2|2012 - Bertelsmann Stiftung
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2| 2012 Ein Newsletter der Bertelsmann Stiftung und der BARMER GEK Editorial Erinnern Sie sich noch an Chefarzt Prof. Klaus Brinkmann? Oder an Dr. Stefan Frank, den Arzt, dem die Frauen vertrauen? Sie waren die Hauptdarsteller der populären Arzt-Serien aus den 80er und 90er Jahren. Sie spiegelten ein Arztbild, welches im Hinblick auf Professionalitäts- und Persönlichkeitsmerkmale unantastbar erschien: stets fachlich kompetent, moralisch korrekt, sensibel, höflich, dazu selbstsicher und anerkannt. Auch in der Realität wird Ärzten seit vielen Jahren ein ähnlich hohes Berufsprestige von der breiten Bevölkerung zugesprochen. Kaum ein anderer Beruf – ausgenommen vielleicht der des Fußballnationalspielers – zieht ein so großes Interesse der Bevölkerung auf sich wie der des Arztes. Dies ist auch gut nachvollziehbar: Den von Ärzten erbrachten Leistungen wird schließlich eine zentrale Bedeutung für die persönliche Gesundheit und Lebensqualität zugeschrieben. Mussten sich jedoch die fiktiven Doktoren in ihren 45-minütigen Episoden nie mit ökonomischen Restriktionen, Fragen der Versorgungsqualität oder permanentem Zeitmangel auseinandersetzen, stellt sich heute die ernsthafte Frage, ob die veränderten Rahmenbedingungen des Arztberufes das Vertrauen in den Berufsstand beeinflussen. Unsere Befragungsergebnisse machen deutlich, dass sich das Ärzteimage verändert. So rangieren Hebammen und Krankenschwestern bei der Frage „nach dem Vertrauen in die Berufsgruppe“ heute vor den Ärzten. Wichtiger als das Ranking ist den Autoren dieses Newsletters, Magnus Heier und Gerd Marstedt, aber die Frage, wodurch das Ärzteimage beeinflusst wird und welche Folgen ein weiterer zunehmender Imageverlust hat. In wieweit die vermittelten Arztbilder im Fernsehen zum Image beitragen, wird der Newsletter nicht beantworten. Leicht hätten es unsere Serienärzte aus den 80ern und 90ern im Jahr 2012 sicher nicht. Denn: Informierte Patienten, die eine gemeinsame Entscheidungsfindung einfordern und den „Halbgott in Weiß“ mit einer „gesunden“ Skepsis hinterfragen, tun sowohl dem Behandlungsergebnis als auch den Ärzten gut. Wir wünsche Ihnen eine spannende Lektüre! Das Ärzteimage in der Bevölkerung: Im Schatten von „IGeL“ und „Zweiklassenmedizin“ Magnus Heier, Gerd Marstedt Ausgangslage Das „Ärzteimage“ oder das „Berufsprestige“ von Ärzten bezeichnet das Ansehen dieser Berufsgruppe in der Öffentlichkeit. Erfasst wird es zumeist in Bevölkerungsumfragen der großen Meinungsforschungsinstitute aus Berlin, Bielefeld oder Allensbach. In den alljährlich veröffentlichten Meldungen hierzu zeigt sich seit einer Dekade fast unverändert, dass der Arztberuf auf Platz 1 steht und „damit unangefochten die Liste der am meisten geachteten Berufe anführt“ (Institut für Demoskopie Allensbach 2011). Nicht ganz so abgehoben fallen Ergebnisse der Image-Umfrage „Reader‘s Digest European Trusted Brands 2010“ aus. Ärzte rangieren dort „nur“ auf Platz 5 der 20 vorgegebenen Berufe, hinter Feuerwehrleuten und Piloten – und auch noch hinter den Heilberufen der Apotheker und Krankenschwestern (Reader’s Digest 2011). Auch ein zeitlich längerer Rückblick und Vergleich zwischen den Jahren 1966 und 2001 deutet zumindest moderate Image-Verluste an (Donsbach 2003). In den Medien finden sich bisweilen sehr drastische Zuspitzungen dieser Entwicklung; abgeleitet wird daraus eine nachhaltige Vertrauenskrise: „Das Arzt-Patienten-Verhältnis krankt: Sekundengespräche im Behandlungszimmer, aufgeschwatzte privat zu bezahlende Vorsorge-Leistungen ohne nennenswerten Nutzen, übermüdete Ärzte im Krankenhaus, personelle Unterbesetzung: Das Vertrauen in die Ärzte sinkt“ (Südwestdeutscher Rundfunk 2010). Gibt es tatsächlich einen nachhaltigen Vertrauensverlust in die Ärzteschaft oder skandalisieren einige Medien Einzelfälle von Abrechnungsbetrug und ebenso spektakuläre wie seltene „Kunstfehler“ von Ärzten zugunsten ihrer Auflage? Betrachtet man Medienberichte der letzten Jahre über die medizinische Versorgung und ärztliches Handeln, so lassen sich allerdings einige Entwicklungen benennen, die möglicherweise auch das Image der Ärzteschaft bei der Bevölkerung verändert haben. gesundheitsmonitor Zu nennen sind hier: n Die Ungleichbehandlung von Privat patienten und Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), zumindest was Wartezeiten betrifft. Befragungsdaten deuten an, dass eine schlechtere Behandlung von Kassen patienten sogar bei der Qualität der medizinischen Behandlung wahr genommen wird (Gesundheitsmonitor Newsletter 3/2009). n Die zunehmende Verbreitung von Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeLLeistungen) in der Praxis niedergelassener Ärzte hat möglicherweise einen Vertrauensverlust bewirkt – zumindest deuten frühere Umfragen dies an. n Die Streiks (zuletzt 2006) und Streikandrohungen der Ärzte sind unterschiedlich interpretierbar: als Maßnahme zur Verbesserung der Versorgungsbedingungen von Patienten (vermittelt über bessere ärztliche Arbeitsbedingungen) einerseits, aber auch als Versuch einer Durchsetzung ökonomischer Interessen