Mein Einsatz
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Mein Einsatz
retten! 1• 2012 Mein Einsatz Stadtpark, Nähe Aussichtsturm.“ Zu diesem gel. Aus den Augenwinkeln sieht er, dass letzten gekümmert – soweit das ging“, sagt Zeitpunkt sitzt Müschner, der an diesem zwei Demonstranten die Szene filmen. Müschner. Immer wieder kommen schubweise kleine Gruppen von Demonstranten Tag für das Stadtgebiet organisatorischer Leiter auf Abruf war, noch in einer Bespre- Ruhig bleiben Müschner atmet tief durch auf die Helfer zu: „Warum seid ihr so weit chung und ahnt nichts. Ein RTW macht sich und denkt: „Jetzt nur die Ruhe bewahren!“ weg? Von wegen professionelle Hilfe. Ihr auf den Weg – absolute Routine. Eigentlich. So wie ihm, geht es auch seinen 2 Kollegen, seid doch vor allem für verletzte Polizisten Doch dann waren da bei Ankunft im Park die 4 Meter entfernt stehen, und Ziel von da!“ Müschner: „Manche Demonstranten tausende Menschen: hitzig, hektisch, laut Pöbeleien und Drohungen sind. Müschner wollten einfach die Konfrontation. Auch wir und wütend. Und von dem Mann mit Herz- befürchtet, dass die Situation eskaliert, falls als unparteiischer Rettungsdienst wurden Problemen fehlt jede Spur. die Kollegen sich reizen lassen. Er ruft ih- zum Ziel von Wutausbrüchen.“ nen durch das Geschrei der Demonstranten Verstärkung Die Rettungsassistenten ge- zu: „Bleibt ruhig – lasst euch nicht provo- ben Rückmeldung an die Leitstelle: Situa- zieren!“ tion unübersichtlich, Patient nicht zu fin- Behandeln, wo die Flaschen fliegen Innenansichten von der Großdemo Laute Sprechchöre und Parolen, fast 8500 Demonstranten machen ihrer Wut lauthals Luft. Ihnen gegenüber Hundertschaften der Polizei – Absperrzäune soweit das Auge reicht. Die Stimmung kocht, als Henning Müschner* am Ort der Demo eintrifft. Medizinisch erwartet ihn keine Überraschung, aber mit der Aggressivität der Demonstranten hat er nicht gerechnet. Regina Krill von Sicherheit geben. „Ich glaub, der Wa- „Das war medialer Terror, eine ganz andere Dimension der Aggression.“ den, dafür aber mehrere Verletzte. Das ist Kein Schutz durch Uniform „Von Anfang das Signal für Müschner, sich selbst – nach an waren wir Zielscheibe von Aggres- einem Telefonat mit der Polizei – auf den sionen“, sagt Müschner. „Durch unsere Weg zur Demo zu machen. Ihm ist nun klar: Dienstkleidung wurden wir direkt der Es geht nicht um einen regulären Einsatz, Gruppe ‚Staatsvertreter’ zugeordnet – und Gehen oder bleiben? Müschner betrach- es handelt sich um eine Großdemo. Etwa die Stimmung vor Ort war eindeutig gegen tet die Szenerie und überlegt: Gehen oder gleichzeitig starten ein weiterer RTW von die staatliche Macht.“ Das Phänomen kennt bleiben? Es ist jetzt 15.10 Uhr, die Helfer der Wache und ein Notarzt-Fahrzeug von man im Rettungsdienst: Wenn Emotionen sind zu 8, der zweite RTW und der Not- einem nahe gelegenen Krankenhaus Rich- den Ton angeben, wird der Unterschied zwi- arztwagen sind eingetroffen. Angesichts der tung Park. Um 15.00 Uhr erreicht Müschner schen Rettungsdienst und Polizei schnell teils heftigen Attacken und Beleidigungen seine Kollegen inmitten der Demonstran- mal übersehen. Müschner kennt das von gegen sein Team entscheidet Müschner: ten und steigt aus. Fußballspielen: Sie seien der beste Nähr Wir brauchen Polizeischutz. „Als Einsatzlei- gen hat sogar gewackelt, so nah dran waren boden für heftige Wutattacken, auch gegen ter hatte ich ja die Verantwortung für das die.“ Langsam bahnt sich sein Wagen einen Kurz vor der Eskalation Doch bevor Mü- den Rettungsdienst: „Viele Menschen auf ganze Team und wir konnten einfach nicht Weg durch die Menge – im Hintergrund die schner ein Wort mit seinem Team wechseln kleinem Raum, Emotion pur, Alkohol und in Ruhe arbeiten: Immer wieder wurden Sprechchöre der Demonstranten. Das Ziel kann, stürmt ein Demonstrant auf ihn zu: eventuell tiefe Enttäuschung über die eige- wir bedrängt, fast jeder von uns hatte alle des organisatorischen Leiters: Den ande- Groß, breite Schultern, rasend vor Wut. Un- ne Mannschaft. Da werden auch wir Helfer paar Minuten ein Handy vor der Nase – das ren RTW erreichen, der sich vor etwa einer mittelbar vor ihm baut er sich auf und brüllt zuweilen attackiert.“ war medialer Terror, eine ganz andere Di- halben Stunde auf den Weg irgendwo hier- Müschner an: „Das sieht euch ähnlich. Da her gemacht hat und dann dringend Hilfe vorne sind hunderte Verletzte und ihr steht Helfen, wenn möglich Müschner schaut Ein Bild baut sich in seinem Kopf auf: Was nachforderte. hier genau so dämlich rum wie die Polizei!“ sich um. Unter den Demonstranten sind ist, wenn die Massen den Behandlungsplatz Bevor Müschner antworten kann, verpasst Leichtverletzte: Die meisten haben Prel- stürmen? Wütende Menschen in großer mension der Aggression“, sagt Müschner. Umzingelt Überall Zäune, Poller, Absperr- Demo-Areal angekommen, wird er umringt bänder. Die massive Absperrung um die von Demonstranten. Ein Blick in die Gesich- Notruf: Herz-Kreislauf-Probleme Dabei ihm der Mann einen Stoß vor den Brustkorb. lungen und leichte Abschürfungen. „Unser Masse verhalten sich oft unberechenbar. Demo ist das geringste Hindernis, das Mü- ter reicht und Müschner weiß: „Die freuen hatte der Einsatzgrund noch unspektaku- „Ich hab versucht, mich abzufangen, aber ich Auftrag heißt: Helfen! Also haben wir erst- Müschner klingt immer noch überrascht, schner, organisatorischer Leiter Rettungs- sich hier nicht auf mich!“ Aussteigen oder lär geklungen: „Über die Leitstelle kam um stand mit dem Rücken zum Auto und wur- mal einen notdürftigen Behandlungsplatz wenn er darüber spricht: „Da will man hel- dienst, aus dem Weg räumen muss. Kaum lieber sitzen bleiben? Müschner merkt: So 14.25 Uhr ein ganz normaler Notruf: männ- de automatisch abgestoppt“, sagt Müschner. eingerichtet, etwa 150 Meter vom Zentrum fen und wird selbst angegangen… das hatte ist er mit seinem Einsatzwagen auf dem ein Auto kann plötzlich ein großes Gefühl licher Patient, Herz-Kreislauf-Symptomatik, Mit der Schulter prallt er an den Außenspie- der Demo. Hier haben wir uns um die Ver- ich in diesem Ausmaß noch nicht erlebt.“ * Name geändert 2 3 retten! 1• 2012 Mein Einsatz Ordnung ins Chaos bringen Ein Kommentar von Dr. Wolfgang Blickle sollten, können Sie sich an diesem Ver- (Fußballspiele) mit. Seine Entscheidungen halten orientieren: Sprechen Sie klar und zeigen allen Beteiligten, dass es eine zen- ruhig mit tendenziell tiefer Stimme, be- trale Anlaufstelle für Verletzte gibt – und schwichtigen Sie ruhig auch mit defensi- dank der nachgeforderten Schnelleinsatz- ven Gesten, vermeiden Sie jede drohende gruppen werden die Ressourcen zur Ver- Körperhaltung. Müschner und sein Team sorgung erweitert, was den Unmut zusätz- haben Erfolg, weil sie sich konsequent de- lich senkt. Polizeischutz Gegen 15.15 Uhr spricht er Ende kommen die Rettungsassistenten zu jetzt allmählich breit“, sagt Müschner, mit der Polizei und knapp 5 Minuten später dem Schluss: Die Meldung über die Re- „und jetzt beruhigte sich die Lage lang- Wir alle wissen: sich – für alle sichtbar – von der Rolle der Einsatzkonzept als Idealfall Müschner positionieren sich 8 Polizisten mit Helmen animation war ein Gerücht – hochgekocht sam, sodass wir in Ruhe die Verletzten Meistens wird der „Polizei-Verbündeten“ und bleiben neut- und sein Team handeln richtig – aber un- und in gepanzerter Uniform um den Be- durch unzählige Wiederholungen von ver- behandeln konnten.“ Rettungsdienst ral. Konzentrieren auch Sie sich stets auf vorbereitet. Wie aber ließe sich ein solcher handlungsplatz. Die erhoffte Entspannung schiedenen Leuten. freundlich und er- Eigenschutz und das Wohl Ihrer Patienten Einsatz grundsätzlich besser vorbereiten? Im Rückblick Insgesamt 142 Leicht- leichtert empfan- – lassen Sie sich weder instrumentalisieren Für Veranstaltungen mit vielen Perso- bringt der Schutz aber nicht: „Klar, die Poli- eskalierend verhalten. So distanzieren sie zisten haben uns körperlich geschützt, aber Medizinische Unterstützung 15.40 Uhr: verletzte und 16 Personen, die im gen – immerhin gerade durch die Präsenz der vermummten Müschner ist jetzt gut eine halbe Stunde Krankenhaus weiter behandelt werden bringt er die ge- Polizisten waren auch wir räumlich in die vor Ort, und inzwischen hat sein Team 21 mussten – so lautete das Versorgungs- wünschte medizi- Was hätte passieren können? Dieser Nähe der Staatsmacht gerückt.“ Für man- Leute behandelt. „Ich war mir nicht ganz fazit des damaligen Einsatzes. „Das wa- nische Hilfe. Dieser Bericht zeigt, dass das Einsatz verläuft beeindruckend struktu- Im Konzept wird z.B. festgelegt, wo und chen Demonstranten erst recht ein Grund, sicher, ob die Menge der Verletzten noch ren relativ viele Patienten, verteilt auf 4 auch anders sein kann. Scheinbar grundlos riert und medizinisch routiniert. Ganz wann zusätzliche Einsatzkräfte verfügbar Stimmung gegen den Rettungsdienst zu weiter zunehmen würde“, sagt er – doch Stunden, aber medizinisch hatten wir wird der Rettungsdienst zur Zielscheibe anders hätte es ausgehen können, wenn sind bzw. wo sie ihren Behandlungsplatz machen. Müschner: „Ab dem Zeitpunkt des soll er weitere Hilfskräfte nachfordern? Wie die Lage jederzeit im Griff“, sagt Mü- von Aggressionen. Einsatzleiter Müschner auch nur ein Rettungsassistent aggressiv aufbauen. Eine gute Hilfestellung bei der Polizeischutzes flogen auch erste Flaschen würde sich das Aggressionspotenzial ent- schner. Die wirklich physische Gewalt und sein Team handeln glücklicherweise reagiert hätte. Wer sich in dieser Lage nicht Planung von Großereignissen bietet der in unsere Richtung.“ wickeln, wenn Verletzte länger auf ihre Be- gegen den Rettungsdienst hielt sich in genau so, wie es die Situation verlangt. handlung warten müssten? Dem Vorwurf Grenzen: 2 leichte Prellungen, ein paar der unterlassenen Hilfeleistung will Mü- Eingreifen ja oder nein? Um 15.25 Uhr, noch provozieren! nen ist ein rettungsdienstliches Einsatzkonzept entscheidend – ganz besonders, wenn Emotionen die Veranstaltung prägen. neutral verhält, verliert schnell an Glaub- sogenannte Maurer-Algorithmus (siehe würdigkeit und kann zum Ziel von Gewalt weiterführender Link). Mit ihm lässt sich ermitteln, welches Gefahrenpotenzial von Lackkratzer, ein kaputter Außenspiegel Lage klären Der Einsatz trifft den werden. Dann werden Einsatzfahrzeuge kommt ein Demonstrant auf Müschner zu – mehr passierte zum Glück nicht. „Aber diensthabenden organisatorischen Leiter beschädigt, Rettungskräfte angerempelt, einer Veranstaltung ausgeht und wie viele und berichtet, dass eine Person mitten im es gab einige Situationen, in denen die Rettungsdienst völlig unvorbereitet. Die getreten oder bespuckt. So groß (und Einsatzkräfte vorgehalten werden sollten. Stimmung zu kippen drohte“, sagt Mü- Einsatzmeldung lautet „Herz-Kreislauf- verständlich) Ihre Wut auf dieser Eskala- schner. „Die Entscheidung für den Po- Symptomatik im Stadtpark“, von einer tionsstufe werden mag: Bemühen Sie sich lizeischutz war deshalb richtig – aber Großdemo ahnt er nichts – und das ist weiter um Deeskalation – lassen Sie sich ein Rettungsteam mitten in die Menge zu auch zweischneidig. Einerseits wurden unüblich. Erst vor Ort wird klar, dass hier nicht zu Gegenattacken hinreißen. Wenn schicken – unter Schutz der Polizei. Ange- wir durch die Polizisten körperlich ge- eine Demostration aus dem Ruder läuft. aufgebrachte Personen Sie als Gegner Zentrum der Demo reanimiert werde. Fast zeitgleich erhalten auch Kollegen den gleichen Hinweis. Müschner entschließt sich, „Eigensicherung geht immer vor! Es hilft keinem, wenn wir selbst verletzt werden.