Tamara Danz - Ch. Links Verlag

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Tamara Danz - Ch. Links Verlag
124-Osang - Tamara Danz 4. Aufl.:Tamara Danz
Alexander Osang
Tamara Danz . Legenden
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Alexander Osang
Tamara Danz
Legenden
Mit Fotos von Ute Mahler
und anderen
Ch. Links Verlag, Berlin
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Seite 4
Fotonachweis
Ute Mahler/Ostkreuz: S. 29, 39, 45, 51, 59, 69, 79, 87, 95, 100–105, 106 u., 107–115,
117, 119, 127, 130 u., 135, 141, 145, 151, 157, 165, 177, 183, 188, Cover
Thomas Böhme/SPOT: S. 83, 130 o., 158, 159, 169
Jim Rakete: S. 97
Sybille Bergemann: S. 64
Hartmut Schorsch: S. 75
Alex Becher: S. 137
Oliver Ziebe: S. 106 o.
Harry Schmitger: S. 143
Archiv Tamara Danz: S. 56, 61, 73, 81, 129, 131
Privat: S. 41, 47, 53, 71, 122
Sabine Lenz: Umschlagrückseite
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
4., durchges. Auflage, Juni 2008
© Christoph Links Verlag – LinksDruck GmbH, 1997
Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32 - 0
Internet: www.linksverlag.de; mail@linksverlag.de
Umschlaggestaltung: KahaneDesign Berlin unter Verwendung
eines Fotos von Ute Mahler
Satz und Reproduktionen: LVD GmbH, Berlin
Druck- und Bindearbeiten: Druckerei F. Pustet, Regensburg
ISBN 978-3-86153-505-8
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Seite 5
Inhalt
Ein später Traum
7
Gib mir Asyl. Hier im Paradies.
Ein letztes Interview
15
Verschiedene Welten
Totensonntag bei Erich Danz
28
Zwei ungleiche Mädchen
Monika Richter hat ihre Freundin Tamara Danz lange beneidet.
Um ihre Eltern, ihre Unabhängigkeit und ihre hohen, weißen Stiefel
38
»Venus«
Der Gitarrist Uwe Kropinski war Tamaras erste große Liebe
44
Der kleinste gemeinsame Nenner
Wolfgang Lippert konnte Tamara Danz einen Sommer lang begeistern
50
»Eine kulturpolitische Herausforderung«
René Büttner holte Tamara Danz zum Oktoberklub und betreute sie
als AMIGA-Chefredakteur
58
Familie Silly
Mathias Schramm wollte aus Tamara Danz eine Tina Turner
des Ostens machen
68
Harte Zeiten
Der Schlagzeuger Herbert Junck über das Ende einer Idylle
77
Ostbräute
Die Sängerin Angelika Weiz war die beste Freundin von Tamara Danz
86
Der Onkel aus Amerika
Jim Rakete hat in den achtziger Jahren versucht,
Silly für den Westmarkt ein anderes Image zu geben
94
Ritchies Welt
Rüdiger Barton war über sechs Jahre an der Seite von Tamara Danz
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»Gott ist gemein«
Gregor Gysi, Tamara Danz und die Schwäche für Politik
126
Berliner Tag
Ein Sonnabend zwischen Klingbeils Villa und Castorfs Prater
133
Kranke Nachbarn
Professor Wolfram Wermke war Tamaras Freund und Arzt
144
»Finalbetreuung«
Zwei junge Ärztinnen begleiteten Tamara Danz bis zu ihrem Tod
150
Markt, Männer und Moral
Ein Fernsehabend mit Uwe Hassbecker und Ritchie Barton
156
Der letzte Mann
Kurz vor ihrem Tod heiratete Tamara Danz
ihren Freund Uwe Hassbecker
164
Jenseits von Eden
Manfred Stolpe versucht sich an Tamara Danz zu erinnern
176
Es sollte ein Spielraum bleiben
Die Rostocker Bildhauer Susanne und Joachim Jastram
schlagen Tamaras Grabstein
182
Lucy in the sky
Schwarzer Kater
187
Anhang
Tamara Danz: Ein rollender Stein setzt kein Moos an
Die »Gammler«-Jahre
189
Tamara Danz: »Ich möchte alles versucht haben«
Der Ausreiseantrag
191
Tamara Danz: Ein Höchstmaß an Freiheit
Das stürmische Jahr 89
193
Lebensdaten Tamara Danz
199
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Markt, Männer und Moral
Ein Fernsehabend mit Uwe Hassbecker und Ritchie Barton
Tamara redet dem Schimpansen gut zu. Er heißt Sammy und trägt Hosen sowie
ein gestreiftes T-Shirt. Tamara redet mit einer hohen, lieben Kinderstimme. Die
benutzt sie auch, wenn sie Silly ruft, ihren dicken alten Kater. Jetzt aber sitzt sie
in diesem Zirkuswagen, und Sammy rudert mit den Armen, guckt blöd, kommt
dann aber schließlich doch zu ihr. Tamara umarmt ihn und lacht ihr Lachen. Ein
echtes Lachen, eines mit viel Zahnfleisch. Sie ist älter geworden und weicher.
