Diese PDF-Datei herunterladen

Transcription

Diese PDF-Datei herunterladen
KODIKAS / CODE
Ars Semeiotica
Volume 32 (2009) No. 1 – 2
Gunter Narr Verlag Tübingen
“Aus Liebe zu dir”: Selbst- und Fremdrepräsentationen
in Profilen auf Schweizer online-Partnerbörsen
Daniel H. Rellstab
For a very long time, the printed personal ad was one of the most important means to increase
the search radius of people looking for a partner. Nowadays, the printed personal ad has been
displaced by profiles of online dating-sites; online dating-sites have become very popular in the
last few years. A quantitative analysis of profiles of two Swiss dating-sites shows that people
advertising themselves online still use a set of categories similar to the set used in printed
personal ads. However, the qualitative analysis reveals that online dating-sites grant people
much more freedom to perform themselves, to construct complex self-images, and to transcend
thereby the genre of the printed personal ad.
Für Partnersuchende war die printmediale Kontaktanzeige lange Zeit eines der wichtigsten
Instrumente zur Erweiterung ihres Suchradius. Diesen Rang dürfte sie verloren haben, denn die
medial vermittelte Suche nach einem Partner findet heute vorwiegend im Internet statt: Virtuelle
Kontaktbörsen erfreuen sich großer Beliebtheit. Wie die quantitative Analyse von Profilen
zweier Schweizer Kontaktbörsen zeigt, benutzen die Suchenden hier immer noch Kategorien der
Selbst- und Fremdrepräsentation, die auch in printmedialen Kontaktanzeigen gefunden werden
können. Die qualitative Analyse aber zeigt, dass virtuelle Kontaktbörsen viel komplexere
Selbstdarstellungen zulassen und damit den Suchenden die Möglichkeit geben, die Beschränkungen der printmedialen Anzeigen zu überwinden und mit neuen Arten der Selbstinszenierung
gleichzeitig auch die kommunikative Gattung “Kontaktanzeige” zu transzendieren.
1
Partnersuche im Medienwandel
Aus Sicht der Evolutionsanthropologie sind Partnersuche und Partnerwahl Grundaufgaben des
Menschen (cf. etwa Buss 1994). Allerdings variiert natürlich die Art der Partnersuche mit
dem historischen und kulturellen Kontext. Die Beschreibungen und Analysen ihrer historischen und kulturellen Ausprägungen füllen anthropologische, kulturhistorische, soziologische, ja selbst linguistische Bände und Zeitschriften (cf. etwa Berghaus 1985; Eustace 2001;
Fitzmaurice 2009; Otte 2007). Ein Blick zurück macht deutlich, dass sich die Möglichkeiten
der Partnersuche auch mit der Entwicklung der Medien und insbesondere der Massenmedien
veränderte. Die Kontaktanzeige etwa entstand mit der Zeitung. Die ersten überlieferten
Exemplare dieser kommunikativen Gattung, die bis ins letzte Jahrhundert wohl präziser als
Heiratsanzeige zu bezeichnen wäre (cf. Riemann 1999: 38), erschienen gegen Ende des 17.
Jahrhunderts und damit knapp hundert Jahre, nachdem mit der Zeitung “ein neues Medienzeitalter” (Schröder 1995: 1) eingeläutet worden war. Sie stammen aus England und wurden
dort am 19. Juli 1695 vom Herausgeber der Collection for the Improvement of Husbandry and
200
Daniel H. Rellstab
Trade im Auftrag suchender Herrschaften publiziert. Sie sind nicht als Selbstinserate der
Suchenden, sondern aus einer Außenperspektive verfasst; in den Vordergrund werden
Vermögensverhältnisse gerückt:
A Young Man about 25 Years of Age, in a very good Trade, and whose Father will make him
worth £ 1000, would willingly embrace a suitable match.
A Gentleman about 30 Years of Age, that says he has a Very Good Estate, would willingly
Match Himself to Some Young Gentlewoman that has a Fortune of £ 3000 or thereabout (zit. in
Kaupp 1968: 9).
Schon diese Kontaktanzeigen weisen ein Merkmal auf, welches Justine Coupland 300 Jahre
später als typisch für gedruckte Kontaktanzeige bezeichnet: Suchende und Gesuchte erscheinen als “commodified selves”, als verdinglicht und zu Produkten geronnen, die auf dem
Heiratsmarkt erfolgreich abgesetzt werden können (cf. Coupland 1996). Trotzdem scheinen
diese Anzeigen nicht erfolgreich gewesen zu sein. Wie Werner Kaupp schreibt, sah sich der
Herausgeber der Collection einen Monat nach Erscheinen der Anzeigen dazu gezwungen, die
Beteuerung zu publizieren, dass das Ansinnen der Inserenten ernsthaft sei und er allfällige
Heiratsanträge mit “much Secresie and Prudence” behandeln werde (Kaupp 1968: 9) – ein
Zeichen dafür, dass die Zielgruppe offensichtlich noch nicht über die Kompetenz verfügte, die
Texte den Intentionen der Schreibenden gemäß zu interpretieren.
In Deutschland erschienen ähnliche Inserate gut vierzig Jahre, in Frankreich knapp
hundert Jahre später, und die Gattung fand schon bald einen festen Platz im “kommunikativen
Haushalt” der deutsch- und französischsprachigen Gesellschaften.1 Dafür spricht die Tatsache, dass schon 1787 Ch. M. Favarts Le mariage singulier. Comédie en un acte, en prose,
mêlée de vaudevilles, eine Komödie um einen Junggesellen, der per Inserat eine Frau sucht,
in Paris uraufgeführt wurde; in Deutschland fand zur selben Zeit Friedrich Ludwig Schröders
Die Heirat durch ein Wochenblatt (1786) großen Zulauf (cf. Kaupp 1968: 10).
Einen festen Platz im kommunikativen Haushalt hält die Kontaktanzeige auch heute noch
inne. Ihre Funktion, Partnersuchende zusammenzubringen, teilt sie heute mit einer Reihe
anderer Gattungen. Zwar ist die Partnersuche per Hörfunk oder per Inserat und Ansagetext
auf Tonband nicht mehr populär.2 Die Partnersuche per Fernsehen, wie sie Kontakt- und
Flirtshows ermöglichen sollen3, hat an Beliebtheit nichts eingebüßt und erscheint in ihren
neuesten Varianten als bundesdeutsches Bauer sucht Frau auf RTL oder schweizerisches
Bauer, ledig, sucht… auf 3+ (cf. Riemann 1999: 46; Vollberg 1997). Wichtigstes Medium zur
Partnersuche dürfte aber heute das Internet geworden sein.
2
Virtuelle Kontaktbörsen: Viele User, große Vielfalt
Wie Patti Valkenburg und Jochen Peter in ihrem Überblick über die Nutzung virtueller
Kontaktbörsen schreiben, haben sich die Möglichkeiten, im Internet Beziehungen zu knüpfen
und zu unterhalten, in den letzten paar Jahren vervielfacht: Zwischen 2005 und 2007 stieg die
Zahl weltweit um 17 % (cf. Valkenburg & Peter 2007: 849). Die Akzeptanz, virtuelle Kontaktbörsen zu nutzen, ist in der westlichen Welt sehr hoch. Valkenburgs und Peters Befragung
holländischer Internetnutzer zeigt, dass 43 % der Alleinstehenden das Internet nutzen, um
eine Partnerin oder einen Partner zu suchen; einer amerikanischen Studie des Pew Internet
and American Life Projects aus dem Jahr 2006 gemäß nutzen 37 % der amerikanischen
Internetnutzer, die auf Partnersuche sind, die Möglichkeiten virtueller Kontaktbörsen (cf.
“Aus Liebe zu dir”
201
Madden & Lenhart 2006); die erste repräsentative Studie für Deutschland geht davon aus,
dass rund 12 % der Internetnutzer mindestens gelegentlich auch virtuelle Kontaktbörsen
nutzen. Das wären für Deutschland immerhin 5.4 Mio. Personen.4
Wie eine erste repräsentative Erhebung der Demographie deutscher Cyberdater zeigt, sind
diese mehrheitlich männlich, um die Dreißig und im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eher
höher gebildet. Sie leben in städtischen Gebieten oder großen Ballungszentren vorwiegend in
Einpersonenhaushalten (cf. Schulz et al. 2008). Für die Schweiz fehlen bis jetzt repräsentative
Studien. Allerdings kommt eine Stichprobenbeschreibung von Nutzern der Schweizer
Kontaktbörse partnerwinner.ch zu ähnlichen Ergebnissen:5 Das Durchschnittsalter der
Befragten beträgt hier 34.4 Jahre, 89 % sind ledig, geschieden, verwitwet oder getrennt, 59 %
leben allein und 62 % sind männlich (cf. Bühler-Ilieva 2006: 197–213).
Dass sich Kontaktbörsen derart großer Beliebtheit erfreuen, ist nicht erstaunlich. Erstens
vergrößern sie den Suchradius in lokaler und zeitlicher Hinsicht enorm: Partnersuche kann
hier ständig, selbst während der Arbeitszeit, erfolgen; der Suchradius ist theoretisch bloß auf
die Internetnutzer beschränkt. Die Nutzer von Kontaktbörsen schätzen zudem die Anonymität, die Möglichkeit, unverbindliche Kontakte knüpfen zu können, und sie erleben die
Kommunikation auf Kontaktbörsen als zwangloser und einfacher als die face-to-face-Interaktion. Die von den Nutzern genannten Nachteile sind die sprichwörtliche Kehrseite der
Medaille: Die in face-to-face-Interaktion unterstellte Maxime, die Wahrheit zu sagen, fällt
weg: “Schreiben kann man alles.” Die Reduktion der Sinneskanäle wird als fehlende Präsenz
des andern erlebt und kann sogar zur Überforderung werden: “Man kann sich kein Bild des
anderen machen”. Einigen scheint die Kommunikation auf Partnerbörsen gar zu enthemmt zu
sein, andere wiederum schätzen die Erfolgschancen als sehr gering ein (Bühler-Ilieva 2006:
237–38; cf. auch Ellison 2006). Allerdings machen die Nachteile die Vorteile längst wett –
diesen Schluss legen jedenfalls die Umsatzzahlen der Branche nahe: Die neuen Kanäle der
Partnervermittlung sind ein einträgliches Geschäft. Laut Financial Times Deutschland wurden
2007 in Deutschland 138.1 Mio. L für Online-Partnervermittlungsdienste ausgegeben; ein
Jahr später waren es schon 163.6 Mio. L. In den USA sollen die Umsatzzahlen um ein Drittel
höher ausfallen als in Deutschland (cf. Bayer 2009) – für die Schweiz liegen die Umsatzzahlen noch nicht vor.
