Für den Tenor Björn Casapietra schlägt der Silly
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Für den Tenor Björn Casapietra schlägt der Silly
Sonnabend/Sonntag, 9./10. Februar 2008 E-Mail: feuilleton@nd-online.de Neues Deutschland ■ Seite 19 * * * Foto: Ulli Winkler Von Marika Bent Geschwister kann man sich nicht aussuchen. Es kommt der Tag, da präsentieren die Eltern sie einfach: Hier, das ist dein Bruder. Als Björn Casapietra diesen Satz zum ersten Mal hörte, war er in der Pubertät und als Einzelkind auf dieses Ereignis nicht unbedingt vorbereitet. Vor ihm stand ein langmähniger Rocker, der Uwe Hassbecker hieß und zehn Jahre älter war. Sein großer Bruder! Ein halber zwar, aber immerhin. Björn durchlebte gerade seine Phase als blondgefärbter Popper, was ein harter Rocker wie Uwe grundsätzlich blöd finden musste. Doch der Große ließ Nachsicht walten. Mal gucken, da kann ja noch was draus werden, sagte sich Hassbecker. Die Geschwister kannten sich noch keine drei Minuten und hatten schon zu vergleichen begonnen. Wahrscheinlich kann der Mensch nicht anders. Man sucht automatisch nach Gemeinsamkeiten, erst recht in den mittlerweile ausgeprägten Gesichtern der heute 37- und 47-jährigen Brüder. Zunächst sind da nur Unterschiede. Zwei Typen wie Tag und Nacht, die jetzt nebeneinander auf einem Sofa in Uwe Hassbeckers Wohnung am Gendarmenmarkt sitzen. Hier der noch immer langhaarige, noch immer blonde Silly-Gitarrist Hassbecker, dessen blaue Augen so schön leuchten können. Dort der Tenor und Schauspieler Casapietra, dessen Name italienische Mannhaftigkeit verheißt – ein Versprechen, das die dunklen Haare und die braunen Augen zunächst einmal einlösen, sicherlich zur Freude seiner vielen weiblichen Fans. Wenn Casapietra dann zu sprechen beginnt, ist Italien weit entfernt. Er berlinert leicht. Aus Casapietra wird dann Björn. Eigentlich heißt er Björn Herbert Fritz Roberto Kegel Casapietra. So tauften ihn seine Eltern, die italienische Sopranistin und StaatsopernPrimadonna Celestina Casapietra und der verstorbene Dirigent Herbert Kegel. Die Mutter reiste zur Niederkunft im Februar 1970 eigens aus der DDR in ihre Heimatstadt Genua zurück, damit der Sohn die italienische Staatsbürgerschaft bekäme. Er sollte reisen können zwischen den Welten, heimisch sein sowohl in Rauchfangswerder als auch bei den 15 Cousins und Cousinen in Italien. »Ich sitze irgendwie zwischen den Stühlen«, sagt Björn Casapietra. Uwe Hassbecker ist ebenfalls der Sohn des Dirigenten Kegel. Als Uwe 1960 in Leipzig geboren wurde, stieg sein Vater gerade zum Chefdirigenten des Leipziger Rundfunksinfonieorchesters auf, später wurde er Chef der Dresdener Philharmoniker. Uwes Mutter, Eva Haßbecker, war Sängerin am Opernhaus in Halle, eine Sopranistin wie die Mutter von Björn. Zwei singende Mütter und ein dirigierender Vater. Hier also beginnen die Gemeinsamkeiten. »Stimmt«, sagt Uwe Hassbecker zum jüngeren Bruder. »Über die Ähnlichkeiten bei den Müttern haben wir noch nie ausführlich gesprochen.« Was sie vereint, ist die Liebe, die sie ihren Söhnen gaben. Liebe in widrigen Umständen. Der international geschätzte Konzertmeister Kegel lebte für die Arbeit, seine Liebe Für den Tenor Björn Casapietra schlägt der Silly-Gitarrist Uwe Hassbecker jetzt klassische Töne an – aus brüderlicher Verbundenheit Saitenwechsel galt der Musik, und so war es an den Müttern, für Herzenswärme zu sorgen. »Das hat viel rausgerissen«, sagt Casapietra und erzählt, dass es kein gemeinsames Foto von ihm und seiner Mutter gibt, auf dem sie ihn nicht drückt oder küsst. Eine italienische Mama eben, aber auch eine echte Diva. Bei Premieren an der Deutschen Staatsoper regnete es rote Rosen auf sie herab. Vor der Schule ihres Sohnes tauchte sie schon mal ganz in weißen Pelz gehüllt