auf dem Rücken von Versicherten und Patienten. Es gibt weitere Aspekte, wie die Häufung von Abrechnungsbetrugsfällen – der jüngste Skandal um ein Krebsmedikament, für dessen Verschreibung der Hersteller den Ärzten Prämien gezahlt haben soll, ist nur das aktuellste Beispiel unter vielen. Zu nennen sind hier aber auch Terminprobleme für Patienten am Quartalsende, die ärztlicherseits mit Hinweisen auf ein erschöpftes Budget begründet werden (Himmel et al. 2011); Medienberichte über medizinisch überflüssige und riskante Unter suchungs- und Behandlungsmethoden, die „Landflucht“ der Ärzte und damit die außerhalb von Städten oft nicht wiederbesetzbaren und schon in naher Zukunft fehlenden Arztpraxen mit der Folge langer Wartezeiten auf Arzttermine und sehr weiter Patientenwege. 2 Die Frage nach dem Ärzteimage erhält damit eine gravierende Zuspitzung: Wird ärztliches Handeln in der Bevölkerung zunehmend so erlebt, dass es eher von Verdienstinteressen als von Bemühungen um das Patientenwohl geleitet ist? Überprüfbar wird auch, ob das Image einer Berufsgruppe eher ein weitgehend stabiles Stereotyp ist oder ein durch eigene Erfahrung wandelbares Deutungsmuster. Diese Frage ist nicht nur für Meinungsforscher, für Kultur- und Sozialwissenschaftler von Interesse. Damit verknüpft sind auch relevante gesundheitspolitische Fragen: Lässt sich das zunehmende Interesse an „alter nativer“ Medizin ebenfalls erklären aus einem Imageverlust der (überwiegend schulmedizinisch orientierten) Ärzteschaft? Ist eine starke Einflussnahme ärztlicher Interessenverbände auf gesundheitspolitische Entscheidungen auch dann noch denkbar, wenn Patienten zunehmend den Eindruck haben, ihrem Arzt gehe es primär um sein Einkommen und weniger um ihre Gesundheit? Und wenn das Vertrauen in Ärzte, in ihre persönliche Kompetenz und Integrität sinken sollte, wird dann nicht der Therapieerfolg in vielen Fällen schon dadurch infrage gestellt, dass der Placebo-Effekt, der Teil jeder Behandlung ist, zunehmend bröckelt? In diesem Newsletter untersuchen wir auf Basis der Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 1.772 Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren, die im Frühjahr 2012 durchgeführt wurde, das Ärzteimage in der Bevölkerung. Ziel ist es, das derzeitige Profil des Ärzteimages in Deutschland etwas differenzierter und inhaltlich präziser zu analysieren, als dies in der Allensbach-Meldung zum Ausdruck kommt. Dabei werden folgende Fragestellungen untersucht: n Wurden die oben skizzierten Entwick lungen wie Ärztestreik, zunehmende Verbreitung von IGeL-Leistungen und „Zwei-Klassen-Medizin“ tatsächlich persönlich erfahren und als problematisch bewertet? Wenn ja, wird dahinter eher ein strukturelles gesundheitspolitisches Problem gesehen (ökonomische Restriktionen) oder eher ein ärztliches Fehlverhalten zulasten von Patienten? n Wie sieht das Berufsprestige der Ärzte im Vergleich zu anderen Berufen und anderen Heilberufen aus? Gibt es Unterschiede, wenn man einzelne Fachdisziplinen oder Beschäftigungs situationen betrachtet? n Ist das Ärzteimage bei allen Bevölkerungsgruppen in etwa gleich, unab hängig davon, ob es sich um Kranke oder Gesunde, Arme oder Reiche, Männer oder Frauen handelt? Handelt es sich dabei eher um ein Stereotyp, also ein durch konkrete Erfahrungen nicht nennenswert beeinflussbares Wahrnehmungsmuster, oder zeigen sich relevante Zusammenhänge zu persönlichen Erfahrungen im Versorgungssystem? Praktizieren Ärzte eine „Zwei-KlassenMedizin“? Dem Begriff der „Zwei-Klassen-Medizin“ haftet ein klassenkämpferischer Unterton an. Allerdings hat auch eine Umfrage bei mehr als 500 niedergelassenen Haus- und Fachärzten sowie bei Klinik ärzten gezeigt, dass 61 Prozent (Klinik ärzte) und 76 Prozent (niedergelassene Hausärzte) der Meinung sind, es gebe in Deutschland schon jetzt eine „ZweiKlassen-Medizin“. Und von denjenigen Ärzten, die dies aktuell noch nicht so sehen, meint knapp die Hälfte, es würde in den nächsten Jahren dazu kommen (NAV-Virchow-Bund 2009). Auf die jetzt in der Befragung im Gesundheitsmonitor gestellte Frage „Alles in allem genommen: Gibt es bei uns in Deutschland nach Ihrer persön lichen Erfahrung derzeit eine „Zwei- Klassen-Medizin?“ antworten 19 Prozent Ein Newsletter der Bertelsmann Stiftung und der BARMER GEK 3 der befragten Versicherten „in sehr starkem Maße“, 52 Prozent sagen „teilweise“, 14 Prozent „nur in Ausnahmefällen“ und drei Prozent „gar nicht“. Elf Prozent trauen sich kein Urteil zu („weiß nicht“). Dabei zeigen sich, nicht unbedingt erwartungsgemäß, nur minimale Unterschiede zwischen Kassen- und Privatversicherten. In beiden Gruppen stimmen fast drei Viertel der Befragten (71 %) der These einer Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland entweder voll oder zumindest teilweise zu. Worin zeigt sich nun aus Sicht der Bevölkerung diese Ungleich behandlung im Detail? Vermutete Nachteile von Kassenpatienten Befragte, die sagen, dass das jew. Merkmal „auf jeden Fall“ oder „eher“ zutrifft (in Prozent) Deutlich wird aus Abbildung 1: Nicht nur bei Wartezeiten – häufig als weniger relevant und „Komfort“-Merkmal bezeichnet – vermuten