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27 REPORT HORIZONT 39/2015 24. September 2015 www.horizont.net/report MUSIKMARKETING KO O P E R AT I O N E N ZEITSCHRIFTEN STREAMING KLASSIK Brand Partnerships können zur kniffligen Angelegenheit werden Musikmagazine setzen auf die Positionierung als Marke Die Vermarktung im Abo muss sich erst noch beweisen Sänger, Orchester und Festivals entdecken Markenwert SEITE 30 SEITE 32 SEITE 36 SEITE 41 ILLUSTRATION: COLOURBOX Schall mit Rauch MIT CONTENT IM NETZ WILL DIE MUSIKBRANCHE ZEICHEN FÜR MARKENARTIKLER SETZEN SEITE 40 28 REPORT MUSIKMARKETING HORIZONT 39/2015 24. September 2015 ZUM THEMA INHALT Geschichtlich Kooperationen: Die Musikindustrie sucht die Nähe zu Markenartiklern. Doch Brand Partnerships sind knifflig. 30 Unter Marketern ist der Begriff Storytelling in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Ob Gesichtscreme oder Bier, Airline oder Baumarktkette – Markenprodukte müssen eine Geschichte erzählen, um in der Kommunikation erfolgreich zu sein. Dass daran durchaus etwas Wahres dran ist, zeigen ausgerechnet Beispiele aus einem Musikgenre, das per se nicht gerade für hohe Reichweiten bekannt ist: Die Klassik, im Hörer- und Tonträgermarkt nur von geringer Bedeutung, bringt immer wieder Künstler hervor, die auch in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Der Pianist Lang Lang ist so ein Beispiel und auch die Sängerin Anna Netrebko. Woran das liegt? Natürlich zunächst am herausragenden künstlerischen Talent. Aber eben auch daran, dass sie sich zur Marke erklären ließen und als solche medial promotet werden. Dazu gehören entsprechende Geschichten: Von verrückten Auftritten mit Metal-Bands, von Gewichtszu- und abnahmen, von politisch aneckenden Äußerungen. Das funktioniert natürlich nicht nur von einem Nischenmarkt wie der Klassik aus, sondern erst recht für die Masse. Auch Pop- und Rockbands setzen sich entsprechend in Szene, Youtube-Stars und DJs nutzen Elemente der Markeninszenierung für sich. Schwierig wird es allerdings, wenn es um Brand Partnerships geht. Wo sich Produkt mit Produkt oft noch leicht verbinden lassen, wird es zwischen Produkt und Künstler aus Fleisch und Blut kompliziert. Passt das Image von beiden zusammen? Wirkt der Auftritt eines Künstlers für eine Marke überzeugend? Passen die Geschichten des jeweils anderen überhaupt zueinander? Denn das Problem ist: Einer Ware kann man eine Story andichten – ein Künstler ist selbst seine eigene Story. Interview: Sony-Manager Lars Düysen erklärt, wie die Zusammenarbeit von Marken und Musikbranche funktioniert. 31 Magazine: Weil auch Musikzeitschriften mit Auflagenschwund kämpfen, versuchen sie sich stärker als Marken zu etablieren. 32 Management: Starwatch vermarktet alles zum Thema Musik, was der Mutterkonzern Pro Sieben Sat 1 zu bieten hat. 33 „CDs machen noch immer mehr als zwei Drittel des Gesamtmarkts aus. Die Sparte ist genauso wichtig wie Download und Streaming“ Musikverlag: Audio Network will von London aus den deutschen Markt für Produktionsmusik aufmischen. 34 Interview: Universal-CEO Frank Briegmann über den Status quo des deutschen Musikmarkts. 39 Content Marketing: Musik soll für Marken nicht nur Emotionen, sondern zunehmend auch Internet-Traffic bringen. 40 Klassik: Das Repertoire ist endlich, das Interesse betrifft ein Nischenpublikum. Umso wichtiger ist die Vermarktung. 41 @ HORIZONT Die Redakteure der Münchner Fachzeitschrift „Musikwoche“ analysieren: Streaming: Der Musikmarkt befindet sich erneut im Umbruch. Die Vermarktung im Abo muss sich erst beweisen. 36 Veranstaltungen: Marek Lieberbergs neues Unternehmen wird Auswirkungen auf den gesamten Markt haben. 38 HORIZONTREPORT Bettina Sonnenschein Ressort Specials ist ein Sonderteil von HORIZONT, Zeitung für Marketing, Werbung und Medien Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.), Frank Briegmann, CEO Universal, hält den Markt der physischen Tonträger für robust. Volker Schütz, Jürgen Scharrer Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer Telefon 069/7595-2695 E-Mail: zimmer@horizont.net Redaktion: Bettina Sonnenschein Seite 39 Im Fokus: Musikkonsum Noch ist die CD der bevorzugte Tonträger der Deutschen – doch digitale Formate sind im Kommen. Eine Auswertung der Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA) zeigt im Verlauf der vergangenen 15 Jahre einen Rückgang des Musikkonsums via CD von 47 Prozent im Jahr 2000 auf aktuell 31 Prozent. Gleichzeitig stieg die Nutzung von Musikdownloads von 10 Prozent im Jahr 2006 auf heute 29 Prozent. Die Bereitschaft, für Audiodateien Geld auszugeben, variiert je nach Altersgruppe: 48 Prozent der 14- bis 19-Jährigen kaufen CDs, 34 Prozent bezahlen außerdem für Downloads. Bei den 20bis 29-Jährigen ist das Verhältnis 42 zu 36 Prozent, mit zunehmendem Alter geht die Tendenz dann stärker in Richtung des physischen Tonträgers. So kaufen 17 Prozent der Generation 60plus CDs, während nur 2 Prozent auch kostenpflichtige Musik downloaden. Es geht bergauf Keiner will ohne Musik Nutzung von Musikdownloads Anteil in Prozent CD-/MP3-/iPod-Hören als Freizeitaktivität 25 72,2 48,9 15 10 24,3 24,2 5 0 mehrmals in der Woche mehrmals im Monat etwa einmal im Monat seltener kostenfrei kostenpflichtig 20 21,2 18,9 4,0 3,3 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Quelle: VuMA 2006-2015, AS&S HORIZONT 39/2015 Gesamt 14-19 Jahre Basis: deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren Quelle: Vuma 2015 II, AS&S 25,6 24,8 28,6 28,3 19,7 10,4 Basis: deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren (bis VuMA 2010: D+EU) 31,7 28,6 7,7 8,9 20-29 Jahre 12,7 30-49 Jahre 12,0 15,5 12,9 50-59 Jahre 7,4 9,4 60+ Jahre HORIZONT 39/2015 HORIZONT 39/2015 24. September 2015 FOTO: TELEKOM 30 REPORT MUSIKMARKETING Liebe auf den zweiten Blick Die Musikindustrie sucht die Nähe zu Markenartiklern. Aber Brand Partnerships sind knifflig Von Klaus Janke D ass man sich mit einem internationalen Popstar in der Werbung ziemlich in die Nesseln setzen kann, hat vor drei Jahren Beiersdorf bewiesen: Die Verpflichtung von Rihanna für die NiveaJubiläumskampagne sei ein absolutes „No go“ gewesen, watschte der frischgebackene CEO Stefan Heidenreich seinen Vorgänger Thomas-B. Quaas in aller Öffentlichkeit ab. Die offenherzige Pop-Diva, die gerne mal ihr Brustwarzenpiercing zur Schau stellt, habe überhaupt nichts mit den Kernwerten der Marke Nivea, nämlich Vertrauen, Familie und Verlässlichkeit, zu tun. Die Marketingstrategen der großen Plattenfirmen haben heute wenig Verständnis dafür, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Alle drei, Universal, Sony und Warner, haben in den vergangenen Jahren professionelle Abteilungen aufgebaut, die Markenpartnerschaften konzipieren und umsetzen. Ob es sich um Testimonial-Deals, Konzertsponsoring, Events oder Product Placement in Musikvideos handelt – die Brand-Partnership-Strategen versprechen, auf Basis umfangreichen Datenwissens genau den richtigen Künstler oder die richtige Band für die Marke zu finden. Man handele zwar mit der hoch emotionalen Ware Musik, so die Botschaft, aber die Vermarktung läuft nach rationalen Gesichtspunkten. Bettina Dorn etwa, Brand-Partnership-Chefin bei Universal Music, hat für alle Acts ihres Hauses Profile erstellen lassen, die mit umfangreichen Marktforschungsdaten unterlegt sind. Auf dieser Basis lasse sich fast schon wissenschaftlich genau der Marken-Fit eines Künstlers bestimmen. „Wir sind schon lange kein Plattenlabel mehr“, sagt Dorn, „sondern ein Konzern, der die gesamte Wertschöpfungskette im Bereich Musik bedienen kann.“ Auch Philipp Zwez, Vice President Business Development beim Marktführer Universal Music, koordiniert eine Brand-Partnership-Abteilung mit diesem Anspruch: „Wir sind ein interdisziplinäres Team, das sehr objektiv auf Basis von umfangreichem Know-how und Daten über Zielgruppen und Marken arbeitet.“ Der Bereich läuft unter dem Namen Brand & Media Cooperations und wurde seit 2013 deutlich ausgebaut. „Unsere objektiven Analysen können konsequenterweise dazu führen, dass wir ein Kooperationskonzept für einen Künstler vorschlagen, der gar nicht bei Universal Music unter Vertrag ist“, betont Zwez. Getrieben werden die neuen Markenversteher vor allem von der schwierigen Situation, in der die Musikfirmen nach wie vor stecken. Im vergangenen Jahr sackte nicht nur der CD-Verkauf, sondern auch der Download-Absatz weiter ab, lediglich das Streaming-Segment macht einigermaßen Freude. N eue Erlösquellen müssen also her. Dies spüren auch die Künstler selbst, die nicht mehr stark umworben werden müssen, wenn es um Markenpartnerschaften geht. Kommerzielle Werbung – einst Gegenwelt des authentischen Rock’n’Roll-Gefühls – ist nun doch kein Teufelszeug mehr, weil sie wenigstens einen Teil des Geldes ersetzen kann, das das Internet den Musikern weggenommen hat. Die Fantastischen Vier, die unter anderem für die Telekom, Vodafone, O2, Nintendo, VW, Toyota, Converse und Sky unterwegs waren, galten zeitweise sogar als überpräsent. Manager und Künstlerberater ermuntern die Musiker längst, auch selbstständig die Nähe zur Markenartikelindustrie zu suchen: „Klopft bei den Marketingleuten an, wenn Ihr eine gute Idee habt“, empfahl der Musik- und Lizenzberater Frank Karch im August auf dem Kölner Musikkongress C/O Pop Convention. „Geht nicht davon aus, dass die Unter- nehmen ohnehin mit Vorschlägen überschüttet werden.“ Rückenwind erwarten die Musikfirmen vom Content-Marketing-Boom. „Es gibt kaum Content, der so stark ist wie Musik“, sagt Lars Düysen, Vice President Brand Partnership & Music Licensing bei Sony Music. Der Trend bei den Kooperationen gehe zu breiter angelegten Maßnahmen, die sich auch digital umsetzen lassen und gut messbar sind. „Eine große Rolle spielt die Generierung von Leads im Internet, die Vermittlung von Probefahrten etwa bei Autoherstellern“, so Düysen. „Der Coolness-Faktor einer Band allein reicht nicht aus.