der blaue engel - Theater Hameln
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der blaue engel - Theater Hameln
THEATER NETZWERK Informationen zur Produktion DER BLAUE ENGEL nach Heinrich Mann/Josef von Sternberg im Theater in der Josefstadt Das Projekt wird gefördert durch das DER EL G N E E U A BL Der Roman PROFESSOR UNRAT ODER DAS ENDE EINES TYRANNEN von Heinrich Mann (1871-1950) entstand 1904 und erschien ein Jahr später. Das Buch stieß verbreitet auf Ablehnung, die Verkaufszahlen blieben entsprechend niedrig. Besonders in Heinrich Manns Heimatstadt Lübeck fühlten sich die Bürger in der Darstellung von Gesellschaft und Schule angegriffen. Das Buch wurde totgeschwiegen, kritisiert und (vor allem für Schüler) faktisch verboten. Die geänderten politischen Verhältnisse und der große Erfolg des Romans DER UNTERTAN, der 1918 erschien, sorgten für steigendes Interesse auch an früheren gesellschaftskritischen Werken Heinrich Manns, und davon profitierte auch PROFESSOR UNRAT. Durch den Welterfolg der Verfilmung des PROFESSOR UNRAT unter dem Titel DER BLAUE ENGEL erlangten auch die Vorlage und ihr Autor internationale Berühmtheit, der Roman wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Heinrich Mann übt in PROFESSOR UNRAT pointiert und satirisch überspitzt scharfe Kritik an den politischen und sittlichen Verhältnissen im Wilhelminischen Deutschland. Er selbst fühlte sich dem Bürgertum zugehörig und bekannte sich zu dessen positiven Werten, Leistungs- und Bildungswillen, verurteilte aber gleichzeitig dessen „Ungeist“. Die Wohlanständigkeit seiner Zeit- und Standesgenossen schien ihm heuchlerisch. Der Roman zeigt diese Doppelmoral des Bürgertums. Seine Leser nahmen Heinrich Mann übel, dass er in moralischen Skandalen, die andere als Einzelfälle bewerteten, Fehler in der Struktur der Gesellschaft erkannte und darstellte. Neben der Kritik am Bürgertum zeigt Heinrich Mann in PROFESSOR UNRAT auch Schwächen des Schulsystems auf. Das Gymnasium entfernte sich zunehmend von den Idealen und inneren Werten humanistischer Bildung, lehnte demokratische und sozialistische Anschauungen ab, wurde strenger und verstärkte den Drill. Ziel war die Heranbildung gehorsamer Untertanen, Selbständigkeit und Kritikfähigkeit der Schüler wurden unterdrückt, Pauker verlangten vor allem Disziplin und unreflektiertes Auswendiglernen. Der in den UFA-Studios gedrehte deutsche Film DER BLAUE ENGEL entstand zwischen 1929 und 1930 unter der Regie von Josef von Sternberg. Das Drehbuch schrieben Carl Zuckmayer, Karl Gustav Vollmoeller und Robert Liebmann nach dem Roman von Heinrich Mann (wobei die genaue Beteiligung jedes Einzelnen ebenso wenig geklärt ist wie der persönliche Einfluss Heinrich Manns). Die Premiere des Films fand am 1. April 1930 in Berlin statt. Gleichzeitig mit der deutschsprachigen entstand eine englische Fassung (THE BLUE ANGEL) mit denselben SchauspielerInnen, die im Juli 1930 in London uraufgeführt wurde. Die Handlung des Romans ist im Film inhaltlich vereinfacht und im zweiten Teil auch deutlich verändert. Die Anzahl der Figuren ist stark reduziert. Einige der Veränderungen sind auf die Übertragung in das neue Medium zurückzuführen, in dem die Bedeutung der Sprache zugunsten der Optik in den Hintergrund tritt. Dazu kommen politische Gründe: Die deutschnational geführte UFA hatte sich gegen die unveränderte Verwendung einer Vorlage des eher links ausgerichteten Heinrich Mann ausgesprochen. Auch dass der Stoff in die Gegenwart, also die zweite Hälfte der 20er