Patienten eine Ungleichbehandlung. Auch für mehrere Aspekte der Behandlungsqualität selbst werden Unterschiede betont, die teilweise sehr groß, teilweise eher gering aus fallen. Bestimmte Facetten der Ungleichbehandlung von Patienten nur aufgrund ihrer Krankenversicherung werden dabei häufiger von GKV-Versicherten betont. Dazu zählt das Merkmal längerer Wartezeiten – auf einen Sprechstundentermin ebenso wie die Wartezeit in der Praxis –, die „Zeit, die man sich für den Patienten nimmt“ oder die „Berück sichtigung neuester medizinischer Erkenntnisse“. Bessere Medikamente Eine in den Medien eher selten beleuchtete Facette des Themas Zwei-KlassenMedizin ist die Überversorgung von Privatpatienten sowohl im Bereich der Diagnostik als auch der Therapie (ausführlich dazu Heier 2007). Auf die Frage „Haben Sie bei sich selbst oder bei privat versicherten Angehörigen oder Freunden schon erlebt, dass Folgendes beim Arzt gemacht wurde, anscheinend nur, weil der Patient privat versichert war?“ antwortet von den befragten PKV-Versicher- Wartezeiten auf einen Arzttermin 81 84 Wartezeiten in der Arztpraxis 62 77 Zeit, die man sich für 66 den Patienten nimmt 69 Berücksichtigung neuester 61 medizinischer Erkenntnisse 66 50 (Wirksamkeit, Nebenwirkungen) 57 Sorgfalt, Gründlichkeit bei der 25 Untersuchung 51 Freundlichkeit der Ärzte 22 34 PKV-Versicherte GKV-Versicherte nur GKV- und vollständig PKV-Versicherte, ohne Beamte mit Beihilfeberechtigung Quelle: Gesundheitsmonitor 2012, 20. Erhebungswelle, n= 1.416 –1.630 Abbildung 1 ten eine nicht unerhebliche Zahl, dass sie unnötige medizinische Verordnungen schon über sich ergehen lassen mussten. Besonders drastisch ist dabei (ohne Abbildung) die Einschätzung von acht Prozent aller Befragten, die letztlich überflüssige Operationen bei sich selbst oder bei Bekannten erlitten haben – nur aufgrund ihres privaten Versicherungsstatus. Als überflüssig wurden Untersuchungen – vor allem Labor-, Ultraschall-, Röntgen- oder Kernspinuntersuchungen – von jeweils einem Fünftel der Befragten erlebt, überflüssige Arzttermine „zur Kontrolle“ von fast einem Drittel. Insgesamt hat knapp die Hälfte der Privat patienten (44 %, n=106, ohne beihilfe berechtigte Beamte in der PKV) schon eines der im Fragebogen vorgegebenen Verfahren persönlich mitgemacht und dabei als unnötig erlebt. Viele Privat patienten werden sich daher die Frage stellen, ob ihr Arzt bei Diagnosen und Therapien immer nur nach medizinischen Kriterien verfährt. Hier beginnt sich der Begriff der Zwei-KlassenMedizin ins Gegenteil zu verkehren. Es bleibt weiteren Befragungen vor behalten zu erkennen in welchem Maße gesundheitsmonitor 4 Annahmen über Motive von Ärzten zur Besserstellung von Privatpatienten (in Prozent) Private Krankenkassen bezahlen Leistungen eher. Gesetzl. Krankenkassen sparen bei ärztlicher Vergütung zu sehr. Finanzielle Interessen sind Ärzten wichtiger als ihre Patienten. 54 37 54 36 51 35 49 40 Dies ist ein bemerkenswertes Patientenurteil: Geld ist den Ärzten danach oft wichtiger als die Gesundheit ihrer Patienten. Gleichzeitig zeigen dann aber auch neun von zehn Befragten zumindest teilweise Verständnis für die Ärzte, indem sie die Schuld an der Zwei-Klassen-Medizin den Gesetzlichen Krankenkassen zuschieben, die bei der ärztlichen Vergütung „zu sehr sparen“. Ärztestreik und das sogenannte „IGeLn“ 31 5 17 Ärzte können nur so einen angemessenen Verdienst erzielen. 0 42 40 47 39 48 20 40 Befragte, die völlig zustimmen (PKV-Versicherte) Befragte, die eher zustimmen (PKV-Versicherte) Befragte, die völlig zustimmen (GKV-Versicherte) Befragte, die eher zustimmen (GKV-Versicherte) 60 80 100 nur GKV- und vollständig PKV-Versicherte, ohne Beamte mit Beihilfeberechtigung Quelle: Gesundheitsmonitor 2012, 20. Erhebungswelle, n = 1.250 –1.384 Abbildung 2 Privatpatienten diese Überversorgung nicht nur als unnötig, sondern auch als Gesundheitsrisiko empfinden. Welche Annahmen haben Versicherte über die Ursachen der Zwei-KlassenMedizin? Wollen Ärzte einfach mehr Geld ver dienen oder liegt es am System? Die Abbildung 2 weist auf zwei Befunde hin: n Zum Ersten sind hier nur in einem Aspekt Differenzen zwischen Kassenund Privatpatienten erkennbar: Dass Ärzte ihre Verdienstmöglichkeiten höher gewichten als das Patientenwohl, glauben GKV-Versicherte signifikant öfter (59 %) als PKV-Mitglieder (36 %). Bei allen anderen Statements gibt es keine statistisch signifikanten Diffe renzen zwischen beiden Gruppen. n Zum Zweiten werden strukturelle Ursachen noch häufiger genannt als persönliche Interessen der Ärzte. Etwa neun von zehn Befragten heben in diesem Kontext die Sparmotive der GKV und die größere Zahlungsbereitschaft der PKV hervor. Die Besserstellung der Privatpatienten interpretieren die meisten Versicherten – ausdrücklich auch die GKV-Versicherten – als eine Art legitimer Notwehr der Ärzte zur Sicherung eines angemessenen Einkommens, sogar dann, wenn sie auf Kosten der Patienten geht. Im Jahr 2006 fand zuletzt ein Ärztestreik in Deutschland statt. Nach vielen Groß demonstrationen legten an deutschen Universitätskliniken und kommunalen Krankenhäusern etwa 14.000 Ärzte die