Lodernde Leidenschaft für das Lederei

Transcription

Lodernde Leidenschaft für das Lederei
28 SPORT HAUTNAH
ZÜRCHER UNTERLÄNDER
DONNERSTAG, 23. FEBRUAR 2012
Lodernde Leidenschaft für das Lederei
DAVID RITCHIE. Der 73-jährige
Amerikaner über seinen Job als
Headcoach bei den Zürich
Renegades, American Football
als Überlebenschance, die
Sportverrücktheit in Übersee
und das Geheimnis einer glücklichen Ehe.
INTERVIEW: RENATO CECCHET
David Ritchie, Väterchen Frost hatte den
Schweizer Winter in diesem Jahr fest im
Griff. Sie haben lange in Kanada gearbeitet, da konnten Ihnen die kühlen Temperaturen kaum was anhaben.
Doch, schon, mir war es zu kalt. Das
klingt vielleicht komisch. Aber ich habe
eine lange Zeit in Vancouver gelebt, an
der kanadischen Westküste. Dort ist der
Winter mild, mit viel Wind, aber wenig
Schnee. Und in Pittsburgh, wo meine
Frau Sharon und ich jetzt die Zeit verbringen, wenn wir in die USA zurückkehren, liegt selten viel Weiss.
vor 54 Jahren meine Frau Sharon. Nach
dem Militärdienst entschied ich mich, in
den Trainerstaff zu wechseln, da ich bereits verheiratet war und zwei Kinder
hatte. Für eine Beziehung ist es einfacher, einen Coach statt eines Spielers in
der Familie zu haben.
Sie sind US-Amerikaner, machten als
Footballtrainer aber vor allem Karriere in
Kanada. Warum?
Das stimmt so nicht. Ich war zuerst über
20 Jahre Chef- und Assistenztrainer von
Universitäts- und Militärmannschaften
in den USA. 1983 kam dann die erste Anfrage aus Montreal, Kanada. Bis 2008
habe ich dann Teams in der Canadian
Football League (CFL) gecoacht. Für
mich war das nie eine Frage des Renom-
lich wie im amerikanischen Green Bay,
Wisconsin, sind die Spiele trotzdem immer ausverkauft.
Früher gab es zwölf Teams in der Canadian Football League, zurzeit sind es noch
acht. Wie hoch ist das Niveau verglichen
mit der NFL, der amerikanischen Profiliga?
Das Level ist absolut gleichwertig. In Kanada spielen die wenigen Teams einfach
mehr gegeneinander, aber am Ende tragen sie genau gleich viele Partien aus,
nämlich 18, wie die Mannschaften in der
NFL. Die Spielfelder in der CFL sind
breiter und länger, pro Team steht ein
Akteur mehr auf dem Feld. Aus diesem
Grund hätten es die 130-kg-LinebackerBrocken, die sich in der NFL momentan
«Hall of Fame», die Ruhmeshalle des
American Football, gewählt.
Apropos Ruhm. Auch Sie gewannen als
Trainer dreimal den Grey Cup, das kanadische Pendant zur Super Bowl. In den
Vereinigten Staaten wären Sie mit diesen
Erfolgen ein Nationalheld. Wie sieht das
in Kanada aus. Hat man Ihnen ein Denkmal gesetzt?
(Lacht laut). Nein, darauf warte ich noch.
Die Kanadier verehren zwar ihre Sportstars auch, aber sie machen nicht so viel
Aufhebens darum. Einer wie ich wird auf
der Strasse erkannt, meist freundlich angesprochen und vielleicht um ein Autogramm gebeten. 2008 besuchte ich mit
zwei meiner Enkel ein Spiel in Pittsburgh. Da fragte mich plötzlich jemand,
Am Klima kann es also nicht liegen, dass
Sie und Ihre Frau Ihren Lebensabend gerade in der Schweiz verbringen.
Von Ruhestand kann keine Rede sein.
2008 habe ich mich in Übersee vom Coaching im American Football zurückgezogen, blieb aber beratend aktiv. Ein
Freund erzählte mir dann, dass in Zürich
bei den Renegades ein Job frei werde.