Jahre, verlegt wurde, verlangte einige Adaptierungen. Die meisten Neuerungen lassen sich aber auf das Bestreben zurückführen, einen publikumswirksamen und kommerziell erfolgreichen Film zu produzieren (worauf schon die Wahl des Titels hinweist). Hauptfigur des Romans ist der strenge Professor Immanuel Raat, 57 Jahre alt und seit 26 Jahren Lehrer am örtlichen Gymnasium. Das bedeutet, dass es in der Stadt auch viele ehemalige Schüler in unterschiedlichen Altersstufen gibt. Professor Raat sieht seine Schüler, die ihm hinter seinem Rücken den Spitznamen „Unrat“ geben, als persönliche Feinde und Rebellen und ist daher vor allem bestrebt, sie zu „fassen“ und zu strafen (zum Beispiel, indem er ihnen unlösbare Aufgaben stellt). Besonders einen seiner Schüler, Lohmann, empfindet Unrat als Gegenspieler und Bedrohung, weil er die Autorität und Macht des Lehrers und damit ihn selbst in Frage stellt. Als Unrat bei Lohmann ein Gedicht über die Künstlerin Rosa Fröhlich entdeckt, macht er sich auf die Suche nach ihr, um den Umgang seiner Schüler mit ihr zu unterbinden. Rosa gelingt es, Unrat nach der ersten Begegnung wieder in das Lokal „Der Blaue Engel“, in dem sie als Sängerin auftritt, zu locken. Die ursprüngliche Motivation, seine Schüler fernzuhalten, wandelt sich allmählich. Bald fühlt sich Unrat als Beschützer Rosas, die er mit für sie ungewohnter Höflichkeit und Respekt behandelt, und er beginnt großzügig Geld für sie auszugeben. Dass er sie schließlich heiratet, kostet Unrat in seiner Stadt Ansehen und Stellung: Die Hochzeit bedeutet einen Verstoß gegen die Moral (die eine derartige Beziehung bestenfalls dann toleriert, wenn sie geheim gehalten wird) und macht ihn als Vorbildfigur in seiner Funktion als Lehrer unmöglich. Der verschwenderische Lebensstil seiner Frau treibt Unrat bald in finanzielle Schwierigkeiten, sein angespartes Geld ist schnell aufgebraucht. Auf Betreiben Rosas beginnen die beiden in ihrem Haus zweifelhafte „Gesellschaften“ zu veranstalten, die an die Abende im „Blauen Engel“ erinnern und bei denen es jede Art von Vergnügungen und auch Glücksspiel gibt. Rosa lässt sich mit einflussreichen Männern ein, tut das aber diskret (im Geheimen und außer Haus) und bleibt Unrat in einer Mischung aus Zärtlichkeit und Mitleid verbunden. Dass Rosa ihn betrügt, erduldet Unrat im Bewusstsein, sich an den gar nicht so wohlanständigen Bürgern der Stadt (und damit an vielen seiner ehemaligen Schüler) zu rächen, die sich durch ihr unehrenhaftes Verhalten erniedrigen oder sogar ruinieren. Das Zusammentreffen Rosas mit Lohmann, der wieder in der Stadt ist und sich von Rosa nach Hause einladen lässt, löst allerdings eine so heftige Eifersucht aus, dass Unrat sich strafbar macht (- er würgt Rosa und nimmt Lohmanns offen daliegende Brieftasche an sich -) und unter dem Spott der Stadtbürger verhaftet wird. Der Film zeichnet die beiden Hauptfiguren, Professor Unrat und Lola (wie die Künstlerin nun heißt), anders als der Roman. Der Lehrer, bei Heinrich Mann ein unerbittlicher Tyrann und rachsüchtiger Menschenfeind, der erst nach und nach Verständnis und Mitgefühl des Lesers gewinnt, bekommt im Film gleich zu Beginn sympathische Züge: Er trauert um seinen toten Kanarienvogel. Auch optisch ist er positiv verändert: Aus dem faltigen, verkrampften, schwächlichen Mann mit schlechter Haltung wird im Film ein stattlicher, gesetzter Herr. Seinen Schülern gegenüber zeigt er zwar Strenge, wirkt aber mehr kauzig als bedrohlich. Auch scheint er sich tatsächlich Sorge um das Wohlergehen