Arbeit nieder, um gegen die aus ihrer Sicht unzumutbaren Arbeitsbedingungen und für eine bessere Bezahlung zu kämpfen. Es wurde untersucht, ob dieses Ereignis noch in den Köpfen der Befragungsteilnehmer präsent ist und wie diese den Arbeitskampf bewerten. Es zeigt sich: Die Ärztestreiks aus dem Jahr 2006 sind sehr vielen Befragten noch präsent, 56 Prozent erinnern sich an Berichte im Fernsehen und in Zeitungen über dieses Ereignis. Die große Mehrheit befürwortet ein Streikrecht auch für Ärzte zur Durchsetzung ihrer Interessen und erkennt darin sogar positive Nebeneffekte für Patienten (Abbildung 3). Drei Ergebnisse sind hier festzuhalten: Zum Ersten wird ein Streik als Grundrecht für alle Erwerbstätigen wahrgenommen, einbegriffen sind damit auch Ärzte. Zum Zweiten wird das Streikrecht überraschenderweise nicht (wie in der Rechtsprechung) auf abhängig Beschäftigte beschränkt, sondern auch niedergelassenen Ärzten, also Selbst ständigen, zugebilligt. Zum Dritten sieht nur die Hälfte der Befragten in Streiks eine Interessenkollision, die zulasten der Patienten geht. Ein Newsletter der Bertelsmann Stiftung und der BARMER GEK 5 Ein zweiter Aspekt, den wir in diesem Kontext angesprochen haben, betrifft Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL). Frühere Befragungsergebnisse deuten hier Kritik der Patienten an. Auf die Frage „Wird das Verhältnis zwischen Arzt und Patient durch das zusätzliche Angebot privater, individueller Gesundheitsleistungen verbessert oder verschlechtert?“ sagten in einer Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) 76 Prozent „verschlechtert“ (Zok und Schuldzinski 2005). Und in einer Studie im Auftrag der Kassen ärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bewerteten 19 Prozent der befragten Patienten die Bedenkzeit beim IGeLAngebot als zu kurz (Protschka und Rieser 2011). Verbraucherzentralen, aber auch der Spitzenverband der GKV artikulieren die Kritik an oft fragwürdigen Leistungen, zu denen Patienten überredet würden. Der vom Spitzenverband der GKV in Auftrag gegebene IGeL-Monitor soll daher im Internet Patienten aufklären und vor unnötigen medizinischen Verfahren und damit verbundenen Kosten bewahren. Dabei ist zu betonen: IGeL sind alle Leistungen, die der Gemeinsame Bundesausschuss (bisher) nicht als sinnvolle medizinische Leistung eingeordnet hat – unter dem Begriff IGeL kann der Arzt jede denkbare medizinische Leistung anbieten. Eine Kontrolle findet nicht statt. In der Befragung wurde daher auch thematisiert, ob die Teilnehmer schon persönliche Erfahrungen mit solchen Angeboten haben und wie sie Indi viduelle Gesundheitsleistungen bewerten. Zunächst wird deutlich, dass etwa zwei Drittel der Befragungsteilnehmer (66 %) schon einmal IGeL-Leistungen angeboten wurden, darunter 18 Prozent einmal und 48 Prozent mehrfach. Nur etwa jeder Vierte (27 %) hat das Angebot abgelehnt. Bewertung der Ärztestreiks (in Prozent) Wie alle Erwerbstätigen dürfen auch Ärzte für ihre Interessen kämpfen. Das ist moralisch in Ordnung, denn bessere Arbeitsbedingungen für Ärzte sind auch gut für Patienten. stimme völlig zu stimme eher zu 35 15 12 stimme eher nicht zu 7 2 47 42 Ärzte tragen damit finanzielle Interessen auf dem Rücken von Patienten aus. Angestellten Ärzten steht das zu, niedergelassenen Ärzten mit eigener Praxis nicht. 42 49 25 8 3 40 43 9 20 stimme gar nicht zu (Antwort „weiß nicht“ weggelassen) Quelle: Gesundheitsmonitor 2012, 20. Erhebungswelle, 18. Erhebungswelle, n=1.729 –1.756 Abbildung 3 28 Prozent haben die Leistung einmal akzeptiert und selbst bezahlt, bei weiteren 44 Prozent geschah dies mehrfach. Welche Meinung haben Befragungs teilnehmer nun zu diesem aus eigener Tasche zu bezahlenden Versorgungs angebot? ensverhältnis zwischen Arzt und Patient belastet werde. Nicht ganz die Hälfte der Bevölkerung sieht also Risiken für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und bewertet das Angebot in der Arztpraxis als eher verdienst- denn therapieorientiert. Die Antworten (Abbildung 4) sind nicht völlig konsistent, was auf eine Unsicherheit der Beurteilung und eine teilweise noch unzureichende Informationsbasis hinweist. Einerseits glauben fast neun von zehn Befragten, dass die IGeL-Angebote von den Kassen nicht bezahlt werden, (nur) weil diese Geld sparen wollten. Über 80 Prozent stimmen der These zu, IGeL-Leistungen seien gut, aber zu teuer. Andererseits denken 44 Prozent der Versicherten, Kassen- wie Privatpatienten gleichermaßen, dass diese Leistungen größtenteils medizinisch überflüssig sind. Und eine ähnlich große Gruppe meint, dass es den Ärzten um Geld und nicht um Gesundheit gehe, und dass durch IGeL-Angebote das Vertrau- Das Vertrauen in Ärzte und andere Berufsgruppen Die Allensbacher Berufsprestige-Frage thematisiert die Wertschätzung und Achtung vor dem Arztberuf: „Könnten Sie bitte die fünf Berufe heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Achtung haben?