Die virtuelle Kontaktbörse gibt es allerdings nicht, denn der Service, der Aufbau der
Websites und die Benutzerkosten variieren stark. Behauptet Parship, einer der kommerziell
erfolgreichsten Anbieter der Branche, Partnersuchende gezielt und auf “wissenschaftlicher
Grundlage” zusammenzuführen und verlangt dafür nicht gerade geringe Abonnementsgebühren6, so sind andere Anbieter fast oder vollständig kostenlos, bieten aber auch nichts
anderes als eine Plattform mit Profilen, die durchsucht werden können, plus vielleicht einen
Chatroom und die Möglichkeit, andere kontaktieren zu können. Zudem variieren die Zielgruppen beträchtlich. Neben Anbietern, die sich an alleinstehende heterosexuelle Singles ohne
spezifische Bedürfnisse richten, finden sich Kontaktbörsen für alleinerziehende Singles
(www.halbvoll.net), für Menschen mit körperlichen Besonderheiten (www.rundnaund.ch,
www.partnervermittlung.ch), für Ältere (www.fiftyplus.ch), für wiedergeborene Christen
(www.feuerundflamme.ch, www.christl-singles.ch) oder praktizierende Katholiken
(www.kathtreff.org), für Naturschützer (www.lovepeace.ch), für Schwule und Lesben
(www.gayromeo.com, www.lesarion.de), oder, als alternative Version, für Lesben, Schwule,
Bisexuelle und deren Freunde und Freundinnen (www.purplemoon.ch). Die Möglichkeiten,
Partner zu suchen, haben sich also vervielfältigt. Die kommunikativen Anforderungen an
Partnersuchende sind damit aber keineswegs kleiner geworden.
202
3
Daniel H. Rellstab
Von der ‘Kontaktanzeige’ zum Profil auf der virtuellen Kontaktbörse –
neue Möglichkeiten, neue Anforderungen
Printmediale wie auch virtuelle Anzeigen haben die Funktion, eine bestimmte Handlung des
anderen zu evozieren. Das anvisierte Verhalten besteht nicht bloß in der Rezeption und dem
Verstehen der Intention des Autors, sondern einem “aktiven Antwortverhalten” (Marfurt
1978: 30). Verfasser von Kontaktanzeigen und Profilen auf Kontaktbörsen stehen deshalb vor
der Aufgabe, in einer Eigenbeschreibung ein möglichst attraktives Bild ihrer selbst zu
konstruieren. Die Differenz zwischen Eigenbeschreibung und Realität darf indessen nicht zu
groß sein, da die anvisierte Beziehung zum Gegenüber ja selten in der Virtualität verbleiben
soll. Wer also einen Partner per Inserat oder Kontaktbörse sucht, überlegt sich normalerweise
genau, wie er sich präsentieren soll, welche Hinweise über sich er wie in sein Profil integrieren könnte, um damit bestimmte Effekte zu evozieren (cf. Ellison 2006: 424–425).
Der Textproduzent printmedialer Kontaktanzeigen kann zur Lösung dieser Aufgabe auf
ein vor allem durch ökonomische Sachlagen stark standardisiertes Textmuster zurückgreifen,
a text genre closely allied in its formal characteristics to media advertisements for the selling
and buying of houses, cars, or second-hand furniture – small ads which, interestingly enough,
are conventionally used for trading in used rather than new goods (Coupland 1996: 188).
Das Selbst wird im Text auf eine Liste wünschenswerter und als attraktiv erscheinender
demografischer, physischer und auch emotionaler Attribute reduziert.7 Denn die Inserierenden
sind dazu angehalten, sich auf möglichst kleinem Raum in möglichst positivem Licht zu
präsentieren. Die Gattung veranlasst den Schreibenden dazu, sich zu einem Personentypus zu
verdinglichen. Das Gleiche gilt für die Beschreibung des Wunschpartners: Auch dieser muss
auf eine Liste von Attributen reduziert werden. Die Gattung fordert zudem von ihrem idealen
Rezipienten, dass er sich in der typisierten Darstellung wiederfindet – und sich damit ebenfalls verdinglicht (cf. Coupland 1996: 188). Dass auch die Beziehungsbeschreibung typischerweise lakonisch ausfällt, zeigt folgendes, schon fast historisches Beispiel:
Gemütlicher Pfeifenraucher, Kaufmann, 30jährig, sucht nach schwerer Enttäuschung eine nette
und aufrichtige schlanke Sie, zum Verbringen der Freizeit. Spätere Heirat nicht ausgeschlossen.
Hobbys: Volksmusik, Reisen, Tanzen, miteinander ein Leben aufbauen, Geselligkeit. Fühlst du
dich angesprochen, zögere nicht und sende mir ein Brieflein mit einem Foto unter Chiffre …
(Berner Zeitung, 4. Juni 1983).
Die kommunikative Binnenstruktur der Kontaktanzeige ist stark standardisiert. Das Register
ist einfach, Vokabular und Syntax sind simpel. Die sequentielle Struktur folgt typischerweise
dem Muster 1. Suchender, 2. sucht, 3. Ziel, 4. Zweck, 5. Kommentar, 6. Referenz. Ebenfalls
typisch ist die Vorherrschaft von Abfolgen von Nomen und Adjektiven. Diese Standardisierung ist teilweise sogar kultur- und subkulturunabhängig, und Variationen lassen sich, wenn
überhaupt, vor allem auf der lexikalischen Ebene finden (cf. Bruthiaux 1994; Coupland 1996:
192–93; Jones 2000:39ff.; Nair 1992).
Kontaktbörsen können Partnersuchenden neue Möglichkeiten der Selbst- und Fremddarstellung eröffnen und den Inserierenden die Gelegenheit geben, sich in den Profilen differenzierter und vielschichtiger zu präsentieren, als dies in printmedialen Kontaktanzeigen der Fall
ist. Auch ist die Standardisierung hier aus verschiedenen Gründen weniger ausgeprägt.
Erstens besteht im Internet nur bedingt ein ökonomischer Druck, der Inserierende dazu
veranlasst, sich möglichst kurz zu fassen (cf. dazu auch Coupland 1996). Gegen starke
“Aus Liebe zu dir”
203
Standardisierungstendenzen spricht zweitens die Tatsache, dass die Möglichkeiten der
individuellen Gestaltung des Profils von Anbieter zu Anbieter variieren.
Fällt die Standardisierung weg, fallen auch wichtige Hilfestellungen bei der Abfassung
von Texten weg. Die neuen medialen Möglichkeiten, einen Partner zu suchen, stellen Cyberdater damit vor neue kommunikative Anforderungen. Im Netz muss das Selbst in einem
multimodalen Text präsentiert werden. Also sind die zu kalkulierenden Wirkungen anders.
Bilder können einerseits Unbestimmtheiten reduzieren, welche in der Sprache, wie schon
Charles S. Peirce schrieb, notwendigerweise herrschen (cf. etwa Peirce 2000: 343), und
eröffnen damit eine Reihe neuer Möglichkeiten der Selbstdarstellung. Doch muss der Verfasser mit Text und Bild so geschickt umgehen, dass ein möglichst glaubwürdiges Profil entsteht. Denn Angaben auf Kontaktbörsen stehen unter dem Verdacht, nicht oder zumindest
nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen (cf. Bühler-Ilieva 2006: 238).
4
Daten und Methoden
Um Selbst- und Fremddarstellungen auf Kontaktbörsen im Internet zu untersuchen, wählte ich
zwei Börsen aus, die sich an unterschiedliche Zielgruppen wenden: www.swissflirt.ch und
www.purplemoon.ch.
Swissflirt (Abk. SF), eine der bedeutendsten virtuellen Kontaktbörsen der Schweiz, ist seit
über zehn Jahren in Betrieb und hat laut Eigenwerbung über 300’000 registrierte Benutzer.
Laut eigenen Angaben verzeichnet SF über 14’000 Besucher pro Tag und sechs bis acht
Millionen Seitenaufrufe pro Monat. Zielgruppe von SF sind vor allem heterosexuelle Singles.
Darauf weist die Eigenwerbung hin: Swissflirt schreibt, dass die “Rubriken sie sucht ihn und
er sucht sie” eine “unkomplizierte Kontaktaufnahme” erlauben würden und dass dank SF
viele “ihren Partner fürs Leben gefunden, den Bund der Ehe geschlossen oder gar Nachwuchs
bekommen” hätten. SF ist einerseits werbefinanziert. Gleichzeitig muss, wer seine Suchresultate abspeichern oder auf eine Annonce antworten will, Abonnent werden, was ihn 4.90
sFr pro Monat kostet.8
Purplemoon (Abk. PM), ebenfalls eine Schweizer Plattform, ist viel kleiner. Laut
www.singleboersen-vergleich.ch9 nutzen rund 5’000 Personen das Angebot. PM richtet sich,
anders als etwa www.gayromeo.ch, der große Anbieter für männliche Homosexuelle, nicht
nur an Männer, sondern auch an Frauen, und nicht nur an Homo- und Bisexuelle, sondern
auch an Heterosexuelle: “Auch Heteros sind willkommen!” Anstößige Inhalte bildlicher und
verbaler Art sind ausdrücklich verboten. PM ist kostenlos, allerdings wird man, wenn man
PM finanziell unterstützt, “Power-user”. PM will sich also von kommerziellen, an ein heterooder homosexuelles Zielpublikum gerichtete Kontaktbörsen unterscheiden und positioniert
sich bewusst “anders”.10
Der untersuchte Datensatz ist nicht repräsentativ, mein Interesse ein exploratives. Der
Datensatz umfasst 100 Profile, je 50 Profile von PM und 50 Profile von SF. Um gender- und
altersspezifische Unterschiede zu umgehen, wählte ich aus jeder Kontaktbörse zufällig 50
Profile von Männern zwischen 30 und 40 Jahren, die eine “ernsthafte” Beziehung eingehen
wollen. Die Auswahl der Alters- und Geschlechtergruppe drängte sich in Anbetracht der
Tatsache, dass Männer kurz nach Dreißig die häufigsten Nutzer von Kontaktbörsen sind, auf.
Die sexuelle Orientierung spielte bei der Auswahl der Profile keine Rolle. Es geben jedoch
alle Männer des Samples von SF an, heterosexuell zu sein. Auf PM identifizieren sich 8 als
heterosexuell, 14 als bisexuell und 38 als homosexuell. Alle Profile waren zum Zeitpunkt der
204
Daniel H. Rellstab
Datensammlung im September 2008 öffentlich zugänglich. Auf www.swissflirt.ch sind sie es,
falls sie noch vorhanden sind, immer noch; www.purplemoon.ch ist in der Zwischenzeit zu
einer passwortgeschützten Kontaktbörse geworden. Die Profile sind nur noch für Mitglieder
sichtbar. Die Mitgliedschaft ist aber nach wie vor kostenlos.11
Die Analyse selbst ist dreigestuft, um die spezifischen multimodalen Bedingungen sowie
die Unterschiede der Kommunikationstechnologien berücksichtigen zu können. In einem
ersten Schritt wird analysiert, welche Möglichkeiten der Selbst- und Fremddarstellung die
beiden Kontaktbörsen bieten. Diese Analysen dienen als Basis der weiteren Untersuchungen.
In einem zweiten Schritt werden Aspekte der Selbst- und Fremddarstellung der Profile beider
Plattformen quantitativ erhoben und verglichen. Dieser Vergleich ermöglicht erste Aussagen
über bestehende Gemeinsamkeiten und Differenzen bei den Selbst- und Fremddarstellungen
der beiden Börsen und damit die Skizzierung des Kontextes, in welchem die einzelnen Profile
stehen, die in einem dritten, qualitativen und semiotisch informierten Schritt analysiert
werden. Hier stehen drei unterschiedliche Profile und deren Selbstinszenierungen im
Zentrum, und hier interessiert vor allem der Umgang der Profilinhaber mit den Möglichkeiten
des Systems12 und die durchgeführten kommunikativen Akte visueller und sprachlicher Art
(cf. dazu van Leeuwen 2004), also die multimodalen Inszenierungen des Selbst. Methodisch
orientiere ich mich dabei an semiotisch informierten Ansätzen zur “Sprache und Identität”Forschung, wie sie innerhalb der linguistischen Anthropologie entwickelt wurden (cf. etwa
Bucholtz 2004; Bucholtz & Hall 2007).