“ Doch bei aller demonstrativen Euphorie, die die Partnership-Strategen versprühen: Überrannt werden sie von den Markenartiklern nicht gerade. Der Umsatz mit Unternehmen entwickelt sich positiv, spielt aber für die Musikfirmen bislang noch eine Nebenrolle. „Wir werden in der Markenartikelindustrie noch nicht so wahrgenommen, wie es unserem Leistungsportfolio entspricht“, räumt Universal-Manager Zwez ein. Noch sind es daher meist die üblichen Verdächtigen, deren „Cases“ auf den Kongressen gezeigt werden: große Autohersteller, Jägermeister und Warsteiner mit ihren Festival-Sponsorings, die Red Bull Music Academy, Vodafone mit seinem Händchen für Songs noch unbekannter Interpreten und natürlich die Telekom mit der Konzertreihe Streetgigs. Der Telko-Marktführer sorgte im Sommer wieder für eine der spektakulärsten Musik-Kooperationen: Der bei Universal unter Vertrag stehende Sänger Adel Tawil produzierte gemeinsam mit der Telekom den Song „Unsere Lieder“, in dem er Songklassiker zitiert, die sich die Fans zuvor im Netz gewünscht hatten. Während der Konzertpremiere des Songs bei einem Streetgigs-Auftritt in München schaltete die Telekom live dorthin und übertrug eineinhalb Minuten des Auftritts innerhalb eines TV-Spots auf sieben Sendern (HORIZONT 34/2015). Das war Gattungswerbung für Musik-Kooperationen. A ber warum halten sich andere Markenartikler mit Musik-Deals zurück? Ein Faktor sind natürlich die Kosten – nicht jedes Unternehmen kann sich einen Popstar leisten. Ist der Act weniger bekannt, sind die Reichweiten, die er erzielen kann, zu gering. Häufig fehlt es bei den Werbungtreibenden und den Agenturen zudem am Verständnis für die Möglichkeiten von Musik. Auch bleiben immer Unwägbarkeiten: Spielt der Sänger bei Firmen-Events wirklich überzeugend mit? Oder, noch problematischer: Ist sein Stern vielleicht längst verblasst, wenn die geplante Kampagne ihren Höhepunkt erreicht? Noch gibt es in der Zusammenarbeit mit den Künstlern keine erfolgsabhängigen Komponenten. Vor allem aber kommen nicht alle Produkte für Kooperationen infrage: „Die Fans nehmen es einem Musiker nicht übel, wenn er für ein Produkt wirbt, das in ihrer Lebenswelt verankert ist“, so Berater Karch. Aber eben auch nur dann. Handys, Autos, Mode, vor allem Alkohol – alles kein Problem. Aber was ist mit Versicherungen oder Klebstoff? Da wird es mit dem „Marken-Fit“ schon schwieriger. Zudem verweigern sich die Künstler, wenn sie glauben, dass eine Marke nicht zu ihrem Image passt. „Seine Haltung lässt sich mit Geld meist nur in einer kleinen Bandbreite verändern“, sagt Zwez. Das Paradoxe: Vor allem Marken, die bereits eine hohe Akzeptanz in den entsprechenden Fan-Zielgruppen haben, werden von den Musikern bevorzugt. „Künstler, die sich für ,uncoole‘ Marken entscheiden, riskieren viel Ansehen bei ihren Fans“, erklärt Zwez. „Das Problem für viele Marken ist: Sie müssen an ihrem Image arbeiten und wollen daher Bands oder Sänger einspannen. Aber gerade weil sie diese Imageprobleme haben, will der Künstler nicht mit ihnen zusammenarbeiten, um sich nicht zu kontaminieren.“ Die Marke mischt mit: Von Warner Music vermittelte Product Placements von Toyota, Microsoft und Samsonite in Videos von The Oh Hellos (Mitte) und Robin Schulz. Adel Tawil (oben) schrieb ein Lied für die Telekom HORIZONT 39/2015 REPORT MUSIKMARKETING 31 24. September 2015 Sony-Manager Lars Düysen über die Zusammenarbeit mit Markenartiklern und Agenturen Der Manager Der 39-Jährige Lars Düysen ist seit September 2013 als Vice President Brand Partnership & Music Licensing für Sony Music in München tätig. Seine Karriere begann er bei den Musikfirmen EMI, Universal und BMG. 2006 wechselte er zu O2, wo er zunächst als Head of Music fungierte. Später war er im TelefónicaKonzern unter anderem für das Thema Brand Experience zuständig. K Von Klaus Janke ooperationen mit Werbungtreibenden spielen bei Sony Music eine immer wichtigere Rolle. Koordiniert werden sie vom Bereich Brand Partnership, der acht Mitarbeiter umfasst und von Lars Düysen geleitet wird. Zu den Markenpartnern gehören bislang unter anderem die Deutsche Telekom, O2, Hohes C, Mini, Schwäbisch Hall und Neutrogena. Herr Düysen, Musik ist ein sehr emotionales Medium. Sollte es für Markenartikler auch eine emotionale Entscheidung sein, welche Künstler sie für Werbekampagnen einsetzen? Es ist heute möglich, auf Basis objektiver Marktforschungsdaten zu bestimmen, welcher Künstler zu einer Marke passt. Sony Music Brand Partnership verfügt mittlerweile über ein weltweit einzigartiges Instrumentarium für derartige Analysen. Die Entscheidung, wer zu wem passt und was man inhaltlich tun sollte, kann daher mit unserer Hilfe sehr rational gefällt werden. Wie stark verlangen die Werbungtreibenden nach dieser Hilfe? Es gibt noch viel Wachstumspotenzial, aber sowohl mit Licensing als auch mit Markenpartnerschaften erzielt Sony Music in Deutschland mittlerweile siebenstellige Umsätze. Und die Tendenz ist sehr stark steigend. Reagieren Sie in erster Linie auf Anfragen oder gehen Sie auch in die Kaltakquise? Beides. Im Bereich Licensing bedienen wir vor allem die explizite Nachfrage von Markenartiklern und Agenturen. Basis sind hier die aktuellen Hits und auch immer wieder nachgefragte Katalogperlen aus der Vergangenheit wie etwa Boney M. oder Baccara. Mit dem Thema Brand Partnership sprechen wir unsere Kontakte in der Markenartikelindustrie aktiv an oder akquirieren auch komplett kalt. Hier gehen wir heute deutlich anders vor als noch vor einigen Jahren: Wir bieten nicht einen bestimmten Act an, sondern die Passt es den Agenturen, wenn Sie versuchen, direkt mit den Marketingchefs in Kontakt zu kommen? Für uns – und auch für den Kunden – ist es natürlich von Vorteil, wenn wir direkten Zugang und Austausch haben. Aber wir respektieren selbstverständlich auch die Agenturlandschaft und wollen sie nicht übergehen. Daher arbeiten wir meist an der Schnittstelle zwischen Marke, Agentur und Künstler. Warum? Zunächst könnte ja auch eine Agentur ein Konzept entwerfen und Sie dann erst kontaktieren. Wir haben die direkten Kontakte zu den Künstlern und können es dem Marketingchef zum Beispiel ermöglichen, JeanMichel Jarre zu Hause zu besuchen und mit ihm persönlich über eine Kooperation zu sprechen. Wir hören die neuen Platten zuerst, wir erkennen die Trends. Ein Problem bei Markenkooperationen mit Musik Acts ist sehr häufig die Komplexität: Wer hat die Rechte an einem Song, wer die Bildrechte? Welche Vermittler, Konzertveranstalter, Musikverlage oder Agenten müssen mit ins Boot geholt werden? Können Sie schlüsselfertige Lösungen anbieten? Ja, das müssen wir auch. Die Komplexität ist immer da, auch für einen großen Konzern wie Sony, der bereits weite Teile der Wertschöpfungskette im Haus bedient. Aber wir reduzieren sie für den Kunden maximal. Die Höhe von Künstlergagen ist oft wenig nachvollziehbar. Können Sie die Kosten bei Markenkooperationen mit objektiven Leistungszahlen hinterlegen? Die Daten, die den Erfolg und die Bedeutung eines Musikers belegen, sind heute in erstaunlich granularer Qualität vorhanden. Das reicht von den klassischen Plattenverkäufen bis zur Reichweite in sozialen Netzwerken, die immer wichtiger wird. Streamingdienste wie Spotify, aber auch Youtube sorgen dafür, dass das Material noch aussagekräftiger wird. Es kann dennoch sein, dass eine Kooperation nicht zu den avisierten Zielen führt, weil beispielsweise ein neues Album doch nicht so erfolgreich ist wie erwartet. Gibt es für diesen Fall eine erfolgsabhängige Komponente in den Deals? Nein. Das würde die Kooperationsbereitschaft von Künstlern, die es nicht gewohnt sind, nach derartigen Mustern zu arbeiten, überfordern. Können Sie im Vorfeld einschätzen, ob ein Sänger oder eine Band zu einer bestimmten Kooperation bereit ist oder nicht? Ziemlich gut. Es kommt dabei immer darauf an, das Konzept anschaulich zu vermitteln. Wir machen häufig die Erfahrung, dass direkte Anfragen von Agenturen von den Managern pauschal abgeschmettert werden. Wenn wir dann erklären, worum es geht und inwiefern auch der Musiker profitieren kann, ist am Ende doch eine Kooperation möglich. Anzeige FOTO: SONY MUSIC „Man kann rational entscheiden“ Lösung für eine bestimmte Herausforderung, vor der der Kunde gerade steht. Natürlich nutzen wir dabei bereits bestimmte Informationen über die aktuelle Lage des Markenartiklers. Wir akquirieren also kalt, aber nicht blind. 32 REPORT MUSIKMARKETING HORIZONT 39/2015 24. September 2015 WennWorte klingen müssen E Von Christian Flach s war der logische Schritt nach einem langwierigen und stetigen Niedergang: Zum September wurde das traditionsreiche englische Musikmagazin „New Musical Express“ (NME) in ein Gratisheft umgewandelt. In den 70ern hatte die seit 1952 erscheinende Zeitschrift eine wöchentliche Auflage von 270000 verkauften Exemplaren und circa eine Million Leser – zuletzt waren es 15000 pro Woche. Das Schicksal von NME steht stellvertretend für den Leserschwund bei Musikmagazinen, von dem auch die Marktteilnehmer in Deutschland betroffen sind. In den vergangenen 15 Jahren haben großen Magazine wie „Rolling Stone“, „Musikexpress“ und „Metal Hammer“ etwa ein Drittel ihrer Gesamtverkäufe eingebüßt. Vergleicht man die aktuellen IVW-Zahlen von 2014 und 2015, ist der Trend bei den meisten Blättern in puncto Verbreitung, Verkauf und Abos zwar immer noch negativ, die Lage scheint sich allerdings etwas zu stabilisieren: Bei vielen der gelisteten Blätter liegen die Verluste nur noch im einstelligen Prozentbereich, Magazine wie „Groove“ und „Spex“ konnten die Zahl ihrer Abonnements sogar steigern. Dennis Plauk, Chefredakteur bei „Visions“, sieht trotzdem noch kein Ende der Krise: „Die Talsohle ist da noch nicht durchschritten. Es springen fünf Leser ab und dafür kommen nur zwei nach. Auf das Magazin allein kann man sich nicht mehr verlassen.