Begleitheft Der Besuch der alten Dame - adk-ulm
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Begleitheft Der Besuch der alten Dame - adk-ulm
BEGLEITMATERIAL Eine Produktion des akademietheaters ulm Spielzeit 2010/2011 Inhalt 1. Vorwort........................................................................................................... 2. Besetzung................................................................................................. 3. Der Regisseur über die Inszenierung.............................................................. 4. Katharina Binder über ihre Rolle als alte Dame........................................ 5. Markus Prinzen über seine Rolle als Alfred Ill................................................. 6. Parallelen zur Bibel................................................................................... 7. Auszüge aus der griechischen Philosophie...................................................... 8. Unter der Schürze nichts.......................................................................... 9. Auszüge aus der Shellstudie 2010................................................................... 10. Übungen................................................................................................. 11. Quellen.......................................................................................................... 12. Impressum.............................................................................................. 3 4 5 8 10 12 15 17 20 22 25 26 Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt Liebe Leserinnen und Leser, „Der Besuch der alten Dame“ ist seit Jahrzehnten eine Pflichtlektüre auf deutschen Lehrplänen. Im Schuljahr 2010/2011 beschäftigt das Stück hauptsächlich unsere Abiturienten. Mit diesem Begleitmaterial möchten wir Ihnen nicht nur einen Einblick in die Hintergründe und Herangehensweise der Inszenierung, sondern auch neue Diskussionsansätze geben. Des Weiteren finden Sie in unserem Heft Vorschläge zu Übungen, welche Sie zur Vor- und/oder Nachbereitung des Aufführungsbesuchs mit Ihren Schülern nutzen können. Selbstverständlich können Sie diese nach Bedarf variieren. Gerne kommen wir auf Nachfrage auch persönlich zu Ihnen in die Schule. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Theaterbesuch wie auch bei der Lektüre unseres Begleitmaterials. Ihre theaterpädagogische Abteilung der adk-ulm Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt Besetzung Claire Zachanassian........................................Katharina Binder Alfred Ill..........................................................Markus Prinzen Ehefrau...........................................................Marissa Maddaluno Tochter............................................................Gamze Alakus Sohn/ Künstler................................................Enis Aksamja Bürgermeister.................................................Simon Fleischhacker Pfarrer.............................................................Jonathan Löffler Lehrer..............................................................Lukas Ruben Eickholl Polizist.............................................................Martin Bonviccini Panther............................................................Irmela Jane Purvis Inszenierung....................................................Rolf Kemnitzer Regieassistenz.................................................Boris Brandner Bühnenbild......................................................Gabriel Miloia/ Günther Brendl Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 5 Der Teufelsgottesdienst Überlegungen zu einer Inszenierung von „Der Besuch der alten Dame“ Der Pfarrerssohn Dürrenmatt schrieb mit „Der Besuch der alten Dame“ eine Art Passionsstück. Oder genauer: eine Antipassion. Eine Leidensgeschichte, frei nach jener von Jesus Christus, doch ist Alfred Ill eher ein Antichrist. Er hat sich gegen seine ehemalige Geliebte und gegen sein Kind versündigt, indem er sie verstieß. Am Ende büßt Ill als Menschenopfer. Geopfert von der alten Dame, einem „Deus in Machina“, halb Prothese, halb aus Fleisch und Blut, eine „Schicksalsgöttin“, ein Racheengel in teuflischer Mission, eine Antiheilige, die, so heißt es im Stück, durch Güllen zieht wie in einer „Prozession“. zwei verfallende Ikonen: die alte Dame und ihre eigene Moral. Die Spielweise müsste sich eher am Rituellen orientieren als am psychologischen Realismus. Die Figur des Panthers, den die Dame mitbringt, ist ein Symbol für den gejagten Alfred Ill. Wir sehen ihn als seinen Schatten, seine Schuld. Die Fleisch gewordene Erbsünde, die am Ursprung dieses Menschheitsdramas steht und jetzt als Rachegeist umgeht. So entsteht mit Ill (Christus), der alten Dame (Gott) und dem Panther-Kind (heiliger Geist) eine Dreieinigkeit unter negativen Vorzeichen. „Der Besuch der alten Dame“ ist eine nachbrechtsche Parabel, mir der Dürrenmatt den dramatischen Beweis führt, dass es keinen Gott gebe. Nur ein goldenes Kalb in Form der alten Dame. Der Text bietet haufenweise Anspielungen auf die Christusgeschichte. Doch