Es ist alles eitel - Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben

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Es ist alles eitel - Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben
LITERATURECKE
„Es ist alles eitel“
Andreas Gryphius (1616-1664) und das Sonett über die „Vanitas“
as Wort „Barock“ leitet sich aus dem Portugiesischen ab: barroco
= schiefrunde Perle; im
italienischen bezeichnet
der Ausdruck „baroco“
übertriebene, verzerrte
Erscheinungen des Lebens und der Kunst und
wurde erst im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in
Bezug auf die bildende Kunst des
17. Jahrhunderts gebraucht. Aus klassizistischer Sehweise hatte es einen abschätzigen Sinn. In die Wissenschaft führte
Jakob Burckhardt (1818 - 1897) „Barock“ als Stilbegriff ein. Nach Ansicht des
Literaturwissenschaftlers Richard Alewyn sind die ersten Jahrzehnte des 17.
Jahrhunderts als „vorbarocker Klassizismus“ zu bezeichnen. Sie bilden den
Auftakt für das eigentliche Barock, das
über die verschiedenen Ausprägungen
der Kunst bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts reicht.
D
Reformation
Zwischen dem Zeitalter der Reformation
und der Epoche der Aufklärung ist die
Epoche des Barock anzusiedeln, die umschreibbar ist nach dem Zitat des Historikers Cysarz: „Barock ist in deutscher
Neuzeit der erste, nicht zur
Synthese vordringende,
Widerstreit zwischen Altertum und Christentum“.
Dabei wird ein Punkt
der cluniazensischen Reform des 11. Jahrhunderts übernommen: Das
„Memento mori“ (Gedenke
des Todes).
Das Zeitalter war politisch durch
den Dreißigjährigen Krieg bestimmt. Pessimismus, Todesangst und Lebenshunger
haben in dieser Epoche eine ihrer Wurzeln.
Das Gemetzel währte von 1618 - 1648;
der Religionskrieg, den die Kaiserlichen als
katholische Macht gegen die nordischen
Lande und Mächte führten, verwüstete
weite Teile Deutschlands. Etwa ein Drittel
der deutschen Bevölkerung starb infolge
der direkten Einwirkung des Kriegsgeschehens oder an den Nachwirkungen
durch Hungersnot, Plagen und Seuchen.
Das Gefühl der politischen Zusammengehörigkeit trat hinter dem der konfessionellen zurück; durch die zahlreichen ausländischen Truppen und Einflüsse wurde
man sich der Überfremdung bewusst; nur
gelegentlich fand man nationale Ansprache
wie bei Moscherosch, Logau, Lauremberg und Rist.
Vom weltanschaulichen Gesichtspunkt
her ist das Barock auch Kunst der
Gegenreformation genannt worden. Die
Werke des Barock sind an den prachtvoll
ausgeführten, aber streng definierten
Formen zu erkennen. Dies betrifft sowohl die Baukunst als auch die Musik
und im Besonderen die Poesie. In die
vorbarocke Zeit fielen die Reformen des
Dichters und Meisterpoeten Martin
Opitz (1597 - 1639) mit den Werken:
„Teutsche Poemata“ (1624) als Anthologie
und „Buch von der deutschen Poeterei“.
Dieses letzte Buch wurde von der literarischen Welt sozusagen absorbiert und
fand Beachtung bis tief in das 18. Jahrhundert. Es wurde damit für die Literatur ein
strenges Regelwerk geschaffen, dessen
Regeln und Grundsätze auf lange Zeit
hindurch Einfluss auf die deutsche Dichtung fanden.