“ Umso wichtiger seien für die Magazine deshalb die Abonnenten: „Das ist unsere harte Währung, eine verlässliche Zahl. Wir arbeiten eigentlich für eine eingefleischte Zielgruppe.“ Die Probleme der Musikzeitschriften seien zudem sinnbildhaft für die der Musikindustrie, beiden macht das Internet zu schaffen: Konkurrenz in Form von Musik-Blogs wie „Pretty in Noise“ oder „Pitchfork“ sind aufgrund ihrer OnlineNatur schneller, aktueller und vor allem günstiger als Print. Hinzu kommen reine Online-Musiktitel wie „Laut.de“ oder „Kaput – Magazin für Insolvenz und Pop“, das von Thomas Venker und Linus Volkmann, den ehemaligen Chefredakteuren von „Intro“, herausgegeben wird. Musikmagazine kämpfen seit Jahren mit sinkenden Auflagen und der Internet-Konkurrenz. Markenbildung und Lifestyle sollen dabei helfen A D och was unternehmen die Akteure gegen den Niedergang? Viele Magazine verlassen sich schon länger nicht mehr ausschließlich auf Berichterstattung, sondern greifen auch andere Lifestyle-Themen wie Filme, Games oder Literatur auf. Das GratisHeft „Intro“ versteht sich als Magazin für Popkultur und hat solche Themen bereits Anfang der 2000er Jahre integriert. Martin Lippert, Projektleiter und Head of Sales beim Magazin „Intro“, erklärt: „Wir positionieren uns schon seit langem nicht mehr als reines Musikmagazin, denn zum Fan-Sein hat schon immer gehört, dass er eine gewisse Form der Abgrenzung lebt, von anderen Musik-Genres oder durch Mode sowie ein gewisser Lifestyle.“ Andere Magazine sind diesem Weg gefolgt, „Rolling Stone“ hat neben Kritiken zu Film und TV inzwischen auch eine Rubrik für politische Themen und Kultur. „Musikexpress“ hat mit me.Urban, und Bildträgern erscheint. „Man kennt vielleicht die Acts nicht, aber wenn ‚Intro‘ das präsentiert, dann kann man sich darauf verlassen, dass das nichts Schlechtes ist“, erklärt Projektleiter Lippert die Strategie dahinter. Zur Wahrnehmung als Marke gehören auch ein entsprechender Internetauftritt und mobile Angebote. Denn hier bietet sich die Möglichkeit, die große Schwäche der Printprodukte hinsichtlich der Musikberichterstattung auszugleichen: Anstatt nur über Musik zu schreiben, können Texte online mit Audio- und VideoInhalten angereichert werden. Dem Leser zur neuesten Album-Review gleich eine Hörprobe anzubieten, ist ein Mehrwert. Doch beim Transfer von Print zu Mobile tun sich viele Magazine noch schwer: In der Regel bieten die Internetauftritte der Magazine nur eine Art Visitenkarte der Printausgabe, bei der der Nutzer neben Reviews und News immerhin eine Zusammenfassung oder vereinzelt Einblicke ins Heft bekommt. Von den etablierten Produkten besitzen neben „Intro“ nur „Musikexpress“ und „Rolling Stone“ eine App, mit der Nutzer die Printausgabe fürs iPad einzeln oder im Abo kaufen können. Bei Visions ist man noch auf der Suche nach einer adäquaten Lösung, Chefredakteur Plauk sieht hier erhebliches Potenzial und die Chance, Leser zu erreichen, „die die Apps als neue Form der Musikzeitschrift begreifen.“ Auftreten als Marke: Musikmagazine stellen sich breiter auf Halbwegs stabiler Kurs Auflagenentwicklung der Top 4 verkauften Musikzeitschriften in Tausend 60 50 40 30 20 Rolling Stone Musikexpress Visions Metal Hammer 1/2011 2/2011 3/2011 4/2011 1/2012 2/2012 3/2012 4/2012 1/2013 2/2013 3/2013 4/2013 1/2014 2/2014 3/2014 4/2014 1/2015 2/2015 Quelle: IVW HORIZONT 39/2015 me.Movies und me.Style gleich drei Ableger für städtisches Leben, Filme und Mode im Repertoire. Der Trend geht also in Richtung Markenbildung. Dazu stellen sich die Verlage auch in musikaffinen Bereichen möglichst breit auf: „Visions“ organisiert eigene Partys für Abonnenten, tritt als Veranstalter auf und empfiehlt Konzerte und Alben. Auch „Intro“ gibt mit der eigenen Konzertreihe „Introducing“ NewcomerBands eine Chance, vor Publikum zu spielen. Hinzu kommen Kooperationen mit Plattenfirmen, indem zum Beispiel das Magazin-Logo auf Plakaten, Ton- ls Nischenprodukt auf dem Printmarkt versuchen einige Anbieter auch, die Nische in der Nische zu bedienen: So veröffentlichte „Musikexpress“ in der Septemberausgabe ein 58 Seiten starkes Special zum Thema Vinyl und auch „Visions“ will den Vinylsektor im Heft zukünftig ausbauen. „Intro“Mann Lippert: „In der Nische kann man sich noch differenzieren. Denn nichts ist schlimmer als Beliebigkeit.“ Mit einem ungewöhnlichen Ansatz versucht es seit Mitte des Jahres ein neuer Player auf dem umkämpften Markt: Im Gegensatz zu etablierten Zeitschriften, die sich nur auf ein Genre konzentrieren, liegt bei „Schall“ aus Berlin der Fokus auf der Herkunft der Musik. Sie muss nicht zwangsläufig auf Deutsch sein, aber im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) entstehen. „Schall“ erscheint viermal im Jahr mit einer Auflage von 30000 Stück und einem Umfang von 200 Seiten. Herausgeber Christian Hentschel: „Die klassischen Magazine haben alle ihre Berechtigung, aber sie schränken sich selbst ein und trauen sich nichts. Wir wissen doch genau, wie die nächsten drei Bob Dylan Alben im ‚Rolling Stone‘ abgefeiert werden.“ Musikliebhaber seien heute musikalisch breiter aufgestellt und vom aktuellen Angebot auch etwas gelangweilt. Diese Einschätzung lässt sich nur schwer überprüfen, unzweifelhaft ist aber, dass die Musikzeitschriften sich in gewisser Weise neu erfinden müssen, um wieder mehr Leser für sich zu begeistern und den Weg aus der Krise zu meistern. Dazu gehört auch eine stärkere Positionierung im Bereich Apps, um den potenziellen Leser dort anzusprechen, wo er Musik konsumiert: mobil. Das Schicksal des NME sollte den Magazinen in Deutschland ein Weckruf sein. HORIZONT 39/2015 24. September 2015 REPORT MUSIKMARKETING 33 Hier spielt die Musik Mit Starwatch Entertainment verfügt die Sendergruppe Pro Sieben Sat 1 über einen Allround-Vermarkter inklusive Label Von Bettina Sonnenschein T „Mit unserer Vermarktungsfläche können wir viel für Markenkooperationen bieten“ Katharina Frömsdorf, Starwatch Entertainment# ote-Hosen-Sänger Campino nannte das Album „taktisch klug gemacht“, bemängelte aber unkritisch jubelnde Musikkritiker; die „Bild“-Zeitung berichtete mehrfach über angeblich verärgerte Bands, die mit den gecoverten Versionen ihrer Originale nicht einverstanden gewesen seien; noch vor der Veröffentlichung stand „Mit freundlichen Grüßen“ auf Rang 1 der Amazon-Album-Charts. Viel Rummel – und ein großer Erfolg für Starwatch Entertainment: Das Unternehmen war schließlich das Label hinter dem 2013 erschienenen Heino-Album. Künstler unter Vertrag zu nehmen, sie aufzubauen und als Labelgeber zu vermarkten, ist allerdings nur ein Standbein der 2005 gegründeten Tochterfirma von Pro Sieben Sat 1. „Ursprünglich kommen wir aus der klassischen Vermarktung“, erzählt Katharina Frömsdorf, Geschäftsführerin von Starwatch Entertainment. „Wir waren dafür zuständig, Veranstaltern und Labels Konzepte zu liefern, mit denen die Sendervielfalt und Reichweite der Gruppe optimal ausgenutzt werden.“ Daraus hat sich inzwischen ein weitaus umfangreicheres Portfolio entwickelt: Denn irgendwann kam der Gedanke, die Nähe zu Musik und die engen Kontakte zwischen Sendern und Szene strategisch noch besser zu nutzen: Neben der Vermarktung und dem Label kümmert sich das Unternehmen inzwischen auch um die Bereiche Live Entertainment und Events, Ticketing sowie Künstlermanagement. „Bis auf den Vertrieb machen wir im Grunde alles selbst. Vom Entdecken über die Produktentwicklung bis zur Promotion“, sagt Frömsdorf. Zum Vorteil gereicht dabei natürlich die Nähe zum Mutterhaus: Für die Vermarktung stehen Flächen in den zugehörigen Sendern zur Verfügung und auch sonst „sind wir natürlich in engem Austausch mit sämtlichen möglichen Plattformen“, so die Geschäftsführerin. Auf diese Weise profitieren beide Seiten: Starwatch kann seine Vermarktungs- und PR-Konzepte durch Themenvorschläge leichter steuern, auf der anderen Seite kommen Redaktionen der TV-Magazine Die P7S1-Tochter Starwatch kümmert sich um alles, was es beim Thema Musik zu vermarkten gibt schneller etwa an einen Heino heran, wenn der in aller Munde ist und das Label zum selben Konzern gehört. E in weiterer, wichtiger Teil der Wertschöpfungskette besteht in der Rolle des Unternehmens als Veranstalter. „Wobei wir hier sehr intensiv mit unterschiedlichen Partnern zusammenarbeiten“, wie Frömsdorf erklärt. Es gehe nicht darum, zu einem der Big Player zu werden und zu solchen in Konkurrenz zu treten, sondern sinnvolle Kooperationen einzugehen beziehungsweise Verlängerungen zu schaffen. Ein Beispiel ist die Tournee mit den letzten acht bis zehn Kandidaten aus der Castingshow „The Voice of Germany“, die das Unternehmen demnächst bereits zum wiederholten Mal veranstaltet. Ab Ende Dezember tourt Starwatch mit den Künstlern durch Deutschland und füllt dabei die großen Hallen wie die im Münchner Olympiapark: „Das ist auch für die Kandidaten eine ganz große Sache: Vor 8000 Zuschauern auf der Bühne zu stehen – das erleben nur die ganz Großen“, so Frömsdorf. Inzwischen macht der Bereich Live Entertainment laut Unternehmensangaben etwa ein Drittel des gesamten Geschäfts aus. Die Verlängerung der TV-Marke und Auftrittsmöglichkeiten von Nachwuchstalenten hat für Starwatch einen weiteren Wert, und zwar im B-to-C-Bereich: Über die eigene Ticketing-Plattform Tickethall.de werden entsprechend Eintrittskarten angeboten. Den musikinteressierten TV-Zuschauer beziehungsweise Internetnutzer – schließlich verfügt der P7S1-Konzern über zahlreiche Plattformen im Netz – in einem eigenen Universum zu halten, damit verfügt die Gruppe in Deutschland bislang über ein Alleinstellungsmerkmal. Der zeitliche Vorsprung des zehn Jahre alten Unternehmens macht sich dabei bezahlt. Während die Konkurrenz erst am Anfang steht, „können wir uns schon um die nächsten Themen kümmern“, so Frömsdorf. Eines, das ihr am Herzen liegt, ist das wachsende Interesse von Marken an Musik (siehe Seite 30) noch besser zu bedienen: „Mit unserer Vermarktungsfläche können wir in Sachen Markenkooperationen viel bieten.