Neues Leben auf alten Wracks (Seiten 6-15)

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Neues Leben auf alten Wracks (Seiten 6-15)
Den Riffen der Welt geht es schlecht. Versenkte Schiffe,
U-Bahn-Waggons und Betoniglus sollen ihnen wieder auf
die Beine helfen, indem sie Korallenbewohnern neuen
Lebensraum bieten. Die Resultate dieser Bemühungen sind
durchzogen – lassen aber hoffen.
Text: Katharina Schöbi
E
s ist der 17. Mai 2006. Ruhig
liegt der amerikanische Flugzeugträger USS Oriskany vor
der Küste Floridas. Die Sprengladungen sind gezündet, vereinzelt steigen grau-schwarze Rauchschwaden aus
dem Rumpf des Kriegsschiffes auf. Am
blauen Himmel kreist ein Helikopter,
Fotos werden geschossen. Der Untergang
der USS Oriskany wurde sorgfältig geplant. Im Jahr 1975 wurde sie ausrangiert, jetzt soll sie ihre letzte Ruhestätte
finden. Nach etwas mehr als einer halben
Stunde ist vom rund 270 Meter langen
Schiff nichts mehr zu sehen. Nur ein
riesiger weisser Blasenteppich lässt erahnen, wo es untergegangen ist.
Was wie illegale Abfallentsorgung aussieht, wird staatlich gefördert. Die USS
Oriskany soll – wie unzählige andere ausrangierte Schiffe, U-Bahn-Wagen oder
Betonmodule – als künstliches Korallenriff mehr Leben in die Unterwasserwelt
bringen, denn den natürlichen Riffen
geht es immer schlechter.
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Korallenriffe sind die grössten von Lebewesen geschaffenen Bauwerke der Erde.
Das längste aller Riffe ist das 2300 Kilometer lange Great Barrier Reef vor der
Nordostküste Australiens. In jahrhundertelanger Arbeit haben die Korallen das
Riff aus Kalk aufgebaut, den sie als schützendes Skelett ausscheiden. Die Korallenpolypen leben in Symbiose mit einzelligen Algen, sogenannten Zooxanthellen,
die im Inneren der Korallen leben und
Fotosynthese betreiben. Den daraus gewonnenen Sauerstoff und Zucker geben
die Algen den Korallen und erhalten von
diesen im Gegenzug Nährstoffe. Auch die
leuchtenden Farben der Korallen kommen durch die Zooxanthellen zustande –
ohne die Algen wären die Polypen weiss.
Korallenriffe sind regelrechte Unterwasserparadiese, in denen zahlreiche
Tiere und Pflanzen leben. So siedeln sich
zwischen den Korallenstöcken Moostierchen, Röhrenwürmer und Muscheln
an, die ebenfalls Kalk ausscheiden und
so zum Aufbau des Riffs beitragen. Zwi-
Künstliche Riffe NATUR
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NATUR Künstliche Riffe
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Ob alte Wracks oder Betonkegel:
Nach wenigen Jahren sind die Fremdkörper
von Meereslebewesen besiedelt
Foto: Reef Ball Foundation
Künstliche Riffe NATUR
Ebenfalls zu schaffen macht ihnen
der hohe Eintrag von Düngemitteln. Die
Chemikalien schwächen einerseits das
Immunsystem der Tiere und machen sie
so anfälliger für Krankheiten, anderseits
führen sie zu einem stärkeren Algenwachstum. Dadurch werden die Zooxanthellen vom Sonnenlicht abgeschirmt,
können keine Fotosynthese mehr betreiben und ihre Wirte nicht mehr mit Nährstoffen versorgen.
Fischen mit Dynamit
schen den verzweigten Korallenästen
finden junge Fische und kleinere Tiere
wie Krebse Schutz vor Feinden.
Riffe dienen jedoch nicht nur als
Lebensraum, sondern verhindern als
Wellenbrecher auch eine zu starke Erosion der Küsten. Seit einigen Jahrzehnten
allerdings leiden die empfindlichen Ökosysteme stark unter dem Klimawandel,
den Düngemitteln, der Fischerei und dem
Tourismus. Mehr als 60 Prozent aller
Riffe sind bereits beschädigt. Dadurch
wird die Artenvielfalt stark reduziert,
denn das Absterben der Korallen führt
über kurz oder lang unweigerlich zum
Tod der anderen Lebewesen im Riff.
