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BERENBERG DAS MAGAZI N FÜR WIRTSCHAFT, GESELLSC H AFT & LE B E N SART N 15 16 O 2 3 Foto: Berenberg EDITORIAL Liebe Kunden, verehrte Freunde unseres Hauses, der Begriff Kulturwandel ist derzeit in aller Munde. Insbesondere die Finanzbranche beschäftigt sich mit dem Thema. Man engagiert Berater, stellt Verhaltensregeln auf, dreht Werbefilme. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Die Banken müssen einen Nutzen bringen. Und zwar nicht in erster Linie für sich selbst, sondern für ihre Kunden. Wenn die Kunden verdienen, dann kann auch die Bank verdienen. Und wenn man diesen Verhaltensmaßstab anlegt, dann ist es auch gerechtfertigt, dass Banken ertragsstark sind. Eine starke Bank als Partner zu haben ist besser, als auf einen schwachen Partner angewiesen zu sein. Die Banken sind gefordert, ihre Geschäftsmodelle und ihre Geschäftstätigkeit laufend auf den Prüfstand zu stellen und zu sehen, wo sie für ihre Kunden Mehrwerte erbringen können. Wir sehen für uns die analytische Kompetenz als wichtigen Wettbewerbsfaktor. Die fundierte Analyse und das Abwägen verschiedener Handlungsoptionen stehen immer am Anfang von Investitionsentscheidungen. Das ist beim Privatanleger nicht anders als bei großen institutionellen Investoren und bei Unternehmen. Dabei unterstützen wir unsere Kunden. Das Geschäftsjahr 2013 haben wir mit einem Rekordgewinn von 66 Mio. Euro abgeschlossen, die Bruttoerträge als Maß unseres Geschäftsvolumens stiegen auf einen Höchststand von 309 Mio. Euro, und das verwaltete Vermögen beträgt nun über 30 Mrd. Euro. Über 1150 kompetente Mitarbeiter stehen unseren Kunden heute an 17 Standorten in Deutschland, Europa und den USA mit unabhängiger Beratung zur Seite. Wir freuen uns, wenn Sie diese Kompetenz nutzen! T O U R B I L LO N M I T D R E G O L D B R Ü C K E N Viel Vergnügen bei der Lektüre von Berenberg N° 16! Ihre GIRARD-PERREGAUX 09600 KALIBER, MECHANISCHES UHRWERK MIT AUTOMATIKAUFZUG TOURBILLON, STUNDEN, MINUTEN, KLEINE SEKUNDE AUF DEM TOURBILLON 48 STUNDEN GANGRESERVE - 41MM GEHÄUSE AUS ROSÉGOLD MIT SAPHIRGLASBODEN ALLIGATORLEDERBAND MIT FALTSCHLIESSE CONNAISSEURS GmbH | Telefon 0049 7221 3989020 | info@connaisseursbaden-baden.de | www.girard-perregaux.com 4 5 Inhalt I N H A LT Thomas Strobl, stellvertre tender CDUParteichef und FraktionsVize im Bundestag, hat dezidierte Meinungen über die Große Koalition und die Sollbruchstellen des Kabinetts Merkel. Für die eigene Karriere hat er ehr geizige Ziele: Er will Baden Württemberg für die Union zurückgewinnen. Ärzte ohne Grenzen Es ist wohl die bemerkenswerteste Ideenschmiede der WeltAuto industrie: Das PorscheEntwick lungszentrum in Weissach bei Stuttgart forscht und entwickelt Kaum eine andere internationale nicht nur für das eigene Unter Organisation hat einen so untade nehmen, sondern auch für ligen Ruf. Die Médecins Sans namhafte Konkurrenten. Daneben Frontières, aus privaten Spenden bauen die Weissacher eines der finanziert und mit dem Friedens komplexesten Rennautos dieser Zeit nobelpreis ausgezeichnet, leisten für das prestigeträchtige 24Stun Erste Hilfe in mehr als 60 Ländern, denRennen von Le Mans – und kämpfen gegen Seuchen, Hunger sie sind mit Sicherheit die größten und Folgen der Gewalt und entsen 52 Geheimniskrämer der Branche. Unwiderstehliche Penélope REISEN 24 56 Die Geheimniskrämer von Weissach MENSCHEN Hoffnungsträger aus Südwest W O H LT Ä T I G K E I T POLITIK 10 PORSCHE 38 Nach Paris – der Lebensart zuliebe Kaum jemand kennt sich in Paris besser aus als der frühere Stern-Reporter Claus Lutterbeck, der immerhin zwölf Jahre Ihre Ausstrahlung ist unbe- an der Seine lebte. Im Beren- schreiblich, ihre Schönheit: berg Magazin gibt er seine atemberaubend. Penélope Hotspots preis: bemerkens- Cruz hat in ihrem ersten Film werte Restaurants, empfehlens- die Hüllen fallen lassen und werte Hotels und unverwechsel- danach eine beispiellose Karri- bare Märkte. Sein Fazit: Paris ist ere mit etlichen Meisterwerken mehr als eine Messe wert. den jedes Jahr rund 3000 Ärzte, der Filmgeschichte hingelegt. Pfleger, Hebammen und Logistiker Nur mit Hollywood wurde sie in die Krisengebiete der Welt. nicht warm. Und vice versa. EDITION Inge Morath – Fotografin der Stars 8 POLITIK CDU-Vize Thomas Strobl über die Sollbruchstellen der Großen Koalition MUSIK Deutschlands Star-Geigerinnen sind auch international gefragt 10 18 W O H LT Ä T I G K E I T Die Médicins Sans Frontières – die angesehenste Hilfsorganisation der Welt KUNST Megastar Gursky, der teuerste Fotograf der Welt 24 36 PORSCHE Die unvergleichlichen Tüftler von Weissach WELLNESS Die besten Spas Deutschlands 44 MENSCHEN Penélope Cruz – ein europäischer Star REISEN Paris – mon amour BERENBERG NEWS Meldungen 38 52 56 64 IMPRESSUM Herausgeber: Berenberg Neuer Jungfernstieg 20, 20354 Hamburg Projektleitung: Karsten Wehmeier Redaktion: Dr. Werner Funk (v. i. S. d. P.); Emanuel Eckardt, Constanze Lemke, Farimah Justus Adresse: Dr. Werner Funk, Mittelweg 157, 20148 Hamburg Lektorat: www.lektornet.de Anzeigen: Armin Roth, Telefon (040) 3 61 31-425, anzeigen@berenberg.de Druck: NEEF + STUMME premium printing GmbH & Co. KG, Schillerstraße 2, 29378 Wittingen Repro: Allzeit Media Consult, 22767 Hamburg Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Fotomaterialien. Titelfoto: Inge Morath, „A Llama in Times Square” (1957) Fotos Inhalt: Steffen Roth, P.K. Lee/MSF, Rainer Kwiotek/Zeitenspiegel, Andrea Renault/Polaris/Studio X 6 7 BERENBERG EDITION Misfits Erst nahm sie Bilder von Marilyn Monroe und wurde damit berühmt, dann nahm sie ihren Mann. Inge Morath mit Arthur Miller (unten) Musik im Bild Szenenwechsel Pamplona: Stierkampf (oben). Reno: Clark Gable am Set. London: Verlegerin Eveleigh Nash mit Chauffeur. Irak: Gypsies bei Ktesiphon. Manhattan: Fensterputzer Iran, Musikanten in Isfahan. Córdoba Schulmädchen vor der Alhambra (unten) Inge Morath wird am 27. Mai 1923 in Graz als Ingeborg Mörath geboren. Ihre Eltern, beide Naturwissenschaftler, ziehen mit ihr nach Berlin. Sie absolviert ein soziales Jahr im Kindergarten eines Arbeiterbezirks, um Romanistik und Sprachwissenschaften studieren zu können, macht gerade noch ihr Staatsexamen und flieht aus dem brennenden Berlin nach Österreich. Nach einigen Jobs als Journalistin in Salz burg und Wien zieht sie mit dem Fotografen Ernst Haas nach Paris und arbeitet als Textredakteurin für die Fotografen agentur Magnum. Fasziniert von der Sprache der Bilder lässt sie sich bei Simon Guttmann in London zur Fotografin aus bilden und wird 1955 MagnumFotografin. Ihre erste Reportage widmet sie französischen Arbeiterpriestern. Sie reist in den Nahen Osten, nach Afri ka, Südasien, Russland und China, damals für Berufsfotografen noch schwer zugängliche Ziele, fotogra fiert alltägliche Situationen, macht Reisereportagen und Künstlerpor träts von Henry Moore oder Jean Cocteau. Ihre Bilder er scheinen in der „Vogue“ und „Paris Match“. Sie macht sich selbstständig, wird von Museen und Galerien entdeckt. Befragt nach den „Tricks“ beim Fotografieren antwortet sie: „Restlose Aufmerksamkeit. Rastlose Aufnahmebereit schaft. Und so unauffällig wie möglich, gewissermaßen 8 unsichtbar zu sein.“ Vor allem aber brauche sie „Disziplin und Klarheit. Die Komposition, der innere Rhyth mus des Bildes ist für mich von größ ter Wichtigkeit.“ So hatte sie es bei ihrem Lehrmeister, dem Magnum Gründer Henri CartierBresson ge lernt. „Ich fotografiere, was ich sehe. Ich habe ein Auge aufs Motiv gerich tet, das andere auf die eigene Seele.“ „A Llama in Times Square“, Titel motiv der Berenberg Edition, wurde 1957 in „Life“ publiziert, eine Auf tragsarbeit für eine Story über Tier darsteller im Fernsehen. Linda das Lama hat inzwischen ein Eigenleben als eines der beliebtesten Bilder Inge Moraths entwickelt. Was wie ein Zufall aussieht, als sei die Fo tografin gerade im richtigen Moment am richtigen Ort gewe sen, war lange vorbereitet und umsichtig geplant. Inge Morath erzählt ihre Geschichten, indem sie ihre Bilder komponiert. Berühmt wird sie mit ihren Fotografien von Dreharbeiten zu „Misfits“, Marilyn Monroes letztem Film. Das Drehbuch hatte deren Mann, der Dramatiker Arthur Miller, geschrie ben. Die Ehe zerbrach während der Dreharbeiten. Im Jahr darauf heiratet Miller die Fotografin Inge Morath. Sie haben Porträtfoto: Alfred Eisenstaedt/Time & Life Pictures/Getty Images Eine Frau zwischen Magnum und Arthur Miller zwei Kinder, den Sohn Daniel, der am Down-Syndrom leidet, geben sie in ein Heim. Die Mutter besucht den Sohn regelmäßig, der Vater nicht. Das Paar lebt mit der kleinen Tochter in Suite 614 des legendären „Chelsea Hotel“ in New York, das auch Norman Mailer, Lou Reed und Bob Dylan bewohnen. 1976 zieht die Familie in ein weißes Holzhaus in den Hügeln von Connecticut. Inge Morath führt Arthur Miller 40 Jahre lang das Haus. „Meine Mutter kümmerte sich um alles Gesellschaftliche, kochte und machte das Leben schön“, erinnert sich ihre Tochter Rebecca, heute Malerin, Drehbuchautorin und Filmregisseurin. Gemeinsam arbeiten Inge Morath und Arthur Miller an Büchern über Neuengland, Russland oder die chinesische Erstaufführung des „Tod eines Handlungsreisenden“ in Peking. Inge Morath beherrscht sechs Sprachen, für dieses Projekt lernt sie Chinesisch. Österreich ehrt sie mit dem Staatspreis für Fotografie und der Ehrenmedaille der Stadt Wien in Gold, ihre Wahlheimat mit dem Ehrendoktor der Universität Connecticut. Ihr letztes Projekt widmet die Fotografin den Opfern des Terroranschlags auf New York vom 11. September 2001. Sie plant ein Buch über die privaten Gedenkstätten, die Menschen am Ort des Geschehens aufstellten. Doch dazu kommt es nicht mehr. Sie stirbt am 30. Januar 2002 im Alter von 78 Jahren in einem New Yorker Krankenhaus. Arthur Miller überlebt sie um drei Jahre. Er stirbt am 10. Februar 2005. BERENBERG EDITION NO 16 Inge Morath „A Llama in Times Square” (1957) nur noch 4 Lifetime-Prints erhältlich, handsigniert in den Größen 1 1 x 14 inches (27,94 x 35,56 cm) 16 x 20 inches (40,46 x 50,80 cm) ab 25.000 € (ungerahmt / inkl. MwSt.) Bezugsquelle: CLAIR Galerie & Artmanagement Anna-Patricia Kahn Kurfürstenstraße 35 | showroom D-80801 München Tel.: 089 3866743 info@clair.me | www.clair.me 1, rue de la Tour | Galerie F-06570 Saint-Paul-de-Vence anna@clair.me Tel.: +33 (0) 493586332 9 POLITIK „Optimismus ist Pflicht“ Das Ziel ist klar: Wenn in zwei Jahren, im März 2016, in Baden-Württemberg wieder gewählt wird, dann soll aus der ersten grün-roten Landesregierung der Bundesrepublik „eine Fußnote in der Geschichte gemacht werden“. Thomas Strobl (54) heißt der Mann, der das packen soll im „Ländle“. Noch hat der Bundestagsabgeordnete, der auch einer der Vertreter von Parteichefin Angela Merkel und einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist, keinen amtlichen Auftrag. Denn ihren Spitzenkandidaten für die Landtagswahl muss die CDU erst noch in einer Mitgliederbefragung küren. Strobl ist eindeutig Favorit. Seit fast drei Jahren amtiert er als CDU-Landesvorsitzender, unter seiner Führung hat die Partei bei der letzten Bundestagswahl 45,7 Prozent und wieder einmal alle 38 Wahlkreise für die CDU geholt. Einen ähnlichen Durchmarsch will er auch bei den Kommunalwahlen und der Europawahl am 25. Mai abliefern. Das kann gelingen. Denn Strobl hat die nach dem Machtverlust 2011 zerstrittene Landes-CDU wieder geeint. Nach der Bundestagswahl galt er auch als ministrabel im Bund. Er ist familiär zudem bestens vernetzt: Denn seine Frau Christine ist die älteste Tochter des CDU-Granden und Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble. Herr Strobl, stimmen Sie mit uns überein, wenn wir feststellen, dass die Große Koalition von CDU/CSU und SPD sich schwertut, endlich in Gang zu kommen und die Bundesrepublik so souverän zu regieren, wie es bei ihrer satten Mehrheit im Bundestag angemessen wäre? Der Start war – verursacht durch die Affäre Edathy und das nicht immer angemessene Verhalten einiger SPDPolitiker – zugegebenermaßen nicht einfach. Wir haben jetzt eine zielorientierte Zusammenarbeit und fassen ganz gut Tritt. Hinzu kommt, dass die Bundeskanzlerin nicht nur in so schwierigen Fragen wie der Krim-Krise hervorragend arbeitet, sondern sehr klug, sehr umsichtig, sehr weitblickend und auch sehr souverän Politik für Deutschland macht. Da Sie dies sagen, müssen wir Sie mit einem Spottwort über die Kanzlerin konfrontieren, das zurzeit in der Polit-Szene kursiert und heftig belacht wird. Danach beherzigt die Kanzlerin die bewährte Führungsphilosophie: „Mir nach, ich folge!“ Mir sind in der Politik vor allem diejenigen verdächtig, die immer von Anfang an wissen, wie es geht. Meine Sympathie gilt denen, die prüfen, ein Thema hinterfragen, Sachverhalte gründlich aufarbeiten. Ich finde es sehr gut, dass unsere Kanzlerin Angela Merkel sich zunächst sachlich und fachlich eine Basis für ihre Entscheidung bildet. Das braucht in der Regel Zeit, hat aber den Vorteil, dass die Entscheidungen besser sind. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat ungeschminkt gesagt, die Große Koalition habe „einen Fehlstart hingelegt“. Dieses Urteil teilen Sie offenbar nicht. So formuliere ich es nicht, auch wenn es am Anfang geholpert hat. Die Affäre Edathy hat uns gleich nach dem Start eine Krise beschert, da gibt es nichts zu beschönigen. Das war aber keine „Staatskrise“, wie Der Spiegel es bezeichnet hat. Aber ich sage auch offen: Viel hätte nicht hinzukommen dürfen an Irritationen, sonst hätte ich mir ernsthafte Sorgen um die Koalition gemacht. Aber, wie gesagt, wir haben jetzt Tritt gefasst, und es läuft gut an. Aber wir sehen das nicht auf zwei der wichtigsten Felder der Politik, bei der Energiepolitik und bei der Rente mit 63. Der frühere Bundesminister Ramsauer sagt, die Koalition spiele bei der Energiepolitik mit dem Feuer, weil hier völlig falsche Weichenstellungen stattfänden. Und die Rente mit 63 wird von der gesamten Fachwelt einmütig als unsinnig abgelehnt, nahezu alle Forschungsinstitute und wissenschaftlichen Beiräte halten die Rente mit 63 für einen Schritt in die falsche Richtung. Und Sie wollen ihn weitergehen? Die Rente nach 45 Beitragsjahren ist nicht meine Erfindung, auch nicht die der CDU. Sie war eine Bedingung der SPD für den Koalitionsvertrag. Wenn wir darauf nicht eingegangen wären, hätten wir diese Koalition nicht bekommen. Dann wäre ein weitgehend handlungsunfähiges Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei nicht ganz fernliegend gewesen, in dem es wahrscheinlich um die Rente mit 58 gehen würde. Ich bin sehr froh, dass es nicht bei dem frühen Eintrittsalter von 63 bleibt, sondern dass das in den nächsten Jahren wieder auf 65 Jahre steigt, insgesamt ja auf 67 Jahre. Das konnten wir durchsetzen. CDU-Vize Strobl in seinem Bundestagsbüro mit Blick auf den Reichstag 10 11 POLITIK „Ich Ich setze auf die Findigkeit deutscher Ingenieure, T Techniker, Tüftler in meiner Heimat“ Wie viele Jahre Arbeitslosigkeit sollen denn nun eingerech net werden, um mit 63 Jahren in Rente gehen zu können? hat einen so radikalen Schwenk vollzogen. Inzwischen müssen viele über die rasch steigenden Strompreise … Bayern will Horst Seehofer ganz persönlich verhindern – wo sollen da vernünftige Lösungen herkommen? Das kann nicht unbegrenzt gehen: Maximal fünf Jahre – mehr geht nicht. Es darf auch keine neue Frühverrentungs welle geben, das lehne ich entschieden ab. Ich glaube, eine sehr große Mehrheit der deutschen Be völkerung ist der Meinung, dass der Ausstieg so richtig ist. Meine Überzeugung ist: Wir werden das auch packen. Ich setzte dabei auf die Findigkeit deutscher Ingenieure, Tech niker, Tüftler – besonders in meiner Heimat. Ich glaube an die Kraft der Argumente. Auch in den Ländern wird erkannt werden, dass dieses Thema für den Föderalismus eine Bewährungsprobe ist. Wir können in Deutschland nicht 16-mal die Energiewende machen. Nicht jedes Land kann seine eigene Energiepolitik verfolgen. Die Windenergie muss aus dem Norden in den Süden gebracht werden. Hier können nicht die Länderinteressen dominieren, hier muss sich der Föderalismus bewähren. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie hat diese Koalition nicht unbedingt gefördert. „Wir setzen die falschen Schwerpunkte“, sagt beispielsweise der frü here Bundesminister Ramsauer. Oder auch: „Wir spielen mit dem Feuer.“ Zu Beginn der Koalition hatte ich eine Befürchtung: dass die SPD gleichzeitig regieren und Opposition machen will. Da muss sich die SPD entscheiden. Es geht nicht, über die Länder das zu torpedieren, was man im Bund mit dem Koalitionspartner ausgehandelt hat – wie es beispielsweise die Regierung von BadenWürttemberg versucht hat. In der Energiepolitik brauchen wir dringend eine neue Aufstellung für Deutschland. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Das ist die erste Herausforderung, die wir auch zeitnah lösen müssen. Vizekanzler Gabriel geht dieses Thema entschlos sen an, aber die Energiepreise werden weiter steigen. Das können wir nur dämpfen. Und wir müssen dafür sorgen, dass Industrie und Mittelstand auch künftig wettbewerbs fähig produzieren können. Deswegen muss es Ausnahmen für entsprechende Betriebe geben. Nach der panikartigen Aufgabe – Stichwort Fukushima – der „alten“ Energiepolitik setzt das Kabinett Merkel auf ein hoch komplizier tes Modell, dessen Folgen für die Umwelt, nach übereinstimmender Ansicht aller namhaften Experten, überaus bescheiden sind, das aber die deutsche Wirtschaft und vor allem die Ver braucher hart trifft. Diese „übereinstimmende Ansicht“ aus der Wis senschaft sehe ich nicht. Beispielsweise Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirt schaftsforschung, sieht das nicht ganz so. Sie gibt zur Energiepolitik immer wieder kluge Rat schläge und betont auch die Chancen, die sich aus unserer Energiewende ergeben. Wir unternehmen mit unserer Wende einen energiepolitischen Alleingang, kein anderes Land 12 Viele Betriebe erhalten großzügige Rabatte beim Strom preis, die Endverbraucher zahlen die Zeche … Das ist schon wahr. Je mehr Unternehmen wir von der Umlage befreien, desto höher wird der Strompreis für die anderen. Dennoch bin ich der Auffassung, dass diese Aus nahmen für die Industrie zwingend sind. Ich bin glasklar der Meinung: Deutschland muss ein Industrieland sein und bleiben, und deshalb müssen wir diesen Betrieben beim Strompreis entsprechend entgegenkommen. Wenn dieser produzierende Sektor abwandert, dann haben wir Arbeits losigkeit in Deutschland. Und wenn uns diese Unternehmen mit ihren Steuern und Beiträgen in die Sozialversicherungs systeme nicht erhalten bleiben, dann wird die Rechnung unterm Strich für alle viel, viel teurer. Woher haben Sie den Optimismus, dass diese Energie politik doch noch zum Erfolg führt? Die Subventionen für die Windkraft werden nach unten gefahren, die Trassen in Und Sie glauben, das klappt? Der von mir sehr geschätzte Philosoph Karl Popper hat mal gesagt: Optimismus ist Pflicht. Lassen Sie uns zu einem anderen Thema kommen. Das Bundesverfassungsgericht hat unlängst die Drei-ProzentKlausel bei der Wahl zum Europaparlament gekippt. Sie haben laut darüber nachgedacht, die Fünf-Prozent-Klausel des Bundestagswahlrechts im Grundgesetz zu verankern, um zu verhindern, dass sie abgeschafft wird. Warum? Der ehemalige Präsident der Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat diesen Vorschlag gemacht, und ich habe dafür Sympathie. Der Gedanke beschäftigt mich seit Längerem. Die Fünf-Prozent-Klausel ist ein wesentlicher Teil der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik – übrigens auch ein Teil der ökonomischen Erfolgsgeschichte. Für die Wirtschaft sind in der Politik vor allem auch Planbarkeit, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit bedeutsam. Das haben wir in fast sieben Jahrzehnten immer gehabt, egal, wer regiert hat. Das hatten wir, weil der Bundestag immer stabil und berechenbar gewesen ist, ohne eine Zersplitterung in eine Unzahl kleiner Parteien. Diese Zersplitterung hätten wir beim Wegfall der Fünf-Prozent-Klausel sofort. Dann ist die Große Koalition die einzige Regierungsform, die überhaupt noch funktioniert. Auf Dauer halte ich eine Große Koalition aber aus demokratischen Überlegungen heraus für keine gute Lösung. Die besten Leistungen in der Politik kommen zustande, wenn man eine starke Regierung hat und gleichzeitig eine starke Opposition. Die Fünf-Prozent-Klausel bewirkt, dass bei jeder Bundestagswahl sieben Millionen Stimmen untern Tisch fallen. Das stört Sie nicht? Das ist ein Abwägungsprozess, in diesem Fall mit dem Ziel, dass das Parlament funktionieren kann. Auf der anderen Seite steht die Nichtberücksichtigung von Stimmen. Das ist auch der Preis des Mehrheitswahlrechts bei der Wahl der Wahlkreisabgeordneten. Auch dort fallen im Zweifel 70 Prozent der Stimmen unter den Tisch. Jetzt wollen wir zu Ihnen kommen … ... jetzt bin ich aber gespannt ... … und Ihren Karriereaussichten. Sie beteiligen sich an einer Neuauflage des schwarz-grünen Gesprächskreises „Pizza Connection“. Bereitet man dort die Chancen einer schwarz-grünen Koalition nach der Großen Koalition vor? Zunächst will ich festhalten: Ich esse keine Pizza. Dort gibt es auch gar keine! Stimmt, beim letzten Mal gab es Nudeln, und die waren sehr lecker. Und warum gehen Sie dann zu den Grünen? Warum sollten wir denn mit den Grünen nicht genauso sprechen, wie wir es beispielsweise mit den Sozialdemokraten tun? Warum sollten wir als Union uns künftige Optionen zum Regieren von vornherein verbauen? Damit haben wir in Baden-Württemberg keine guten Erfahrungen gemacht. Es geht mir aber nicht nur um die strategischen Optionen für die Union: Es ist für mich eine inhaltliche Überzeugung, dass die Grünen für uns ein genauso interessanter Gesprächspartner sind wie die SPD. Ich glaube beispielsweise nicht, dass wir in einer Koalition mit den Grünen dieselben Zugeständnisse in der Rentenpolitik hätten machen müssen wie mit den Sozialdemokraten. 2011 waren Sie persönlich noch strikt dagegen, mit den Grünen über eine Koalition zu sprechen. Die Situation am Abend der Landtagswahl 2011 war so, 13 hgschmitz.de POLITIK „Angela Merkel kann sich auf uns verlassen “ In Hessen übt die CDU ja gerade den Umgang mit den Grünen. Es freut mich, dass Ministerpräsident Volker Bouffier in einem Bündnis mit den Grünen regiert. Es nötigt mir gro ßen Respekt ab, wie er das in Hessen gemacht hat. Volker Bouffier traue ich zu, dass er die schwarzgrüne Koalition in Hessen zu einem Erfolgsmodell macht. Und das wird über die Grenzen Hessens hinaus Wirkung entwickeln. Rechnen Sie denn nicht mehr mit einer parlamentarischen Rückkehr der FDP in den Bundestag? Die Frage kann ich Ihnen derzeit nicht beantworten. Aber an dem Spruch „Totgesagte leben länger“ ist schon etwas dran. Die FDP hat jedenfalls eine Chance, dass es wieder klappt. Und ich will auch ganz offen sagen, dass ich das dem FDPBundesvorsitzenden Lindner durchaus zutraue. Er ist ein kluger Kollege, der strategisch denkt. Ja, ich traue es Herrn Lindner zu, die FDP wieder aufzurichten. Und wie sehen Sie die FDP in Baden-Württemberg? BadenWürttemberg ist ein Stammland für die Liberalen mit einer weit zurückreichenden Tradition. Wir hatten ein mal einen FDPMinisterpräsidenten, nicht nur einen grünen wie heute. Auch in BadenWürttemberg hat sich die FDP neu aufgestellt. Der FDPKollege Michael Theurer und der Fraktionsvorsitzende HansUlrich Rülke haben die Chance, dass sich die SüdwestFDP wieder berappelt. Sie wollen doch die CDU in den nächsten Wahlkampf im Jahr 2016 führen? Ich bin der Parteivorsitzende, und damit habe ich vermut lich schon etwas mit dem Wahlkampf zu tun. Die SPD im Ländle findet doch gar nicht statt. Der grüne Ministerpräsidente Winfried Kretschmann hat sehr gute persönliche Umfragewerte. Das stimmt. Sie sind fast so gut, wie sie es in Niedersach sen für den Ministerpräsi denten McAllister waren, bevor er leider abgewählt wurde. Sehen wir es mal so: Der Trainer ist ganz nett, aber die Regierungsmannschaft spielt so, dass unser Land absteigt und dass BadenWürt temberg von der Substanz lebt. Das ist nicht die Vision, die ich für eine der wirtschaftsstärksten Regionen in ganz Europa habe. Ich möchte nicht, dass BadenWürttemberg nur Durchschnitt ist. Ich möchte nicht, dass man, wie SPD und Grüne es nach drei Jahren tun, sagt: Wir sind ja nicht auf dem letzten Platz, NordrheinWestfalen ist noch schlechter als wir. Der deutsche Südwesten gehört auf Platz eins. Wir sind für die Spitze gemacht. Aber wenn Sie die Spitzenkandidatur übertragen bekommen, wird der Skandal Mappus wie ein Damoklesschwert über Ihnen hängen. Sie waren lange Zeit sein Generalsekretär. Ich kann nachvollziehen, dass SPD und Grüne dieses The ma in einer gewissen Einfallslosigkeit wie einen Kaugummi bis 2016 ziehen wollen. Aber das wird keinen großen Erfolg haben. Stefan Mappus wird bei der nächsten Landtagswahl nicht der Kandidat der CDU in BadenWürttemberg sein, sondern es wird eine andere Person zur Wahl stehen. Die CDU BadenWürttemberg ist 2016 eine andere Partei, als sie es im Jahr 2011 war. Die CDU hat bei der Bundestagswahl mit 45,7 Prozent ja gut abgeschnitten. Richtig, und wir waren damit dort, wo wir hingehören, nämlich an der Spitze. Kein anderer CDULandesverband hat so gut abgeschnitten. Und niemand sollte unsere Geschlossenheit und unseren Kampfeswillen unterschät zen. Das Ergebnis bei der Bundestagswahl zeigt: Die SüdwestCDU ist wieder da, und Angela Merkel kann sich voll auf uns verlassen. Weshalb vermeiden Sie alle Bemerkungen über die SPD in Baden-Württemberg? DAS GESPRÄCH FÜHRTEN HANS PETER SCHÜTZ UND WERNER FUNK | FOTOS: STEFFEN ROTH 14 Foto: Patrick Seeger/dpa PictureAlliance dass eine Koalition von CDU und Grünen keine ernsthafte Option gewesen ist. SPD und Grüne hatten im Wahlkampf ein gemeinsames Ziel, die CDU abzulösen, sie hatten sogar ge meinsame Wahlkampfveran staltungen. Es war klar: Haben Grüne und SPD eine Mehrheit, regieren sie miteinander. Gira ClassiX Mit vollendeten Oberflächen und harmonisch abgerundeten Ecken setzt das Schalterprogramm Gira ClassiX neue Maßstäbe für klassisch geprägte Interieurs und moderne Inneneinrichtungen mit exklusivem Design. Passend zum Ambiente stehen Rahmenvarianten in goldglänzendem Messing, gebürsteter Bronze oder silberglänzendem Chrom zur Auswahl, jeweils ganz in Metall und in Kombination mit schwarzen oder cremeweißen Elementen. In der Designlinie ClassiX Art werden die hochwertig verarbeiteten Rahmen zusätzlich durch kunstvolle Ornamente veredelt. Ästhetisch perfekt fügen sich die vollflächigen Ausführungen des Gira Tastsensor 3 Plus oder Komfort in Chrom, Messing oder Bronze ein. 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Langes zu Recht im Namen, reprä- schen Ziffern und die symmetrisch angeordneten Hilfszifferblätter sind von weniger Platz zur Verfügung steht als bei traditionellen Taschenuhren, mit Datum, Wochentag, Monat und Schaltjahr und der 206-teilige Chro- sentiert sie doch mit ihrer aufwendigen Konstruktion in besonderer Weise den früheren Taschenuhren von A. Lange & Söhne inspiriert. Bei genauer mussten die Konstrukteure etliche mechanische Herausforderungen nograph-Rattrapante-Mechanismus, der das Ermitteln von Stopp- und den Anspruch der sächsischen Manufaktur. www.alange-soehne.com Wir laden Sie herzlich ein, unsere Kollektion in den A. Lange & Söhne Boutiquen Dresden und München sowie bei ausgewählten Konzessionären zu entdecken. MUSIK Starke Frauen machen das Spiel Die Epoche der großen Geiger ist Geschichte. In der Kunst des virtuosen Violinspiels geben junge Frauen den Ton an, unübersehbar und mit beeindruckendem Können „Natürlich gehört die Einsamkeit des Übens dazu, die Konzentration“ 18 Fotos: Marco Borggreve, Dieter Blum, culture-images/Lebrecht Music & Arts/S.Lauterwasser, Peter Miller/Deutsche Grammophon T E X T: E M A N U E L E C K A R DT T okio im Zwielicht. Im „Hotel Okura“ gehen die Lichter an. Ich erin nere mich so genau an diesen unfassbar glück lichen Moment im Oktober 1981, weil wir allein in meinem Hotelzimmer waren: die 18jährige Geigerin Anne Sophie Mutter und ich. Sie stand am Fenster, spielte sich warm auf ihrer Stradivari, die zu den fünf besten Gei gen der Welt zählen soll, spielte Läufe, Figuren, Fugen, die in eine Solopartita von Johann Sebastian Bach münden, einfach so. Die Konzentration ver änderte ihr Gesicht, das nicht mehr mädchenhaft aussah, sondern die Mu sik abzubilden schien, wie abwesend in einer anderen Welt, in der die fili grane Architektur der Töne das Hotel zimmer in einen Saal, in ein Kirchenschiff und dann in einen Himmel voller funkelnder Sterne verwandelte. Meine Posi tion war von Andacht nicht weit entfernt. Ich kauerte ihr zu Füßen, hinter dem halb offenen Vor hang, unsichtbar von dem Hochhaus auf der anderen Straßenseite. Dort hatte der Fotograf Dieter Blum seine Kamera aufgestellt, um die Hotel fassade in der Abenddämmerung zu fotografieren, hinter deren erleuchte ten Fenstern sich die Berliner Philhar moniker übend auf den Konzertabend vorbereiteten. Und in meinem Zim mer übte – nur fürs Foto – die Solistin. Das Orchester war mit Herbert von Karajan auf JapanTournee. AnneSophie Mutter, die er schon als 13Jährige unter seine Fittiche ge nommen hatte, reiste mit, um Beet hovens Violinkonzert zu spielen. Ein Wunderkind wollte sie nie sein. Aber natürlich schmeichelte es ihr, dass der Maestro in ihr „ein Wunder“ sah. Als AnneSophie Mutter wie ein Komet in die interna tionale Laufbahn schoss, war virtuoses Geigenspiel von Männern geprägt, allen voran Yehudi Menuhin, Jahrgang 1916, der einst, am 12. April 1929, als Zwölfjähriger in kurzen Hosen drei große Violinkonzerte von Bach, Beet hoven und Brahms hintereinander gespielt hatte. Am Pult „Jetzt sind die jungen Frauen dran“ Vor dem Spiel Tanja Becker-Bender (linke Seite) und Hilary Hahn (oben). Für Herbert von Karajan war Anne-Sophie Mutter „ein Wunder“. 1981 übt die 18-Jährige im Hotel mit den Berliner Philharmonikern (zweite Fensterreihe von unten, Mitte) 19 MUSIK Geigen-Gipfel Lisa Batiashvili, Alina Pogostkina und Baiba Skride (von links) nach gemeinsamem Spiel in Baden-Baden. Janine Jansen eröffnet die Londoner Proms (rechts). Julia Fischer mit Stradivari (unten) geborene Violinistin Viviane Hagner, „da haben Eltern und Lehrer sehr viel Verantwortung.“ Wer mutet seinen Kindern zu, zehn Jahre lang an die 10.000 Stunden einem Instrument zu widmen, bei dem sich Erfolgserlebnisse erst nach und nach einstellen. Irgendwann kommt die Lust am Musizieren, entwickeln sie Neugier und Ehrgeiz und machen wie Hagner nebenher noch ein Abitur mit dem Notendurchschnitt 1,0. „Natürlich gehört die Einsamkeit des Übens dazu, die Konzentration“, weiß die Hamburger Geigenprofessorin Tanja Becker-Bender, „ich habe immer gern geübt.“ n Musikerfamilien haben Kinder oft keine Wahl. Der Geiger Tamas Batiashvili konnte es kaum abwarten, das Genie seines Kindes zu entdecken. Die kleine Lisa war gerade mal zwei Jahre alt, als er ihr eine Violine in die Patschhändchen legte. Mit vier stand Lisa Batiashvili zum ersten Mal auf der Bühne, der Vater unterrichtete sie bis zum elften Lebensjahr. Mit zwölf übersiedelte die Familie nach Deutschland, damit Lisa an der Hamburger Musikhochschule studieren konnte. Heute zählt sie zu den gefragtesten Solistinnen, sammelt Preise und Ehrentitel wie „Teufelsweib“ („Die Welt“). Die Nippon Music Foundation hat ihr die Stradivari „ex Joachim“ als Leihgabe anvertraut. Mit diesem Instrument soll der legendäre Geiger Joseph Joachim einst das Violinkonzert gespielt haben, das sein Freund Johannes Brahms für ihn komponiert hatte. Als Lisa dieses Konzert einstudierte, hatte sie das der Berliner Philharmoniker stand Bruno Walter, und im Publikum saß Albert Einstein. „Jetzt weiß ich, dass es einen Gott gibt“, soll er ausgerufen haben. Die großen Virtuosen blieben unter sich. Zu ihnen zählten der Russe Dawid Oistrach (Jahrgang 1908) und sein Sohn Igor (1931), der Ukrainer Isaac Stern (1920) und der Lette Gidon Kremer (1947), laut Herbert von Karajan „der beste Geiger, den wir haben“. In der Generation von AnneSophie Mutter sind Frank Peter Zimmermann (1965) und Christian Tetzlaff (1966) als gefeierte Interpreten unterwegs, aber natürlich niemals schulterfrei und ohne jeden inszenierten Glamour. eute hat eine ganze Generation begnadeter und bemerkenswert attraktiver Solistinnen die Podien erobert, meist Frauen um 30, Weltreisende im Höhenflug, mit wertvollen Instrumenten im Handgepäck, die ihnen millionenschwere Stiftungen anvertraut haben. Ihre Namen sind regelmäßig auf den Plakaten zu lesen: Carolin Widmann, Viviane Hagner, Tanja Becker-Bender und Julia Fischer, zugleich Professorinnen in Leipzig, Berlin, Hamburg und München, Isabelle Faust, Sarah Chang, Baiba Skride, Alina Pogostkina, Lisa Batiashvili, Janine Jansen und Hilary Hahn. H 20 Warum erobern junge Frauen die großen Konzertsäle? „Das ist einfach nur eine Welle“, glaubt Hilary Hahn. „Es gab eine Phase, in der die Männer sehr präsent waren. Jetzt ist es eben umgekehrt. Jetzt sind die jungen Frauen dran.“ Alle haben sie klein angefangen, die meisten mit vier, fünf oder sechs Jahren. Die japanische Geigerin Midori, 42, im zweiten Bildungsweg auch Master of Arts in Psychologie, erzählt in ihrer Autobiografie von ihrem Leidensweg als dressiertes Wunderkind. Sie litt an Magersucht, Selbsthass und Depressionen. Die künstlerische Laufbahn der Russin Alina Pogostkina, Jahrgang 1983, begann buchstäblich auf der Straße. Die Eltern, beide Musiker, waren 1992 mit einem Touristenvisum aus Russland ausgereist, weil sie sich von einem Leben im Westen eine bessere Zukunft erhofften. Anfangs haben sie sich in Heidelberg als Straßenmusiker durchgeschlagen. Sie traten als Geigentrio auf, die achtjährige Alina in der Mitte. „Für meine Eltern war es eine schwere Zeit, aber ich habe es wie ein Spiel gesehen“, erzählt sie in einem Interview mit dem Berenberg Magazin (N° 11/2011). „Die technischen Grundlagen fürs Instrumentalspiel müssen in einem Alter gelegt werden, in denen ein Kind noch nicht selbst einschätzen kann, ob sein Talent für eine professionelle Musikerlaufbahn ausreicht“, sagt die 1976 Fotos: Michael Latz/ddp images, culture-images/Lebrecht Music & Arts, Uwe Arens/Decca I „Mich hat niemand dressiert“ Suche nach neuen Erfahrungen Gefühl, „dass die Musik zum Instrument passt. Die Geige ist sehr klar, hat keinen bombastischen Klang, ist eher zierlich, von warmem, durchdringendem Ton, aber nicht zu voluminös. Eine eher weibliche Geige für ein männliches Werk.“ K ann man junge Geigerinnen, die sich mindestens ein Vierteljahrhundert mit ihrem Instrument und der hohen Kunst des Violinspiels beschäftigt haben, überhaupt noch frühreif nennen? Die Anforderungen an die Künstlerinnen sind entsprechend hoch, das Selbstbewusstsein auch. „Mich hat niemand dressiert“, betont Julia Fischer, Jahrgang 1983, „ich habe schon mit drei Jahren verkündet, dass ich Musikerin werden will.“ Mit vier Jahren nahm sie ihre Puppe aus dem Puppenbett und legte die Geige hinein. Das Instrument wird ihr Lieblingsspielzeug. Außerdem bekommt sie von ihrer Mutter, der Pianistin Viera Fischer, Klavierstunden. Mit acht Jahren konzertiert Julia mit Orchesterbegleitung, mit neun studiert sie an der Musikhochschule München bei der legendären Ana Chumanenco, spielt aber auch weiter Klavier. An ihrem zwölften Geburtstag hat sie bereits zehn Beethoven-Klaviersonaten im Repertoire und als Pianistin drei Preise bei „Jugend musiziert“ entgegengenommen. 21 MUSIK Mit 19 macht sie Abitur und debütiert als Geigerin in der New Yorker Carnegie Hall. Es gibt kaum ein bedeutendes Orchester, kaum einen Dirigenten von Rang, mit dem sie nicht aufgetreten wäre. Sie spielte beim G8-Gipfel in Heiligendamm, ihre Aufnahme mit Bachs Violinkonzerten ist das meistverkaufte Klassik-Debüt bei iTunes, und die Kritiken jubeln in höchsten Tönen. Harald Eggebrecht, Autor des Standardwerks „Große Geiger“, lobt ihre „entwaffnende Überzeugungskraft, den kraftvollen wie biegsamen Ton, die rhythmisch elektrisierende Pointierung und eine solche Klarheit des Blicks über das musikalische Geschehen, dass es zuerst Staunen, dann Rührung, schließlich helle Begeisterung auslöst“. rstaunlich genug: Allen Unkenrufen zum Trotz ist klassische Musik keine Randerscheinung und Enthusiasmus fürs schöne Geigenspiel kein Nischenthema. Die niederländische Geigerin Janine Jansen zum Beispiel, die bewusst jeden Starkult vermeidet, ist mit 1,5 Millionen Nennungen bei Google eine Person öffentlichen Interesses. Sie wurde in eine Musikerfamilie geboren: Der Großvater leitete einen Kirchenchor, die Mutter sang, der Vater und ein Bruder spielten Cembalo, ein anderer Bruder Cello. Sie stand mit zehn Jahren zum ersten Mal vor Publikum auf der Bühne, studierte am Conservatorium Utrecht und begann, die Entwicklungslinien virtuosen Violinspiels zurückzuverfolgen, indem sie bei praktizierenden Zeitzeugen vorstellig wurde. Sie belegte Meisterkurse bei bedeutenden Musikern wie dem Pianisten Menahem Pressler (*1923), Gründer des Beaux Arts Trios, den Geigern Isaac Stern (1920–2001) und Josef E 22 High Fidelity – Hörerlebnisse auf CD Zusammenspiel Viviane Hagner mit dem Dirigenten Pablo González Gingold (1909–1995) sowie dem Cellisten Mstislaw Rostropowitsch (1927–2007), Treuhänder eines Klangs, den sie über die Jahrhunderte weiterreichen, damit er immer wieder neu zum Leben erweckt wird. Bei Geigerinnen wie Janine ist das Erbe in guten Händen, sie kultiviert es, mischt es auf und sucht darin nach neuen Erfahrungen. Abseits vom Pflichtprogramm des Konzertbetriebs stellte sie mit musizierenden Freunden ein Kammermusikensemble in der Stärke einer Fußballmannschaft zusammen, um sich Bachs frühen Violinwerken zu widmen. Viel mehr Musiker standen dem jungen Bach zu seiner Zeit auch nicht zur Verfügung. Wie aus einer anderen Zeit zugewandert erscheint auch die 1979 geborene Amerikanerin Hilary Hahn. Auf manchen Bildern wirkt sie, als sei sie einem Renaissance-Gemälde entstiegen. Ihre Familie lebt in Baltimore, die Vorfahren kamen aus Bad Dürkheim; sie ist die Einzige in ihrer Familie, die perfekt Deutsch spricht. Mit drei hat sie angefangen, mit sechs ihren ersten öffentlichen Auftritt, mit zehn ging sie ans renommierte Curtis Institute in Philadelphia und hatte das Glück, dem 83-jährigen Jascha Brodsky zu begegnen – eine lebende Legende. Brodsky hatte in den 1920er-Jahren noch bei Eugène Ysaÿe (1858–1931) studiert, dem Großmeister der französisch-belgischen Schule eleganten Streicherstils, die den langen Bogenstrich kultiviert. „Ich fühle, dass dieses Erbe wichtig für mich ist“, sagte sie in einem Interview. „Ich identifiziere mich in gewisser Weise mit dieser Epoche.“ Brodsky starb 1997. Sein Schützling Hilary Hahn wurde zum Weltstar und gab mehr als 800 Konzerte in 27 Ländern. Sie hat mit 150 Dirigenten zusammengearbeitet, so ziemlich jeden Meisterschaftstitel ihrer Liga gewonnen und doch nie die Bodenhaftung verloren. „Hilary Hahn ist keine Exzentrikerin auf der Geige“, schrieb Claus Spahn in der „Zeit“, „sie versteht sich wie kaum eine andere auf die Kunst der unspektakulären Nuance. Ihr Spiel ist kontrolliert und empfindsam gleichermaßen, dezent und trotzdem einleuchtend klar im Ausdruck.“ Eine Ausnahmeerscheinung, ohne Zweifel. Und Anne-Sophie Mutter? Sie hat die 50 überschritten, aber ihr Stern leuchtet unverändert am Geigenhimmel. Einmal noch bin ich ihr so nah gewesen wie damals im „Hotel Okura“ in Tokio. Sie gab Autogramme nach einem Konzert in der Carnegie Hall. Ich hatte mich eingereiht in die Warteschlange. Sie hat gelächelt, bezaubernd, wie es ihre Art ist. Erkannt hat sie mich nicht, aber virtuos signiert. Foto: Tim Koelln „Eltern und Lehrer haben sehr viel Verantwortung“ Julia Fischer Selten schöne Kombination romantischer Bravour stücke: Die großen Violin konzerte von Max Bruch und Antonin Dvorák, eingespielt mit dem Tonhalle Orchester Zürich unter David Zinman Isabelle Faust Schon jetzt eine Rarität: Das Violinkonzert von Beethoven op. 61, und das Violinkon zert von Alban Berg „Dem Andenken eines Engels“ mit dem Orchestra Mozart unter Claudio Abbado Alina Pogostkina Sphärenmusik zum Verlieben Vox Amoris – Werke für Geige und Streichorchester des lettischen Komponisten Peteris Vasks, eingespielt von der Sinfonietta Riga unter Juha Kangas Hilary Hahn Die Aufnahme ist schon 15 Jahre alt, hat aber Stan dards gesetzt: Hilary Hahn mit Beethoven und Bern stein, eingespielt vom Balti more Symphony Orchestra unter David Zinman Anne Sophie Mutter Best of ASM mit Werken von Vivaldi, J. S. Bach, Mozart, Beethoven, Brahms, Bruch, Mendelssohn, Tschaikowsky, Sibelius, Debussy, Massenet, Sarasate, Gershwin und Previn, 2 CDs Baiba Skride Lyrisch und delikat: Violin konzerte und Rondos für Violine und Orchester von Mozart, Michael Haydn und Schubert mit dem Kam merorchester C. Ph. E. Bach unter Hartmut Haenchen Janine Jansen Erfrischend intensiv. Die Violinkonzerte des jungen Johann Sebastian Bach aus Köthener Zeit. Janine Jansen hat sie mit elf guten Freunden eingespielt. Perfekte Teamleistung Tanja Becker Bender Einsame Spitze. Die 24 Capricen Op.1 von Niccolo Paganini, Das Soloalbum der jungen Hamburger Profes sorin setzt Maßstäbe in der Klasse mit den höchsten Schwierigkeitsgraden 23 W O H LT Ä T I G K E I T 2 42 4 Foto: David di Lorenzo/MSF Ärzte Ärzte ohne ohne Grenzen Grenzen Die erfolgreichste private Hilfsorganisation der Welt sammelt mehr als 600 Millionen Euro Spenden und sendet Ärzte, Pfleger und Logistiker in die Krisenregionen der Erde 2 52 5 R UOBHRL ITKÄ T I G K E I T W 50 35 7 37 36 34 38 39 49 fett: von der deutschen Sektion 2012 mitfinanzierte Projekte) 51 52 42 44 45 17 Ärzte ohne Grenzen – Länder und Projekte (in Klammern: Jahr der ersten Hilfeleistung; 41 40 43 58 53 54 18 55 56 1 57 15 3 59 16 12 19 2 21 8 9 61 46 60 11 47 13 10 20 14 22 4 25 23 24 48 26 62 Ihr Operationsgebiet ist die Welt. Die Médecins Foto: P.K.Lee/MSF Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) sind in mehr als 60 Ländern aktiv. Ein MSFTeam nimmt im Dera Murad Jamali Civil Hospital in der pakistanischen Provinz Belutschistan einen Kaiserschnitt vor. Vorangegangene Doppelseite: Junge Mütter vor dem National Hospital von Zinder (Niger). Der Innenhof ist wegen großer Hitze zugleich Behandlungszimmer 26 28 27 5 30 29 6 31 33 32 „ Humanitäre Hilfe ist mehr als pure Großzügigkeitt Unser Handeln verstehen wir auch als einen Akt derr James Orbinski, internationaler Präsident von MSF, zur Verleihung des Friedensnobelpreises 1999 ooder Nächstenliebe. E Entrüstung“ 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 Mexiko (1985) Honduras (1974) Haiti (1991) Kolumbien (1985) Bolivien (1986) Paraguay (2010) Italien (1999) Guinea (1984) Sierra Leone (1986) Elfenbeinküste (1990) Burkina Faso (1995) Niger (1985) Nigeria (1971) Kamerun (1984) Mauretanien (1994) Mali (1992) Libyen (2011) Ägypten (2010) Tschad (1981) Zentralafrikanische Republik (1996) Sudan (1979) Südsudan (1983) Republik Kongo (1997) Demokratische Republik Kongo (1981) Uganda (1986) Burundi (1992) Mosambik (1984) Malawi (1986) Madagaskar (1987) Simbabwe (2000) Swasiland (2007) Lesotho (2006) Südafrika (1999) Bulgarien Ukraine (1999) Armenien (1988) Georgien (1993) Griechenland (1991) Türkei (1999) Iran (1990) Syrien (2009) Libanon (1976) Irak (2003) Palästinensische Gebiete (1989) Jordanien (2006) Jemen (1994) Äthiopien (1984) Kenia (1987) Usbekistan (1997) Russische Föderation (1992) Kirgistan (2005) Tadschikistan (1997) Afghanistan (1981) Pakistan (1986) Indien (1999) Bangladesch (1985) Myanmar (1992) China (1986) Laos Kambodscha (1979) Philippinen (1987) Papua-Neuguinea (1992) 27 W O H LT Ä T I G K E I T Babyboom im MSF-Hospital von Bangui (Zentralafrikanische Republik). Schulung für ein Chirurgenteam in Jordanien. Im Logistikzentrum von MSF bei Brüssel lagern medizinisches Equipment und Medikamente abrufbereit für den Soforteinsatz 28 Einsatz in Haiti. Ärzte und Schwestern im St. Joseph’s Hospital von Port-au-Prince. Fast die Hälfte der Patienten ist Opfer von Gewalt, Frauen, Kinder inklusive. Zum Alltag der Helfer gehört unwegsames Gelände (Foto unten rechts) 29 W O H LT Ä T I G K E I T Ärzte ohne Grenzen (Deutschland) Einnahmen 2012 in % Private Spenden Gesamt 71,0 Mio. Euro Ärzte ohne Grenzen (Deutschland) Ausgaben 2012 in % Gesamt 69,0 Mio. Euro 77,8 Projekte 83 T E X T: E M A N U E L E C K A R DT D 30 5,2 11,1 3,4 Sonstige Erträge Öffentliche Fördermittel Bußgelder, Erbschaften, Mitgliedsbeiträge Spendenverwaltung und -werbung Gegründet wurde Médecins Sans Frontières (MSF) 1971 infolge des Biafra-Krieges, als die Bilder hungernder Kinder die Welt erschütterten. Unter ihrer Leitfigur, dem französischen Arzt Bernard Kouchner, wuchs die Hilfsorganisation rasch mit ihren Aufgaben. Ärzte ohne Grenzen halfen nach dem Erdbeben von Managua 1972, richteten in Thailand das erste Flüchtlingslager ein, als Millionen Kambodschaner vor den Roten Khmer ins Nachbarland flohen, versorgten Verletzte im Bürgerkrieg im Libanon. Im Streit um die Frage, ob es richtig sei, boat people vor der vietnamesischen Küste medienwirksam von einem Schiff aus medizinisch zu versorgen, kam es 1979 zur Spaltung der MSF. Die Mehrheit sprach sich dagegen aus, um nicht noch mehr Menschen zur gefährlichen Flucht über das Meer zu verleiten. Kouchner, der sich vehement für das Lazarettschiff eingesetzt hatte, verließ MSF und gründete eine eigene Organisation: Médecins du Monde („Ärzte der Welt“). Ein Thema, mit dem die Ärzte sehr vorsichtig umgehen, ist die témoignage, die „Zeugenschaft“. Nur zu oft registrieren die Ärzte Folgen von Verbrechen und sträflich unterlassener Hilfeleistung. Wenn sie davon erfahren, stößt ärztliche Schweigepflicht an ihre Grenzen. Heute ist „Zeugenschaft“ Teil der Satzung von MSF. er Mut der Ärzte ist bewundernswert. In Afghanistan versorgen sie verwundete Kämpfer der Mudschaheddin, nachdem die Sowjetarmee dort 1979 einmarschiert war, in Äthiopien organisieren sie groß angelegte Ernährungsprogramme gegen die Hungersnot. Als sie den Missbrauch internationaler Hilfssendungen durch das Mengistu-Regime anprangern, werden sie des Landes verwiesen. Erst als die Geberländer drohen, Hilfsgelder zu sperren, lenkt der Diktator ein. 1999 werden die Ärzte ohne Grenzen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, „in Anerkennung der bahnbrechenden humanitären Arbeit dieser Organisation auf mehreren Kontinenten.“ In seiner Dankesrede sagt James Orbinski, damals internationaler Präsident von MSF: „Un- 11,1 2,5 Allgemeine Verwaltung Allgemeine Öffentlichkeitsarbeit D Fotos S. 28-29: Siegfried Modola/reuters, Eduard Munoz/reuters, Ton Koene/dpa ,Picture-Alliance, Mauro Bottaro/Anzenberger Agency,MSF, Diego Martin Ureta Moran/MSF Tankred Stöbe 5,9 Foto: Rainer Jensen/dpa Picture-Alliance as Bild wird er nie vergessen. „Ich stand auf einer Anhöhe im Niemandsland im Norden des Irak und sah weit in die Ebene, eine große Leere. Und darin, wie ein schmales Band, ein Zug von Menschen. Er schien endlos zu sein. Menschen auf der Flucht, Familien mit Kindern und dem Besitz, den sie tragen konnten, auf dem Weg zur Grenze. Es war ein archaisches Bild, beklemmend.“ Tankred Stöbe, Doktor der Medizin, erzählt, wie die Flüchtlinge später vor ihm standen. „In unserem Zelt bekamen sie seit langer Zeit zum ersten Mal medizinische Versorgung. Die meisten hatten Furchtbares erlebt. Ich fragte eine Familie aus Aleppo, junge Eltern mit Kindern zwischen ein und fünf Jahren, wie oft sie in den letzten Wochen umgezogen seien. Die Frau sagte: sechsmal. Beim letzten Mal waren sie fünf Tage lang gefangen. Da gab es für sie nur noch die Flucht.“ Tankred Stöbe, 45, hat viele solcher Gespräche geführt. Derzeit arbeitet er als Notarzt an einer Berliner Klinik. Seinen Urlaub verbringt er am Köllnischen Park in BerlinMitte, in den Büros der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Seit 2007 ist er deren Präsident. Unruhig tigert er durch den langen Flur. Hinter den Glastüren arbeiten Teams an Einsatzplänen, an den Wänden hängen Landkarten und Flipcharts. „Was wir hier mitkriegen, ist unscharf, die Realität ist immer anders. Was wirklich los ist, erfahren wir nur, wenn wir draußen sind. Was nützt es zu wissen, dass im Nordirak ein Camp für 1000 Flüchtlinge eingerichtet wurde? Jetzt leben im Camp Domiz 60.000 Menschen in Zelten! Im Sommer ist es viel zu heiß, im Winter viel zu kalt. Und wie sieht es im Libanon aus, wo es überhaupt keine Lager gibt, aber so viele Flüchtlinge wie noch nie: 40 Prozent der Bevölkerung sind Flüchtlinge! Es ist erschütternd.“ Témoignage sere medizinische Hilfe für Menschen in Not ist ein Versuch, sie gegen die Aggression, der sie ausgesetzt sind, zu verteidigen. Humanitäre Hilfe ist mehr als pure Großzügigkeit oder Nächstenliebe. Unser Handeln und unser Reden verstehen wir als einen Akt der Entrüstung, der Weigerung, Angriffe auf die Würde anderer zu akzeptieren.“ Das Preisgeld investierte die Organisation in eine Kampagne für den Zugang zu Arzneimitteln, die dort, wo sie am dringendsten gebraucht werden, unerschwinglich sind. Es gelang, den Patentschutz auf antiretrovirale Medikamente zur Behandlung von Aids aufzuheben und den legalen Verkauf erschwinglicher Generika in Afrika zu ermöglichen. MSF setzte durch, dass nicht nur Ärzte, sondern auch Krankenschwestern und Hebammen diese Medikamente ausgeben dürfen – mit Erfolg: Die Patienten leben länger, können arbeiten und ihre Kinder aufziehen. In manchen Ländern Afrikas gibt es schon Distrikte, in denen nahezu alle HIVPatienten Zugang zu lebensrettenden Medikamenten haben. Dass die armen Länder der Welt von Krankheiten heimgesucht werden, die in reichen Ländern mit gut funktionierendem Gesundheitssystem kaum noch auftreten, führt zu Versorgungsengpässen in der Verteilung. Medikamente gegen Chagas, Cholera und Ebola, Meningitis und Leishmaniose, Tuberkulose und Malaria sind entweder teuer oder wegen geringer Nachfrage in den Industrieländern oft gar nicht mehr im Handel. Und nicht alles, was teuer verkauft Einnahmen-Entwicklung 2006–2012 Mio. Euro 90 80 70 Spenden für medienwirksame Katastrophen 60 50 Private Spenden und Zuwendungen 40 30 Öffentliche Fördermittel 20 10 Sonstige Erträge 0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 wird, ist noch auf der Höhe der Zeit. MSF wies in mehreren klinischen Studien nach, dass gebräuchliche Malariamittel kaum noch Wirkung zeigen, und sorgte dafür, dass heute in vielen afrikanischen Ländern die wirksameren ArtemisininKombinationstherapien nationaler Standard sind. Ärzte ohne Grenzen sind Partisanen der Heilkunst. Sie kämpfen gegen blutsaugende Raubwanzen, Anopheles-Mücken und Tsetse-Fliegen. Ihr größtes Einsatzgebiet ist Afrika. Der Kontinent braucht ärztliche Hilfe: Impfkampagnen gegen Meningitis, Tetanus und Gelbfieber, gegen Krankheiten wie Diphtherie, Masern, Kinderlähmung und Cholera in Zonen des Hungers oder überfüllten Flüchtlingslagern. Hier hilft nur schnelles Handeln auf breiter Front. „2009 haben wir acht Millionen Menschen im Niger gegen Meningitis geimpft“, berichtet Myriam Henkens, Koordinatorin der Medizinischen Weiterentwicklung der MSF. Zur Therapie gehört oft mühsame Überzeugungsarbeit. In Swasiland glauben die Menschen, dass Tuberkulose durch den Wind verbreitet wird. Heiler entscheiden, wie verhexte Patienten zu behandeln sind. „Wenn es gelingt, die Heiler einzubinden, haben wir eine Chance“, berichtet die Ethnologin und MSF-Mitarbeiterin Doris Burtscher. „Wenn sie den Erfolg einer Impfung auch als den ihrer Heilkunst ansehen und die Dorfgemeinschaft ihnen dafür dankt, soll es uns recht sein. Heiler sind oft die Einzigen, die sich um Kranke kümmern.