in diesem „Mysterienspiel“ kämpft nicht Gut gegen Böse, sondern Böse gegen Böse. Zu mehr ist der Mensch nicht fähig. Der einzige Trost ist, dass Dürrenmatt uns darüber lachen lässt. Ein fatalistisches Lachen. Nur wenige verbinden heute etwas mit Kirche und ihren Symbolen, obwohl das Christentum immer noch prägend ist für unsere Kultur. Man betrachte nur die Erlösungsdramaturgien vieler Hollywoodfilme. Oder die Fanbegeisterung für Popikonen, die wie moderne Heiligenverehrung aussieht. Der irrationale Glauben an Wachstum, die Verehrung des Kapitals sind späte Perversionen von christlichen Heilslehren. Die heiligsten oder besser: unheiligsten Orte unserer Zeit sind die Tempel der Finanzindustrie. Der Crash dieser Industrie war eine Folge des Wenn es sich beim „Besuch der alten messianischen Versprechens, Dame“ um einen bös-komischen Gottes- bzw. Teufelsdienst handelt, dann Wohlstand für alle zu schaffen, während könnten die Einwohner Güllens zugleich solidarische Prinzipien geopfert Messdiener und Clowns sein. Sie haben wurden. Das ähnelt dem Mechanismus, Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 6 den das Angebot der „Alten Dame“ in Gang setzt. Der moralische Überbau der kapitalistischen Gesellschaft verdampft. Auch die Regierungspolitik des letzten Jahres lässt Prinzipien wie Solidarität zunehmend als Sprechblasen erscheinen, die längst geplatzt sind wie die Kursblasen in der Krise. Oder einfacher: Es geht heute im Grunde nur noch darum, wer wen am besten bescheißt, alles andere ist Werbung. Klara Zachanassian. Allen anderen fehlt die realistische Kontur, denn sie sind nur Platzhalter in einem Beweisverfahren, das die feste Konsistenz menschlicher Moral widerlegen soll. Um so wichtiger ist es, den Güllenern eine soziale Adresse zu geben, einen realen Hintergrund. Der Schwabe mit seinem besonderen Verhältnis zum Geld und seiner teilweise pietistischen Prägung erscheint als möglicher Bezugspunkt für eine Ulmer Inszenierung. Der moralische Niedergang der Güllener ist allzu voraussehbar und darin liegt eine dramaturgische Schwäche des Stücks. Die damit verbundene Kapitalismuskritik läuft ins Leere, denn wir sind uns darin alle einig. Außerdem existieren die moralischen Werte, die in Güllen zugunsten eines Wirtschaftswunders abgebaut werden müssen, in der heutigen deutschen Realität nur noch im Deutschunterricht und als Slogan. Jedenfalls im Vergleich zu den ethischen Ansprüchen, die der Mensch vor fünfzig Jahren an sich und seinen Nächsten stellte. „Der Besuch der alten Dame“ ist nicht nur die unterhaltsame Predigt eines Agnostikers, wie Dürrenmatt sich selbst nannte, sondern seit langem das Lieblingsstück der Lehrplaner. Es wurde so oft im Deutschunterricht gelesen, in Theater-AGs aufgeführt, dass es seinen Charakter verändert hat. Ähnlich einer schönen Stadt, die so sehr von Touristen heimgesucht wurde, dass sie inzwischen eine andere geworden ist, obwohl alles noch an seinem Ort steht. Bei einer Inszenierung des Stücks kommt man nicht daran vorbei, dass es bereits zu Tode interpretiert wurde. Nicht zuletzt deshalb erzählen wir einige Eckpunkte des Stücks anders als Dürrenmatt sie geschrieben hat, ohne oberflächlich „modernisieren“ zu wollen. Dramatisches Potential steckt in der Familie von Alfred Ill, denn den eigenen Mann und Vater zu verraten ist schwieriger als irgendeinen Mitbürger. (Auch Dürrenmatt hat in seiner Drehbuchfassung die Rolle der Familie heraus gestellt.) In diesem Theaterstück gibt es nicht mehr als zwei Figuren: Alfred Ill und Eines der interessantesten Motive im „Besuch der alten Dame“ ist die Tatsache, dass Alfred Ill seine Schuld ganz bewusst auf sich nimmt. Auch dies folgt keiner realistischpsychologischen Dramaturgie, sondern Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt verweist wieder auf Jesus Christus, der mit seinem Tod allerdings nicht die eigene, sondern die Schuld der Menschheit auf sich nimmt und diese damit von der Erbsünde erlöst. Das Thema der Schuld, des Schuldigwerdens und des Umgangs mit Schuld, steht für uns im Mittelpunkt des Stücks. Damit auch die Unfähigkeit zu verzeihen. Insbesondere die Unfähigkeit von Alfred Ill sich selbst zu verzeihen. Wir alle haben Schuld, wir alle bringen uns täglich ein wenig gegenseitig um, der Logik des Kapitalismus folgend, der auch unsere Privatsphäre bestimmt, unser Denken und Fühlen. Nicht zuletzt die Unfähigkeit zu verzeihen macht die Menschen einander zu Wölfen, und nicht nur das: Wir können auch uns selbst selten verzeihen. Wer von uns lebt denn in tiefem Frieden mit sich selbst? „Wer von uns kennt sich, wer von uns weiß von seinen Verbrechen und Rolf Kemnitzer geheimen Untaten?