Landwirtschaft
zerstört Korallen
Für Korallen sind Wassertemperaturen
zwischen 18 und 30 Grad optimal. Bei
höheren Temperaturen, wie sie heute
wegen des Klimawandels vermehrt vorkommen, stossen die Polypen die Zooxanthellen ab und bleichen aus. Bleibt
die Wassertemperatur über längere Zeit
erhöht, sterben die Korallen.
Nicht unterschätzt werden dürfen auch
die Auswirkungen der Fischerei. Bei der
Schleppnetzfischerei etwa werden die
Riffe durch die Netze beschädigt, die über
den Meeresboden geschleift werden.
Noch verheerender ist die Dynamitfischerei, bei der Sprengstoff ins Wasser geworfen und dann gezündet wird, woraufhin
die Fische an die Wasseroberfläche treiben und nur noch abgeschöpft werden
müssen. Dabei werden aber nicht nur
Fische getötet, sondern auch zahlreiche
andere Tiere und Pflanzen. Und natürlich
bleiben auch die Korallen nicht verschont.
Der Tourismus setzt den Korallenriffen ebenfalls stark zu. So werden zum
Beispiel Schneisen in die Korallenriffe gesprengt, damit die Touristenboote durchfahren können, und wenn die Schiffe ihre
Anker auswerfen, werden die Riffe ebenfalls stark beschädigt. Doch damit nicht
genug: Touristen brechen oft Korallenzweige ab, um sie als Souvenir mit nach
Hause zu nehmen. Da die Fische ausserdem mit Futter angelockt werden, haben
sie keinen Hunger und fressen die auf den
Korallen wachsenden Algen nicht mehr.
Ein zu starker Algenbewuchs verhindert
allerdings die Fotosynthese der Zooxanthellen, was wiederum das Überleben
der Korallen gefährdet.
Legale Mülldeponie im Meer
Seit Jahrzehnten werden künstliche Riffe
gebaut, um der Unterwasserwelt wieder
auf die Beine zu helfen – und damit nicht
zuletzt auch um den Tourismus zu fördern und den Hobbyfischern neue Angelmöglichkeiten zu bieten. Laut Jeffrey
Tinsman, dem Koordinator des Projekts
für künstliche Riffe des Delaware Department of Natural Resources in Dover, wurNatürlich | 8-2007 9
NATUR Künstliche Riffe
den zum Beispiel vor den Küsten der USStaaten Delaware, New Jersey, Georgia,
South Carolina und Virginia bereits 1269
ausrangierte U-Bahn-Wagen im Atlantik
versenkt; vor der Küste Delawares liegen
zudem acht und vor New Jersey mehr
als 130 Schiffe. In den nächsten zehn
Jahren würden rund 2450 weitere UBahn-Wagen folgen.
«In diesen Gebieten gibt es nur sehr
wenige Felsen», erklärt Tinsman. Gerade
harte Materialien aber seien für Austern,
Miesmuscheln und andere Wirbellose
sehr wichtig. Diese wiederum seien die
Nahrungsgrundlage für viele Fischarten.
Tinsman betont jedoch, dass die ausrangierten Fahrzeuge in Delaware nur an
ganz bestimmten Stellen versenkt würden, die weniger als ein Prozent der an
den Bundesstaat angrenzenden Meeresbodenfläche ausmachten. «Wir greifen
auf einer sehr kleinen Fläche ein, um eine
karge, verarmte Tierwelt in eine reiche
und vielfältige Fauna zu verwandeln»,
sagt er.
Am Rost
scheiden sich die Geister
Die Deponierung der ausrangierten UBahn-Wagen und Schiffe geht laut Tinsman nicht auf Kosten des Umweltschutzes: «Wir beurteilen zusammen mit
den Armeeingenieuren und dem Küstenschutz jedes Fahrzeug nach seiner Stabilität, Haltbarkeit und Giftigkeit.»
