Paradigmenwechsel oder alter Wein in neuen Schläuchen?
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Paradigmenwechsel oder alter Wein in neuen Schläuchen?
@ wissenschaftplus Im Fokus: Bildungsstandards und kompetenzorientierter Unterricht Autor: em. o. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Schneider Prof. für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien von 1971–2004 Paradigmenwechsel oder alter Wein in neuen Schläuchen? Bildungsstandards sind seit einigen Jahren ein zentrales Thema der Bildungswissenschaften, aber auch der Bildungspolitik. 1. Problemstellung Die inhaltliche Konkretisierung der Ansätze zur Formulierung von Bildungsstandards hat die Intensität der Diskussion erhöht. (Vgl. z. B. das Themenheft der Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, Heft 3/2010, Gehrmann/Hericks/ Lüders, 2010 – und für den Bereich Wirtschaft und Recht in Österreich insbesondere Fritz/Staudecker 2010 und die zahlreichen Materialien auf der Plattform www.bildungsstandards.at.) Da Fritz und Staudecker nach dem Informationsstand des Autors auch im Bundesminsterium für Unterricht, Kunst und Kultur für die Koordinierung des Projektes Bildungsstandards in der Berufsbildung zuständig sind und daher anzunehmen ist, dass die oben zitierte, auch vom BMUKK herausgegebene Publikation den Ansichten der zuständigen Abteilungen des Ministeriums entspricht, wird sich dieser Beitrag besonders mit diesen Aussagen auseinandersetzen. Interessant ist vor allem, mit welcher Selbstsicherheit behauptet wird, Bildungsstandards würden alles ändern, und wie wenig in dieser Diskussion der Istzustand der Lehrpläne und der Lehrbücher betrachtet wird. Ferner wird zwar permanent vom Wechsel von der Input- zur Outputorientierung gesprochen, gleichzeitig schiebt man jedoch die Messung auf die lange Bank und betont, was Bildungsstandards alles nicht sind, wie z. B. kein Eingriff in die Methodenfreiheit der Lehrerinnen und Lehrer, kein Kontrollinstrument für Lehrer/innen und Schüler/innen, keine Auflistung von Bildungs- und Lehraufgaben bzw. von Lehrinhalten oder Lernzielen, und sie legten angeblich auch nicht fest, was guter Unterricht sei (vgl. Kempel, H. 2009). Diese Aussagen könnten zwei Ursachen haben. Entweder soll die Lehrerschaft nicht verschreckt werden und die dahinter liegenden Intentionen zur Kontrolle der Lernergebnisse sollen zunächst verborgen bleiben oder man hat sich von der Idee der Outputmessung bereits vor der Einführung der Bildungsstandards verabschiedet, weil man sie weder für durchsetzbar noch für finanzierbar hält. Dann aber sollte man die Behauptung von der Outputorientierung besser vergessen. Ein ähnliches Schicksal erlitt ja auch die Lernzielbewegung. Der Verbundkatalog der österreichischen Bibliotheken listet für die Periode von 1973–1994 nicht weniger als 88 Publikationen zu konkreten Lehrzielbanken für praktisch alle Unterrichtsfächer der berufsbildenden höheren Schulen auf. Wie wir ex post wissen, hatten sie keinen Einfluss auf das Bildungswesen. Am Rande sei bemerkt, dass auch bereits im Lehrzielprojekt „fachübergreifende Fähigkeiten für berufsbildende Schulen“ berücksichtigt wurden (vgl. BMfUK 1991/92). Im vorliegenden Beitrag wird überprüft, ob die angeblichen Paradigmenwechsel von der Input- zur Outputorientierung und von der bisherigen zur kompetenzorientierten Lernkultur tatsächlich so grundlegend und neu sind, wie es z. B. Fritz/ Staudecker behaupten. Es wird vor allem untersucht, ob nicht die aktuellen Lehrpläne und Lehrbücher genau dasselbe fordern und ermöglichen, und dies schon seit einigen Jahrzehnten. wissenplus 2–10/11 I [ wissenschaft Es wird ferner hinterfragt, ob die Aussage, dass Bildungsstandards nicht auch zu einer intensiveren Kontrolle von Lehrerinnen/Lehrern und Schülerinnen/Schülern führen werden, haltbar ist und es wird gezeigt, dass ohne Einschränkung der Methodenfreiheit „guter Unterricht“ nicht garantiert werden kann. Infrage gestellt wird die Hoffnung auf Lernende, die ihre Konzentration und Motivation selbständig aufrechterhalten, selbstverantwortlich das Wissen in einem persönlichen Lernprozess auswählen, strukturieren und integrieren (vgl. Fritz/Staudecker, 2010, S. 84 f.). Auch diese Hoffnung ist ziemlich alt und entstand nicht erst im Zusammenhang mit der Entwicklung von Bildungsstandards. Sie hat nur den Nachteil, dass sie durch die vorliegenden lernpsychologischen Befunde in der dargestellten Radikalität kaum unterstützt wird. Schließlich werden pragmatische Lösungen zwischen zentraler Zielkontrolle und Schulautonomie angedacht. Vorweg betont der Autor, dass er sich nicht der Argumentation vieler radikaler Kritiker anschließt, die Outputstandards als solche verdammen. Jüngste Beispiele finden sich z. B. in der Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, Heft 3 aus 2010. Nachfolgend eine Auswahl der Beitragstitel: »» „Kompetenz: Konstrukt zwischen Defizit und Anmaßung“ (Koch, L.) »» „Kompetenzorientierung als Indiz pädagogischer Orientierungslosigkeit“ (Ladenthin, V.) »» „Bildungsstandards auf dem Prüfstand – Der Bluff der Kompetenzorientierung“ (Klein, H. P.) »» „Warum Bildungskonzepte wären, was Bildungsstandards verfehlen müssen“ (Gruschka, A.) 2.