“ Anzeige 34 REPORT MUSIKMARKETING Audio Network will den Markt für Produktionsmusik aufmischen – und baut dabei auf die ehrwürdigen Londoner Tonstudios Anzeige Von Tim Theobald W er die neun Treppenstufen der alten georgianischen Villa hinaufsteigt und die Abbey Road Studios betritt, ist sofort von der Magie dieses Ortes ergriffen. Die liebevoll angeordneten Wandfotos in den Fluren beweisen: Hier haben nicht nur die Beatles Alben aufgenommen – und auf dem berühmtesten Zebrastreifen der Welt eines der berühmtesten Plattencover geschossen – , sondern auch Pink Floyd, U2, Oasis oder Radiohead. Trotz seiner bedeutenden Geschichte ist Abbey Road alles andere als ein Museum. Bis heute kommt in die ehrwürdigen Räumlichkeiten nur herein, wer auch dort arbeitet – zum Beispiel Audio Network, das dort einen Großteil seiner Produktionsmusik aufnimmt, die 24. September 2015 FOTOS: TOM BUNNING Der Zauber von Abbey Road HORIZONT 39/2015 An den Orchesteraufnahmen im legendären Studio One der Abbey Road Studios sind bis zu 90 Musiker beteiligt von TV-Anstalten, Werbungtreibenden und Filmproduktionen verwendet werden. Auch wenn der Hauptsitz des Musikverlags mit seinen rund 100 Mitarbeitern gut vier Meilen weg ist: Der Zauber von Abbey Road ist für die Unternehmensziele von großer Bedeutung. „Das Wundervolle an diesem Ort ist, dass man die Flexibilität hat, alle möglichen Stilrichtungen aufzunehmen“, sagt Andrew Sunnucks, Gründer und Chairman von Audio Network, zwischen zwei Aufnahmesets im großen Studio One. „Zudem haben wir nur in Abbey Road die Kapazitäten für Orchesteraufnahmen dieser Größenordnung. Und den speziellen Sound kann man nirgendwo besser erzeugen als hier.“ An diesem Montag nehmen in den Studios im Londoner Bezirk Westminster 96 Musiker und ein Chor Stücke für TV-Trailer auf. E gal ob man mit Sunnucks, der Audio Network 2001 gründete, um „bestehende Grenzen in der Nutzung und Lizenzierung von Musik einzureißen“, oder Achim Meyer, Berater im 2012 eröffneten deutschen Büro (siehe nebenstehendes Interview), spricht: Bei- de heben beständig den internationalen Wert von Abbey Road für den Verlag hervor. Zwar hat man sich in Großbritannien bereits den Status des Marktführers erarbeitet. Doch hegt der Verlag globale Expansionsziele – besonders in Deutschland. Der Markt hierzulande ist umkämpft. Neben den Produktionssparten der Majors ist da vor allem der viel bekanntere Player Sonoton, der in diesem Jahr 50jähriges Bestehen feiert und einen Katalog von derzeit 433000 Tracks hat. Der Unterschied zum britischen Widersacher: Nur Größtes konzernunabhängiges Musikarchiv Das Unternehmen wurde 1965 von Rotheide und Gerhard Narholz gegründet und wird bis heute von den beiden geleitet. Laut eigenen Angaben bietet Sonoton das weltweit größte konzernunabhängige Musikarchiv für Produktionsmusik mit circa 120000 Stücken aus eigener Produktion und mehr als 430000 Tracks, die allein in Deutschland und Österreich im Katalog des Verlags zugänglich sind. Pro Jahr veröffentlicht Sonoton rund 100 Alben aus eigener und 300 CDs aus der Produktion internationaler Labels. Insgesamt arbeitet der Verlag derzeit mit 89 Labels weltweit zusammen. „Unser Anliegen ist kompromisslose Qualität in Musik, Technik und Funktion“, sagt Gerhard Narholz. „Wir decken das breite Spektrum aller denkbaren Musikrichtungen und Anwendungsgebiete ab. Das wissen und schätzen unsere Kunden.“ Sonoton begreift sich in der Musikindustrie als Erfinder des „Library Business“. Als erstes Unternehmen hat der Münchner Verlag 1992 ein Suchprogram für Produktionsmusik angeboten – seinerzeit auf der Floppy Disk. 1998 war man Pionier in Sachen OnlineMusiksuche. Das Angebot von Sonoton kommt in Kino- und TV-Filmen, Werbung, Trailern und Hörspielen zum Einsatz. In der Geschäftsführung werden Rotheide und Gerhard Narholz von ihren drei Söhnen unterstützt. HORIZONT 39/2015 120000 Titel sind eigenproduziert. Audio Network dagegen baut ausschließlich auf eigene Aufnahmen – hat aktuell aber „nur“ 95000 Tracks im Repertoire. Doch das Angebot wächst rasant: Pro Monat kommen 500 Stücke dazu. m sich von Sonoton und Co abzuheben, setzt der britische Anbieter vor allem auf eine Kernmaxime: „Wir wollen das Arbeiten mit Produktionsmusik einfacher machen. Unsere Kunden sollen die kreative Freiheit haben, unseren ganzen Katalog so zu nutzen, wie sie es wollen“, so Sunnucks. Während viele der Wettbewerber ein festes Angebot haben, reagiert Audio Network auf den Input seiner Kunden. Als das kanadische Büro nach Titeln zum Chinesischen Neujahr gefragt wurde, das dort aufgrund der vielen Immigranten ein großes Thema ist, gab man entsprechende Tracks sofort in Auftrag. Noch häufiger kommt es vor, dass Kunden individuelle Anpassungswünsche für bestehende Tracks aus dem Katalog haben – für Audio Network kein Problem, weil das Unternehmen sämtliche Masterspuren besitzt und leicht Änderungen an seinen Songs vornehmen kann. Dieses Vorgehen hat zudem den Vorteil, dass ein Song in verschiedenen Mixes sehr oft zum Einsatz kommt. Je häufiger ein Titel verwendet wird, umso mehr nimmt der Verlag an Lizenzgeldern ein. Und dann ist da noch der Faktor Qualität. Laut Sunnucks mangelte es vor der Gründung seines Unternehmens vielerorts an hochwertiger Musik in TV und Werbung. Durch die Marktpräsenz von Audio Network habe sich das in den letzten Jahren geändert – auch weil Abbey Road für die Kunden ein Versprechen ist. „Wir wollen die Marktführerschaft“ Achim Meyer über die Herausforderungen und Ziele des deutschen Audio-Network-Büros Von Tim Theobald A us „zweieinhalb Mitarbeitern" besteht aktuell das Audio-Network-Team in München. Neben Simone Schamel, die das Büro als Head of DACH leitet, und Marketing-Managerin Anja Shaw, die von London aus und nur zur Hälfte für das deutsche Office arbeitet, ist vor allem Achim Meyer für die Kundenberatung zuständig. Im Interview verrät er, was Audio Network in Deutschland vorhat: Mit welchen Zielen wurde das deutsche Audio-Network-Büro 2012 in München eröffnet? Der Musikverlag Für das Geschäftsjahr 2014 hat Audio Network einen Gesamtumsatz von 15 Millionen Pfund erwirtschaftet. In London arbeitet der Verlag laut eigenen Angaben mit den 50 größten Werbeagenturen zusammen. Für die Volvo-Kampagne „The GreatestInterceptionEver“ vonGreyNewYorkgewann Audio Network 2015 seinen ersten Löwen in Cannes – den Direct Grand Prix. Das Unternehmen beschäftigt 130 Mitarbeiter und greift auf ein Netzwerk von 600 Komponisten und Künstlern zu. Das Portfolio umfasst mehr als 95000 Musikstücke. Jeden Monat kommen etwa 500 Titel dazu, pro Jahr produziert Audio Network etwa 20 Alben. Ein wichtiger Aspekt ist, dass Deutschland nach Großbritannien der größte TVMarkt in Europa ist. Und Audio Network hat seine Expertise genau in diesem Bereich. Allerdings ist der gut entwickelte Markt auch gleichzeitig ein Nachteil: Manche Wettbewerber haben 60 Jahre Vorsprung vor uns. Aber TV ist ja nur das eine. Und das andere? Wir wollen uns vor allem auch im Werbemarkt stärker engagieren, weil wir dort für uns großes Wachstumspotenzial sehen. In beiden Feldern streben wir die Position an, die wir in Großbritannien schon haben: die Marktführerschaft. Wir wollen, dass die Menschen zuerst an Audio Network denken, wenn von Produktionsmusik die Rede ist. Sie haben die Konkurrenz angesprochen. Wie bewerten Sie die Situation im deutschen Markt für Audio Network? Es gibt hierzulande viele vergleichbare Player, die lange am Markt sind: Neben Sonoton und uns sind das die Majorlabels mit ihren Produktionsmusiksparten: Universal PPM, Warner/Chappell und EMI mit KPM. Für die Kunden stellt sich dabei immer die Frage, ob ein Anbieter Gema-pflichtig ist oder nicht. Warum ist das so? Viele Kunden haben Scheu vor der Gema, weil mit dem Vertragsschluss zusätzliche Kosten und ein höherer Verwaltungsaufwand verbunden sind. Deswegen nutzen FOTO: PRIVAT U REPORT MUSIKMARKETING 35 24. September 2015 viele Unternehmen Gema-freie Anbieter. Wir bewegen uns da in einem Spannungsfeld, dem wir mit Qualität, einem großen Angebot und sehr gutem Service begegnen wollen. So haben wir zum Beispiel seit August mehr als 95000 Titel in unserem Katalog, pro Monat kommen 500 neue dazu. Wie wollen Sie sich von der großen Konkurrenz in Deutschland absetzen? Ganz wichtig ist auf jeden Fall die hohe Qualität der Musik. Die Tatsache, dass wir einen Großteil davon in den Abbey Road Studios aufnehmen, ist allein schon ein Bekenntnis. Außerdem arbeiten wir nur mit Musik, deren Rechte wir allein kontrollieren. Seit der Gründung von Audio Network 2001 war das Unternehmen noch nie in eine rechtliche Auseinander- setzung verstrickt – weder mit einem Vertragsnehmer noch mit einem Kunden. Das liegt auch daran, dass wir ein ganz einfaches Preismodell haben, wobei alle Lizenzen weltweit gelten und unbegrenzt in ihrer Laufzeit sind. Das hebt uns definitiv von der Konkurrenz ab. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Londoner Office? Das Londoner Büro nimmt natürliche eine große unterstützende Rolle ein, weil es dort mit knapp 90 Mitarbeitern viel größere personelle Kapazitäten gibt. Logistik, Lizenzen, Verträge und die Repertoirepflege werden aktuell noch komplett von Großbritannien aus übernommen. Wir profitieren sehr von den Strukturen des globalen Networks. Wer sind Ihre wichtigsten Kunden im deutschen Markt? Im TV-Markt arbeiten wir am stärksten mit Arte, Turner Broadcasting System, Red Bull und den Öffentlich-Rechtlichen zusammen. Aber auch BBDO, Grey und Scholz & Friends zählen zu unseren Kunden. Insgesamt arbeiten wir derzeit mit etwa 20 Prozent der großen deutschen Werbegenturen zusammen. Mittelfristig wollen wir mit allen ins Geschäft kommen – so, wie es in London bereits der Fall ist. Aber so weit sind wir noch lange nicht, weil wir hierzulande noch eine Library unter vielen sind und die Agenturen ihren festen Partner haben. Wir wollen in Zukunft zeigen, dass wir anders und besser sind als die Konkurrenz. Anzeige 36 REPORT MUSIKMARKETING Hoffnung streamt zuletzt I @ HORIZONT Zum zweiten Mal stellt das Team der Fachzeitschrift von Busch Entertainment Media in München HORIZONT seine Expertise in Sachen Musikmarkt zur Verfügung. „Musikwoche“ veröffentlicht wöchentlich Hintergründe und Trends aus der Branche. Anzeige Von Knut Schlinger m US-Musikmarkt fiel die Zahl der verkauften Song-Downloads kürzlich auf den niedrigsten Stand seit rund acht Jahren:15,56 Millionen digitale Verkäufe zählten die Charts-Ermittler von Nielsen Music in der Erhebungswoche bis zum 27. August dieses Jahres. So wenige waren es zuletzt in der Woche bis zum 9. Dezember 2007, als 15,64 Millionen Downloads verkauft wurden. Damals erlebte der US-Markt ein schlimmes Jahr: Die Absatzzahl von Alben brach um 14,9 Prozent ein, das wachsende Download-Geschäft hatte die Talfahrt physischer Formate zur Folge. Anfang 2008 überholte schließlich Apples iTunes Store die Handelskette Wal-Mart als größten US-Musikhändler. Ende 2008 gründeten Daniel Ek und Martin Lorentzon Spotify, Napster hatte da längst begonnen, Musik im Abonnement zu vermarkten. Inzwischen ist die HORIZONT 39/2015 24. September 2015 Das internationale Musikgeschäft befindet sich erneut im Umbruch – die Vermarktung im Abo muss allerdings noch ihre Tragfähigkeit beweisen digitale Zeitenwende da: Parallel zum historischen Tiefstand im US-Markt erreichte die Summe der dort über Streamingdienste abgerufenen Titel eine neue Bestmarke: 6,6 Milliarden Streams zählte Nielsen Music binnen sieben Tagen über die verschiedenen Plattformen der Musik- und Videostreamingdienste. S elbst der deutsche Musikmarkt ist in der Streaming-Ära angekommen: Die Umsätze der Musikunternehmen mit Diensten wie Spotify, Deezer oder Napster wuchsen im 1. Halbjahr 2015 sprunghaft um 87,4 Prozent. Auch wenn immer noch zwei Drittel der Einnahmen aus dem physischen Verkauf stammen, so entfällt auf Streaming doch bereits ein Umsatzanteil von 12,8 Prozent am Gesamtmarkt. Das ver- half der Musikindustrie hierzulande zum Halbjahr über alle Vermarktungsschienen hinweg zu einem Umsatzplus von 4,4 Prozent. So deutlich ging es zuletzt 1993 mit Zuwächsen von 8,7 Prozent bergauf. Das sei „ein sehr positives Signal an die gesamte Musikbranche“, sagte Florian Drücke, Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI), kürzlich im Gespräch mit „Musikwoche“. Die Diversifizierungsstrategie der vergangenen Jahre zeige positive Effekte: „Und da ist ein ganz wesentlicher Aspekt, dass die von uns im 1. Halbjahr ermittelten Zuwächse von 87,4 Prozent im Bereich Streaming noch den Stand von vor dem Markteintritt von Apple Music abbilden.“ Der Einstieg einer so großen Marke wie Apple ins Subskritionsgeschäft zahle schließlich über alle Dienste hinweg auf die öffentliche Wahrnehmung des Streaming ein. „Das Thema ist nun wirklich in aller Munde.“ Der Markteintritt der Kultmarke könne für viele „eine Art Weckruf sein, sich grundsätzlich mit Musikstreaming zu beschäftigen“. Die ganz große Euphorie aber konnte Apple Music bislang nicht wecken. Zwar sprach Eddy Cue, der bei Apple als Senior Vice President Internet Software & Services unter anderem die Geschicke im iTunes-Umfeld verantwortet, Anfang August und somit fünf Wochen nach dem Start von Apple Music bereits von 11 Millionen Nutzern des Streamingdienstes. Dabei handelt es sich allerdings um Anwender, die sich innerhalb der von Apple auf drei Monate angelegten kostenlosen Testphase befinden. Wie viele sich schließlich dafür entscheiden, das Streaming-Abo von Apple Music auch zu bezahlen, bleibt zunächst offen. Bei der Präsentation der jüngsten iPhone-Modelle Anfang September waren eventuelle Erfolge von Apple Music HORIZONT 39/2015 REPORT MUSIKMARKETING 37 24. September 2015 FOTO: MARKUS NASS/BVMI FOTO: IFPI Macht Unternehmen wie YouTube für eine klaffende Ertragslücke verantwortlich: Frances Moore Digital holt auch im deutschen Musikmarkt weiter auf: Lag der Umsatzanteil des Digitalgeschäfts nach dem ersten Halbjahr 2014 noch bei gut einem Viertel, so wuchs er in den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 auf fast ein Drittel Sieht trotz Zuwächsen im Streaming auch im CD-Geschäft noch Potenzial: Florian Drücke Physische Tonträger verlieren an Digital Umsatzanteile aus Musikverkäufen im 1. Halbjahr 2015 1. Halbjahr 2015 in Prozent 1. Halbjahr 2014 60,6 CD-Alben Download à la carte (inkl. Mobile)* Streaming (Aboservice) Musik-DVD Vinyl-Alben Physisch Sonstiges** 65,6 19,3 18,6 7,7 12,8 3,6 4,7 3,1 2,4 0,6 0,8 67,9 Physisch gesamt Digital gesamt 26,5 73,5 32,1 *DL-Tracks, DL-Bundles, DL-Musikvideos, Realtones, Ringbacktones **Singles, MC, DVD-Audio, SACD, Bluray Audio Quelle: Bundesverband Musikindustrie, GfK Entertainment den Konzernlenkern nicht einmal eine Randnotiz wert. Unabhängig davon sieht der deutsche BVMI-Branchenverband auch für die nächsten Jahre noch großes Potenzial im Musikstreaming. Dem Musikabonnement traut man laut einer in Zusammenarbeit mit den Marktforschern der GfK im Frühjahr 2015 vorgestellten Studie bis 2018 einen Umsatzanteil von rund 24 Prozent am deutschen Musikgeschäft zu. Bei den Nutzerzahlen rechnen die Forscher in diesem Zeitraum mit einer Verdopplung auf knapp 22 Millionen. Auch die darin enthaltene Zahl der MusikAbokunden könnte sich bis dahin verdoppelt haben. Im Frühjahr kalkulierten BVMI und GfK mit rund 1,4 Millionen bezahlten Musikabos, auf die durch Doppelnutzungen im familiären Umfeld rund 2,5 Millionen Hörer zugreifen. Die Umsatzentwicklung aber hält nicht Schritt mit dem Nutzerwachstum: „Ad-funded bringt auf Dauer keine wirtschaftliche Relevanz für die Musikindustrie“, räumte GfK-Analyst Christoph Zeh bei der Vorstellung der Studie ein. D iese Ertragslücke ist den Lobbyisten der Musikwirtschaft zunehmend ein Dorn im Auge: So stellte Frances Moore als Geschäftsführerin des Weltverband der Phonoindustrie (IFPI) schon bei der Vorlage der Jahresbilanz für 2014 Plattformen wie Youtube und Dailymotion an den Pranger: Schließlich hätten die Anbieter kostenpflichtiger Musikabos mit ihren vom IFPI zum Jahresende 2014 auf 41 Millionen geschätzten Abonnenten rund 1,6 Milliarden Dollar Umsatz für die Musikwirtschaft generiert. Hingegen hätten werbefinanzierte Dienste mit ihrer ungleich größeren Nutzerschaft – allein Youtube reklamiert eine Milliarde monatliche User für sich – gerade einmal Umsätze von weltweit 641 Millionen Dollar in die Kassen der Musikbranche gespült. Hier sei ein „signifikantes Missverhältnis“ entstanden, sagte Moore, und kritisierte den Missbrauch sogenannter Safe-HarbourRegelungen: Unternehmen wie Youtube oder Dailymotion, die ihre Einnahmen auch dank der Verbreitung von Musik erzielen, würden diese Klauseln vorschieben, um den Abschluss fair verhandelter Lizenzdeals zu umgehen. Das, so unterstrich Moore, sei nicht Sinn dieser Regelungen. Hier liege der Hauptgrund, warum es der Musikindustrie trotz aller Bemühungen um Angebotsvielfalt bislang nicht gelungen sei, wieder nachhaltiges Umsatzwachstum zu erzeugen. Tatsächlich ging es zuletzt selbst in den Streaming-Vorzeigemärkten längst nicht uneingeschränkt bergauf. So galt der Spotify-Heimatmarkt Schweden international als Aushängeschild, wenn es um die Rückkehr der Musikbranche auf den Wachstumspfad ging. Bis 2013 konnte die über lange Jahre von Piraterie gebeutelte Musiknation drei Jahre in Folge zulegen. 2014 aber erhielt die Erfolgsgeschichte eine Delle, die erst zum 1. Halbjahr 2015 wieder ausgebeult wurde: Die Umsätze im schwedischen Musikmarkt wuchsen laut dem dem dortigen Landesverband formatübergreifend um 4,2 Prozent. Trotz Zuwächsen im Streaming-Geschäft verbucht der französische Musikmarkt derweil ein Minus von 6,2 Prozent nach sieben Monaten im laufenden Jahr – die Zuwächse um 43 Prozent im französischen Streaming-Geschäft reichten erneut nicht aus, um die Einbrüche beim Verkauf von Tonträgern (minus 18 Prozent) und Downloads (minus 15 Prozent) auszugleichen. Der Abschwung hat sich im Vergleich zu 2014 sogar beschleunigt. T rotz des international uneinheitlichen Trends rechnen die Marktforscher von Pricewaterhouse Cooper (PwC) in ihrem „Media Trend Outlook“ damit, dass die Streaming-Umsätze im deutschen Musikmarkt bis 2019 um durchschnittlich 31,5 Prozent pro Jahr steigen können. Die Einnahmen in diesem Bereich sollen hierzulande von 108 Millionen Euro im Jahr 2014 auf 426 HORIZONT 39/2015 Millionen Euro im Jahr 2019 klettern. Jedoch sehen die Wirtschaftsprüfer die geringe Zahlungsbereitschaft der Konsumenten als große Herausforderung. Schließlich liege die tatsächliche Preisvorstellung vieler Konsumenten unter den am Markt etablierten 9,99 Euro für das Musikabo: 28 Prozent der Befragten würden bis zu 3 Euro zahlen, 16 Prozent wären bereit, 4 bis 7 Euro auszugeben, und 6 Prozent würden 8 bis 11 Euro investieren. Als mögliche Argumente für den Abschluss kostenpflichtiger Musikabos hat man bei PwC mobile Offline-Fähigkeiten oder die Nutzung im Auto erkannt: „Die Anbieter stehen vor der schwierigen Aufgabe, Gratisnutzer zu zahlenden Kunden zu machen“, sagte Werner Ballhaus, Leiter des Bereichs Technologie, Medien und Telekommunikation bei PwC Deutschland: „Das weitere Wachstum von Musikstreaming wird stark von wirkungsvollen Kooperationen abhängen.