Das Interview - Berliner Festspiele
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Das Interview - Berliner Festspiele
27.04.2007 14:43 Uhr Seite 33 SCHWERPUNKT Hauptteil Mai Donnerstag Amoklauf ist das Gebot der Stunde TdZ hat der Jury des Berliner Stückemarktes Fragen gestellt zu ihrer diesjährigen Lektüre und Auswahl dZ: Haben Sie eigentlich ein Stück entdeckt, Herr Walburg? Lars-Ole Walburg: Natürlich hatte ich gehofft, einen neuen Werner Schwab zu erlesen. Das ist nicht geschehen. Trotzdem habe ich die Entscheidung, in der Jury des Stückemarkts mitzuwirken, letztlich nicht bereut. Nach einer zähen Anfangsphase wurde die Dichte der besseren und guten Stücke zunehmend größer. Und auch wenn der Stückemarkt jetzt vielleicht nicht das Forum ist, bei dem man von der Entdeckung einer Unmenge großbühnentauglicher dramatischer Meisterwerke ausgeht, so ist doch die Beschäftigung mit dieser Flut an frischen und neuen Texten eine Art gedankliche Ayurveda-Kur. Das Juror-Sein zwang mich zu etwas, das ich als Normalität bezeichnen möchte, die ich aber in meinem praktischen Theaterleben lange nicht mehr verspürt hatte. Eine Normalität in der Beschäftigung mit dramatischen Versuchen, mit zum großen Teil Unfertigem, mit hybriden und epigonalen Arbeitsproben, mit vorsichtig schimmernder poetischer Ernsthaftigkeit, in jedem Fall aber zuerst einmal die Beschäftigung mit neuer Dramatik. Nicht mit einer vorlektorierten Auswahl, sondern mit dem „Bodensatz“. Und egal, wie viel man sich beim Lesen auch ärgern mag, so beschäftigt man sich zuerst einmal mit den wesentlichen Fragen des Mediums Theater. Es geht in den seltensten Fällen um das Pflücken der reifen Frucht, sondern um Gärtnerarbeit im spezialisiert-professionellen Stadium. TdZ: Seit fünf Jahren sind Sie, Frau Laufenberg, in der Jury des Stückemarktes. Was hat sich verändert? Iris Laufenberg: Am Anfang dachte ich, dass die Stückemarkt-Jury ohne Hilfe von Lektoren auskommen kann. 2003 hat jeder Juror etwa 200 Stücke lesen müssen. 200 Stücke in zwei Monaten zu lesen, ist allerdings grenzwertig viel, so dass ich bei manchen Stücken durch schnelles Blättern und Hand-Auflegen Schicksal gespielt habe. Dann hatte sich 2004 die Anzahl der Einsendungen verdoppelt. Was positiv bedeutet, dass sich auch der Zuspruch des Stückemarktes durch die Öffnung nach Europa enorm gesteigert hatte. Andererseits hieß das, dass für die Arbeit der Jury, die Grenzen der Seriosität überschritten waren: Es mussten Übersetzer und Lektoren unseres Vertrauens gefunden werden, die für die Jury eine Vorauswahl treffen. Ich finde, dieses Verfahren hat sich sehr bewährt. Die fünfzig bis sechzig Stücke, die jetzt bis zur Schlussdiskussion jeder Juror gelesen haben soll, sind auch wirklich diskussionswürdig. Ganz egal in welcher Jury- T TdZ · Mai 2007 Besetzung welche Theaterleute zusammenkommen: Einigkeit über die besondere Qualität eines Stückes gibt es kaum. Um die Auswahl der fünf Stücke, die beim Theatertreffen in szenischen Lesungen vorgestellt werden sollen, wird immer sehr gerungen. TdZ: Welche Erfahrungen haben Sie als Autor mit der Tätigkeit als Juror beim Stückemarkt gemacht? Händl Klaus: Der Gabentisch würde sich biegen, „du wirst durchdrehen!“ warnten mich Freunde, die sich schon auskannten, Juroren früherer Jahrgänge, „man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr“. Aber ich freute mich drauf, und während ich noch durch den Wald strauchelte, waren – und bleiben – einige Stücke eben doch klar zu sehen. Man kann sich sogar daran lehnen, und sie halten das aus, Wetterbäume sozusagen, solche, die für sich stehen, weil ihnen etwas Ungekanntes auf der Seele liegt. Diese eigenartigen Stücke folgen ihrer „unguten“ Natur, kommt mir vor, sie können nicht anders, sprachlich, formal, und so reißen sie mich mit. Sie stellen ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten auf – wie „4 ?