“ ie Teams von MSF gehen weite Wege, meist sind es zwei bis vier Ärzte oder Krankenpfleger und ein Logistiker, die mit Jeeps, Booten oder Eseln in Regionen vorstoßen, in die sich nie ein Tourist verirrt, um dort mobile Kliniken zu errichten. Oft sind es aber auch durchaus entwickelte Länder, in denen ihre Hilfe gebraucht wird. Die Notärzte der Welt kommen ohne Blaulicht. „Manchmal reisen wir als Touristen ein, in seltenen Fällen überschreiten wir auch illegal eine Grenze“, berichtet Tankred Stöbe. „Aber wenn wir angekommen sind, machen wir – soweit es die Sicherheitslage zulässt – sichtbar, was wir tun. Wir haben illegal in der Türkei gearbeitet und wurden geduldet. Wir unterhalten Kliniken häufig ohne staatlichen Schutz. Auch die Regierung im Sudan hat uns keine Erlaubnis erteilt, dort zu arbeiten, aber sie weiß genau, was wir tun.“ Sie errichten Fachkliniken, stellen Ausrüstung und Medikamente und schulen die lokalen Kräfte. Sie sorgen für D 31 W O H LT Ä T I G K E I T Trinkwasser und Trockenmilch, bauen Brunnen und Klär anlagen und verbessern den Hygienestandard. Sie sammeln Informationen über Epidemien und Hungersnöte, aber auch über Migrantenströme und Massaker. Beim Völkermord in Ruanda, dem die internationale Gemeinschaft vor laufenden Kameras tatenlos zusah, muss ten die Ärzte ohne Grenzen unter dem Schirm des Interna tionalen Roten Kreuzes arbeiten; die Gewaltexzesse des beginnenden Völkermordes hätten sie kaum überlebt. Ge meinsam sorgten sie dafür, dass zumindest ein Krankenhaus in Kigali weiterarbeiten konnte. Der Einsatz war auch für die Hilfsorganisationen eine Katastrophe. MSF verlor fast 100 seiner lokalen Mitarbeiter und verlangte ein Eingreifen der französischen Streitkräfte: „Ärzte können keinen Völ kermord verhindern.“ o die Freiwilligen von MSF praktizieren, ist Sicherheit schwer zu organisieren. 1990 verlassen sie Afghanis tan, als ein MSFLogistiker ermordet wurde, kehren aber zwei Jahre später zurück. In Kolumbien, Tschetschenien und Dagestan werden MSFMitarbeiter entführt, einer kommt erst nach 20 Monaten frei. In Afghanistan töten Taliban 2004 fünf Mitarbeiter. Wieder verlässt MSF das Land. Aber sie geben nicht auf, gehen 2009 zum dritten Mal nach Afghanistan. Ulrike von Pilar, seit 23 Jahren bei MSF und 1993 erste Präsidentin der deutschen Sektion, betont: „Wir halten Distanz zu den alliierten Truppen, haben aber Kontakte zu allen Konfliktparteien. Wir reden mit allen Oppositionsgruppen, auch mit den Taliban. Sie geben uns eine Sicherheitsgarantie. sodass wir dort arbeiten können. Im Gegenzug garantieren wir, dass jeder, der krank oder verletzt in unser Krankenhaus in Helmand kommt, dort auch behandelt wird.“ In Afghanistan ziehen sich die Alli ierten zurück. Die Ärzte bleiben. „Im ersten Irakkrieg trat die militärische Macht als Schutzmacht der Helfer auf. Das brachte uns in lebens gefährliche Nähe zu den Invasionstruppen“, erinnert sich Ulrike von Pilar. „Und als Vertreter der Bundeswehr An fang der 90erJahre auch noch sagten, die deutsche Armee sei die größte humanitäre Organisation in Deutschland, ent stand für uns ein großes Problem. Seit Armeen dazu überge hen, ihren Einsatz als ,umanitäre Aktionen‘ zu bezeichnen, wird für uns alles nur schlimmer. Wer respektiert die Neu tralität humanitärer Organisationen, die mit Schützenpan Die Gründer Bernard Kouchner rief MSF ins Leben, Rony Brauman (1982–1994) verzehnfachte das Budget, Ulrike von Pilar, Gründungspräsidentin in Deutschland (von oben) Südsudan (r. o.) Zehntausende Flüchtlinge aus dem Sudan brauchen dringend medizinische Versorgung 32 Fotos: EPA AFP/ dpa Picture-Alliance, Getty Images, Peer Grim/dpa Picture- Alliance, Shannon Jensen/MSF W zern anrücken? Unsere Unabhängigkeit schützt uns! Wir bekommen so gut wie keine Regierungsgelder. Wir leisten unsere Arbeit fast nur aus Spendengeldern. Wir dienen keinem Land, keiner Kirche, keiner Macht.“ Das Engagement ist ungebrochen. Spenden machen Mut. Jedes Jahr wirbt MSF etwa 3000 Ärzte, Psychologen, Krankenschwestern, Hebammen und Logistiker für seine Hilfsprojekte an. Bei den meisten Einsätzen setzt sich das Team aus lokalen und internationalen Mitarbeitern zusammen. „Für Ärzte ist MSF oft der Einstieg in die humanitäre Arbeit“, erklärt von Pilar. „Sie haben meist Berufserfahrung in klinischer Arbeit. Wir verlangen Kenntnisse in Tropenmedizin und bereiten sie in speziellen Programmen auf die Arbeit vor.“ Etwa 40 Prozent der Mitarbeiter sind Nichtmediziner, Techniker oder Logistiker. „Niemals ohne meinen Log!“ lautet die ungeschriebene Grundregel. Die Ärztin Maria Overbeck zählt die Probleme auf, die ein Logistiker lösen muss: „Eine Leitung leckt; der Kühlschrank für die Kühlkette ist zu warm; ein Mitarbeiter hat Flöhe in seiner Matratze; ein Schrankschlüssel fehlt; die Bestellung des Kerosins für den nächsten Monat muss raus; ein Wächter ist zu spät zum Dienst angetreten; die Kasse stimmt nicht.“ Müsste sie sich darum kümmern, hätte sie keine Zeit für ihre Patienten. „Die Logistik, die notwendig ist, um mobile Krankenhäuser, Ärzteteams und Medikamente in Krisengebiete zu schaffen, ist aufwendig und kostet viel Geld“, sagt Ulrike von Pilar. „Organisationen, die behaupten, dass Spendengelder direkt zu den Betroffenen gelangen und praktisch keine Verwaltungskosten anfallen, sagen in aller Regel nicht die Wahrheit.“ „Wenn Sie MSF mit einem Konzern vergleichen, der 3000 internationale Mitarbeiter an 70 Schauplätzen beschäftigt, dann geht das nicht ohne gut funktionierende Personalabteilungen in den Sektionen, die Mitarbeiter entsenden. Ärzte und Helfer arbeiten ‚im Field‘ meist sechs Tage die Woche – bis zu zwölf Stunden am Stück unter schwer erträglichen Bedingungen, in Lärm und Hitze, manchmal ohne Strom, wenn die Dieselgeneratoren ausfallen oder gar nicht erst ankommen. Der Einsatz ist nicht nur physisch belastend. Die jungen Ärzte und Mitarbeiter sind konfrontiert mit den Folgen von Grausamkeit und Gewalt, auch gegen Kinder. Das ist schwer zu ertragen. Nicht wenige Kollegen brauchen nach ihrer Rückkehr psychologische Betreuung, weil sie die traumatischen Erfahrungen nur schwer verarbeiten.“ Da die Anforderungen immer vielfältiger werden, sucht MSF auch Apotheker, Architekten, Epidemiologen oder Psychologen. Den größten Teil der Arbeit aber leisten die rund 25.000 nationalen Helfer, als Ärzte und Koordinatoren, beim Dolmetschen, beim Umgang mit lokalen Behörden oder beim Sicherheitsmanagement. Manche Helfer sind Operierte, die bleiben. S ind sie Helden? Was treibt sie an? Wie arbeitet ein Arzt im Chaos von Anarchie und Gewalt? Hat er angesichts der Katastrophen dieser Welt nie das Gefühl, dass all die Mühen, Hilfe zu leisten, am Ende kaum mehr sind als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein? „Global betrachtet mag es so sein“, sagt Dr. Stöbe. „Aber als Arzt stehe ich nicht der ganzen Welt gegenüber, sondern einem Menschen, der meine Hilfe braucht. Das Verhältnis Arzt–Patient ist immer eins zu eins. Wir versuchen, für diesen einen Menschen mit unseren Mitteln das Maximale zu erreichen. Wenn wir in einem Flüchtlingslager in vier Wochen 60.000 Patienten behandeln und versorgen, ist das eine Sisyphos-Arbeit, schon klar. Aber vielleicht lag Camus gar nicht so falsch, als er sagte: ,Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.‘“ 33 ABENTEUER Erste Klasse. Fünf Sterne. Siebter Himmel. Was Sie wünschen, steht an erster Stelle: die Lufthansa First Class Erleben Sie die First Class unter den ersten Klassen: Entspannen Sie im exklusiven Ambiente unserer Lounge, lassen Sie sich in der Limousine zum Flieger bringen, genießen Sie Sterneküche über den Wolken – und Sie werden verstehen, warum die Lufthansa First Class im PassagierRating von Skytrax die Bestnote von Fünf Sternen erhalten hat. 34 35 KUNST F Foto der Welt Fotos: Andreas Heddergott/dpa Picture Alliance, Emanuel Dunand/2011 AFP/Getty Images, Daniel Rosenthal/laif Gursky am Rhein - Das teuerste Kapitalfluss hinterm Deich. Ein Großfoto hinter Acryl. Ein unbekannter Sammler hat es für 4,3 Millionen Dollar erworben Andreas Gursky ist einer der erfolgreichsten Fotografen der Welt. Der Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf fotografiert gern Landschaften und Architektur, Innen räume und Massenszenen, immer mit der Großbildkamera, farbig und gestochen scharf. Der 1955 in Leipzig geborene Sohn eines Werbefotografen wuchs am Rhein auf, studierte 36 an der Folkwang Hochschule Essen und an der Kunstaka demie Düsseldorf und zählt als Meisterschüler von Bernd Becher zu den Leitfiguren der Düsseldorfer Photoschule. Auf dem internationalen Kunstmarkt erreichen seine Bilder Spitzenpreise. Die Fotografie „99 Cent“ zeigt vollge stellte Supermarktregale (2001) und brachte 2006 bei Sotheby’s 2,26 Millionen Dollar; das „99 Cent II“-Diptychon, eine Verdichtung des Motivs, brachte in New York 2,48 Millionen, drei Monate später kostete es bereits 3,3 Millionen. Für Einsteiger gibt es aber auch – überraschend preiswert – Gursky mit Musik. Ein freches Frühwerk ist bei Amazon schon für 7,99 Euro zu haben: das Best-of-Album „Reich & Sexy II“ der Toten Hosen, für das Gursky mit der Fotografin Nina Pohl das Cover gestaltete. Das Landschaftsbild Rhein II ging am 8. November 2011 bei Christie’s New York für 4,3 Millionen Dollar (umge- Alles fließt. Der Düsseldorfer Fotograf Professor Andreas Gursky (links) und zwei Bewunderer vor dem Großfoto „Rhein II“ aus dem Jahre 1999 rechnet rund 3,19 Millionen Euro) an einen unbekannten Bieter als bislang teuerste Fotografie der Geschichte. „Rhein II“ entstand als zweites und größtes (Format 185,4 × 363,5 cm) einer Serie von sechs Bildern. Der Künstler hatte seine Großbildkamera auf dem Deich an der Rheinallee in Düsseldorf-Oberkassel aufgebaut. Auf dem Originalfoto war im Hintergrund das Kraftwerk Lausward zu erkennen, im Vordergrund führte eine Person ihren Hund spazieren. Beides störte irgendwie und wurde von Gursky digital entfernt. 37 PORSCHE Hinter Gittern Porsche-Wiegenlieder werden fern aller Öffentlichkeit in Weissach gesungen: Über 6000 Mitarbeiter entwickeln und testen dort neue Fahrzeuge. Die Investitionen für Erweiterungs- und Modernisierungsmaßnahmen des FEZ belaufen sich jährlich auf rund 100 Millionen Euro „Projekt geheim!“ Beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans will Porsche mit seinem Projekt LMP-1 die Rekordbilanz von 2013 vergolden: Den Grundstein zum Unternehmenserfolg legen Ingenieure und Techniker im Entwicklungszentrum Weissach. Die Denkfabrik ist ein deutscher Mythos und gesichert wie Fort Knox 38 39 PORSCHE „Hier Hier ist unendlich viel Geld vergraben“ ländes und auf dem Weg zur Kantine. Zum eigenen Erstaunen beginnt dort die avisierte Führung, und zwar ohne Fotograf. Man müsse sonst, so Geisel, „Prototypenstopp verhängen, und das stört den Betrieb“. Allzumal jetzt, wo das Prestigeprojekt LMP 1, Gebläse des mit dem Porsche beim 24-Stunden-Rennen neuen Windkanals von Le Mans an große Motorsportzeiten anknüpfen möchte, für Gäste nur eine Ampelfarbe diktiert – Rot für No-Go. Also die Kantine. Rätsel gibt es dort nicht zu lösen, das T E X T: H A N S B O R C H E R T liegt auf der Hand. Ist schließlich kein Windkanal, keine öchste Alarmstimmung allenthalben. Und Klimakältekammer, kein Akustiklabor. Nur unterschätze geschärfte Wachsamkeit. Gerichtet gegen niemand diese Örtlichkeit. Nicht in Weissach, wo jede einjeden und auf alles. So geht es zu im Porsche zelne Abteilung ihre ganz eigene Zugangsbeschränkung beForschungs- und Entwicklungszentrum sitzt und auf Geheimnis macht. Einfach mal reinschneien Weissach: geheimer noch als streng geheim. und gucken, woran die Kollegen gerade arbeiten, das geht Nennen wir es ruhig das Fort Knox der Automobilindus- nach Auskunft Uwe Geisel im Normalfall nicht. Bedarf trie und nehmen Witterung auf. Aus der Ferne ist sattes stattdessen vorheriger Anmeldung und eines wirklich guten Motorendröhnen zu vernehmen, es klingt nach einer Renn- Grundes. maschine, aber einsehbar ist der hauseigene 3,2 Kilometer Insofern dient die Kantine als Kommunikationsdrehlange Rundkurs nicht. Dafür lassen riesige Parkflächen ihre scheibe, auf der über alle Hierarchieebenen hinweg jeder Muskeln spielen. Die Porsche-Dichte dort abgestellter Fahr- mit jedem über alles – oder besser und im Sinne der hauszeuge ist immens, überhaupt brummt und kreist es rund um intern schriftlich vereinbarten Vertraulichkeit – über fast Weissach ganz so, als sei die kleine schwäbische Gemeinde alles spricht. Lauter kluge Köpfe hocken da und genießen eine Art Carrera-Bahn mit angeschlossenem Sicherheitstrakt. die Tischzeit im Arbeitsmodus. Debattieren ProblemstelEinladend sieht gewiss anders aus. Nicht so zweckmäßig lungen interdisziplinär, erkundigen sich nach Fortschritten, nüchtern, so architektonisch uninspiriert, so infrarot- und skizzieren zuweilen spontane Einfälle auf Tischservietten, videoüberwacht. Was ingeniöse Leidenschaft hinter nackten fachsimpeln auch ganz zwanglos mit ihren höchsten Chefs. Industriebauwänden hervorzubringen vermag, das lässt sich „Der Bau eines Autos ist eine Gemeinschaftsleistung“, ziimmerhin von außen durch die Stahlstreben eines meter- tiert Uwe Geisel das eherne Porsche-Credo und fügt durchhohen Schutzzauns betrachten. aus stolz hinzu: „Wir sind eine Denkfabrik.“ Stoßfänger an Stoßfänger stehen da Autos, wie frisch geIhr Leiter ist Wolfgang Hatz. Man nennt ihn allgemein backen. Das Feinste vom aktuell Besten: 911 Targa 4 reiht Hausherr. Sein Büro liegt ein Stockwerk tiefer, mithin hat er sich an Panamera Turbo S, an Boxster Cabrio, Cayenne sein Ohr selbst hinter dem Schreibtisch immer am aktuellen Turbo, an 918 Spyder, Macan Turbo, an 911 Carrera 4S. Entwicklungsgeschehen. Und das entscheidet im WesentMan ist geneigt, das Fotohandy zu zücken, und lässt es dann lichen über Wohl und Wehe des ganzen Unternehmens, doch: argwöhnisch beobachtet vom Wachschutz und obser- denn „wir in Weissach“, so heißt es noch immer und wie zu viert von heranzoomenden Kameralinsen. Zeiten des Dr. Ing. h. c. Ferry Porsche, „sind ein Ingenieur„Auf Besuch sind wir hier nicht eingerichtet“, sagt Fach- büro mit angeschlossener Automobilproduktion“. referent Forschungsprojekte Uwe Geisel, 44, zur Begrüßung Was ziemlich ambitioniert klingt, lässt sich mit Zahlen und bittet um das erwähnte Smartphone. Es verschwindet, eindrucksvoll untermauern. Von insgesamt 18.502 Porschesamt Personalausweis, in einer Plastiktüte. Sicher ist sicher, AG-Mitarbeitern schaffen schwäbisch gesagt 6130 und damit aber immerhin: keine Augenbinde beim Betreten des Ge- ein gutes Drittel der Gesamtbelegschaft im FEZ. 41 Prozent H 40 von ihnen sind Ingenieure, hinzu kommen Fach arbeiter (37 Prozent), kaufmännische Angestellte (18 Prozent) und ein kleiner Rest – verantwortlich für Sauberkeit und zuvorderst Sicherheit. Zu observieren gilt es 933.000 Quadratmeter Betriebsgelände und damit weit, weit mehr als Prüfstand für zu Zeiten des Markengründers. Der machte sich Motoren-Akustik 1962 in der schwäbischen Idylle auf die Suche nach einem geeigneten Gelände für einen Skidpad genannten HandlingKurs. Man bot ihm Land an, welches näher an Stuttgart lag. Darauf blühende Obst dazu abgeschotteten Entwicklungszentrums mit seinen bäume. Doch es sprach Ferry Porsche: „Die hauet mir nicht mittlerweile elf Hauptabteilungen, unter anderem für Ge um.