„Bildungsstandards“ – eine unglückliche Begriffswahl Die oben zitierten negativen Äußerungen sind nach Meinung des Autors auch darauf zurückzuführen, dass man sich nicht entschließen konnte, es bei der Definition von Weinert (1999) zu belassen, sondern die weitaus umfassendere Begriffsumschreibung des selben Autors aus 2001 wählte (vgl. dazu auch Aff, 2005/06 und Fortmüller 2005/06). 1999 definierte Weinert bekanntlich Kompetenzen „als funktional bestimmte, auf bestimmte Klassen von Aufgaben und Anforderungen bezogene kognitive Leistungsdispositionen“. 2001 erweiterte er die Begriffsbeschreibung um „die damit verbundenen motivationalen, volationalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten“, offensichtlich um einer umfassenden Bildungsdefinition näher zu kommen. Mit dieser weiteren Begriffsdefinition wurden die zahlreichen negativen Stellungnahmen, wie sie in den oben zitierten aktuellen Beiträgen zum Ausdruck kommen, provoziert. Der von Aff und auch von Fortmüller vorgeschlagene Begriff „Leistungsstandards“ (vgl. Aff, a. a. O.; Fortmüller, a. a. O.) hätte weit besser gepasst, keine übertriebenen Hoffnungen geweckt und zu der von Fortmüller geforderten Bescheidenheit in den Ansprüchen geführt (vgl. Fortmüller, a. a. O., S. 29). Der Autor hat stets den, nach seiner Meinung, noch besser geeigneten, „Qualifikationsbegriff“ verwendet, und diesen vom nicht operationalisierbaren Bildungsbegriff abgegrenzt. So formulierte er u. a. (vgl. Schneider 1992): »» „Qualifikationen sind Fähigkeiten und Kenntnisse zur Bewältigung relativ genau definierbarer Situationen in der Arbeits- II wissenplus 2–10/11 »» »» welt, bei der politischen Mitgestaltung der Gesellschaft, in der Familie (z. B. Kindererziehung, Konfliktlösung in der Partnerschaft) und in der Freizeit. Sie können durch gezielte ‚Ausbildungsprozesse‘ erworben und in vielen Fällen sehr konsequent trainiert werden.“ „Bildung ist ein Aspekt der Gesamtpersönlichkeit eines Menschen, der durch eine äußerst komplexe Wechselwirkung zwischen beabsichtigten und unbeabsichtigten Lehr-/Lernprozessen und deren Reflexion durch das Individuum erworben wird.“, um dann provokant fortzusetzen: „Qualifikation ohne Bildung ist denkbar, Bildung ohne Qualifikation ist eine Chimäre. Der Versuch, Bildung ohne Qualifikationen zu realisieren, ist für weite Bevölkerungskreise inhuman. Nämlich für jene, die ihre Handlungsfreiheit nicht auf der kulturellen, ökonomischen und sozialen Basis ihrer sozialen Schicht bereits besitzen, sondern erst auf Grund ihrer Qualifikationen am Arbeitsmarkt erwerben müssen.“ Selbstverständlich umfasst der Qualifikationsbegriff auch fachübergreifende Fähigkeiten, wie man im zitierten Beitrag nachlesen kann. Da sich die Bildungspolitik in den deutschsprachigen Ländern offensichtlich auf den Begriff „Bildungsstandards“ geeinigt hat, wird die Diskussion auf diese kritischen Anmerkungen beschränkt. 3. Sind die aktuellen Lehrpläne output- oder inputorientiert? „Lehrplanbashing“ ist wie „Lehrerbashing“ ein beliebter Ansatz in der bildungspolitischen Diskussion. So forderte etwa der Wissenschaftler des Jahres 2004, Rudolf Taschner, in seiner Kolumne in der Tageszeitung „Die Presse“ vom 1. Juli 2010 schlicht die Abschaffung der Lehrpläne bzw. die Beschränkung auf „basale Sachkenntnisse“ und erwähnt z. B. „Rechnen“. Knapp drei Monate später – Kolumne vom 29.9.2010 – fordert er die Maturanten auf, Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer zu studieren, vermutlich auf der Basis „basaler Sachkenntnisse“. Etwas vorsichtiger formuliert Neuweg, wenn er ausführt, „traditionell gelten Lehrpläne als informationsarm und stofforientiert“, ohne diese Aussage jedoch weiter zu untersuchen (vgl. Neuweg 2007/08). Zunächst ist anzumerken, dass die Inhalte in den Lehrplänen sehr unterschiedlich ausdifferenziert sind. So beschränkt sich etwa der für die meisten Fachrichtungen der höheren technischen Lehranstalten geltende Lehrplantext für Wirtschaft und Recht vom 14. Oktober 1997 im Bereich Rechnungswesen auf die kryptische Aussage „Grundlagen der doppelten Buchhaltung und der Bilanzerstellung, Kennzahlen“ ohne weitere Differenzierung. Auch die Bildungs- und Lehraufgabe umfasst nur wenige Zeilen und trägt zur Erhellung der Absichten des Gesetzgebers bzw. der Lehrplanautoren wenig bei. Es ist daher wenig verwunderlich, wenn Lehrbücher zum „Hidden Curriculum“ werden, wie Aff kritisch feststellt (vgl. Aff 2007/08, S. 15). Betrachtet man andererseits den Lehrplan für Handelsakademien in der Fassung vom 19. Juli 2004, so finden sich zunächst [ wissenschaft im allgemeinen Bildungsziel viele der Kompetenzen, von denen in der Diskussion um die Bildungsstandards die Rede ist. Von den 17 angeführten Unterpunkten seien beispielhaft drei angeführt: »» „Schlüsselqualifikationen entwickeln und zum logischen, kreativen und vernetzten Denken fähig sein“ »» „zur Zusammenarbeit bereit und fähig sein, d. h. Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenzen erwerben und anwenden“ »» „die für die Lösung von Aufgaben erforderlichen Informationen beschaffen können“ Alles Formulierungen, die fast ident in den Bildungsstandards wiederzufinden sind. Wer über die gemeinten Schlüsselqualifikationen im Zweifel ist, kann im Lehrplanteil „Betriebswirtschaftliche Übungen und Projektmanagement, einschließlich Persönlichkeitsbildung und Soziale Kompetenz“ nachlesen und wird sowohl in der Bildungs- und Lehraufgabe als auch in der Angabe der Lehrinhalte Ausführungen finden, die jedem Managementtrainingsinstitut zur Ehre gereichen würden. Überdies heißt das Teilfach 14 „Businesstraining, Projektund Qualitätsmanagement, Übungsfirma und Case Studies“, stellt also schon in der Bezeichnung auf die Bearbeitung komplexer Problemstellungen ab. Als weiteres Beispiel sei der Unterrichtsgegenstand 15 „Rechnungswesen und Controlling“ angeführt. Auch hier finden sich zahlreiche als Kompetenzen formulierte Ziele bzw. output orientierte Angaben, wie z. B.: »» „Zusammenhängende Geschäftsfälle: Verbuchung einfacher Geschäftsfälle anhand von Belegen (nach Möglichkeit computerunterstützt inklusive Summen- und Saldenbilanz). Einfache betriebswirtschaftliche Fallstudien“ Obwohl diese und andere Formulierungen nicht ganz der Terminologie der Bildungsstandards entsprechen, ist wohl eindeutig, dass die Lehrplananforderungen output- und nicht input orientiert gemeint sind. Dazu ein weiteres Beispiel, weil sich auch dieser Bereich in den Bildungsstandards wiederfindet: »» „Auswertung der Zahlen des dokumentären Rechnungswesens für unternehmerische Entscheidungen (nach Möglichkeit computerunterstützt)“ Ob man die obige Formulierung wählt, oder wie im Teilprojekt „Kompetenzmodell und Beispiele der AG Entrepreneurship und Management an HAK“ formuliert »» „Ich kann den Jahresabschluss eines Unternehmens interpretieren und beurteilen.“ kann wohl bei einer geeigneten Lehrperson keinen wesentlichen Unterschied machen. Diese erste Teilanalyse zeigt, dass die Intentionen der bisherigen Lehrpläne durch Bildungsstandards vielleicht ein wenig klarer, jedoch kaum anders werden. Bildungsstandards sind daher bestenfalls alter, manchmal auch guter Wein in neuen Schläuchen. Stellt man daher die Bildungsstandards den aktuellen Lehrplänen der Handelsakademie gegenüber, so zeigt sich, dass praktisch jeder Standard im Bereich Wirtschaft und Recht eine Entsprechung in den bisherigen Lehrplänen für Handelsaka- demien hat, aber viele Teilformulierungen im Lehrplan keine Entsprechung in den Bildungsstandards finden. So besteht der Marketingteil in Fritz/Staudecker 2010 nur aus zwei Deskriptoren (vgl. ebd. S. 97, vgl. dazu auch BMUKK 2009) und auf der Internetplattform unter „Kompetenzmodell und Beispiele der AG Entrepreneurship und Management an HAK“ findet sich kein einziger. Das Argument, Lehrpläne könnten schlanker gestaltet werden (vgl. Neuweg 2007/08) trifft daher kaum zu. Die ersten Entwürfe zum neuen „kompetenzorientierten“ Lehrplan für Handelsschulen zeigen dies deutlich. Dem Autor liegt nur der noch inoffizielle Entwurf für Informations- und Office-Management und Wirtschaftsinformatik vor. Nur für diese Fächerkombination finden sich 35 Kompetenzen, die im Bereich Lehrstoff nochmals durch 32 Stichworte detailliert werden. Im Vergleich dazu sind die inhaltlichen Deskriptoren der Kompetenzen der auf der Plattform des BMUKK dargestellten Bildungsstandards so allgemein, dass die Intentionen erst durch die „Unterrichtsbeispiele“ deutlich werden. Das Problem, entweder lange Kompetenzlisten anstelle von Lehrziellisten zu verfassen oder so allgemein zu bleiben, dass die tatsächlichen Lernprozessse, wie bisher, von den subjektiven Lehrplaninterpretationen der Lehrpersonen oder der Lehrbuchautoren bestimmt werden, wird daher auch im Rahmen der Bildungsstandards nicht gelöst werden können. 4. Unterrichtsbeispiele und aktuelle Lehrbücher Wenn irgendetwas an der Idee der Bildungsstandards eine Innovation darstellt, so könnten dies die Unterrichtsbeispiele sein. Sie würden klären, wie komplex unterrichtet werden darf bzw. soll und die ewige Diskussion beenden, was man den Schülerinnen und Schülern zumuten kann bzw. muss. Die in Fritz/Staudecker (2010) angeführten Unterrichtsbeispiele für Wirtschaft und Recht sind noch sehr basal (vgl. S. 106 ff.) und entsprechen bestenfalls den Anforderungen aus Geografie und Wirtschaftskunde im Bereich der AHS. Weitaus angemessener sind die Beispiele auf der mehrfach zitierten Internetplattform der „AG für Entrepreneurship und Management an HAK“. Sie sind allerdings kaum komplexer als ein wesentlicher Teil der derzeit in den Lehrbüchern enthaltenen Aufgabenstellungen. Ein Totalvergleich würde den Umfang dieses Beitrags sprengen. So müssen einige Hinweise genügen: »» zur Kostenrechnung: vgl. etwa Gründl/Steiger/Schneider, Rechnungswesen leicht verständlich, Band III – Kostenrechnung und Personalverrechnung (2010), etwa ab Seite 139 ff. »» zur Finanzplanung: Schneider, u. a. Betriebswirtschaft für Handelsakademien, Band III – Unternehmensführung und Management, 2008, S. 232 ff. und Schneider/Grbenic, Business Training, Band III, 2006, S. 127 ff. »» zu kundenorientiertem Verhalten: Schneider/Grbenic, Businesstraining für Handelsakademien, Band II, 2006, S. 12 ff. »» zum Businessplan: Schneider u. a.: Betriebswirtschaft für Handelsakademien, Band V, 2010, S. 172 Ähnliche Beispiele finden sich selbstverständlich auch in anderen auf dem Markt befindlichen Lehrbüchern und dies teilweise schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. wissenplus 2–10/11 III [ wissenschaft Das heißt, Outputorientierung war schon bisher in den Lehrplänen dekretiert und mithilfe der verschiedenen Lehrbücher unschwer zu erreichen. Unterstellt man den Lehrerinnen und Lehrern nicht, dass sie Lehrpläne und Lehrbücher völlig ignorieren, kann man also nicht davon sprechen, dass der Unterricht bisher ausschließlich inputorientiert gestaltet wurde. Sieht man davon ab, dass in der Realität wohl mehr als 50 Minuten für voll informierte und erfahrene Mitarbeiter nötig wären, um ein derartiges Profil zu erstellen, so zeigt die Musterlösung, dass die Antworten auch weitgehend ohne Berücksichtigung der speziellen Angaben zum Unternehmen und zum Exportland gegeben werden könnten, wie der nachfolgende Ausschnitt aus der Musterlösung zeigt: 5. Anmerkungen zur Handlungsdimension der Kompetenzmodelle 1 Liste von Risiken Sprachbarriere, Marktrisiko (Standort, Nachfrage, Konkurrenz, Preisniveau), Transportrisiko, Qualität der Geschäftspartner, gesamtwirtschaftliche Entwicklung Im Projekt Wirtschaft und Recht beruft man sich bei der Operationalisierung der Handlungsdimension auf eine Arbeit von Anderson und Krathwohl aus 2001 (vgl. Fritz/Staudecker, a. a. O., S. 30). In Wirklichkeit sind diese Ansätze mehr als 30 Jahre alt (vgl. Bloom 1968 und Krathwohl/Bloom/Masia 1968). Die Bezeichnung der sechs Stufen ist allerdings etwas verschieden von den ursprünglichen Formulierungen (vgl. dazu auch Aff 2007/08, S. 10). Die konsequente Umsetzung scheiterte schon damals vor allem aus zwei Gründen: Erstens, weil die Komplexitätsdimension einer gehörigen Portion „hermeneutischen Interpretationsaufwandes bedarf“ (Aff, 2005/06, S. 13). Peter Posch, Waltraud Mann und der Autor beschränkten sich daher in ihrem Unterrichtsmodell auf drei Stufen, nämlich Wissen reproduzieren, Wissen anwenden, Wissen selbst produzieren (vgl. Posch/Schneider/Mann 1977, S. 19). Selbstverständlich wurde immer auf die Mitberücksichtigung von „fachübergreifenden Zielen“ geachtet. So forderte der Autor auch in seinen Publikationen an vielen Stellen stets auch, „fachunabhängige Ziele vorzusehen und mit fachbezogenen Zielen zu integrieren“ (vgl. u. a. Schneider 1992). Zweitens ist offensichtlich, dass das Niveau der Zielkontrolle wesentlich vom vorhergehenden Unterricht abhängt. Welches Zielniveau z. B. die Analyse von Jahresabschlüssen überprüft, hängt davon ab, wie ähnlich der für die Prüfaufgabe verwendete Jahresabschluss dem im Unterricht bearbeiteten Jahresabschluss ist. Z. B. kann es sich nur um einen Jahresabschluss desselben Unternehmens aus einem anderen Jahr, um einen Jahresabschluss eines Unternehmens der gleichen Branche (z. B. Handel oder Industrie) oder um den Jahresabschluss aus einem bisher nicht besprochenen Wirtschaftssektor (z. B. Banken oder Versicherungen) bzw. einen Jahresabschluss nach einem nicht besprochenen Standard (z. B. IFRS) handeln. Dazu kommen die sogenannten „Pseudoanwendungsaufgaben“, d. h., es wird zwar ein Fall vorgegeben, jedoch sind die Details des Falles für die Lösung irrelevant und diese stellt lediglich eine Reproduktion eines vorher gelernten Schemas dar. Zur Illustration sei aus der Plattform „Kompetenzmodell und Beispiele der AG Entrepreneurship und Management an HAK“ das Beispiel zum Deskriptor D-5.1 „Erkennen und Bewerten von betriebswirtschaftlichen Risiken, risikopolitische Strategien“ gewählt. Nach einer umfangreichen fallstudienartigen Angabe zum Unternehmen erfährt man, dass das Unternehmen eine Handelsniederlassung in Slowenien gründen will. Der Schüler soll eine Liste von Risiken erstellen, die dabei auftreten könnten, ferner angeben, welche risikopolitischen Strategien grundsätzlich einsetzbar wären, und ein Risikoprofil entwickeln. Die Arbeitszeit beträgt 50 Minuten. IV wissenplus 2–10/11 2 Grundsätzliche risikopolitische Strategien Risiko vermeiden (z. B. auf ein Geschäft verzichten), Risiko vermindern (z. B. Risikostreuung, z. B. Produktdiversifikation, Kundenkreis), Risiko abwälzen (z. B. auf Versicherung, Vertragspartner), Risiko tragen. Zusätzlich hängen die gewählten Strategien vom Risikoverhalten der Entscheidungsträger ab: risikofreudig, risikoscheu oder risikoneutral in Bezug auf die Relation Risiko/Nutzen Lediglich im Risikoprofil finden sich Hinweise auf die Produkte, kaum aber auf das Zielland. Es ha+ndelt sich