“ von Arna Aley, „Wie ärgerlich!“ von Maria Kilpi – oder „Molta Aigua“ von Carles Maillol Quintana und „Die Sammler“ von Lotta Lotass. Um Haaresbreite sind die letzten beiden Stücke nicht in unser aller Auswahl gelangt; wie froh bin ich aber über diese Entdeckungen! TdZ: Haben Sie Talente entdeckt …? Kekke Schmidt: Das kommt auf die Erwartungen an. Natürlich haben wir Talente entdeckt. Wie groß sie sind, lässt sich nach nur einem Stück schlecht beurteilen. Wenn man „das radikal Neue“ erwartet hat, dann wird man vielleicht ent33 Hauptteil Mai Donnerstag 27.04.2007 14:43 Uhr Seite 34 Stückemarkt 2007 Die Stücke fünf junger Autoren werden in szenischen Lesungen beim Theatertreffen vorgestellt. Eines der Stücke wird prämiert und am Maxim Gorki Theater Berlin uraufgeführt werden. täuscht sein. Aber mal ehrlich: Was könnte das sein, nach den vielen Stücken, die wir ständig lesen? Man ist doch schon glücklich, wenn man hier einen frischen Ton vernimmt, dort eine Figur plastisch vor Augen sieht, und an anderer Stelle aktuelle Fragen auf eine eigen(willig)e Weise verhandelt findet. TdZ: Ihr Lieblingsstück und warum? Händl Klaus: Vor allem „Die Sammler“ von Lotta Lotass – in der einfühlsamen Übersetzung von Angelika Gundlach – hat mir’s angetan: Zwei Brüder, die historisch verbürgten New Yorker Homer und Langley Collyer, verschwören sich gegen die Außenwelt; sie wollen für sich bleiben: in ihrem Winkel der Welt. In ruhiger Rede und Gegenrede, feststellend und beschließend, verschanzen sie sich in ihrem zusehends vermüllten Haus, ihrem Bau. Aus unzähligen Gegenständen des Alltags, Schrott und Fetzen, ja Büchern und Klavieren werden undurchdringliche Gänge innerhalb des Hauses wie Fallen geschmiedet, um Eindringlinge fernzuhalten – und ein auf der Stelle tretendes Leben zu ermöglichen, ein ständig erinnertes Dasein, das die Weltverhältnisse in ihre – engsten – Schranken weist: Homer und Langley als Schöpfer ihrer selbst, in den Innentaschen ihrer Jacken blätternd, tief und tiefer sich schraubend in aller Selbstverständlichkeit: „Es heißt, die Schwalben ziehen im Winter in wärmere Länder. (…) Aber so ist es nicht. (…) Bei der ersten Kälte ziehen sie sich an den See und ins Schilf zurück. Sie fressen Steine, machen sich schwer. Und wenn der Herbst schließlich kommt, rücken sie zusammen, Schnabel an Schnabel, Flügel an Flügel, Fuß an Fuß, um sich auf den Grund des Sees sinken zu lassen. Und da auf dem Grund ruhen sie, bis der Frühling kommt.“ – Allerdings lässt sich die herrschende Jahreszeit nach Jahren im Bunker nicht mehr erkennen. Und sie ist unwichtig geworden. Auch die Sprache wird zum Gehäuse, „wie besprochen“, sagt Langley, der mit Homer schließlich selbst die Vorgeschichte in Abrede stellen wird: „Und vor 34 Fr., 11.05.07 19:30 M. Ö. Çetindogan: Eine Migrantenhochzeit dem Fenster, das wir nicht hatten, stand kein Baum.“ Die Gefühle sind verdinglicht. Wie Ruinen werden Anfangsbuchstaben von Namen aus der Kindheit kreisen, die vergessen und verloren sind. Schrecklich leicht geschieht all dies; Blick um Blick, Hand in Hand mit ihren Protagonisten, entwickelt Lotta Lotass da ein dramatisches Ordnungssystem aus wiederholten Konjunktiven und Mitvergangenheiten. „Es waren Regentropfen im Baum. / Es war das letzte Mal. / Dass die Fenster offen standen.