5
Swissflirt und Purplemoon: Aufbau der Börsen und der Profile
SF ist nach dem Karteikartenprinzip aufgebaut. Auf der Einstiegsseite (cf. Abb. 1) erscheint
als erstes eine Suchmaske, die drei Genauigkeitsstufen enthält. Suchparameter sind auf der
untersten Stufe das eigene Geschlecht, das Geschlecht des gesuchten Partners, die Altersspanne möglicher Partner, der geografische Suchradius sowie das Alter des Profils. Auf der
zweiten Stufe können die Profile nach Rubriken (“Alle”, “Reden/E-mail”, “Spontan”,
“Ernsthaft”, “Abenteuer”, “Heirat”, “Reisen/Ferien”, “Party”, “Anlass”, “Freizeit”, “Sport”,
“Tanzen”, “Kino”, “Wiedersehen”, “Klassenkameraden”, “Andere”), Körperbau (“Alle”,
“keine Angaben”, “normal”, “schlank”, “athletisch”, “einige Extrapfunde”, “anderer”),
Körpergröße sowie Sternzeichen gefiltert werden. Die dritte Stufe erlaubt es, die Profile nach
Zivilstand, Kindern und Kinderwunsch sowie Rauchgewohnheiten zu filtern. Die Registerkarten der Einstiegsseite, die sich hinter der Suchmaske verbergen, beinhalten 1. das eigenen
Konto, 2. den Flirt-Radar, 3. den Foto-, 4. den Video-Flirt, 5. die Chat-Plattform. Der Flirtradar zeigt in Form einer Zielscheibe an, welche Profile auf SF dem eigenen Profil am
nächsten kommen; unter den Reitern “Foto-Flirt” und “Video-Flirt” lassen sich diejenigen
Profile finden, die ein Foto bzw. ein Video aufweisen.13
Die Suchresultate werden in Form von Listen angezeigt. Diese Listen enthalten die
Überschrift des Profils, das Profilfoto, Geschlecht, Alter, Wohnregion und Datum der
Abfassung des Profils. Die Profile selbst bestehen aus einer Hauptseite, welche zuoberst die
gewählte Beziehungskategorie enthält. Darunter folgen die wichtigsten Angaben des Profils:
Foto, Nickname, Alter und Herkunft, ein Textfenster mit Überschrift sowie auf der rechten
Seite weitere Fotos, falls vorhanden. Der Link “Ganzes Profil ansehen” öffnet eine Box mit
den vier Registerkarten “Über mich”, “Allgemein”, “Bilder” und “Video” (cf. dazu Abb. 5).
Auf der Registerkarte “Über mich” erscheinen noch einmal der Nickname und das Alter.
“Aus Liebe zu dir”
205
Abb. 1
Neue Informationen sind hier die Herkunftsregion, die sexuelle Orientierung, das Sternzeichen, die Nationalität sowie der Zeitpunkt der letzten Anmeldung auf SF. Auch Angaben
zum Aussehen sind hier publiziert. Genannt werden können Augenfarbe, Haarfarbe, Größe,
Gewicht, Körperbau und Fitnesslevel. Unter “Allgemeines” erscheinen weitere Angaben zur
Person: Aszendent, Zivilstand, Kinder, Kinderwunsch, Schulbildung, Beruf und Beschäftigungssituation, Rauchgewohnheit, Religion und Heiratsvorstellung, Freizeit/Hobbies,
Haustiere, Musik und Sport (cf. Abb. 6). Der linke Rand der Registerkarte enthält zwei Links,
die der Kontaktaufnahme dienen: der eine ermöglicht das Abschießen eines Amorpfeils, der
andere das Senden einer Meldung. Ein weiterer Link ermöglicht das Weiterempfehlen, einer
das Blockieren des Profils, der dritte die Meldung eines Missbrauchs der Plattform, der etwa
dann vorliegen könnte, wenn “falsche und unsittliche Inhalte sowie solche, die gegen geltendes Recht verstossen”, platziert sind.14 Außer bei Größe, Augenfarbe, Haarfarbe, Gewicht und
Beruf werden die Angaben auf den Registerkarten aus einem Set vorgegebener Möglichkeiten
ausgewählt.
Gestaltungsspielraum bietet Swissflirt vor allem bei Nickname, Bildern, Überschrift des
Profils und dem Textfenster, dessen Umfang nicht beschränkt ist. Allerdings stellt Swissflirt
gerade für die Bereiche, wo individualisierte kommunikative Akte möglich sind, Regeln auf:
Der “Textinhalt der Kontaktanzeige” darf nicht “zweckentfremdet” sein, das heißt für
kommerzielle oder finanzielle Interessen genutzt werden, er darf nicht “anrüchig, rassistisch,
geschlechtsfeindlich oder fundamentalistisch religiös” sein, er darf zudem keine persönlichen
Kontaktinformationen enthalten und nicht ein Plagiat von Texten anderer Inserenten sein. Die
Bilder der Kontaktanzeige dürfen nicht “überdimensioniert” sein, nicht “zweckentfremdet
eingesetzt” werden, keine “pornografischen oder rassistischen Darstellungen” sowie keine
“unkenntlich gemachten Bildausschnitte” wie Zensurbalken enthalten.15
206
Daniel H. Rellstab
Abb. 2
Purplemoon bezeichnet sich selbst als “Online-Community für Lesben, Schwule, Bisexuelle
und deren Freundinnen und Freunde”. Die Einstiegsseite besteht grob gesagt aus einem
großen, zwei mittleren und einem kleinen Rechteck (cf. Abb. 2).
Die zwei kleineren Rechtecke am linken Bildrand dienen der Registrierung und Anmeldung. Das große Rechteck in der Mitte ist in vier Bereiche geteilt. Im linken, oberen Teil wird
beschrieben, welche Kommunikationsmöglichkeiten PM bietet. Hier macht PM auch deutlich,
dass man sich nicht allein als Beziehungsanbahnungsplattform versteht. Der Hinweis darauf,
dass man auf Purplemoon einen Partner suchen kann, ist ganz ans Ende der Auflistung
möglicher Handlungsziele und hinter eine konditionale Adverbialbestimmung gesetzt:
Auf Purplemoon kannst du chatten, Freunde finde, diskutieren, Spass haben und – bei Bedarf
– nach einem Partner Ausschau halten.16
Auf der rechten Seite steht die Suchmaske, gleich darunter beschreibt PM die eigene Ideologie: “Jeder ist willkommen – egal mit welchem Geschlecht, Sexualität oder Alter. Auch ohne
etwas zu bezahlen kann man fast alles ohne Einschränkung nutzen. Rein sexuelle Kontakte
sind nicht erwünscht. Eine einfache und angenehme Kommunikation steht für uns im Vordergrund”. Auf der linken Seite stehen News über PM-spezifische Aktivitäten.
Die einfache Suchmaske erlaubt ein Filtern der Profile nach Geschlecht, sexueller Orientierung, Land und Region. Eine erweiterte Suchmaske ermöglicht es, Profile nach Alter,
Beziehungsstatus, Rauch-, Ess- und Trinkgewohnheiten, Kindern und Kinderwunsch sowie
religiösen und politischen Orientierungen auszuwählen. Wie bei SF werden die Suchresultate
in einer Liste präsentiert. Der einzelne Listeneintrag beinhaltet Foto, Nickname, Alter,
Geschlecht, sexuelle Orientierung, den Begrüßungstext, eine präzise Angabe zur Herkunft der
Profilschreiber und deren Status als normale oder “Power-user”. Gleichzeitig wird auch
ersichtlich, ob und wie lange der Profilinhaber schon online ist.
“Aus Liebe zu dir”
207
Das Profil selbst ist auch in Registerkartenmanier aufgebaut (cf. dazu Abb. 10). Es besteht
aus “Steckbrief”, “News”, “Über mich”, “Bildern”, einer Karte mit “Freunden” und einer
Karte mit der Überschrift “Gästebuch”. Der Steckbrief, der gleichzeitig auch die Eingangsseite des Profils ist, beinhaltet in einer ersten Zeile Nickname, Altersangabe, Geschlecht,
sexuelle Orientierung sowie wieder einen Hinweis darauf, ob der Schreiber Power-user ist.
Dann folgt eine Navigationsleiste, welche das Wechseln zwischen dem Steckbrief und den
anderen Karteikarten ermöglicht. Anschließend folgen acht Teiltexten sowie das Profilbild.
Im Teiltext “Über mich” werden der reale Vorname, der Spitzname – damit ist nicht der
Nickname gemeint, sondern der Spitzname aus der “realen” Welt -, Wohnort, Sternzeichen,
Sprachkenntnisse und Beruf aufgelistet. Unter “Aussehen” werden ethnische Herkunft,
Körpergröße, Gewicht, Haarfarbe und -länge, Augenfarbe und Gesichtsbehaarung angegeben.
Unter “Überzeugungen” können Rauch-, Trink- und Essgewohnheiten aufgelistet, die
politische Ausrichtung, Kinder und Kinderwunsch angegeben sowie ein Hinweis darauf
publiziert werden, ob und bei wem sich der Profilinhaber schon geoutet hat – dies ist eigentlich die einzige spezifisch “subkulturelle” Kategorie, die vorhanden ist. Unter “Kontakt”
stehen Kontaktinformationen, die aber nur dann sichtbar werden, “wenn du dir ein Profil
erstellt hast und damit eingeloggt bist”. Unter dem Profilbild erscheint ein Hinweis darauf,
wie viele Bilder auf dem Profil vorhanden sind sowie eine Notiz darüber, wie viele PM-user
der Profilinhaber persönlich kennt.
Unter “Überzeugungen” erscheint der so genannte “Vorschautext, der anderen Usern
einen Eindruck” dessen gibt, “was sie auf deinem Profil erwartet”. Dieser muss mindestens
20 Zeichen betragen. Unter diesem Vorschautext erscheinen die ersten News-Einträge, die
wie Blog-Einträge mit Datum, Zeit der Abfassung und einer Überschrift versehen sind. Alle
News-Einträge sind auf der zweiten Registerkarte ebenfalls publiziert. Der Steckbrief wird
abgeschlossen durch die Rubrik “Wen ich kennenlernen möchte”. Diese ist zweigeteilt. Im
einen Teil kann erläutert werden, wen man “Für Freundschaften” sucht, im anderen, wen “Für
eine Beziehung”. In beiden Teiltexten kann spezifiziert werden, welches Geschlecht präferiert
wird, wie weit entfernt zukünftige Bekanntschaften wohnen dürfen und wie sie denn so sein
sollten.