“ Als Ergebnis zeigte sich zuletzt: Den Arzt nennen 82 Prozent, die Krankenschwester 67 Prozent, den Lehrer 42 Prozent. Ganz unten rangieren mit jeweils vier Prozent der Nennungen: Politiker, Banker/ Bankangestellter und Fernsehmoderator (Institut für Demoskopie Allensbach 2011). Die Art der Frage dürfte eher die gesellschaftliche Reputation anspre- gesundheitsmonitor 6 Meinungen zu Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) nach GKV- oder PKV-Versicherung Befragte, die völlig oder eher zustimmen (in Prozent) Die Kassen bezahlen sie nicht, weil sie um jeden Preis Kosten senken wollen. 86 88 81 Sie sind gut, aber zu teuer. 81 82 74 Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird dadurch verschlechtert. 45 46 34 Sie sind medizinisch größtenteils überflüssig. 44 44 38 Ärzte wollen damit in erster Linie Geld verdienen – ihnen geht es dabei nicht um Gesundheit. 41 42 33 Die Kassen bezahlen sie nicht, weil sie überflüssig sind. 32 32 21 alle GKV-Versicherte PKV-Versicherte Quelle: Gesundheitsmonitor 2012, 20. Erhebungswelle, n=1.401–1.519 Abbildung 4 chen, ein Merkmal, über das zuletzt in besonders negativer Form bei einigen Spitzenpolitikern diskutiert wurde. In diese Operationalisierung des Ärzte images fließen dann auch Aspekte ein wie das Bildungsniveau, die Verdiensthöhe und der gesellschaftliche Status. Das Vertrauen in eine Berufsgruppe oder eine gesellschaftliche Institution berührt nach sozialwissenschaftlicher Interpreta- tion eine Reihe sozialer Funktionen, die für das gesellschaftliche Zusammenleben zumindest nützlich, wenn nicht sogar konstitutiv sind. Dazu gehören unter anderem die Reduktion von Komplexität und die Schaffung von Verhaltenssicherheit (ausführlicher: Braun und Marstedt 2010, S. 251ff.). Wir haben in der Befragung eine Reihe von Berufsgruppen vorgegeben (insgesamt 14) und darum gebeten, jeweils zu sagen, ob man dieser Gruppe sehr hohes, eher hohes, eher niedriges oder sehr niedriges Vertrauen schenkt. Auch eine Antwort „weiß nicht“ war möglich. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse hierzu. Ebenso wie in der bereits zitierten Umfrage im Auftrag von Reader’s Digest zeigen auch die hier gewonnenen Befragungsergebnisse, dass andere Berufsgruppen noch vor den Ärzten rangieren, darunter auch zwei Heilberufe, Hebammen und Krankenschwestern. Während die Positionen am unteren Ende recht einfach zu interpretieren sind, fällt es schwer, eine eindeutige Erklärung zu finden, warum Hebammen und Krankenschwestern vor den Ärzten rangieren. Untersucht man nun, wodurch ein höheres Vertrauen in Krankenschwestern beeinflusst wird, zeigt sich folgendes Ergebnis. 42 Prozent derjenigen, die eine Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland „in sehr starkem Maße“ verbreitet sehen, schenken Ärzten weniger Vertrauen als Krankenschwestern. Glaubt man umgekehrt, dass es eine Zwei- Klassen-Medizin „gar nicht“ gibt, so sind es nur neun Prozent, die Ärzten weniger vertrauen. Ähnliches zeigt sich für die Meinung darüber, ob es Ärzten bei IGeLAngeboten nur ums Geldverdienen gehe und nicht um die Gesundheit. Stimmt man diesem Statement völlig zu, so vertrauen 48 Prozent dieser Gruppe Ärzten weniger als Krankenschwestern. Lehnt man das Statement völlig ab, sind es nur 19 Prozent. Damit sind keine Kausalbeziehungen belegt, aber ein Zusammenhang zwischen der wahr genommenen Ungleichbehandlung von Kassen- und Privatpatienten und der Bewertung von IGeL-Angeboten einerseits sowie dem Image-Urteil über Ärzte in Relation zu einem anderen – geringer qualifizierten – Heilberuf andererseits. Ein Newsletter der Bertelsmann Stiftung und der BARMER GEK 7 Das Ärzteimage: resistent gegenüber Erfahrungen? Zeigt das Ärzteimage bei allen Bevölkerungsgruppen vergleichbare Konturen, ist es unabhängig von konkreten Versorgungserfahrungen, von Lebensalter und Gesundheitszustand? In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse einer Analyse vorgestellt, die mit multivariaten Verfahren (logistische Regression) mögliche Differenzen aufspüren soll. Als Indikatoren für das Ärzteimage wurden mehrere Variablen verwendet, die jeweils unterschiedliche Facetten akzentuieren: 1) persönliche Verdienstorientierung von Ärzten, 2) Verdienstorientierung zulasten von Patienten, 3) negative Veränderungen von Qualifikationen und Verhaltensorientierungen von Ärzten in den letzten zehn Jahren, 4) schlechteres Image von Ärzten im Vergleich zu Krankenschwestern. Als unabhängige Variablen wurden unterschiedliche Erfahrungsbereiche und Lebensbedingungen der Versicherten verwendet. Einbezogen wurden (insgesamt 30) soziodemografische Merkmale, Aspekte des Gesundheitszustands und Gesundheitsverhaltens sowie Versorgungserfahrungen und Arztkontakte. Alle Merkmale, die in diesen vorbereitenden Analysen bei zumindest einem der vier Image-Indikatoren signifikante Odds-Ratios (OR) aufwiesen, wurden in einer abschließenden Regressionsanalyse dann noch einmal gleichzeitig analysiert. Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse. Deutlich wird daraus zunächst, dass die zentralen sozio-demografischen Merkmale entweder keinen oder nur einen geringen Einfluss haben. Das Ärzteimage weist aus Sicht von Männern wie Frauen, Jüngeren wie Älteren also sehr starke Gemeinsamkeiten auf. Auch die einbezogenen Merkmale zum Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten zeigen keine signifikanten Effekte. Vertrauen in verschiedene Berufsgruppen (Angaben in Prozent) sehr hohes Vertrauen sehr hohes oder eher hohes Vertrauen Feuerwehrleute 63 98 Hebammen 57 98 Krankenschwestern 50 95 Piloten 48 95 Ärzte 34 91 Polizisten 27 81 Apotheker 27 90 Pfarrer 21 63 Lehrer 12 69 Rechtsanwälte 12 63 Taxifahrer 6 52 Journalisten 2 23 Finanzberater 2 13 Politiker 1 6 Quelle: Gesundheitsmonitor 2012, 20. Erhebungswelle, 1.565–1.720 Tabelle 1 Versorgungserfahrungen auf der anderen Seite schlagen sich sehr deutlich nieder: Befragte, bei denen der Hausarzt nur wenig über die Krankengeschichte erfragt hat, haben ein sehr viel ungünstigeres Bild von Ärzten. Und dies gilt ebenso für die Bewertung anderer Merkmale ärztlichen Verhaltens in der Sprechstunde: die erfahrene Achtung und Respektbekundung, aber auch subjektiv so erlebte Behandlungsmängel wie zum Beispiel großer Zeitdruck oder zu wenig gründliche Untersuchungen. Solch negative Versorgungserfahrungen bewirken ein deutlich negativ geprägtes Image „der“ Ärzte. Und schließlich schlagen sich – um auf unsere Befunde zur „Zwei-Klassen- Medizin“ und zu „IGeL-Angeboten“ zurückzukommen – persönlich so erlebte Benachteiligungen von Kassenpatienten durch längere Wartezeiten oder einen geringeren Zeitaufwand in der Sprechstunde ebenso negativ nieder wie häufigere Erfahrungen, dass Ärzte Selbstzahlerleistungen anbieten. Dies sind offensichtlich Beobachtungen von Patienten, die generalisiert werden und sich dann zu einem Negativimage verdichten. Mit den vorgestellten Befunden der multivariaten Analyse sind natürlich keine Kausalzusammenhänge zu belegen. Es könnte sein, dass konkrete Erfahrungen in der Sprechstunde des eigenen Haus- oder Facharztes generalisiert werden und so das allgemeine Ärzteimage eines Patienten prägen. Aber auch umgekehrte Zusammenhänge sind möglich und durchaus plausibel, nämlich dass ein aus Medien oder Erzählungen im sozialen Umfeld übernommenes Ärztebild zu Voreingenommenheit (oder in positiver Ausprägung zu einem Vertrauensvorschuss) führt und darüber die konkreten Erfahrungen in der ärztlichen Sprech- gesundheitsmonitor 8 Ergebnisse der multivariaten Analyse (binäre logistische Regressionen) zum Zusammenhang unterschiedlicher Einflussfaktoren auf vier Indikatoren eines negativen Ärzteimages Einflussfaktoren (in Klammern: jeweilige Vergleichsgruppen, zuerst genannt die Gruppe mit dem Odds-Ratio-Wert) Image 1 n = 866 Image 2 n = 901 1,7* 1,9* Image 3 n = 893 Image 4 n=1.087 5,6*** 2,4** Lebensalter (Jüngere – Ältere) Geschlecht (Männer – Frauen) sozioökonomische Schicht (Unterschicht – Oberschicht) Krankenversicherung (GKV – PKV) Erwerbsstatus (vollzeit erwerbstätig – nicht erwerbstätig) chronische Erkrankung (ohne – mit) Behinderung: Stärke der Handicaps (schwach – stark) Informationsinteresse in Gesundheitsfragen (niedrig – hoch) 0,5* Hausarztwechsel aus Unzufriedenheit (ja – nein) Hausarztwissen über Krankengeschichte (gering – hoch) 1,9* 1,6* Bewertung der Kommunikation mit dem Hausarzt (nicht intensiv – intensiv) Bewertung der Information durch den Hausarzt (nicht intensiv – intensiv) 1,8* erlebte Achtung und Respekt bei letztem Arztkontakt (gering – hoch) 2,5*** subjektiv erlebte Behandlungsmängel (öfter – fast nie oder nie) 1,5* persönliche Erfahrungen der Benachteiligung von Kassenpatienten (intensiv – keine) 3,4*** persönliche Erfahrungen von IGeL-Angeboten in der Praxis (mehrmals – nie) Odds-Ratios sind statistische Kennwerte, die u.a. in multivariaten Verfahren die Effektstärke im Vergleich zweier unabhängiger Variablen beziffern. Angegeben sind Odds-Ratios mit Signifikanzniveau: * 5 %, ** 1 %, *** 0,1 %; leere Tabellenzellen = nicht signifikante Befunde Image 1: Ärzte handeln heute häufig vorrangig zugunsten eigener finanzieller Interessen. Image 2: Finanzielle Interessen sind Ärzten wichtiger als ihre Patienten. Image 3: Qualifikationen und Handlungsorientierungen von Ärzten haben sich im Vergleich zu vor 10 Jahren negativ verändert. Image 4: Das Vertrauen in Krankenschwestern ist größer als das Vertrauen in Ärzte. Quelle: Gesundheitsmonitor 2012, 20. Erhebungswelle Tabelle 2 2,9*** 2,2*** 2,5*** 1,9** 1,5* 1,5* 9 stunde filtert und mitbeeinflusst. Vermutlich spielt beides in der Realität eine Rolle und es handelt sich um einen dynamischen und wechselseitigen Einfluss. Hervorzuheben bleibt jedoch vor allem, dass die persönlichen Erfahrungen von Bedeutung sind: Das Ärzteimage ist kein ehernes und unbeeinflussbares Stereotyp, kein Wahrnehmungsraster, das immun ist gegenüber realen Erfahrungen in der ambulanten oder stationären Versorgung. Umgekehrt bedeutet dies aber auch: Ärzte können durch ihr persönliches Verhalten das allgemeine Ärzteimage positiv wie negativ mit beeinflussen. Fazit Fasst man die zentralen Befunde der Befragung noch einmal zusammen, so zeigt sich: Nicht nur bei Wartezeiten – häufig als „Komfort“-Merkmal der Versorgung abqualifiziert – erkennen Patienten eine Ungleichbehandlung von Kassen- und Privatpatienten. Auch für die medizinische Behandlungsqualität selbst werden solche Unterschiede wahrgenommen. Als Folge kommt weit über die Hälfte