seiner Schüler zu machen. Dass Unrat im Roman den Schüler Lohmann als gefährlichen Gegenspieler sieht, fehlt im Film ganz. Die Geschichte des Lehrers ist im Film insgesamt zurückgedrängt, im Vordergrund steht die Liebesgeschichte und Unrats durch seine Liebe verursachter gesellschaftlicher und persönlicher Niedergang. Seine emotionale Entwicklung und die Beziehung zur Künstlerin sind vereinfacht und komprimiert. Unrats Zerrissenheit zwischen Vertrauen und Betrugsverdacht, sein Schwanken zwischen Triumphgefühl und Verzweiflung fehlt. Die Künstlerin Fröhlich ist im Roman eine vielschichtigere Figur als im Film. Während der Film sie als berechnende Opportunistin zeigt, die sich den Professor wegen seines Geldes „angelt“ und ihn, als er kein Geld mehr hat, mit Geringschätzung behandelt und ungeniert betrügt, schildert der Roman eine Frau, die sich von ihrer Heirat mit Unrat vor allem einen gesellschaftlichen Aufstieg erhofft. Im Roman hat sie auch eine Tochter, der sie eine bessere Zukunft ermöglichen will. Die Annäherung an Unrat gelingt nicht so unkompliziert und schnell wie im Film und geschieht auch nicht ausschließlich über körperliche Reize. Als alles Geld ausgegeben ist, sucht sie pragmatisch nach Auswegen, und auch wenn sie sich bei den Festen im eigenen Haus ihrem früheren Lebenswandel wieder annähert, ist sie doch bemüht, Unrat in seinem Rachefeldzug gegen die Bürger der Stadt zu unterstützen. Im Roman sorgt Unrat sehr bald dafür, dass Rosa ihr Zimmer im „Blauen Engel“ verlassen kann und eine angemessene Wohnmöglichkeit bekommt. Ihre Kollegen, das Ehepaar Kiepert, ziehen ohne Rosa zum nächsten Engagement in eine andere Stadt weiter. Der Film wertet Kiepert zum Direktor der Truppe auf, die Unrats Anwesenheit begrüßt, solange er zahlen kann. Danach muss er in den Vorstellungen den Clown spielen. Der erzwungene Auftritt in seiner Heimatstadt und Lolas unverhohlenes Interesse am Artisten Mazeppa lassen Unrat verzweifeln. Er stürzt sich schreiend auf Lola und wird in eine Zwangsjacke gesteckt. Als er gehen darf, wankt er aus dem „Blauen Engel“, schleppt sich zu seiner alten Schule und bricht dort tot zusammen, die Hände am Lehrertisch festgekrallt. Während im Roman der Untergang Unrats die gesetzliche Strafe für die Überschätzung seiner Machtbefugnisse und für seine Rachgier, die den sittlichen Verfall einer ganzen Stadt zu verantworten hat, bedeutet, endet Unrat im Film als tragische Figur, die für die Liebe alles geopfert hat und gescheitert ist. Die Schauplätze bleiben im Film durchgehend dieselben, während der Roman nur im ersten Teil in der Schule und im „Blauen Engel“ stattfindet, während der zweite Teil vorwiegend in Unrats Villa und dem der Stadt nahen Badeort spielt, in dem die meisten Bürger ihren Sommer verbringen. Zur Änderung der Geschichte kommen im Film akustische (Musik) und optische Elemente, etwa der Einsatz von Symbolen (Kanarienvogel, Rathausuhr) oder die Verknappung von (oder der gänzliche Verzicht auf) Sprache in vielen Szenen. Heinrich Mann erklärte sich im Großen und Ganzen mit den Änderungen des Films gegenüber dem Roman einverstanden, mit dem Ende allerdings nicht. Auch wenn er die effektvolle schauspielerische Leistung von Hauptdarsteller Emil Jannings lobte, bewertete er Unrat als Clown und sterbend auf dem Katheder doch als falsch, der Komödienschluss des Romans schien ihm nach wie vor der richtige. In Unrat fehlte ihm der Intellektuelle und Menschenverachter. Das Theater in der Josefstadt nimmt das Filmdrehbuch als