“ fragt Dürrenmatt in seiner Erzählung „Die Panne“. Wie Alfred Ill ist der Held jener Erzählung ein Geschäftsmann und er heißt ähnlich: Alfredo Trapp. Auch „Die Panne“ erzählt von einer zurückliegenden Schuld, keiner juristischen, sondern einer moralischen, wie im „Besuch der alten Dame“. Ills „Bruder“ Trapp nimmt seine Schuld in einer theatralen Ekstase auf sich und bringt sich am Ende um. Die Männer, die ihn durch ein Spiel dahin getrieben haben, sind nun ihrerseits moralisch nicht weniger schuldig als Trapp selbst und die Güllener, die Ill aktiv töten. Dürrenmatt legt in beiden Texten Wert darauf, dass seine Protagonisten Durchschnittsmenschen darstellen. Er wählt Geschäftsmänner, weil die Ökonomie heute über allem steht, auch über der Moral, und wir alle im Grunde Geschäftsleute sind. Unser Kapital sind unsere Gefühle. Dürrenmatt predigt: Eine Produktion des akademietheaters ulm 7 Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 8 „Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.“ Nietzsche Die Figur der Claire Zachanassian ist für mich eine der spannendsten Figuren der Gegenwart. Die Frage, warum dieser Mensch so handelt, wie er handelt und ob sie gerecht ist oder nicht, beschäftigt jeden, der sich mit dem Stück auseinandersetzt. Für mich war vom Beginn der Proben an klar, dass sie eine der menschlichsten Figuren dieses Stückes ist. Ein Mensch, der immer auf der Suche nach Liebe und Glück war. Ein Mensch, der sehr viel Leid erlebt hat, und das wahrscheinlich schon seit frühester Kindheit an. Im Stück wird von ihrem alkoholabhängigen Vater erzählt, der sich wahrscheinlich kaum um den „rotgelockten Wildfang“, der sie war, kümmerte. Außerdem wird erwähnt, dass ihre Mutter den Vater verließ. Sie war wahrscheinlich eine aufmüpfige Jugendliche, ohne Vorbilder und ohne Einschränkungen, die sich auch traute Lehrern Widerworte zu geben. Mit Alfred Ill erlebte sie dann die erste Liebe und die wahrscheinlich glücklichste Zeit in ihrem Leben. Dann wurde sie mit siebzehn schwanger und Ill verriet sie, brachte zwei „Zeugen“ auf den Plan, die behaupteten, dass auch sie ein Verhältnis mit Kläri Wäscher gehabt hätten. Sie floh, verlor ihr Kind, das bald darauf starb, musste als Prostituierte arbeiten und heiratete dann einen Millionär nach dem anderen, reiste durch die Welt, wurde die reichste Frau überhaupt. Aber sie war nie glücklich. Ich glaube, dass der Schmerz ein ständiger Begleiter von Claire ist. Körperlicher Schmerz, aber vor allem seelischer. Und so gehe ich auch an diese Figur heran, die so ungeheuer vielschichtig ist. Mir ist mit jeder Probe wieder aufs Neue bewusst, dass ich eigentlich zu jung für diese Rolle bin und sie normalerweise erst in 40 Jahren spielen würde. Dennoch kann ich ihren Zynismus, ihre Bitterkeit und ihren Schmerz nachvollziehen. Sie hat etwas von einem Psychopathen, der aus Liebe tötet. Ihr größter Konflikt ist, dass sie Alfred liebt und ihm nicht verzeihen kann. Sie muss ihn tötet, weil sie glaubt, dann wieder glücklich sein zu können, sie muss ihn im Sarg mitnehmen, um ihn so in Erinnerung behalten zu können, wie er als Jugendlicher war; so sagt sie auch am Ende des Stückes: „ Er ist wieder so, wie er war, vor langer Zeit, der schwarze Panther.“ Auch das Kind, dass sie letztendlich verloren hat, spielt meiner Meinung nach eine große Rolle. Ich glaube, dass es für eine Frau nichts Schlimmeres gibt, als ein Kind zu verlieren. Ihr Baby wird ihr weggenommen und stirbt ein Jahr darauf, sie erhält nur eine kurze Nachricht vom Tod ihres Kindes. Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 9 dass Verzeihen das Wichtigste ist und das Rache nicht funktioniert. Dennoch kann ich ihren Schmerz und ihre Handlungen nachvollziehen, ich kann es verstehen und mitfühlen und empfinde sie nicht als böse. Und letztlich bin ich so an diese Figur herangegangen. Ich habe mir überlegt wie ihr Körper wohl sein mag; mit ihren ganzen Prothesen, so hat sie steife Beine und auch ihre Hände und Arme sind teilweise Prothesen.Ihr Körper tut ihr weh, aber sie ist sehr Dieses Kind hätte ein Leben gehabt, mächtig und selbstbewusst, daher wenn Alfred Claire nicht verraten hätte. aufrecht, ihr Gesicht zeigt kaum Am Anfang des Stückes bin ich der Regungen, sie drückt ihre Gefühle über Meinung, das Claire Alfred und auch sich die Sprache aus. Sie ist nach außen nicht selbst und ihre Gefühle testet. Sie will mehr lebendig oder beweglich und auch sehen, wie er auf sie reagiert, ob er sich innerlich nur noch von Schmerz und entschuldigt, nach dem Kind fragt. Er tut Leere beherrscht. Das sind ganz es nicht. Er spielt ihr etwas vor, um der technisch die Dinge, mit denen ich Stadt zu helfen, ihre Millionen zu arbeite und letztlich versuche ich in bekommen, und als er im jeder Probe wieder aufs Neue ihre Konradsweilerwald einmal ehrlich zu Geschichte zu fühlen und danach zu ihr ist, wirft er ihr an den Kopf, dass er spielen. nur das Beste für sie wollte und dass es ihm viel schlechter gehen würde als ihr. Katharina Binder An diesem Punkt entscheidet sich Claire dann wirklich dafür, ihren Plan, den sie wahrscheinlich hat, seit sie aus Güllen floh, wirklich auszuführen. Doch auch das tut ihr weh. Sie ist nicht der bloße Racheengel, dem es nichts ausmacht ihren ehemaligen Geliebten töten zu ? Ist die Forderung der alten lassen. Aber sie ist so in ihrem Schmerz Dame gerechtfertigt ? gefangen, das sie nicht mehr in der Lage ist, Alfred und auch den Güllenern zu ? Wie wirkt sich das Fehlen des verzeihen, sie will sie zugrunde richten Gefolges auf das Erscheinungsbild und dadurch wieder ein schmerzfreies der alten Dame aus? Leben erlangen. Es ist nicht so, dass ich es gutheiße, was Claire tut. Ich glaube, Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 10 Wie ich die Figur Alfred Ill sehe und erarbeite Ill´s Konflikt – Seine Schuld Rollenarbeit „Ich bin ein alter Sünder, wer ist das nicht (…).