Ihre Haare spreizen sich nicht mehr nach allen Richtungen ab. Sie fallen nach
hinten, gehalten von einem Reif. Neben ihr im Wagen sitzt eine rauchende Frau
vor einem Glas Wein. Das ist die Zirkusdirektorin Frau Samel, die in den letzten
Jahren immer mal wieder in den Zeitungen stand, weil sie gerade eine wirklich
allerletzte Vorstellung ihres Zirkus »Aeros« ankündigte. Jedes Jahr aufs neue.
Uwe sagt, es habe eine Seelenverwandtschaft zwischen ihr und Tamara bestanden. 1994 war Silly zusammen mit dem Zirkus »Aeros« auf Tour. Tamara hat sich
sofort in Sammy verliebt, obwohl er ihr einmal auf die Hose pinkelte.
Dunkel, Wackeln, dann erscheint ein unscharfer Wintergarten in Münchehofe.
Das Bild wird schärfer, zeigt Tamara, Helene Danz sowie die beiden Söhne von
Uwe Hassbecker. Es ist Sommer 92, sie reden über Exhibitionismus, über eine
Bekannte, die an Krebs erkrankte, und über das Für und Wider von Esoterik.
Helene Danz glaubt daran, Tamara ein bißchen. Helene Danz schaut ihre Tochter
vorwurfsvoll an, als sie sich eine Zigarette ansteckt. Sie sollte wenigstens die
Fenster aufmachen. Tamara gehorcht.
Wackeln, Flimmern, dann ein kleines Flugzeug. Eine schmale Gangway. Ritchie,
Uwe, Tamara, Herbie, Fritzsching und Jäcki brechen zu einer Mugge nach Göhren auf. Strand, Wind, Tamara verschränkt fröstelnd die Arme vorm Körper.
Jäcki springt nackend ins kalte Meer. Rückflug, Berlin flimmert in der Nacht.
Aus.
Winter in Münchehofe, Tamara vorsichtig auf Langlaufski balancierend. »Mit
den Dingern kommt man ja überhaupt nicht vorwärts«, sagt sie. »Da kann ick ja
gleich loofen.«
»Dit ist typisch Tamara«, sagt Ritchie, der auf der Couch sitzt. »Alles, was Arbeit
macht, war nicht ihr Ding. Und wenn es nicht gleich geklappt hat, ging gar nichts
mehr.« Uwe hockt auf dem Fußboden, die Fernbedienung des Videorecorders in
der Hand. Draußen auf dem Gendarmenmarkt ist es seit ein paar Stunden dunkel. Der Dom glänzt, es ist Oktober.
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Der Schnee taut, es ist Sommer in Münchehofe. Tamara Danz hantiert im Badeanzug in der Küche. Als sie merkt, daß Uwe filmt, verscheucht sie ihn ärgerlich.