Diese Herausforderung reizte mich irgendwie. So bin ich als Trainer dem Ruf
der Berge gefolgt.
Kinder wie Profis behandelt, mit Fernsehauftritten und vielem mehr. In Amerika wirst du einfach in diese Welt hineingeboren, es ist von der ersten Minute
an Teil deines Lebens. In den Schulen ist
Sport genauso wichtig wie Mathematik.
Da geht es bei den Zürich Renegades in
Sachen Medien ja beschaulicher zu und
her. Was für ein Team haben Sie angetroffen, als Sie es 2011 übernahmen?
Die Spieler waren willig (lächelt). Mir
war natürlich klar, dass mich in der
Schweiz eine völlig neue Aufgabe erwartete. Als ich kam, waren die Renegades
im Umbruch. Der langjährige Coach
Chris Winter hörte auf, mit ihm auch viele Spieler. Ich musste quasi bei null anfangen. Neue Spieler mussten her und
zuerst auf ein wettkampftaugliches
Niveau gebracht werden. Dieser Prozess
dauert immer noch an. Mit den Aktiven
auf und neben dem Feld bin ich aber sehr
zufrieden. Bei den Renegades spürt man
die Freude aller Beteiligten, sie sind alle
mit viel Spass dabei. Ich selber müsste
mich schon umgewöhnen. Die meisten
«American Football
ist mein Lebenselixier – und
meine Lebensversicherung»
Teams in Europa haben einen Headcoach plus zwei Assistenten, mehr nicht.
In Übersee hast du unglaublich viele
Hilfsmittel und Trainer. Dazu ist die
Arbeitsintensität hierzulande viel kleiner. In den USA gehst du in die Schule
oder zur Arbeit, dann ins Training, am
Abend machst du noch Hausaufgaben
oder erledigst andere Tätigkeiten. In der
Schweiz arbeiten die Leute – und gehen
dann in die Ferien. Sport kommt bei vielen erst an dritter oder vierter Stelle.
Sie sind 73. In diesem Alter entdecken viele Rentner die Welt, spielen Golf, geniessen das Leben. Aber Sie coachen einen
American-Football-Verein in Zürich. Warum tun Sie sich das alles noch an?
American Football ist mein Lebenselixier – und auch meine Lebensversicherung. Zwei Beispiele: Ein früherer Coach
in Alabama hat mit 76 aufgehört und ist
ein paar Monate später gestorben. Ein
anderer Kollege zog sich mit 84 zurück
«and pushed up the dirt», wie wir Amerikaner sagen, er hat auch nicht mehr
lange gelebt. Stellen Sie sich vor, ich würde jetzt aufhören ... (lächelt verschmitzt).
Ich merke, Sie sind und bleiben rastlos.
Was sagt eigentlich Ihre Frau Sharon
dazu, dass Sie Tag und Nacht nur American Football im Kopf haben?
Sie denkt mit (lacht). Im Ernst: Ich bin
der glücklichste Mensch auf Erden. Mit
Sharon habe ich das ganz grosse Los gezogen. Sie hat mir tolle Kinder geschenkt, sie ist die wunderbarste Frau auf
der Welt – und sie hat genau gleich viel
Ahnung von Football wie ich. Ich könnte sie als Assistenzcoach einstellen. Sharon reist gerne. Wenn ich wieder einmal
endlos über Spielzüge brüte, dann besucht sie Kulturveranstaltungen, verbringt Zeit am Comersee oder fährt mit
den Enkeln nach Mailand. Gemeinsam
möchten wir mal Paris besuchen oder andere europäische Städte wie München.
Ich würde auch auf dem Mond spazieren
gehen, wenn man mich in eine Rakete
setzen würde. Aber das wünsche ich mir
gar nicht.
Wir wünschen Ihnen natürlich noch ein
langes und erfülltes Leben. Die Arbeit
macht Ihnen ja anscheinend auch immer
noch Spass.
Und wie. Ich darf sagen, dass ich mir in
den 50 Jahren, in denen ich als Trainer
arbeite, viel Wissen angeeignet habe,
dass ich an hungrige Spieler weitergeben
kann, egal ob in Kanada oder in Zürich.
Ich bin zwar schon ein wenig älter, aber
noch lange nicht hirntot (lacht).