daher insgesamt eher um ein Wiedergeben als um Anwenden. Dass Aufgaben Prüfungsleistungen auf hohem Niveau vortäuschen, ist z. B. aus manchen Maturavorbereitungen bekannt. Auch Nachhilfelehrer, die oft in kurzer Zeit unzureichende Lernleistungen kompensieren sollen, verstehen es oft, aufgrund des ihnen bekannten Prüfungsrepertoires das Zielniveau der Leistungen zu reduzieren. Posch/Schneider/ Mann haben bereits 1977 auf dieses Problem hingewiesen (vgl. S. 20 f.). Ebenso werden die „Unterrichtsbeispiele“ der Bildungsstandards dazu führen, dass zumindest bei der Vorbereitung auf die zukünftigen zentralen Abschlussprüfungen (vgl. dazu auch Abschnitt 5) Lehrerinnen und Lehrer und „außerschulische Unterstützer des Lernprozesses“ eine „schärfere Einstellung“ auf diese Anforderungen forcieren werden. Der Autor sieht jedoch die Gefahr des „teaching to the test“ (vgl. z. B. Neuweg, 2007/08, S. 7; Walpuski, u. a. 2010, S. 188) nicht so gravierend. Soweit die „Unterrichtsbeispiele relevante Inhalte abbilden“ und die Prüfungsbeispiele nicht völlig ident sind, führt ein Training derartiger Aufgaben zu Prozeduralisierung von Lösungsstrategien und ist zumindest nicht schädlich. Der Autor meint eher, dass eine völlige Neuentwicklung von komplexen Aufgaben für die zentralen Prüfungen problematisch ist, da sie nicht den besser ausgebildeten Schülerinnen und Schülern, sondern nur jenen bessere Chancen einräumt, deren Lehrerinnen und Lehrer mehr oder minder zufällig den Prüfungsaufgaben im Unterricht nahe gekommen sind. Fast unlösbar ist es, mit komplexen Aufgaben valide und reliabel zu prüfen. Erstellt man valide Aufgaben, benötigt man relativ viel Zeit zur Bearbeitung und kann daher in der gegebenen Prüfungszeit kaum zu einer reliablen Stichprobe kommen. Dies ist auch aus den Zeitangaben für die „Unterrichtsbeispiele“ auf der Plattform ersichtlich. Metzger durchschlägt denn gordischen Knoten und fordert, auf die Reliabilität zugunsten der Validität zu verzichten (vgl. Metzger 2006). Dann landet [ wissenschaft man aber wieder eher bei einer Input- als bei einer Output orientierung, da diese wenig reliable Messung über das gesamte Kompetenzprofil der Absolventinnen und Absolventen kaum etwas aussagt. Dazu kommt, dass in der Praxis meist nicht der Lösungs vorgang selbst, sondern die Beschaffung der notwendigen Informationen das Hauptproblem ist. Der Autor denkt dabei z. B. an die Erstellung eines Businessplans, bei dem die notwendigen Finanzierungs- bzw. Absatzdaten prognostiziert werden sollen oder an die Aufspaltung von fixen und variablen Kosten, die auch in „Unterrichtsbeispielen“ zu den Bildungsstandards vorgegeben ist, aber das eigentliche Problem der Deckungsbeitragsrechnung darstellt. Auch Projektarbeiten und Portfolios decken nur einen kleinen Ausschnitt der anzustrebenden fachspezifischen Bildungsstandards ab und erhöhen zusätzlich neben dem Reliabilitäts- auch noch das Objektivitätsproblem. Man wird daher weiterhin mit Kompromissen leben müssen. 6. Bildungsstandards als Outputkontrolle und die Behauptung von der Methodenfreiheit Bereits in der „Problemstellung“ wurde darauf hingewiesen, dass sich die Bildungsverwaltung ängstlich bemüht zu betonen, dass die Bildungsstandards kein Eingriff in die Methoden freiheit der Lehrpersonen, kein Kontrollinstrument für Lehrer/innen und Schüler/innen, keine Auflistung von Bildungsund Lehraufgaben bzw. von Lehrinhalten oder Lernzielen seien und nicht festlegen, was guter Unterricht ist (vgl. Kempel, H. 2009). Diese beschwichtigenden Formulierungen widersprechen zunächst der Verordnungslage. So regelt das BGBl 1, Vdng v. 2. 1. 2009 § 3 die Funktionen der Bildungsstandards folgendermaßen: »» „Aufschluss über den Erfolg des Unterrichts und über das Entwicklungspotential des österreichischen Schulwesens“ Wie will man dieses Ziel erreichen, wenn man nicht misst? Weiters heißt es: »» „Sicherstellung bestmöglicher Diagnostik als Grundlage individueller Förderung durch die Schaffung konkreter Vergleichsmaßstäbe“. Das heißt aber, dass nicht anonym gemessen werden kann, sonst kann es wohl kaum zur individuellen Förderung kommen. Auch die folgende Aussage der Verordnung ist zu hinter fragen: »» „Allerdings sind sie (die Bildungsstandards, Anm. d. Autors) nicht zur unterrichtlichen Leistungsfeststellung und -beurteilung heranzuziehen (vgl. § 4 Z. 5).“ Dies widerspricht der Verordnung zur Leistungsbeurteilung, da ja auch die Beurteilung der Mitarbeit Gegenstand der Leistungsbeurteilung ist und daher selbstverständlich die Bearbeitung von Aufgaben, die nach Art der Unterrichtsbeispiele gestaltet werden, Teil der Leistungsbeurteilung sein können und bei enger Auslegung der Richtlinien sein müssen. Dazu kommt, dass die „Standardisierten Abschlussprüfungen an den höheren Schulen“ vor der Einführung stehen. So findet man auf der Website des BMUKK unter „Standardisierte, kompetenzorientierte Abschlussprüfung“ Folgendes: „Mit dem Haupttermin des Schuljahres 2013/14 soll an den AHS eine neue Reifeprüfungsverordnung in Kraft treten. Diese neue Reifeprüfung (RP) wird sowohl standardisiert als auch kompetenzorientiert sein. Jedenfalls sei erwähnt, dass der Entwicklungsprozess noch nicht abgeschlossen ist und in einigen Bereichen Änderungen möglich sind. Daher beschreiben diese Seiten den derzeitigen Diskussionsstand nach dem Begutachtungsverfahren. Die Gesetzesvorlage sieht vor, dass die BHS ab dem Haupttermin 2015 ebenfalls eine standardisierte, kompetenzorientierte Reifeprüfung durchführen wird.