“ – Dreimal geklopft auf diesen Stamm. TdZ: Was ist besonders oder auffällig an den diesjährig eingereichten Stücken: Gibt es spezielle, oft wiederkehrende Themen, Formen oder Dramaturgien? Kekke Schmidt: Wenn man viel liest, geht das Gelesene miteinander Konfigurationen ein – das ist auch ein Wahrnehmungsphänomen. Wie wenn man sich gerade ein bestimmtes Auto kaufen will, und auf den Straßen plötzlich nur noch dieses Auto sieht, oder einen neu gelernten Ausdruck gleich dreimal hintereinander liest. Und so hat man in einer bestimmten Phase scheinbar nur noch Beziehungsdramen auf dem Tisch, oder Hartz-IV-Stücke, Gewalteskalationen, oder natürlich, von nicht nachlassender Beliebtheit, Familientragödien. Viele junge Autoren halten sich an die Welt, die sie aus eigener Beobachtung kennen, und die reicht mindestens von der Familie bis zur Beziehung. Wenige packen die Arbeitswelt an, die Globalisierung, die „großen Themen“. Diese Zurückhaltung – mangelnde Courage? – kann man bedauern, umgekehrt ist sie sicher auch klug im Sinne von Fehlervermeidung. Häufig finden diese „politischen“ Themen eher Eingang in die Biografien und Dialoge der Figuren. Dann hat man es zwar der Form nach etwa mit einem Beziehungsstück zu tun, verhandelt werden aber auch ökonomische oder soziale Fragen. Die Frage, wie man heute leben soll, ist politisch, auch wenn sie sich im Privaten niederschlägt. Man erwartet von Autoren ja gern die eierlegende Wollmilchsau, um ihnen im gleichen Zug vorzuwerfen, dass sie viel zu viel reinpacken in ihre Stücke, statt sich auf ihre Erfahrung zu verlassen. – Erfahrungen erst einmal zu machen, das ist allerdings unbedingt empfehlenswert! In diesem Sinne würde man heute am liebsten raten: Dichter weg vom Theater! Weg von den Schreibschulen! Rein ins Leben! TdZ: Was ist für Sie das Besondere an der diesjährigen Auswahl? Iris Laufenberg: Wir hätten uns in diesem Jahr sehr viel schneller auf fünf Stücke aus dem Ausland einigen können. Wir haben dann noch sehr lange sieben oder acht der deutschsprachigen in der Endauswahl diskutiert – begeistert waren wir eher von den fünf, sechs Stücken aus Spanien, Großbritannien, Finnland, den Niederlanden, Schweden und der Türkei. Das sagt weniger über die Qualität der deutschsprachigen Autoren aus. Sondern vielmehr, dass die internationalen Einreichungen schneller überzeugen, ja auch in ihrem Land zum Teil schon uraufgeführt und erTdZ · Mai 2007 Mo., 14.05.07 19:30 21:00 27.04.2007 14:43 Uhr Seite 35 A. Aley: 4 1/2 A. Taylor: Watte folgserprobt sind. Die Stücke der deutschsprachigen Autoren sind wirkliche Entdeckungen, noch fragiler, roher oder für den anderen gerade nicht und einfach nur banaler, platter, kunstloser. Sie spalten die Jury eher und irritieren die empfindlichen Nasen der Trüffelschweine unter den Juroren. Da bedarf es einiger Diskussionsrunden; heftige Überzeugungsarbeit am Gegenüber wird geleistet, um dann doch die eigene Meinung über Bord zu werden. Am Ende wird sie schließlich wieder reaktiviert, weil der erste Eindruck doch zu kostbar war, um ihn einer Mehrheitsentscheidung zu opfern. Wenn man unsere diesjährige Auswahl genau betrachtet, ist bis zum Schluss eigentlich auch kein Stück aus Deutschland dabei geblieben. Unter den fünf sind zwei deutschsprachige, nämlich von der gebürtigen Litauerin Arna Aley und dem Österreicher Volker Schmidt. Die drei anderen sind aus Großbritannien, der Türkei und Finnland. TdZ: Weisen die eingereichten Stücke dieses Jahr eine ästhetische oder thematische Vielfalt auf? Oder lassen sich die Texte typologisieren? Kekke Schmidt: Wie die Autoren ihr Thema verpacken, variiert in mehrfacher Hinsicht. Sprachlich gibt es eine starke Tendenz zur „fingierten Mündlichkeit“, zur Umgangssprache in verschiedenen Formalisierungsgraden. Etwas seltener scheinen mir die Versuche stärkerer poetischer Verdichtung – im Sinne einer ausgestellten Künstlichkeit. Manche Autoren