Bevor eines versenkt werde, werde es
gereinigt und die Fahrgestelle, Türen
und Fenster würden entfernt, ebenso
die Kältemittel aus den Klimaanlagen,
die Transformatoren, Schilder, Vinylsitze
und Glasfaserteile. «Zurück bleibt ein
18 Tonnen schweres Gehäuse mit vielen
Öffnungen, durch die das Wasser strömen kann und die Fische schwimmen
können», sagt Tinsman.
Künftig sollen zudem nur rostfreie
Stahlwaggons ohne Farbanstriche oder
andere Beschichtungen als künstliche
Riffe eingesetzt werden. Dies, obwohl
rostende Metalle für die Tiere kein Problem seien, wie man an den Hunderten
von Schiffswracks aus dem Zweiten Weltkrieg sehen könne. Im Allgemeinen
würden sich Wirbellose leicht an Stahlgerüste anlagern und in der Folge das
Rosten des unter ihnen liegenden Stahls
verlangsamen.
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Korallenpracht:
Im Meer versenkte U-Bahn-Wagons
sollen die Artenvielfalt
erhalten helfen
Helmut Schuhmacher, emeritierter
Professor von der Universität DuisburgEssen, ist anderer Meinung. «Ich habe
viele Wracks auf ihre Besiedlung hin
untersucht, so etwa diejenigen beim Atoll
Chuuk im Pazifik, wo 1945 viele japanische Schiffe einem Luftangriff zum Opfer
fielen», berichtet der Biologe. Noch heute
kümmerten Korallen, wo der Rost ausblühe. Allgemein sei die Besiedlung spärlich und zudem nur dort erfolgt, wo Kalkalgen oder Muscheln eine vermittelnde
Kalkschicht ausgeschieden hätten.
Zwischen Kunst und Natur
Selbst wenn die Besiedlung (rostfreier)
künstlicher Riffe aber rasch und erfolgreich wäre: Könnten die Hartstrukturen
auch natürliche Riffgemeinschaften nachahmen? Dieser Frage ist Yehuda Benayahu von der Tel-Aviv-Universität nachgegangen. Zusammen mit seinen Mitarbeitern hat der Zoologe die Fauna eines
natürlichen Korallenriffs im Roten Meer
mit derjenigen auf einem mitten in diesem Riff liegenden Wrack eines Schiffes
verglichen, das bereits 1881 gesunken
war.
Die Wissenschafter stellten fest, dass
sich die untersuchten Artengemeinschaften unterscheiden, und zwar insbesondere dort, wo die Strukturen der beiden
Riffe voneinander abweichen. Laut Benayahu sind die räumliche Lage der Riffe
sowie deren Komplexität und Oberfläche
entscheidend. «Wenn sich diese Merkmale unterscheiden, werden künstliche
und natürliche Riffe immer unterschiedliche Artengemeinschaften aufweisen»,
betont der Forscher. Ein komplexes und
naturgetreu gestaltetes künstliches Riff
indes könne die Artenvielfalt auf diesem
– und womöglich sogar in der ganzen
Region – erhöhen.
Betoniglus für Nemo und
seine Freunde
Die Lebewesen können sich laut Jeffrey
Tinsman an den langlebigen Materialien
der künstlichen Riffe während Jahrhunderten anlagern. Und selbst wenn die
ausrangierten Fahrzeuge schliesslich vollständig zerstört oder begraben worden
seien, könne die entstandene Riffgemeinschaft weiterleben, meint er.
