als die Verarbeitungskosten von Zuckerrohr.
Die Kostennachteile der deutschen Betriebe sind vor allem deshalb überraschend, weil
hierzulande bei den meisten Früchten – infolge der günstigeren Klimabedingungen – deut­
lich höhere Erträge erzielt werden können. Normalerweise nehmen die Stückkosten mit
zunehmenden Erträgen ab. Die Ursachen dafür, dass in Deutschland trotz der relativ hohen
Erträge tendenziell erhöhte Stückkosten ermittelt werden, sind wahrscheinlich in folgenden
Bereichen zu suchen:
–
Die relativ hohen Arbeitserledigungskosten in den deutschen Ackerbaubetrieben sind
zu einem großen Teil auf die agrarstrukturellen Rahmenbedingungen zurückzuführen
(relativ kleine Betriebe, relativ kleine Flächen, schlechte Arrondierung der Flächen).
–
Nach Jahrzehnten der Hochpreispolitik hat sich in den meisten Betrieben eine relativ
arbeits-, maschinen- und vorleistungsintensive Produktionsweise herausgebildet. Ein
Übergang zu extensiveren Produktionssystemen, wie sie an nicht-europäischen Stand­
orten seit Jahrzehnten etabliert sind, benötigt viele Jahre (Pfadabhängigkeit der Ent­
wicklung).
–
Unter dem bisherigen Schutz der Agrarpolitik konnte es sich die Politik in Deutschland
und der EU bisher leisten, die hiesigen Betriebe mit einem besonders engmaschigen
Netz von kostenträchtigen Auflagen zu überziehen. Im Zuge der Liberalisierung der
Agrarhandelspolitik und der Entkopplung der Direktzahlungen wäre nun eigentlich ei­
ne Deregulierung fällig, doch lässt sich dies in dem sensiblen gesellschaftlichen Um­
feld, das die Politik selbst mit geschaffen hat, kaum umsetzen.
Für die deutsche Agrarpolitik sollte es eigentlich interessant sein zu erfahren, inwieweit sie
selbst durch die Festlegung der wettbewerbsrelevanten rechtlichen Rahmenbedingungen für
die angebliche Wettbewerbsschwäche der deutschen Landwirtschaft Verantwortung trägt.
Umso bemerkenswerter ist es, dass Bund und Länder den Aufbau des IFCN bisher kaum
unterstützt haben. Dass sich das IFCN überhaupt so weit entwickeln konnte, ist in erster
Linie dem Weitblick einiger Wirtschaftsunternehmen zu verdanken, von denen die meisten
außerhalb Deutschlands angesiedelt sind.
178
Wenn sich die bisherigen Strukturen der deutschen Landwirtschaft bei künftig veränderten
Rahmenbedingungen (Entkopplung, Liberalisierung) als nicht mehr rentabel erweisen, wird
sich der Strukturwandel beschleunigen und letztlich zu einer Senkung der Durchschnitts­
kosten der regionalen Erzeugung führen. Bei dieser „passiven Sanierung“, die durch das
Ausscheiden von Betrieben ausgelöst wird, werden die frei werdenden Flächen durch leis­
tungsstärkere Nachbarbetriebe übernommen, mit anderen Flächen zusammengelegt und
gegebenenfalls mit reduzierter Bewirtschaftungsintensität weiter landwirtschaftlich genutzt.
Ein dauerhaftes Brachfallen von Ackerflächen ist vor allem bei solchen Feldstücken zu
erwarten, bei denen (a) der Zuschnitt der Flächen keine rationelle Mechanisierung für
Großbetriebe erlaubt, (b) Nebenerwerbsbetriebe oder Gartenbaubetriebe ebenfalls keine
hinreichende Nachfrage nach solchen ungünstig geschnittenen Flurstücken entfachen und
(c) aufgrund der Lage der Flächen im Raum auch keine rentable Einbindung in ein großflä­
chiges Low-input-Grünlandkonzept möglich ist. Dieses Schicksal wird mittelfristig wahr­
scheinlich nur einen relativ kleinen Anteil der Ackerfläche Deutschlands treffen, und auf
einem Teil dieser brach fallenden Flächen wird sich die Gesellschaft mit Mitteln der ländli­
chen Entwicklungspolitik (2. Säule) eine Fortführung gesellschaftlich erwünschter Formen
der Landwirtschaft „einkaufen“.
In der längerfristigen Perspektive gewinnt der Einfluss der Technologiepolitik an Bedeu­
tung. Je stärker die nationale Politik neue Technologien abwehrt, die die Agrarentwicklung
im globalen Maßstab bestimmen, desto mehr Fläche wird in Deutschland trotz des zu er­
wartenden Betriebsgrößen-Strukturwandels letztlich brach fallen. Der Staat hat zwar prin­
zipiell die Möglichkeit, diese Flächen durch den Einsatz von Steuermitteln pflegen zu las­
sen. In der politischen Praxis werden diese Möglichkeiten aber eingeschränkt, wenn wirt­
schaftliche Aktivität und damit auch Steuerkraft ins Ausland verlagert wird.
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Nationen — Teilbericht der Quellgruppe Landwirtschaft
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Regional differenzierte Modellanalyse der Erzeugung von Biomasse zur energetischen Nutzung in
Deutschland
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Fleisch 2025
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Perspektiven in der Tierproduktion
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Optionen für Exportsubventionen, Interne Stützung, Marktzugang
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Indikatoren für die internationale und nationale Umweltberichterstattung im Agrarbereich
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Analyse der Beziehung zwischen den Kosten für Tierarzt und Medikamente in der Milchviehhaltung
und der Produktionstechnik, dem Futterbau, der Arbeitswirtschaft sowie der Faktorausstattung
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Gerold Rahmann und Thomas van Elsen (Hrsg.) (2004)
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Gerold Rahmann und Stefan Kühne (Hrsg.) (2004)
Ressortforschung für den ökologischen Landbau 2004
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274
Folkhard Isermeyer (Hrsg.) (2004)
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