“ Dieser Satz aus dem Stück beschreibt gut, welchen Konflikt Ill hat. Obwohl seine Schuld und sein schlechtes Gewissen ihn verfolgen, verdrängt er beides und überspielt dies zu Beginn. Die Schuld ist der „Motor“, der meine Figur antreibt. Sie ist es, meiner Ansicht nach auch, die ihn in Güllen hält. Denn warum verlässt er Güllen nicht? Durch den Mordaufruf wird Ill nach und nach zum Gejagten. Das Tempo für die Figur erhöht sich im Laufe des Stückes, bis es im Finale zum „Herzschlag“ und „Tod aus Freude“ (oder doch ein Selbstmord?) kommt. Unser Stück nennen wir auch gerne „KILL ILL“. Ill bewegt sich in einer Welt, die für ihn immer bedrohlicher wird. Er wird immer mehr zum Außenseiter. Die Güllener machen Schulden. „Mit den Schulden steigt der Wohlstand. Mit dem Wohlstand die Notwendigkeit, mich zu töten.“ Selbst seine Familie nimmt einen Kredit auf. Das Zeichen für ihn, das er verraten ist. Er entwickelt eine Paranoia. In Form seines „alter ego“ und seiner Schuld taucht der schwarze Panther auf, der ihn mit sich selbst konfrontiert. Für mich ist der Panther ein Sinnbild für seine Schuld, das tote Kind und Ill selbst. Auch der schwarze Panther wird gejagt und schließlich getötet. Ich habe zunächst, durch das Lesen vom Stück, eine grobe Vorstellung von der Figur Ill. Einige Ideen für meine Rolle finde ich durch Beobachtungen. Was für Leute rennen in Ulm rum, die meiner Vorstellung von Ill entsprechen. Dann imitiere ich, in Improvisationen, oder direkt beim Beobachten (was yum Teil sehr komisch aussehen muss), die Haltung, Gangart, den Ausdruck der Person. So bekomme ich Stück für Stück ein Gefühl für die Figur. Um die Figur Ill zu erarbeiten, sind mir drei entscheidende Fragen wichtig: 1) Wie war Ill in jungen Jahren, kurz vor dem Gerichtsurteil, als Klara die Stadt verließ? 2) Wie geht Ill mit seiner Schuld um? 3) Wie ist Ill´s Leben kurz bevor Klara kommt? Ich denke, dass Ill ein aufgeschlossener, lebensfroher, aber auch egoistischer Typ war. Klara und Ill liebten sich. Sie ihn mehr, als er sie. Die Schwangerschaft von Klara überforderte ihn. Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt Nach dem Gerichtsurteil, das Klara diffamierte, war nichts mehr wie zuvor. Um mit seiner Schuld umzugehen verdrängte er diese und wurde zu einem eher introvertierten, aber auch cholerischen Typen mit Hang zum Stress-trinken. Kurz bevor die Dame kommt, ist seine Welt, die er sich aufgebaut hat, in Ordnung. Doch die Nachricht der Ankunft von Claire Zachanassian verunsichert ihn. Er hat Angst, dass seine Realität, die er sich aufbaute, zerbrechen könnte. 11 ? Wie wird die Vereinsamung Ills ver deutlicht? ? Warum schmiegt sich der Panther an Ill? ? Wie reagiert die Bevölkerung auf das Angebot der alten Dame? Marcus Prinzen (Die Rolle des Alfred Ill wurde wegen Krankheit des Schauspielers kurzfristig durch Lukas Ruben Eickholl umbesetzt.) ? Gibt es Parallelen zwischen dem Mobbing gegenüber Ill und unserer Gesellschaft? ? Welche Rolle spielt der schwarze Panther? Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 12 Parallelen zur Bibel Die zehn Gebote ( Christlich) Die zehn Gebote der alten Dame 1. Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben! 1. Ich bin das Kapital, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben! 2. Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren! 2. Du sollst das Kapital ehren! 3. Gedenke, dass du den Sabbat heiligst! 3. Gedenke dass du den Kaufrausch heiligst! 4. Du sollst Claire Zachanassian ehren! 4. Du sollst Vater und Mutter ehren! 5. Du sollst nicht töten! 6. Du sollst nicht ehebrechen! 5. Töte, um die Gerechtigkeit durchzusetzen! 6. Du sollst deinen Sinn für Werte nicht vergessen! 7. Du sollst nicht stehlen! 7. Du sollst deinen Besitz mehren! 8. Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten! 8. Du sollst nicht Lügen! 9. Du sollst nicht begehren deines nächsten Weib! 9. Das höchste Gut ist die Gerechtigkeit! 10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut! 10. Du sollst begehren deines Nächsten Besitz! ? Ist Dürrenmatts Moraldarstellung auf heute übertragbar ? ? Wie haben die grotesken Elemente zu eurem Verständnis beigetragen ? Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 13 11 Wir brummen alle wie Bären und gurren wie Tauben. Wir hoffen auf unser Recht, doch es kommt nicht, und auf die Seht her, die Hand des Herrn ist nicht zu kurz, um zu helfen, sein Ohr ist nicht Rettung, doch sie bleibt uns fern. 12 Denn unsere Frevel gegen dich sind schwerhörig, sodass er nicht hört. zahlreich, unsere Sünden klagen uns an. 2 Nein, was zwischen euch und eurem Gott steht, das sind eure Vergehen; eure Wir sind uns unserer Vergehen Sünden verdecken sein Gesicht, sodass bewusst, wir kennen unsere Schuld: 13 Untreue und Verleugnung des Herrn, er euch nicht hört. Abkehr von unserem Gott. Wir reden 3 Denn eure Hände sind mit Blut von Gewalttat und Aufruhr, wir haben befleckt, eure Finger mit Unrecht. Eure Lügen im Herzen und sprechen sie aus. Lippen lügen, eure Zunge flüstert 14 So weicht das Recht zurück, die (Worte voll) Bosheit Gerechtigkeit bleibt in der Ferne. Die 4 Keiner bringt gerechte Klagen vor, Redlichkeit kommt auf dem Marktplatz keiner hält ehrlich Gericht. Man stützt zu Fall, die Rechtschaffenheit findet sich auf Nichtigkeiten und stellt nirgendwo Einlass. haltlose Behauptungen auf; man geht 15 Jede Redlichkeit wird vermisst, wer schwanger mit Unheil und bringt das Böse meidet, wird ausgeraubt. Das Verderben zur Welt.[...] hat der Herr gesehen und ihm missfiel, 7 Sie laufen dem Bösen nach, schnell dass es kein Recht mehr gab. sind sie dabei, unschuldiges Blut zu 16 Er sah, dass keiner sich regte, und vergießen. Ihre Gedanken sind war entsetzt, dass niemand einschritt. Gedanken des Unheils, Scherben und Da half ihm sein eigener Arm, seine Verderben sind auf ihren Straßen. eigene Gerechtigkeit war seine Stütze. 8 Den Weg des Friedens kennen sie 17 Er legte die Gerechtigkeit an wie nicht, auf ihren Spuren gibt es kein einen Panzer und setzte den Helm der Recht. Sie gehen krumme Pfade; Hilfe auf. Er machte die Rache zu keiner, der ihnen folgt, lernt den seinem Gewand und umhüllte sich mit Frieden kennen. 9 Darum bleibt das Recht von uns fern, leidenschaftlichem Eifer wie mit einem die Gerechtigkeit erreicht uns nicht. Wir Mantel. 18 Wie es die Taten verdienen, so übt er hoffen auf Licht, doch es bleibt finster; Vergeltung; er zürnt seinen Gegnern und wir hoffen auf den Anbruch des Tages, vergilt seinen Feinden; bis hin zu den doch wir gehen im Dunkeln. Inseln übt er Vergeltung. 10 Wir tasten uns wie Blinde an der 19 Dann fürchtet man im Westen den Wand entlang und tappen dahin, als Namen des Herrn und im Osten hätten wir keine Augen. Wir stolpern am Mittag, als wäre schon seine Herrlichkeit. Ja, er kommt wie ein Dämmerung, wir leben im Finstern wie reißender Strom, den der Sturm des Herrn vor sich hertreibt. die Toten. Jes 59,1 - 21 Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 14 20 Doch für Zion kommt er als Erlöser und für alle in Jakob, die umkehren von ihrer Sünde - Spruch des Herrn. 21 Das ist der Bund, den ich mit ihnen schließe, spricht der Herr: Mein Geist, der auf dir ruht, soll nicht von dir weichen und meine Worte, die ich dir in den Mund gelegt habe, sollen immer in deinem Mund bleiben und im Mund deiner Kinder und im Mund deiner Enkel, jetzt und in Ewigkeit - spricht der Herr. Röm 13,8-11 ? Welche Bedeutungen haben die Kostüme und Farben auf der Bühne für euch ? ? Wo spielt „Der Besuch der alten Dame“ in der Ulmer Inszenierung ? Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren!, und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die liebe tut dem Nächsten nichts Böses, Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes. Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt Auszüge aus der griechischen Philosophie Die Tugendtafel des Aristoteles (ca. 330 v. Chr.) Verstandestugenden (dianoetische): Bezüglich des Unveränderlichen Intellekt der Prinzipien Wissenschaft Weisheit Bezüglich des Veränderlichen Kunst Klugheit Charaktertugenden (ethische): Allgemein Tapferkeit Mäßigkeit Im Umgang mit Geld und Besitz Freigiebigkeit Hochherzigkeit Bezüglich Ansehen und Ehre Hochsinn Gesunder Ehrgeiz Sanftmut In der Kommunikation mit anderen Wahrhaftigkeit Artigkeit Freundlichkeit Im politischen Leben Gerechtigkeit Eine Produktion des akademietheaters ulm 15 Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt Aus dem „Katechismus“ des Epikur (ca. 280 v. Chr.) Kardinaltugend (aus lat. cardinali, „hauptsächlich“) Das gerechte Leben ist von Unruhe am freiesten, das ungerechte aber ist voll von jeglicher Unruhe Grundtugenden, aus welchen übrigen folgen, nach Platon: Weisheit, Tapferkeit (Willensenergie), Besonnenheit (Maßhalten, Selbstbeherrschung) und Gerechtigkeit; die christl. Philosophie fügt drei weitere hinzu:Glaube, Liebe und Hoffnung. Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne dass man vernunftgemäß, schön und gerecht lebt, noch vernunftgemäß, schön und gerecht ohne lustvoll zu leben. Wer dies nicht besitzt, der kann nicht lustvoll leben. Es gibt keine Gerechtigkeit an und für sich, sondern sie ist ein im gegenseitigen Verkehr an den beliebigsten Orten und Zeiten geschlossener Vertrag, einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen. Von allem, was die Weisheit zur Glückseligkeit des ganzen Lebens bereithält, ist weitaus das Größte die Erwerbung der Freundschaft. Quelle: H. Schmidt: „Philosophisches Wörterbuch“, Kröner-Verlag Stuttgart, 16. Auflage; S. 312 ? Wie verwendet Dürrenmatt die griechischen Kardinaltugenden in seinem Werk ? Eine Produktion des akademietheaters ulm 16 Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 17 DER SPIEGEL 27/1950 Moral Unter der Schürze nichts Über die Moral der deutschen Frau wurde in der oberschwäbischen Stadt Biberach [...] hitzig