»Hör endlich uff mit dem Mist, ick will nich gefilmt werden.« Schnitt. Liebevolle
Kamerafahrt über Hassbeckers neue Gitarre. Das Auge gleitet langsam den Hals
hinauf und wieder hinunter. Tamara schneidet Ritchie die Haare. Er liegt rücklings auf der Couch, Tamara läuft um ihn herum, guckt, hockt sich neben ihn und
schneidet. »Sie hatte da sehr spezielle Methoden«, sagt Ritchie.
Ein Studio. Aufnahmen des Liedes »Wenn ich wär« von Gerhard Gundermann.
Uwe Hassbecker und Ritchie Barton stehen hinter dem Mischpult, das Paul Kramer bedient. Die Kamera bohrt sich durch die Scheibe bis zu Gerhard Gundermann, der große Kopfhörer trägt. Er fängt immer wieder an zu singen, wird unterbrochen, fährt sich mit der Zunge über die großen Zähne, singt weiter. Einmal
popelt er. Er fühlt sich unbeobachtet. Uwe und Ritchie lachen aus dem Off.
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Im Zirkus »Aeros« mit Direktorin Samel (l.), mit Gerhard Gundermann (r.), 1994
Die Aufnahmen entstanden im Sommer 1993 in den »Schreier & Kramer-Studios«
in Berlin-Wilhelmshagen. Weit weg von der Mitte.
Was hat Tamara in der Zeit gemacht? frage ich.
»Sie hat zu Hause gesessen«, sagt Uwe. »Texte geschrieben. Sowas.«
»Komm, es hat sie schon ziemlich geärgert«, sagt Ritchie. »›Seid ihr nicht endlich mal fertig mit der Scheiße?‹ hat sie gesagt. ›Blutspende‹ hat sie das genannt.
Wir würden uns zu sehr engagieren, hat sie uns vorgeworfen. Zuviel Energie verschwenden. Unser Blut Gundi geben. Sie war schon ein bißchen eifersüchtig.«
»Ja, das stimmt. Zumal die Produktion immer länger dauerte als geplant. Und
sie saß hier und wartete. Dazu kam, daß wir dort verschwindend wenig verdienten. Aber, was soll’s, wir waren bei Gundi in der Schuld. Er war ja damals so kurzfristig als Texter eingesprungen bei der ›Februar‹. Nach dem Split mit Karma. Er
hatte was gut bei uns«, sagt Hassbecker. »Das sah Tamara aber eigentlich ganz
genauso. Sie hat ja bei dem letzten Song auch mitgesungen.«
Gerade jetzt sind sie wieder mit Gundermann im Studio. Diesmal aber in ihrem
eigenen. Als der Entschluß dazu fiel, hat Tamara noch gelebt. Auch diesmal gab
es Diskussionen. »Tamara hatte ja durchaus ein gespaltenes Verhältnis zu Gundi«,
sagt Uwe Hassbecker. »Sie hat nicht gestört, daß er bei der Stasi war. Sie hat ge158
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stört, wie er heute damit umgeht. Diese Selbstverständlichkeit hat sie genervt.
Und dann hatte sie auch ein Problem mit dem Chef des Labels, bei dem er seine
Platten veröffentlichte. Der kam irgendwie vom FDJ-Zentralrat. Es ging, glaube
ich, um Geld. Jedenfalls war sie nicht sehr begeistert, daß wir unsere erste Fremdproduktion nun ausgerechnet für ein ›Buschfunk‹-Produkt machten. Aber sie hat
dann zähneknirschend zugestimmt.«
»Wir haben sie mehr oder weniger überredet«, sagt Ritchie. »Wir hatten ja seit
gut einem Jahr nicht mehr gearbeitet. Wir mußten wieder mal was tun. Vor allem
aus finanziellen Gründen. Denn was Uwe da jeden Tag aus der Apotheke holte,
war der blanke Wahnsinn.«
»Stimmt. Wir haben ein bißchen Angst bekommen. Ich meine, die Kosten liefen
ja alle weiter. Das letzte Konzert hatten wir im Mai 1995 gemacht. Wir mußten einfach sehen, wie es weitergeht. Und die Gundi-Platte ist ja die erste FremdalbumProduktion in unserem Studio. Wir verdienen zum erstenmal richtig Geld damit.