lassen ihre Figuren eloquent und pointiert sprechen, andere – und das sind mehr – möglichst einsilbig. Du hast – . Nein. Ich meine – . Genau. Wenn – . Kann sein. – Da kann man vielleicht wirklich von einer Tendenz sprechen: Die Sprache soll „authentisch“ klingen, wie im Leben, oder im Volksstück, oder wie im Film, schmucklos lakonisch, vielleicht cool, wie bei Fosse oder Kaurismäki. Wahrscheinlich lassen sich auf diese Weise leichter Dramen schreiben, die leidlich „etwas hermachen“, als durch Welterklärungs-Tiraden und Soziologieseminar-Exkurse, die selten gute Dialoge abgeben. Was die Konstruktion der Geschichte angeht, geben sich manche Stücke betont (nach)lässig, was sicher auch damit zusammenhängt, dass das well made play in deutschen Dramaturgien nicht allzu beliebt ist. Lieber als „sauber gebaut“ und spannend verzahnt – was aber auch vorkommt! – wird da aphoristisch in loser Reihung gearbeitet oder mystifiziert bezüglich Realität und Kausalität („es könnte so oder so sein, warum, weiß man auch nicht genau; vielleicht ist aber auch alles nur Einbildung oder Traum“). Die Verzettelung dieser Antwort spricht doch eher für die relativ breite Streuung der Stücke: Es lassen sich eben nicht nur Typ A versus Typ B kategorisieren, weder ästhetisch noch thematisch. Ich würde höchstens schätzen, dass es in der deutschsprachigen Dramatik einen Überhang an „privaten Themen“ und eine Tendenz zur – lose gefügten – „Sprechsprache“ gibt. Die französischen Stücke, die ich gelesen habe, TdZ · Mai 2007 Do., 17.05.07 19:00 20:30 22:30 SCHWERPUNKT Hauptteil Mai Donnerstag V. Schmidt: Die Mountainbiker M. Kilpi: Wie ärgerlich! Preisverleihung schreiben sich demgegenüber häufiger in eine experimentelle Formtradition ein. Feridun Zaimoglu: Das Thema der Saison scheint mir zu sein, dass die Kaputten jeden Sehnsuchtsort kaputtmachen. Es gibt auf dem freien Markt der Aufführungen zurzeit viele Rührstücke, in denen die versehrten Ego-Maschinen aus der Achse kippen, und aus Scham und Reue einen Familienverbund gründen. In den eingereichten Stücken dagegen ist für mich ein durchgängiges Motiv zwar nicht zu erkennen, aber es tauchen Ich-Helden auf, die die bestehende Unkultur mit Unbehagen in Verbindung bringen. Also sondern sie sich ab und sprechen wie Salon-Heckenschützen von „uns“ und „den anderen“. Die Protagonisten sind mittelstandsnarkotisiert, leider. Sie handeln wie Menschen ohne jede Anleitung und Regieanweisung. Die Figuren sind Behälter für Ideen, oder viel eher für Worte, und sie torkeln als Sprachtonnen durch eine grob gesetzte Handlung. Ich habe mich zuweilen schwer getan mit der Lektüre, weil die Stücke in Stimmung und Ausführung recht liberal gehalten sind. Als wollte man es allen Seiten recht machen. Ich erkenne die Ablösung einer Dramatikerkrankheit durch eine andere. In den letzten Jahren haben sich junge Regisseure und Dramatiker darin versucht, Gefühle und Zornesgesten ironisch zu brechen. Jetzt sieht man Figuren vor den Scherbenhaufen des Lebens stehen, und erst traurig und dann wütend werden. Ihr Antriebsmotor ist die Enttäuschung, dass nichts so läuft, wie sie es wünschen. Also werden Geschichten erzählt von Menschen, die den ordnungsgemäßen Zustand zum Teufel jagen. Der Amoklauf ist das Gebot der Stunde. TdZ: Dominieren noch immer die Familienstücke? Feridun Zaimoglu: Die Familie ist thematisch abgewirtschaftet, das zeigt sich in den Stücken. In der falschen Medienwelt kommt die heile Welt als Gegenentwurf vor, als Wehrschanze, als feste Burg gegen die kalte dunkel lockende Welt. Die Fantasie der jungen wie alten Dramatiker drehte sich immer wieder darum. Nur, was soll dabei herauskommen? Die Menschen sind um einige Illusionen ärmer