Grundlage für seine Bühnenfassung, ergänzt aber textliche, inhaltliche und charakterliche Elemente aus dem Roman und gibt damit den Figuren und der Geschichte Komplexität und Gefühlstiefe zurück. Einige Änderungen des Films gegenüber dem Roman werden zurückgenommen. So ist zum Beispiel Unrat wieder Altphilologe und Deutschlehrer, nicht Anglist wie im Film; Lohmann ist in der Bühnenfassung wieder Gegenspieler Unrats; Lola überredet Unrat wiederzukommen, damit seine Schüler keinen Unfug treiben (die Motivation im Film ist ein Höschen Lolas, das Unrat zu Hause in seiner Tasche findet und zurückgeben will); Lola will Griechisch lernen (wenn auch nach, nicht, wie im Roman, vor dem Heiratsantrag) und hofft als „Frau Professor“ auf einen gehobenen Lebensstil; die im Film neu eingeführte Figur des Liebhabers von Lola gegen Ende gibt es in der Bühnenfassung nicht, stattdessen taucht kurz vor Unrats Auftritt als Clown Lohmann auf. Auch sprachlich ist der Roman in der Bühnenfassung wieder spürbar, etwa in der charakteristischen umständlichen Ausdrucksweise Unrats. Viele Sätze und Formulierungen des Romans sind in die Dialoge eingearbeitet. Die Konzentration liegt, wie im Film, auf der Liebesgeschichte, diese ist aber, wie die Figuren selbst, deutlich facettenreicher. Im Film gerät Unrat in fast kindlich anmutende Verzückung gegenüber der Künstlerin und wird von ihr abhängig. In der Bühnenversion ist er, wie im Roman, eine starke Persönlichkeit, die zwar angesichts der unbekannten Gefühle verunsichert ist, aber die Entscheidung, seinem Herzen zu folgen, sehr bewusst trifft. Die Künstlerin ist in der Bühnenversion charakterlich der Romanfigur näher als der Filmfigur. Sie ist eine lebenshungrige und leidenschaftliche Frau, die zwar durch ihre Lebensweise abgestumpft, aber trotzdem noch zu zärtlichen Gefühlen fähig ist. In der Bühnenversion führt Lola, wie im Roman, mit Unrat eine Zeitlang ein anderes Leben, allerdings nicht in der Heimatstadt Unrats: Sie sind in einem Hotel und Lola kehrt gerade von Einkäufen zurück, als Unrat ihr sagen muss, dass kein Geld mehr da ist. Neu ist in der Theaterversion unter anderem, dass Lola gegen Ende mit Lohmann flüchten will, als sie ihn umarmt, sowie der Schluss: Unrat stirbt im Klassenzimmer, während er Lolas Lied „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt …“ (mit)singt. Dramaturgisch ist die Bühnenfassung eine Aneinanderreihung von Einzelszenen, in denen die Geschichte episodenhaft erzählt wird. Die Schulszenen sind in die ersten Szenen im „Blauen Engel“ eingestreut, der damit von Anfang an präsent ist. Ohne es zu wissen, nahm Heinrich Mann mit seinem Roman eigene Erfahrungen vorweg. Seiner zweiten Frau, Nelly Kröger, die er Ende der 20er Jahre in einem Animierlokal kennenlernte und 1939 heiratete, gelang es zeitlebens nicht, von seiner Verwandtschaft akzeptiert und anerkannt zu werden. 1959 entstand in den USA auf der Basis des Drehbuchs von 1930 ein Remake des Films (unter der Regie von Edward Dmytryk, mit May Britt und Curd Jürgens in den Hauptrollen), der jedoch vergeblich versuchte, an den Erfolg des Originals anzuknüpfen. 