“ Wird die kompetenzorientierte Abschlussprüfung eingeführt, ist zu erwarten, dass die Bildungsstandards eine bedeutende Rolle spielen werden. Dass die Ergebnisse auch auf die Schulen zurückschlagen ist nicht zu verhindern. Auch wenn man offiziell keine Schulvergleiche durchführt, werden findige Journalisten an die Ergebnisse herankommen und zu einem Schulranking verwenden. Der Autor findet daran nichts grundsätzlich Schlechtes. Jedenfalls ist eine curriculumorientierte Leistungsmessung, die möglichst viele Fächer umfasst, für die Leistung eines Schulsystems valider als das PISA-Verfahren. PISA orientiert sich ja explizit nicht an den nationalen Curricula und prüft nur einen Bruchteil der Bildungsinhalte, z. B. keine Fremdsprachen, keine Literatur- oder Geschichtskenntnisse oder gar Wirtschaftskompetenzen. Der Anspruch, der den PISA-Tests zumindest medial zugeschrieben wird, die Qualität eines Schulsystems zu messen, ist daher weit überhöht. Der Vorwurf, es handle sich um einen nicht legitimierten und undemokratischen Eingriff der OECD in die Bildungshoheit einzelner Staaten (vgl. z. B. Koch 2010, S. 333), ist daher nicht ganz von der Hand zu weisen. Sicher ist, dass Absolventinnen und Absolventen unseres (aber auch aller anderen Schulsysteme) nur einen Bruchteil dessen beherrschen, was die Lehrpläne fordern. Die Untersuchungen sind Legion. Aus dem Arbeitsbereich des Autors sei auf die Dissertationen von Kuhnle-Schadn (1994) und von Eder (2003) hingewiesen, die die Defizite im Bereich Mathematik aufzeigten und auf die Arbeit von Schuckert (2006), die die Eingangsvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern beim Eintritt in die 1. Klasse der Handelsschule bzw. den ersten Jahrgang der Handelsakademie untersuchte. Das Phänomen, dass Bildungssysteme ihre proklamierten Ziele nicht erreichen, ist jedoch nicht nur auf Schulen beschränkt. Auch Magister der Betriebswirtschaft, die das Studium im Bereich Wirtschaftspädagogik fortsetzen, verfügen oft nicht über jene Basiskenntnisse des Rechnungswesens, die in den Anfangssemestern geprüft werden, wie mein Nachfolger, Josef Aff, sicher bestätigen kann. Am Rande sei angemerkt, dass Eder in seiner Dissertation zunächst feststellte, dass der Durchschnitt der Studienanfänger nur etwa 40 % der relativ einfachen Testaufgaben lösen konnte, die von Lehrerinnen und Lehrern bei der inhaltlichen Validierung der Testbögen als „basal“ und von den Professoren der Wirtschaftsuniversität als angemessen bezeichnet wurden. Als Eder jedoch in einer Kontrolluntersuchung Studierenden nach der 1. Diplomprüfung aus Mathematik und Statistik die gleichen Testaufgaben vorlegte, war die Lösungshäufigkeit lediglich auf 46 % gestiegen. Fairerweise muss allerdings angemerkt werden, dass die Kontrollstichprobe im Bereich „Human wissenplus 2–10/11 V [ wissenschaft Ressource Management“, also aus einer eher mathematikfernen Population gezogen wurde. Soll kompetenzorientiert unterrichtet werden und das sollte eigentlich schon bisher erfolgt sein, so ist die Meinung von den beliebigen Wegen, die zum Ziel führen, bestenfalls eine Schutzbehauptung. Fritz und Staudecker (2010) behaupten zwar auf Seite 17, dass die autonome Gestaltung des Unterrichts nicht eingeschränkt werden soll, fordern jedoch ab Seite 70 einen völligen Paradigmenwechsel und führen ab Seite 78 zwölf Merkmale an, die ein kompetenzorientierter Unterricht erfüllen muss. Vorweg sei angemerkt, dass der Autor die Merkmale für sinnvoll hält, aber auch, dass sie seit langem bekannt sind (vgl. z. B. die Synopse über bekannte lernpsychologische Befunde der vergangenen Jahrzehnte von Brophy für die Unesco 2001). Nur an einem einzigen Beispiel sei illustriert, dass es keines revolutionären Paradigmenwechsels bedarf, um guten Unterricht durchzuführen. Das erste von Fritz/Staudecker genannte Merkmal heißt „dem Unterricht Struktur geben und Klarheit über die Lernziele herstellen“. Dazu wird auch gefordert, den sogenannten „informierenden Unterrichtseinstieg“ zu praktizieren. Der Begriff stammt aus den „Unterrichtskonzepten“ von Grell/Grell und wurde etwa um 1980 erstmals genannt. Ebenso lange wurden die Studierenden der wirtschaftspädagogischen Studienrichtung an der Wirtschaftsuniversität damit konfrontiert, dass Einstiege Eingangsvoraussetzungen der Lernenden aktivieren, prüfen und gegebenenfalls herstellen sollen, dass die zentralen Fragen der Unterrichtseinheit deutlich werden und die Bedeutung für die Lernenden herausgestellt werden sollen. Selbstverständlich gibt es nicht nur einen Weg zu „gutem Unterricht“. So endet der Beitrag des Autors zur Alltagsdidaktik, in der sein Unterrichtsmodell dargestellt wird, auch mit dem Satz: „Weichen Sie immer dann von diesem Planungsschema ab, wenn Ihnen etwas Besseres einfällt.