Karate dô und Kata
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Karate dô und Kata
Karate dô und Kata Karate dô, der Weg der leeren Hand, ist heute Sport, Selbstverteidigung, Gymnastik, Lebensphilosophie... Entstanden in Okinawa, auf den Ryûkyû-Inseln südlich von Japan, wird Karate heute in der ganzen Welt praktiziert. Die wichtigsten Techniken sind Fußtritte, Fauststöße und Blocks. Als traditionelle waffenlose Kampfdisziplin sucht Karate die Effektivität im Kampf, bezeichnet aber auch die Suche nach einer ethischen Lebensart durch die ständige Verbesserung des eigenen Charakters. Die Tradition will, dass Karate nie mit einem Angriff beginnt. Dieses Prinzip wird ständig praktiziert. Bei den meisten vorgegebenen Partnerübungen wird der Angreifer besiegt, und alle Kata beginnen mit einer Abwehrtechnik. Übersetzt heißt Kata „Form“ und bezeichnet die ästhetische Darstellung von festgelegten Bewegungsabläufen einer Disziplin. In der japanischen Kultur sind Kata in allen Bereichen zu finden, auch in der Kunst. Beim Karate gibt es verschiedene Stilrichtungen. Die verbreitetsten sind: Shôtôkan, Gôjû-ryû, Wadô-ryû, Shôrin-ryû und Shitô-ryû. Shôtôkan-Karate wurde von Gichin Funakoshi (1868 – 1957), auch bekannt als Vater des modernen Karate, gegründet. Funakoshi lehrte in seiner Schule die fünfzehn klassischen Okinawa-Kata: die fünf Heian, die drei Tekki, Bassai dai, Jion, Kankû dai, Empi, Hangetsu, Jitte und Gankaku. Danach kamen noch weitere elf Kata dazu: Bassai shô, Kankû shô, Chinte, Ji‘in, Nijû shi ho, Sôchin, Unsu, die zwei Gojû shi ho, Wankan und Meikyô. Das sind die sechsundzwanzig Shôtôkan-Kata. Zusätzlich gibt es noch drei „Taikyoku“ und die „Ten no kata“ (KampfKata), entwickelt von Funakoshis Sohn, Yoshitaka. Von diesen Kata wird heute jedoch nur die erste Taikyoku praktiziert. 8 Karate dô und Kata Die Namen der Shôtôkan-Kata wurden von Gichin Funakoshi ins Japanische umgeändert, denn die ersten Bezeichnungen waren eine Mischung aus den ursprünglich chinesischen Namen und aus dem Dialekt von Okinawa. Die chinesische Herkunft des Karate wird u. a. auch durch die ursprüngliche Bezeichnung „Tôde“ (chinesische Hand) unterstrichen. Später (Ende der zwanziger Jahre) änderte Gichin Funakoshi das Schriftzeichen „Tô“ (China) in „Kara“ (leer) um. Der traditionelle Aspekt des Karate dô wird uns vor allem durch die Kata vermittelt. In ihr sind auch noch die unterschiedlichen Karate-Stilrichtungen zu erkennen, während es im Kumite keine derartigen Unterschiede mehr gibt. Auf Okinawa ist Karate hauptsächlich in drei Dörfern entstanden, deren Namen die Bezeichnungen des Karate auf der Insel ergeben haben: Shuri te, Tomari te und Naha te (zusammen Okinawa te). Zu Shuri te gehören Gojû shi ho, Chinte und Bassai (die evtl. auch in Tomari te entstand). Empi, Jion, Ji‘in, Jitte, Wankan und Gankaku werden Tomari te zugeordnet, während Hangetsu zu Naha te gehört. Gichin Funakoshi teilte die Kata in zwei Gruppen ein: Shôrin (gekennzeichnet durch Leichtigkeit und Schnelligkeit) und Shôrei (kraftvoll). Zu der Shôrin-Stilrichtung zählen die Kata Taikyoku, Heian, Bassai, Kankû, Empi, Gankaku. Zu der ShôreiStilrichtung gehören Tekki, Jitte, Jion und Hangetsu. Kata ist auch Kampf. Ein Kampf gegen mehrere imaginäre Gegner, die aus diversen Richtungen angreifen. Ein sehr wichtiger Aspekt der Kata ist das Erlernen von teilweise ungewöhnlichen Abwehr-, Angriffs- und Nahkampftechniken, die zwar nicht im Wettkampfbereich angewendet werden, jedoch in der Selbstverteidigung vielfältige Einsatzmöglichkeiten finden. 9 Karate dô und Kata Für viele Karateka zählt die Kata leider nur zum „Pflichtprogramm“. Dabei kann sie immer interessant bleiben und dadurch eine eigene, besondere Schönheit entwickeln. Die Vielfältigkeit und der Lerneffekt einer Kata werden häufig unterschätzt, da viele Aspekte, die sie beinhaltet, nur selten geübt werden. Um eine Kata richtig zu üben, sollte man folgende Punkte berücksichtigen: – Die Kata beginnt und endet immer auf demselben Punkt des Enbusen. – Der Blick muss immer den imaginären Gegner erfassen. Besonders beim Richtungswechsel gilt: Erst Blick, dann Technik. – Jede Kata hat ihren eigenen Rhythmus, der die Kata charakterisiert und teilweise die Ausführung der Techniken beeinflusst. Beispiele für extrem unterschiedliche Rhythmen sind etwa Bassai dai (kraftvoll/stabil), Empi (leicht/dynamisch) und Hangetsu (spannungsvoll/statisch). – Die richtige Atmung ermöglicht das maximale Kime in der Ausführung der Techniken und unterstützt den Kata-Rhythmus. – Um Schwerpunkte zu setzen, muss der Kiai bei den dafür vorgesehenen Techniken erfolgen. – Kenntnisse des „Bunkai“, der Anwendung der Techniken, sind die Voraussetzung für eine gute Kata. Erst dadurch kann sich aus dem reinen Ablauf von diversen Techniken eine Kata entwickeln, mit Bewegungen, welche eine praktische Umsetzung der Techniken in Kampf- oder Selbstverteidigungssituationen ermöglichen. – Der Begriff „Uke“ bedeutet Verteidigung und ist nicht nur eine reine Abwehrtechnik. Mit ihr kann, wenn sie dementsprechend ausgeführt wird, auch eine Kampfsituation beendet werden. 10 Karate dô und Kata – Bei „Oi komi“ (Hineintreiben) sollte darauf geachtet werden, dass die Verteidigung gleichzeitig einen Angriff darstellt. Die Technik muss entsprechend konsequent ausgeführt werden. – Das ständige Wiederholen der einzelnen Kata ist natürlich wichtig, um Techniken, Schemen und Rhythmen zu verinnerlichen und dadurch die Fähigkeit zu erlangen, sich mit den tieferen Aspekten zu beschäftigen. – Ein „offener Geist“ sollte uns vor der Eingefahrenheit und Unflexibilität bewahren, Kata und Kumite nur in der „typischen“ Art zu üben. Erst das Experimentieren mit anderen Möglichkeiten eröffnet uns Wege, die wir sonst nie kennen lernen werden. „Kata hitotsu sannen“ – um eine Kata zu lernen, braucht man drei Jahre. Dieser japanische Spruch macht uns klar, wie anspruchsvoll eine Kata ist und wie viel Zeit und Herz wir investieren sollten, um eine Kata wahrhaft zu erlernen. 11