Herman Nohl und der Pädagogische Bezug als
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Herman Nohl und der Pädagogische Bezug als
Vertiefungsseminar: Klassiker/innen der Sozialpädagogik Dozentin: Anja Wilharm Modul: 19605000 Sozial- und Ideengeschichte der SA/SP Herman Nohl und der Pädagogische Bezug als Professionsverständnis Vorgelegt von: Dipl.-Psych. Hannah Uhle Veerßer Str. 20 29525 Uelzen Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung...............................................................................................................................1 2. Biographischer Abriss..........................................................................................................1 3. Der „pädagogische Bezug“ als praxisnahe Leitidee Herman Nohls................................4 4. Menschenbild.........................................................................................................................9 5.1 Der „pädagogische Bezug“ in der Sozialpädagogischen Praxis.....................................11 5.2 Die Lehrerpersönlichkeit.................................................................................................13 6. Schlusswort..........................................................................................................................13 Literatur...................................................................................................................................15 1. Einleitung Schon Bittner (1997: 358) hat in seiner Pestalozzi-Studie deutlich gemacht, dass „jede Wahrheit über Menschliches und Geschichtliches, also auch jede ‚pädagogische’ Wahrheit“ aus dem „Kontext einer je individuellen Biographie“ (ebd.) entsteht. Dabei bezieht Bittner sich explizit auf einen „Vater“ Nohls, Wilhelm Dilthey, wenn er von der „erkenntnistheoretisch fundamentale Bedeutung der Selbstbiographie“ (ebd.) als Grundlage des geisteswissenschaftlichen Erkenntnisgewinns schreibt. „Jeder der etwas von der menschlichen, der sozialen Welt mit ihren Bedeutungshorizonten verstehen will, sieht sich zuerst auf sein eigenes Leben verwiesen, das für ihn das unmittelbar gegebene Stück Welt und Leben überhaupt darstellt“ (ebd.). In diesem Sinne wird, ausgehend von einer biographischen Skizze Herman Nohls, eine zentrale Frage seiner ‚Theoriebildung’ dargelegt und in Anbetracht der Fülle seiner Werke (und Kontexte) auf den für das pädagogische – oder spezieller lehrende - Umfeld zentralen Aspekt des „Pädagogischen Bezuges“ fokussiert, um daraus Rückschlüsse über Nohls Menschenbild ableiten zu können. Schließlich wird diese historische und theoretische Annäherung in kritischen Überlegungen zur Anwendbarkeit in sozialpädagogischen Einrichtungen und berufsbildenen Schulen münden. 2. Biographischer Abriss Herman Nohl ist am 7. Oktober 1879 in Berlin geboren. Er wächst mit zwei Geschwistern, Ella und Johannes, auf. (Vgl. Blickenstorfer 1998: 27, Klika 2000: 133) Dabei stammt er aus einer Pädagogenfamilie, der Vater arbeitet als Gymnasiallehrer (vgl. Blickenstorfer 1998: 27) und die Mutter – über die allerdings wenig bekannt ist – hat zumindest in Berlin einen Kurs für Kindergärtner1 absolviert (vgl. Klika 2000: 133). Nach Klika (ebd.) war der Verlust seiner Mutter mit drei Jahren schmerzlich und konnte durch die Zuwendungen seitens des Vaters nicht kompensiert werden. Die Autorin sieht darin einen Grund für Nohls Hinwendung zur Tiefenpsychologie und seinem anthropologischen Modell (vgl. ebd.: 137). Nohl selbst bezeichnet die Familie „als das vitale Gehäuse, das der Mensch fast schneckenhaft wie ein Stück seines eigenen Seins sein lebenslang mit sich herumträgt, und wo sie einen Bruch hatte, 1 Im Folgenden wird das generische Maskulinum verwendet, um die Leserlichkeit des Textes zu bewahren. Es wird darum gebeten, dabei das weibliche Geschlecht mitzudenken. 1 macht sich das im Charakter des Kindes bemerkbar“ (Nohl 1970: 171) und beschreibt damit auch ein Stückweit seine eigene Lebenserfahrung. Der Vater holt zur haushälterischen Unterstützung seine Schwester Hermine nach Berlin, die resolut den Haushalt führt und damit für die Wilheminische Ära ein ungewöhnliches Frauenbild verkörpert (vgl. Klika 2000: 138f). Auch hier muss Nohl erneut den Verlust einer Verwandten hinnehmen, als diese 1889 in ihr Elternhaus zurückkehrt. Hinzu kam nun die Verantwortung für den Hausstand. 1891 heiratet Herman Nohls Vater erneut. Aus dieser Ehe gehen zwei weitere Kinder, Doris Elise Lotte und Marie Hildegard, hervor. (Vgl. Klika 2000: 141). Nach Klika (2000: 187) wird durch die Trennungserfahrungen die Bedeutung von Gemeinschaft für Nohl bereits biographisch einsichtig. Nach dem Besuch des „Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster“ studiert Nohl von 1898 bis 1904 Philosophie, Germanistik, Geschichte und Pädagogik bei Paulsen und Dilthey (vgl. Blickenstorfer 1998: 27, Niemeyer 2005: 139). Für Niemeyer (2005: 139) ist der Ausgangspunkt aus deren Philosophie für den sozialpädagogischen Kontext und die geistesgeschichtliche Einordnung Nohls relevant. Dilthey spielt im Leben Nohls als Gönner und Unterstützer eine zentrale Rolle, verhilft ihm zu einem Stipendium und begleitet seine Dissertation (1904) über „Sokrates und die Ethik“. Er ernennt ihn zu seinem Assistenten und empfiehlt ihn an Eucken in Jena, wo er sich 1908 mit dem Thema „Die Weltanschauungen der Malerei“ habilitiert. (Vgl. Blickenstorfer 1998: 27) In Jena pflegt er Umgang mit Persönlichkeiten der Stadt, v.a. Figuren des romantisch-idealistischen „Serakreises“. In der Zwischenzeit hat Nohl (1905) Bertha Oser geheiratet. Die beiden haben fünf gemeinsame Kinder. (Vgl. Klika 2000: 189). Blochmann (1969: 49) stellt diese Jahre vor Ausbruch des Krieges als ungetrübtes Familienglück dar. Hier zeigt sich ein Widerspruch in der Rezeption von Nohls Leben: Sieht Niemeyer (2005: 139f) diese Zeit als eine Phase, in der Nohl kaum etwas veröffentlicht hat, so beschreibt Blochmann (1969: 49) diese Zeit als Jahre angestrengter wissenschaftlicher Arbeit. Ab 1915 leistet Nohl Militärdienst, wo er zur Besatzungsmacht in Gent gehört. Die anfänglich Kriegsbegeisterung – Niemeyer (2005: 141) spricht von einer völkischen und monarchistischen Einstellung- und Überzeugung der Rechtmäßigkeit des Krieges schlägt im Verlauf des Krieges – und nach dem Tod mehrerer Freunde – immer mehr in Verzweiflung um. Er sieht die Verrohung seiner Mitmenschen mit Erschrecken und entwickelt Gedanken über ein besseres Deutschtum. (Vgl. Blickenstorfer 1998: 28) Blickenstorfer (ebd.: 29) und 2 Niemeyer (2005: 139f) sehen beide in den Kriegserfahrungen Nohls den Ansatzpunkt zur Hinwendung zu pädagogischen Fragen. Gemeinsam mit Flitner, den er in Jena kennengelernt hatte (vgl. Klika 2000: 190), setzt sich Nohl nach Kriegsende aktiv für die Volkshochschulbewegung ein (vgl. Blickenstorfer 1998: 29). Wilhelm Flitner hat zu seinem Lehrer Nohl ein enges Verhältnis. Dieser hat beispielsweise die Eigenheit, seine Studierenden zu sich nach Hause einzuladen, und scheint ernsthaft am Leben seiner Studenten interessiert zu sein. (Vgl. Klika 2000: 190f) Ab 1919 erhält Nohl einen Ruf auf eine außerordentliche Professur für Philosophie an der Universität Göttingen, die 1922 in ein Ordinat (auch für Pädagogik) umgewandelt wird. (Vgl. Niemeyer 2005: 139) 1923 wird Erich Weniger sein Assistent, dieser wird dann 1949 Nohls Nachfolger auf seinem Lehrstuhl (vgl. Blickenstofer 1998: 29). Nohl wird von seinen Schülern als charismatisch erlebt und von Flitner als „begnadeter Lehrer“ (Flitner 1991: 22, zitiert nach Niemeyer 2005: 140) bezeichnet. Niemeyer (2005: 141) sieht seinen großen Einfluss auf die (Sozial-)Pädagogik dann auch eher in seiner Ausstrahlung als in seinen Theorien begründet und meint, dass Nohl als Theoretiker eher mit Skepsis zu behandeln sei. Er ist „für die Profession weit wichtiger (…) als für die Disziplin“ (Niemeyer 2005: 141) – will heißen: Für die (sozial-)pädagogische Praxis ist Nohl bedeutsamer als für die wissenschaftliche Theoriebildung. Er führt in pädagogischen Seminaren spezifische didaktische Kurse für Lehrer und verbindet in einer angeschlossenen Schulklasse theoretische Erkenntnisse mit der pädagogischen Praxis. Außerdem stellt die sozialpädagogische Ausbildung einen weiteren Schwerpunkt in seiner Arbeit dar: Nohl führt während der zwanziger Jahre regelmäßig sozialpädagogische Kurse durch und regt die Gründung sozialpädagogischer Einrichtungen an. (Vgl. Blickenstorfer 1998: 29) Zwischen 1933/1935 veröffentlichte er sein Hauptwerk „Die pädagogische Bewegung in Deutschland“ und gemeinsam mit