Poesie
Ein Sonett besteht von seiner Form her aus
14 metrisch gegliederten Verszeilen, die
in vier kurze Strophen eingeteilt sind:
zwei vierzeilige Quartette oder Quartinen und zwei sich daran anschließende
dreizeilige Terzette oder Terzinen. Die
Zeilen (Verse) des Sonetts sind elfsilbig mit
meist weiblicher Kadenz. Dem entspricht
im Deutschen der jambische Pentameter,
LEBENSLAUF
Andreas Gryphius (eigentlich Greif) wurde als jüngster Sohn des
Glogauer Archidiakons Paul Gryphius und der Anna Erhard am
2. Oktober 1616 in Glogau (Glogów, Polen) geboren. Sein Vater
starb am 5. Januar 1621. Die Mutter heiratete Michael Eder, der
nach der Vertreibung aus Glogau Pfarrer in Driebitz wurde und
1631 nach Fraustadt (heute Wschowa, Polen) zog; er blieb am
Gymnasium in Glogau bis 1628. Am 21. März 1628 starb seine
Mutter. Nach Unterricht beim Stiefvater besuchte er bis 1634 das
Gymnasium in Fraustadt. Im Jahre 1633 schuf er: „Herodis Furiae,
et Rachelis lacrimae“ [Der Zorn des Herodes und die Tränen der
Rachel]. 1634 - 1636 studierte er am Akademischen Gymnasium
zu Danzig, wo er Martin Opitz (1597 - 1639) kennenlernte. Als
Hauslehrer ging er auf das Gut der Familie Georg Schönborners,
Ritters von Schönborn nach Freystadt. Der Ort brannte im Juli
1637 nieder; Gryphius schildert dies in der Schrift „Fewrige Freystadt“ [Feuriges Freistadt]. Sein Lohn bestand in der Dichter-
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Humanes Leben · Humanes Sterben 1/2007
krönung und Ernennung zum Magister. 1638 begleitete er zwei
Söhne Schönborners an die Universität zu Leyden, wo er
selbst bis 1644 studierte. 1639 wurden dort die „Son- und
Feyrtags Sonnete“ herausgegeben. Mit Wilhelm Schlegel ging er
auf Reisen nach Frankreich und Italien. Im Mai 1647 vollendete er
sein erstes Trauerspiel „Leo Arminius“. Im November des Jahres
1647 kehrte er nach Fraustadt zurück. Dort heiratete er am 12. Januar 1649 Rosina Deutschländer, mit der er vier Söhne und drei
Töchter hatte. Vier verstarben in frühen Kindesjahren, die
Tochter Rosina erkrankte im Alter von fünf Jahren und blieb körperlich und geistig unheilbar. Er nahm das ihm angebotene Amt
des Syndikus der Landstände des Fürstentums Glogau an.
1662 wurde Gryphius durch Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar in die „Fruchtbringende Gesellschaft“ aufgenommen.
Gryphius starb am 16. Juli 1664 während einer Sitzung der Landstände.
Im ersten Quartett wird Bau und Abriss
von Wohnstätten im materiellen Rahmen
behandelt, im zweiten Quartett das Werden
und Vergehen des Menschen. Die Conclusio bringt zu Tage, dass aller Ruhm des
Menschen schnell vergeht und ohne Gedächtnis bleibt.
Nichts ist beständig
Das Reimschema des Sonetts: abba - abba - cdc - dcd oder abba - cddc - eef - ggf
dessen Kadenz weiblich (11 Silben) oder
männlich (10 Silben) sein kann. Das bevorzugte Versmaß war der Alexandriner,
ein sechshebiger Vers mit »Diärese«, einer
Zäsur in der Mitte.
Die inhaltliche Struktur ist vorgegeben
mit der „These“ im 1. Quartett, der
„Antithese“ im 2. Quartett und der „Synthese“ in den Terzetten
Bedeutende deutsche Sonettdichter
waren Georg Rudolf Weckherlin (1584 1653) und Martin Opitz (1597 - 1639).
Andreas Gryphius lernte Opitz als Neunzehnjähriger beim Studium in Danzig
kennen, wo sich Opitz in diplomatischen
Diensten für die Schlesischen Herzöge
aufhielt. Die Anleitung aus Opitz Werken war für Gryphius die alleinige Richtschnur seines lyrischen Schaffens, er entnahm dem Werk Wortgebung und Bildsprache. Er vereinte im weiteren Wirken
das Sonett mit den Zielen religiöser
Dichtung und verarbeitete die Schrecken
des Dreißigjährigen Krieges.