So verlockend diese Idee auch klingen
mag: Ökologen klagen, der Bau künstlicher Riffe sei lediglich eine billige Möglichkeit, Abfall zu entsorgen. Die ameri-
Künstliche Riffe NATUR
Letzte Ruhestätte
im Korallenriff
Um Sponsoren für die Errichtung der Reef
Balls zu finden, hat sich die amerikanische
Firma Eternal Reefs in Florida etwas ganz
Besonderes ausgedacht: Sie verkauft sogenannte Memorial Reefs, mit denen man
selbst nach seinem Ableben noch etwas für
die Unterwasserwelt tun kann. Nach dem
Tod wird die Asche des Verstorbenen mit
kanische Reef Ball Foundation hat daher
sogenannte Reef Balls entwickelt: hohle,
mit Löchern durchsetzte Betoniglus, die
als künstliche Riffe nicht nur Korallen,
sondern auch zahlreichen anderen Organismen als neue Lebensräume dienen sollen. Die Reef Ball Foundation hat laut
ihrem Vorsitzenden Todd Barber bisher in
mehr als 55 Ländern insgesamt mehr als
eine halbe Million Reef Balls versenkt.
Die Betoniglus sind in zehn verschiedenen Grössen erhältlich. Die kleinsten
sind weniger als 50 Zentimeter gross und
15 Kilogramm schwer, die grössten kommen mit mehr als 2 Meter Höhe auf ein
Gewicht von 3000 oder mehr Kilogramm.
Die Durchbrüche in den Betoniglus sind
verschieden gross, unterschiedlich geformt und unregelmässig angeordnet.
Dies sowie die raue Oberfläche mit vielen
Vertiefungen, welche die natürlichen Verhältnisse bestmöglich nachahmen, sollen
die Besiedlung der Reef Balls fördern.
Die Form der Betoniglus kann an den
jeweiligen Einsatz angepasst werden. So
Beton vermischt und mit diesem anschliessend ein Reef Ball konstruiert. Angehörige
dürfen ihre Handabdrücke oder auch eine
Nachricht auf dem sich härtenden Beton
hinterlassen; auf einer Bronzetafel werden
Name und Lebensdaten des Verstorbenen
men eingesetzt werden. Zwischen den
Pflanzen finden Fische einen geeigneten
Lebensraum und zudem stabilisieren die
Betontöpfe sowie später die Mangrovenwurzeln den Meeresboden und schützen
so vor Erosion.
eingraviert.
Ein künstliches Riff als letzte Ruhestätte
hat allerdings seinen Preis: Je nach Grösse
kostet es zwischen 3995 und 6495 Dollar,
ein Memorial Reef für Haustiere gibt es
für 695 Dollar. Für weitere 20 Dollar können
die Hinterbliebenen ein Dokument erstehen, auf dem die genaue Position des
Memorial Reefs vermerkt ist.
gibt es Reef Balls, die aussehen wie
Schichttorten und so einen besonders
stark verwinkelten Lebensraum darstellen. Andere sind zu kleinen Kugeln geformt, die – mit Erde und Dünger gefüllt
– zur Anpflanzung von Mangrovenbäu-
Der schnelle Einzug
der neuen Mieter
In Deutschland stellt die Firma MariLim
Reef Balls her. Im Jahr 2001 schuf MariLim vor Kiel das erste künstliche Riff in
der Ostsee aus zwölf Reef Balls. «Im
Küstenbereich der Ostsee ist Hartboden
eine sehr begehrte Ressource, weshalb
wir mit einer raschen Besiedlung rechneten», erklärt Stefan Krause von MariLim.
Dazu sollte auch der spezielle Beton beitragen, dessen pH-Wert im Gegensatz zu
demjenigen von unbehandeltem Beton
demjenigen des Meerwassers entspricht.
In der Tat erfolgte die Besiedlung
rasch: «Bereits eine Woche nach der Versenkung der Betoniglus hatten sich auf
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diesen grüner Darmtang sowie Borstenwürmer angesiedelt, und im Innern haben sich oft Gemeine Strandkrabben
aufgehalten», berichtet der Biologe. Nach
weiteren zwei Wochen seien junge Miesmuscheln und Seepocken gefunden worden. Auch zahlreiche Seesterne sowie
Seeskorpione seien beobachtet worden,
und Seescheiden hätten das Innere der
Betonkugeln besiedelt. Aber auch verschiedene Fischarten hätten die Hartstrukturen rasch als neuen Lebensraum
angenommen, sagt Krause.
Wellenbrecher
mit Turboeffekt
Werden Reef Balls als Wellenbrecher eingesetzt, wird nicht nur neuer Lebensraum
geschaffen, sondern gleich auch die Erosion der Küste abgeschwächt. Das welt12 Natürlich | 8-2007
weit grösste künstliche Riffsystem, das
als Wellenbrecher dient, wurde von Reefbeach, einer Tochtergruppe der Reef Ball
Foundation, geschaffen. Es besteht aus
1200 Betoniglus und liegt vor der karibischen Insel Maiden Island.
Nachdem die Reef Balls auf dem
Meeresgrund platziert worden waren,
wurden gezüchtete Jungkorallen in sie
eingepflanzt, um die Entwicklung des
künstlichen Riffs zu fördern. «Während
Riffe normalerweise mehrere hundert
Jahre benötigen, um sich zu entwickeln,
kann mit Hilfe der Korallenstecklinge
innerhalb weniger Jahre ein voll funktionierendes Korallenriff entstehen», erklärt
Todd Barber.
Um zusätzliche Komplexität und
Lebensraum für kleine Fische zu schaffen, wurden die Betoniglus teilweise mit
Steinen gefüllt. Offene Böden sollten
ausserdem gewährleisten, dass Seegraswiesen, die vielen Tieren als Kinderstube
dienen, auch in den Betonkonstrukten
wachsen konnten. In viele Reef Balls
wurden auch Rote Mangroven gepflanzt –
insgesamt mehr als 7000 Stück. Das Projekt vor Maiden Island war laut Reefbeach so erfolgreich, dass das neue Ökosystem möglicherweise sogar unter
Schutz gestellt wird.
Riffe nach dem
Fertighausprinzip
laut Michael Moore aus Jackson Wyoming – nicht zu verwechseln mit dem
gleichnamigen Regisseur – haben herkömmliche künstliche Riffe aus ausrangierten Fahrzeugen, Reifen oder Betonklötzen allerdings einen grossen Nachteil:
«Sie verwandeln sich oft in bizarre Unter-
Karibisches Experiment:
Vor der Insel Maiden Island
entsteht das bisher grösste
künstliche Riffsystem der Welt
Künstliche Riffe NATUR
Reef Balls in Schweizer Seen
Fotos: Reef Ball Foundation
Im September 2000 hat die Stiftung Project
Aware bei Wädenswil im Zürichsee zum ersten
Mal in Europa zwei Riffe im Süsswasser errichtet. Bereits nach zwei Tagen seien die ersten
Lebewesen auf den insgesamt 60 Betoniglus
beobachtet worden und innerhalb dreier
Monate sei der Beton vollständig bewachsen
gewesen, schreibt Project Aware in einem
Bericht aus dem Jahr 2002. Nach diesem Erfolg
wurden weitere Projekte im Langen-, Boden-,
Genfer- und Thunersee gestartet.
Aber: Im Zürichsee wurden die Betoniglus
Ende 2006 auf behördliche Anordnung hin
wieder entfernt. «Die Reef Balls wurden aus
dem See genommen, weil kein Gesuch für
eine Konzessionserneuerung mehr gestellt
wurde», sagt Christoph Noll vom Amt für
Abfall, Wasser, Energie und Luft Zürich. Ein
Tauchgang der Seepolizei habe zudem gezeigt, dass sich nicht wie erhofft eine schützenswerte Flora entwickelt habe.
wasserschandflecke von erstaunlicher
Dauerhaftigkeit», sagt der Biologe. Vor
allem für Ferienorte oder marine Schutzzonen mit klarem Wasser seien sie daher
eine schlechte Wahl.
2001 gründete Moore die Firma Eco
Reefs, die gleichnamige künstliche Hartstrukturen insbesondere zum Wiederaufbau beschädigter Korallenriffe herstellt.
Die Eco Reefs bestehen aus einzelnen
Modulen aus gebrannter und unglasierter
Keramik, die möglichst naturnah gestaltet sind: Ihre stachelige Struktur gleicht
Korallenästen, gerillte Oberflächen erzeugen kleine Turbulenzen, welche die
Strömung abbremsen und so die Stabilisierung des Sedimentes fördern, und
Mikroporen verbessern die Haftung der
Korallen.
Die einzelnen Module können zu
komplexen Riffsystemen zusammenge-
steckt werden, was die Besiedlung fördern soll. «Stark zerstörte Korallenriffe
brauchen 50 bis 100 Jahre oder noch länger, um sich zu erholen», sagt Moore. Mit
den Eco Reefs könne diese Zeit auf vielleicht 7 bis 15 Jahre verkürzt werden. Die
Beobachtungen des Biologen lassen tatsächlich hoffen: Bei einem Projekt in
Indonesien, bei dem Eco Reefs ein durch
Dynamit zerstörtes Riff aufbauen sollten,
wurden zwischen den künstlichen Strukturen bereits nach wenigen Monaten
verschiedene Fischarten und nach zwei
Jahren auch kleine Korallenkolonien beobachtet.
Dazu wird an beliebig geformten
Drahtgittern ein Gleichstrom angelegt,
der umweltfreundlich mit Fotovoltaikzellen oder Windgeneratoren erzeugt
werden kann. Durch den Strom werden
im Meerwasser gelöste Kalzium- und
Magnesiumionen an den Gittern abgeschieden und es entstehen harte Krusten,
die natürlichem Riffkalk sehr ähnlich
sind. «Unsere Versuchsmodule wurden
so in wenigen Monaten mit einer mehrere
Millimeter dicken Kalkkruste überzogen», berichtet Helmut Schuhmacher,
der sich seit 1985 mit Ercon beschäftigt.
Ein Riff steht unter Strom
Bei Misserfolg
einfach umpolen
Ein Nachteil der Eco Reefs und Reef Balls
ist allerdings, dass sie an Land produziert
und dann zum Einsatzort transportiert
werden müssen. Die künstlichen Riffe indes, die mit der vom deutschen Architekten Wolf Hilbertz in den 1970er-Jahren
entwickelten und von der meeresbiologischen Arbeitsgruppe der Universität
Duisburg-Essen verfeinerten Ercon-Technologie (Electrochemical Reef Construction) hergestellt werden, werden vor Ort
aufgebaut und in die jeweilige Unterwasserlandschaft eingepasst.
Da die ins Wasser ragenden Gitter gut
von Meerwasser durchströmt würden,
blieben Larven rasch daran hängen. Bis
sich aber eine ansehnliche Organismengemeinschaft angesiedelt habe, dauere es
allerdings zwei bis vier Jahre, sagt der
Biologe. Um den Besiedlungsprozess zu
beschleunigen, können in die Drahtgitter
wie in die Reef Balls und Eco Reefs auch
Teile lebender Korallen eingefügt werden.
Untersuchungen im Ras-MohammedNationalpark in Ägypten zeigten, dass die
meisten dieser Korallenstecklinge überNatürlich | 8-2007 13
Künstliche Riffe NATUR
Tauchparadies: Überwucherte Wracks locken Unterwasser-Touristen an
leben und weiterwachsen. «Nach vier Jahren ist das Drahtgitter schon nicht mehr
als solches zu erkennen, sondern erscheint als bunter, dichter Bestand
von Stein- und Weichkorallen», schwärmt
Schuhmacher.
Ein entscheidender Vorteil der elektrochemisch erzeugten Mineralkrusten gegenüber Beton oder Kunststoff sei ihr
naturidentischer Charakter im Hinblick
auf die Dynamik auf- und abbauender Prozesse. «Wie in einem natürlichen Korallenriff siedeln viele Tiere wie Bohrmuscheln und Schwämme nicht nur auf der
Oberfläche, sondern dringen auch in das
Innere des Substrats ein», sagt Schuhmacher. Auch liessen sich beschädigte Stellen durch erneutes Anlegen eines Gleichstromes reparieren und die Anlage könne
bei Bedarf einfach durch Umpolung des
Stromes aufgelöst werden. Das gehe weder
mit Schiffswracks noch mit Reef Balls.