“ (Schneider 1992). Aber es gibt sicher zahlreiche Merkmale, unter anderem die, die Fritz und Staudecker aufzählen, die guter Unterricht realisieren muss. Die Behauptung, dass die Erfüllung dieser Merkmale die Methodenfreiheit nicht einschränkt, ist daher mehr als gewagt. 7. Zur konstruktivistischen Grundstimmung des sogenannten Paradigmenwechsels Folgt man dem vom BMUKK herausgegebenen Band von Fritz und Staudecker (2010), so kommt es durch die Implementierung der Bildungsstandards zu einem völligen Paradigmenwechsel. Nach einer sehr oberflächlichen Einführung in die lernpsychologischen Grundlagen kommen die Autoren zu „neuen Lerntheorien“, die überwiegend konstruktivistischen Autoren, wie etwa Arnold, folgen (vgl. Fritz/Staudecker 2010, S. 69 ff.). Mit Aussagen wie „die Lernenden sind selbst dafür verantwortlich, das Wissen in einem persönlichen Lernprozess auszuwählen, zu strukturieren und zu integrieren … Die Lernenden sind selbst für Planung, Organisation, Durchführung und Kont rolle des Lerngeschehens verantwortlich“ (Fritz/Stau decker 2010, S. 84 ff.) ist wenig gewonnen. VI wissenplus 2–10/11 So viel Optimismus lässt einen alten Professor erblassen, der auch viele Jahre in berufsbegleitenden Lehrgängen der Erwachsenenbildung unterrichtet hat und noch unterrichtet. Misserfolgserlebnisse mit der Hoffnung auf selbstgesteuertes Lernen ziehen sich bis in den Bereich der Hochschuldidaktik, wenn habilitierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer trotz mehrfacher postalischer Vorbereitungsaufforderung unvorbereitet zum Seminar kommen und teilweise nicht einmal die ausgesandten Materialien mithaben. Der Boom der Seminarveranstaltungen, etwa bei der Vorbereitung zur Steuerberater- oder Wirtschaftsprüferprüfung zeigt, dass die Unterstützung durch kompetente Lehrende, die auch, aber nicht nur, als Lerncoaches agieren, sogar auf dieser Ebene bevorzugt wird. Untersuchungen im Bereich der Fernstudien belegen, dass nur dann hohe Drop-out-Raten vermieden werden können, wenn die Studierenden dauernd zum Einsenden von Lernaufgaben veranlasst bzw. gezwungen werden und natürlich darüber detaillierte Rückmeldungen und Lernanregungen erhalten. Die weitaus geringere Drop-out-Rate an Fachhochschulstudiengängen ist nicht zuletzt durch die „engere Lernerführung“ an diesen Institutionen im Vergleich zu den Universitäten zurückzuführen. Fritz und Staudecker finden es nicht der Mühe wert, sich mit den theoretischen Grundlagen und den empirischen Befunden zu rein handlungstheoretischen konstruktivistischen Ansätzen auseinanderzusetzen, die schon über zwanzig Jahre in Wissenschaftstheorie und Didaktik diskutiert werden (vgl. dazu z. B. Aff 1993, 1997, Diesberger 1998, Dinter 1998, Hoops 1998, Schneider 2000, 2010). Der Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung in München, F.E. Weinert, kommt etwa aufgrund der Befundlage zum Schluss, es sei ein Paradoxon zwischen den sogenannten modernen Lerntheorien, die „die selbstmotivierende, aktive, konstruktive und transformative Rolle des Lernenden betonen“ und „fast allen Studien im Klassenzimmer, die die Bedeutung einer lehrergelenkten Instruktion für die Lernleistung der Schüler zeigen. Die Auflösung dieses theoretischen Rätsels“, setzt Weinert fort, „lässt sich erst finden, wenn man eine stereotype Unterstellung vieler kognitiver (er meint wohl konstruktivistisch orientierter, Anm. d. Verf.) Lernund Entwicklungspsychologen überwindet und davon ausgeht, dass aktive Lehrer ihre Schüler nicht notwendigerweise passiv machen, … dass Kinder ohne Nachteil auch von anderen motiviert werden können und dass ein lehrergesteuerter Unterricht nicht autoritär sein muss, sondern für die Lernenden auch hilfreich sein kann“ (Weinert 1996, S. 230 f.). Helmke und Weinert belegen in ihren empirischen Befunden die Bedeutung von Klarheit, Strukturiertheit und problemorientiertem Klassenmanagement, aber natürlich auch von individueller Unterstützung und der Variabilität der Unterrichtsformen für den Lernzuwachs (vgl. Helmke/Weinert 1997, Helmke 2005, S. 60 ff.). Groeben meint gar, dass es sich beim radikalen Konstruktivismus um eine unnötige, widersinnige und destruktive Radikalität handelt. (Groeben 1995, S. 154). Der Autor nimmt eine gemäßigte Position ein, wenn er zum Schluss kommt, dass guter Unterricht immer aus einer Balance von Kasuistik und Systematik besteht (vgl. Schneider 2000). [ wissenschaft Es wird Situationen geben, in denen die Schülerinnen und Schüler oder zumindest viele von ihnen chancenlos sind, den Denkweg selbst zu finden, denken wir etwa an den Aufbau und die Fehlerquellen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, an die Entwicklung eines Cashflow-Statements oder auch nur an das Erklärungsmodell der Doppelten Buchhaltung. Prozeduralisierung bedarf