Aussagekraft
So erhielt das Sonett eine beispielhafte
eigenständige aussagekräftige Form. Den
alternierenden Wechsel von Hebung und
Senkung hat er vor Eintönigkeit bewahrt,
indem er Spannung und Gegenläufigkeit
zwischen Metrum und Rhythmus wirksam werden ließ. Erregung drang ein in den
gleichmäßigen Ablauf der vorgegebenen
Schemata, ebenso Stauung, wenn er seine
„Zentnerworte“ aneinanderreihte.
Mit der Ekstase der flammenden Rede
verbanden sich Genauigkeit in der Auslegung der Thesis und strenge Konsequenz in
der Hinführung zur Synthese. Krieg, Not
und Tod haben dem Zwanzigjährigen die
Nichtigkeit alles Irdischen vor Augen geführt: „Ich seh, wohin ich seh, nur Eitelkeit
auf Erden.“ Diesem Sonett seiner ersten
Gedichtsammlung, das mit dieser Zeile
beginnt, gab er die Überschrift: „Vanitas,
vanitatum, et omnia vanitas“.
Das Wort des Predigers Salomo „Es ist
alles ganz eitel“ (Kap. 1, Vers 2.) hat ihn auf
seinem Lebensweg begleitet. Schon nach
wenigen Jahren änderte er den Beginn
jenes Sonetts in die Anrede „Du siehst, wohin du siehst ...“ Von diesem Zeitpunkt an
blieb er der Mahner.
Die metrische Form dieses Gedichts
als sechshebiger Jambus mit Mittelzäsur
entspricht mit ihrer Zweiteilung dem
Entstehen und Vergehen, Versmaß und
Inhalt bilden in jeder Zeile das Thema in
eindringlichen Worten ab. In einigen Zeilen
wird durch die Wortwahl dieses Schema
und damit dessen Monotonie durchbrochen. Gryphius brennt ein Feuerwerk
stark gewählter Beispiele ab, das unmittelbar durch die Bildersprache auf
den Leser einwirken soll.
Gryphius redet den dem Materiellen zugewandten Menschen ins Gewissen, indem er aufzeigt, dass nichts von Bestand
sein kann: wie schnell ist der vergessen, den
im Leben jedermann bewunderte. Macht
wird von Macht verschlungen, Königreiche
zerfallen. Wissenschaft enthüllt sich als
Wahn, Schönheit ist im Erblühen dem
Verfall preisgegeben. Glück schlägt jäh in
Unglück um, Freude verwandelt sich in
Trauer. Der Tod, das Vergehen, dem niemand entrinnt, macht alle gleich. Beständig
ist allein die Unbeständigkeit. Es gibt eine
nette umgangssprachliche Analogie zu
diesem Thema: „Das letzte Hemd hat
keine Taschen!“ Vergeblich wird man
versuchen, über sein leibliches Ende hinaus
etwas ins Jenseits mitzunehmen.
Das Sonett „Menschliches Elende“ beginnt mit dem Vers: „Was sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer
Schmerzen!“; es endet mit „Was sag ich?
wir vergehn wie Rauch von starcken
Winden.“ So hat Gryphius von seinen
körperlichen Leiden im Gedicht gesprochen, aber diese Bilder enthalten kein
Selbstmitleid. Als ein „Ecce Homo“ (Sehet
diesen Menschen) zeigen sie den von der
Physis gebundenen Menschen, umringt
von Qualen. Die Eitelkeit des Irdischen gewinnt ihre eindringlichste Wirklichkeit im
Todeskampf des sich an das fliehende Leben klammernden Kranken; ihre schrekklichste Gestalt ist der verwesende Leichnam. Eindringlich wird dieses Thema in
den „Kirchhofgedanken“ in 50 achtzeiligen
Strophen abgehandelt.
Albert Gehlen
Als Hörbuch ist erhältlich in der
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Andreas Gryphius: Gedanken über den
Kirchhof …
und andere Gedichte (75…55 Minuten)
1 CD, € 7,75
Beiheft mit 24 Seiten
ISBN: 3-939682-29-2
Humanes Leben · Humanes Sterben 1/2007
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