der GKV-Versicherten und über ein Drittel der PKV-Versicherten zu dem Urteil, dass Ärzte Verdienstinteressen höher gewichten als das Patientenwohl. Die sechs Jahre zurückliegenden Ärztestreiks andererseits werden kaum kritisch gesehen, sondern als legitimes Mittel der Existenzsicherung bewertet, das potenziell sogar Patienten durch eine bessere Versorgung zugute kommen kann. Kritischer sieht es bei der Bewertung von IGeL-Angeboten aus: Knapp die Hälfte der Befragten – Kassen- wie Privatpatienten gleichermaßen – betont, dass es den Ärzten ums Geld und nicht um Gesundheit gehe, und dass dadurch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient belastet werde. Ein Newsletter der Bertelsmann Stiftung und der BARMER GEK Das Ärzteimage, so hat die abschließende Analyse der Einflussfaktoren schließlich gezeigt, ist keineswegs ein Stereotyp oder unveränderliches Einstellungs muster. Zwar ist die Übereinstimmung auch zwischen heterogenen Bevölke rungsgruppen (Männern und Frauen, Jungen und Alten, ...) sehr groß. Gleichwohl beeinflussen konkrete Ver sorgungserfahrungen nachhaltig das Bild, das Patienten von der Berufsgruppe der Ärzte haben; sie verzeichnen in der Analyse sogar den stärksten Effekt aller Einflussfaktoren. Die Patientenmeinung einer Zwei- Klassen-Medizin hebt die Privilegierung privat Versicherter bei Wartezeiten, aber auch im Rahmen der ärztlichen Behandlung hervor, wie wir festgestellt haben. Demgegenüber hat eine erst kürzlich veröffentlichte wissenschaftliche Studie eine andere Bedeutung des Begriffs empirisch aufgezeigt. Danach sind PKVMitglieder mit „teilweise existentiellen Leistungsausschlüssen im Krankheitsfall konfrontiert“, denn „mehr als 80 Prozent der Tarifsysteme der PKV leisten weniger als die gesetzliche Krankenversicherung“ (DER SPIEGEL 2012). Und unsere Befragung hat eine weitere Facette des Begriffs Zwei-Klassen-Medizin verdeutlicht: danach musste knapp die Hälfte der Privatpatienten nur aufgrund ihres Versichertenstatus schon einmal dia gnostische oder therapeutische Verfahren über sich ergehen lassen, ohne dass dies ihrer Meinung nach medizinisch not wendig gewesen wäre. Welche gesundheitspolitische Bedeutung haben diese Befunde? Wenn das Image der Ärzte dadurch leidet, hat dies natürlich eine Bedeutung für das gesamte Versorgungssystem und es wäre Aufgabe aller hier involvierten Verbände und Experten aufseiten der Politik und der Versorgung, nach Ursachen und Verände- rungsmöglichkeiten zu suchen. Zunächst einmal wären jedoch die Interessen verbände der Ärzteschaft selbst gefragt. Besteht hier in ausreichendem Maße Problembewusstsein? Zum Teil ist dies durchaus der Fall. So mahnte Andreas Köhler, Vorstands vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die niedergelassenen Ärzte in einer Rede zu mehr Zurückhaltung bei kostenpflichtigen Behandlungen. Das hohe Vertrauen der Patienten in die Ärzte dürfe durch das Angebot von IGeL-Leistungen keinen Schaden nehmen. In einer Versichertenbefragung hatte sich gezeigt, dass „die Zahl der Versicherten zugenommen [hat], die sagen, dass sie zu wenig Bedenkzeit gehabt hätten. Immerhin 19 Prozent kritisierten, dass sie zu wenig Zeit gehabt hätten, über das Angebot nachzudenken. Es wäre fatal, wenn das nachgewiesene hohe Vertrauen der Patienten in die Ärzte hierdurch Schaden nehmen würde. Deshalb appelliere ich an dieser Stelle auch an die Ärzte, sorgsam mit diesem Vertrauen umzugehen“ (KBV 2011). Dieser zaghafte Appell greift jedoch viel zu kurz. Die von Bundesärztekammer und KBV (2009) für Patienten heraus gegebene Informationsbroschüre zu IGeL-Angeboten nennt in einer Checkliste neun Aspekte, nach denen Patienten entscheiden sollen, ob ein Angebot für sie sinnvoll und nützlich ist. Dazu zählen Kriterien wie „Fühle ich mich von meinem Arzt umfassend und verständlich auch über mögliche Risiken und Nebenwirkungen der IGeL beraten?“, „Hat mich mein Arzt darüber informiert, wie gut die wissenschaftlichen Belege für den Nutzen der IGeL sind?“ und noch sechs weitere Merkmale. Damit werden Entscheidungen, die im Grunde nur mit medi zinischem Basiswissen getroffen werden gesundheitsmonitor önnen, dem Patienten als Laien aufgek drängt. Ohne medizinisches Grundwissen wird der Patient zwar auch eine Entscheidung treffen, diese dürfte jedoch eher abhängen vom persönlichen Vertrauen in den Arzt, von dessen Überzeugungskraft und Rhetorik, und weniger von der sachlichen Abwägung von Risiken und Neben wirkungen, vom Nutzen und Grad der Evidenzbasierung. Insofern ist eine IGeL- Broschüre durchaus sinnvoll, doch kann sie keineswegs als Legitimation dafür herhalten, dass in Arztpraxen auch eine Vielzahl medizinisch unnützer Verfahren angeboten wird und die Identifizierung sinnvoller oder aber unnötiger (wenn nicht gar schädlicher) Leistungen Patienten aufgehalst wird – mit Verweis auf die Broschüren-Informationen. Patienten die Entscheidung zu über lassen, ob eine selbst zu bezahlende diagnostische oder therapeutische Maßnahme für sie sinnvoll und nützlich ist, dürfte zwar auch weiterhin die Zustimmung zum IGeL-Angebot stabil halten derzeit lehnt nur jeder Vierte ein Angebot ab. Das