mit einem ebenfalls weißen Mercedes auf. Das hat Björn ihr dann verboten. Heute lebt Celestina Casapietra in Berlin und Genua. Uwe Hassbeckers Mutter ist vor zehn in Halle gestorben. Seit ihrem Tod ist er nur noch selten in seine ehemalige Heimatstadt gefahren. »Da ist nichts mehr bis auf wenige Freunde«, sagt Hassbecker. Sein Vater verließ die Mutter, als er fünf Jahre alt war. »Da kam eines Tages ein Brief an meine Mutter. Sie war zwei Tage lang krank, hat nur geweint«, erzählt der Sohn. Wenig später schrieb er selbst Briefe an den verschwundenen Vater. Sie blieben ohne Antwort. »Das wusste ich gar nicht«, sagt sein Halbbruder betroffen. »Warum er deine Mutter verlassen hat, weiß man nicht, oder?«, fragt Casapietra vorsichtig. »Na vielleicht wegen deiner Mama«, antwortet Hassbecker. Als erwachse- ner Mann traf Uwe Hassbecker seinen Vater wieder. Sie haben sich gut verstanden. Die Enttäuschung aus der Kindheit aber ließ sich nicht mehr auslöschen. In seiner Wohnung am Gendarmenmarkt bewahrt er eine Biografie des Vaters auf. Das hochformatige Buch mit einer Fotografie von Herbert Kegel auf dem Umschlag steht angelehnt an ein Regal auf dem Fußboden im Wohnzimmer. Ein noch junger Mann blickt ernst vom Einband. »Ich finde, Uwe ähnelt meinem Vater mehr als ich«, sagt Björn Casapietra. Dann berichtigt er sich. »Mein Vater, unser Vater.« Herbert Kegel beging 1990 Selbstmord. Der berühmte Dirigent litt unter Depressionen. Vielleicht starb er auch an gebrochenem Herzen, ging an seiner letzten Liebe, einer jungen Malerin, zugrunde. Sein Sohn Björn war damals 20 Jahre alt und machte sich Gedanken über die Zukunft. Der Vater war eigentlich Vergangenheit, nachdem sieben Jahre zuvor auch die Ehe mit Celestina Casapietra gescheitert und er aus der schönen Villa am Zeuthener See ausgezogen war. »Rausgeschmissen wie ein Hund«, soll es ihm beim Abschied unter Tränen entfahren sein, erzählt Casapietra. Der Freitod des Vaters hat die Brüder einander näher gebracht. Es gibt noch einen dritten Halbbruder im Bunde, der älteste Sohn Kegels. Er ist Arzt in Leipzig und hat an dem Verlust am meisten zu tragen, sagt Casapietra. Vom kostbaren Privileg der Geschwister, Erinnerungen an die Eltern zu teilen, können alle drei Geschwister kaum Gebrauch machen. »Es gibt ja auch keine gemeinsamen Erinnerungen«, sagt Hassbecker. Allein es gibt ähnliche Erlebnisse. Vor allem eines: der Vater bei der Arbeit. »Ich erinnere mich, wie er zu Hause dirigierte, im Geiste die Partituren durchging, und ich als kleiner Junge seine Bewegungen nachmachte«, erzählt Uwe Hassbecker. Mehr als diese kleinen Fetzen gibt sein Gedächtnis aus den frühen Jahren nicht preis. Sein Bruder hat ähnliche Bilder aus der Kindheit vor Augen. Auch bei Casapietras dirigierte der Vater, übte wie ein Pantomime seine Konzerte und markierte die verschiedenen Stimmen in den Notenbüchern mit farbigen Stiften, die vor allem den kleinen Björn faszinierten. Er sei ihm dankbar, sagt Björn Casapietra. Sein Vater habe ihn zum Gesang gebracht, mit einfachen Weihnachtsliedern, die Vater und Sohn alljährlich zur Freude der Nachbarn in Rauchfangswerder vortrugen. Von Dankbarkeit ist auch die Rede in einem Lied, das Björn seinem Vater gewidmet hat. »Vaters Lied« ist ein süßer Gesang über die Macht der Musik und den Triumph über den Tod, bei dem die Polowetzer Tänze von Alexander Borodin Pate standen. Eine gefällige, weiche Mischung aus Ballade und Klassik, die nur von den schönen, edlen Gefühlen für den Vater erzählt. »Als Kind hab ich ihn gehasst«, sagt sein Sohn. Er war 13, als die Ehe zwischen seinen Eltern in die Brüche ging. Zu dieser Zeit tauchte auch Uwe als Bruder das erste Mal auf. Darüber, was Björn Casa-pietra bis dahin mit seinen Eltern erlebt hat, spricht er offen. Seine treuen