“ So fiel die Wahl auf die weniger fruchtbaren Äcker samtfahrzeug, Antrieb und Fahrwerk, für Qualität, Planung hoch über Weissach. und Prozesse, für Karosserie, Styling, für Motorsport. Der Entschluss begründete nicht nur den zeitweilig sa In geräuschloser BoxsterEVorbeifahrt gibt es ein paar genhaften Reichtum der Gemeinde (man galt aufgrund der Hinweise auf das Geschehen hinter den fest verschlossenen Gewerbesteuereinnahmen vor der PorscheÜbernahme und mit Nummerncodes gesicherten Gebäudetüren. Sechs durch VW als vermögendstes Gemeinwesen der Republik), kant nennt sich im PorscheJargon jene Örtlichkeit, welche sondern vor allem einen deutschen Mythos. Sagt Uwe Sitz der freigebenden Abteilungen ist und welche zugleich Geisel: „Bei allem, was wir tun, stellen wir uns am Ende des die zentralen Werkstätten zum Prototypenbau beherbergt. Tages die Frage: ‚Hätte das Ferry Porsche gefallen?‘ Wir stel Angeordnet sei dort alles nach Art eines Klosters, berichtet len den Charakter unserer Fahrzeuge nie infrage, denn jede Geisel. Es gebe Zellen, in denen gedacht werde, und in deren unserer fünf Baureihen ist ein echter Porsche. Deshalb sind Mitte einen Garten, „wo wir die Prototypen ernten“. wir anders, denn niemand außer uns baut einen 911, und das Im Gegensatz dazu sind die optischen Visionäre der ist das Bewusstsein, mit dem wir antreten.“ Marke bisher geradezu stiefmütterlich untergebracht, denn sie residieren im Kellergeschoss des Gebäudes 52/53. Weil eisel ist PorscheUrgestein. Als 17jähriger KfzLehr es dort weitgehend ohne natürliche Sonneneinstrahlung zu ling hat er den „Chef“ noch selbst kennengelernt und geht, konnte man allerneueste und damit auch allergeheimste auf sein Wort – es lautete „Seid fleißig, Buben“ – baute er Modellentwürfe den Vorständen bislang nur auf einer, dem seine Karriere. Machte den Meister, studierte Betriebswirt Styling und Designstudio vorgelagerten Parkfläche bei na schaftslehre, bildete sich fort in Personalmarketing, in Recht, türlichem Tageslicht präsentieren. Ohne Sperrung des Luft kümmerte sich zuletzt um Antragsverfahren und die politi raums ein, wie sich herausstellte, kaum haltbarer Zustand, sche Unterstützung des Forschungsprojekts Boxster E. Drei denn „es gab“, wie sich ein Mitarbeiter erinnert, „zu solchen dieser Fahrzeuge, die komplett ohne Verbrennungsmotor Veranstaltungen regelmäßig fotografisch motivierte Hub auskommen, sind in Weissach elektrisch unterwegs – zu schrauberattacken“. Demonstrationszwecken. Statt gewohntem PorscheSound In Zeiten heraufziehender Drohnenangriffe ist damit gibt es für Beifahrer nichts zu hören, aber „das Nichts“, be zum Glück bald Schluss. Mit Fertigstellung des neuen hauptet Geisel, „hört sich für uns unglaublich emotional an, Windkanals (er löst eine 30 Jahre alte Anlage ab) erhält 2014 denn es klingt nach Porsche“. endlich auch die formgebende Abteilung ihr standesgemä Eine Geheimmelodie, sozusagen. Zu finden auch im ßes StudioDomizil: mit deckenhoher Panoramaverglasung, Panamera S PluginHybrid, mit dem man des Nachts flüs den allerfeinsten Computer und Entwicklungstools aus terleise nach Hause stromern kann, ohne dass es Nachbarn dem Reich der automobilen Virtual Reality (die notwendige oder selbst die eigene Gattin merken. Das passt ganz hübsch Rechnerleistung für alle im FEZ laufenden Anwendungen ins Bild des über die Jahre immer weiter ausgebauten und liefert das Hochleistungsrechenzentrum der Uni Stuttgart, Fotos S. 40-41: Fotos: Porsche AG Fotos S. 38-39: Dieter Landenberger, Rainer Kwiotek/Zeitenspiegel (3) G 41 PORSCHE „Wir ir sind ein Ingenieur an dem man beteiligt ist) sowie einem Tunnel, der es erlaubt, angefertigte, knapp 2,6 Tonnen schwere Tonmodelle unge sehen den notwendigen AerodynamikTests zuzuführen. „Was unsere Designer tun“, sagt Geisel, der selbst noch nie in dem neuen Gebäude war, „das ist echt Kunscht.“ Ein schönes Stichwort für den nun fälligen Fahrzeugwechsel. Weiter geht es ab sofort in einem nagelneuen Macan S, des sen übergreifende und erst oberhalb der Radkästen endende Motorhaube jüngster StylingGeniestreich unter Wahrung der eigenen MarkenDNA ist. Sagt Chefdesigner Michael Mauer: „Es ist ein Porsche bis ins letzte Detail. Wie er aussieht, innen und außen. Wie er sich fährt, anfühlt. Wie er um die Ecken geht. Wie er klingt. Wir haben uns viel Zeit genommen, um diese Pro portionen zu erarbeiten und darüber hinaus neue Maßstäbe zu setzen.“ Ein Balanceakt, und er scheint, wie die ersten Verkaufszahlen eindrucksvoll belegen, gelungen. „Leipzig’s next Topmodel“ titelte bereits die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und folgerte in Anspielung auf Produktionsstätte und Verkaufserfolg des SUV Cayenne (85.000 von insge samt 162.000 verkauften Fahrzeugen 2013): „Porsche – ein Geländewagenhersteller aus Leipzig.“ Aber da sei Weissach vor. „Wir beim Porsche“, sagt Uwe Geisel, „machen alles selbst. Und was wir machen, das ma chen wir hier im FEZ.“ Selbstredend die ganze Elektronik. Auch dafür gibt es einen Neubau – das sogenannte Elek tronikIntegrationsZentrum. Dort endlich zusammen gefasst, was bei Entwicklung sowie Konstruktion hoch komplexer Systeme zusammengehört. Und ebenfalls neu ist Bau 60: Darin geht es um das Thema „alternative Antriebe“. Das Ambiente ist übrigens überall gleich. Luftige, große Bürofluchten, darin Arbeitsplätze mit überdimensionalen Bildschirmen, davor PorscheIngenieure einer neuen Ge neration. Nicht mehr so handfest wie Geisel, die Ameri kaner würden wohl sagen „Typ Nerd“. Ziemlich jung und ganz sicher technische Zauberer auf rein virtueller Bühne. 42 Man sucht mittels hochsensibler Mikrofone bei laufendem Aggregat nach Schallquellen, identifiziert mechanische Motorgeräusche, ermittelt die Dezibelhöhe einer innerstädtischen Vorbeifahrt. „Arbeiten am Optimum“, nennt das Tim Zimmermann, 24, Student Wirtschaftsingenieurwesen mit Richtung Maschi nenbau aus Braunschweig. Er absolviert gerade eines der begehrten Werkspraktika bei Porsche, und schon dafür, so Uwe Geisel, „brennen die jungen Leute hier Löcher in den Boden“. Wie sehr sich die Anforderungen im Automobilbau über die letzten Jahrzehnte verändert haben, mag die Porsche eigene hochmoderne Crashanlage dokumentieren. Waren es zwischen 1960 und 1980 noch vier, so gilt es heutzutage 26 Crashszenarien abzuprüfen. Und damit wären nicht einmal die Vorschriften von China und Indien zur Gänze erfüllt. „Was menschenmöglich ist, das machen wir“, sagt Geisel und erinnert erneut an Ferry Porsche: „Der war ein Sicher heitsfanatiker. Er ließ bei ersten Crashtests die Autos von einem Kran hochziehen und dann auf den Asphalt knallen.“ wei 918 Spyder, die sich gerade mit bösem Motorgrollen gen Teststrecke aufmachen, erinnern an den Kern der Marke: Leistung, Performance und Sound. Motoren sind neben Getriebe (Stichwort PDK) oder Bremsen (Stichwort Karbon) Weissacher Kernkompetenz. Und Hosianna, nun öffnet sich tatsächlich eine Tür, und man steht unvermittelt im Herzstück der Motorenentwicklung, bestückt mit nicht weniger als 34 Prüfständen. „Es liegt hier unendlich viel Geld vergraben“, sagt Frank Breidenstein, 52, und zeigt lässig auf die Messtechnik einer „dynamisch“ genannten Erprobungszelle. „Allein nur das sind 300.000 Euro.“ Breidenstein ist Prüfstandbetreuer VMotoren, einer von insgesamt 160 Mitarbeitern. Ein wenig erinnert das Szenario an die Intensivstation einer Universitätsklinik. Vielleicht nicht so geweißt, so freundlich hell, aber dennoch: Hinter zuweilen tonnenschweren Türen und zentimeterdicken Sicherheitsglasscheiben fällt der Blick auf lauter leistungs und lebenshungrige Patienten. Es gibt darunter Dauerläufer, also Aggregate die vollautomatisch rund 1000 Stunden (entspricht 1.000.000 Kilometern) ab spulen, und zwar unter ständig wechselnder Beanspruchung – mal Stadtverkehr, dann wieder Nordschleife Nürburgring. Simuliert und abgeprüft wird abhängig von Lastenheft vorgaben so gut wie alles. An einer Stelle geht es um Abgas emissionen, an anderer Stelle um Leistungsentfaltung. Mit Getriebe, ohne Getriebe. Eine Prüfstandkonfiguration dient nur dem Allradantrieb, eine andere gleicht einem Tonstudio. Z Vermutlich ärgert es Sales Manager Jonas Krauss jetzt, dass man als Besucher so wenig interessiert ist an seinen Ausführungen. Aber ist das nicht ganz normal, so nah und zugleich so fern von Walhalla. Sagt er ja selbst: „Das LMP-1Projekt beherrscht natürlich auch unsere Gedanken.“ Unerreichbar aber bleiben die Technik-Gurus Enzinger und Hitzinger, die maßgeblich für Porsches Angriff auf die 24-Stunden-Krone verantwortlich sind und die noch etwas detaillierter über Energie- oder Abgasrückgewinnungssysteme (ERS und AER) hätten berichten können. All diese neuen, zu Teilen revolutionären Systeme, die dieser Denkfabrik entstammen. Nichts überlässt man hier dem Zufall, nicht einmal beim Funkverkehr zwischen Fahrer und Box. Der wird, so ist zu hören, ablaufen wie unter Jet-Piloten im Kampfeinsatz. Dort heißt es zur Bestätigung eines Kommandos zum Beispiel nicht „Yes“, sondern „Copy“, und generell gilt es, Informationen in knappste Worte zu fassen. „Gesagt wird, was der Pilot tun soll, und nicht, was er nicht tun soll.“ Ein schönes Abschiedswort, verbunden mit einem Rat. Wer mehr wissen möchte über den Erfindergeist und Mythos Weissach, der mache sich auf den Weg ins Porsche Museum Zuffenhausen. Dort gibt es beginnend im Herbst eine Sonderausstellung mit Titel: „Projekt: Geheim!“ m die gesamte Peripherie an Schläuchen, Anschlüssen, an notwendigen Betriebs- und Messwerkzeugen zu installieren, bedarf es zuweilen bis zu drei Tage. „Machbar ist dann fast alles, Heißland, Kaltland, ganz egal“, sagt Breidenstein und öffnet die Tresortür zur absoluten Folterkammer. Eigentlich gebaut und entworfen für Flugzeugmotoren dient dieser Prüfstand besonderen Torturen: etwa einem Kaltstart bei minus 30 Grad in einer Höhe von 4500 Metern. Und zwar mit Vollgas. Dann gleicht Schmiermittel Öl zähem Honig, und natürlich macht das kein Mensch – wie denn auch! – aber egal: „Das müssen unsere Motoren abkönnen, und möglich wären sogar 8000 Meter.“ So viel zum Thema Gipfelsturm. Allerdings werden ganz Neugierige jetzt enttäuscht sein: Einen Zwei-LiterVierzylinder-Motor, kompakt gebaut mit weit geöffneter V-Zylinderbank und versehen mit einem Mono-Turbolader sucht man bei Breidenstein vergebens. „Der läuft drüben bei den Jungs in Flacht, die haben ihren eigenen Prüfstand.“ Und nicht nur das: Sie haben sogar ihre eigene Kantine. Also Flacht. Eine Gemarkung am entferntesten Ende des Betriebsgeländes, dort residiert die mittlerweile 400 Köpfe zählende Truppe Motorsport, und dort entstand in den letzten Monaten der Porsche-Renner für Le Mans. Projekt LMP 1. Es ist gewiss einfacher, aus Alcatraz zu fliehen, als dort Zutritt zu erlangen, aber immerhin: Man schafft es in die Abteilung Vertrieb Cup-Fahrzeuge. Da stehen überdacht (Achtung, Hubschrauber) und hübsch aufgereiht eine Reihe Kundenfahrzeuge Typ 911 GT3 R und warten auf Abholung. 2014 sieht die Produktion von 283 solcher Boliden vor, die in der Manufaktur Flacht sowohl endausgerüstet als auch ein paar RunGetarnter LMP-1-Rennwagen den getestet werden. U Fotos: Porsche AG Styling-Modelleur am Porsche 918 Spyder büro mit angeschlossener A Automobilproduktion“ 43 WELLNESS WELLNESS TOTAL Die besten Spas Deutschlands T E X T: D O R I A N I V E N 44 Foto: Schloss Elmau W o Wannen sprudeln, wo warmes Wasser wonnig wallt, waltet Wellness, Supertrend in Deutschlands Oasen-Business. LuxusHotels investieren in den Wertewandel zum Wohlfühlbusiness und inszenieren Saunalandschaften. Spa muss sein, die Massageliege wird zur Beraterbank für stressfreie Entspannung, und immer mehr Gäste treten nur noch massiert auf. Erste Lektion: Wellness kostet mehr Euro als Pfunde, Beauty geht unter die Haut und ins Geld. Doch an der richtigen Adresse ist Wellness das reine Vergnügen. Diese Stille! Nebelschwaden liegen über dem tropisch warmen Rooftop-Pool vor dem Badehaus von Schloss Elmau. Weiß-blau leuchtet der Himmel über Bayerns hochalpiner Intimzone, einer Bilderbuchlandschaft, eingefasst vom kühnen Faltenwurf geologischer High-End-Produkte wie Karwendel und Wetterstein – ein zauberhafter Herrgottswinkel. Hier wurde Dietmar Müller-Elmau in Zimmer 54 geboren. Der Enkel des Gründers und ersten Schlossherrn, des Dichters Johannes Müller (1864–1949), zog in die weite Welt, wurde ein sehr erfolgreicher Software-Unternehmer und kam zurück. 2005, nach einem Brand, der zwei Drittel aller Zimmer zerstörte, übernahm er die Mehrheit der Anteile der Eigentümergesellschaft und begann die Immobilie in ein richtiges Hotel zu verwandeln. So wurde Schloss Elmau, einst Gesinnungstempel kultivierter Weltferne, zum „Luxury Spa & Cultural Hideaway“ im beschaulichen Alpental zwischen Garmisch und Mittenwald, ein FünfSterne-plus-Hotel mit internationalem Renommee. Mit vier Restaurants sowie 128 Zimmern und Suiten gehört es zu den Leading Hotels of the World. Kinder unter zehn Jahren wohnen gratis und langweilen sich selten. Das Schloss bietet Kinderprogramme mit über 100 Betreuern und vor allem Spaß im Family Spa mit Hallenbad, 25 mal 7 Meter groß. Schloss Elmau Kulissenzauber. Wellness im wohltemperierten Rooftop-Pool im Einklang mit dem Naturerlebnis Wetterstein. Zum exklusiven Badehaus gehört das prächtige Alpenpanorama 45 WELLNESS titut zur Weltelite“, betont Spa Director Johannes Mikenda. Weil die Wellness-Welle boomt, sind hoch qualifizierte Therapeuten schwer zu finden. „Wir suchen lange, und weil wir eine sehr kritische Auswahl treffen, haben wir nicht einen einzigen mittelmäßigen Therapeuten. Hierher kommen ja auch nur die besten Musiker.“ eit 1951 bietet das Schloss ein hochklassiges Kulturprogramm. Hier waren die Pianistin Elly Ney, der Geiger Yehudi Menuhin und der Komponist Benjamin Britten zu Gast. Ausnahme-Pianisten wie Martha Argerich, Grigory Sokolov oder zuletzt Daniil Trifonov gaben Konzerte im Tanzsaal, ohne Gage. Aber im Anspruch, so sieht es der Hotelier, auf Augenhöhe mit der Carnegie Hall. „Sicher gibt es kein Hotel, in dem auf so hohem Niveau musiziert oder politisch diskutiert wird, und keins, das um die 200 überwiegend kulturelle Veranstaltungen pro Jahr auf eigene Rechnung organisiert“, sagt Gastgeber Müller-Elmau. „Ich will, dass Elmau weltoffen ist, nicht weltentrückt.“ Offenbar denkt die Bundesregierung genauso. Sie hat Schloss Elmau zum Schauplatz des nächsten G8-Gipfels ausgewählt (auch wenn der voraussichtlich wegen Foulspiels eines Teilnehmers nur ein G7-Gipfel sein wird). Für die Zeit vom 4. bis 5. Juni 2015 ist das Haus komplett für die Staatsgäste aus den führenden Industrienationen reserviert. Weil dann das Schloss über ein weiteres Spa-Hotel mit 42 Suiten verfügen wird, können die Staatschefs unter zehn baugleichen Suiten wählen. „Ich kann sie so unterbringen, dass sich keiner benachteiligt fühlen muss“, sagt der Gastgeber. Schon heute ist es zu beobachten: Selbst wenn Schloss Elmau ausgebucht ist, gibt es nie Streit um die Liegen. S Weil es dort sehr lebendig zugeht, hat der Hausherr für Gäste, die Ruhe suchen, ein Badehaus bauen lassen, 3000 Quadratmeter Wellness pur, drei Pools, eine Etage mit 16 Behandlungsräumen und eine Etage als Lady Spa mit Sole-Dampfbad und finnischer Sauna. Im Gewölbekeller, einem 500 Quadratmeter großen Hamam mit drei Kuppelräumen und 180 Säulen, einem Serail hochgestimmter Werdenfelser Wellness, fühlt sich der Gast auf dem Nabelstein schnell in der Rolle des Pascha Selig. Das „beste Spa der Welt“ (Andrew Harper’s Hideaway Report, USA) bietet 135 Bäder-Rituale vom Molkebad bis zur Schröpfkopfmassage gegen Cellulite, Programme für Hand und Fuß, Massagen und Klangschalen-Behandlung, Pilates und Tai-Chi, Tuina und Shiatsu, Ayurveda und Jivamukti Yoga (2nd Level). Thai-Therapeuten, Sportwissenschaftler und Yoga-Meister stehen bereit. „Wir sind nicht ein Hotel mit Yoga-Angebot, sondern zählen als Yoga-Ins- 46 SCHLOSS ELMAU L U X U R Y S PA & C U LT U R A L H I D E A W AY 82493 Elmau/Oberbayern 128 Zimmer und Suiten, vier Restaurants, Family Spa (1500qm mit großem Indoor-Pool), Badehaus (3000 qm), Tel.: 08823 180 www.schloss-elmau.de Fotos: Schloss Elmau, Michael Schinharl/Jahreszeiten Verlag, Christian Kerber/laif, Mauritius Images, Ulrike Myrzik, Klaus Lorke/Nolimit-Fotodesign, Allthoff Seehotel Überfahrt, Christian Volbracht/dpa Picture-Alliance Am Gipfel der Genüsse Schloss Elmau, Ort für die äußere und innere Balance mit Blick aufs Wettersteinmassiv und illuminiertem Badehaus. Gastgeber Dietmar Müller-Elmau sorgt für 200 Kulturveranstaltungen im Jahr mit Klassikgrößen, Jazz und politischer Debatte Entspannung am Tegernsee Ruheraum im Wellnessbereich des Althoff Seehotels Überfahrt. Hauseigener Seeblick von der Terrasse und drei-Sterne-Koch Christian Jürgens in Aktion uch am Tegernsee ist es noch ruhig. Die Balkons des Althoff Seehotels Überfahrt liegen in der Frühlingssonne. Das im Frühjahr 2001 von der Familie Hurler anstelle des abgerissenen Traditionshotels für 200 Millionen Mark ans Seeufer gesetzte Luxushotel der Kategorie Fünf Sterne plus kam nach mehreren Betreiberwechseln (Dorint, Accor und Sofitel) zur Althoff Hotel Collection. Nun wurde das Juwel schrittweise renoviert und modernisiert. Nur die im kostbaren Marmor getäfelten Bäder mit goldenen Armaturen und Sternenhimmel aus Swarovski-Kristallen blieben unangetastet. Diese Luxusbäder zu bauen war schon lustvolle Verschwendung, sie herauszureißen erst recht. Was das Haus zur ersten Adresse macht, ist das Küchenpersonal. Soeben hat der Meisterkoch Christian Jürgens, 45, im Seehotel Überfahrt den dritten Michelin-Stern erhalten. Damit ist er der elfte Koch in Deutschland, der diese Auszeichnung im Schilde führt, ein Meister aller Klassen. „Seine Kombinationen sind konzentriert, minimalistisch, immer mit großem Geschmack und ausgewogenem aromatisch- A texturellem Spektrum“, urteilte die FAZ, die in solchen Fragen selten danebenliegt. „Drei Sterne im Restaurant geben dem ganzen Hotel ein unverwechselbares Image. Wenn man das kaufen müsste – es wäre nicht zu bezahlen“, sagt Hoteldirektor Vincent Ludwig. „Dieser Koch ist ein Künstler, wir geben ihm alle Freiheiten, die er braucht.