Eine Berlinerin in Straßburg

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Eine Berlinerin in Straßburg
KULTUR
LITERATUR
Eine Berlinerin in Straßburg
Zu Besuch bei der Schriftstellerin Barbara Honigmann im Elsass
11.07.2011 - von Jo Berlien
Am 15. Mai hat Barbara Honigmann in Zürich den Max-Frisch-Preis für ihr Gesamtwerk
erhalten. Am 25. Juli erscheint ihr neuer Roman Bilder von A. bei Hanser. Und am 25./26.
Oktober lädt das Franz-Rosenzweig-Forschungszentrum für deutsch-jüdische Literatur und
Kulturgeschichte in Jerusalem zu einer zweitägigen Konferenz, um das Honigmann’sche Werk zu
würdigen und darüber zu disputieren. Wie sie zu dieser Ehre kommt, weiß die Schriftstellerin
nicht. Und kann am wenigsten Auskunft darüber geben, was bei all dem herauskommen mag.
Ich treffe Barbara Honigmann in Straßburg, wo sie seit 1984 lebt. Ihre Herkunft aus Berlin, wo
sie 1949 geboren wurde, kann sie nicht verleugnen, am Telefon berlinert sie drauflos, dass es eine
Freude ist; ihre kürzlich verschiedene Katze trug den einschlägigen Namen Atze.
Auch im Gespräch zu Hause am Küchentisch, bei einer ultradünnen Zigarette, ist Barbara
Honigmann herzlich, direkt, ungefiltert. Berlinerisch eben. Und doch – mit der Frage, ob sie es
nicht heimwärts zieht, nach so vielen Jahren im Exil, darf man ihr nicht kommen. »Diese
Frage«, entgegnet sie, »stellt sich nicht.«
TALMUDSTUDIUM Es gibt Wichtigeres, als in Berlin zu leben, auch wenn dort mittlerweile
ihr ältester Sohn und die Enkel wohnen. Oder in Paris, wo der jüngste Sohn arbeitet. Barbara
Honigmann hat ihr Domizil auf halbem Weg zwischen beiden Städten und Söhnen, in Straßburg.
In der deutschen Sprache ist sie daheim. Aber sie liebt das lässige Frankreich; als Autorin schätzt
sie die französische Kultur, die dem Intellektuellen zuhört und ihn um Rat fragt und nicht schief
anschaut oder verspottet, wie hierzulande. Vor allem aber kann sie in Straßburg als Jüdin jüdisch
leben. Darum ist sie seinerzeit hierher gezogen.
Barbara Honigmann wohnt im jüdischen Viertel von Straßburg. Die Straße runter, im Laden an
der Ecke, kann man koschere Waren kaufen. Und etwas weiter entfernt in der Rue Goethe finden
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die wöchentlichen Schiur-Treffen im Institut »Chaye Sara« statt, die der 62-Jährigen so wichtig
sind. Jean-Claude, ein Weiser ohne Funktion und Titel und auch ohne die Aura eines Gelehrten,
leitet hier jede Woche das Studium von Talmud-Texten an.
Honigmann schildert in ihrem Essayband Das Gesicht wiederfinden (2006) diesen Frauen
vorbehaltenen Zirkel: »Endlich bin ich im Zentrum des Judentums angekommen, in seiner
eigentlichen, zu Theologie, Geschichte und Kultur des christlichen Abendlandes parallel geistigen
Welt.«
Dabei interessiert sie die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Judentum mehr als der
religiöse Aspekt. Das Gemeindeleben mit Synagogen-Zeremoniell interessiert sie eher wenig.»Bin
ich religiös? ›Religiös‹ ist heutzutage beinahe ein Schimpfwort. Ich stelle mir die Frage nicht.«
Bei den Treffen in der Rue Goethe gehe es eben nicht um Riten und ums religiöse Zeremoniell,
sondern ums Nachspüren, Ergründen – um den Kern des Jüdischseins, jedenfalls in Barbara
Honigmanns Verständnis.
HEITER PRAGMATISCH Deutschland ist von Straßburg nur eine Rheinbrücke weit entfernt.
Aber vom jüdischen Leben dort, sagt Barbara Honigmann, wisse sie nur aus zweiter Hand zu
berichten: dass sich durch den Zuzug von Juden aus Russland viel verändert habe; dass es hie
und da ein funktionierendes Gemeindeleben gebe. »Als ich 1984 wegging, existierte in Ost- und
Westdeutschland kein jüdisches Leben.
Da war nichts … Es ist schon erstaunlich: Es vergeht eine gewisse Zeit, und plötzlich entwickelt
sich doch wieder etwas.« Dabei hat sie als Schriftstellerin und Malerin dazu ihren Teil beigetragen.
»In ihren Büchern beschreibt Barbara Honigmann das Leben jüdischer Emigranten und
Heimkehrer in Europa und im geteilten Deutschland in einer Sprache von bestechender Klarheit,
mit scharfem Blick und aufblitzender Ironie«, befand die Jury des von der Stadt Zürich
gestifteten Max-Frisch-Preises im Mai.
In der Schweiz, wo die Abneigung gegen herablassend unfreundliche Deutsche periodisch vom
Boulevard hochgekocht wird, schätzt man Barbara Honigmann für ihre Weltzugewandtheit und
ihren heiteren Lebenspragmatismus: Von den 50.000 Schweizer Franken Preisgeld hat sie sich
»ein Auto anjeschafft«, ihren ersten Neuwagen überhaupt.
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Beim Festakt im Zürcher Schauspielhaus sprach der Laudator von elementarer Funktion der
Selbstbespiegelung, Reflexion und Introspektion. Gemeint hat er das autobiografische Schreiben.
Wenn am 25. Juli Bilder von A . erscheint, Barbara Honigmanns neuer Roman, dürfte manche
Rezension darum kreisen, wie viel die Autorin in dieser Liebesgeschichte an Selbsterlebtem und
-durchlittenem preisgibt.
Wer sich auskennt in Honigmanns Werk, errät rasch, wer A. ist beziehungsweise war. Das Buch
erzählt von einer uneingestandenen, unerklärten, ungelebten, unerfüllten Liebe zwischen einer
jungen Frau und einem älteren Mann; einer Hilfsdramaturgin und einem Regisseur; einer Jüdin
und einem Goi. Er lacht sie aus wegen ihres plötzlichen Bekennens: Willst du etwas Besonderes
sein? Soll ich dich lieben, weil du Jüdin bist? Worin besteht dein Jüdischsein? Willst du etwa
religiös werden? Wie du redest! Ich erkenne dich nicht wieder!
LIEBE Das Trennende ist nichts gegen das, was das Paar verbindet: die Liebe zur Kunst, zum
Theater und zu Kleist; ihre Verrücktheiten, ihrer beider Freiheitsdrang; der Sinn fürs Komische,
der Hang zum Drama.
Ihre Wesensverwandtschaft: »Dabei hielten wir es nicht einmal mit uns selbst wirklich gut aus.
Und dann sagten wir auch immer an den grauen Tagen, wenn es regnete und alle Leute sich
über das schlechte Wetter beklagten, ach, da fühlen wir uns endlich verstanden, wenn die Wolken
so tief und schwer hängen wie unsere Melancholie, und nicht verhöhnt wie an den Tagen, an
denen die Sonne am blauen Himmel scheint und alles blüht und grünt und Früchte trägt und die
Wiesen voller Veilchen stehen. – Wir waren eben beide vom Theater.«
Barbara Honigmann hat mit Bilder von A. ihr vielleicht poetischstes Buch geschrieben. Jede
Liebesgeschichte ist autobiografisch. Aber diese zeigt, wie es die erste große Liebe zu überstehen
gilt, um zu sich zu kommen und bereit zu sein für das Wesentliche im Leben: der einen großen
Liebe auf Augenhöhe.
Das Wesentliche, das weiß Barbara Honigmann aus dem Talmud-Textstudium, entzieht sich der
Wissenschaft (und der Literaturkritik). Was bleibt ist ein Gefühl und eine Ahnung, dass nichts je
zu Ende ist: »In meinen Träumen lebt A. noch immer. Wir sprechen, wir lachen, wir streiten, wir
lieben uns, er begleitet mich, er geht fort. Nach dem Aufwachen fällt es mir erst nach ein paar
Momenten wieder ein. A. ist jetzt tot.«
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