diskutiert. Bürgermeister Leger, Vorsitzender des Volksbildungswerks, hatte seinen Namen unter die Einladungen zu einem „Pestalozzi-Gespräch“ stempeln lassen. Sie ging an Verleger, Aerzte, Schriftsteller, an Frauenorganisationen. Arbeitslose und Journalisten. Studienrat und Amateur-Volksbildner Bäurle hatte zum Entsetzen der Eltern auch die Schüler der höheren Klassen eingeladen. Denn Biberach (CDU-Mehrheit) ist so moralisch, daß schon ein Gespräch über Moral als unmoralisch gilt. [...] Den Anlaß zur Biberacher Tagung gaben drei Bücher, die sich mit dem moralischen Verhalten der deutschen Frau in der Kriegs- und Nachkriegszeit beschäftigen. Schriftstellerin Maria von Kirchbach, eine liebenswürdige Wiener Blondine, machte schon vor der Diskussion die Runde, um ihren Roman „Amor in Khaki“ zu rechtfertigen. [...] Der Inhalt: Eine mit einem deutschen Pianisten verheiratete Oesterreicherin liiert sich mit einem Alliierten, kehrt aber happy-endlich zu ihrem Mann zurück. Maria v. Kirchbach bekam einen Pestalozzi-Freispruch. Urteilsbegründung: harmloses Unterhaltungsliteratürchen, das einen Einzelfall aufgreift, ohne damit ein verbindliches Zeitpanorama entwerfen zu wollen. Peter Rocholl, der Autor der Erzählung „Venus im Fadenkreuz“, kam nicht so gut weg. Obwohl auch er nur ein Einzelschicksal erzählt und nicht verallgemeinern will. Er schildert eine lebensvolle Frau, deren Mann den „geistigen Rausch über den körperlichen setzt“. Während er als Obergefreiter in Rußland friert, wendet sich seine Frau körperlichen Räuschen zu. Ein nackter Fliegerhauptmann im Schnee ist das erste Erlebnis („Hatte er sie nicht von fernher und im Scherz gewarnt, fairer Jäger, ihren Körper zu hüten, dessen sie sich in jener Stunde bis in die Spitzen der Brüste hinein wohlig bewußt?“) Zweites Erlebnis ist ein Chirurg mit blutunterlaufenen Augen. Sie nennt ihn „Toro“, Stier. Er kommt stündlich auf einen Sprung zu ihr. Sie darf „unter der Laborschürze nichts tragen, damit er bloß die Gürtelschlaufe zu lösen braucht“. Der dritte Rauscher besitzt statt eines Bettes einen Baumstamm. Daran bindet er die Obergefreitenfrau gleich dem heiligen Sebastian. („Mit fliegenden Händen fährt er jeder Linie des Körpers nach, um endlich das Lendentuch zu lösen.“) Sie aber bricht in hysterisches Lachen aus. Nächster Liebhaber ist der „Grizzlybär“, ein amerikanischer Soldat. Währenddessen verhungert der Mann Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt auf einem Gefangenentransport nach Rußland. Auch über dieses Buch war das Urteil einmütig. Ein peinliches und unappetitliches Buch. Aber auch hier wird ein Einzelschicksal erzählt. Das Buch gehört also nicht zur Anklageliteratur gegen die deutsche Frau. Es ist nur bedingt pornographisch. Verleger dieser Anrüchigkeit: Ulrich Steiner in Laupheim, zweiter Landesvorsitzender der CDU. [...] Verleger Schweingruber, Inhaber des Spaten-Verlags in Grenchen, sprach kein Wort zur Diskussion und lächelte freundlich. [...] Früher verlegte er nur Heimatliteratur. Seit er Helm-Liessenhoffs „Eine Armee Gretchen“ und „Die Demobilisierung der Gretchen-Armee“ verlegt, läuft der Laden. Amerika will die Werke mit 500000 Auflage herausbringen. Der Inhalt der beiden Bücher ist kaum zu schildern. (Siehe SPIEGEL Nr. 25/50.) Der Verfasser gibt vor, deutscher Offizier gewesen zu sein. [...] Liessenhoff schildert die Mobilisierung, Uniformierung und Demoralisierung der deutschen Frau als Kollektiv. Dieses Kollektiv befindet sich zumeist in der Horizontalen. In den Schnaufpausen zwischen den einzelnen Unmoralitäten singen die Frauen blutrünstige Nazi-Lieder. [...] Verleger Schweingruber in der politischen Debatte: „Die Schweizer Politik ist so gut, weil die Männer vor Entscheidungen ihre Frauen und Mütter um Rat fragen.“ 18 Zwischenruf: „Was haben Ihre Frau und Ihre Mutter zu den Liessenhoffschen Büchern gesagt?“ Verleger Schweingruber machte eine wegfegende Bewegung: „Schschscht!“ An der literarischen Minderwertigkeit der Bücher zweifelte nicht einmal er. Zur Debatte stand zunächst die Frage, ob man von einer Kollektiv-Unmoral der deutschen Frau in der Kriegs- und Nachkriegszeit sprechen könne. Fazit: Im Krieg werden die asozialen und destruktiven Instinkte der Menschen geweckt und gepflegt. Selbst die Kirche segnet die Waffen, mit denen der Mitmensch getötet wird. Da ist es kein Wunder, wenn auch auf sexuellem Gebiet Enthemmungen vorkommen. [...] Bei den Frauen kam das Opfer dazu. Ueber eine Frau, die sich verkauft, um ihr Kind vom Hungertod zu retten, brach nur Dekan Schwemmle den Stab. Er stellte fest, die Moral liege tief danieder. Die anderen Debattenredner waren ohne Ausnahme der Ansicht, die zweifellos häßlichen Auswüchse der Kriegs- und Nachkriegszeit hätten sich seit der Währungsreform abgeschliffen. Die Moral der deutschen Frau unterscheide sich heute nicht mehr wesentlich von der anderer Frauen. Helms-Liessenhoff mache also den Fehler, aus notbedingten Einzelfällen eine moralische Kollektivschuld zu konstruieren. Er nehme einen Teil als das Ganze. Außerdem nütze er die nationalsozialistische Konjunktur aus. Die Welt sei noch so voll Ressentiments gegen die Deutschen, daß solche Verallgemeinerungen nur allzu gut Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt verkauft werden könnten. Das Buch sei nichts anderes als gedrucktes Papier, in das man einen Stein einwickle, um damit die Fensterscheiben anderer einzuwerfen.