Wie kamen Sie zum American Football?
Ich spielte bereits in der High School auf
den Positionen des Quarterbacks, Safetys und Linebackers. Während meines
Unistudiums in Cincinnati, Ohio, traf ich
DAVID RITCHIE
Geburtsdatum: 3. September 1938
Wohnort: Kloten
Zivilstand: Verheiratet
Wie Dave zum
Hurrikan wurde
Sportlicher Werdegang: seit 1961
Head- und Defensecoach; 1962 bis
1969 in Militärschulen; 1969 bis 1983
Universitätsteams; 1983 bis 2008 in
der Canadian Football League (CFL)
mit den Montreal Alouettes, British
Columbia Lions, Winipeg Blue Bombers und Ottawa Rough Riders,
Grösste Erfolge: Dreimal Sieger des
Grey Cup; 1990 Winnipeg Blue Bombers, 1994 und 2006 British Columbia
Lions; 2001 Finalist mit den Winnipeg
Blue Bombers. Fünf «Hall of Fame»Nominierungen. 2001 Trainer des Jahres in der CFL, weitere siebenmal dafür nominiert. «Coach of the Year» in
US-Universitäts- und Militärligen.
Wie so viele Amerikaner hat David
Ritchie auch einen Spitznamen. Der
73-Jährige wird von Verwandten,
Freunden und Fans «Hurricane» gerufen. Das hat nichts damit zu tun,
dass Ritchie ein überschäumendes
Temparament hat. Er wurde am 3.
September 1938 im US-Bundestaat
Massachusetts geboren. Genau eine
Woche später fegte der bis heute
stärkste, schadensreichste und am
meisten Opfer verursachende Hurrikan in der Geschichte Neuenglands über die US-Ostküste. Gegen
800 Menschen wurden getötet, mehr
als 57 000 Häuser zerstört. Und
klein Dave hatte von da an seinen
Spitznamen weg. (rce)
mees, ob ich jetzt in der berühmten National Football League oder der CFL tätig bin. Die Arbeit ist dieselbe.
Mit Kanada verbinden wir vor allem
Sportarten wie Eishockey, Curling, Ski alpin und Freestyle, es gibt bekannte Leichtathleten und Formel-1-Piloten. Welchen
Stellenwert hat der Football?
Eishockey ist klar die Sportart Nummer eins. Aber dann kommt schon der
Football. Die Spielstätten sind genau so
gross wie in den Vereinigten Staaten. In
Montreal werden die Spiele im Olympiastadion von 1976 ausgetragen. In der
Provinz Saskatchewan ist es gegen Ende
der Saison meistens saukalt. Aber ähn-
tummeln, in der kanadischen Liga
schwer, sie wären zu wenig beweglich, zu
wenig schnell auf der grösseren Fläche.
Generell kann gesagt werden, dass Spieler, die in der CFL eine grosse Nummer
sind, auch in der NFL mithalten oder gar
Karriere machen können, umgekehrt
aber eher selten. Ein gutes Beispiel ist
die Person von Warren Moon. Als sein
Stern aufging, waren dunkelhäutige
Quarterbacks in der NFL kein Thema,
ein trauriges Kapitel. Moon gewann
dann mit den Edmonton Eskimos in der
Canadian Football League zwischen
1978 und 1983 fünfmal in Folge den Grey
Cup. Nachher durfte er endlich auch in
der NFL spielen und wurde 2006 in die
ob ich Dave Ritchie sei. Er kam aus Toronto. So etwas macht einen natürlich
schon ein wenig stolz.
Erzählen Sie uns doch einmal ein wenig
von der Sportverrücktheit in Nordamerika. Wie muss man sich das vorstellen?
Einer meiner Enkel ist neun Jahre alt, ein
anderer elf. Der eine spielt American
Football, der andere Basketball. Beiden
gemeinsam ist, dass sie in diesem Alter
bereits neun Trainer haben, die sich um
sie kümmern. Der kleine Footballer erhielt dann eine Einladung an das sogenannte «Snoop Dog Game,», das ist eine
Jugendliga, die vom gleichnamigen Rapper gegründet wurde. Dort wurden die