Und das Geld fließt ins Studio. Das hat auch Tamara eingesehen. Ohne daß sich
ihr Verhältnis zu Gundi nun gebessert hätte.«
Ein paar dieser Spannungen leben in den beiden Männern weiter. Neulich sind
Ritchie und Uwe mit Gundermann wieder ganz schön aneinandergeraten. Es
ging um Tamara.
»Gundi hat sich zum Beispiel die ganze Zeit, als sie so krank war, nicht einmal
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gemeldet«, sagt Uwe Hassbecker. »Wir haben ihn dann trotzdem zur Beerdigung
eingeladen, weil, naja, ich habe ja auch Lutz Bertram eingeladen. Obwohl der
sich auch monatelang nicht gemeldet hatte. Und dann hat er ein paar Wochen vor
Tamaras Tod angerufen und gesagt: ›Hör mal zu, wenn du mit jemandem ein Gespräch machst, dann mit mir. Das versteht sich ja wohl von selbst.‹ Da war Tamara sehr sauer drüber. Wirklich sehr sauer. Aber was soll’s. Ich habe gedacht, in
so einer Stunde sollte man nicht nachtragend sein. Und sowohl Gundi als auch
Bertram hatten mal mit uns zu tun. Beide haben uns geholfen.«
Tamara sitzt mit Angelika Weiz an einem dicken Holztisch in einer Baude. Sie
spielen mit zwei anderen Frauen Karten. Aus dem Off lachen angetrunkene
Männer. Die Kamera schwenkt von den Frauen weg an einer Holzwand vorbei
auf eine Bar, Schnapsflaschen, Männer, Musik. Ein trunkener Vlady Slesak singt
»I saw her standing there«. Die Frauen fallen ein. Sie singen ein Beatles-Medley.
Die Musikanten machen Winterurlaub im Riesengebirge. Am Bildschirmrand
steht das Datum. 23.1.95.
Ein Tag später. Tamara und Angelika Weiz malen den Models auf den Titelbildern der Zeitschriften Bärte an. Sie zeigen ihre Werke stolz in die Kamera. Wie
kleine Mädchen.
»Da war Tamara schon krank«, sagt Uwe. »Der Krebs war schon in ihrem Körper. Aber du hast nichts gemerkt. Im Gegenteil. Auf der Rückfahrt hatte ich einen
Kreislaufzusammenbruch. Tamara hat sich Sorgen um mich gemacht. Nicht ich
um sie.«
Man sieht Tamara an einer Autogrammpostkarte herumschnippeln. »Moment
ma’, ick muß hier jemanden entfernen«, sagt sie. Dann schaut die Kamera auf das
Bild. Es ist ein Gruppenfoto von Silly, aus dem der Kopf von Thomas Fritzsching
geschnitten wurde.
»So Bastelarbeiten hat sie gern gemacht«, sagt Ritchie Barton.
Es ist kurz nach Mitternacht. Morgen früh um sechs werden die beiden von einem
Taxi abgeholt und zum Berliner »SAT 1«-Studio gefahren. Interview im Frühstücksfernsehen. In zwei Tagen erscheint die »Best-of-Silly»-CD »Bye bye«. Die muß promotet werden. Gestern und vorgestern waren sie für zwei Tage in Bayern und
Baden-Württemberg. Interviews bei Radiostationen, Zeitungen und lokalen Fernsehsendern. Heute haben sie den ganzen Tag für die Berliner Presse Fragen beantwortet.
Was fragen die Leute denn?
»Wie es weitergeht mit Silly«, sagt Uwe.
Und wie geht es weiter?
»Es wird natürlich keine neue Sängerin geben. Wir werden versuchen als Musiker zusammenzubleiben. Wie das aussehen wird, wissen wir noch nicht. Vielleicht
machen wir mal ’ne Filmmusik oder was fürs Theater«, sagt Uwe Hassbecker.
»Wir könnten uns auch vorstellen, mal was mit einem Interpreten zu machen,
der aus einem ganz anderen Kunstbereich kommt. Irgendwas Überraschendes.