1973 kam eine brasilianische Version mit dem Titel „Anjo Loiro“ heraus, das Drehbuch schrieb Juan Siringo, Regie führte Alfredo Sternheim. IN E DI I N E SZ G N U ER Ausstattung Rolf Langenfass gestaltet eine wandlungsfähige Drehbühne. Eine Konstruktion aus Stahlträgern teilt den Raum in drei verschiedene Schauplätze: die „Bühne“ im „Blauen Engel“ (beziehungsweise im Varieté Rondoó), die Garderobe der Künstler und einen weitgehend neutralen Raum, der mit kleinen Veränderungen die übrigen Spielorte entstehen lässt. Den Hintergrund der „Bühne“ bildet ein hoher roter Samtvorhang, links davor steht ein Klavier. Die Künstlergarderobe ist in zwei Ebenen unterteilt, die durch eine eiserne Wendeltreppe verbunden sind. Eine Tür links führt hinter die „Bühne“, eine zweite im Hintergrund rechts in den Saal und eine dritte rechts vorne nach draußen. Neben der Tür links hängen auf einem großen Garderobeständer die Kostüme, ein Tisch und mehrere Sitzgelegenheiten vervollständigen die Einrichtung. Oben deutet ein Bett Lolas Zimmer an. Den Hintergrund für die weiteren Schauplätze bildet eine halbhohe, metallvertäfelte schwarze Wand. Zwei Türen links und rechts mit gläsernen Sichtfenstern lassen einen Gang der Schule entstehen (einmal steht ein Spind in der Mitte, einmal eine Holzbank), ein Pissoir die Toilette der Schule. Für den Eingang zum „Blauen Engel“ gibt es eine Tür mit Schiebefenster, neben der in einem Schaukasten ein Plakat mit Lolas Bild hängt. Für die Lobby des Hotels befindet sich in der Mitte der Wand eine Drehtür aus Glas und weißem Holz, neben der ein Standaschenbecher aufgestellt ist. Am Ende, in Unrats Schulklasse, wird die schwarze Wand zur Tafel. Rechts neben der Drehbühne hängt an einem weiteren Stahlgerüst ein Schild mit der Aufschrift „Der blaue Engel“ aus blauen Neonröhren. Der übrige Bühnenraum ist schwarz ausgekleidet. Die Kostüme (ebenfalls von Rolf Langenfass) sind der Entstehungszeit des Films angepasst, ohne die Zeit um 1930 zu sehr zu betonen. Sie unterstreichen die Charaktere, Lolas Auftrittskostüme sind passend zu ihren Liedern ausgewählt. Musik Die musikalische Einrichtung stammt von Bela Koreny, der auch die Figur des Pianisten übernimmt. Karussellmusik, basierend auf dem Thema des Liedes „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ durchzieht das gesamte Stück, zum Teil klanglich verfremdet. Daneben gibt es Tanzmusik, die wie auf einem Grammophon abgespielt klingt, sowie vom Pianisten gespielte Live-Musik als Begleitung für Lolas Lieder. Auch hier gibt es akustische Verfremdungseffekte, etwa durch Hall. Regie Herbert Föttinger inszeniert die Szenenfolge als „Karussell des Lebens“. Die Drehbühne ist viel in Bewegung und lässt die Szenen ineinanderfließen. Das sorgt für einen temporeichen und organischen Ablauf. Gleichzeitig nimmt sich Föttinger aber viel Zeit für stille Momente, Blicke, Schweigen. Die Konzentration der Inszenierung liegt auf den SchauspielerInnen und auf den nach wie vor aktuellen Themen. Es geht um die Sehnsucht nach einem besseren Leben, um die Entscheidung, sein Leben radikal zu verändern, und es geht um das Thema Liebe. Die Figuren sind aus der Bühnenversion heraus (ohne Anlehnung an die Filmfiguren) neu entwickelt. Die Ausstattung entspricht zwar der Entstehungszeit des Films, das Geschehen wirkt aber durch den schauspielerischen Zugang zeitlos. Die Figuren und ihre existenziellen Sorgen sind ernstgenommen, trotzdem entstehen, gerade durch das intensive Spiel, immer wieder auch äußerst komische Situationen und Momente. Wenn sich der Vorhang hebt, ist bereits die Karussellmusik zu hören. Die Bühne dreht sich, während die Musik, sphärisch verfremdet, lauter wird. Die drei Teile der Bühne sind zunächst leer und in Nebel gehüllt. Bei der zweiten Drehung steht auf der „Bühne“ eine Stripteasetänzerin, in der Künstlergarderobe sitzt auf der Wendeltreppe ein Clown, auf der Schultoilette rauchen die Schüler