Auf einmal war alles richtig
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Auf einmal war alles richtig
Donnerstag KULTUR 3. APRIL 2014 Kunst: Adrian Peters und André Wischnewski in Galerie Grandel Kräftige Zeichen Von unserer Mitarbeiterin Susanne Kaeppele Zarte Bleistiftzeichnungen, still und topografisch, die Leere zwischen den Linien betonend, treffen auf kräftige und unübliche Graffitikunst. Sehr mutig könnte man diese Kombination nennen, die die Mannheimer Galerie Grandel präsentiert: Adrian Peters, geboren 1968 in Karlsruhe, zeichnet, ja notiert quasi Spuren in das Weiß des Papiers, akribisch, genau, sehr ruhig. Dagegen sind die Bilder und Plastiken von André Wischnewski gesetzt, der 1983 in Mecklenburg-Vorpommern geboren wurde, an der Freien Kunstakademie in Mannheim studierte und derzeit noch an der Akademie in Karlsruhe weitermacht. Unerwarteter Materialmix Seine Werke verblüffen durch die Kombination unerwarteter Materialien: Beispielsweise verwendet er für seine schon sehr ungewöhnliche Transformation eines „Pieces“, eines aufwendigen, meist mehrfarbigen Graffiti in die Dreidimensionalität außer Styrodur und Epoxidharz auch noch Legosteine. Nicht allein, dass er die Typographie des Graffitis modelliert und um die Ecken biegt, nein, jetzt fügt er auch noch abgefahrenes Material hinzu. Oder die Verwendung von Asterix-Comics zur Ausgestaltung eines Bildes: Wie André Wischnewski mit Bleistift die Cartoonfelder durchbildet, in die Dreidimensionalität hebt oder wie er dünne Furnierstücke einsetzt wie collagierte Farbflächen, das ist großartig und so noch nie gesehen. Da hat es Adrian Peters schwerer mit seinen sanften Strichen, die sich zu ungesehenen Stadtplänen oder Überflugansichten formen, so still sind sie. Aber immer wieder kann der aufmerksame Betrachter verblüffende Schriftkürzel entdecken und nicht nur deshalb kann man nur zum genauen Hinsehen raten! i Bis 12. April, Mannheim, S 4,23. Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 10-16 Uhr. Mit 3-D-Effekt: „Extra-Tapetenwechsel II“ von André Wischnewski. BILD: ZG MANNHEIMER MORGEN ANGEKREUZT Das Porträt: Stefanie Krahnenfeld ist seit einem Jahr Gesangsprofessorin und kennt Freud’ und Leid des Musikgeschäfts Premiere im Theater am Puls „Auf einmal war alles richtig“ SCHWETZINGEN. Zwei Jungs prügeln sich auf dem Schulhof. Zivilisiert und politisch korrekt besprechen die Eltern den „Vorfall“, bis es zum Eklat kommt. Die schwarze Gesellschaftskomödie „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Rezas feiert in der Regie von Joerg Steve Mohr am Freitag, 4. April, 20 Uhr, im Schwetzinger Theater am Puls, Marstallstraße 61, Premiere (Karten: 06202/9 26 99 96). rcl Von unserer Mitarbeiterin Anna Schweingel Man kann kein Porträt über die Sängerin und Mannheimer GesangsProfessorin Stefanie Krahnenfeld schreiben, ohne die harten Seiten des Musikgeschäfts zu erwähnen. Dennoch wäre es angesichts der Fröhlichkeit dieser Frau aus Westfalen unangemessen, in Klagen auszubrechen ob der Grausamkeit der Welt. Sie kennt beides: Erfolg und Weite, Begrenzungen und Brüche. In der Mannheimer Februarsonne sitzt, bei Latte Macchiato und Käsekuchen, Stefanie Krahnenfeld und erzählt. Gesungen hat sie schon immer. Nach einem regelrechten Erweckungserlebnis beim Musical-Besuch in der Schulzeit wollte sie Musical-Sängerin werden. Ausbildung an der Folkwang-Hochschule in Essen, dann Engagements in einschlägigen Produktionen. Bis ihr wenig einfühlsam gesagt wurde, dass ihr Äußeres nicht zu den Rollen passe, die ihrem Stimmfach entsprechen: Die vor Lebendigkeit sprühende Frau war nun mal partout nicht „klein und rehäugig“. Willkommen im Musik-Business, Härte-Lektion eins. Eine Nacht lag sie wach und kämpfte mit sich, bis der Entschluss stand. Stefanie Krahnenfeld begrub ihren Musical-Traum und wechselte ins Opernfach: Pamina, Susanna, Olympia, Lucia waren nun die