“ Nebenan feiert das Ristorante „Il Barcaiolo“ – ausgezeichnet mit 15 Gault-Millau-Punkten – die „cucina casalinga“, also alles, was die regionale Küche Italiens so zu bieten hat, mit Terrasse und Seeblick. Das Restaurant „Egerner Bucht“, ebenfalls mit Seeblick, bietet Alpenkulinarik und Klassiker vom Grill, die „Bayernstube“ traditionelle Schmankerl. Auch in der Wellness strebt das Haus buchstäblich nach oben. „Wir haben die Behandlungsräume aus dem Keller ans Tageslicht geholt und auf zehn Zimmer verzichtet, die wir zu Behandlungssuiten mit Balkon umgebaut haben. Das ist nicht A LT H O F F S E E H O T E L Ü B E R FA H R T 83700 Rottach-Egern 175 Zimmer und Suiten, vier Restaurants, Beauty & Spa (3000 qm) Tel.: 08022 6690 www.seehotel-ueberfahrt.com 47 RUBRIK Spitzenteam im Schwarzwald Hotelier Heiner Finkbeiner ist stolz auf sein Team, Luxus am Rhein Im prächtigen Schloss Bensberg wirkt Sterne-Koch Joachim Wissler in der Küche des „Vendôme“. Zur Wellness gehört der nachtblaue Himmel über dem Pool leicht gefallen, aber Wellness und Tageslicht gehören zusammen,“ weiß der erfahrene Hotelier. uch im Schwarzwald schlagen die Wellen hoch. Heiner Finkbeiner, 65, Chef des Hotel Traube Tonbach, führt das nach Meinung der Fachkritiker beste deutsche Ferienhotel und hat in den vergangenen 20 Jahren mehr als 50 Millionen Euro in sein Unternehmen gesteckt. Derzeit beschäftigt er 320 Mitarbeiter, darunter 90 Auszubildende. Rechnerisch kommt auf jeden Gast mehr als ein Angestellter. Der berühmteste Angestellte ist Harald Wohlfahrt, als einziger Koch Deutschlands seit über 20 Jahren mit drei Michelin-Sternen und der bisher höchsten Wertung von 19,5 Punkten im Gault Millau ausgezeichnet. Kein Wunder, dass die zwölf Tische seiner „Schwarzwaldstube“ (vor allem samstags) auf Monate vergeben sind. In Deutschlands hoher Schule der Kochkunst arbeiten zwölf Köche und drei Patissiers. Bis heute haben die Schüler von Harald Wohlfahrt insgesamt A 48 62 Michelin-Sterne gesammelt. Von derzeit elf Drei-SterneKöchen in Deutschland haben sechs in der Traube Tonbach gearbeitet und die philosophische Essenz aller Küchenleistungen von ihm gelernt. So viel ist sicher: Kein Fernsehkoch hat sie gepachtet. „Die Wahrheit liegt immer auf dem Teller.“ Das Faszinosum Traube Tonbach ist aber nicht nur mit der Zauberei für zwölf Tische zu erklären. Das Frühstücksbuffet im Restaurant „Silberberg“ bricht mit seiner Artenvielfalt von 214 Positionen vermutlich alle Rekorde – ein anschauliches Monument der Philosophie des Hauses „Alles ist Genuss“ und der Maxime „Haben wir nicht gibt’s nicht“. Weil Wellness nicht nur durch den Magen geht, wurde das Traube Spa & Resort komplett umgebaut, erweitert und bietet acht luxuriöse Behandlungsräume und eine Spa-Suite. Die unterhalb des Hotels liegende Dependance Haus Kohlwald wurde komplett renoviert, mit einer Spa-Lounge und HOTEL TRAUBE TONBACH 72270 Baiersbronn-Tonbach 153 Zimmer und Suiten, drei Restaurants, Spa (4000 qm) Tel.: 07442 4920 www.traube-tonbach.de Fotos: Hotel Traube Tonbach (3), Uli Deck/dpa Picture Alliance, Schlosshotel Bensberg, Klaus Lorke/Nolimit-Fotodesign, F1online den Drei-Sterne Koch Harald Wohlfahrt, das reichhaltige Frühstück und den Außenpool zusätzlichem Wellnessbereich mit Sprudelbecken und zwei textilen Saunen ausgestattet. Im Hotel bietet die Pool Area zwei Innenpools und einen Außenpool sowie eine große Saunalandschaft. er Spa-Bereich ist im Althoff Grandhotel Schloss Bensberg in Bergisch Gladbach mit 1000 Quadratmetern vergleichsweise intim, bietet aber Körperanwendungen auf Basis von Fruchtenzymen, Kaviar, mineralisiertem Seesand und reinem Gletscherwasser. Einige Produkte zeigen, dass eine Flucht in die Sachwerte auch körperlichem Wohlbefinden dienen kann. Wer in Gold oder Platin investiert, etwa als Creme von La Prairie, mag das als emotionalen Bilanzgewinn verbuchen. Wellness im Bergischen Land blickt weit über den Rhein hinaus. Ein „Caribbean Day“ beginnt mit Seesand und Kokosöl, dem Peeling folgt die Körpermassage mit karibischen Ölen, Gesichtsbehandlung mit karibischen Pflanzenprodukten, und er endet mit einem leichten karibischen Imbiss. Doch wer in dieses Hotel pilgert, hat etwas versäumt, wenn er nicht im „Vendôme“ gegessen hat, bei Küchenchef Joachim Wissler, Deutschlands bestem Koch 2013 (Der Feinschmecker) und Meister der „Neuen Deutschen Schule“. Mit drei Michelin-Sternen, 19,5 Gault-Millau-Punkten und fünf „F“ vom Feinschmecker hat das „Vendôme“ den Gipfel aller Ranglisten erreicht, und dass die 100 besten D deutschen Köche ihn 2012 zum „Koch der Köche“ wählten, könnte ihn vollends abheben lassen, stünde er nicht mit beiden Beinen immer noch auf dem Boden. „Ich bin Handwerker“, sagt er trocken, auch wenn die Kartoffelschale, die als Amouse-Bouche serviert wird, ein filigranes Kunstwerk ist. Ein Menü im „Vendôme“ dauert gern dreieinhalb Stunden, ein Kulturereignis, das spannender inszeniert, sorgfältiger erarbeitet und einfallsreicher ist als mancher Theaterabend gleicher Länge. Unter den vielleicht 40 Kostbarkeiten, die der Regisseur einschweben lässt, fallen multikulturelle Überraschungen auf, A LT H O F F G R A N D H O T E L S C H L O S S B E N S B E R G 51429 Bergisch Gladbach 120 Zimmer und Suiten, drei Restaurants, Spa (1000 qm) Tel.: 02204 420 www.schlossbensberg.com 49 RUBRIK Säulen des Wohlbefindens Die Seeterrasse, Ronny Siewert, bester Koch an der Küste, Yoga unter Anleitung eines Meisters aus dem Himalaya, und Behandlungssuiten mit edlen Materialien im fürstlichen Ambiente des für die Wellness reservierten Palais Serverin zum Beispiel Leinsamen-Zabaione als Mundschmeichler. Was hat der Künstler damit gemeint? „Ich komme von einem Bauernhof, und da habe ich schon als Junge erlebt, wie Kälbern, die Probleme mit dem Magen hatten, Leinsamenöl gegeben wurde. Leinsamen lässt sich heiß, nicht zu heiß aufschlagen, dann ist die Konsistenz wie Zabaione.“ Und die Praline von der Gänseleberpastete? „Die habe ich eher mit einem Augenzwinkern gemacht. Sie sieht nicht anders aus als die Toffees, die man an der Tankstelle bekommt.“ Und die Blutwurstscheibe als Amuse-Gueule, die auf der Zunge zergeht wie Mousse au Chocolat? „So etwas entsteht, wenn man Apfelsaft mit Kalbsblut und etwas Gelatine vermischt. Das Resultat schmeckt fast wie ein Karamellbonbon.“ Genau. Dieser Koch kann zaubern, macht Kaviar aus Sojasoße, und das nicht, um von den Rohstofflieferanten Iran oder Russische Föderation unabhängig zu sein, sondern weil es phantastisch schmeckt. etzte Etappe auf der Suche nach dem vollkommenen Wohlgefühl. In Norddeutschlands nahem Osten findet sich der Gast staunend vor der Suite Luise mit der Wanne fürs Avocado-Sahne-Bad und dem Wasserbett für die Ziegenbuttercreme-Packung. Er blickt in die Spa Suite Friedrich-Franz für Paare, mit Dampfbad, Meersalzwanne und zwei Packungsliegen. Am Ende liegt er auf einem vorgeheizten Massagebett zur fernöstlichen Ganzkörpermassage Pan- L 50 tai Luar, mit heißem Wasser beträufelt, eingeölt und dann mit geheimnisvollen Kräuterkissen beklatscht und massiert, die der junge Physiotherapeut im Wasserbad auf 120 Grad Celsius erhitzt hat. Nackter Wahnsinn. Der Körper schaltet auf Verbrennungen ersten Grades, die aber offenbar nicht stattfinden. Nach 70 Minuten ist die gesalbte Couch-Potato ein heißer Typ, fühlt sich wie neugeboren, duftet wie ein Teakmöbel und relaxt im Ruheraum des Palastes bei gedämpfter Südstaaten-Musik. Wir sind am Ende einer Zeitreise. 1793 fing alles an. Die Welt veränderte sich, man war Neuem aufgeschlossen. In Frankreich wurde der Hosenträger erfunden und ein König enthauptet, in Preußen zum letzten Mal eine Hexe verbrannt und in Heiligendamm an der Ostsee das erste deutsche Seebad gegründet. Angeregt von seinem Fitness-Trainer, dem Rostocker Arzt und Universitätsprofessor Samuel Vogel, stieg Friedrich Franz I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin, in die Fluten der Ostsee, was im Zeitalter der Katzenwäsche absolut unüblich war, und hatte den erfrischenden Einfall, hier einen Badeort zu gründen. So entstand am schmalen Strand vor Bad Doberan die weiße Stadt am Meer, ein zauberhaftes, klassizistisches Ensemble herrschaftlicher Villen und Logierhäuser sowie ein Kurhaus mit griechischer Tempelfassade und großherzoglicher Spielbank. Heiligendamm erlebte goldene Zeiten als mondänes Seebad, kam zuletzt als „Bad der Werktätigen“ ziemlich he- Fotos: Grand Hotel Heiligendamm (3), dpa Picture-Alliance, Götz Wrage/Jahreszeiten Verlag Die weiße Stadt am Meer Das Grand Hotel Heiligendamm, historische Wellness-Oase, Genusstempel und Schauplatz eines Gipfeltreffens, an Mecklenburg-Vorpommerns Ostseeküste runter, geriet in die Hände der Kölner Fundus-Gruppe, die das architektonische Juwel unter dem strengen Blick der Denkmalpflege erst renovierte und dann dem gastfreundlichen Weltkonzern Kempinski anvertraute, der es auch weiterreichte. Zurzeit gehört es dem Wirtschaftsprüfer Paul Morsynski aus Hannover, der schon eine Schokoladenfabrik vor dem Untergang bewahrte. Er kam irgendwann hierher, wurde Stammgast und griff zu, als es zu haben war. Nun gehören ihm 181 Zimmer und Suiten, helle, hohe Räume mit Balkon, großen Fenstern zum Meer, schwerem Samt und raschelnder Seide; warme Grautöne nehmen die Farben des Strandes auf. Endlich ist er Realität, der Traum vom Mittelmeer im Norden, in subtiler Balance mit asiatischer Kunst, chinesischen Seidentapeten und böhmischem Kristall. Inzwischen reisen mehr Deutsche nach MecklenburgVorpommern als nach Frankreich, was nicht an der Küche liegen muss. MeckPomm ist gewiss nicht das klassische Milieu für la Grande Cuisine. Der Landstrich hat ein gutmütiges Bratkartoffelverhältnis zu kulinarischen Themen, ist eher bekannt für die Produktion als für den Verzehr hochwertigen Rindfleischs, und die Senfsoße gehört zum Dorsch wie die Kurtaxe zur Sommerfrische. Insofern ist Ronny Siewert eine Ausnahmeerscheinung. MecklenburgVorpommerns führender Koch brachte dem GourmetRestaurant „Friedrich Franz“ einen Michelin-Stern und 18 Punkte bei Gault Millau. Und wie es ihm gelingt, Loup de Mer und Soljanka zu einer weltumspannenden Köstlichkeit auf einem Teller zu vereinen, ist aller Ehren wert. Das Brot kommt auf vorgewärmten Kieselsteinen – Hommage an den Strand, der zumindest im Sommer auch zu einem guten Teil aus vorgewärmten Kieselsteinen besteht. Wer will, kann die „BentoBox by Ronny Siewert“ mit an den Strand nehmen: Gourmet-Küche to go: Gänselebervariation mit Brioche, Canapés mit Ostseeaal, Tatar vom Weiderind und Kaviar vom Sibirischen Stör inklusive einer Flasche Dom Pérignon 2004. Wie die Zeit vergeht. Im Juni 2007 kam Heiligendamm gar nicht aus den Schlagzeilen heraus. Angela Merkel hatte hier zum 33. Gipfeltreffen der G8 geladen. Es kamen Sarkozy, Putin, Blair und Bush und Ban Ki-moon. Das Treffen kostete 120 Millionen Euro, ein zwölf Kilometer langer Zaun mit Bewegungsmeldern umschloss die Verbotszone I, in die nur Anwohner und Lieferanten hineindurften. Flugverbot, 16.000 Polizisten, 1100 Soldaten, Tornado- Kampfflugzeuge sicherten den Luftraum. Mehrere Tausend Journalisten kamen und bis zu 80.000 Demonstranten. Es entstand Sachschaden durch Niedertrampeln von Feldfrüchten und Freilassen von Kühen. Elf Schlauchboote von Greenpeace wurden abgefangen, zwei von der Polizei gerammt. Das ist Geschichte. Alle Welt blickt nun auf Elmau, den Gipfel im Wald. Was immer dort geschehen wird – mit Schlauchbooten und Kampftauchern ist nicht zu rechnen. GRAND HOTEL HEILIGENDAMM 18209 Bad Doberan-Heiligendamm 181 Zimmer, davon 61 Suiten, 3 Restaurants, Spa (3000 qm) Tel.: 038203 7400 www.grandhotel-heiligendamm.de 51 MENSCHEN „Es ist verdammt schwer, eine Karriere zu machen, wenn dich alle Welt nur für schön hält“ Jochen Siemens über die Frau seiner wüsten Träume E s gibt ja dieses Spiel „Wie würden Sie einem Blinden diesen Menschen beschreiben“, kennt jeder und ist meistens langweilig, weil man sich unter „lange Haare, schöner Mund, große Augen“ oder so ähnlich eigentlich wenig vorstellen kann. Man kann es mal versuchen und Penélope Cruz beschreiben. Schon klar, lange Haare, schöner Mund, immer halb offen, große dunkle Augen und so weiter. Oder eben nicht so weiter, denn Penélope Cruz zu erzählen endet irgendwann in der Hilflosigkeit, es nicht zu können. Oder besser: nicht das sagen zu können, was man eigentlich sagen will. Das ist immer die Falle großer Schönheit, es geht nicht darum, wie sie scheint, sondern darum, was sie auslöst. In einem selbst, in uns. Niemand blickt eine Penélope Cruz an, weil sie lange Haare oder einen Körper aus der besten Laune Gottes hat. Nein, es ist anders, ihr Anblick macht nicht glücklich, sondern unruhig. Woody Allen, Regisseur von zwei Filmen mit ihr, sagte es einmal so – beinahe erschöpft: „Ich kann sie nicht direkt ansehen.“ Natürlich übertreibt Allen, aber eines stimmt: Penélope Cruz zuzuschauen ist etwas anderes, als – sagen wir – Gwyneth Paltrow oder Angelina Jolie anzusehen. Es gehen einfach mehr Lichter in einem an, mehr Schalter werden umgelegt, mehr, manchmal schon vergessene Gedanken erwachen, mehr Fragen werden gestellt, Mittelmeer, Sonne, Frauen, Männer, die Versprechen der Nacht werden sichtbar. „Und das nur wegen dieses einen Gesichts?“, mag man fragen. Ja, aber es ist nicht nur das Gesicht oder die Schönheit Cruz’, es ist, ähnlich wie bei der jungen Sophia Loren, ein so wirkliches und komplexes Leben, das Penélope Cruz mit nur einem Augenzwinkern, nur einer Geste ausliefern kann. Und das alles mit diesem Widerspruch einer zarten, 1,60 Meter großen Figur und einer, im Original tiefen und immer etwas wütenden Stimme, die rasend schnell sprechen kann. Sie ist dabei, verglichen mit den Frauen Hollywoods, so 52 wollüstig spanisch und europäisch, so gleichzeitig fordernd und verletzbar und so sehr Frau, dass man irgendwie ganz froh ist, auf diesem Kontinent zu leben. Es macht ihn reich. Aber woher kommt das? Wie hat eine Penélope Cruz das gelernt? Ganz einfach: gar nicht. Sie ist so, wie so viele dort waren, wo sie herkommt. Aus Alcobendas, einer Arbeiterstadt nördlich von Madrid. Enge Straßen, hohe und enge Wohnblöcke, Wäscheleinen über der Straße, Kindergeschrei und aus den offenen Fenstern das Geklapper von Geschirr. Hier ist sie 1974, ein Jahr vor dem Ende der Franco-Diktatur, zur Welt gekommen. Es war das Jahr, in dem aus allen Radios immer ein Schlager von Joan Manuel Serrat kam, der „Penélope“ hieß und den sie auch in Alcobendas alle mitsangen, auch der Automechaniker und die Friseurin Cruz, die ihre erste Tochter eben Penélope nannten, nach dem Schlager. Und diese Penélope wuchs mehr auf der Straße als in der Wohnung der Eltern auf, die sich oft stritten und sich bald scheiden ließen. Die Straße war die wirkliche Lebensschule, eine laute Straße mit pfeifenden Jungs, knatternden Mopeds und immer wieder viel Geschrei. Wer hier leise und lieblich war, wurde schnell überhört und übersehen. Der Regisseur Cameron Crowe sagte später einmal über Penélope: „Sie ist drei Viertel süß und lieblich und ein Viertel hart. Und sie balanciert das ständig aus, ihre Lieblichkeit beschützt die Härte und umgekehrt.