[...] Auf die Frage, ob sich die anwesenden Damen durch die Bücher Liessenhoffs beleidigt fühlten, kam ein einstimmiges Nein. Maria v. Kirchbach meinte, eine Frau gelte lieber unmoralisch, als allzu moralisch. Mit dieser Meinung stand sie aber allein. Oberarzt Dr. Brocher von der Württembergischen Heilanstalt in Schussenried griff das Thema psychologisch an. Die Frauen projizierten das Heldenidol, das ihnen eingetrichtert wurde, auf den Mann. Sie übertrugen es später auf den Sieger. Gesteigerte Angst bringt gesteigerte Sexualität mit sich. Die Existenzangst, das Verlangen, geborgen zu sein, trieb 1945 viele Frauen in die Arme fremder Männer. Die Jugend hatte kein Vorbild mehr in den Erwachsenen. Der politische und moralische Hemdwechsel, den die Kinder bei ihren Eltern sahen, machte sie zu Skeptikern. Als ein Journalist den Psychiater fragte, ob man sich nicht aus den Büchern der besprochenen Autoren ein Krankheitsbild der Verfasser machen könne, lächelte der Arzt. Der Journalist stellte die Diagnose: Frauenhaß aus verdrängten Komplexen. Sexuelle Störungen werden literarisch abreagiert. Liessenhoff hat Versäumniskomplexe. [...] Die Biberacher Versammlung schickte 19 eine vorsichtig und vornehm gehaltene Resolution gegen diese Art von Literaten an den PEN-Club, an eine internationale Frauenorganisation und nach langem Zögern nach Bonn. Dort werde sie doch nur zu den Akten gelegt oder höchstens für das Schmutzund Schundgesetz parteipolitisch ausgewertet. [...] ? Wie hat sich die Moral der Gesellschaft in den letzten 50 Jahren verändert ? Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 20 Auszüge aus der Shellstudie 2010 Werte Die Werte und Lebenseinstellungen von Jugendlichen sind weiterhin pragmatisch: Der persönliche Erfolg in einer Leistungs- und Konsumgesellschaft ist für Jugendliche von großer Wichtigkeit. Leistung ist jedoch nicht alles: Auch wenn Fleiß und Ehrgeiz für 60 Prozent der Jugendlichen hoch im Kurs stehen, darf der Spaß nicht zu kurz kommen: 57 Prozent wollen ihr Leben intensiv genießen. Optimistisch und mit ihrer Lebenssituation zufrieden, geht es ihnen nicht nur um das persönliche Vorankommen, sondern auch darum, ihr soziales Umfeld aus Familie, Freunden und Bekannten zu pflegen. Viele interessieren sich dafür, was in der Gesellschaft vor sich geht. Die jungen Leute fordern gerade heute sozialmoralische Regeln ein, die für alle verbindlich sind und an die sich alle halten. Eine funktionierende gesellschaftliche Moral ist für sie auch eine Voraussetzung, ihr Leben eigenverantwortlich und unabhängig gestalten zu können. 70 Prozent finden, man müsse sich gegen Missstände in Arbeitswelt und Gesellschaft zur Wehr setzen. Soziales Engagement Im Vergleich zu den Vorjahren sind immer mehr Jugendliche sozial engagiert: 39 Prozent setzen sich häufig für soziale oder gesellschaftliche Zwecke ein. Auch hier zeigen sich soziale Unterschiede. Aktivität und Engagement sind bildungs- und schichtabhängig. Je gebildeter und privilegierter die Jugendlichen sind, desto häufiger sind sie im Alltag aktiv für den guten Zweck. Die alternde Gesellschaft in Deutschland betrachten Jugendliche auch weiterhin als Problem. Mehr als die Hälfte sehen das Verhältnis zwischen Jung und Alt als eher angespannt an. Dennoch zeigen immer mehr Jugendliche Respekt vor der älteren Generation und Verständnis für deren Lebensweise. Das zeigt sich auch bei der Frage nach der Verteilung des Wohlstands zwischen Jung und Alt. 47 Prozent der Jugendlichen sind der Meinung, diese sei gerecht. Nur noch 25 Prozent fordern, dass die Älteren ihre Ansprüche reduzieren sollen. Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt Optimismus Positiv denken ist „in“. Gegenüber 2006 hat sich der Optimismus der Jugendlichen deutlich erhöht: 59 Prozent blicken ihrer Zukunft zuversichtlich entgegen, 35 Prozent äußern sich unentschieden und nur 6 Prozent sehen ihre Zukunft eher düster. Einzig bei Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien zeigt sich ein anderes Bild: Hier ist nur noch ein Drittel (33 Prozent) optimistisch. Diese soziale Kluft wird auch bei der Frage nach der Zufriedenheit im Leben deutlich. Während fast drei Viertel aller Jugendlichen im Allgemeinen zufrieden mit ihrem Leben sind, äußern sich Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen nur zu 40 Prozent positiv. ? Wie käuflich sind Menschen? ? Hat sich durch die Inszenierung eure Sicht auf das Stück verändert? Eine Produktion des akademietheaters ulm 21 Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt Übungen Einführung Im folgenden Teil finden Sie einige Übungsvorschläge, die Sie zur praktischen Vor- und Nachbereitung des Vorstellungsbesuchs verwenden können. So können Sie Ihren Schülern einen weiteren Blickwinkel auf das Stück und seine Figuren ermöglichen. Es empfiehlt