Fans sammeln jeden Artikel, der über ihn erscheint und stellen ihn ins Internet, wo ein inzwischen umfangreicher Pressespiegel von umjubelten Konzerten, aber auch von den schrecklichen Szenen dieser Ehe berichtet. Stürmisch muss die Beziehung gewesen sein, im Guten wie im Schlechten. Dem Kind machte sie vor allem Angst. »Ich habe nächtelang nicht schlafen können, weil ich Angst hatte, sie gehen wieder aufeinander los«, sagt Björn Casapietra. »Sie standen kämpfend in der Garage, ich dazwischen, und gifteten sich an: Guck mal, deinetwegen weint er jetzt – nein, deinetwegen«, berichtet Casapietra, der als Kind vor allem zu seiner Mutter hielt und den Vater als Aggressor empfand. Erst viel später begriff er, dass zur Liebe wie zum Streit zwei gehören. Da war der Vater schon tot. Was blieb, war die Musik. Sie ist die größtmögliche Annäherung an den Toten. Deshalb schrieb der Sohn jenes Lied, aus dem er alles Schlechte einmal ausblenden und einfach sagen konnte: Du fehlst. Man kann es kitschig finden oder aber davon berührt sein. Björn Casapietra liebt es nun einmal sentimental, vielleicht hat er das von seiner Mutter. Als seine ersten Autogrammkarten frisch gedruckt waren, fuhr er nach Dresden an das Grab seines Vaters und legte eine Karte unter einen Stein. Ein kleiner Gruß vom Erfolg, der sagen sollte, ich hab’s geschafft. Wenn Casapietra vom Vater erzählt, ist er bei sich. Die demonstrativ gute Laune und das strahlende Lächeln knipst er dann aus. Wirklich zur Ruhe kommt er aber nur auf der Bühne, beim Singen hört das Geratter im Kopf endlich auf. Casapietra ist in seiner Welt. Uwe Hassbecker geht es bei Auftritten nicht anders. Auch er braucht die Bühne. Nach dem Tod seiner Frau Tamara Danz 1996 trat die Band jahrelang kaum auf. Seit 2005 touren sie wieder. Vor allem das Gedenkkonzert anlässlich Tamaras zehnten Todestags und die neue Frontfrau Anna Loos gaben ihr neuen Schwung. »Das möchte ich nie mehr missen«, sagt Uwe Hassbecker. In seinem Wohnzimmer, dort, wo Tamara starb, gibt es eine kleine Ecke mit asiatischen Steinen, Figuren und einem Bild von der Frau mit der Löwenmähne. Es steht auf dem Fußboden, so wie das Buch über seinen Vater. Man möchte meinen, alles Schwere sei bei Uwe Hassebecker zu Boden gesunken, wo es auf neues Leben trifft. Die Auslegware ist übersät mit Spielzeug der kleinen Tochter Klara. Die Eineinhalbjährige ist erkältet und muss zu Hause bleiben, wo sie ihren Vater auf Trab hält. Papi, ruft es manchmal sanft aus einer Ecke der verwinkelten Wohnung, worauf Uwe Hassbecker ohne Hast nach der Kleinen zu suchen beginnt. Er strahlt Gelassenheit aus. An so einen großen Bruder könnte man sich anlehnen. »Ich will, dass Uwe glücklich ist. Er ist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben«, sagt Björn Casapietra. Oft haben sich die Lebenswege der Halbbrüder bisher nicht gekreuzt. Parallel verlaufen sie erst, seitdem die beiden zusammen musizieren. Als vor einem Jahr Casapietras Sopranistin beim Bühnenprogramm ausfiel, rief er kurz entschlossen bei Uwe an und fragte, ob er Lust auf ein paar gemeinsame Auftritte habe. Daraus wurde eine feste Zusammenarbeit. Bei Casapietras neuer Platte »Verführung« spielt Hassbecker in mehreren Stücken Gitarre und begleitet den Bruder auch auf dessen Tournee. Ein Tenor und ein Rockgitarrist, wie klingt denn das? Sehr sanft, denn die schweren Geschütze lässt Hassbecker bei Silly. Für Björn spielt er eine leise, zurückhaltende Akustikgitarre. Auf der Bühne, so stimmen beide überein, entsteht für sie die größte Nähe, dort spüren sie ihre musikalische Verwandtschaft. Der Rest kommt dann von allein. 9. Februar Dresden, Lukaskirche 11. Februar Erfurt, Kaisersaal 14. Februar Berlin, Schillertheater 7. März Leipzig, Peterskirche 30. März Halle, Ulrichskriche