Aber nur für eine bestimmte Zeit«, sagt Ritchie Barton.
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Sie machen jetzt erst mal die Gundermann-Platte, danach produzieren sie ein
neues City-Album. Dann ist Frühling, dann wollen sie darüber nachdenken, wie
es mit ihnen weitergeht. Es wird sicher nicht einfach.
Bei einigen Interviews gab es auch ein paar vorsichtige Anfragen, ob die CD
nicht zu schnell komme. Zu schnell nach Tamaras Tod. Könnte da nicht der Eindruck enstehen, daß man eine Tragödie vermarkten will?
Ritchie und Uwe sagen, daß Tamara diese Platten gewollt hat. »Wir haben doch
mit ihr gemeinsam entschieden, daß die CDs jetzt erscheinen. Das hat mit ihrem
Tod gar nichts zu tun.«
Was hätte Tamara Danz gewollt?
Sie hat mal gesagt, daß sie nach ihrem Tod verbrannt werden will. Ihre Asche
solle der Wind wegtragen. Sie wollte sich so einfach wie möglich verabschieden.
Ihre Freunde legten sie in einen weißen Sarg und organisierten eine große
Trauerfeier. Mit engerem und erweitertem Gästekreis. Mit Bodyguards, Reportern und Gesang.
Sie hat mal gesagt, daß es wichtig sei, auf bestimmten Gesellschaftspartys anwesend zu sein. Aber sie wähle da sehr genau aus. Zu »Super-Illu«-Feiern beispielsweise gehe sie ganz bewußt nicht.
Ihre Band zelebrierte Tamaras Abschied aus der Öffentlichkeit ausgerechnet
auf der Gala der »Super-Illu« im Friedrichstadtpalast. Tamaras Gesicht flimmerte
von einer großen Videowand, während ihre Musiker im Vordergrund an den Instrumenten standen. Anmoderiert von Walter Plathe.
Hätte sie das gewollt?
Wer soll das beantworten.
Wer vor allem kann nachfühlen, wie sich ihr Mann und ihr bester Freund in
den Stunden und Tagen fühlten, nachdem sie gestorben war. Als das Telefon nicht
aufhörte zu klingeln. Als Dinge erledigt werden mußten, die sie noch nie in ihrem
Leben getan hatten. Interviewanfragen quollen aus dem Fax-Gerät. Als sie nicht
darauf reagierten, als sie versuchten, den Kopf in den Sand zu stecken, druckte
die »BILD-Zeitung« die ersten »Tamara-Danz – So-war-ihr-Leben«-Artikel eben
ohne ihr Einverständnis. Da gingen Uwe und Ritchie dann doch runter in den
»Französischen Hof« und sprachen mit dem »BILD«-Redakteur. Damit wenigstens die Wahrheit in der Zeitung steht. Am nächsten Tag begann die Zeitung den
Abdruck einer Serie, die Uwe Hassbecker selbst geschrieben zu haben schien. Als
würde er sich zwei Tage nach dem Tod seiner Frau hinsetzen und der »BILD-Zeitung« aufschreiben, wie das Leben und Sterben seiner Frau so vor sich gegangen
war.
Sie waren naiv, sie waren todtraurig, sie waren erleichtert, daß die Qualen
vorbei waren, sie waren übermüdet, sie waren überfordert, und sie wollten alles
in Tamaras Sinn machen.
Aber was hätte Tamara gewollt?
Erfolg ganz sicher. Denn sie war ein Popstar. Sie wollte, daß die Leute ihre
Platten kauften.
Vielleicht haben Ritchie Barton und Uwe Hassbecker ja alles richtig gemacht.
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Und wenn sie es intuitiv gemacht haben. Sie haben zusammen mit Tamara Lieder
geschrieben, sie haben mit ihr Platten gemacht und auf der Bühne gestanden.
Sie waren in einer Band.