Ertzum und Lohmann gemeinsam eine Zigarette. Als die „Bühne“ wieder sichtbar ist, beginnt Kiepert mit seiner Ansage und die Bühne bleibt stehen. Die Übergänge zwischen den Szenen in der Schule und jenen im „Blauen Engel“ sind akustisch untermalt durch Musik, die zu Beginn der Schulszenen mit dem Ertönen einer Schulglocke endet. Manche Szenen sind mit leiser Musik unterlegt, die fast filmmusikartig die Atmosphäre oder Stimmung verstärkt. Lolas Lieder sind integraler Bestandteil des Stücks und der Figur. Ob sie tanzt, steht oder sitzt und wie sie angezogen ist, ist jeweils genau auf den Liedtext abgestimmt. Als Lola zum ersten Mal „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ singt, wird durch eine leichte Drehung der Bühne Unrat sichtbar, der in der Garderobe sitzt und ihr lächelnd zuhört. Dass Unrat nach seinem erzwungenen Auftritt als Clown den Verstand verliert, drückt sich auch akustisch aus, indem sein Abgang von Stimmen unruhiger Schüler, dem Geräusch der Schulglocke und Gelächter begleitet wird. Am Stückschluss sieht der Zuschauer durch die Bewegung der Drehbühne abwechselnd Lola auf der „Bühne“, die noch einmal „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt …“ singt, und Unrat in seiner Klasse. Während in Lolas Stimme Verzweiflung und Tränen spürbar werden, lässt Unrat (der vorher eine mathematische Gleichung von der Tafel gewischt, aber nichts anderes zu schreiben gewusst hat) die Kreide fallen, spricht stumm die Worte von Lolas Lied mit und greift sich an die Kehle, als würde er keine Luft mehr bekommen. Als er das nächste Mal sichtbar wird, liegt er bewegungslos am Boden. Mit diesem Bild und dem Schluss von Lolas Gesang (- ihre Stimme ist gegen Ende mit einem starken Hall unterlegt, der ihre Worte wie ein Echo wiederholt -) fällt der Vorhang. HauptdarstellerInnen Erwin Steinhauer zeigt Professor Unrat als im Auftreten herrischen, im Grunde aber introvertierten Menschen. In der Schule verleiht ihm seine berufliche Stellung die nötige Sicherheit. Im fremden Ambiente des „Blauen Engel“, den er nur zögerlich betritt, wirkt er zunächst etwas verloren, was er mit besonders strenger Haltung zu überspielen sucht. Lola bringt ihn dazu, aus sich herauszugehen und sich seinen neu entdeckten Gefühlen hinzugeben. Mit dem Verlust seiner Ersparnisse tritt ein Gefühl der Ohnmacht ein. Unrat fühlt sich gefangen, aber seine Liebe zu Lola und die Unmöglichkeit, in sein früheres Leben zurückzukehren, führen zu Untätigkeit und äußerlicher Verwahrlosung. Als er Lola mit Lohmann erwischt, bricht die Welt seiner Liebe endgültig zusammen. Seine aufgestauten Gefühle entladen sich nach seinem erniedrigenden Bühnenauftritt in Aggression gegen Lola, sein Verstand ist verwirrt, dann folgt der totale Zusammenbruch. Katharina Straßer ist eine junge, temperamentvolle Lola, die ihre Wirkung auf Männer genießt, aber deren körperliche Aufdringlichkeit verabscheut. Sie hat große Sehnsucht nach aufregenden Abenteuern und wahrer Liebe. Der undurchschaubare, distanzierte Lohmann reizt sie, aber Unrat scheint die vielversprechendere Wahl. In ihm sieht sie ihre Chance, wie eine Dame behandelt zu werden und auch entsprechend zu leben. Der Entschluss, wieder auf die Bühne zurückzukehren, als Unrats Ersparnisse aufgebraucht sind, fällt ihr zunächst nicht schwer, weil ihr das Dasein als „Frau Professor“ schnell langweilig geworden ist. Aber dass Unrat sich gehen lässt, nichts verdient und sie eifersüchtig überwacht, macht es ihr nicht leicht. Ihren steigenden Frust