Die Angaben zum eigenen Aussehen, dem eigenem Beziehungsstatus und den Überzeugungen sowie zum gewünschten Geschlecht der Freunde/Partner und deren Alter und Wohnregion sind vorgegeben. Doch besteht Spielraum für eigene Gestaltungsmöglichkeiten: Die
Wunschpartner und -freunde können in Textfeldern beschrieben werden, das Selbst kann auf
der Registerkarte “Über mich” näher charakterisiert werden. Die Auswahl möglicher Kategorien ist hier riesig:
Zuerst werden Hobbies, Lieblingsmusik, Lieblingsfilme, Lieblingsbücher, Lieblingsmusicals und -theater sowie Lieblingsspiele angegeben. Unter “Über meine Person” können
die Profilinhaber ihr Äußeres in zehn Stichworten, sich selbst in drei Sätzen beschreiben, ihr
Inneres nach außen kehren, das, was ihnen wichtig ist, was am eigenen Ich gefällt oder
missfällt und was sie gerne an sich ändern würden, mitteilen. Hier können sie kund tun, was
sie von anderen Menschen unterscheidet, was ihre Vorstellung von Glück ist. Hier können sie
ihre Wünsche preisgeben, ihre Strategien für schlechte Zeiten verraten, ihre drei Lieblingsgegenstände benennen, das peinlichste und das schönste Erlebnis und ihre Stärken und
Schwächen schildern, beschreiben, was ihnen Geld und Status und Liebe bedeuten. Sie
können ihr Lebensmotto hinschreiben, ihre größte Leidenschaft beschreiben, den Sinn des
Lebens skizzieren und darüber sinnieren, wo sie in zehn Jahren stehen werden. Unter
“Erlebnisse/Aktivitäten” können sie noch einmal ihre Hobbies und Interessen beschreiben.
Daniel H. Rellstab
208
Hier können sie auch erzählen, was sie tun, wenn sie nichts tun, was für sie ein perfekter
Abend ist, welche Bedeutung Sex für sie hat oder welche drei Dinge sie auf eine Insel
mitnehmen würden. Unter “Andere Menschen/Lebewesen” können sie kund tun, was sie an
anderen mögen und was nicht, was Freundschaft und Liebe für sie ausmacht, was sie einem
Partner nie verzeihen würden, was der Partner über sie wissen müsste, was nie in einer von
ihnen verfassten Kontaktanzeige stehen würde, ob sie Tiere mögen und wenn ja, welche, und
welches die drei wichtigsten Personen in ihrem Leben sind. Hier können sie auch angeben,
wieso sie sich anderen empfehlen würden oder wie sie ihr Coming-out erlebten. Hier sind
einzig die Angaben darüber, wie gerne man Sport betreibt, ins Kino geht, liest oder spielt,
vorgegeben. Alle anderen Angaben werden in Textboxen ohne Zeichenbeschränkung gemacht.
6
Selbst- und Fremddarstellungen: Ein quantitativer Vergleich
Ein quantitativer Vergleich der beiden unterschiedlichen Kontaktbörsen ist ein eingeschränkter Vergleich. Denn quantitativ können nur diejenigen Aspekte der Selbst- und Fremddarstellung erfasst und verglichen werden, die auch auf beiden Plattformen vorkommen.
6.1
Selbstdarstellung
Bei den Selbstdarstellungen sind vor allem diejenigen Aspekte vergleichbar, die von den
Systemen vorgegeben sind. Dies sind notabene auch solche Angaben, die oft in printmedialen
Kontaktanzeigen auftauchen: Alter, Sternzeichen und das Erscheinungsbild. Von letzterem
sind folgende Angaben vergleichbar: Haar- und Augenfarbe werden auf allen SF-Profilen
angegeben; auf PM nennen 49 von 50 Profilen die Augenfarbe, die Haarfarbe 48 von 50.17
Auch Körpergröße, Gewicht und Körperbau werden auf beiden Kommunikationssystemen
angegeben:18 Die Körpergröße wird auf SF in allen, auf PM in 49 von 50 Profilen genannt.19
Erste statistisch signifikante Unterschiede sind beim Umgang mit Körperbau und Gewicht zu
finden. Auf PM geben 47 Männer ein Gewicht an, das notabene nicht das ihre sein muss. Auf
SF sind es bloß 33, was statistisch signifikant ist:
Purplemoon
Gewichtsangabe
Keine Gewichtsangabe
Zweiseitige Signifikanz
< 0.001
Chi-Quadrat-Wert
12.250
Freiheitsgrade
1
Swissflirt
47
33
3
17
Tab. 1
Umgekehrt proportional sind die Resultate für die Kategorie “Körperbau”. Auf PM spezifizieren lediglich 13 Männer ihren Körperbau, jedoch betrachten die meisten Männer des Samples
von SF die Angabe des Körperbaus als wichtigen Bestandteil ihrer Selbstdarstellung:
“Aus Liebe zu dir”
209
Purplemoon
Swissflirt
Körperbau
13
47
Keine Angabe
37
3
Zweiseitige Signifikanz
< 0.001
Chi-Quadrat-Wert
48.167
Freiheitsgrade
1
Tab. 2
Offensichtlich geben die Männer auf PM lieber Informationen über ihr Gewicht als ihren
Körperbau preis. Umgekehrt verhält es sich mit den Männern auf SF. Diese geben eher ihren
Körperbau als ihr Gewicht an.
Allerdings bedarf diese Tendenz einer etwas genaueren Analyse. 25 Profilinhaber auf SF
bezeichnen ihren Körperbau als “normal”, 11 als “athletisch”, 8 als “schlank”, und nur 3
geben an, “einige Extrapfunde” aufzuweisen. Die häufige Verwendung der Kategorie
“normal” auf SF ist bemerkenswert und wohl nicht ganz zufällig. “Normal”, ein Adjektiv mit
einer ausgesprochen vagen Wortbedeutung, ermöglicht es unterschiedlichsten Männern, die
Kategorie “Körperbau” zu verwenden. Wie ein kleiner Test der 16 Männer, die gleichzeitig
ihr Gewicht, ihre Größe und die Kategorie “Normaler Köperbau” angeben, zeigt, ist die
Spannbreite derer, die behaupten, einen “normalen” Körperbau zu haben, sehr groß. Legt man
den Body Mass Index zugrunde, dann gehören stark und schwach übergewichtige wie auch
normalgewichtige Profilinhaber dazu. Sich selbst einen “normalen” Köperbau zu geben ist
demnach ein wichtiger performativer Akt, um sich “normal” zu machen.
Wichtig sind natürlich auch die Angaben der Hobbies. Vergleichbar sind aber erstens nur
diejenigen Angaben, die auf beiden Plattformen auftauchen. Dies sind folgende:
SF
Swissflirt
Signifikanz gemäß Chi2-Test:
Purplemoon
Auto
15
1
Filme
34
22
Nicht signifikant
0
6
Nicht berechenbar
Kochen
32
4
< 0.001
Lesen
17
18
Nicht signifikant
Nicht signifikant
Fotografieren
< 0.001
Musik
29
33
Natur
25
3
< 0.001
Reisen
37
9
< 0.001
Shoppen
15
2
< 0.001
Spiele
10
14
Nicht signifikant
Sport
41
17
< 0.001
Tiere
15
7
Tab. 3
Nicht signifikant
Daniel H. Rellstab
210
Jedoch dürfen nur “Sport” und “Filme” verglichen werden, denn die Männer auf SF haben
ihre Angaben zu den Hobbies aus einem Set vorgegebener Möglichkeiten auszuwählen.
Neben der Möglichkeit, in mehreren Textboxen Hobbies anzugeben, steht auf PM auch ein
Auswahlset für Hobbies zur Verfügung, und dieses beinhaltet “Kunst”, “Musik”, “Lesen”,
“Filme/Sendungen”, “Sport”, “Spiele” und “Theater”. Also sind nur “Sport” und “Filme”
vergleichbar. Hier bestehen allerdings signifikante Unterschiede: Die Männer des SF-Samples
geben öfter “Sport” und “Filme” als Hobbies an, als dies die Männer auf PM tun.
Fünf weitere Aspekte der Selbstdarstellung sind sowohl auf PM wie SF vorhanden und
deshalb vergleichbar: Beruf, Religion, Rauchgewohnheiten, Kinder haben, Kinderwunsch. 27
Männer auf SF geben ihren Beruf an; auf PM sind es 29. Unterschiede im Hinblick auf die
Angabe der Religiosität sind vorhanden, aber ebenfalls nicht signifikant: 25 Männer auf PM
verwenden die Kategorie “Religion”, um sich zu beschreiben, auf SF sind es 16. Auf beiden
Plattformen verweisen je 46 Männer auf ihre Rauchgewohnheiten. Hier ist der Unterschied
der Antworten statistisch signifikant ist: Auf PM geben 25 an zu rauchen, auf SF sind es
lediglich 9:
Purplemoon
Swissflirt
Raucher
25
9
Nichtraucher
25
41
Zweiseitige Signifikanz
< 0.001
Chi-Quadrat-Wert
11,943
Freiheitsgrade
1
Tab. 4
Diese Rechnung verbirgt aber, dass die Plattformen Raucher unterschiedlich behandeln.
Während der rauchende Inserent auf PM angeben kann, ob er “fast nie”, “nur am Wochenende”, “mittelmäßig viel” oder “viel” raucht, gibt es auf SF keine Zwischenstufen, sondern
nur ein Entweder-Oder. So ist es gut möglich, dass jemand, der auf PM die Kategorie “nur am
Wochenende” wählen würde, sich auf SF als Nichtraucher bezeichnen würde.
Der Vergleich der Angabe der Kinder ist uninteressant: Auf SF geben 5 Männer an,
Kinder zu haben, 37, dass sie keine haben, 8 lassen die Frage unbeantwortet. Auf PM weist
1 Mann darauf hin, Kinder zu haben (einer der 8 heterosexuellen), 34 geben an, dass sie keine
haben, 12 lassen die Kategorie leer. Interessanter ist der Vergleich der Kinderwünsche.
Obwohl gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz keine Möglichkeit haben, Kinder zu
adoptieren, können Partnersuchende auf PM genauso wie auf SF angeben, ob sie Kinder
möchten oder nicht. Die Angabe zu dieser Frage ist für die Männer des PM-Samples wie für
diejenigen des SF-Samples fast gleich relevant: Sie wird in 28 PM-Profilen und in 31 SFProfilen beantwortet. Allerdings bestehen Unterschiede hinsichtlich des Kinderwunsches. Auf
PM geben 19 an, keine Kinder zu wollen, 4 möchten gerne Kinder.20 5 geben an, es noch
nicht zu wissen.21 Auf SF wollen nur 5 keine Kinder haben; 11 geben an, unentschlossen zu
sein, 15 möchten gerne Kinder haben. Diese Verteilung ist signifikant:
“Aus Liebe zu dir”
Purplemoon
Kinder wollen
Keine Kinder wollen
Unentschlossen
Zweiseitige Signifikanz
< 0.001
Chi-Quadrat-Wert
16,676
Freiheitsgrade
2
211
Swissflirt
4
15
19
5
5
11
Tab. 5
Inwiefern sich hier Stereotypen oder auch die bestehenden Gesetze bemerkbar machen,
müsste eine viel umfassendere, anders ausgerichtete und repräsentative Studie zeigen.