“ sichts der immer noch extrem gereizten schner keine Chance geben. Dann beobach- schützt. Andererseits fühlten sich nicht Müschner handelt richtig: Er nimmt sofort „identifizieren“ und sich spontan gegen Sie Atmosphäre weist er sein Team nochmals tet er, wie 2 Wasserwerfer der Polizei am wenige Demonstranten durch die sicht- Kontakt mit der Polizei auf und verschafft solidarisieren, kann das üble Folgen haben. darauf hin, dass Selbstschutz Priorität hat: Behandlungsplatz vorbei auf die Demonst- bare Allianz von Rettungsdienst und Po- sich einen Überblick über die Lage. „Eigensicherung geht immer vor! Es hilft ja ranten zurollen. Das Wasser schießt in die lizei provoziert.“ keinem, wenn wir selbst verletzt werden.“ Menge, deren Geschrei umgehend lauter Was neben vielen Erinnerungen bleibt, Ruhe bewahren Vor Ort droht der Ret- ner erkennt, dass die „Suche“ nach Patien- Eine Viertelstunde suchen Müschners Kol- wird. Rucksäcke, Flaschen und Fahrräder ist ein Gefühl von Bedrohung und Unter- tungsdienst zwischen die Fronten zu ge- ten weder möglich noch sinnvoll ist, lässt legen im Getümmel, dann brechen sie die werden über den Asphalt gespült, Men- legenheit: „Fast alleine vor einer derart raten. Mehrere Demonstranten sehen im er einen Behandlungsplatz einrichten und Suche nach dem Patienten ab – eine be- schen werden vom Wasserstrahl umgeris- gereizten Masse zu stehen, das verges- Team Verbündete der Polizei. Als erfahre- fordert weitere Rettungskräfte nach – er wusstlose Person ist nirgendwo zu finden. sen. Müschner entschließt sich, 2 Schnel- se ich so schnell nicht“, sagt Müschner. ner Einsatzleiter erkennt Müschner diese strukturiert den Einsatz mit geordneten Die Vorwürfe von Demonstranten reißen leinsatztruppen mit jeweils 10 Personen Doch sein Fazit fällt deswegen nicht ne- Problematik und reagiert umsichtig – von Abläufen. Besonders vorteilhaft ist dabei, dennoch nicht ab: Da vorn stirbt einer, und nachzufordern. Die Kollegen erreichen gativ aus. „Mit dem Ablauf des Einsatzes Anfang an hat er den Eigenschutz des dass es überhaupt einen diensthabenden, ihr rennt hier rum – kümmert euch end- nach 15 Minuten den Behandlungsplatz, können wir insgesamt zufrieden sein“, Teams im Blick und unterstützt seine Kol- fest eingeteilten organisatorischen Leiter lich! Mit 2 Fragen lassen sich die meisten der mittlerweile mit durchnässten Men- sagt er. „Wir haben fast immer sehr be- legen psychologisch: Mit Aufforderungen Rettungsdienst gibt. Er kennt die Örtlich- Vorwürfe schnell entkräften: „Haben Sie schen überfüllt ist. Und die Demonstranten sonnen reagiert, konnten vielen Patien- wie „Bleibt ruhig!“ gibt er den Verhaltens- keiten, kann auf bestehende Strukturen den Verletzten selbst gesehen? Wo genau sehen: Immer mehr Menschen werden vom ten helfen und haben Schlimmeres ver- kodex vor und vermittelt Sicherheit. Falls zurückgreifen und bringt Erfahrungen aus befindet sich der Patient?“ Dazu kann kein Rettungsdienst behandelt. „Die Einsicht, hindert. Das zeigen heute ausgerechnet Sie selbst in ähnliche Situationen geraten ähnlich kritischen Massenveranstaltungen Demonstrant klare Angaben machen. Am dass wir keine Gegner waren, machte sich die vielen Handy-Filme im Internet.“ 4 weiterführender Link http://de.wikipedia.org/wiki/Maurer-Schema Strukturierung des Einsatzes Als Müsch- 5 Autorenkasten Dr. med. Wolfgang C. G. Blickle arbeitet im Klinikum Stuttgart, Katharinenhospital, in der Abteilung für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin. Er ist ärztlicher Leiter der DRK-Landesschule Baden-Württemberg und Mitherausgeber von retten! E-Mail: wblickle@googlemail.com