Pallat das „Handbuch der Pädagogik“ (vier Bände 1928-1933). Trotz des Hinweises von Niemeyer (2005: 141), dass Nohl missverständliche Äußerungen gegenüber den Nationalsozialisten geäußert haben soll, wird Nohl 1937 seines Amtes enthoben und 1943 zur Fabrikarbeit herangezogen. Nohl konnte in dieser Phase weiterarbeiten und veröffentlichte u.a. „Einführung in die Philosophie“, „Die ästhetische Wirklichkeit“ (1935) und „Charakter und Schicksal“ (1938) sowie „Die sittlichen Grunderfahrungen“ (1939). (Vgl. Blickenstorfer 1998: 30) Im Zuge der Entnazifizierung im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg ist Nohl am Wiederaufbau der Universität und der Lehrerbildung in Göttingen beteiligt, wo er 1946/47 Dekan wird. 1947 wird Nohl emeritiert und widmet sich der seit 1945 erscheinenden 3 Zeitschrift „Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung“. (Vgl. Blickenstorfe 1998: 30; Niemeyer 2005: 139) Herman Nohl stirbt nach kurzer Krankheit am 27. September 1960 in Göttingen (vgl. ebd.). 3. Der „pädagogische Bezug“ als praxisnahe Leitidee Herman Nohls Herman Nohl gilt als einer der Stammväter der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, der in der Tradition seines Doktorvaters, Wilhelm Dilthey, der Pädagogik im Gewande der Sozialpädagogik den Rang eines geisteswissenschaftlichen Zentrums sowohl im wissenschaftlichen Feld als auch im Praxisfeld zuweisen wollte. (Vgl. Niemeyer 2001: 1065, 2005: 150f) In seinem Hauptwerk „Die pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie“ (Nohl 1933/35) bemüht er sich darum, die pädagogische Bewegung seiner Zeit als sozialpädagogische Bewegung zu lesen und strebt die Anwendung allgemein-pädagogischen Wissens in der Arbeit mit einer besonderen Klientel an. (Vgl. Niemeyer 2001: 1065) Nohls Grundlage ist dabei die „Erziehungswirklichkeit“, die im als Ausgangspunkt für eine allgemeingültige Theorie der Bildung dient. Grundlage seines Bildungsbegriffs ist Diltheys Konzept, das Bildung als eine „planmäßige Tätigkeit, durch welche Erwachsene das Seelenleben von Heranwachsenden zu bilden suchen“ (GS IX: 190, zitiert nach Uhle 2003: 69) zu verstehen ist. Nohl misst im Bildungsprozess dem „pädagogischen Bezug“ eine zentrale Rolle zu. Er sieht in der Gewinnung eines pädagogischen Bezuges die Voraussetzung für ein pädagogisches Verhältnis überhaupt. (Vgl. Colla 1999: 347f) Was aber bedeutet „pädagogischer Bezug“ im Kontext der Erziehungswirklichkeit? Der „pädagogische Bezug“ im Sinne Nohls ist von ihm selbst mit folgenden Parametern bestimmt worden: „Grundlage der Erziehung ist die Bildungsgemeinschaft zwischen dem Erzieher und dem Zögling mit seinem Bildungswillen“ (Nohl 1933: 21) Dieses wesentliche Element des pädagogischen Bezugs rekurriert auf zwei zentrale Sachverhalte: So wird hier einerseits die Wechselseitigkeit im Erziehungsprozess betont. Nur in einer Gemeinschaft ist ein Bildungsprozess vollziehbar. Gemeinschaft im Sinne Nohl bedeutet eine Arbeitsgemeinschaft des Aufeinanderangewiesensein von Zögling und Erzieher. Andererseits zeigt sich hier Nohls Menschenbild, wenn er darauf verweist, dass jeder Heranwachsende einen Bildungswillen, ein Wachstumspotential wie Rogers es wohl nennen würde (vgl. Biermann-Ratje 2003: 86ff), 4 hat. Nach Uhle (2008) bedeutet Bildung im Sinne Nohls, dass jeder Mensch an seiner Weiterentwicklung bzw. Höherentwicklung interessiert ist, also einen Bildungswillen besitzt. „Die Grundlage der Erziehung ist das leidenschaftliche Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner selbst willen, dass er zu seinem Leben und seiner Form komme“ (Nohl 1933: 22) Wie bei seinem Ziehvater Dilthey bildet auch für Nohl das Verhältnis eines erwachsenen Menschen zu einem jüngeren Menschen die Grundlage für erzieherisches Handeln. Auf diese Weise wird Erziehung nicht mehr nur in den asymmetrischen Verhältnissen (z.B. ElternKind), sondern auch als eine persönliche, von Sympathie getragene Wahl nach dem Modell der Gleichaltrigen-Gruppe gedacht (vg. Colla 1999: 347f). Uhle (2008) verweist darauf, dass Nohl durch diese Bestimmung des pädagogischen Bezuges den reformpädagogischen Gedanken, Jugend erzieht Jugend, ablehnt. Erziehung im Kontext des pädagogischen Bezuges geschieht zwischen Eltern und Kindern, Lehrer und Schüler oder Sozialpädagogen und Jugendlichen (Uhle 2008). Es wird nicht bestimmt, wer dieser „reifere Mensch“ sein soll. Das kann ein Pädagoge sein, aber auch eine Bezugsperson aus einem anderen Kontext. Die Beziehung zwischen Erzieher und Zögling soll dabei ein „leidenschaftliches Verhältnis“ sein. Uhle (2008) gibt zu bedenken, dass die Bindungsforschung Belege dafür liefert, dass quasierotische Körperkontakte zu Kindern eine notwendige Wachstumsbedingung sind. Dabei wehrt sich Nohl (1933) gegen ein rein sexuelles Verständnis vom Liebesverhältnis des Erziehers zum Zögling, es hat durchaus sexuelle Implikationen, soll aber zunehmend eine Leidenschaft für die Talente des Kindes werden. Es enthält „viel mehr als das sexuelle Moment“ (Nohl 1933: 23). Die Leidenschaft – mit seinen Leiden und Qualen – soll darauf verweisen, dass der Erzieher kein bezahlter Profi ist, sondern über pädagogischen Eros verfügt und dass Ziel hat, die Potentiale des Heranwachsenden hervorzulocken und seine Individualität wahrzunehmen und zu fördern und gleichzeitig sicherstellen, dass er gesellschaftsfähig bleibt. Für Nohl liegt dabei der Schwerpunkt auf dem Aspekt „um seiner selbst willen“, d.h. der Erzieher ist nicht Agent objektiver Mächte, sondern muss den hilfsbedürftigen Menschen in seinem Selbst-Sein absolut bejahen. Nicht die Ansprüche der Gesellschaft, sondern die Befindlichkeiten und Lernbedürftigkeiten des Heranwachsenden selbst sind der Ausgangspunkt. Die Erziehung geht hier davon aus, welche Schwierigkeiten das Kind hat, nicht von denen, die es dem Erzieher oder den Eltern macht. (Vgl. Colla 1999: 348) 5 „Die wahre Liebe des Lehrers ist die hebende Liebe und nicht die begehrende… Die pädagogische Liebe zum Kind ist die Liebe zu seinem Ideal... So fordert die pädagogische Liebe Einfühlung in das Kind und seine Anlagen, in die Möglichkeiten seiner Bildsamkeit, immer im Hinblick auf sein vollendetes Leben“ (Nohl 1933: 23) Ein pädagogischer Bezug im Sinne Nohls fordert vom Erzieher gleichzeitig Nähe zum Zögling und Distanz zu seinen Idealen. Nohl verlangt vom Erzieher Respekt vor der „Spontaneität und dem Eigenwesen des Zöglings“ (Nohl 1933: 24). Die Fundierung der pädagogischen Beziehung ist für Nohl die pädagogische Liebe nach dem Vorbild der Mutterund Vaterliebe, die von ihrem instinktiven Verhalten gelöst wird, aber mit sinnlichen Momenten behaftet bleibt. Nohl versteht „hebende Liebe“ als ein geistiges Verhalten eigener Art, dass sich auf die höhere Form des werdenden Menschen richtet. (Vgl. Colla 1999: 349) Colla (2006: 102) verweist darauf, dass in der aktuellen Pädagogik, der pädagogische Eros in Ungnade gefallen ist. Bei Pestalozzi, Ziller, Don Bosco, Wichern, Korczak und Spranger hatte er noch einen großen Stellenwert. Heute spricht man anstelle von Liebe eher von Verlässlichkeit, Orientierung an Gerechtigkeit (vgl. Colla 2006.: 102) und einfühlende Führsorge im Sinne Rogers (vgl. Bierman-Ratjen et al. 2003). Uhle (2004) benennt für diesen Perspektivwechsel zum einen ein professionsstrategisches Moment, in der Erziehung als bezahlte Dienstleitung vollzogen wird sowie den Erkenntnissen zum sog. Helfersyndrom, die zeigen, dass selbstlose Hilfe für andere eigene Schwächen kompensieren soll. Zudem verweist Uhle (2004) auf Giesecke, der eine Gefahr darin sieht, dass affektive Bezugssystem von Familie in öffentliche Einrichtungen hineinzutragen. Die Qualität eines speziellen Interaktionsverhältnisses ist inzwischen ein zentraler Gegenstand der (klinischen) Therapieforschung geworden, wobei die Forschungsbefunde zu einer rein auf Empathie gegründeten Hilfe nicht eindeutig ausfallen (vgl. Davison et al. 2002: 37). „Das Verhältnis des Erziehers zum Kind ist immer doppelt bestimmt: von der Liebe zu ihm in seiner Wirklichkeit und von der Liebe zu seinem Ziel: dem Ideal des Kindes.“ Die pädagogische Gemeinschaft wird getragen „von zwei Mächten: Liebe und Autorität, oder vom Kinde aus gesehen: Liebe und Gehorsam.“ (Nohl 1933: 25) Nohl konkretisiert hier das Verhältnis von Erzieher und Zögling, indem er auf die Wechselseitigkeit der Beziehung hinweist. Dabei stehen sich die gegenseitige Liebe des Erziehers und des Zöglings und die Autorität des Erziehers und das Gehorsam des Zöglings gegenüber. Die Liebe im Sinne Nohls darf nicht einseitig sein, sondern muss beim 6 Heranwachsenden auf Gegenliebe stoßen. Erziehung als Beziehung wie Nohl sie versteht, muss hergestellt werden, d.h. der Erzieher muss sich durch Kenntnisse und Einfühlung die Gunst des Zöglings erwerben. Die Autorität des Erziehers soll sich aus den personalen Eigenschaften des Erziehers entwickeln. Pädagogische Beziehungen herzustellen bedeutet demnach Anerkennungsverhältnisse aufzubauen. Dies wird einerseits durch Zuwendung und Eros andererseits durch die Wertschätzung von Leistungen erreicht. (Vgl. Uhle 2008) Nohl ist sich Bewusst, dass erzieherisches Handeln den Charakter eines Wagnisses besitzt, das scheitern kann (vgl. Colla 1999: 350). „Die Erziehung endet da, wo der Mensch mündig wird, das heißt nach Schleiermacher, wenn die jüngere Generation auf selbständige Weise zur Erfüllung der sittlichen Aufgabe mitwirkend der älteren Generation gleichsteht, die Pädagogik hat also das Ziel sich selbst überflüssig zu machen und zur Selbsterziehung zu werden.“ (Nohl 1933: 21) Nohls Erziehungsziel besteht in der Auflösung der Gemeinschaft sobald der Heranwachsende selbst eine reife Persönlichkeit geworden ist, d.h er verlangt vom Erzieher, dass er sich eng auf eine Beziehung einlässt und gleichzeitig die Ent-Bindung zum obersten Ziel erklärt. (Vgl. Uhle 2008) Das zunächst asymmetrische Verhältnis soll sich im zeitlichen Verlauf des Bezuges verändern. Die Autorität sowie das Gehorsam sollen mit zunehmender Reife abnehmen und in ein symmetrisches Verhältnis münden. Gelingt der pädagogische Bezug nicht, dann muss ein Milieuwechsels in Betracht gezogen werden. (Vgl. Colla 1999: 350f) Klika (2000: 43) veranschaulicht dieses Spannungsverhältnis graphisch (siehe Abbildung 1), indem sie Erzieherverhalten und Zöglingsbedürfnisse einander gegenüberstellt. 7 Doppelte Spannung des pädagogischen Bezuges: Zögling Selbstbewahrung Hingabe Liebe Gehorsam Erzieher Zurückhaltung Veränderungswille Liebe Autorität Beziehung ist getragen von zwei Potentialen, realisiert in Bildungsgemeinschaft keine Zweck-Mittel-Beziehung Basis: gegenseitiges Vertrauen Abbildung 1: Struktur der pädagogischen Beziehung nach Klika (2000: 43) Der Erzieher hat bei Nohl eine Doppelfunktion: Er ist sowohl Anwalt der Kultur und ihrer Werte und Sinngehalte und er ist Anwalt des Kindes. Diese Spannungszustände muss der Erzieher bei Nohl aushalten können. (Vgl. Uhle 2008) Ein zentrales Element in der Theorie des pädagogischen Bezuges ist der auf Herbart (1802) zurückgehende Grundgedanke eines pädagogischen Taktes, der es dem Erzieher erst ermöglicht die genannten Spannungszustände für den Zögling förderlich umzudeuten (vgl. Colla 1999: 349). „(…) deren feinster Ausdruck ein pädagogischer Takt ist, der dem Zögling auch da nicht ‚zu nahe tritt’, wo er ihn steigern oder bewahren möchte, und der spürt, wenn eine große Sache nicht pädagogisch klein gemacht werden darf“ (Nohl 1933: 24). Colla (1999: 349) sieht im pädagogischen Takt das Bindeglied zwischen (empirischer) pädagogischer Wissenschaft und pädagogischer Praxis verwirklicht. Das Wissen um die Komplexität der Aufgabe bei gleichzeitiger Sensibilität für die Situation gibt dem Erzieher Sicherheit für sein tägliches handeln. Der pädagogische Takt ist seit Herbart ein Element der pädagogischen Kunst, das angewiesen ist auf den Beitrag der Theorie. Als kontaktsteuernde Funktion ermöglicht er dem Erzieher im richtigen Moment situationsadäquat zu handeln. Er kann auf dieser Grundlage dem Zögling den notwendigen Freiraum geben, damit der Zögling unter der Dominanz des Erwachsenen seine Selbständigkeit bewahren kann und ermöglicht 8 dem Erzieher Raum für Beobachtung und Selbstkontrolle. (Vgl. Colla 1999: 349) Nohl erweitert das dyadische Konzept des pädagogischen Bezuges 1952 auf Gruppenprozesse. Die Spannung des Schülers besteht dann eher zu der sozialen Gruppe, in die er hineinwachsen will. Der Lehrer bzw. Erzieher wird mehr zum Helfer bei der Lebensbewältigung (vgl. Colla 1999: 351) Ein kritischer Blick auf die Theorie des pädagogischen Bezuges könnte mit der Frage eingeleitet werden, ob eine pädagogische Beziehung generell so umfassend, eng, emotional und undistanziert sein darf, wie Nohl es in den genannten Grundlagen des pädagogischen Bezuges fordert. Uhle (2008) bemerkt, dass Lehrer oder Erzieher, die sich umfassend an der Person orientieren, schnell dem Vorwurf ausgesetzt sind, dass sie in die Privatsphäre des Heranwachsenden eingreifen. Ein sagenumwobener pädagogischer Takt ist nur scheinbar eine Lösung, da er in seiner Unschärfe und mit seiner Konnotation von „Kunst“ schwer realisierbar scheint. Uhle (2008) rekurriert auf Giesecke und fordert in seinem Sinne eine Form der affektiven Neutralität, die sowohl Ganzheitlichkeit als auch Professionalität einschließt. Giesecke spricht sich aber gleichzeitig gegen eine Überformung von affektiver Neutralität aus. Es soll nicht zu Gleichgültigkeit und Kälte führen. An die Stelle von Liebe sollte statt dessen Verlässlichkeit, die Orientierung an Gerechtigkeit und empathische Einfühlung treten. Sowohl Colla (1999) als auch Uhle (2008) sehen in der Theorie des pädagogischen Bezuges ein Modell – oder Schema – das zum Weiterdenken auffordern soll. Für beide Autoren heißt das, Erziehung nicht als Geschäftspartnerschaft misszuverstehen und die problematische Relation von Nähe und Distanz wissenschaftsgeleitet zu reflektieren. 4. Menschenbild Aus den oben genannten Ausführungen zum pädagogischen Bezug lassen sich Rückschlüsse auf Nohls Menschenbild ableiten. Das Primat der Person, also die spezifische Eigenart des Zöglings gegenüber gesellschaftlich bedingten Anforderungen, zeigt Nohls Ablehnung jeglicher Lenkung der pädagogischen Arbeit durch kulturelle, kirchliche, wirtschaftliche oder politische Institutionen. Die individuelle Selbstentfaltung der Heranwachsenden unter Anleitung eines reifen Menschen macht das Spezifikum eines gelungenen pädagogischen Verhältnisses und damit der Heranbildung eines mündigen Menschen aus. Ein „höheres Selbst“ bildet sich jedoch nicht lediglich autopoietisch, sondern muss intentional gesteuert werden (vg. Klika: 42). Damit grenzt er sich von der durchaus mit Hochachtung beobachteten Jugendbewegung ab. 9 Nach Nohl gibt es zwei grundlegende - und für Erziehung unverzichtbare- Sichtweisen des Menschen: Eine realistische Sichtweise, die den Menschen in seinem wirklichen So-Sein, den Menschen mit seinen Gewohnheiten, seinem Verhalten und seinem Handeln, seiner Lebenswelt, wahrnimmt. Und eine ideale Sichtweise, die in dem Menschen die Potentiale, verborgenen Fähigkeiten und Bestimmungen erkennt. (Vgl. Maier 1992: 69) Uhle (2008) beschreibt diese zwei Positionen als Ist-Zustand und Soll-Zustand des Menschen. „Die Grundeinstellung, mit der der Pädagoge dem Kinde gegenübersteht, ist also eine eigentümliche Mischung von realistischem und idealem Sehen, die sich ergibt aus der Einsicht in die Zweiseitigkeit im Wesen des Menschen“ (Nohl 1979: 16). Die Beschreibung und Akzeptanz dieser dialektische Spannung ist die Grundlage dafür, Nohl einem idealistisch-naturalistischen Menschenbild (Colla 1999: 352) zuordnen zu können. Als Ziehsohn Wilhelm Diltheys steht er in der Tradition einer geisteswissenschaftlichen Pädagogik, wenn er sich auch von Dilthey entfernt, indem er dessen Grundlegung der Pädagogik als psychologische interpretiert (vgl. Blickenstorfer 1998: 94f). Seinem Menschenbild folgend ist der Mensch zuallererst ein Geistesprodukt und besonders die Psychoanalyse droht mit ihrem deterministisch-materialistischen Blick auf die menschlichen Abgründe die Freiheit des Geistes zu beschneiden (vgl. Niemeyer 2005: 156). Dies Widerspricht Nohls Bild von einem Individuum, dass die Fähigkeit zur Selbstständigkeit und Mündigkeit besitzt. (Vgl. Maier 1992: 65ff) 10 5. „Pädagogische Bezug“ als Element von pädagogischer Praxis und Professionalität? 5.1 Der „pädagogische Bezug“ in der Sozialpädagogischen Praxis Thole und Cloos (2006: 123) behaupten, dass das Austarieren von Nähe und Distanz eine typische, pädagogische Herausforderung ist, die von den professionellen Akteuren der verschieden sozialpädagogischen Praxisfelder tagtäglich in den unterschiedlichsten Situationen zu bewältigen ist. Fälschlicherweise nehmen sie jedoch an, dass dieses Thema in der sozialpädagogischen Theoriebildung stiefmütterlich behandelt wurde. Wie gezeigt wurde bildet das Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz im Bildungsprozess der Heranwachsenden ein zentrales Element in der Theorie des pädagogischen Bezuges bereits seit Nohl. Colla (1999: 348) sieht im „pädagogischen Bezug“ die Voraussetzung der sozialpädagogischen Arbeit