Vergleichen lassen sich auch die Profilbilder. Signifikante Unterschiede gibt es hier
indessen nicht. Auf PM weisen 36 Profile ein Foto auf, das höchst wahrscheinlich die
Inserenten abbildet; zwei User verwenden als Profilfoto Abbildungen fremder Personen,
einmal dasjenige eines weiblichen Musikstars, einmal dasjenige eines amerikanischen High
School Studenten aus einem Jahrbuch der 1970er Jahre. Auch 36 SF-Profile enthalten ein Bild
des Inserenten. Hier sind aber keine Darstellungen vorhanden, die offensichtlich fremde
Personen darstellen. Auf SF präsentieren sich 24 Männer auf einem Porträtbild, 8 präsentieren
ihren Torso, 4 stellten Ganzkörperfotos ins Netz. Auf PM sind die Porträts etwas weniger
häufig (15), dafür kommen etwas öfter Torsi (14) und Ganzkörperfotos (7) vor – signifikant
sind diese Unterschiede aber nicht. Genau gleich viele Männer auf PM und SF, nämlich je 8,
präsentieren sich mit halb verdecktem Gesicht, sei dies mit einer Sonnenbrille und/oder einer
Mütze, die ins Gesicht gezogen wurde. Ein augenfälliger Unterschied besteht darin, dass 7 der
36 Männer auf PM mit nacktem Oberkörper posieren, etwas, was bei SF nicht vorkommt.
Alle der etwas freizügigeren Männer identifizieren sich als homosexuell.
Das Ergebnis des quantitativ ausgerichteten Vergleichs der Selbstdarstellung von Männern
auf PM und SF lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die wichtigsten Aspekte der
Selbstdarstellung lassen sich quantitativ zwar vergleichen, die Unterschiede sind meist nicht
signifikant. Die wichtigsten körperlichen Attribute werden sowohl auf PM wie auch auf SF
genannt. Die Männer des PM-Samples geben eher das Gewicht, die Männer auf SF eher den
Körperbau an, allerdings oft mit dem nicht gerade gehaltvollen Adjektiv “normal”. Unterschiede bestehen auch darin, dass die Männer der SF-Profile öfter angeben, Sport zu treiben
und Filme zu mögen und Kinder zu wollen. Die Männer auf PM geben eher an, dass sie
rauchen, allerdings können sie ihre Rauchgewohnheiten differenziert darstellen – auf SF
müssen sich die Profilinhaber dafür entscheiden, sich als Nichtraucher oder Raucher zu
präsentieren.
6.2
Partnerdarstellung
Die beiden Systeme bieten unterschiedliche Möglichkeiten, den Wunschpartner zu beschreiben. Auf PM wird die Charakterisierung des gewünschten Partners dem User nahe
gelegt (cf. Abb. 3):
Daniel H. Rellstab
212
Abb. 3
Will der Inserent auf SF seinen Partner beschreiben, so muss er sich zuerst überlegen, wo er
dies tun könnte. Die einzige Möglichkeit dazu findet er in der Box “Text” (cf. Abb. 4).
Diese Unterschiede müssen bei dem quantitativen Vergleich berücksichtigt werden. Die
Angaben der Altersspanne der Wunschpartner kann nicht verglichen werden, weil diese
Angabe von PM nahe gelegt wird, von SF aber nicht. Verglichen werden kann aber, ob
überhaupt ein Wunschpartner skizziert wird – und interessanterweise entspricht das Resultat
nicht der Erwartung, dass aufgrund der Systemkonfiguration mehr Männer auf PM Angaben
über gewünschte Eigenschaften eines Partners machen würden als auf SF. Von den 50 PMProfilen nennen nur gerade 21 Profile wünschenswerte Attribute eines zukünftigen Partners.
Auf SF sind es immerhin 34 Profile, in denen steht, wie die Wunschpartnerin sein sollte.
Dieser Unterschied ist statistisch signifikant:
Purplemoon
Swissflirt
Angaben über Wunschpartner
21
34
Keine Angaben über Wunschpartner
29
16
Zweiseitige Signifikanz
0.009
Chi-Quadrat-Wert
6,828
Freiheitsgrade
1
Tab. 6
Die Fremdbeschreibungen der Profile auf beiden Kontaktbörsen bestehen vor allem aus
Adjektiven (“humorvoll”) oder Nomen (“Ehrlechkeit”) und einzelnen Phrasen (“en gwösse
Ehrgiz”). Insgesamt werden in den 55 Profilen der beiden Plattformen, die Fremddarstellungen beinhalten, 134 verschiedene Eigenschaften der Wunschpartnerin oder des Wunschpartners genannt. Der Vergleich zeigt, dass die Attribute, die auf PM und auf SF verwendet
“Aus Liebe zu dir”
213
Abb. 4
werden, weder gender- noch subkulturspezifisch sind. Eine Ausnahme bildet einzig das
Attribut “nichttuntig”, das 1 mal auf PM auftaucht. Zur Charakterisierung einer Wunschpartnerin eignet es sich natürlich nicht.
Da die Eigenschaften auf beiden Börsen in freiem Text aufgelistet werden, sind Mehrfachnennungen einer Eigenschaft schon auf einer Kontaktbörsen selbst eher selten, und nur gerade
folgende 27 der insgesamt 134 genannten Eigenschaften werden auf beiden Plattformen
verwendet:
214
Daniel H. Rellstab
Eigenschaft
Purplemoon
Swissflirt
Aufgestellt
1
2
Bodenständig
2
2
Direkt
1
2
Ehrlich
6
12
Einfach
1
2
Hübsch
1
1
Humorvoll
2
7
Klug
1
2
Liebevoll
1
1
Nichtraucher
2
1
Offen
4
4
Romantisch
2
4
Schlank
2
1
Spontan
2
4
Sportlich
2
9
Sympathisch
2
2
Treu
2
11
Unkompliziert
1
5
Unternehmungslustig
1
2
Viel Freiraum gebend
1
1
Wie ich
2
7
Witzig
1
1
Zärtlich
4
3
Zufrieden
1
1
Zuverlässig
2
1
Tab. 7
Einen Unterschied, der statistisch signifikant wäre, gibt es hier nicht.
Etwas aussagekräftiger wird das Bild, wenn alle aufgelisteten Eigenschaften in semantische Felder gegliedert und diese Felder verglichen werden. Diese fünf Felder werden konstituiert aus
1. Wesenseigenschaften der zukünftigen Partnerin oder des zukünftigen Partners (z.B.
“liebevoll”, “ehrlich”, “offen”, “keine Schlaftablette”),
2. Aspekten des Erscheinungsbildes (z.B. “stilvoll”, “hübsch”, “süss”),
3. Aspekten, welche die Beziehungsgestaltung betreffen (z.B. “viel Freiraum geben”, “treu”,
“kein Verarscher”),
“Aus Liebe zu dir”
215
4. Hobbies (z.B. “kunstliebhabend”, “liebt Autos”),
5. Adjektiven, die das Berufsleben betreffen (“erfolgreich”).
Auf beiden Plattformen werden Lexeme aus den ersten vier Bereichen genannt. Die letzte
Kategorie taucht nur auf PM auf:
ad 1. Auf PM werden 49 verschiedene Adjektive zur Wesenscharakterisierung verwendet.
Insgesamt werden in 18 Profilen 70 mal Adjektive verwendet, die das Wesen des
Wunschpartners charakterisieren. In 27 SF-Profilen werden 42 Adjektive zur Wesenscharakterisierung verwendet, und insgesamt werden 63 mal Adjektive verwendet, die
das Wesen der Partnerin charakterisieren.
ad 2. Auf PM werden 10 Adjektive zur Charakterisierung des Äußeren verwendet; Adjektive
aus dieser Kategorie werden in 9 Profilen 17 mal verwendet. Auf SF sind es 12 Adjektive, insgesamt werden 23 mal Adjektive aus dieser Kategorie in 14 Profilen verwendet.
ad 3. Auf PM werden in 9 Profilen 10 Adjektive, die für die zukünftige Beziehung relevant
sind, verwendet, insgesamt 26 Mal, auf SF werden 9 Adjektive dieses Feldes insgesamt
16 mal in 18 Profilen verwendet.
ad 4. Auf PM wird nur 1 Adjektiv verwendet, das passende Hobbies nennt, und zwar nur
1 mal in einem Profil, auf SF werden 3 Adjektive insgesamt 5 mal in je 5 Profilen
verwendet.
ad 5. Das einzige Adjektiv, das den Beruf beschreibt, ist “erfolgreich”; es wird 1 mal auf PM
erwähnt.
Wie Mann-Whitney-Tests zeigen, sind jedoch die Unterschiede im Hinblick auf die Häufigkeit der genannten Adjektive in keiner Kategorie signifikant. Auffallend ist einzig, dass die
Beschreibung wünschenswerter Wesenszüge auf beiden Plattformen mehr Raum einnimmt als
die Beschreibung des Äußeren des oder der Zukünftigen oder die Aufzählung von Eigenschaften, welche die Beziehungsgestaltung betreffen. Der quantitative Vergleich zeigt aber
auch, dass die Fremddarstellungen beider Kontaktbörsen ausschließlich Kategorien verwenden, die auch in printmedialen Kontaktanzeigen auftauchen könnten. Der quantitative Blick
konstatiert deshalb vor allem die Kontinuität zwischen den beiden kommunikativen Gattungen “printmediale Kontaktanzeige” und “Profil auf einer virtuellen Kontaktbörse”. Anders
sieht dies bei der qualitativen Analyse aus.
7
Zweimal Swissflirt, einmal Purplemoon: Qualitative Analysen
Auf Swissflirt beschränken sich die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten des Profils auf
die Bilder und das Textfenster (cf. Abb. 4). Die Vorgaben von SF sind aber nicht so eng wie
bei printmedialen Kontaktanzeigen, denn die Länge des Textes im Fenster “Text” ist nicht
beschränkt. Zwar bietet SF mit dem Titel “Kontaktanzeige” auch eine Gattungsvorgabe und
damit gleichzeitig eine Formulierungshilfe an; zwar gibt es spezifische Richtlinien, an welche
sich die Verfasser halten müssen (cf. Kap. 5). Wie der Text geschrieben, strukturiert und
gestaltet wird und wie er sich ins Gesamt des Profils einfügen soll, das lässt SF aber offen.
Deswegen ist es nicht erstaunlich, dass die Textgestaltungen und damit auch die Selbst-
Daniel H. Rellstab
216
präsentationen auf SF variieren. Die Bandbreite der Variabilität lässt sich anhand zweier
Beispiele illustrieren.
Purplemoon dagegen bietet seinen Nutzern sehr viel mehr Raum, um ein individuelles
Profil zu entwerfen. Dieser Raum wird genutzt und führt zur Texten, in welchen zwar die
kommunikativen Teilhandlungen, welche in der printmedialen Kontaktanzeige mit Hilfe der
einzelnen Textbausteine realisiert werden, noch auffindbar sind. Die Selbstdarstellungen, die
hier entstehen, sind indessen mit den Reifizierungen der traditionellen Kontaktanzeige nicht
mehr vergleichbar. Dies zeigt eindrücklich Beispieltext 3.
7.1
Swissflirt 1: “Gibt es denn keine Frau…..”