Frauen, denen sie ihre Stimme und ihren Körper verlieh – „und auf einmal war alles richtig“. Wie richtig alles war, bestätigte ihr der ARD-Wettbewerb 2000, in den sie als Nobody hineinund aus dem sie als Preisträgerin hervorging. Danach standen ihr die Türen offen. Am Staatstheater Saarbrücken, wo sie seit 1998 zum Ensemble gehörte, konnte sie viel ausprobieren, sich sogar Rollen aussuchen, und sie bekam den Freiraum, für Konzerte durch die Welt zu reisen. Junge Sängerinnen gefragt Dann bekam sie Härte-Lektion Nummer zwei zu spüren, und Krahnenfeld spricht einen kritischen Punkt an, wenn sie sagt: „Die Halbwertzeit von Frauen ist sehr gering.“ Sängerinnen werden, so erzählt sie, häufig viel zu früh in viel zu große Rollen gepresst, für die ihre Stimme noch gar nicht reif und entsprechend überfordert ist. Und jung müssten sie sein. Die Regel sei, dass sich Sängerinnen fünf Jahre jünger machten. Eine Kollegin in New York, wo Stefanie Krahnenfeld ihren Master absolvierte, brachte es auf den Punkt: „Professionally I am always Nostalgische Schlager MANNHEIM. Die Schlagerhasen nennt sich eine Band, die Schlager der 1950er bis 1970er Jahre stilecht auf die Bühne bringt. Am Sonntag, 6. April, tut sie das im Capitol. Eintritt: 10 Euro. Achtung: Das Konzert beginnt um 17 Uhr. gespi i LITERATUR-TIPP Lewitscharoff spricht über Kafka Mit ihrer Skandalrede über künstliche Befruchtung sorgte Sibylle Lewitscharoff kürzlich für Furore. Heute um 20 Uhr diskutiert sie mit Denis Scheck beim Heidelberger Frühling im Karlstorbahnhof über Franz Kafka. Eintritt: 19 Euro. gespi Rainer Böhm jazzt wieder MANNHEIM. Es führt ihn doch immer wieder an seine frühere Wirkungsstätte zurück: Der jetzt in Köln lebende Jazzpianist Rainer Böhm spielt am Dienstag, 8. April, um 20.30 Uhr in der Klapsmühl’ in D 6,3. Böhm tritt im Duo mit dem Gitarristen Norbert Scholly auf. Der Eintritt kostet 10 Euro. gespi „Der Nachteil vom Singen ist, dass man so viel drinnen ist“: Stefanie Krahnenfeld genießt den Frühling. Stefanie Krahnenfeld 쮿 Stefanie Krahnenfeld absolvierte zunächst eine Musical-Ausbildung an der Folkwang-Hochschule Essen. 쮿 1998 erhielt sie in New York an der Saarländischen Staatstheater Saarbrücken, sang die Sopranistin unter anderm Titelpartien in „Otello“und „Don Giovanni“. „Manhattan School of Music“ ihren Master of Music. 쮿 Es folgten Konzerte in Italien, 쮿 Ein Stipendium des Israel Vocal 쮿 Krahnenfeld ist Preisträgerin des Arts Institutes führte sie von New York nach Tel Aviv. ARD-Wettbewerbs im Jahr 2000. Israel, Kanada, USA und China. 쮿 Seit März 2013 ist sie Professorin an 쮿 Von 1999 bis 2011 fest angestellt am der Musikhochschule in Mannheim. 27, privately I am 35“ (Beruflich bin ich immer 27, privat 35). Krahnenfeld musste nach 13 Jahren das Saarbrücker Theater verlassen, zwei Jahre vor der Chance auf eine Unkündbarkeit. Sie hat jetzt ihren Frieden damit. Denn es inzwischen ist alles gut, wie es ist: Eine Professur wie die an der Mannheimer Musikhochschule zu bekommen, die sie seit Mai 2013 nach Lehrtätigkeiten in Köln und Detmold innehat, sei keine Selbstverständlichkeit, sondern ein großes Privileg - außerdem ist sie dafür mit Anfang vierzig sehr jung. Sie liebt es, zu unterrichten, ihre Schüler dabei als ganzen Menschen im Blick zu haben – und sie genießt es, damit auch der Familie, ihrem kleinen Sohn und ihrem Mann, der Jazz-Musiker ist, Stabilität zu geben. Ironischerweise am Tag ihrer Verabschiedung in Detmold wurden die BILD: RINDERSPACHER politischen Entwicklungen um die Musikhochschulen bekannt, die ja auch ihre eigene Stelle gefährden; ein Härtetest der anderen Art. Sie kam trotzdem und ist beeindruckt davon, wie viel Kreativität die dramatische Situation freigesetzt hat. Stefanie Krahnenfeld unterrichtete im Container, der den Sommer über als Protest-Trutzburg am Paradeplatz stand. Und, ja – sie findet, dass Musik raus sollte aus dem Elfenbeinturm der Hochschulen: „Die Leute vorm Container haben viel gefragt, das war toll. Natürlich müssen wir das Werkzeug für hohe Kunst schaffen, aber ohne Publikumsbezug funktioniert unser Werkzeug doch nicht. So ist der Job, man bleibt nicht nur zu zweit mit seinem Lehrer. Musik muss zum Anfassen sein!