“ Knut Schlinger ist Redakteur des Fachtitels „Musikwoche“. Anzeige 38 REPORT MUSIKMARKETING HORIZONT 39/2015 24. September 2015 Ein Live-Act mit Folgen 2016 betritt ein neues Veranstaltungsunternehmen den deutschen FestivalMarkt – mit weitreichenden Auswirkungen für bestehende Organisatoren A us heiterem Himmel erschütterte am 3. August eine Meldung die deutsche Livemusikbranche: Unter dem Namen Live Nation Concerts Germany hat der US-Konzern Live Nation Entertainment gemeinsam mit Marek Lieberberg ein neues Unternehmen ins Leben gerufen, das ab Januar 2016 Konzerte und Festivals in Deutschland, Österreich und der Schweiz veranstalten will. Dafür verlassen Marek Lieberberg und sein Sohn Andre nach 30 Jahren die eigene Frankfurter Marek Lieberberg Konzertagentur. Dieser Schritt hat weitreichende, noch nicht abzusehende Konsequenzen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, was aus den Großfestivals Rock am Ring und Rock im Park wird. Denn die Rechte daran verbleiben bei CTS Eventim, das 100 Prozent an der Marek Lieberberg Kon- Deag und die Dominotheorie VeranstalterMarekLieberbergsprachmitder ihm eigenen Eloquenz zu Beginn des sogenannten „Festivalkriegs“ im Zusammenhang mit den neuen Festivalaktivitäten der Deutschen Entertainment AG (DEAG) davon, dass deren Pläne wie Dominosteine umstürzen würden – und dass auf dem letzten Stein der Name DEAG stehe. Dazu ist es nicht gekommen, wohl aber war die Formulierung Lieberbergs ein Vorgeschmack auf den offenen Schlagabtausch zwischen ihm und der Deag, der vor allem über die Medien ausgetragen wurde. Unter großem Blätterrauschen zog die Deag vom Nürburgring, wo die Pläne eines Rockfestivals namens „Grüne Hölle“ in einer realen Hölle aus Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen endeten, in die Gelsenkirchener Veltins-Arena, um dort „Rock im Revier“ zu lancieren. Das neue Festival fand Ende Mai parallel zu Rockavaria in München statt. Beide Events waren zwar nicht ausverkauft, aber eben auch alles andere als ein Fiasko, wie es mancher Medienvertreter schon im Vorfeld herbeischreiben wollte. Vor allem die Vision des Deag-Vorstandsvorsitzenden Peter Schwenkow, dass angesichts einer älter werdenden Zielgruppe urbane Festivals ohne Camping – aber mit bequemen Hotelbetten – eine Zukunft haben, scheint sich zu bestätigen. Ob die Veranstaltungen profitabel waren, will Schwenkow zwar nicht sagen, aber im Gespräch mit der „Musikwoche“ gibt sich der Deag-Chef entspannt: „Ich kann natürlich die Mitbewerber verstehen, wenn sie versuchen, ihr jahrelang als Monopol beackertes Terrain zu verteidigen. Insofern gibt es für diese vielfachen Attacken von meiner Seite keinerlei Groll. Ich halte das für ganz normalen Wettbewerb.“ Dennoch ist die Festivalsaison für Schwenkow noch nicht ganz durchgestanden. In der Mitteilung zum ansonsten erfreulichen Halbjahresergebnis geht es auch um Geldforderungen, die aus den Streitigkeiten mit dem Nürburgring-Betreibern herrühren. Rechtsexperten hätten diesen Forderungen zwar eine „sichere Erfolgswahrscheinlichkeit“ eingeräumt. Fakt ist aber auch, dass ohne Berücksichtigung dieser Forderungen das Ebit der Deag minus 8,5 Millionen Euro betrüge und das Konzernergebnis bei minus 9,3 MillionenEuroläge.FürfrischesKapitalsorgtebei der Deag indes ein anderer Schritt: Das Unternehmen hat die vor mehr als 15 Jahren erworbene Jahrhunderthalle Frankfurt und die angrenzenden und zur Bebauung vorgesehenen Grundstücke in drei Joint-Venture-Gesellschaften eingebracht. Der Konzern veräußert demnach 51Prozent der Halle und 51 Prozent der dazugehörigen Betriebsgesellschaft. Außerdem verkauft die Deag 50 Prozent der an die Jahrhunderthalle angrenzenden Grundstücke und vermarktet diese gemeinsam mit einem Immobilieninvestor. Der daraus resultierende Mittelzufluss für die Deag soll in den nächsten Jahren im zweistelligen Millionenbereich liegen. Erfolgreich ist das Unternehmen auch im Ticketgeschäft: Mit der Konzerntochter My Ticket ist es jüngst nach Großbritannien expandiert. Und beim Buchen der Headliner für die Festivalsaison 2016 soll bereits ein richtig dicker Fisch am Haken hängen. Darum blickt Schwenkow gelassen aufs neue Jahr – wobei ihm die nicht immer freundlichen Presseberichte durchaus gelegen kommen: „Die meisten Leute dürften unsere Events inzwischen kennen, schließlich wurde über sie wahrlich viel diskutiert.“ zertagentur hält. Nachdem zunächst Branchenspekulationen die Runde machten, eine weitere CTS-Tochter, der Festivalmarktführer FKP Scorpio, könnte sich künftig auch um die einstigen Lieberberg-Events kümmern, bestätigte Lieberberg Gespräche mit Klaus-Peter Schulenberg, dem Vorstandsvorsitzenden von CTS Eventim. Danach verhandeln die beiden mächtigen deutschen Livekonzert-Manager darüber, ob Lieberberg künftig als eine Art Dienstleister für die Festivals in Erscheinung treten kann. Fest steht der Deal bislang aber nicht. Spannend wird es allemal, da auch Live Nation GSA mit eigenen Events in den Festivalmarkt einsteigt. Ein erstes Lebenszeichen gab das Unternehmen, das zum weltweit agierenden Konzern Live Nation Entertainment gehört, erst vor kurzem. Von Berlin aus meldete sich Matt Schwarz, bislang Vice President Touring & Festivals, bei der Marek Lieberberg Konzertagentur. Er wird nun als Vorhut für die beiden Lieberbergs als COO/Managing Director für den Global Player tätig, zu dem auch das Ticketingunternehmen Ticketmaster gehört. „Live Nation Germany Austria Switzerland verwirklicht den lang gehegten Wunsch, im deutschsprachigen Raum selbstständig zu agieren“, lässt Schwarz wissen. Man sei stolz, diese Vision nunmehr mit Leben und Leidenschaft zu erfüllen. D per Schritt Lieberbergs kam umso überraschender, als er mit viel Leidenschaft und Geld für einen erfolgreichen Neustart von Rock am Ring in Mendig gekämpft hatte, nachdem es mit den Betreibern des bisherigen Standorts Nürburgring zum Bruch gekommen war. Geld habe er in Mendig bei der Premiere zwar nicht verdient, sagt Lieberberg, aber mit mehr als 90000 Besuchern war die dreitägige Veranstaltung ausverkauft – genauso wie das Zwillingsfestival Rock im Park in Nürnberg. Eigentlich sah alles so aus, als ob Lieberberg, der einen Fünfjahresvertrag mit Mendig geschlossen hatte, in den nächsten Jahren dort ein neues Festival-Mekka errichten würde, ein „Field of Dreams“, wie er selbst formuliert. Doch die Konsequenzen nach dem Wechsel Lieberbergs betreffen nicht nur ihn, CTS Eventim und die unmittelbaren Konkurrenten von Deag oder FKP Scorpio, sondern den gesamten deutschen Livemarkt. Denn der Wettbewerb ist härter geworden. Die Anzahl an zugkräftigen Bands – für Hallentourneen oder Headliner-Slots bei Festivals – ist endlich und mancher Veranstalter hat beim Wettbieten um die Acts das Nachsehen. So gaben in diesem Jahr unter anderem das Mixery Hiphop Open, Phono Pop, Blackfield, Soul im Brunnen und das Serengeti Festival auf. Und zur Premiere des Freischwimmer Festivals in Freiburg kam es erst gar nicht. Grund: das „schwierige Festivalumfeld“, wie die dortigen Veranstalter mitteilen. K leine und mittlere Festivalmarken kommen stärker unter Druck“, urteilt der Nürnberger Veranstalter Peter Harasim. Und sein saarländischer Kollege Thilo Ziegler, der unter anderem das Festival Rocco Del Schlacko ausrichtet, weist auf einen anderen Missstand hin: „Die Höhe der Eintrittspreise ist an einer Grenze angekommen.“ Der Markteintritt von Live Nation bedeutet auch, dass das Big Business nun endgültig im deutschen Veranstaltungsgeschäft eingekehrt ist. Und dabei gibt es Gewinner und Verlierer. Zu Ersteren gehört zweifellos CTS Eventim: Die Bremer präsentierten jüngst glänzende Halbjahreszahlen. Der Konzernumsatz stieg in der Zeitspanne im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23,6 Prozent auf 419,7 Millionen Euro und auch der Gewinn erhöhte sich um gut 20 Prozent. Beinahe zeitgleich teilte das Stuttgarter Traditionsunternehmen Moderne Welt nüchtern mit, den Konzertbetrieb Ende 2015 einzustellen: „In Anbetracht der sich immer stärker abzeichnenden Marktdominanz der großen Konzerne im Live Entertainment wird ein adäquates Wirtschaften für ein unabhängiges, mittelständisches Unternehmen zunehmend schwieriger.