Abb. 5
Der gewählte Nickname, der in der Abbildung eingeschwärzt wurde, nennt Alter sowie eine
Charaktereigenschaft des Inserenten. Im Textfenster steht:
Gibt es denn keine Frau…..
die nicht mehr allein sein will. Ein bisschen die selben Interessen sollten vorhanden sein.
Ansonsten bin ich offen. Also schreibt , bitte nur mit Fotos.
Gruss
Das Profil selbst ist sehr ökonomisch gestaltet. In der Textbox schreibt der Inhaber nur an
einer Stelle über sich selbst: Er charakterisiert sich als “offen”. Die Möglichkeiten der
Selbstdarstellung, welche durch die Registerkarten gegeben sind, nutzt er aber bis auf die
Angabe des Aszendenten alle. Er nennt Alter, Wohnort, Sternzeichen, Nationalität, beschreibt
sein Äußeres mit der Angabe von Größe und Gewicht. Seinen Körperbau bezeichnet
“Aus Liebe zu dir”
217
er als “normal”, den Fitnesslevel als
“durchschnittlich”. Er ist alleinstehend, hat keine Kinder, gibt an, Angestellter und Christ zu sein und kann
sich vorstellen zu heiraten. Mit Hilfe
der Aufzählungen unter Freizeit/Hobbies präsentiert er sich als sportlichen
und aktiven Menschen, der gerne reist,
Autos und Motorräder mag und sich
um seine Gesundheit und sein Äußeres
kümmert. Haustiere hat er keine;22 auf
eine bestimmte Musikrichtung legt er
sich nicht fest: Offensichtlich hört er,
abgesehen von E-Musik, alles (cf.
Abb. 6). Mit Hilfe der Angaben auf
den Registerkarten konstruiert der Inserent allerdings kein sehr präzises
Bild seiner Selbst. Die Vielzahl von
Angaben unter Sportarten und Musik
Abb. 6
evozieren vielmehr Unbestimmtheit;
die Verwendung der Adjektive “durchschnittlich” und “normal” verstärken diesen Eindruck des Unbestimmten. Einzig der Hinweis
darauf, dass er raucht, verleiht dem Profilinhaber etwas Eigenständigkeit, denn die Raucher
sind im Sample von SF klar in der Minderheit (cf. Kap. 6.1).
Auf dem Profilbild blickt der Inserent direkt in die Kamera, das
Gesicht ist nicht verdeckt. Der Fotografierte befinden sich irgendwo
draußen: Im Hintergrund ist ein blätterloser Baum sichtbar. Die
Kleidung ist unauffällig: Graues Kapuzenshirt und Jeansjacke. Wie
ein Blick in sein Fotoalbum zeigt (cf. Abb. 7), ist das Profilbild ein
Ausschnitt aus einem Ganzkörperbild, das dort zu sehen ist. Der
Mann steht auf einer Brücke, die über einen begradigten Bach führt,
in einer unspektakulären Landschaft, die sogar etwas trist wirkt. Es
liegt etwas Schnee, der Himmel ist wolkig. Das Farbspektrum des
Bildes ist verhalten: Blasse Grau-, Blau- und Grüntöne herrschen
vor. Das verwendete Profilbild hilft damit nur bedingt, den Eindruck des Unbestimmten zu zerstreuen. Denn es zeigt nicht mehr
vom Inserenten als dessen Äußeres. Es akzentuiert weder eines
seiner Hobbies noch illustriert es eine seiner Freizeitaktivitäten. Das
konstruierte Selbst dieses Profilinhabers bleibt so auch mit Bild
relativ unbestimmt und unterkomplex, und die Informationen,
welche der Profilinhaber über sich selbst kund tut, unterscheiden
sich kaum von Informationen, wie sie auch in einer printmedialen
Kontaktanzeige zu finden wären. Das sieht im nächsten Beispiel
anders aus.
Abb. 7
Daniel H. Rellstab
218
7.2
Swissflirt 2: “nun bin ich an der Reihe”
Abb. 8
Dieser Profilinhaber wählte einen englisch klingenden Fantasienamen als Nickname. Im
Textfenster seines “Profils” steht:
Hallo,
Nun ist es Zeit, die Sache selbst anzupacken; so wie alle die hier inserieren, bin auch ich auf der
Suche nach meiner Hälfte. Ich bin mitte September 40 geworden und ich bin immer noch single;
ich hoffe es wird ab nun ändern.
Sport brauche ich, um den Altagsstress ab zu baun; mein Haupsport ist Wasserball; neben bei
spiele ich auch gerne Beachvolley (leider in diesem Sommer nicht dazu gekommen), fahre Rad.
Abends lese ich oder mache Kreuzworträtzel um besser einschlafen zu können. Ich backe auch
gerne, sowie bereite Desserts vor. Ich bin eine Vertrauensperson mit eher ruhigem Karakter. Ich
habe keine Altlasten.
Nun zu dir : gerne etwas jünger als ich, Du solltest auch Sport mögen. Ideal hast Du helleres
Haar mit braune Augen; aber eben idealerweise. Und sonst was man sich so als Traumfrau sich
vorstellt. Nicht Raucherin wäre von Vorteil.
Auf den Fotos sieht man mich mit einem Rottweiler; keine Angst es ist leider nicht meiner; ich
muss allerdings sagen, war; man hat ihn vor zwei Wochen einschäfern müssen. Ich mag Tiere,
aber aus Mitleid habe ich keins; ich habe keine Zeit mich um sie zu kümmern, meine Arbeitszeit
lässt es nicht zu.
Ach, was Du auch noch wissen solltest, ich komme aus dem Kanton Neuenburg; Französisch ist
meine Hauptsprache; spreche aber sonst Hochdeutsch, ich wollte es einfach sagen. Da ich gerne
Autofahre oder Rad, macht es mir noch nichts aus, wenn Du etwas weiter wohnst.
“Aus Liebe zu dir”
219
So, wenn jetzt noch mehr schreibe, wird sich keine mehr trauen, mir zu antworten :-)
Wenn Du noch ein Foto mit der Antwort beilegst bin ich ganz froh.
Ich wünsche alle die meine Anzeige bis zum Ende gelesen haben einen schönen Tag.
Liebe Grüsse.
(Nickname)
Anders als im ersten Fall lässt der Inhaber dieses Profils einige Angaben zu seiner Person auf
den Registerkarten offen: Er nennt Nationalität und Gewicht nicht – letzteres ist auf SF
allerdings nicht erstaunlich (cf. Kap. 6.1). Er lässt die Angaben zu Beruf und Heiratswunsch
ebenfalls offen. Er gibt aber an, dass er keine Kinder hat, aber gerne Kinder haben würde, und
bezeichnet sich selbst als Atheist. Wie der Inserent des ersten Beispiels gibt auch er eine
Vielzahl unterschiedlicher Freizeitaktivitäten und Hobbies an. Sein Musikgeschmack ist aber
schon viel präziser definiert, als dies im ersten Beispieltext der Fall war, und bei den Sportarten beschränkt er sich darauf, drei zu nennen (cf. Abb. 9).
Sein Profilbild ist eine Illustration seiner Freizeitgestaltung und damit gleichzeitig auch
ein Beleg der Wahrhaftigkeit dieser Angaben. Es zeigt ihn auf einem Feldweg in Sportkleidung neben einem Rottweiler kniend, um den er den Arm gelegt hat. Damit signalisiert er
Sportlichkeit, Naturverbundenheit und Tierliebe – Sport, Natur und Tiere sind denn auch
Lexeme, die auf seiner Registerkarte unter Freitzeit/Hobbies auftauchen.
Dieses Selbstbild, das auf dem Foto und den Registerkarten inszeniert wird, wird im
Textfenster weiter verdichtet, den Informationen auf Bild und Registerkarten damit mehr Sinn
verliehen. Der Inserent präzisiert hier sein Alter und gibt dieses auch als Grund dafür an,
weshalb er jetzt auf SF inseriert. Er erläutert, welcher Sport und weshalb ihm Sport wichtig
ist. Er begründet, weshalb er liest, und wiederholt, dass er gerne in der Küche steht. Er
beschreibt seinen Charakter und erklärt, weshalb er selbst kein Haustier mehr hat. Mit dem
Verweis auf den gemäß landläufiger Meinung gefährlichen Hund
auf dem Bild, neben dem er
kniet, signalisiert er gleichzeitig
auch ein gewisses Maß an Eigenständigkeit. Er präzisiert ebenfalls seine Herkunft und informiert darüber, dass seine Muttersprache Französisch sei. Der Inserent hier will sicherlich nicht
als Durchschnittstyp erscheinen.
Seine Selbstdarstellung weist
gleichzeitig Brüche auf. Das
Bild, das in dieser Anzeige entsteht, ist nur bedingt das eines
rundum erfolgreichen Mannes.
Zwar ist er “eine Vertrauensperson” und hat “keine Altlasten”;
zwar scheint er ein aktiver Berufsmann zu sein. Doch sein LeAbb. 9
220
Daniel H. Rellstab
ben ist nicht einfach problemlos: Der Schreibende braucht Sport, um Alltagsstress abbauen
zu können. Dies präsupponiert, dass er Stress hat. Er liest, um abends besser einschlafen zu
können. Dies implikiert, dass er nicht einfach gut einschläft. Außerdem scheint er wenig Zeit
zu haben, denn er kann sich kein Haustier halten: “meine Arbeitszeit lässt es nicht zu”. Diese
Selbstoffenbarungen wirken nicht nur als Brüche, sondern suggerieren auch Nähe, denn in
intimer Kommunikation darf über eigene Schwächen geschrieben werden (cf. Laurenceau et
al. 1998). Diese Nähe zu seinen Rezipienten verstärkt der Inserent mit Hilfe sprachlicher
Merkmale: Er schreibt keine traditionelle Kontaktanzeige, sondern einen Brief an ein unbestimmtes Du, der mit “Hallo” beginnt und mit “Liebe Grüße” endet. Und er emuliert mit dem
Seufzer “Ach” und dem Adverb “So” Mündlichkeit, was ebenfalls Näher suggeriert.23 Das
Bild, das er so von sich selbst konstruiert, ist komplex, aber nicht undeutlich, weist Brüche
auf, aber so, dass sie ins Bild passen.
7.3
Purplemoon: “Ich habe dich sehr gern, drum lass ich dich los”
Das letzte Beispiel widerlegt Ellisons These, dass Inserenten auf online-Kontaktbörsen genau
überlegen, was sie publizieren, um ein möglichst ideales Bild ihrer selbst zu präsentieren,
zwar nicht (cf. Ellison 2006). Es zeigt aber, dass ein Selbstbild auf Kontaktbörsen nicht
unbedingt aus gemeinhin als attraktiv erscheinenden Charaktereigenschaften oder beschönigten Gewichtsangaben bestehen muss. Denn nicht allen gefällt das Gleiche, und Geschmack
ist kulturell und subkulturell geprägt (cf. Bourdieu 1982). Dass jedoch ein solchermaßen
komplexes Selbstbild konstruiert werden kann, wie dies hier der Fall ist, liegt nicht nur in der
Intention des Inserenten begründet. Die Bedingung der Möglichkeit dieser Inszenierung liefert
die Systemarchitektur der Website von PM.