geworden, und dass derzeit für die Neue Bürgerlichkeit getrommelt wird, ändert nichts daran, dass man inner- und außerhalb der Familie friert. In den Stücken entdeckte ich Menschen ohne jede Hoffnung, und ohne den Wunsch, dem Mann oder der Frau als Wärmespender dienen zu wollen. Insofern sind die eingereichten Familienstücke zutiefst politisch. Das Kinderkriegen und Kinderhaben macht aus erwachsenen Menschen keine vor Wonne kichernden Lebenskünstler. TdZ: Lassen sich „Schulen“ erkennen? Kekke Schmidt: Die Stücke, die von „Schulen“ herkommen, legen manchmal mehr Wert auf die – verrätselnde – Konstruktion der Geschichte als auf die Geschichte selbst, und inhaltlich „angesagt“ sind offenbar besonders kaputte Typen, kranke Frauen, verkackte Beziehungen, unmotivierte 35 Hauptteil Mai Donnerstag 27.04.2007 14:43 Uhr Seite 36 Wenn man „das radikal Neue“ erwartet hat, dann wird man vielleicht enttäuscht sein. Aber mal ehrlich: Was könnte das sein, nach den vielen Stücken, die wir ständig lesen? Man ist doch schon glücklich, wenn man hier einen frischen Ton vernimmt, dort eine Figur plastisch vor Augen sieht, und an anderer Stelle aktuelle Fragen auf eine eigen(willig)e Weise verhandelt findet. (Kekke Schmidt) Gewalttaten, Orientierungslosigkeit. Abgesehen davon, dass die heile Welt noch nie dramaturgisch interessant war, wirkt die Kaputtheit mangels eigener Erfahrung oft „angeschafft“. Ob ein Autor überhaupt von einer Schule kommt oder nicht, lässt sich erkennen. Welche Schule es jedoch ist, dazu fehlt mir die genauere Kenntnis der jeweiligen Profile. Augenfällig sind hingegen die Autorenvorbilder. Da gibt es die kleinen Schimmelpfennigs, die Simon Stephens, die Jon Fosses – stilbildende Dramatiker, deren „Ton“ man abnimmt, ob bewusst oder unbewusst, bis ins Plagiatorische hinein. Um gewissermaßen trotzdem ein gutes Stück zu schreiben, muss man durch das, was man zu erzählen hat, aus dem Schatten des Bewunderten hinaustreten, eine eigene Notwendigkeit erkennen lassen. So erinnert eines meiner Lieblingsstücke, „Cotton Wool“ des jungen Briten Ali Taylor, von Milieu, Sprache und Geschichte her durchaus an sein Vorbild Simon Stephens. Die Figuren, die er schildert, wirken aber so „wahrhaftig“ – jetzt fragen Sie mich nur bitte nicht, woran man das festmacht! Bei allem analytischen Aufschluss, den man sich über die eigenen Kriterien zu verschaffen sucht, gibt es ein „Bauchgefühl“, das schwer zu beschreiben ist, aber bei der Beurteilung eine große Rolle spielt! –, die Entwicklung zwischen den Brüdern erscheint psychologisch so zwingend, dass man mögliche Vorbilder vergisst und in das vorliegende Stück hineingezogen wird. Wie der ältere Bruder den jüngeren sanft, aber bestimmt von seinen Illusionen weg in die Realität holt, ihm damit das Auseinanderfallen der eingebildeten Brüdersymbiose und den Abschied von der Kindheit zumutet, das ist, pardon, herzzerreißend. Da ist kein Wort zuviel und keins zuwenig. Auch die bleigraue Atmosphäre an dem öden Stück Strand, der „Cotton Wool“ weitgehend zum Schauplatz dient, ist förmlich zu spüren. Mag sein, dass da die Fremdheit der anderen Sprache hilft, dass man im Deutschen strenger ist; mag sein, dass sich der Zauber in der Übersetzung nicht übertragen lässt. Wenn ein Stück es schafft, eine eigene „Welt“ zu suggerieren, ein Klima, eine Temperatur – wieder lassen sich nur Metaphern dafür heranziehen –, dann ist schon viel gewonnen. Wenn einen dann noch die Figuren, die Konflikte interessieren, das Thema relevant ist, 36 hat es gute Chancen, dass man „dranbleibt“. Ist das Stück es wert, acht Wochen Proben, sprich: Lebenszeit damit zu verbringen? Dann erfüllt es das vielleicht wichtigste Kriterium für Relevanz. TdZ: Wenn so oft von der Rückkehr des politischen Theaters die Rede ist – zeigt sich so etwas wie ein engagiertes Schreiben auch bei der Stückemarkt-Auswahl? Feridun Zaimoglu: Ja, tatsächlich finden sich unter den Stücken politische Versuche, und man könnte eigentlich froh darüber sein. Ich bin es nicht. Wer engagiert schreibt, kann auf dem Schaum, den er sich vom Maul abwischt und der zu Boden tropft, ausrutschen. In den so genannten politischen Stücken erkannte ich eher Lehrstücke, es wird so getan, als reiche es aus, die Stirn vor Sorge in Falten zu legen. Am Ende ist Scheitern, das ist fast immer die Moral von der G’schicht. Ich habe mich gefragt, wieso die Moderne immer mit der Tragik der kleinen Leute verkoppelt wird. Das Unglück auf Erden ist ein christlich-konservatives Modell. Das Gegenteil zu versuchen, kann heilbar sein. Die Schönheit des Widerstands gegen den Dreck herauszustellen ist auch jenen zumutbar, denen der Gestank des Mülls in die Nase zieht. Ich fand die politisch motivierten Stücke harmlos, weil die Worte nicht böse funkelten. TdZ: Wenn ein Autor, Ihrer Meinung nach, „gescheitert“ ist: Woran lag das? Feridun Zaimoglu: Am Anfang steht der Wille, eine Geschichte zu erzählen, nicht viele Geschichten. Abgesehen von der Schwäche in Form und Gestaltung der Figuren haben es die, die es nicht geschafft haben, deshalb nicht geschafft, weil sie tausend Dinge in einem Stück unterbringen wollten. Tausend Nadeln im Nadelkissen. Welche Stücke sind gelungen? Die Stücke der Geschichtenerzählerinnen. An dieser Stelle ein Kompliment: Mir haben die Geschichten jener Frauen gefallen, die ihre Figuren böse-poetisch sprechen lassen. Harmonie ist die größte Lüge der bestehenden Ordnung. Wer Unbehagen verspürt, ist ein Melancholiker. Wer Gleiches mit Gleichem vergilt, in der Kunst, schreibt böse Märchen auf und ist eine Könnerin. TdZ: Was braucht ein neues Stück, damit Sie Lust haben, es zu inszenieren? Lars-Ole Walburg: Zunächst einmal keine anderen Attribute als ein altes Stück, es muss mich in irgendeiner Weise interessieren und ich muss von seiner künstlerischen Verdrängungsfähigkeit überzeugt sein. Aufgrund meiner Theaterprädestinierung habe ich zuerst ein inhaltliches Interesse. Das ist die für mich „lesbarste“ Oberfläche – wenn man so will. Mich interessiert erst einmal nicht, welche Form gewählt wurde, sondern ob ich beim Lesen das Gefühl bekomme, dass die Form ein adäquater Ausdruck für diesen speziellen Inhalt ist. Das schlägt sich also vor allem in der Themenwahl nieder. Mich ermüden die vielen Familienstücke in ihrer oft ausrechenbaren Figuren- und KonfliktanTdZ · Mai 2007 27.04.2007 14:43 Uhr Seite 37 SCHWERPUNKT Hauptteil Mai Donnerstag ordnung. Ich verstehe, weshalb dieser allen greifbare und naheliegende Kosmos immer wieder gewählt wird, aber er schafft es eben selten zu überraschen oder gar zu provozieren. Meine Bewunderung gilt deshalb eher den Versuchen, die sich an größere Zusammenhänge wagen, an gesellschaftliche Probleme, an politische Zustände, an historische Begebenheiten oder archetypische Beschreibungen. Das ist schwerer und das Scheitern liegt näher, aber mich macht es neugieriger und gespannter. Letztlich aber misst sich die Lust und das Nachdenken über die Umsetzung eines Textes auf dem Theater immer an seiner Qualität. Und da geht es um die Durchführung einer Handlung ebenso wie um die Zeichnung der Figuren, es geht um die Besonderheit der Sprache, um Poesie und und und. Wenn es ein Stück schafft, mich beim Lesen die Umsetzung vergessen zu lassen, dann ist das meist die beste Voraussetzung für die Lust auf eine Inszenierung. TdZ: Sie werden demnächst Feridun Zaimoglus und Günter Senkels „Schwarze