bekämpft sie mit Alkohol und Tabletten, sie wird härter und aggressiver. Im Schlusslied kommen aber noch einmal Zartheit und Verletzlichkeit zum Vorschein. Die Schüler von Ertzum und Lohmann benehmen sich ihrem Lehrer gegenüber aufsässig und provokant, wobei Lohmann der intelligentere, scharfzüngige Anführer, von Ertzum eher der willige Mitläufer ist. Ferdinand Stahl leidet als von Ertzum vor allem unter seiner unerwiderten Liebe zu Lola. Rasmus Borkowski bleibt als Lohmann distanzierter Beobachter des Geschehens und trägt ein Gefühl der Schadenfreude und Überlegenheit zur Schau. Der dritte Schüler, Angst, ist ein typischer „Streber“ und persönlich unsicher. Rafael Schuchter spielt ihn mit stets leicht gebückter Haltung und hochgezogenen Schultern. Er sucht diensteifrig und unterwürfig die Nähe des Lehrers und geht seinen Mitschülern lieber aus dem Weg. Peter Scholz zeigt den Zauberkünstler und Leiter der Kompanie, Kiepert, als routinierten Bühnenmenschen und gerissenen Geschäftsmann mit rauen Umgangsformen. Seine KollegInnen haben zu „funktionieren“, menschliche Gefühle und Probleme interessieren ihn nicht. Seine Frau Guste, gespielt von Sona MacDonald, ist durch die Gefühlskälte ihres Mannes und ihren Beruf geprägt und hat zu einer sarkastisch-ironischen Haltung zum Leben gefunden. Als sie für Lola in deren Beziehung mit Unrat die Möglichkeit einer glücklichen Zukunft erkennt, werden Erinnerungen an ihre eigenen Jugendträume und Hoffnungen wach. Mit der ihr eigenen ungenierten Direktheit zeigt sie Unrat, was er im Umgang mit Lola zu tun hat, und ist gerührt, als es zur Hochzeit kommt. Gegen Ende zieht sie sich wieder hinter die Fassade ihrer Routine zurück. Alexander Strobele ist als Wirt vom „Blauen Engel“ ein schmieriger, lässiger Typ, den Unrats Schicksal nicht zu berühren scheint. Er ist ausschließlich daran interessiert, zahlende Gäste im Haus zu haben, wer kommt und aus welchen Gründen, ist ihm nicht wichtig. Kritik In den Kritiken ist auffallend, dass negative Urteile dort auftreten, wo das Bühnenstück als „Nachspielen“ des Films missverstanden wird. Hier ist etwa von nicht mehr zeitgemäßem Stoff, fehlender Glaubhaftigkeit des Konflikts, Nostalgie oder Sentimentalität die Rede. Von unvoreingenommenen Stimmen wird die Bühnenadaption als eigenständige Version und unter anderem als klug gewertet. Die Beurteilung der Inszenierung fällt überwiegend positiv aus. Nur wenigen KritikerInnen ist die gezeigte Welt zu sauber, zu brav oder auch zu wenig poetisch. Ansonsten wird die Inszenierung unter anderem als dicht, zart, zeitlos, flott, clever, wirkungsvoll und präzise beschrieben. Fast durchwegs Anklang finden das Bühnenbild (gescheit, stark, suggestiv, kongenial, praktikabel etc.) und die SchauspielerInnen. Auch wenn sich nicht alle KritikerInnen mit Katharina Straßers „Lola“ anfreunden konnten (sie erschien manchen etwa nicht erotisch genug oder falsch besetzt), erhielt sie doch von vielen großes Lob (z.B.: souverän, brillant, fein nuancierter Gesang). Erwin Steinhauer konnte mit seiner Darstellung alle KritikerInnen überzeugen, hier finden sich Wertungen wie großartig, facettenreich, intensiv, umwerfend, genial, grandios und berührend. Das übrige Ensemble wird unter anderem als exzellent, homogen, glänzend und hervorragend bezeichnet. Die Schilderungen des Premierenapplauses (sowohl in Bregenz als auch in Wien) reichen von Wohlwollen über Begeisterung bis Jubel. © Dr. Michaela M. Mohr 2009 Pilzgasse 18/8, A-1210 Wien T/F: +43/1/2780086, E: m.mohr@gmx.at