sich, zunächst eine Warm-Up Übung zu machen, um die Schüler aus dem alltäglichen Schulleben herauszulösen und Verletzungen vorzubeugen. Außerdem schaffen diese Übungen eine offene Atmosphäre, die den Einstieg ins Spiel sehr erleichtert. Eine Produktion des akademietheaters ulm 22 Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 23 Warm-Up und Konzentration Tic -Tac -Toc -Ping Dynamische Kette Die Spieler stehen im Kreis. Mit einem klaren Handzeichen werden von einem Spieler zum nächsten (nicht zum Nachbarn) die Kommandos geschickt: (A)--“Tic“->(B)--“Tac“->(C)--“Toc“->(D) Wenn (D) das Kommando „Toc“ erhalten hat, springt die ganze Gruppe nach oben und ruft das Kommando „Ping“. Dann startet die Reihe von (D) aus erneut. Wichtig: - Die Gruppe sollte einen gleichmäßigen Rythmus finden - Wenn die Übung für die Gruppe klar ist, kann das Tempo nach und nach gesteigert werden. Material: Ball Die Spieler stehen im Kreis. (A) wirft (B) den Ball zu, (B) wirft (C) den Ball zu usw. Wer den Ball bekommen hat, legt sich als Zeichen für die Gruppe die Hand auf den Kopf (nur in der ersten Runde), denn keiner darf den Ball zweimal bekommen. So ensteht eine feste Reihenfolge, die mehrmals im Kreis wiederholt werden sollte. Die Reihenfolge beginnt und endet beim Spielleiter. Ist die Reihenfolge klar, wird der Kreis aufgelößt und die Gruppe beginnt durch den Raum zu laufen. Dabei werfen sich die Spieler immernoch in der zuvor festgelegten Reihenfolge den Ball zu. Wenn der Ball auf den Boden fällt, müssen sich alle Spieler sofort auf den Boden legen, bis der Ball vom Empfänger wieder aufgehoben wurde. Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt 24 Improvisationsübungen Ich bin ein Panther Zuschauersituation. Ein Spieler (A) betritt die Spielfläche, nimmt eine Haltung ein und sagt was er/sie darstellt (z.B. Katzenartige Haltung: „Ich bin ein Panther“). Ein weiterer Spieler (B) betritt die Spielfläche und setzt sich mit einer Haltung in Beziehung zu (A) (z.B. „Ich bin der Jäger des Panthers“). Ein dritter Spieler (C) kommt hinzu und setzt sich durch seine Haltung mit (A) und (B) in Beziehung (z.B. „Ich bin das Gewehr des Jägers“). Nun verlässt (A) die Spielfläche und nimmt (B) oder (C) mit. Der Spieler der zurück bleibt (z.B. (C) ) wiederholt nocheinmal was er darstellt, nun jedoch ohne die Beziehung zum vorherigen Bild (z.B. „Ich bin ein Gewehr“). Nun beginnt die Reihe erneut. Wichtig: - Die Spieler auf der Spielfläche bewegen sich nicht. - Die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren sollten immer klar etabliert werden - Es sollten klare Körperhaltungen eingenommen werden (z.B. Wie stelle ich ein Gewehr dar?) Am Ende der Übungen Gespräch: „Wie war es für euch?“, „Was habt ihr erfahren?“ Statuenbau Die Spieler gehen zu zweit zusammen. (A) baut aus (B) ohne zu Sprechen eine Statue zum Thema „Der Besuch der alten Dame“. Wenn alle (A)s fertig gebaut haben, sammeln sie sich beim Spielleiter. Nun gehen alle Statuenbauer gemeinsam wie in einer Galerie von einer Statue zur nächsten und besprechen diese. Wenn alle Statuen besprochen sind wird gewechselt, nun baut (B) aus (A) eine Statue und eine zweite Galerie wird besprochen. Wichtig: - Vorsichtiger und respektvoller Umgang mit den Statuen - Die Statue wird nur anhand von Berührungen gebaut, es wird nicht gesprochen. - Bei der Besprechung einer Statue darf sich der Statuenbauer erst zu seiner Statue äußern, wenn die Gruppe nichts mehr dazu sagen möchte. - Eine Statue die besprochen wurde, darf sich aus ihrer Haltung lösen Variation: Wenn alle Statuen einer Galerie besprochen wurden nehmen sie erneut ihre Haltungen ein. Der Spielleiter klatscht nun dreimal, bei jedem Klatschen darf die Statue eine Bewegung machen. Danach kurze Besprechung: Was hat sich verändert? Eine Produktion des akademietheaters ulm Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt Quellen Die Bibel Einheitsübersetzung Bernd Harder: „Die goldenen Regeln der Menschheit“, Pattloch- Verlag München 2006; S.54-57 H. Schmidt: „Philosophisches Wörterbuch“, Kröner-Verlag Stuttgart, 16. Auflage; S. 312 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44448850.html Stand: 28.10.2010 http://www.shell.de/home/content/deu/aboutshell/our_commitment/ shell_youth_study/2010/values/ Stand: 28.10.2010 http://www.shell.de/home/content/deu/aboutshell/our_commitment/ shell_youth_study/2010/social_commitment/ Stand: 28.10.2010 http://www.shell.de/home/content/deu/aboutshell/our_commitment/ shell_youth_study/2010/optimism/ Stand: 28.10.2010 Eine Produktion des akademietheaters ulm 25 Begleitheft zu „Besuch der alten Dame“ F. Dürrenmatt IMPRESSUM: akademietheater ulm Akademie für darstellende Kunst adk-ulm gGmbH Intendant: Ralf Rainer Reimann Fort Unterer Kuhberg 12 89077 Ulm Tel.: 0731-387531 Fax: 0731-3885185 www.adk-ulm.de info@adk-ulm.de theaterpädagogik@adk-ulm.de Spielzeit 2010/2011 Redaktion und Layout Fachbereich Theaterpädagogik Leitung: Dr. Manfred Jahnke Ramona Parino Sarah Wachter Nicolai Bock Fotos und Plakat Lisa Dietrich V.i.s.d.P. Ralf Rainer Reimann Eine Produktion des akademietheaters ulm 26