In seinem “Steckbrief” (cf. Abb. 10) kommuniziert der Inhaber dieses Profils Name,
Nickname – dieser weist ihn als Liebhaber von Pflanzen aus –, Wohnort, Sternzeichen,
Sprachkenntnisse, Beruf, Beziehungsstatus, Aussehen und seine Überzeugungen. Augenfällig
sind seine Einträge unter der Rubrik “Spitznamen”: Er listet fünf Spitz- und Rufnamen auf
und signalisiert mit Auslassungspunkten, dass er noch mehr Rufnamen hat. Gleichzeitig stellt
er klar, dass der Gebrauch des einen Namens jemandem vorbehalten ist: “so nennt mich aber
nur jemand ganz spezieller!” Er indiziert mit diesen Angaben, dass er Mitglied eines Netzwerks von Freunden ist und dass er zu jemandem in einer speziellen Beziehung steht – was
für ein Profil auf einer Kontaktbörse einigermaßen erstaunlich ist, denn wer will seinen
zukünftigen Partner schon mit “jemand ganz spezieller” teilen?24 Relevant ist auch sein
Hinweis darauf, dass er bei allen geoutet ist: Mit seiner Homosexualität scheint er keine
Probleme zu haben. Auf dem Profilbild, einem Porträt, trägt der Inhaber eine Schirmmütze
und zieht eine leichte Grimasse. Er inszeniert sich damit als Mann mit Witz und Selbstironie.
Gleichzeitig zeigt schon die Bildlegende, die darauf hinweist, dass er insgesamt 33 Bilder in
3 Ordnern publiziert hat, dass er auch keine Probleme damit hat, sich den anderen auf dieser
Plattform zu präsentieren.
Viel über sich gibt der Profilinhaber auch auf der Registerkarte “Über mich” preis. Die
Einträge hier sind konsequent aus der Ich-Perspektive formuliert. Allerdings signalisiert der
Profilinhaber auch, dass ihm das Abfassung von Selbstbeschreibungen Probleme bereitet:
ja … viles halt … ach ja, und malen … wer lust hat, kann die bilder ja angucken … nicht?
www.yyy.com25
“Aus Liebe zu dir”
221
Abb. 10
Kunst und Musik interessieren ihn, wie er angibt, stark. Auf einzelne Künstler oder Musiker
will er sich aber nicht festlegen. Zu Kunst sagt er: “entweder gefällt es, oder es gefällt nicht.”
Und: “jeder mensch macht kunstwerke”. Zu den Büchern, die er gerne liest, schreibt er:
Es gibt so viele, ich kann sie nicht aufzählen. Lesen ist Wissen, Verstehen. Man kann nicht
genug lesen! Etwas zeitgenössisches: Lies mal “Die Mitte der Welt” oder “Die Lewins” …
beides umwerfende Bücher, über 500 Seiten und man wünscht sich, es wären mehr Seiten …
Auch Filme/Sendungen interessieren ihn “stark”: “ups… alles, ich sammle gute Filme … und
hab deshalb schon über 600… :-) Filmabend? :-)”.
Diesem Profilinhaber ist es wichtig, als eigenständige Person mit einem reichen Innenleben wahrgenommen zu werden. In “Über meine Person”, “Aktivitäten und Hobbies” und
“Lebenseinstellungen” beschreibt er seine Wünsche, Ansichten, Gefühle, Ängste, Hoffnungen
und Sehnsüchte en détail. Er tut seine Lebenseinstellungen mit Lebensmotto und Antworten
auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, der Bedeutung von Geld und Status, von Liebe und
Sex, der größten Leidenschaft und der politischen Ausrichtung kund, und er teilt den anderen
mit, was er an anderen Menschen mag. Zu seinem Äußeren aber schreibt er:
Hm…wieso soll ich mich beschreiben? Schau dir die Fotos an und du weisst, was auf dich
zukommt … oder eben nicht. Äußeres und Gefallen ist ja so was von relativ. Oder nicht?
Auf die Frage, wieso er sich anderen empfehlen würde, schreibt er:
Wieso sollte ich? Ich will so erwünscht oder begehrt sein, wie ich bin. Freundschaften und
Liebe sind doch kein Business, für das man Werbung macht und Empfehlungen abgibt …
Der Profilinhaber indiziert, dass er gerne diskutiert. Zu “Was mir Liebe bedeutet” schreibt er
an Ende des Eintrags: “Diskussionsstoff für einen Abend, aber nicht für diese Box”. Zu “Das
bedeutet Sex für mich” meint er: “Sex ist für mich etwas ganz spezielles und nichts alltäg-
Daniel H. Rellstab
222
liches wie ein Einkauf. Und auch ein abendfüllendes Thema”. Und er versucht auch gleich,
seinen Rezipienten in ein Gespräch zu verwickeln: Er adressiert oft ein Du, das teilweise eine
bestimmte Person ist, teilweise auch den unbekannten Leser meint (“Mach mir etwas Mut,
Chrigi, ok?”; “Filmabend? :-)”). Er streut Interjektionen und tag-questions in seine Texte und
suggeriert damit Nähe auch zu dem ihm noch unbekannten Leser.26
Der Profilinhaber benutzt sein Profil auch als Plattform, um aus seinem Leben zu erzählen. In News lässt er seine Leserschaft an einer kurzen Liebesbeziehung mit einem “Prinzen”
teilhaben. Dies geschieht aber nicht einfach in erzählendem Modus. In zwanzig Einträgen, die
an Bloggs erinnern und sich über gut drei Wochen erstrecken, montiert er Beschreibungen
seiner eigenen Befindlichkeiten mit Songtexten von Depeche Mode (“Playing the Angel”,
“Damaged People”, “Precious”, cf. 13. September) und Rosenstolz (“Aus Liebe wollt ich
alles wissen”, cf. 21. September) und mit Gedichten, eigenen und fremden (cf. 15. September,
27. September). Der Gefühlshaushalt und dessen Umwälzungen stehen hier im Vordergrund:
Von “ich habe den prinzen kennen gelernt. und er hat angst, wie mir scheint” (1. September),
über “Jetzt ist es raus. Das Nein.” (8. September) und “Ich vermisse dich sehr!” (11. September) “genug! ich will weiter!” (13. September), den “Schrecken des Wiedersehens”
(21. September), bis hin zum “Ich fühl mich besser. Ich hoffe, du auch!” (25. September) und
einem “Man darf mich anschreiben, ja, das darf man!”.
Der Profilinhaber scheut sich nicht davor, seine aktuelle Partnersuche explizit im Kontext
dieser unglücklich verlaufene Episode zu verorten und formuliert gar den Begrüßungstext als
Nachruf auf den verlorenen Prinzen und nicht als direkte Aufforderung an einen noch
Unbekannten, sich mit ihm in Verbindung zu setzen:
Ich habe dich sehr gern, drum lass ich dich los. Aus Liebe zu dir und für etwas besseres zwischen uns. Und öffne mein Herz für denjenigen, der mich so will, wie es mit uns nicht sein
konnte.
Und selbst die Anforderungen an einen zukünftigen Partner sind aus der Perspektive der
missglückten Beziehung formuliert. “Für eine Beziehung” wünscht er sich jemanden, der
daran interessiert ist, “etwas aufzubauen, statt bei ersten Problemen wegzulaufen”.
Zwar könnten alle Teiltexte, die hier auftauchen, als Entfaltungen von Textbausteinen
interpretiert werden, die auch in printmedialen Kontaktanzeigen vorkommen. Selbst die
unglückliche Liebesgeschichte wäre dann nichts anderes als die Entfaltung dessen, was etwa
unter “nach schwerer Enttäuschung” zu subsumieren wäre (cf. Zitat Kap. 3). Aber aus der
Anzeige ist eine komplexe Collage über die Befindlichkeit eines Mannes geworden, der an
einer missglückten Beziehung leidet. Die Collage selbst ist unabgeschlossen, Spuren der
Revision bleiben sichtbar. Damit wirkt sie aber auch sehr authentisch: Hier wird ein Individuum mit seinen Wünschen, Hoffnungen und Erfahrungen konstruiert, das sich vordergründig
dem Heiratsmarkt dadurch verweigert, dass es etwa sein Äußeres relativiert und sich einer
expliziten Selbstempfehlung verweigert. Doch vielleicht ist gerade dies eine Strategie, die auf
PM zum Erfolg führen könnte.
8
Fazit
Selbst- und Fremdinszenierung auf virtuellen Kontaktbörsen sind bedingt durch mediale
Gegebenheiten und entstehen in komplex strukturierten, teilweise stark durch das Medium
gelenkten Auswahl- und Formulierungsprozessen. Die Lenkung durch das Medium ist
“Aus Liebe zu dir”
223
vollkommen anders, als dies bei der traditionellen Kontaktanzeige der Fall ist: Nicht ökonomische Bedingungen, sondern die Systemarchitektur der Website, die Auswahlmöglichkeiten
sowie die Freiheiten, Texte zu gestalten, entscheiden darüber, wie individuell ein Profil sein
kann. Da die Systemarchitekturen von Website zu Website variieren, dürfte die Spannbreite
der Möglichkeiten der Selbstinszenierungen im Netz viel breiter werden, als dies bei der
Kontaktanzeige jemals der Fall war.
Dies hat Konsequenzen für User von Kontaktbörsen. Anders als die Schreibenden von
traditionellen Kontaktanzeigen müssen sich Inserierende und Rezipierende auf je spezifische
Gegebenheiten der Systeme einlassen. Es geht nicht mehr nur darum, in einem standardisierten Kurztext ein Ich zu zeichnen, das für einen potenziellen Partner attraktiv sein könnte,
sondern auch darum, die zur Verfügung gestellten Möglichkeiten so zu nutzen, dass im
multimodalen Text ein möglichst attraktives und wahrhaftiges Bild des Selbst entsteht. Die
textuellen Kompetenzen der Nutzer sind daher stärker gefordert, als dies bei printmedialen
Kontaktanzeigen der Fall war. Der Wegfall des sprachökonomischen Druckes führt dazu, dass
die Selbstpräsentationen komplexer werden und auch Brüche aufweisen dürfen. Zwei der drei
Inserenten zeigen, dass auf den Profilen der Kontaktbörsen Selbstoffenbarungen möglich
sind, wie sie in Kontaktanzeigen nicht vorkommen. Damit entsteht auf Kontaktbörsen auch
etwas Neues. Ob das “Profil auf einer virtuellen Kontaktbörse” allerdings so viel Bestand
haben wird wie die printmediale Kontaktanzeige, ist offen. Vielleicht wird es im Zeitalter
virtueller sozialer Netzwerke einmal vollkommen überflüssig werden?
Literatur
Bayer, Tobias 2009: “Das große Geschäft mit der Liebe”, in: Financial Times Deutschland, 05.06.2009
Beißwenger, Michael 2005: “Interaktionsmanagement in Chat und Diskurs. Technologiebedingte Besonderheiten bei
der Aushandlung und Realisierung kommunikativer Züge in Chat-Umgebungen”, in: Beißwenger, Michael &
Angelika Storrer (eds.) 2005: Chat-Kommunikation in Beruf, Bildung und Medien. Konzepte, Werkzeuge,
Anwendungsfelder, Stuttgart: Ibidem, 64–87
Berghaus, Margot 1985: Partnersuche angezeigt. Zur Soziologie privater Beziehungen, Frankfurt: Ullstein.