“ Ihre schon damals so tiefgründige Schönheit aus ovalem Gesicht, großen dunklen Augen und einem Mund, der gleichzeitig Versprechen und Gefahr sein konnte, fiel in Alcobendas deshalb nicht so auf, weil hier viele Frauen so aussehen. Es sind aber eben nur wenige, die es herausschaffen. Penélope stolzierte heraus, sie ging zum Ballett, wo sie, wie sie sagt, die Disziplin zum eigenen Körper lernte; sie warf mit 15 die Schule hin und wollte unbedingt zum Schauspiel, zum Film. Es machte ihr nichts, in ihrem ersten Auftritt in einem Bigas-Luna-Film, 53 der „Jamón, jamón“ hieß, ausführlich nackt vor der Kamera zu sein, und es machte ihr auch nichts, wie lüstern anschließend spanische Zeitungen über sie herfielen, über die „chica desnuda“. Sie war und sie blieb stur und ergab sich ihren Rollen, denn was sonst sollte Schauspiel sein? Und es waren schon ganz früh genau diese Rollen, mit denen sie überraschen konnte. Es war einfach mehr Tiefe und Widerspruch in Penélope Cruz, als es nach außen zu sehen war. Pedro Almodóvar, der große spanische Kinoerzähler, entdeckte genau das und ließ sie in „Alles über meine Mutter“ eine, aufgepasst, aidskranke und schwangere Nonne spielen. Das war eine bizarre Dreifaltigkeit, die Penélope den Durchbruch brachte und ihr die Welt öffnete. Und genau dann, nach über 30 spanischen Filmen, machte diese Penélope Cruz einen, wie sie heute sagt, Fehler. Hollywood lockte, und sie dachte, die Filmhauptstadt meinte sie und nicht nur ihre langen Haare und großen Augen; sie dachte, man wolle ihren spanischen Geist, das Sandpapier in ihrem Wesen. Wollte Hollywood aber gar nicht. Man suchte endlich wieder einen Latino-Star, eine schöne Spanierin, die auch Mexikanerin oder sonst was sein könnte und die Kinokassen füllte. Penélope drehte ein paar nette und ein paar gute Filme wie „Blow“ mit Johnny Depp, „Corellis Mandoline“ mit Nicolas Cage und dann auch noch „Vanilla Sky“, einen verqueren Versuch von Tom Cruise, einmal Filmkunst zu machen. In all diesen Filmen lief Cruz herum wie ihre eigene Darstellerin, pappig, großäugig, beinahe wie in einem Käfig. Man konnte sehen, dass die Hollywood-Regie ihr nur vier oder fünf Gesichtsausdrücke gestattete, dabei konnte sie 383, mindestens. So wie die junge Nonne, aidsinfiziert und schwanger. Später sagte sie einmal: „Wenn ich spiele, denke ich nicht über die Worte nach, die ich sage, sie sind einfach da. Aber in einer fremden Sprache muss ich sie lernen und einzeln aufsagen, das hat mich gebremst.“ Eigenartig durcheinander wirkte sie dann auch noch einige Monate als Freundin von Tom Cruise, der sie wie immer manisch vor jede Kamera schleifte und knutschte, als wolle er sie verhaften, was er ja auch wollte. Penélope sagt damals den resignierten Satz: „Es ist verdammt schwer, eine Karriere zu machen, wenn dich alle Welt nur für schön hält, du aber eine ernsthafte Schauspielerin sein willst. Niemand nimmt dich ernst, wenn alle denken, du bist nur eine Pretty Woman.“ Und dann noch: „Ich kann sehr realistisch sein. Manchmal so sehr, dass ich fast ein Pessimist werde.“ Von Europa aus beobachtet konnte man mitansehen, wie sie im Die Männer liegen ihr zu Füßen Ehemann Javier Bardem, glücklicher Vater ihrer Kinder, Johnny Depp, Filmpirat mit abgedrehtem Augen-Makeup, Hollywood-Topgun Tom Cruise und Spaniens Kultregisseur Pedro Almodóvar 54 Fotos: Fabrice Trombert /Contour by Getty Images, Patrick Demarchelier – Vogue Germany / Trunk Archive, ddp images (2), LILO/SIPA/ddp images, Juanjo Ma/ dpa Picture-Alliance MENSCHEN Mittelmaß langsam unterging und auch noch mit der uninteressanten Salma Hayek ein Remake des Louis-MalleKlassikers „Viva Maria!“ drehte, eine polternde Flintenmädchen-Posse, die an den Kassen auch unterging und bei deren Dreharbeiten Penélope beinahe mit einem Flugzeug abgestürzt wäre. Von Europa aus betrachtet tat das weh, und es muss Pedro Almodóvar wehgetan haben. Er nahm das Telefon, rief in Hollywood an und sagte: „Penélope, komm nach Hause. Lass uns einen Film drehen.“ Die Geschichte der Penélope Cruz wird hier zu einem Lehrstück darüber, was Hollywood vernichten kann, wenn es seine Schauspieler zu einer spiegelglatten Marke schleift. Wenn sie nur noch in das kleine Fach passen sollen, aus dem sich Produzenten bedienen, wenn die Formel ihrer Filme nur noch Pinup-Mädchen braucht. Die Flucht und die Wiedererweckung der Penélope Cruz aus dieser Fabrik lässt den Argwohn wachsen, wem da noch alles die Flügel gestutzt und die Kanten geschliffen wurden. Nichts anderes als eine Wiederentdeckung war denn auch „Volver“, der erste Film nach Hollywood, den Cruz drehte. Ein Almodóvar-Film, kleine Kulisse, spanisches Licht der Nacht und Filmluft, die man im Kino riechen konnte. Wie eine Heimgekehrte packte Cruz all ihr Repertoire wieder aus, sie blühte in der Doppelbödigkeit einer Rolle, in der sie eine Frau spielt, der der Geist ihrer verstorbenen Mutter erscheint, mit aller Kraft auf. Man konnte sehen, wie tief sie die Heimatluft ein- und wieder ausatmete. Das war 2006, und Penélope war 32. Von nun an kann man die großen Szenen ihrer Filme wie Perlen auf eine Schnur ziehen. In „Zerrissene Umarmungen“ etwa, da schläft sie noch einmal mit ihrem steinalten, eifersüchtigen Ehemann und glaubt, am nächsten Morgen seine Leiche neben sich zu haben. Nackt geht sie ins Bad und malt sich die Lippen für ihr neues Leben. Und der Mann wacht wieder auf. Das Ganze dauert nur drei Minuten und ist ein Juwel. Oder eben „Vicky Cristina Barcelona“, ihre erste Arbeit mit Woody Allen, der in Europa drehte. Da gibt sie nicht einfach eine Ex-Freundin, sondern eine manisch-depressive, mit Selbstmord flirtende Frau, die in wenigen Szenen und unzähligen Gesichtsfacetten Himmel, Hölle, Engel und Teufel zugleich vorspielt. Zusammen mit Scarlett Johansson und dem Spanier Javier Bardem entstehen Szenen, die in die ewige Hall of Fame des Kinos gehören. „Sie hat keine Angst vor der Liebe“, sagte einmal Almodóvar über die Kraft ihres Schauspiels. Anders gesagt, Cruz kann die Liebende wie einen Boxer im Ring spielen, austeilen, einstecken, hinfallen, wieder aufstehen. Und so passt es, dass das Mädchen aus Alcobendas nach einigen meist ratlosen Liebschaften vor der Kamera von Woody Allen den Mann trifft, der ihr Format hat. Javier Bardem, 45, Sohn einer Schauspielerfamilie, ehemaliger Rugby-Nationalspieler, Malerei-Student und Schauspieler mit einem Felsengesicht, der abwechselnd Monster („Skyfall“) oder Verführer („Eat Pray Love“) darstellen kann. Sie trafen sich schon einmal, 1992, bei ihrem ersten Film „Jamón, jamón“, aber da waren sie noch jung und eilten weiter. Man muss nicht kitschig sein, um zu sagen, dass sich zwei gefunden haben. Zwei, die sich in ihren Dickköpfigkeiten aushalten und die Sätze und Worte nicht sprechen, sondern wenn nötig auch schleudern, Spanier eben. 2010 heiraten sie, heute ist Penélope Mutter zweier Kinder. Der Nachteil: Sie dreht weniger Filme, weil ihr eigenes Leben jetzt ihr Film ist. Mit sich als Regisseurin und ihren Schauspielern: „Meine Kinder haben absolute Priorität, ich will die Momente mit ihnen nicht verpassen.“ 55 REISEN Paris, aris, mon amour Ein Streifzug durch feine Restaurants und angesagte Bistros, winzige Käseläden, japanische Nudelküchen und Hotels mit illustrer Geschichte T E X T: C L A U S L U T T E R B E C K W ir dachten, wir hören nicht richtig: „Monsieur“, sagte die bezaubernde junge Araberin am Empfang, „vous plaisantez, Sie scherzen! Sie wünschen einen Tisch, heute Abend? Wir hätten vielleicht einen in zehn Tagen …“ Wahrscheinlich ist Paris die einzige Stadt auf der Welt, in der man einen Platz im Bahnhofsrestaurant vorher reservieren muss. Lange vorher. Gemeint ist nicht das ebenso opulente wie berühmte Restaurant Le Train Bleu in dem Gare de Lyon, das unter Denkmalschutz und in jedem Reiseführer steht. Leider ist dort nur der Pomp an Wänden und Decken sehenswert, zum Essen aber sollte man in der Touristenfalle keinesfalls einkehren, Speisen und Service sind äußerst mittelmäßig. Gemeint ist das Lazare, ein neues feines Bistro in dem quirligen Gare Saint-Lazare, das von Éric Fréchon geführt wird. Der Drei-Sterne-Chef des erstklassigen und eleganten Epicure im Hotel Le Bristol (häufiger Gast: Nicolas Sarkozy) hat ein Händchen dafür, exzellente Bistros zu eröffnen, nicht nur in seinem Mini Palais im Museum Grand Palais muss man lang warten, wenn man einen Tisch haben will. Seit der Normanne im vergangenen Jahr das schicke Bahnhofs-Bistro Lazare eröffnet hat, steht tout Paris Schlange und hofft darauf, vielleicht doch einen Tisch zu bekommen. Nicht nur, weil die Preise – für Pariser Verhältnisse – gnädig sind. Der junge Service ganz in Schwarz könnte vielleicht etwas 56 57 REISEN Hotel Shangri-La Drei-Sterne-Koch Fréchon im Lazare Blick vom Bett auf den Eiffelturm ohne den Rauch und Qualm, der den Impressionisten so fas zinierte. Monet hatte sich extra eine kleine Wohnung nah beim Bahnhof angemietet. Doch von den sieben Bahnhofs bildern, die er im Januar 1877 angefertigt hat, sind nur noch vier erhalten, drei hängen in den USA. Zum Glück ist eines auch noch in Paris zu sehen, im Musée d’Orsay. er keinen Tisch im Lazare bekommt, wird ge genüber vom Bahnhof mehr Glück haben, in den beiden Brasserien Garnier oder Mollard gibt es meist einen Tisch ohne Reservierung, zumal wenn man zu deutschen Zeiten essen geht (ein Pariser, der auf sich hält, würde sich schämen, vor 21 Uhr auszugehen). Die tradi tionsreichen Häuser wurden zu einer Zeit eröffnet, als die ersten Omnibusse vor dem Bahnhof einliefen. Das Chaos muss gewaltig gewesen sein, denn immerhin trafen pro Tag an die 5000 von Pferden gezogene Wagen ein, der Durst der Kutscher und der Hunger der Reisenden ließen eine blühen de Restaurantszene entstehen. So auch das Café Terminus, das traurig berühmt wurde, als am 12. Februar 1894 der junge Anarchist Émile Henry den Laden stürmte und einen mit Sprengstoff gefüllten Kochtopf zur Explosion brachte, der Lüster, Spiegel und leider auch einen Gast zerfetzte. Als der Terrorist später vom Richter beschuldigt wurde, er habe einen „unschuldigen Bürger“ getötet, schleuderte ihm der Bombenwerfer einen berühmten Satz entgegen, der in Paris seit Revolutionstagen immer mal wieder in Mode ist: „Es gibt keine unschuldigen Bourgeois!“ Heutzutage schlür fen die Bürger ganz friedlich in der unter Denkmalschutz stehenden JugendstilBrasserie Mollard oder nebenan im Garnier ihre Austern. Übrigens: Wer gern Meeresfrüchte isst, sollte einmal in den feinen Vorort Neuilly hinausfah ren, wo Sarkozy einst Bürgermeister war. Auch er ging gern zu Michel Rostang ins Le Jarrasse, das Plateau de mer für 128 Euro (reichlich für zwei Personen) ist den Umweg wert. Vom LazareBahnhof sind es nur ein paar Hundert Meter zum bombastischen Palais Garnier, der Oper von Paris. Als sich Hitler im Juni 1940, heimlich und frühmorgens, im offenen Mercedes durch Paris fahren ließ, flippte er aus, als ihn ein Wächter über die grandiose Treppe in den ers ten Stock der Oper führte: „Das ist das schönste Theater der Welt“, schrie er. Der Pariser Prunkbau ist so etwas wie die verschnörkelte Schwester der Hamburger Elbphilharmonie, denn es dauerte 15 Jahre, ihn zu errichten, immer wieder wurde der Bau wegen Finanzproblemen unterbrochen, und als er 1875 endlich eröffnet wurde, kostete er statt der be willigten 15 Millionen mehr als das Doppelte: 36 Millionen Goldfranken. Manche Abteilungen sind bis heute nicht fertig gestellt. Um solche Geschichten zu hören, lohnt es sich, eine Führung mitzumachen, sie finden jeden Tag zwischen 10 und Im ehemaligen Stadtpalais der Bonapartes befindet sich heute ein exklusives FünfSterne-Hotel Ex-Präsident Sarkozy im Epicure Anarchisten-Bombe im Café Terminus La Régalade im Hôtel de Nell La Gare Saint-Lazare, Gemälde von Claude Monet im Musée d’Orsay (links); Austern in der Brasserie Garnier (unten) Die Freitreppe in der Oper, Palais Garnier effizienter sein, aber das gleicht er durch Charme aus. Er brachte uns Calamars sautés à l’ail et au piment d’Espelette (15 Euro), der Knoblauch war dezent, die sanfte Schärfe des baskischen Piments deliziös. Das sieben Stunden lang geschmorte Lamm mit eingelegten Zitronen, Oliven und Couscous (34 Euro) zerging auf der Zunge, und das Des sert – eine EischaumZuckerMehlMilchKreation namens Paris-Deauville (8 Euro) – war so göttlich, dass man end gültig vergaß, im zweitgrößten Bahnhof von Paris (100 Mil lionen Reisende pro Jahr) zu sitzen. Nur die weiß gestri chenen Rohre und Leitungen an der Decke erinnern daran. Der aufwendig renovierte Gare Saint-Lazare strahlt seit Jahresbeginn 2014 in neuem Glanz, er sieht heute wieder so aus wie damals, als Claude Monet ihn gemalt hat, allerdings 58 Fotos: bpk/ADOC-Photos/George Dudognon (Urheber war nicht zu ermitteln), Corbis(2), dpa Picture-Alliance, Mauritius Images/Alamy, Maurice Rougemont/laif, Rue des Archives/ SZ-Photo, Dedier Boy de la Tour, Getty Images (3) Hotel Shangri La W 17 Uhr statt, der Eingang dafür liegt seitlich an der rue Scribe. Wer in der Gegend standesgemäß übernachten will, hat keine große Marie-Félix Auswahl, das 9. ArronBlanc dissement ist quirlig, François Bonaparte laut und bei jungen Leuten angesagt, aber die Hotellerie ist eher bescheiden. Bis auf das 2013 eröffnete Design-Hotel Hôtel de Nell, das zwar in einem alten Gebäude untergebracht ist, sich mit seinem puristischen, modernen Interieur aber angenehm abhebt von den vielen Plüschkästen, die in Paris noch immer überwiegen. Dazu gehört das hervorragende, äußerst preiswerte Bistro La Régalade Conservatoire, das nur kurze Zeit ein Geheimtipp war. Wer dort für 35 Euro drei Gänge verspeisen will, muss vorbestellen. Das ist für Paris ein sensationeller Preis, wenn man bedenkt, dass vier Stunden parken in einem engen Parkhaus nicht viel billiger sind. as Ritz an der nahe gelegenen Place Vendôme ist wegen Renovierung geschlossen, das Hôtel de Crillon an der Place de la Concorde ebenfalls. Wer derzeit wirklich fein übernachten will, muss im Shangri-La absteigen, das im Dezember 2010 im ehemaligen Stadtschloss des Botaniker Roland Bonaparte eröffnet wurde. Wie bringt es ein mittelloser Napoleon-Sprössling zu solch einem Palast an einer der schönsten und teuersten Straßen von Paris? Ganz einfach, der Mann mit dem klingenden Namen heiratete eine Frau, die zwar einen banalen Namen, dafür aber genau das hatte, was den Bonapartes seit ihrem Machtverlust besonders abging: Geld. Marie-Félix Blanc war so immens reich, dass sie ihrem Gemahl eine Bleibe finanzieren konnte, wie sie sich heute nur noch russische Oligarchen oder saudische Prinzen leisten können. Ihr Vater François hatte nämlich herausgefunden, wie man den Leuten das Geld stilvoll und doch gnadenlos aus der Tasche zieht. Er gründete erst das Spielkasino in Bad Homburg, später dann die Société des bains et de mer de Monaco – ihr gehört das Kasino und der daneben liegende Belle-Époque-Palast Hôtel de Paris D (heute im Besitz der monegassischen Fürsten). Um sich ein Zimmer im Shangri-La leisten zu können, muss man freilich Glück im Spiel haben, für 800 Euro pro Nacht schaut man nur in den Innenhof. Der Blick aus der Suite über die Seine hinüber zum Eiffelturm ist erst ab 2700 Euro zu haben. Wie solche Preise zustande kommen? Ganz einfach. Wer heute ein Appartement in der gleichen Lage kaufen will, muss für den Quadratmeter locker 25.000 Euro hinlegen. Wer nicht ganz so viel Geld ausgeben und dennoch von der Terrasse über die Dächer von Paris schauen will, wird sich vielleicht im Hotel Pont Royal wohlfühlen. Es ist ein Haus mit illustrer Geschichte: Zahllose Künstler und Schriftsteller haben sich in der Kellerbar besoffen, darunter Ernest Hemingway, Boris Vian oder Arthur Miller. Sartre redigierte dort seine einflussreiche Zeitschrift „Les Temps modernes“, und das Lästermaul Truman Capote beschrieb die Atmosphäre so: „Damals gab es im Pont Royal eine ledrige, kleine Kellerbar, die so etwas wie die Lieblingstränke der Haute-Bohême-Betuchten war. Der schieläugige, bleiche, pfeifennuckelnde Jean-Paul Sartre und seine altjüngferliche Amüsierdame, die Beauvoir, hockten meist in einer Ecke wie ein verlassenes Bauchrednerpuppenpaar. Oft sah ich dort auch Arthur Koestler, niemals nüchtern – ein aggressiver, abgebrochener Riese, der gern die Fäuste schwang. Und Albert Camus, scharf und scheu zugleich …“ Heute ist das Pont Royal ein Fünf-Sterne-Hotel mit Zimmern ab 260 Euro. Gleich daneben liegt das Hotel Montalembert, das erste Fünf-Sterne-Hotel auf der Rive Gauche, ebenfalls ein Literatentreff, denn ein Haus weiter residiert der angesehene Verlag Gallimard. Exzellent essen kann man im Restaurant zwischen den beiden Hotels. Zum Pont Royal gehört eine Dependance der weltweit erfolgreichen Kette L’Atelier Schielauge und Altjungfer In der Bar des Hotels Pont Royal trafen sich Künstler und Literaten, darunter Jean-Paul Sartre, Boris Vian, Simone de Beauvoir und Arthur Koestler 59 REISEN de Joël Robuchon, das Menu dégustation des Drei-Sterne-Kochs kostet 199 Euro. Schräg gegenüber liegt einer der kuriosesten Läden von Paris, Deyrolle. Wer seine Nase nur in das Erdgeschoss steckt, wird gleich wieder umdrehen. Wer geht schon in die feine rue du Bac im feinen 6. Arrondissement in Paris, um Gerätschaften für den Balkongarten zu kaufen? Doch im Obergeschoss sieht es aus wie ein Naturkundemuseum, nur hängt Deyrolle an den Tieren ein Preisschild, ein ausgestopftes Wildschwein bekommt man schon für 7200 Euro, für einen Eisbär muss man 38.000 Euro hinlegen. Für den kleinen Geldbeutel gibt es getrocknete Skorpione ab 20 Euro. eil man aber nicht immer teuer und fein essen will oder kann, braucht man ab und zu einen kleinen, deftigen Snack. Uns hat es im winzigen Le Tourrette in der rue de Grenelle wunderbar geschmeckt, kleine spanische Speisen an einem langen Tisch, wir hatten schwarzen Reis mit Calamares, mit rohem Lauch bestreut, zum Dessert einen Manchego auf Quittenpaste, dazu drei Gläschen Tempranillo, alles köstlich, alles für 30 Euro. Oder man besucht die einfachen japanischen Nudelküchen rund um die rue Sainte-Anne im 1. und 2. Arrondissement, das Aki oder das neu eröffnete Kunitoraya, ein 15 Meter langer Schlauch, nur drei Meter breit, nackte Ziegelwände – und gute Suppen. Ein paar Schritte weiter liegt gut versteckt das Kunitoraya 2, wo es mehr gibt als nur frisch gemachte Udon-Nudeln. Das Essen ist so gut, dass man es seit Jahren nicht nötig hat, außen mit dem Namen auf der Holzfassade zu werben, die Eingeweihten kennen das Lokal, und sie wissen, dass es Tische selten ohne Vorbestellung gibt. Abends wird nur das Menu Ryoma serviert, ab 70 Euro aufwärts. Nicht zum Essen in das Viertel kam Dominique StraussKahn, er gab gelegentlich Gastspiele im Swingerclub Les Chandelles, der gleich um die Ecke in einem Keller liegt. Zum Essen ging DSK in die Restaurants rund um die Assemblée nationale wie die anderen Politiker auch. Und weil sie bei Tisch wie im Parlament eher Reformen scheuen, bevorzugen französische Politiker eher die deftige, traditionelle Küche, wie sie bei Père Claude serviert wird. DSK war dort Gast, Jacques Chirac sogar Stammgast, er schaffte schon mittags Kalorienbomben wie Kalbskopf und Zunge (23 Euro) oder so eine köstliche Schweinerei wie gegrillte 1 5 22 7 6 25 Arc Arc de de Triomphe 7 12 11 10 2 21 29 W 60 4 3 18 24 BARS & RESTAURANTS 1) Lazare Parvis de la Gare Saint-Lazare 75008 Paris +33 1 44 90 80 80 2) Epicure (im Hotel Bristol) 112 rue du Faubourg Saint Honoré 75008 Paris +33 1 53 43 43 40 Foto: Antoine Lorgnier/Biosphoto; Illustration: trussel.com 3) Mini Palais (im Grand Palais) 3 Av. Winston Churchill, 75008 Paris +33 1 42 56 42 42 4) Garnier 111, rue Saint-Lazare 75008 Paris +33 1 43 87 50 40 5) Mollard 115, rue Saint-Lazare 75008 Paris +33 1 43 87 50 22 6) Le Jarrasse 4 Avenue de Madrid 92200 Neuilly-sur-Seine +33 1 46 24 07 56 8 20 9) Le Tourrette 70, rue de Grenelle 75007 Paris +33 1 45 44 16 05 14 16 26 19 10) Aki 11 bis, rue Sainte-Anne 75001 Paris +33 1 42 97 54 27 11) Kunitoraya 1, rue Villedo 75001 Paris +33 1 47 03 33 65 9 23 17 27 15 15 30 28 12) Kunitoraya II 5, rue Villedo 75001 Paris +33 1 47 03 07 74 13) Père Claude 51 Avenue de la Motte-Picquet 75015 Paris +33 1 47 34 03 05 14) Chez Françoise Aérogare des Invalides 75007 Paris +33 1 47 05 49 03 15) Café de l’Esplanade 52 rue Fabert 75007 Paris +33 1 47 05 38 80 7) La Régalade im Hotel de Nell 7–9 rue du Conservatoire 16) Tante Marguerite 75009 Paris 5 rue de Bourgogne, +33 1 44 83 83 60 75007 Paris, +33 1 45 51 79 42 8) L’Atelier de Joël Robuchon 17) Thoumieux 5 rue Montalembert 79, rue Saint-Dominique 75007 Paris 75007 Paris +33 1 42 22 56 56 +33 1 47 05 79 00 13 HOTELS 18) Hotel Shangri-La 10 Avenue d'Iéna 75116 Paris +33 1 53 67 19 98 21) Hotel Bristol 112 rue du Faubourg Saint Honoré 75008 Paris +33 1 53 43 43 40 KULTUR 24) Musée d’Orsay 1, rue de la Légion d’Honneur 75007 Paris SHOPPING 26) Deyrolle 46, rue du Bac 75007 Paris +33 1 42 22 30 07 19) Hotel Pont Royal 7 rue de Montalembert 75007 Paris +33 1 42 84 70 00 22) Hotel de Nell 7–9 rue du Conservatoire 75009 Paris +33 1 44 83 83 60 27) Fromagerie Barthelemy 51, rue de Grenelle 75007 Paris +33 1 45 48 56 75 20) Hotel Montalembert 3 rue Montalembert 75007 Paris +33 1 45 49 68 68 23) Hôtel Thoumieux 79 rue Saint-Dominique, 75007 Paris +33 1 47 05 49 75 25) Palais Garnier (Opéra) 8 rue Scribe 75009 Paris, +33 1 71 25 24 23 www.operadeparis.fr/visiter 28) Grand Epicerie de Paris 38 rue de Sèvres 75007 Paris +33 1 44 39 81 00 29) Jean-Paul Hévin 31 rue Saint-Honoré 75001 Paris +33 1 55 35 35 96 30) Hugo & Victor 40, boulevard Raspail 75007 Paris +33 1 44 39 97 73 NICHT VERZEICHNET Musée Marmottan Monet 2, rue Louis-Boilly 75016 Paris Fromagerie Sebastien Dubois 16, rue de Poissy 78100 SaintGermain-en-Laye +33 1 34 51 00 66 Hotel Pavillon Henri IV. 21 rue Thiers 78100 SaintGermain-en-Laye +33 1 39 10 15 15 Großmarkt Rungis www.visiterungis.com 61 REISEN Politiker lieben es deftig Doch die fetten Jahre sind vorbei, auch in Paris dauert das Mittagessen nicht mehr drei Stunden Abendstimmung auf der Seine „Dann lehnt man sich zurück, zu Hause in Hamburg, fühlt sich ein wenig wie Gott in Frankreich und träumt vom nächsten Besuch in Paris.“ 62 Fotos: Arcangelo Piai/Bildagentur Huber, Corbis, Mousse/abaca/dpa Picture- Alliance, alimdi.net, Getty Images Andouillettes, pikant gewürzte Würste aus Schweinsdarm, die man in Deutschland leider vergeblich sucht. Hervor ragend schmeckt das Fleisch vom Grill, unser Pièce de bœuf (70 Euro für zwei) war saftig und perfekt gegrillt. Eine be gehrte Einkehr der regierenden Kaste ist auch das elegante Brasserie Thoumieux, nicht weit vom Eiffelturm entfernt. Etwas versteckt und für Touristen kaum zu finden ist eine andere berühmte Politikerkantine, Chez Françoise. Sie liegt im dunklen Untergeschoss des AirFranceStadtbüros an der Place des Invalides. Die Karte ist ebenfalls bodenständig und traditionell. Man geht dorthin, wenn man nicht gese hen werden will, wer gesehen werden will, setzt sich oben auf dem Trottoir in die weißen Sessel der Brasserie Café de l’Esplanade am Invalidenplatz und schaut den schlanken französischen Politikerinnen dabei zu, wie sie einen Salat und eine Coke Zero trinken und dabei ständig telefonieren. Die Wirte klagen schon lang über die neuen Esssitten, frü her hätten die Politiker stundenlang getafelt und den Wein flaschenweise getrunken. Heute, sagt der Chef des Restau rants Tante Marguerite, dauere das déjeuner d’affairs „gra de mal eine Stunde, man trinkt ein Glas Wein und lässt das Dessert weg“. o kommen all die guten Sachen her, die man in den Pariser Restaurants findet? Das meiste kommt vom Großmarkt in Rungis, nahe beim Flughafen Orly. Auch ihn kann man besuchen, man muss früh auf stehen, aber der Ausflug ist die Mühe wert. Der Bus fährt um halb fünf Uhr morgens an der Place Denfert-Rochereau ab, die Führung dauert von fünf bis acht Uhr und kostet 80 Euro, Frühstück inbegriffen. Wem das zu früh ist, der kann noch immer durch die Fressgassen an der Seine ziehen, dort, wo die Pariser einkaufen, in der rue Clèr (7. Arrondis sement), der rue Daguerre (14e) oder der rue Poncelet (17e), und sich dort fragen, warum es so etwas bei uns nicht gibt. Ein Umweg in die Fromagerie Barthélemy in der rue de Grenelle lohnt sich. Eigentlich ist die Straße mit den schi cken Läden ein Paradies für Schuhkäufer, aber was Madame in ihrem winzigen Laden an erlesenem Käse, Cremes oder Butter bietet, bei bester Beratung, ist einmalig. Den schöns ten Käseladen, vielleicht von ganz Frankreich, findet man außerhalb, im reichen Westen von Paris. In SaintGermain enLaye, dem Geburtsort von Ludwig XIV., hat die Fro magerie von Sébastien Dubois ihr MarmorInterieur aus der Belle Époque bewahrt. Im Geburtshaus des Sonnenkö nigs lässt sich auch übernachten, von der Terrasse des Vier W Dominique de Villepin, Jacques Chirac Käseladen von Madame Barthélemy Strauss-Kahn und Ségolène Royal Fischabteilung im Großmarkt Rungis SterneHotels Pavillon Henri IV hat man an klaren Tagen einen wunderbar weiten Blick bis nach Paris, er geht über die Seineschleifen, in denen einst die Impressionisten mit ihren Geliebten im Gras oder in den Ausflugsrestaurants saßen und die Welt mit neuen Augen sahen. Wer ihre Bilder heute sehen will, besucht am besten das Musée Marmottan Monet. Kein Besuch in Paris darf aber enden, ohne nicht vorher die grandiose Lebensmittelabteilung des Bon Marché, La Grande Epicerie de Paris besucht zu haben. Man kann dort sein Geld verschleudern für „bling h2o“, ein Tafelwasser aus Tennessee, das 0,75LiterFläschen für 59,90 Euro. Oder man kann es richtig gut Jean-Paul Hévin anlegen und sich in den Glaskühlschrän ken der Metzgerei eine Côte de bœuf aussuchen, die dort 15 Tage lang gereift, schon leicht grau angelaufen und ihr Geld allemal wert ist – das Kilo kostet 41,50 Euro. Daheim schiebt man das Zwei KiloStück in den auf 200 Grad vorge heizten Ofen, lässt es auf jeder Seite acht bis zehn Minuten braten, berieselt es nur mit Fleur de Sel, leert eine Flasche Bor deaux Château La Lagune vom Jahrgang 2003 dazu und lässt zum Abschluss ein paar Pralinen der besten Chocolatiers auf der Zunge zergehen, sie stammen entwe der von Jean-Paul Hévin (vier Boutiquen) oder von Hugo & Victor (drei Boutiquen, davon eine im Kaufhaus Printemps). Dann lehnt man sich zurück, zu Hause in Hamburg, fühlt sich ein wenig wie Gott in Frankreich und träumt vom nächsten Besuch in Paris. 63 RU BE RN I KB E R G N E W S B ER Harmonisches Trio: Berenberg-Markenbotschafter Gary Player eröffnete Mitte April mit den beiden anderen großen Golflegenden Arnold Palmer und Jack Nicklaus (v. li.) eines der bedeutendsten Sportereignisse weltweit, das 78. Masters Tournament in Augusta. Franz Josef Pschierer, Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium, Tindaro Siragusano, Leiter Asset Management Berenberg, Dr. Hans-Walter Peters, Partner Berenberg, Hans-Kaspar von Schönfels, Chefredakteur Elite-Report Vier-Milliarden-Mandat Innerhalb von drei Wochen hat das Private Banking von Berenberg zwei bedeutende Auszeichnungen erhalten: Zum zehnten Mal in Folge hat Berenberg im Report „Die Elite der Vermögensverwalter“ („Handelsblatt“) das höchste Prädikat „summa cum laude“ erhalten, davon in den letzten fünf Jahren stets mit der höchsten vergebenen Punktzahl. Auch zwei zur Londoner „Financial Times“ gehörende Magazine zeichneten Berenberg im Rahmen ihrer Global Private Banking Awards aus, nämlich als „Best Private Bank in Germany“. Das Asset Management von Berenberg hat im Februar das größte Mandat in der Geschichte der Bank akquiriert. Nach einem sechsmonatigen Ausschreibungsverfahren hat Aerion, einer der größten Pensionsfonds in England, das gesamte Management seines Fremdwährungsrisikos in Höhe von 4,1 Mrd. Euro an Berenberg vergeben. „Die aktive, dynamische Steuerung des Währungsexposures unserer ausländischen Anlagen ermöglicht es uns, sowohl die Risiken eines Fremdwährungsinvestments zu minimieren als auch die Potenziale zu maximieren“, so Aerion-CEO Paul Sharman. Großes Interesse an Investorenkonferenz Nummer zwei bei Börsengängen Im Dezember 2013 fand zum elften Mal die Berenberg European Conference in Pennyhill Park nahe London statt. Auf der viertägigen Konferenz stellten sich 115 Unternehmen rund 280 institutionellen Anlegern aus aller Welt vor. In 90 Präsentationen und fast 900 Einzelmeetings wurde reger Informationsaustausch betrieben. Rund 50 Unternehmensvorstände nutzten zudem die Möglichkeit, in VideoInterviews aktuelle Themen einer breiten Öffentlichkeit zu erklären. Die Videos sind auf der Website www.berenberg.de zu sehen. Berenberg hat im vergangenen Jahr 22 Börsengänge und Kapitalerhöhungen in Europa mit einem Transaktionsvolumen von 8 Mrd. Euro begleitet. Im deutschsprachigen Raum nimmt Berenberg gemessen an der Anzahl der begleiteten Transaktionen laut Bloomberg einen beachtlichen zweiten Platz ein und konnte sich vor den amerikanischen und europäischen Großbanken positionieren. 64 Fotos: Elite Report, Black Knight International, Bertold Fabricius Ausgezeichnet Golf-Ikone Gary Player wird Berenberg-Markenbotschafter Die in den letzten Jahren gewachsene Zusammenarbeit zwischen Gary Player und Berenberg mündet nun in eine intensive Partnerschaft, in der die südafrikanische Golf ikone als weltweiter Markenbotschafter für die Hamburger Privatbank tätig sein wird. Player war während der vergan genen vier Jahre schon Botschafter der Berenberg Masters, eines Turniers der European Senior Tour. „Gary Player steht wie kein Zweiter für Sportsgeist, Fairness und Engagement und ist eines der weltweit anerkanntesten Sportidole“, so Dr. HansWalter Peters. Gary Player ist seit 60 Jahren als ProfiGolfer tätig. Er hat 165 ProfiTurniere gewonnen, darunter neun Ma jor Championships auf der regulären PGA Tour und neun Majors auf der Senior bzw. Champions Tour. Als einer von nur fünf Golfern hat er den Grand Slam geschafft. Mit 325 entworfenen Golfplätzen ist er die weltweite Nummer eins und hat in seiner Karriere 25 Millionen Kilometer zu rückgelegt – so viel wie kein anderer Sportler. „Ich bin glücklich, für eine so angesehene Bank wie Berenberg als weltweiter Botschafter tätig sein zu dürfen. Berenberg war ein fantastischer Partner bei der gemeinnüt zigen Arbeit meiner Stiftung, und ich habe die Zusammen arbeit und die Menschen bei Berenberg sehr schätzen ge lernt“, erklärt Gary Player. Berenberg fördert junge Kunst Der Berenberg Preis für junge Kunst ging Ende 2013 an Katja Aufleger, die ihren MasterAbschluss an der Hoch schule für Bildende Künste Hamburg im Bereich Bildhau erei absolvierte. Über 1200 Besucher kamen in das Kunst haus Hamburg zur Eröffnung der Ausstellung „INDEX“ mit Werken 20 junger Künstler, die für den Preis nominiert waren. Kuratorin Elena Winkel und Andreas Brodtmann übergaben den Preis an Katja Aufleger (r.) 65 RU B ER BE RN I KB E R G N E W S Dr. Hans-Walter Peters und Joachim v. BerenbergConsbruch mit den Preisträgerinnen Boglárka Pecze, Eva Boesch und Sun-Young Nam Erleben Sie faszinierende klassische Automobile vor der prachtvollen Kulisse des Althoff Grandhotel Schloss Bensberg. Samstag, 19. Juli: Rallye Historique Klassische Fahrzeuge auf Kurs durch das Bergische Land. Berenberg Bank Stiftung wurde 1990 aus Anlass des 400-jährigen Bestehens der Bank gegründet und fördert seit dieser Zeit insbesondere den kulturellen Nachwuchs. Über 800.000 Euro kamen bisher dem kulturellen Nachwuchs zugute. Sonntag, 20. Juli: Concours d’Elégance Weltweit einzigartige Automobile und traditionsreiche Legenden. very important cars only. Brasilien: Den mit 15.000 Euro dotierten Berenberg Kulturpreis 2014 erhält das in Hamburg beheimatete Trio Catch, bestehend aus der Ungarin Boglárka Pecze (27, Klarinette), der Schweizerin Eva Boesch (29, Violoncello) und der Südkoreanerin Sun-Young Nam (32, Klavier). Die Musikerinnen haben neben der klassischen Musik einen Schwerpunkt auf die Interpretation zeitgenössischer Kompositionen gelegt. Stipendien erhielten der portugiesische Hornist Pedro José da Silva Salazar (29) und der Schweizer Fagottist Levi Marek (28). Darüber hinaus fördert die Stiftung auch 2014 zusammen mit zwei anderen Hamburger Stiftungen die Art School Alliance, einen Zusammenschluss von sieben der weltweit bedeutendsten Kunsthochschulen. Die Lohnen Kosten für Fußball-WM? Die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 steht vor der Tür. Fans auf der ganzen Welt freuen sich auf ein weiteres Fußballspektakel. Gleichzeitig kämpft das Gastgeberland Brasilien mit wirtschaftlichen Problemen, und Teile der heimischen Bevölkerung protestieren vehement gegen die hohen Kosten der WM. Das Geld sei aus ihrer Sicht im Bildungs- und im Gesundheitsbereich besser investiert. Die Privatbank Berenberg und das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut HWWI haben die Wirtschaftsfaktoren der Fußball-WM in Brasilien genauer untersucht. Tatsächlich sind die positiven volkswirtschaftlichen Effekte von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen meist verschwindend gering. Gerade Schwellenländer sollten sich künftig genau überlegen, ob das Prestigeobjekt Fußball-WM den Aufwand wert ist. Foto: Bertold Fabricius Trio Catch erhält Berenberg Kulturpreis U N S E R E STA N D O R T E Hamburg Neuer Jungfernstieg 20 • Telefon 040 350 60-0 Boston 255 State Street • Telefon +1 617 292-82 00 Bielefeld Welle 15 • Telefon 0521 97 79-0 Genf 29, Quai du Mont-Blanc • Telefon +41 22 308 59-00 Braunschweig Vor der Burg 1 • Telefon 0531 12 05 82-0 London 60 Threadneedle Street • Telefon +44 20 32 07-78 00 Bremen Teerhof 59 • Telefon 0421 348 75-0 Luxemburg 46, Place Guillaume II • Telefon +352 46 63 80-1 Düsseldorf Cecilienallee 4 • Telefon 0211 54 07 28-0 New York 712 Fifth Avenue • Telefon +1 646 445-72 00 Frankfurt Bockenheimer Landstraße 25 • Telefon 069 91 30 90-0 Paris 48, avenue Victor Hugo • Telefon +33 1 58 44 95-00 München Maximilianstraße 30 • Telefon 089 25 55 12-0 Shanghai 841, Yan'an Road (M.) • Telefon +86 21 64 18 84-11 Stuttgart Bolzstraße 8 • Telefon 0711 490 44 90-0 Wien Schottenring 12 • Telefon +43 1 227 57-0 Zürich Kreuzstrasse 5 • Telefon +41 44 284 20-20 6 66 6 Mehr Informationen: www.sbc2014.de Supported by: 68