Ärzteimage dürfte indes weiter in Mitleidenschaft gezogen werden. Manches Kalkül dürfte darauf hinauslaufen, dass dieser Imageverlust weitestgehend folgenlos bleibt, da ja kaum ein niedergelassener Arzt hier völlig abseitssteht. Außer Acht gelassen wird allerdings, dass zumindest mittel- und langfristig negative Patientenurteile öffentlich werden. Zwar thematisieren die meisten Portale zur Arztbewertung im Internet diesen Aspekt derzeit noch nicht, aber es scheint absehbar, dass die Bekanntmachung eines forcierten IGeL-Angebots in einer Praxis zukünftig Patienten bei der Arztsuche negativ mitbeeinflusst. Der Vorwurf der „Zwei-Klassen-Medizin“, ein zweiter Aspekt, der das Ärzteimage negativ prägt, wird von Ärzteverbänden mit wenig geschickten Gegenargumenten 10 zu entkräften versucht. „Eine Studie der Universität Hamburg hat gezeigt“, so eine KBV-Pressemitteilung (KBV 2012), „dass sich eine Zweiklassenmedizin kaum anhand unterschiedlicher Wartezeiten von gesetzlich und privat Versicherten nachweisen lässt. Die Studie ist eine Versachlichung zum Thema Wartezeiten und zeigt, dass eine in Deutschland viel beklagte Zweiklassenmedizin ein Mythos ist. Es lässt sich nicht ermitteln, dass privat Versicherte Vorteile in der medizinischen Versorgung gegenüber gesetzlich Versicherten haben.“ In der besagten Hamburger Studie ist eher Gegenteiliges zu lesen. Dort (Roll, Stargardt und Schreyögg 2011) heißt es: „Die Studie ergab: Auf einen Termin beim Facharzt warten gesetzlich Versicherte neun Tage länger als Privatpatienten. […] Sitzen die Patienten erst mal im Wartezimmer des Hausarztes, so warten gesetzlich Ver sicherte zehn Minuten länger als Privat patienten, bis sie aufgerufen werden“ (Universität Hamburg 2012: 8). Unmiss verständlich hingewiesen wird in der Studie darüber hinaus darauf, dass sie aufgrund der verwendeten Daten gar nicht als Beleg für oder gegen eine unterschiedliche Behandlungsqualität von Kassen- und Privatpatienten geeignet ist. Bei IGeL-Angeboten wird zu mehr ärzt licher Sorgsamkeit geraten, die Ungleichbehandlung von Kassen- und Privatpatienten wird schlicht dementiert und mit Studien belegt, die eher Gegenteiliges zeigen. Von Seite der ärztlichen Interessenvertreter, so wird deutlich, sind in absehbarer Zeit kaum Initiativen zu erwarten, die eine nachhaltige Veränderung des Status quo bewirken könnten. Das Ärzteimage wird weiter leiden. Das ist umso bedauerlicher, als unsere Analyse gezeigt hat, dass dieses Image sehr stark beeinflussbar ist durch ärztliches Verhalten und Versorgungserfahrungen der Patienten in der Sprechstunde. Literatur n Braun, B., Marstedt, G.: System vertrauen im Gesundheitssystem, in: J. Böcken, B. Braun, J. Landmann (Hrsg.): Gesundheitsmonitor 2010, Gütersloh 2010, S. 251-288 n Bundesärztekammer und KBV: Selbst zahlen? Individuelle Gesundheits- Leistungen (IGeL) – ein Ratgeber für Patientinnen und Patienten, Hrsg.: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V., Berlin 2009 n DER SPIEGEL: „Der Tarif-Schwindel“, Nr. 24, 11.6.2012, S. 58-63 n Donsbach, W.: Das Ärzte-Image in der Bevölkerung – und Folgerungen für die Kommunikation des Berufs, in: Ärzteblatt Sachsen Heft 5 (2003), S. 174-179 n Heier, M.: Risiko Privatpatient, in: Capital, 19/2007, S. 20-30 n Himmel, K., Kifmann, M., Nuscheler, R.: „Wir haben in diesem Quartal leider keinen Termin mehr frei…“, in: J. Böcken, B. Braun, U. 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Versicherten in De utschlands größter Krankenkasse. Dabei zeigt sich: Die Menge der für BARMER GEK-Versicherte verordneten Arzneimittel nahm 2011 gegenüber dem Vorjahr um 3,5 Prozent zu, während die Ausgaben weniger stark stiegen (+ 1,2 %). Dieser Unterschied ist Bertelsmann Stiftung Programm Versorgung verbessern – Patienten informieren Carl-Bertelsmann-Str. 256 33311 Gütersloh www.bertelsmann-stiftung.de www.gesundheitsmonitor.de sicherlich darauf zurückzuführen, dass bei den großen „Volkskrankheiten“ wie Bluthochdruck, Diabetes und Asthma mehr und mehr Generika verordnet werden, also preisgünstige Präparate mit gleichem Wirkstoff. Dennoch werden nach wie vor in auffälligem Umfang relativ teure patent geschützte Arzneimittel verschrieben, die keinen Zusatznutzen gegenüber bewährten Generika haben. Bei der BARMER GEK entfallen auf Mittel dieser Gruppe immerhin 21 Prozent der Ausgaben. Hier gibt es Wirtschaftlichkeitsreserven ohne Qualitätsverlust. Jenseits der Hinweise auf solche Einsparpotenziale gibt der BARMER GEK Arzneimittelreport 2012 aber vor allem konkrete Hinweise für eine bessere Versorgung der Patienten. Barmer GEK Lichtscheider Str. 89-95 42285 Wuppertal www.barmer-gek.de Gerd Glaeske, Christel Schicktanz BARMER GEK Arzneimittelreport 2012 Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse Band 14 · 14,90 € · ISBN 978-3-943-74479-8 E-Mail: Versorgungsforschung@barmer-gek.de Redaktion Andrea Engelhardt, Nicole Osterkamp Autoren Dr. Gerd Marstedt (Gesundheitswissenschaftler, bis 2011 Universität Bremen), Dr. Magnus Heier (Arzt und Journalist) Kontakt Heike Clostermeyer Tel.: (05241) 81-8 13 81 Fax: (05241) 81-68 13 81 heike.clostermeyer@bertelsmann-stiftung.de