gut vernetzter deklarativer Wissensstrukturen (vgl. z. B. Fortmüller 1997), für deren selbständige Erarbeitung nicht immer Zeit und auch nicht immer das notwendige Vorwissen vorhanden sind. Zeit sollte man daher eher komplexen Problemen widmen, die die Schüler veranlassen, die erworbenen Strukturen zu elaborieren und zu prozeduralisieren. Überlässt man alles den Schülern, besteht die Gefahr, dass projektorientiert Kompetenz in miteinander unvernetzten Feldern erworben wird und erneut kontextgebundenes und daher träges Wissen entsteht. Patry meint, dass bei allen pädagogischen Paradigmen das Problem besteht, ob die optimale Ausprägung bei den Extremen liegt (je mehr, je besser oder je weniger, je besser) oder ob eher gilt „nicht zuviel und nicht zuwenig“ (vgl. Patry 1998, S. 222 f.). 8. Bildungsstandards und Schulautonomie Es ist noch immer unklar, welchen Bereich die Bildungsstandards abdecken sollen. Niemand fordert offensichtlich die Operationalisierung von Maximalzielen. Das bedeutet, es bleibt die Wahl zwischen Mindestzielen und Kernzielen, wobei zu klären ist, welchen Anteil am gesamten zur Verfügung stehenden Zeitbudget durch diese Ziele abgedeckt werden sollen. Lösungen sind nur pragmatisch möglich. So geht man etwa in den Niederlanden davon aus, dass der zentral geprüfte Teil der Ziele etwa 50 % betragen soll. Posch/Schneider/Mann schlugen bereits 1977 etwa 70 % vor und Aff und Fortmüller meinen, allerdings unter der Annahme, dass es sich nur um Mindestziele handelt, dass 30 % ausreichten (vgl. Aff/Fortmüller 2005/06, S. 7). Sie fürchten, dass sonst durch das Lehren und Lernen für den Test zu wenig Zeit für jene Inhalte bleibt, die nicht operationalisierbar sind. Eine Entscheidung kann nur bildungspolitisch getroffen werden, wobei der Autor eher für einen höheren Anteil einheitlichen Outputs eintritt, weil erfahrungsgemäß in allen Schulsystemen der Welt Kenntnisse, Wissen und Fähigkeiten relativ schnell „erodieren“, wenn sie nicht unmittelbar nach dem Lernprozess in außerschulischen praktischen Situationen angewendet werden. Die Breite der Fächer und die unterschiedlichen Interessenschwerpunkte der Schüler/innen verstärken dieses Problem. 9. Zusammenfassung Wie in den vorhergehenden Abschnitten dargestellt wurde, sind schon jetzt die Lehrpläne kompetenzorientiert ausgerichtet und die Lehrbücher enthalten zahlreiche „Unterrichtsbeispiele“, deren Komplexitätsniveau über die Ansätze der Bildungsstandards weit hinausgehen. Lehrerinnen und Lehrer hatten daher schon bisher laut Lehrplan die Pflicht und anhand der Lehrbücher die Möglichkeit, „kompetenzorientiert“ zu unterrichten. Zu völlig neuen Ansätzen könnte es daher nur kommen, wenn derzeit die Lehrerinnen und Lehrer weder lehrplankonform noch mit den in den Lehrbüchern enthaltenen Beispielen arbeiten und wenn es durch die Bildungsstandards plötzlich gelänge, dies zu ändern. Dass Lehrerinnen und Lehrer auf der Basis der Unterrichtsbeispiele eigenständig eine Unzahl von neuen Anwendungssituationen entwickeln, hält der Autor für unwahrscheinlich und ist damit nicht alleine (vgl. z. B. Neuweg 2005/06, S. 8 und die dort zitierte Literatur). Möglich und zu wünschen wäre, dass sich jener kleinere Teil der Lehrerschaft, die einem kompetenzorientierten Unterricht bisher ausgewichen ist, durch die bildungsstandardorientierten Abschlussprüfungen veranlasst sehen, anwendungsorientierter zu arbeiten als bisher und die angebotenen Materialien (ob Unterrichtsbeispiele aus den Bildungsstandards oder aus den Lehrbüchern, ist dabei gleichgültig) intensiver zu nutzen. Selbstverständlich werden die Bildungsstandards die Richtlinien für die zentralen Abschlussprüfungen vorgeben und damit die Methodenfreiheit mancher Lehrerinnen und Lehrer einschränken, die bisher die Möglichkeiten zum kompetenz orientierten Unterrichten nicht genutzt haben. Selbstverständlich wird es zu Schulvergleichen kommen, da die Ergebnisse der zentralen Abschlussprüfungen nicht geheim gehalten werden können. Kompetenzorientierter Unterricht heißt nicht radikales Verfolgen konstruktivistischer Unterrichtsmodelle, sondern Balance halten zwischen Kasuistik und Systematik, wie es die Befunde der Lernpsychologie nahelegen. Der Autor meint, der Zug in Richtung Bildungsstandards ist abgefahren. Möge er uns dorthin bringen, wo wir schon vor 20 Jahren hätten sein können. Hauptvorteil könnte sein, dass das Standing des höheren berufsbildenden Schulwesens in der EU verbessert wird und die Abschlüsse höher als bisher eingestuft werden. Y Zitierte Literatur: »» Aff, J. (1993): Handlungsorientierung – Mythos oder (wirtschafts)didaktische Innovation. In Schneider, W. (Hrsg.): Komplexe Methoden im betriebswirtschaftlichen Unterricht. Manz, Wien. »» Aff, J. (1997): Der fächerübergreifende Unterricht im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit. In Aff, J. u. a. (Hrsg.): Zwischen Autonomie und Ordnung, Perspektiven beruflicher Bildung. Botermann & Botermann, Köln. »» Aff, J. 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