Sie haben die guten Jahre mit ihr erlebt, die mageren, den Applaus gefühlt und
vermißt. Ich denke, sie haben am besten gewußt, was Tamara gewollt hätte. Über
die aktuellen Verkaufszahlen der Silly-Platten jedenfalls hätte sie sich ganz bestimmt gefreut.
Sie wollen noch mal ins Studio rübergehen, um zu sehen, wie die GundermannMusiker vorankommen. Es ist halb eins. Um sechs klingelt »SAT 1«.
Wollt ihr nicht irgendwann mal schlafen?
»Ich kann sowieso nicht richtig schlafen«, sagt Uwe Hassbecker. »Es sei denn,
ich habe genügend Wein getrunken. In letzter Zeit trinke ich wirklich jeden Abend,
um schlafen zu können.«
»Da mußt du aber aufpassen«, sagt Ritchie Barton.
»Vielleicht probier ich’s mal mit Melatonin«, sagt Hassbecker.
Wird man davon nicht impotent?
»Ach, weißte, das ist bei mir sowieso egal«, sagt er.
Das Studio ist leer. »Wahrscheinlich sind sie im ›Kartoon‹«, sagt Ritchie.
Wenn sie mit der Arbeit fertig sind und in der Kabarett-Kneipe »Kartoon« die
Vorstellung vorbei ist, gehen sie oft hoch und trinken mit dem Chef, dem Barmann oder den Schauspielern noch ein bißchen. Sie bekommen Sonderpreise. Sie
kommen gut klar mit den »Kartoon«-Leuten. Sie haben in ihrem Studio mal eine
CD mit den Musiken der Kabarettisten aufgenommen. Tamara war oft oben und
hat mit dem trinkfesten dicken Regisseur Peter Tepper gequatscht und gestritten.
Wir gehen ein paar unterirdische Gänge entlang, machen ein paar Türen auf
und zu, steigen eine Treppe hoch und stehen plötzlich direkt an der Bar. Tepper
ist da, der Barmann, der Gundermann-Gitarrist und Angelika Weiz mit ihrem
Freund Thomas Herzberg.
Angelika schaut kurz von ihrem Gin Tonic auf und sagt zornig: »Habt ihr die
neue ›Super-Illu‹ jesehen?«
Die »Super-Illu« ist vorgestern mit dem ersten Teil einer Tamara-Danz-So-warihr-Leben-Serie erschienen. Natürlich haben Ritchie und Uwe das gesehen. Sie
haben sogar versucht zu vermitteln. Das Schlimmste zu verhindern. Sie haben
dabeigesessen, als Erich Danz mit einer Redakteurin sprach. Aber wie sie dem
alten Mann das Fotoalbum seiner Tochter aus dem Kreuz leierten – das haben sie
nicht mitbekommen.
»Ja«, sagt Uwe. »Ich habe nicht gewußt, daß sie soviele Kinderfotos veröffentlichen. Und ich habe auch nicht gewußt, daß es eine fünfteilige Serie wird. Sie
haben immer nur von zwei, drei Texten geredet.«
»Ich möchte nicht wissen, was Tamara dazu sagen würde«, sagt Angelika Weiz.
»Ihr müßt besser aufpassen.«
»Ich hab das alles satt«, sagt Uwe Hassbecker. »Ich kann’s nicht mehr hören.
Ich kann doch dem Erich nicht verbieten, bestimmte Sachen zu tun. Ich bin doch
nicht für alles verantwortlich.«
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»Wir können einfach nicht richtig damit umgehen«, sagt Ritchie Barton leise.
»Als ich die ›Super-Illu‹ gesehen habe, bin ich in die Redaktion gestürmt und
habe da ein Riesenfaß aufgemacht«, sagt Hassbecker. »Ich habe dem Chefredakteur gesagt, daß diese Serie für Tamara ein Grund gewesen wäre, für immer mit
ihrem Vater zu brechen.«
Ritchie geht um halb zwei nach Hause. Kurz danach geht Thomas Herzberg. Um
drei gehen Angelika Weiz und ich.
Uwe bleibt noch einen Augenblick sitzen.
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Foto: Thomas Böhme
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Foto: Thomas Böhme
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