impliziert. Nohls Theorie setzt Verstehen im Sinne Dilthey voraus, d.h. in der Lesart von Colla (ebd.): Kenntnis der inneren und äußeren Zustände, Milieus, der personalen und pädagogischen Situation der Heranwachsenden und erfordert somit eine sozialwissenschaftliche Analyse der Lebensbedingungen und der individuelle Förderbedürftigkeit. Dabei ist Colla zufolge jene Wirklichkeit ausschlaggebend, die Kind und Erzieher bzw. Sozialpädagoge gemeinsam und in derselben Weise erfahren können. Verstehen gründet sich – so Colla (ebd.) - im gemeinsamen Erleben. Colla (ebd.) berichtet, dass Jugendliche die Erfahrung eines signifikanten Anderen, einer Beziehung, die mehr ist als Zweck-Mittel-Relationen als positiv und förderlich erleben. Auch wenn nach Colla (1999) der pädagogische Bezug im Zeitalter massenmedialer Vernetzung und Indivualisierungstendenzen neu justiert werden muss, so bietet er doch (immer noch) eine Basis zur Reflexion des eigenen pädagogischen Handelns. Thole und Cloos (2006: 124) bemängeln gerade die heutige Vernachlässigung der Erotik im pädagogischen Alltag, der damit verbundenen Ängste und Verdrängungen durch den Aufbau von Distanz bzw. umgekehrt der Angst, sich durch eine zu große Nähe zu den Adressaten zu verlieren. Die sozialpädagogischen Praxisfelder z.B. in der Jugendarbeit unterliegen einem (impliziten) Verhaltenskodex, der von den Akteuren fordert, sich an den Aktivitäten der Jugendlichen aktiv zu beteiligen und sich dabei so zu verhalten, als sei man ein Teilnehmer unter anderen, d.h. es wird eine symmetrische Beziehung gefordert, die Generationsdifferenzen und Rollendistanzen aufzuheben versucht. (Vgl. Thole 11 et al. 2006: 129f) Im Sinne Nohls wird versucht, eine Gemeinschaft entstehen zu lassen, die von gegenseitigem Vertrauen getragen ist. Problematisch wird es jedoch, wenn diese (scheinbar) symmetrisch-partnerschaftliche Beziehung institutionell verformt werden (muss). Thole et al. (2006: 127ff) führen dies exemplarisch an einem Fall vor, bei dem ein Sozialpädagoge die partnerschaftliche Beziehung zu einem Jugendlichen in eine Vertragsbeziehung umfunktionieren muss. Der Jugendliche möchte sich zwecks eines längeren Transportweges das Einrichtungsfahrzeug „ausborgen“. Der Einrichtungsleiter verweist auf die möglichen Konsequenzen einer Sachbeschädigung und muss eine vertragliche Regelung in Form einer Austauschbeziehung konstituieren. Die Grundlagen eines idealtypisch verwirklichten pädagogischen Bezuges sind hierbei verletzt. Ein wissenschaftlich geschulter Sozialpädagoge kann diesen Konflikt zwar nicht auflösen, muss aber in der Lage sein, diesen Rollenwechsel wahrzunehmen und erkennen können, dass dieser feldspezifisch bedingte Rollenwechsel vom Partner zum Leiter für den Jugendlichen nicht sofort einsichtig sein könnte. Man könnte das Fazit von Thole et al. (2006: 141) als eine Teilabsage an den „pädagogischen Bezug“ lesen: „Das Verhältnis von Nähe und Distanz im sozialpädagogischen Alltag lässt sich folglich nicht allein als das Resultat einer situativ ausgehandelten Beziehung zwischen Profesionellen und AdressatInnen verstehen, sondern als ein durch habituelle Positionen geformtes, durch organisationskulturelles Gefüge gerahmtes und durch feldspezifische Regeln situiertes Verhältnis, das sich situativ stets neu herstellt“ (Thole 2006: 141) Die Autoren (2006: 136) stellen außerdem fest, dass je höher das Ausbildungsniveau, desto mehr distanzierte, rollenspezifische Anteile ergeben sich in den habituellen Profilen. Vielleicht erfordert aber gerade diese empirische Tatsache die Rückbesinnung auf ein pädagogisches Eros im Sinne Nohls, wenn Colla (1999: 344) in Befragungen Jungendlicher nachweisen kann, dass dem Moment der Nähe gerade eine heilsame pädagogische Wirkung zukommt. Die Frage nach dem Bildungsprozess und mithin auf die Qualität des „pädagogischen Bezuges“ muss bei Erziehung außerhalb des Unterrichts vielleicht mit besonderer Dringlichkeit (wieder?) gestellt werden. (Vgl. Niemeyer 2005: 148) Nohls Interesse galt der Rehabilitierung des Praktikers als eines nicht lediglich wissensanwendenden, sondern „erkennenden Subkekts“ (in der Logik Diltheys), dass in der Lage ist über einen „pädagogischen Takt“ sowohl eine professionelle Distanz als eben auch 12 eine „leidenschaftliche“ Nähe herzustellen (vgl. Niemeyer 2005: 155). Ersteres scheint gelungen, letzteres erweiterungsbedürftig. 