Bourdieu, Pierre 1982: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, trans. Bernd Schwibs &
Achim Russer, Frankfurt: Suhrkamp
Bruthiaux, Paul 1994: “Me Tarzan, You Jane: Linguistic simplification in ‘personal ads’ register”, in: Biber, Douglas
& Edward Finegan (eds.) 1994: Sociolinguistic Perspectives on Register, Oxford: Oxford University Press
136–154
Bucholtz, Mary 2004: “Styles and Stereotypes: The Linguistic Negotiation of Identity among Laotian American
Youth”, in: Pragmatics: Quarterly Publication of the International Pragmatics Association 14 (2–3), 127–47
Bucholtz, Mary & Kira Hall 2007: “Language and Identity”, in: Duranti, Alessandro (ed.) 2007: A Companion to
Linguistic Anthropology, Malden: Blackwell, 369–94
Bühler-Ilieva, Evelina 2006: Einen Mausklick von mir entfernt. Auf der Suche nach Liebesbeziehungen im Internet,
Marburg: Tectum
Buss, David M. 1994: The Evolution of Desire. Strategies of human mating, New York: Basic Books
Coupland, Justine 1996: “Dating Advertisements: Discourses of the Commodified Self”, in: Discourse & Society:
An International Journal for the Study of Discourse and Communication in Their Social, Political and Cultural
Contexts 7 (2), 187–207
de Klerk, Vivian & Barbara Bosch 1996: “Nicknames as sex-role stereotypes”, in: Sex Roles 35 (9/10), 525–41
Derlega, V. et al. 1987: “Self-Disclosure and Relationship Development: An attributional analysis”, in: Roloff,
Michael E. & Gerald R. Miller (eds.) 1987: Interpersonal Processes: New Directions in Communication
Research, Newbury Park: Sage, 172–87
Dürscheid, Christa 2004: “Netzsprache – ein neuer Mythos”, in: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 68, 141–57
Dürscheid, Christa 2006: Einführung in die Schriftlinguistik, 3., überarb. und erg. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht
224
Daniel H. Rellstab
Ellison, Nicole 2006: “Managing Impressions Online: Self-Presentation Processes in the Online Dating Environment”, in: Journal of Computer-Mediated Communication 11, 415–41
Eustace, Nicole 2001: “The Cornerstone of a Copius Work: Love and power in eighteenth-century courtship”, in:
Journal of Social History 34 (5), 517–46
Fitzmaurice, Susan M. 2009: “The Sociopragmatics of a Lovers’ Spat: The case of the eighteenth-century courtship
letters of Mary Pierrepont & Edward Wortley”, in: Journal of Historical Pragmatics 10, 215–37
Gibbs, Jennifer L., Nicole B. Ellison & Rebecca D. Heino 2006: “Self-Presentation in Online Personals: The Role
of Anticipated Future Interaction, Self-Disclosure, and Perceived Success in Internet Dating”, in: Communication Research 33 (2), 157–77
Jones, Rodney H. 2000: “‘Potato Seeking Rice’: language, culture, and identity in gay personal ads in Hong Kong”,
in: International Journal of the Sociology of Language 143, 31–66
Kaupp, Peter 1968: Das Heiratsinserat im sozialen Wandel. Ein Beitrag zur Soziologie der Partnerwahl, Stuttgart:
Ferdinand Enke
Laurenceau, Jean-Philippe, Lisa Feldman Barrett & Paula R. Pietromonaco 1998: “Intimacy as an interpersonal
process: The importance of self-disclosure, partner disclosure, and perceived partner responsiveness in interpersonal exchanges”, in: Journal of Personality and Social Psychology 74 (5), 1238–51
Luckmann, Thomas 1988: “Kommunikative Gattungen im kommunikativen “Haushalt” einer Gesellschaft”, in:
Smolka-Koerdt, Gisela, Peter M. Sprangenberg, & Dagmar Tilmann-Bartylla (eds.) 1988: Der Ursprung von
Literatur. Medien, Rollen, Kommunikationssituationen zwischen 1450 und 1650, München: Fink, 279–88
Madden, Mary & Amanda Lenhart 2006: “Online Dating”, im Internet unter http://www.pewinternet.org/Reports/
2006/Online-Dating.aspx. [1.12.2009]
Marfurt, Bernhard 1978: “Textsorte und Interaktionsmuster”, in: Wirkendes Wort 28, 19–38
Nair, Rukmini Bhaya 1992: “Gender, Genre and Generative Grammar: Deconstructing the matrimonial column”, in:
Toolan, Michael J. (ed.) 1992: Language, Text and Context, London: Routledge, 227–54
Otte, Gunnar 2007: “Körperkapital und Partnersuche in Clubs und Diskotheken. Eine ungleichheitstheoretische
Perspektive”, in: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 2, 169–86
Peirce, Charles S. 2000: Semiotische Schriften. Band 2, Ed. Christian Kloesel & Helmut Pape, Frankfurt: Suhrkamp
Riemann, Viola 1999: Kontaktanzeigen im Wandel der Zeit. Eine Inhaltsanalyse (= Studien zur Kommunikationswissenschaft 43), Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag
Schröder, Thomas 1995: Die ersten Zeitungen. Textgestaltung und Nachrichtenauswahl, Tübingen: Narr
Schlobinski, Peter 2005: “Mündlichkeit/Schriftlichkeit in den Neuen Medien”, in: Eichinger, Ludwig & Werner
Kallmeyer (eds.) 2005: Standardvariation. Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache? Berlin/New York:
de Gruyter, 126–142
Schulz, Florian et al. 2008: “Wer nutzt Internetkontaktbörsen in Deutschland”, in: Zeitschrift für Familienforschung
20 (3), 271–92
Valkenburg, Patti M. & Jochen Peter 2007: “Online Dating Sites? Exploring Some Characteristics of Online Daters”,
in: CyberPsychology & Behavior 10 (6), 849–52
Van Leeuwen, Theo 2004: “Ten Reasons Why Linguists Should Pay Attention to Visual Communication”, in:
LeVine, Philippe & Ron Scollon (eds.) 2004: Discourse & Technology: Multimodal discourse analysis,
Washington, D.C.: Georgetown University Press, 7–19
Vollberg, Susanne 1997: “Kuppelei auf allen Kanälen. Geschichte und Funktion neuer und alter Single-Shows”, in:
Medien und Erziehung. Zeitschrift für Medienpädagogik 2 (41), 118–22
Wierzbicka, Anna 1992: Semantics, Culture, and Cognition: Universal human concepts in culture-specific configurations, New York: Oxford University Press
Anmerkungen
1
2
3
Zur Definition des kommunikativen Haushalts cf. etwa Luckmann (1988).
Die von Viola Riemann (1999: 45) für Deutschland genannten Hörfunksendungen sind allesamt aus den
Programmschemata der Radiostationen verschwunden; in der Schweiz verfügen weder die nationalen Deutschschweizer Radiostationen noch Privatradiostationen wie Radio 24, Radio Energy, Radio BE1 oder Radio Pilatus
über Datingshows.
Für die Schweiz cf. etwa auch Swissdate auf TeleZüri oder Super Single auf Sat 1 Schweiz, für Deutschland etwa
Traumfrau sucht Mann auf Sat 1.
“Aus Liebe zu dir”
225
4 Die auf der Basis der Daten der ARD/ZDF-Onlinestudie durchgeführte Untersuchung kommt zu deutlich
weniger Nutzerinnen und Nutzern als die üblichen Marktanalysen. Die Verfasser der Studie meinen dazu: “Als
Hauptgrund für diese Diskrepanz wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass derartige Analysen häufig vor
dem Hintergrund kommerzieller Interessen angefertigt werden und deshalb dazu tendieren können, den
tatsächlichen Stand der Nutzer zu überschätzen, indem beispielsweise leere, ungenutzte oder doppelt angelegte
Profile in die Zählungen eingehen” (Schulz et al. 2008: 281).
5 Diese Kontaktbörse fusionierte kürzlich mit www.swissfriends.ch, einer anderen Schweizer Kontaktbörse, und
ist nur noch über www.swissfriends.ch/partnerwinner abrufbar.
6 Cf. http://www.parship.ch/editorial/das_ist_parship/das_parship_prinzip/wissenschaftliche_grundlagen.html,
acc. 1.12.2009.
7 Cf. dazu aus sozialpsychologischer Perspektive etwa Derlega et al. (1987).
8 Cf. dazu https://www.swissflirt.ch/media/pressemitteilungen/20080428, acc. 1.12.2009.
9 Cf. http://www.singleboersen-vergleich.ch/spezial-singleboersen.htm, acc. 1.12.2009.
10 Cf. http://www.purplemoon.ch/about/terms_of_use.html, acc. 1.12.2009.
11 Da die Profile öffentlich zugänglich waren, sind sie vergleichbar mit Kontaktanzeigen in Tageszeitungen und
damit meines Erachtens öffentliche Texte. Um jedoch die Nutzer der Plattformen zu schützen, werden alle
Beiträge anonymisiert, Nicknames geändert und Fotografien, sofern sie verwendet werden, so verfremdet, dass
die abgebildeten Personen nicht mehr kenntlich sind.
12 “System” verstanden im Sinn von Michael Beißwenger (2005).
13 Von den 300’000 Nutzern hatten zum Zeitpunkt der Datenerhebung bloß vier Männer und eine Frau ein Video
auf ihr Profil gestellt, wovon im Prinzip nur zwei die Profilinhaber zeigen, beide übrigens beim Musizieren.
14 Cf. https://www.swissflirt.ch/agb/index, acc. 1.12.2009.
15 Cf. https://www.swissflirt.ch/account/ad/new, acc. 05.10.2008.
16 Cf. www.purplemoon.ch, acc. 27.09.2008.
17 Die fehlenden Angaben zu Haarfarbe und Augenfarbe kompensiert eine Anzeige mit einem aussagekräftigen
Foto.
18 Allerdings trauen viele Kontaktbörsennutzende diesen Angaben nicht und gehen davon aus, dass sie inadäquat
sind. Cf. dazu Gibbs et al. (2006: 169–170).
19 Das Profil ohne Angabe der Körpergröße liefert die fehlende Information mit Hilfe eines aussagekräftigen Fotos.
20 Davon identifizieren sich 2 als bi-, 1 als hetero- und 1 als homosexuell.
21 Davon sind 3 homo-, 1 hetero- und 1 bisexuell.
22 Dass die Angaben von Hobbies in Profilen auf virtuellen Kontaktbörsen nicht immer ganz akkurat sind, zeigen
die Aussagen von online-Datern in Ellison (2006: 426): “For instance, I am also an avid hiker and [scuba diver]
and sometimes I have communicated with someone that has presented themselves the same way, but then it turns
out they like scuba diving but they haven’t done it for 10 years, they like hiking but they do it once every second
year … I think they may not have tried to lie; they just have perceived themselves differently because they write
about the person they want to be … In their profile they write about their dreams as if they are reality.
(Christo1)”
23 Zur emulierten Mündlichkeit cf. z.B. Schlobinsiki (2005: 132).
24 Zur Pragmatik von Eigennamen cf. etwa de Klerk & Bosch (1996) oder Wierzbicka (1992: 302).
25 www-Adresse geändert.
26 Zum Problem der Nähekommunikation in elektronisch vermittelter Kommunikation cf. etwa Dürscheid (2004,
2006).