Jungfrauen“ inszenieren und die „Migrantenhochzeit“ der türkischen Autorin Müserref Öztürk Çetindogan an als szenische Lesung einrichten. Worin liegt für Sie, als deutscher Regisseur, die Herausforderung, ein türkisches Stück zu inszenieren? Lars-Ole Walburg: Bei der Auswahl der „Migrantenhochzeit“ passierte das, was ich in der vorigen Frage zu beschreiben versucht habe. Ich habe beim Lesen nicht mehr aufgeschaut und war gespannt, wie die Autorin das mich fesselnde Handlungsgewirr zu welchem Abschluss bringen würde. Dabei kann man sich – und wir haben das in der Jury-Sitzung auch heftig getan – über viele Unzulänglichkeiten des Stückes unterhalten oder auch aufregen. Das liegt eben an der Betrachtungsweise und den sich daraus ergebenden Präferenzen, die ja bei jedem unterschiedlich ausfallen. Für mich entstand die eigentliche Herausforderung dabei erst nach der Entscheidung. Die Frage nämlich, weshalb wir ein türkisches Stück aussuchen, das eine türkische Hochzeit in Istanbul beschreibt. Warum es mich interessiert hat, ist sehr leicht zu beantworten. Verkürzt gesprochen, würde allein die Faszination an dieser fremden Welt als Erklärung schon ausreichen. Die eigentliche Frage aber ist: Muss ein solches Stück denn in Deutschland aufgeführt werden? Oder anders formuliert: Für welchen „Markt“ suchen wir denn beim Stückemarkt eigentlich Stücke? Auch darauf finde ich noch relativ leicht eine Antwort. Ja, das „Muss“ ist grundsätzlich schwer zu beantworten, aber das Stück kann zumindest aufgeführt werden, denn wenn es mich thematisch interessiert, warum sollte es dann anderen Menschen in diesem Land nicht so gehen? (Es wäre aber idiotisch zu glauben, mit dem Stück die türkische Community ins deutsche Stadttheater locken zu können.) Jetzt aber kommt die schwierigste Frage, die sich aus den beiden vorangestellten ergibt und die die wirkliche Herausforderung für den Regisseur betrifft: Wer TdZ · Mai 2007 spielt dieses ins Deutsche übersetzte Stück? Denn anders als bei Tschechow, wo sich viele Inszenierungen ja auch heute noch schwer tun mit der Umgehung von „Russen-Kitsch“, ist diese Sorte der beiden oben genannten neuen Stücke inhaltlich zutiefst abhängig von der beschriebenen Materie. Kann das ein deutscher Schauspieler, eine deutsche Schauspielerin leisten? Oder sollen diese Stücke (wie jüngst im Berliner HAU in Neco Çeliks Inszenierung von „Romeo und Julia“ gesehen) Türken spielen? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist nicht leicht. Sie wird uns in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen, wenn wir das Theater als lebendige Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Wirklichkeit begreifen und sie wird keine eindeutigen, allgemeingültigen Antworten hervorbringen. Folklore, Authentizität, Glaubwürdigkeit, Realismus – all das sind Reibungsflächen, auf die jeder Regisseur in seiner Art antworten muss. Ich werde mich in meiner Inszenierung von Zaimoglus und Senkels „Schwarzen Jungfrauen“ für deutsche Schauspieler und gegen den Realismus entscheiden. Händl Klaus: 1969 in Rum / Tirol geboren, Schauspieler und Autor in Wien, Berlin, Port; Iris Laufenberg: 1966 in Köln geboren, seit 2003 Leiterin des Berliner Theatertreffens; Kekke Schmidt: 1960 in Turin/Italien geboren, Dramaturgin am Staatstheater Stuttgart; Lars-Ole Walburg: 1965 in Rostock geboren, seit 2006 freier Regisseur in Wien; Feridun Zaimoglu: 1964 in Bolu /Türkei geboren, Autor in Kiel Leitung des Berliner Stückemarktes Yvonne Büdenhölzer Die Jury bei der Arbeit (im Uhrzeigersinn): Iris Laufenberg, Lars-Ole Walburg, Händl Klaus, Feridun Zaimoglu, Kekke Schmidt, Friederike Jäcksch (verdeckt, Assistentin), Yvonne Büdenhölzer. Fotos Frederic Lezmi 37