5.2 Die Lehrerpersönlichkeit Thole und Kollegen (2006: 123) stellen fest, dass Schüler-Lehrer-Beziehungen an den alteingessenesen Akademien durch große Distanz geprägt sind. Im Unterricht dominiert – trotz des Ausrufs einer neuen Lernkultur - die Wissensvermittlung. Zwar kann sich der, der in Lehrer-Schüler-Verhältnissen denkt, nicht des Auftrags entziehen, Bildungsinhalte zu vermitteln. Er kann aber immerhin – und dies ist die Lektion von Nohl – auf didaktischem Weg beeinflussen, ob der Schüler in der Rolle des passiven Rezipienten verbleibt oder selbst aktiv an der Gestaltung der Lerninhalte und besonders der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler mitwirkt bzw. mitwirken darf. (Vgl. Niemeyer 2005: 148) Dieses konstruktivistisch orientierte Vokabular kann als Modernisierung der Sprache Nohls verstanden werden, der ja vom „Bildungswillen“ (Nohl 1933: 21) des Heranwachsenden und von der Erziehung „um seiner selbst willen“ (Nohl 1933: 22) spricht, also von einem aktiven Individuum, dass sich sowohl durch Re-, als auch Dekonstruktionen vervollkommnen will. Auch Nohl selbst hat dieses besondere Schüler-Lehrer-Verhältnis nicht nur theoretisch beschrieben, sondern praktisch zu realisieren versucht. Durch gemeinsame Wanderungen mit Seminarteilnehmern und, wie im biographischen Abriss beschrieben, durch persönliche Anteilnahme an seinen Studenten hat er versucht, einen „pädagogischen Bezug“ zu leben. Die Studierenden sollten nicht nur theoretisch geschult werden, sondern schon im Studium die Praxis aus eigener Anschauung kennenlernen. (Vgl. Klika 2000 : 200f) Dies mag ein Grund sein, warum Blickenstorfer (1998: 99) zu dem Ergebnis kommt, dass Nohl mehr durch seine Persönlichkeit als durch seine Theorie gewirkt hat. 6. Schlusswort Die Idee einer pädagogischen Beziehung, die von Leidenschaften, Wechselfällen des Lebens, von Ambitionen und Realismus getragen ist, scheint auf allen Ebenen der Bildung relevant zu sein. Der Akzent von einer zu starken Nähe zum Heranwachsenden - wie noch in Pestalozzis Erziehungsheimen- scheint sich im Zuge zunehmender Professionalisierung verschoben zu haben. Heute löst eher die Forderung nach emotionaler Hingabe Erstaunen aus. Ist denn das 13 noch eine professionelle Beziehung? Wo müssen dann die Grenzen gesetzt werden? Nohls Theorie war auf Interaktionen zwischen reifen Menschen und Heranwachsenden beschränkt. Aber die Fähigkeit, sich auf eine Bindung einzulassen, wird biographisch erworben. Ein Lehrer in der Berufsschule, der über sein gesamtes Studium hinweg keine Vorbilder erlebt hat, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht in seiner Unterrichtsspraxis verwirklichen können. Ein Erzieher, der in seiner Ausbildung keine persönliche Anteilnahme eines Berufsschullehrers erfahren hat, wird diese professionelle Nähe vielleicht auch nicht in seiner sozialpädagogischen Praxis realisieren können. Ohne die Idee des doppelten TheoriePraxis-Bezuges überstrapazieren zu wollen (vgl. Karsten 2003: 354), ergeben sich hieraus doch einige Ideen für alle Bildungsebenen. 14 Literatur Bernett, Hajo (1991): Herman Nohl und die Reform der deutschen Leibeserziehung. In: Henze, Wilhelm: B. Zimmermann-H. Nohl – K. Hahn. E – Ein Beitrag zur Reformpädagogik. Duderstadt: Mecke Verlag Biermann-Ratjen, EvaMaria et al. (2003): Gesprächspsychotherapie. Verändern durch Verstehen. 9. Aufl. Stuttgart. Kohlhammer Bittner, Günter (1997): Das Kot der Welt, in welches ich mich vertieft…“. Pestalozzi als autobiographischer Denker. In: Z. f. Päd. Jg. (43) 1997, S. 357-373 Blickenstorfer, Jürg (1998): Pädagogik in der Krise. Hermeneutische Studie, mit Schwerpunkt Nohl, Spranger, Litt zur Zeit der Weimarer Republik. Rieden: Klinkhardt Blochmann, Elisabeth (1969): Herman Nohl in der pädagogischen Bewegung seiner Zeit 1879-1960. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht Colla, Herbert E. (1999): Personale Dimension des (sozial-)pädagogischen Könnens – der pädagogische Bezug. In: Colla Herbert E. et al.: Handbuch Heimerziehung und Pflegekinderwesen in Europa. Kriftel: Nonwied, S. 341-362 Colla, Herbert E. (2006): Auf der Spurensuche: Liebe in der Sozialpädagogik. 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