“ Im Rahmen der Widerstände kreativ zu werden und offensiv den Weg zu gehen, der zwar nicht geplant ist, aber dennoch glücklich machen kann – würde sie das als Quintessenz beschreiben? Sie lächelt. Das ist vermutlich ein Ja. Jetztmusikfestival: Nils Frahm in der ausverkauften Christuskirche Pop: Soulsänger und Original-Milli-Vanilli-Vokalist Charles Shaw veröffentlicht neue Single Kluger Analytiker mit großem Herzen Abschied als Neustart Von unserem Mitarbeiter Bernd Mand Düster bläst die Luft aus den Orgelpfeifen. Ein leises Störgeräusch zuerst, ein unheimliches Brummen noch, und schon steigert sich das Ganze zum dichten Orgelgroßklang hier unter Kuppel der Mannheimer Christuskirche. Eine romantisch pathetische und doch abstrakte Fingerübung als Prelude zu einem warmherzigen Abendexperiment zwischen klassischem Klavier und Elektronik. Nils Frahm beginnt sein Gastspiel beim Jetztmusikfestival im tiefen Dunkel. Keine visuelle Ablenkung, kein bunter Effekt, nur der schlichte Ton im Raum. Dann wird es still und man hört ihn die Treppen hinunter in den Kirchenraum springen. Auf die kleine Bühne zwischen Klavier und Flügel (und zahlreichem Knopfwerk und Reglern), die in den nächsten zwei Stunden zur Traumfabrik für die Leinwand im Kopf wird. Dabei kann der in Hamburg geborene Wahlberliner im Grunde für seine Symbiose von Pop, Klassik und Elektronika kein Patent anmelden. Nur gibt es da einen grundsätzlichen Unterschied zu den meisten ande- ren Schubladenmischern. Nils Frahm ist nämlich kein oberflächlicher Schönklangbastler, auch wenn er selbst schon gerne mal in die neoromantische Filmmusik abdriftet, nein, wenn er seine Stücke baut, dann spielen hier ein blitzkluger Analyseverstand und ein extrem bewegliches Herz im gemischten Doppel. Sinistere Weltuntergangsfeier Es sind Stücke, die keine Scheu haben vor dem intellektuellen Seziermesser und keine Berührungsängste vor unmittelbar rührseligen Emotionsbekundungen zeigen. Und in den lauten Momenten zwischen schranzendem Bass und prickelnden Höhen auch gerne mal den tonalen Weltuntergang feiern. So ein bisschen, als hätten sich Craig Armstrong, Steve Reich und Philip Glass zur Jam-Session in den dunkelsten Technobunker am hinteren Ende der Stadt verkrochen. Und wenn es gut gelaufen wäre, dabei den Soundtrack für das längst überfällige Remake von „Love Story“ gebastelt. Ein bewegender und zutiefst menschlicher Musikabend, den man gerne noch ein paar Tage in den Hemdsärmeln stecken hat. 27 Von unserem Mitarbeiter Martin Vögele Es ist ein Abschied, den Charles Shaw mit stimmlichem Samtschimmer, sattem Soul und gefühlvoller Intensität auskleidet; den er in eine über Pianoklang, Akustikgitarre und Midtempo-Beat gesteigerte Dramatik hüllt, die im Refrain in hohen Stakkato-Streichersounds kulminiert. Und auch wenn das zweisprachige Stück „Good Bye – Auf Wiedersehen“ heißt, scheint es doch im schmerzlich aufgewühlten Bewusstsein über die Endgültigkeit einer Herzens-Trennung zu vibrieren. Unlängst hat der Soulsänger die Single bei einem Konzert im Mannheimer Schatzkistl vorgestellt – der Stadt, der Shaw treu geblieben ist, auch nachdem sein 1978 dort begonnener Dienst als GI geendet hatte. Bereits während seiner Army-Zeit war der heute 53-Jährige musikalisch aktiv, er spielte mit Sydney Youngblood in der Band SAS, bei der Gruppe Me And The Heat ist er heute noch Mitglied. Zudem arbeitet er mit seiner Band Classic Brothers die, ebenfalls im Schatzkistl auftrat. Und nicht zu vergessen: Shaw war der Original-Sänger bei Milli Vanillis Welt-Hit „Girl You Know It’s True“. 1990 war der Pop-Skandal bekannt geworden, dass die beiden Frontmänner von Frank Farians Projekt, Fab Morvan und Rob Pilatus, nicht selbst gesungen hatten. Kooperation mit Xavier Naidoo Die Komposition von „Good Bye – Auf Wiedersehen“ reicht fünf Jahre zurück: Als Shaw erfuhr, dass die Mannheimer Kasernen aufgelöst würden, bat er einen ihm bekannten Musiker, „mir einen Song über diese Geschichte zu schreiben“ – es war Xavier Naidoo. Das Stück sollte das Bild eines GIs und einer deutschen Frau zeichnen, die sich hier kennenlernten, einander näher kamen, „und irgendwann, von heute auf morgen, heißt es, die Kasernen werden geschlossen und die GIs müssen abziehen“. Seit 1978 in Mannheim: der US- Soulsänger Charles Shaw. BILD: ZG Nach der Schließung der letzten Mannheimer Kaserne hielt er nun die Zeit für gekommen, den Song zu veröffentlichen. Anfang dieses Jahres tat er sich mit der Agentur Bernd Graßmann Entertainment zusammen und nahm bei K.C. Records mehrere Versionen der Single neu auf, die jetzt über das Mannheimer Label Chubb Records vertrieben und als Download bei verschiedenen Online-Portalen bezogen werden können. Noch ist „Good Bye – Auf Wiedersehen“ nicht als CD erhältlich, was aber geplant ist. Auch ein Album soll folgen, „auf jeden Fall noch dieses Jahr“. Im Sommer sei außerdem ein „Soul Revival“-Festival mit ihm in Mannheim geplant. Das Thema Milli Vanilli hat Shaw vor einigen Monaten wieder eingeholt: Als er dazu eingeladen wurde, bei „Where Are They Now?“ mitzuwirken – einer Show der US-Moderatoren-Ikone Oprah Winfrey, bei der gezeigt werden sollte, „wer die wahren Gesichter hinter ,Girl You Know It’s True’ sind“. Zusammen mit den anderen Original-Milli-Vanilli-Sängern Johnny Davis und Brad Howell wurde ein Beitrag in Frankfurt aufgezeichnet. Aber noch viel interessanter als der Blick zurück dürfte es sein, den weiteren Weg von Charles Shaw zu verfolgen. Literatur regional: Marcus Imbsweilers Krimi „Dreamcity“ Ermüdende Ermittlung Ist auf dem Cover das Heidelberger Schloss, verpackt in eine Schneekugel zu sehen, so herrschen zwischen den Buchdeckeln von Marcus Imbsweilers neuem Heimatkrimi „Dreamcity“ ganz andere Zeiten: Sommer ist es und der „Privatflic“ Max Koller bemüht sich, den Tätern in seinem nunmehr siebten Fall auf die Spur zu kommen. In dem Neubaugebiet Bahnstadt in Heidelberg entsteht auch das Viertel „Dreamcity“, das von Lorenz Driehm, Wohltäter der Stadt, finanziert wird. Dass dieser allerdings in kriminelle Machenschaften verwickelt sein könnte, ahnen bis dahin nur wenige, unter ihnen Max Koller, dem für diesen Fall hoch brisante Schriftstücke zugeschoben werden. Gleichzeitig geschehen andere merkwürdige Dinge, die erst einmal nicht viel mit Driehm zu tun zu haben scheinen: Da ist von einem Castortransport quer durch das nächtliche Heidelberg die Rede und einer Schwangerschaft, die beim Spatenstich der „Traumstadt“ vor versammelter Presse publik gemacht werden soll. Mord in Heidelberg Während sich der Ermittler in geheimer Mission in der Villa Driehms im Philosophenweg bei einer privaten Geburtstagsparty als neue Flamme der Tochter des Hauses gibt, schwimmen im Obergeschoss zwei Haie. In der gleichen Nacht fällt der erste tödliche Schuss, der Kollers Auftraggeber trifft, und dem noch einige folgen sollen. Klingt spannend? Eher verwirrend, und auch wenn man den Geschehnissen folgen kann und sich einigermaßen für Firmenpolitik, die anhand von Driehms Unternehmen unter die Lupe genommen wird, interessiert, ermüden die immer gleichen sarkastischen Bemerkungen des erzählenden Ermittlers, der bis zuletzt seinem Praktikanten einen weiblichen Vornamen verpasst und stets betont, dass er mit seiner Exfrau noch im selben Bett einschläft. Regionale Erkennungsmerkmale gibt es einige zu entdecken. Wer sich daran erfreut, kommt auf über 400 Seiten oft auf seine Kosten. ötz i Marcus Imbsweiler: Dreamcity. Gmeiner Verl. 438 S., 11,99 Euro.