INFOBOX
Einschränkungen
für Hobbytaucher
Auch wenn es viele verschiedene Technologien zur Herstellung künstlicher Riffe
gebe, verfolgten alle dasselbe Ziel, ist
Michael Moore überzeugt: Der Unterwasserwelt soll zu mehr Leben verholfen
werden. Selbst wenn dabei oft ökonomische Kriterien eine grosse Rolle spielen,
können die künstlichen Strukturen insbesondere für beschädigte natürliche
Riffe von grossem Nutzen sein.
Solche Rehabilitationsmassnahmen
machen allerdings nur dann Sinn, wenn
die Schädigungsursache nicht weiter andauert. «Der Bau künstlicher Riffe ist
daher keine Alternative für ein gutes
Management der natürlichen Ressourcen», betont Moore.
Laut Helmut Schuhmacher müssen
nachhaltige Riffschutzkonzepte Ökologie
und Ökonomie verbinden. Der Tauchtourismus oder die Riffnutzung könnten
nicht einfach verboten werden. Vielmehr
sollten Riffschutzkonzepte entwickelt und
umgesetzt werden, die sowohl die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung nach Einkommen als auch die Erfordernisse des
Naturschutzes vereinten. «Hierzu gehören
einerseits die Einrichtung von Schutzzonen mit abgestufter Zugangsregelung
und anderseits die Schaffung von speziellen Ersatzerlebnisräumen für Taucher»,
erklärt Schuhmacher.
Künstliche Hartstrukturen auf Weichboden schlägt der Biologe überall dort
vor, wo es Sinn mache, dass Tauchanfänger ihre Übungen nicht in natürlichen
Riffen durchführten. Nur durch die Entlastung der natürlichen Riffe werde eine
Tauchregion auch mittelfristig ihre Attraktivität und damit ihren ökonomischen Wert erhalten.
Köder für die
Fischereiwirtschaft
Die Fischereiwirtschaft bezeichnet laut
Schuhmacher Strukturen als «künstliche
Riffe», die Schatten und Verstecke bieten
und Fische anlocken – im Extremfall gar
nur ein Floss (floating reefs). Mit diesen
Strukturen würden für die Fischerei interessante Arten an vorbestimmten Stellen konzentriert und gleichzeitig werde
der Druck auf natürliche Riffe und andere
schützenswerte Lebensräume reduziert.
Allerdings drohe auf lange Sicht dadurch
vielleicht die Gefahr einer Überfischung
der Bestände an diesen Fischanlockungsstrukturen, meint der Biologe.
Ausserdem führt das Einbringen von
Hartbodeninseln in ausgedehnte Weichbodenflächen zu grossen ökologischen
Literatur
• Spalding/Ravilious/Green:
«Weltatlas der Korallenriffe», Verlag Delius
Klasing/Naglschmid 2004, Fr. 98.–
• «Im Reich der Meerestiere»
Verlag Hans-Dieter Krone 2007, Fr. 5.50
• Halstead: «Riff-Führer Korallenmeer»
Verlag Jahr Top Special 2000, Fr. 36.90
• Ritter: «Lebensraum Korallenriff»
Verlag Ritter 2005, DVD, Fr. 36.70
Internet
• www.oriskanyreef.com/
• www.reefball.org/
• www.reefball.com/
• www.marilim.de
• www.reefbeach.com/
• www.ecoreefs.com/FAQ.php
• www.uni-essen.de/nomatec/index_de.html
• www.projectaware.org/
• http://thunersee-riff.ch/
• www.eternalreefs.com/
Verschiebungen. So hätten zum Beispiel
Raubfische an der ostamerikanischen
Küste von den künstlichen Riffen aus in
weitem Umkreis Würmer, Seesterne und
andere Weichbodenbewohner fast ausgerottet, berichtet Schuhmacher. Der kurzfristige Gewinn dieser künstlichen Riffe,
zum Beispiel durch höhere Fischereierträge, verdränge beim Menschen leider
Bedenken hinsichtlich der Unterwasserökologie – wenn solche überhaupt auftreten sollten. Der USS Oriskany werden
daher wohl noch viele Fahrzeuge folgen,
die ihre letzte Ruhestätte als künstliches
Riff auf dem Meeresgrund finden sollen. ■
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