Examinatorium Faelle 1
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Examinatorium Faelle 1
Examinatorium Strafrecht A AT Fälle 1‐15 _____________________________________________________________________________________ Fälle 1‐15 Fall 1 (Szene aus dem Film „Pulp Fiction“): Während der Rückfahrt vom Tatort eines Auftragsmordes hält Vincent Vega (V) auf dem Beifahrersitz einem geistig etwas schwerfälligen Komplizen Marvin (M) auf der Rückbank eine Standpauke, wobei er mit der geladenen und gespannten Pistole herum‐ fuchtelt, den Finger am Abzug. Als der Wagen über eine leichte Bodenwelle fährt, löst er ungewollt einen Schuss aus, der den M mitten ins Gesicht trifft. Inwiefern können wir in dieser Szene von einer Handlung sprechen, an der wir die Strafbarkeitsprüfung anknüpfen? Fall 2: T spaziert mit der O über eine Wiese. Gerade als er O küssen will, stößt T gegen einen elektri‐ schen Weidezaun, zuckt zusammen und schlägt der O mit der Faust einen Vorderzahn aus. Hat er sich strafbar gemacht? Fall 3: Autofahrerin A durchfährt bei geöffnetem Fenster eine leichte Rechtskurve. Als ihr ein Insekt gegen das Auge fliegt, wehrt sie es mit einer Hand ab, während sie mit der anderen das Lenkrad fest‐ hält. Die ruckartige Abwehrbewegung überträgt sich auf den Körper der A und von dort auf das Lenk‐ rad, weshalb das Auto nach rechts von der Fahrbahn abkommt, der A außer Kontrolle gerät, auf die Gegenfahrbahn schleudert und mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenstößt. Die Bei‐ fahrerin B im entgegenkommenden Fahrzeug wird verletzt (OLG Hamm, NJW 1975, 657 – Sachverhalt vereinfacht). Strafbarkeit der A? Fall 4: A und B kippen dem O unabhängig voneinander eine jeweils sofort tödlich wirkende Dosis Gift in den Kaffee. O trinkt und stirbt. Strafbarkeit von A und B? Abwandlung 1: A und B kippen dem O unabhängig voneinander jeweils eine zu geringe Menge Gift in den Tee. Zusammen reicht die Dosis jedoch für den Erfolgseintritt. Abwandlung 2: A und B schießen unabhängig voneinander dem O ins Herz. Jeder Schuss wäre für sich gesehen tödlich, es lässt sich jedoch nicht ermitteln, welcher Schuss den O zuerst ins Herz getrof‐ fen hat. Fall 5: C droht zu ertrinken. B ist willens und fähig, ihn zu retten, was ihm auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gelungen wäre, hätte ihn nicht A daran mit vorgehaltener Pistole gehindert. C ertrinkt. Strafbarkeit von A? Fall 6: Der mit A befreundete, als Konsument harter Drogen ortsbekannte H besitzt Heroin, aber kei‐ ne Spritzen mehr. Auf seine Bitten besorgt A Einwegspritzen und jeder setzt sich einen „Schuss“, wo‐ bei ihnen das Gefährliche ihres Tuns beiden bewusst ist. Als der später verständigte Notarzt eintrifft, ist A immer noch bewusstlos und H bereits tot (BGHSt 32, 262). Strafbarkeit des A nach dem StGB? Fall 7: Der mit O verheiratete T hat ein Verhältnis mit D, der er mehrfach gesagt hat, sie beide könn‐ ten erst glücklich werden, wenn O sterbe. Als T die D darum bittet, beschafft sie ihm ein Gift, mit dessen Hilfe er die O vergiftet. Die Einlassung der D, sie sei arglos gewesen (bzw. habe ihm geglaubt, dass er seiner Ehefrau nichts antun werde), blieb unwiderlegt (RGSt 64, 370). Strafbarkeit der D? _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 1 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A AT Fälle 1‐15 _____________________________________________________________________________________ Fall 8: L fährt seinen LKW mit einem Seitenabstand von 0,75 m an dem stark alkoholisierten Radler R (BAK 1,96 ‰) vorbei. R gerät mit dem Kopf unter die rechten Hinterräder des Anhängers. Gutachter stellen – zur Überzeugung des Berufungsgerichts – fest, dass der Unfall mit tödlicher Folge für R sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei sorgfaltspflichtgemäßem Verhalten des L (Abstand von 1‐1,5 m; § 1 StVO [vgl. auch § 5 IV StVO]) ereignet haben würde (BGHSt 11, 1). Strafbarkeit des L? Fall 9: A hat in den PKW des X eine Autobombe eingebaut, die er mit der Zündanlage verbindet, auf dass sich der verhasste Konkurrent beim Starten selbst ins Jenseits befördere. Um eine Gefährdung Dritter zu vermeiden, behält A den Wagen im Auge. Als X gerade in das Auto eingestiegen ist und es starten will, erscheint B und schießt auf X, der hierdurch schwer verletzt wird. Der mit seinem Strei‐ fenwagen zufällig vor dem Auto des X haltende P erkennt, dass schnelle Hilfe geboten ist; er zieht X aus dem Auto, bringt ihn in den Streifenwagen, lagert ihn sachgerecht und fährt mit Blaulicht und Sirene in Richtung Unfallklinik. 