“ Dietmar Schwenger ist Redakteur des Fachtitels „Musikwoche“ @ HORIZONT Diese vier Männer werden auch 2016 die deutsche Festivallandschaft gestalten (von oben): Marek Lieberberg (noch Marek Lieberberg Konzertagentur, bald Live Nation GSA), Klaus-Peter Schulenberg (CTS Eventim), Folkert Koopmans (FKP Scorpio) und Peter Schwenkow (DEAG) HORIZONT 39/2015 REPORT MUSIKMARKETING 39 24. September 2015 „Musik ist das Herz des Social Web“ Universal-CEO Frank Briegmann über den Status quo des deutschen Musikmarkts, Streaming und die sozialen Netzwerke Von Tim Theobald Die CD-Verkäufe schwinden, Streaming ist auf dem Vormarsch: Wie ist es 2015 um die Musikindustrie bestellt? Wir verzeichnen für den deutschen Markt in den ersten sieben Monaten 2015 ein Wachstum von 6 Prozent. Der DownloadMarkt ist leicht gewachsen, das Geschäft mit physischen Tonträgern im internationalen Vergleich relativ stabil. Und die Streaming-Umsätze verdoppeln sich beinahe im Jahrestakt. Aktuell stehen alle Zeichen auf Wachstum. Frank Briegmann FOTO: LAURENCE CHAPERON/UNIVERSAL Der 48-Jährige ist seit 2004 Deutschlandchef und seit 2013 President Central Europe von Universal Music. In dieser Funktion ist Briegmann beim weltweiten Marktführer im Musikgeschäft für insgesamt 14 Länder in Europa zuständig. Laut eigenen Angaben erreicht das Unternehmen über alle Kommunikationskanäle hinweg mehr als 1,5 Milliarden Nutzer weltweit pro Monat. Der globale Marktanteil von Universal Music lag 2014 bei über 34 Prozent – Sony Music auf Platz 2 kommt auf 22,5 Prozent (Quelle: Informa). Aber können Sie und die Künstler mit Streaming wirklich Geld verdienen? Streaming ist ein ganz neues Businessmodell. Anders als beim Kauf einer CD fließt beim Streaming nicht nur ein einziges Mal Geld an Labels und Künstler, sondern jedes Mal, wenn ein Song gehört wird. Die Zahlungen verteilen sich über einen längeren Zeitraum, unter dem Strich ist der Effekt aber sogar positiv. Der hochdigitale schwedische Markt, der in den letzten Jahren besonders vom rasanten Wachstum der Streaming-Umsätze geprägt war, hat in diesem Zeitraum um 47 Prozent zugelegt. Die Künstler-Erlöse haben sich sogar mehr als verdoppelt. Wenn Streaming so stark wächst – können und wollen Sie den CD-Markt auf lange Sicht da überhaupt noch stützen? CDs machen aktuell noch mehr als zwei Drittel des Gesamtmarkts aus. Die Sparte ist genauso wichtig wie Download und Streaming. Wir wollen in allen Kanälen ein optimales Musikerlebnis ermöglichen. Natürlich sehen wir den Trend in Richtung Digital und Streaming. Der CDMarkt hat sich aber schon in der Vergangenheit als robuster erwiesen, als viele angenommen haben. Welchen Stellenwert hat Musik in der Gesellschaft? 48 Millionen Deutsche hören täglich bewusst Musik. Sie ist Teil ihres Lebens. Dank mobiler Endgeräte sogar noch mehr als früher. Aber Musik ist nicht nur ein Kultur-, sondern auch ein Wirtschaftsgut, von dem europaweit mehr als eine Million Menschen leben. Und Musik ist das Herz des Social Web. Beispiel: Alle zehn Top-10-Clips bei Youtube sind Musikvideos. Junge Bands können sich heute im Netz gut selbst vermarkten – wozu braucht es da einen Major wie Universal noch? Wir bieten den Künstlern Services in allen Bereichen der Wertschöpfung an – von der Pro- duktion der Musik über die Vermarktung bis hin zu Vertrieb und Abrechnung. All das erfordert wegen der hohen Anzahl der Distributionskanäle Zeit und spezielles Know-how. Die Musiker, die ich kenne, wollen sich lieber auf ihre Musik und ihre Shows konzentrieren. Und deshalb suchen sie sich Partner, die sich um den Rest kümmern. Ich sehe die Aussichten der Labels sehr positiv, da diese Prozesse immer komplexer werden. Sie sprachen die sozialen Netzwerke an. Welche Rolle spielen Facebook, Instagram und Co für Sie? Sie sind integraler Bestandteil unserer Marketing- und Vertriebsstrategie. Nie waren Stars den Fans näher und umgekehrt. Über das, was man früher Mundpropaganda nannte, erreicht man heute Millionen. Gleichzeitig bieten soziale Medien beste Voraussetzungen für ein immer weiter individualisiertes Angebot. Selektive Ansprache und Inhalte sind wichtige Erfolgsfaktoren in Zeiten stetig wachsender Informationsmengen. Die Herausforderung ist, dass sämtliche News heute in Echtzeit verbreitet werden müssen, wenn sie als News wahrgenommen werden sollen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass langlebige Stars, die ihre Investitionen wieder einspielen, seltener werden. Ist es im digitalen Zeitalter riskanter, in Künstler zu investieren? Das war schon immer riskant. Es gibt im Voraus keinen „Proof of Concept“. Langlebige Stars kann man aber auch heute noch aufbauen. Allerdings wird es für alle Beteiligten immer anspruchsvoller, einen einmal gewonnenen Aufmerksamkeitslevel über lange Zeit zu halten. Wie groß ist die Bedeutung deutscher Acts im Vergleich zu internationalen? Im Juni gingen erstmals in der Geschichte der Album-Charts alle Top-10-Plätze an deutschsprachige Künstler. Der AlbumCharts-Anteil der in Deutschland unter Vertrag stehenden Künstler betrug von Januar bis Juli 73 Prozent – ein Rekordwert in der jüngeren Musikgeschichte. Warum sind deutsche Acts so beliebt ? Deutsche Stars punkten vor allem mit ihrer Nähe zum Publikum – emotional und räumlich. Sie sind für Marketing und Vertrieb besser erreichbar und sehr attraktiv für Brand-Partnerships, weil sie eine hohe Glaubwürdigkeit haben und für Aktionen vor Ort verfügbar sind. Internationale Acts haben dafür eine unerreichte Strahlkraft in den Netzwerken, eine besondere Magie. Ein vitaler und attraktiver Musikmarkt zeichnet sich durch eine gute Mischung von Vertretern beider Welten aus. Wie fällt Ihre Marktprognose für die nächsten Jahre aus? Wir befinden uns nach wie vor in Zeiten des Umbruchs. Die 14 Länder in meiner Verantwortung sind in der Digitalisierung alle auf unterschiedlichem Niveau – von Schweden mit 78 Prozent Streaming bis zu Deutschland mit 67 Prozent im physischem Markt. Es gibt noch viel Transformationsbedarf und zugleich Innovationsideen, die auf ihre Realisierung warten. Nicht zuletzt ist der Kampf für eine Anpassung des Urheberrechts noch immer nicht gewonnen. Anzeige 40 REPORT MUSIKMARKETING HORIZONT 39/2015 24. September 2015 Musik soll für Marken nicht nur Emotionen, sondern zunehmend auch InternetTraffic bringen Volkswagen beschwört den Geist der Garage Von Klaus Janke N Live dabei Rund 27 Millionen Euro gaben Unternehmen im vergangenen Jahr für Sponsoring von Musikveranstaltungen aus – 29 Prozent mehr als 2013. Dies ergibt die Marktanalyse „Live Musik Sponsoring Report“, den das Kölner Beratungsunternehmen Repucom gemeinsam mit der Hamburger Agentur The Sponsor People erstellt hat. 21 Prozent der Geldgeber sind Brauereien, es folgen Finanzdienstleister (14 Prozent) und Automobilunternehmen (13 Prozent). In ihren jeweiligen Branchen fahren Beck’s, die Sparkassen und Seat die meisten Aktionen. icht nur als Autohersteller präsentierte sich VW in der IAA-Woche in Frankfurt, sondern auch als Konzertveranstalter: Im Szene-Club Gibson gab sich der 21-jährige Berliner DJ Felix Jaehn die Ehre, der mit dem Song „Cheerleader“ kürzlich sogar Platz 1 der US-Charts eroberte. Mit von der Partie waren zudem die britischen Sängerinnen Jasmine Thompson und Jessie J. Das Konzert vor rund 800 Zuschauern war der Auftakt zur neuen Event-Reihe „Volkswagen Garage Sound“, mit der VW eine langfristig angelegte Musikplattform etablieren will. Der Begriff „Garage Sound“ soll dabei kein musikalisches Genre beschreiben, sondern daran erinnern, dass viele Musiker ihre ersten Versuche in der heimischen Garage unternommen haben – ein nicht ganz naheliegender Brückenschlag zum Thema Auto. Ganz wichtig ist dabei die Verbindung zwischen Event und Online-Erlebnis. Die Tickets für die Konzerte kann man nicht kaufen, sie werden verlost. Wer keine ergattert, sieht sich die Konzert-Highlights im Nachgang auf Facebook, Instagram, Twitter und Vevo an. Zusätzlich finden die Fans auf den sozialen Kanälen „Behind the Scene“-Beiträge und Web-Episoden mit den Künstlern – ein Konzept, das sicherlich auch durch die ähnlich Mark Forster ist für die AOK im Einsatz konzipierten „Telekom Streetgigs“ inspiriert wurde. VW will darauf achten, Klasse statt Masse zu bieten: „Jedes Jahr sollen einige wenige, dafür exklusive Konzerte in international angesagten Metropolen stattfinden“, kündigt Anders Sundt Jensen an, Leiter Marketingkommunikation Volkswagen Pkw. Die erste Ausgabe des „Garage Sound“ wurde in Kooperation mit Universal Music zusammengestellt, man ist aber nicht an das Label gebunden: „Grundsätzlich geht es uns darum, Stars für unsere Plattform zu gewinnen, die zu unserer Marke passen, eine junge Zielgruppe ansprechen und im Bereich Social Media aktiv sind“, so Jensen. Schon das Feedback im Vorfeld von „Garage Sound“ sei vielversprechend gewesen: „Bereits in den ersten zwei Wochen hatten wir mehr als 2 Millionen Views auf unseren Webisodes – und unsere Inhalte werden sehr stark geteilt“, so Jensen. Im Vergleich zu Autobauern haben Krankenkassen noch deutlich mehr Handlungsbedarf bei jungen Leuten. Forster, im August mit dem Titel „Bauch und Kopf“ Sieger beim „Bundesvision Song Contest 2015“, wird daher zurzeit auch von der AOK eingespannt. Seit vergangener Woche treten im Rahmen des Contests „AOK-Schulmeister“ weiter- enn es um Musik-Marketing geht, ist die Autobranche mit Abstand am rührigsten. So gut wie jeder Hersteller, der junge Leute auch nur im Entferntesten zu seiner Zielgruppe zählt, ist aktiv. Treiber ist die strategische Herausforderung der Branche: Gerade jüngere Zielgruppen begeistern sich nicht mehr so richtig für Autos, zudem wird die Differenzierung über das Produkt immer schwieriger. Also müssen Emotionen her, unvergessliche Augenblicke – das kann Musik sehr gut. Unter dem Titel „Mini Meets Music“ veranstaltet auch die BMW-Marke Konzerte – eine Kooperation mit Sony Music. Auch dabei werden die Tickets über die sozialen Netzwerke verlost. Den Anfang machte im Juli die britische Band Vaccines in der Berliner Monkey Bar, vor zwei Wochen gastierte der deutsche ShootingStar Mark Forster vor 250 Fans beim Mini-Händler in Frankfurt. „Mini fahren und eine bestimmte Musik hören – beides drückt Persönlichkeit aus“, glaubt Dimitros Varvitsiotis, Brand Manager Mini. „Unsere Kampagne bringt diese Aspekte zusammen.“ Dabei soll es immer auch Überraschungsaktionen, die sogenannten „Mini Moments“, geben. In Frankfurt wurden zwei verdutzte „Superfans“ von Mark Forster persönlich in einem Restaurant abgeholt und im neuen Mini Metropolitan zum Konzert gebracht. führende Schulen gegeneinander an. Die Schüler beantworten Fragen in einem Online-Quiz, die besten Teams treten dann in einem Bewegungswettkampf gegeneinander an. Auf dem Schulgelände des Siegers findet im Juni 2016 ein Festival mit Forster sowie den Youtube-Stars Die Lochis und den Breakdance-Künstlern Flying Steps statt. Mit den Kontaktzahlen des Contests, der bereits zum fünften Mal stattfindet, zeigt sich die AOK sehr zufrieden: Im vergangenen Jahr nahmen rund 18000 Schüler aus 4500 Schulen teil. Neben klassischen Maßnahmen wie Festival-Sponsorings und TestimonialAuftritten in der Werbung sind im Musik-Marketing zunehmend Online-Aktionen mit Response-Elementen gefragt. Die Musik-Acts sollen vor allem dafür sorgen, dass Traffic auf die Online-Plattformen der Marken kommt. Das kann auch Marken gelingen, die nicht als Big Player im Musik-Marketing etabliert sind. Die Eckes-Granini-Marke Hohes C etwa verloste im Juli Tickets und VIPPackages für Konzerte der Sänger Johannes Oerding und Laith Al-Deen. Die Gewinnspiel-Posts erhielten im Schnitt 13000 Likes, wurden 1700 Mal geteilt und 2900 Mal kommentiert. Trotz der vielfältigen Möglichkeiten ist es bislang nur wenigen Unternehmen gelungen, eine Marke in der öffentlichen W Wahrnehmung dauerhaft mit dem Thema Musik zu verknüpfen. Maßstäbe setzt hier nach wie vor Vodafone. In Zusammenarbeit mit der Agentur White Horse Music gelingt es dem Telekommunikationsunternehmen immer wieder, die Songs von Newcomern über den Einsatz in Werbespots zu Hits zu machen. In diesem Jahr fiel die Wahl auf die Norwegerin Aurora bringt große Gefühle in die Vodafone-Werbung Aurora. Ihr gefühlvoller Titel „Running With The Wolves“ ist in der im April gestarteten TV-Kampagne zu hören, die die LTE-Verfügbarkeit und die Sprachqualität des Vodafone-Netzes betont (Kreation: Jung von Matt/Alster). Aurora hielt sich mit den Wölfen 13 Wochen in den deutschen Charts, musste sich allerdings mit der Position 72 begnügen. N atürlich geht es Vodafone nicht nur um Imagepflege. Musikfans sind zudem intensive Nutzer von Streaming-Diensten, auch unterwegs. Während die Telekom mit Spotify kooperiert, ist Vodafone Partner des Konkurrenzdienstes Deezer, an dem auch Pro Sieben Sat 1 beteiligt ist. Wer sich für gestimmte Vodafone-Tarife entscheidet, bekommt gratis eine Deezer-Musikflatrate. Zudem können Kunden unabhängig vom Tarif Deezer zu einem reduzierten Preis nutzen. „Mit Deezer geben wir dem Kunden einen zusätzlichen Anlass, sein mobiles Gerät zu nutzen“, sagt Frank Vahldiek, Hauptabteilungsleiter Consumer Services & Innovations Vodafone Germany. Aber es geht nicht nur um ein zugkräftiges Verkaufsargument: „Deezer ist auch ein wichtiger Faktor für die Kundenbindung“, so Vahldiek. Hat man sich an den Streaming-Dienst gewöhnt und seine Playlists erstellt, wechselt man nicht mehr so leicht zur Konkurrenz. FOTO: VOLKSWAGEN Live-Kicks und Web-Klicks HORIZONT 39/2015 REPORT MUSIKMARKETING 41 24. September 2015 FOTO: COLOURBOX Digitale Welt Der Anteil von Downloads am Umsatz der Musikbranche ist minimal. Das Problem: Das Nutzungsverhalten der Hörerschaft ist (noch) nicht sehr digital, zudem entspricht die angebotene Qualität selten dem, was verlangt wird. Abhilfe will Idagio.com schaffen. Eine spezielle Software soll dafür sorgen, dass Klassiktitel sichtbar werden, die in bestehenden Musikdiensten untergehen, unter anderem weil Komponistennamen in der Kategorie Interpret stehen. Aus Sicht des Dienstes eine sinnvolle Sache, wie Experte Piendl sagt, allerdings: „Idagio will das Spotify für Klassik werden. Für die Künstler und Labels aber, die allein aus den sehr geringen StreamingEinnahmen neue Aufnahmen finanzieren müssten, ist das noch kein tragfähiges Modell.“ Neue Saiten aufziehen Klassische Musik führt ein Nischendasein – umso wichtiger ist die zeitgemäße Vermarktung Von Bettina Sonnenschein W enn am Abend des 18. Oktobers die Echo-KlassikPreise vergeben werden, wird auch Burkhard Schmilgun auf die Bühne des Berliner Konzerthauses gerufen werden. In der TV-Übertragung, die zeitversetzt ab 22 Uhr im ZDF beginnt, wird man ihn vermutlich trotzdem nicht zu sehen bekommen. Davon zumindest geht Schmilgun selbst aus. Der künstlerische Direktor des Klassiklabels CPO wird zwei Echos entgegennehmen, doch er weiß, was fürs Fernsehen zählt: Jonas Kaufmann, Joyce DiDonato, Elina Garanca und Lang Lang – das sind Preisträgernamen, mit denen immerhin eine etwas breitere Öffentlichkeit etwas anfangen kann. Die Oper „La Descente d‘Orphée aux Enfers“ von Marc-Antoine Charpentier hingegen, für deren Einspielung Schmilgun verantwortlich ist, ist so unbekannt, dass sie vielleicht nicht einmal namhafte Klassikkünstler kennen. Das Beispiel spiegelt von jedem Winkel aus betrachtet wider, in welchem Dilemma sich der Klassikmarkt befindet: Die mediale Übertragung der Preisverleihung durch den öffentlich-rechtlichen Klassik spielt die kleinste Rolle Umsatzentwicklung in den Teilmärkten Umsatz in Mio. Euro 2014 556 16,6 111,0 Pop national 95,8 Pop international TV-Compilations Veränd. zum Vorjahresumsatz in Prozent Download-Anteil in Mio. Euro 18,0 Kinderprodukte 7,7 Hörbücher 2,7 Klassik 3,9 399 120 110 89 79 Quelle: Bundesverband Musikindustrie, GfK Entertainment –18,3 –7,4 1,8 2,7 –12,4 HORIZONT 39/2015 Sender ZDF ist Teil dessen Auftrag einer Grundversorgung – der nächtliche Sendezeitpunkt ermöglicht nicht nur, weniger „Wichtiges“ herauszuschneiden, sondern ist auch Ausdruck des bereits vorhandenen Wissens um nur wenige Zuschauer. Der Umsatz mit physischen Klassikprodukten lag laut Bundesverband Musikindustrie im vergangenen Jahr 12,4 niedriger als 2013, der Anteil an Downloads spielt nahezu keine Rolle. Pop ist die meistverkaufte Musikrichtung in Deutschland. Sie generiert rund 25,5 Prozent des Gesamtumsatzes. Klassik hingegen steht für einen Umsatzanteil von 6,5 Prozent. 69 Prozent der Klassikkäufer sind älter als 50 Jahre, der Anteil der 19bis 39-Jährigen, die für Klassik Geld ausgeben, liegt bei 8 Prozent. A us diesen Zahlen lassen sich schon heute Rückschlüsse darauf ziehen, ob die Operneinspielung von CPO, die bereits einen Grammy gewonnen hat, jemals rentabel für das Label sein wird. Die Prognose: eher nicht. Zustande kommen konnte es durch eine Kooperation mit Radio Bremen, die Musiker des Boston Early Music Festivals flogen dafür extra nach Deutschland, weil die Produktion in den USA noch teurer geworden wäre. Der Klassik-Echo dafür ist eine Sache, teilen sich den doch gern die Großen unter sich auf. Ein Erfolg für das vergleichsweise kleine Label wären schon Verkaufszahlen im vierstelligen Bereich. „Die wirtschaftliche Bedeutung der Klassik für die Musikfirmen ist begrenzt“, bestätigt auch Stefan Piendl, Geschäftsführer von Arion Arts, einer auf Klassik spezialisierten Marketingagentur in München. Auch wenn das heutige Geschäft der Tonträgerindustrie letztendlich auf die Klassik zurückgeht – es war der Tenor Enrico Caruso, der der Schallplatte einst zum Durchbruch verhalf – lässt sich damit nur begrenzt Geld verdienen. Klappen kann es unter bestimmten Voraussetzungen: „Für Unternehmen ist der größte Schatz das Archiv der Aufnahmen, deren Rechte sie besitzen. Durch solche Backkataloge werden Einnahmen generiert, mit denen dann Neues finanziert werden kann.“ Wobei Neues fast ausschließlich Altes heißt: Anders als im Gegenwartsmusikgeschäft kämpft die Klassik mit einem endlichen Repertoire. Der Anteil an neuer Musik ist klein, das Genre lebt von Neuinterpretationen von Mozart, Beethoven und Co. Umso wichtiger ist, dass der oder die Interpreten in den Vordergrund treten. Und das nicht nur mit Talent und Können: Vier Stunden auf der Bühne der New Yorker Met vor 4500 Zuschauern ohne Verstärker über ein Orchester singen zu können, ist eines. Aber: „Mit künstlerischer Qualität allein lässt sich heute auch nicht mehr alles verdienen“, sagt Experte Piendl. „Der Künstler muss auch bereit sein, bei der Vermarktung mitzuspielen.“ Und da schließt sich der Kreis zu den namhaften Echopreisträgern dieses Jahres: Jonas Kaufmann, Lang Lang, David Garrett sind sicherlich große Könner ihres Fachs. Aber sie stellen jeweils auch eine Marke dar, die über den Klassikmarkt hinaus eine Wirkung hat. Der smarte, umschwärmte Tenor; der verrückte Pianist, der auch mit „Metallica“ auf die Bühne geht; das Wunderkind mit Geige, das große Hallen füllt – das sind Geschichten, die sich verkaufen lassen: „Es wird für die Klassik immer wichtiger, Künstler – oder auch Orchester – als Marke zu etablieren“, bestätigt auch Gregor Burgenmeister, Mitgründer und Chefredakteur des kostenlosen Monatsmagazins für Konzert- und Opernbesucher „Concerti“. Er betont in diesem Zusammenhang den Wert, den solche Namen für die Branche haben: „Der schlägt sich nicht unbedingt im Tonträgerverkauf nieder. Aber im Live-Segment.“ D ie Musikindustrie habe erkannt, dass die Vermarktung über persönliche Präsenz bei Live-Auftritten enormen Einfluss hat. Die Zahl der Veranstaltungen ist entsprechend riesig. Ein Konzert- oder Opernbesuch werde dabei häufig von Namen ausgelöst. „Das kann ein Sänger sein, aber auch ein Orchester, ein Werk oder ein Festivaltitel“, so Burgenmeister. „Wichtig ist, zu erkennen, was den größten Markenwert hat und den in den Vordergrund zu stellen. Als vorbildlich gelten dabei die Berliner Philharmoniker, die sich im Marketing von Profis wie Scholz & Friends unterstützen lassen. Aber auch das HR-Symphonieorchester als Beispiel eines Ensembles mit öffentlichem Auftrag macht sich entsprechend Gedanken: „Wir haben unseren Markenkern sehr genau definiert“, erläutert HR-Pressesprecherin Brigitte Schulz. „Exzellenz, der Mut zu Neuem, Vielfalt in der Programmgestaltung und der Auftrag, Klassik für alle zugänglich zu machen, stehen im Mittelpunkt.“ Damit positioniert sich das Orchester nicht nur in Amsterdam, Tokio und Peking, sondern auch an der heimischen Weseler Werft beim Freiluftkonzert.