1. Wie ist die Frage der Verursachung jeweils zu beurteilen, wenn a) X im Streifenwagen infolge des Blutverlustes die Besinnung verliert, sich übergibt und am Erbrochenen erstickt? b) der Streifenwagen von dem Auto des die Vorfahrt und die Signale missachtenden F gerammt und X hierdurch tödlich verletzt wird? c) X nach gelungener Operation an einer ärztlich nicht beherrschbaren Wundinfekti‐ on stirbt? d) X kurz vor seiner Entlassung von einem über seine Kündigung in Wut geratenen, Amok laufenden Krankenpfleger K erschlagen wird? e) X im Krankenhaus einem Deckeneinsturz zum Opfer fällt? f) X nur deshalb stirbt, weil er – sich der Folge bewusst – eine lebenserhaltende Ope‐ ration verweigert? g) X nur deshalb stirbt, weil dem Operateur O ein Kunstfehler unterläuft? 2. Kann, wenn die Kausalität des Verhaltens des B zu bejahen war, der objektive Tatbestand i.E. gleichwohl noch verneint werden, und wie wäre das begründbar? Fall 10: Auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch ist A durch einen Verkehrsstau aufgehalten worden. Um die verlorene Zeit wieder aufzuholen, überholt er auf schmaler Landstraße trotz Über‐ holverbots kurz vor einer Bergkuppe einen Lastzug. Er stößt mit einem entgegenkommenden Motor‐ rad zusammen und verletzt dessen Fahrer M tödlich. A hatte zwar die Gefahr erkannt, dass ihm wäh‐ rend des Überholvorgangs ein Fahrzeug entgegenkommen könnte, dem er angesichts der Straßen‐ verhältnisse nicht mehr würde ausweichen können; gleichwohl hatte er sich zum Überholen ent‐ schlossen im Vertrauen darauf, es werde schon gut gehen. Strafbarkeit des A? _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 2 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A AT Fälle 1‐15 _____________________________________________________________________________________ Fall 11: F und K befinden sich in einer auf den Einsatz der beiderseitigen Körperkräfte beschränkten Auseinandersetzung. A fährt mit seinem Auto auf die Streitenden zu; er will F verletzen und dadurch kampfunfähig machen. Als er in einem Winkel von ca. 45 Grad auf den Bürgersteig fährt, merkt K, was A vorhat und springt zur Seite. F seinerseits versucht hochzuspringen, um dem erwarteten Auf‐ prall zu entgehen, wird aber am rechten Unterschenkel erfasst und zwischen dem Auto und einer Hauswand eingequetscht. Hierbei wird er erheblich verletzt. A setzt den Wagen zurück, so dass F zu Boden fällt, fährt sodann nochmals vorwärts, erneut auf den Gehweg, aber an dem dort liegenden F vorbei, ohne ihn zu berühren (BGH, NStZ 1984, 19; s. auch BGH, NStZ 2001, 475). Strafbarkeit des A gemäß §§ 212 I, 22, 23 I, 12 I? Fall 12: Bei einer Treibjagd lauert T seinem Erbonkel O auf, dessen Erbe er in Folge eines manipulier‐ ten „Jagdunfalls“ früher antreten möchte. Im diffusen Zwielicht der Morgendämmerung glaubt er, seinen Onkel erkannt zu haben (denkt: „Oha, der O kommt!“). Zielt jedoch auf den Jagdgast U und trifft diesen tödlich. Strafbarkeit des T? Fall 13: A will B beseitigen und lauert an einem Winterabend, mit einem Gewehr bewaffnet, dem B auf, der, wie A weiß, immer mit einer auffälligen, weil merkwürdig geformten Pelzmütze bekleidet ist. Als zwei Personen sich nähern, zielt A, ein ausgezeichneter Schütze, aus einer Entfernung von 40m auf den Pelzmützenträger, in dem er B zu erkennen glaubt, und schießt. Das Geschoss trifft und tötet jedoch zum Entsetzen des A nicht den Anvisierten, sondern dessen Begleiter. Während der Pelzmützenträger in Panik das Weite sucht, nähert A sich der Leiche. Zu seiner Überraschung stellt er fest, dass er doch B getötet hat. Dieser hatte seinem frierenden Begleiter F die Mütze für den ge‐ meinsamen Heimweg überlassen. Strafbarkeit des A? Fall 14: Um den R zu töten, bringt M unter dem VW‐Passat des R eine Handgranate mit einer Zuglei‐ tung so an, dass bei einer Radumdrehung der Zündring der Granate gelöst wird und diese detoniert. An diesem Morgen hat sich jedoch R’s Ehefrau E den Wagen geliehen, welche getötet wird, als sie mit dem Auto losfährt (BGH, NStZ 1998, 294; stark vereinfacht). – Strafbarkeit des M? Fall 15: Die A stopft im Verlauf eines Streites der B Sand in den Mund, um sie am Schreien zu hin‐ dern, wobei sie auch deren Tod in Kauf nimmt. Sie hält die nach dieser Aktion regungslos Daliegende für tot und wirft sie in eine Jauchegrube, wo B sodann ertrinkt. Das Schwurgericht hatte seinerzeit vollendeten Totschlag bejaht. Zur Begründung hatte es ausgeführt, es liege ein die ganze Tat durch‐ ziehender „Generaldolus“ vor. Der bedingte Tötungsvorsatz habe das gesamte Vorgehen der A be‐ herrscht, beginnend mit der Verhinderung des Schreiens und endend mit der Versenkung ihres Op‐ fers in die Jauchegrube (nach BGHSt 14, 193). Strafbarkeit der A? _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 3 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster