§ 9 Der Bundespräsident 1. Welches ist der Unterschied zwischen

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§ 9 Der Bundespräsident 1. Welches ist der Unterschied zwischen
§9
Der Bundespräsident
1.
Welches ist der Unterschied zwischen einem „parlamentarischen“ und einem
„präsidentiellen“ Regierungssystem?
Das parlamentarische Regierungssystem ist dadurch gekennzeichnet, dass der Regierungschef
vom Parlament gewählt wird. In einem „präsidentiellen“ Regierungssystem wird der
Regierungschef vom Staatsoberhaupt – dem Präsidenten – bestimmt (z.B. in Frankreich).
„Präsidentiell“ ist ebenfalls ein Regierungssystem, in dem das Staatsoberhaupt zugleich
Regierungschef ist (z.B. in den Vereinigten Staaten).
(Rdnr. 477)
2.
Widerspricht ein „präsidentielles“ Regierungssystem dem Demokratieprinzip?
Nein, denn das Staatsoberhaupt verfügt seinerseits über eine demokratische Legitimation, ist
also durch das Volk gewählt.
(Rdnr. 477)
3.
Welches Strukturproblem der Weimarer Verfassung wird mit dem Begriff der
„doppelten Volkssouveränität“ bezeichnet?
Nach der Weimarer Reichsverfassung wurden sowohl der Reichspräsident als auch der
Reichstag vom Volk gewählt. Beide Organe konnten sich folglich auf den Volkswillen
(„Volkssouveränität“) stützen. Die Geschichte der Weimarer Republik zeigt, dass hierdurch
kein Gleichgewicht erreicht werden konnte.
(Rdnr. 480)
4.
Welche Konsequenzen sind aus der Strukturschwäche der Weimarer Republik für das
Grundgesetz gezogen worden?
Nur ein oberstes Staatsorgan – nämlich der Bundestag – ist durch Volkswahlen unmittelbar
demokratisch legitimiert.
(Rdnr. 482)
5.
Was spricht gegen die in der Vergangenheit gemachten Vorschläge, das Amt des
Bundespräsidenten durch Übertragung weiterer Kompetenzen „aufzuwerten“?
Das im Grundgesetz strikt durchgehaltene parlamentarische Regierungssystem, in das sich
derartige Kompetenzen einfügen müssten.
2
(Rdnr. 482)
6.
Was versteht man unter „völkerrechtlicher Vertretung“?
Staaten sind Völkerrechtssubjekte, die durch ihre Organe im Völkerrechtsverkehr handeln.
Dem Staatsoberhaupt fällt traditionell die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis zu.
(Rdnr. 484)
7.
Bedeutet die völkerrechtliche Vertretung des Bundes ein Mitspracherecht des
Bundespräsidenten in außenpolitischen Angelegenheiten?
Nein, die Richtlinien der Außenpolitik bestimmt der Bundeskanzler, für die Außenpolitik im
Übrigen ist der Bundesaußenminister zuständig. Die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis
schließt also keine Teilhabe des Bundespräsidenten an der innerstaatlichen Willensbildung
ein.
(Rdnr. 487)
8.
Könnte der Bundespräsident die Ernennung von Amtsträgern – beispielsweise
Bundesministern – ablehnen?
Die Frage ist umstritten, letztlich aber zu verneinen. Für die Auswahl der
Regierungsmitglieder ist der Bundeskanzler zuständig und dem Parlament gegenüber
verantwortlich.
(Rdnr. 492)
9.
In welcher Weise ist der Bundespräsident am Gesetzgebungsverfahren beteiligt?
Der Bundespräsident fertigt die Gesetze aus und verkündet sie im Bundesgesetzblatt (Art. 82
Abs. 1 GG).
(Rdnr. 495)
10.
Was bedeutet „Ausfertigung“ von Gesetzen?
Die Erklärung der „Authentizität“ und der „Legalität“ des zu verkündenden Textes. Mit
anderen Worten erklärt der Bundespräsident, dass Gesetzesbeschluss und Urkunde
übereinstimmen und die Vorschriften des Grundgesetzes eingehalten worden sind.
(Rdnr. 495)
11.
Was versteht man unter „formeller“, was unter „materieller“ Prüfungskompetenz?
3
Die Kompetenz des Bundespräsidenten, einen Gesetzesbeschluss darauf zu überprüfen, ob er
im verfassungsmäßigen Verfahren zustande gekommen ist und inhaltlich der Verfassung
entspricht.
(Rdnr. 495 f.)
12.
Wird das „materielle Prüfungsrecht“ durch den Bundespräsidenten in der Staatspraxis
wahrgenommen?
Ja, und zwar ohne dass andere Staatsorgane (Bundestag, Bundesrat) dem widersprochen
hätten.
Es
liegt
deshalb
nahe,
das
materielle
Prüfungsrecht
als
verfassungsgewohnheitsrechtlich verfestigt anzusehen.
(Rdnr. 500)
13.
Der Bundespräsident hat das Zuwanderungsgesetz, das Gegenstand des umstrittenen
Bundesratsbeschlusses vom 22. März 2002 war, ausgefertigt und verkündet. Hat er
hierbei die materielle Prüfungskompetenz in Anspruch genommen?
Nein, es ging ausschließlich um die Frage, ob der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hat, also
um das Verfahren. Die „formelle“ Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten ist aber seit
jeher unstreitig gewesen.
(Rdnr. 495 f.)
14.
Unter welchen Voraussetzungen kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen?
Zum einen, wenn ein zum Bundeskanzler Gewählter die absolute Mehrheit im Bundesrat
nicht erreicht hat (Art. 63 Abs. 4 Satz 3 GG), zum anderen, wenn ein Antrag des
Bundeskanzlers ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestages gefunden hat (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG).
(Rdnr. 504 ff.)
15.
Was ist unter einer „formellen“, was unter einer „materiellen“ Auflösungslage zu
verstehen?
Unter „formeller“ Auflösungslage versteht man das Vorliegen der in Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG
genannten Voraussetzungen, nämlich die Unterschreitung der absoluten Mehrheit bei
Abstimmung über den Vertrauensantrag. Die Verfehlung der absoluten Mehrheit kann durch
politische Absprachen herbeigeführt werden, muss also nicht notwendig bedeuten, dass der
Bundeskanzler tatsächlich über keine parlamentarische Mehrheit verfügt. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss für die Auflösung des Bundestages
nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG eine „materielle Auflösungslage“ vorliegen.
4
(Rdnr. 505 ff.)
16.
Was bedeutet es, dass der Bundespräsident das Begnadigungsrecht „für den Bund“
ausübt?
Die betreffende Entscheidung muss von einem Bundesgericht oder einer Bundesbehörde
getroffen worden sein. In Staatsschutzsachen üben die Länder die Gerichtsbarkeit des Bundes
aus, so dass in diesen Fällen dem Bundespräsident das Begnadigungsrecht zusteht.
(Rdnr. 511 f.)
17.
Zur Bundesversammlung gehören alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages.
Besteht die andere Hälfte ausschließlich aus Landtagsabgeordneten?
Nein, zur Hälfte wird die Bundesversammlung zwar durch die Landtage gewählt; die
Gewählten brauchen aber nicht Mitglieder eines Landtages zu sein. Vielfach werden deshalb
auch andere „Prominente“ gewählt.
(Rdnr. 516)
18.
Könnte gegen den Bundespräsidenten ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren
– etwa wegen Verdachts der Steuerhinterziehung – eingeleitet werden?
Nein, der Bundespräsident genießt Immunität (Art. 60 Abs. 4 i.V.m. Art. 46 Abs. 2-4 GG), so
dass vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens die Immunität aufgehoben werden müsste.
(Rdnr. 519)
19.
Genießt der Bundespräsident auch „Indemnität“?
Nein. Die Indemnität beschränkt sich auf Äußerungen von Abgeordneten im Bundestag und
seinen Ausschüssen (Rdnr. 297) und ist deshalb in Art. 60 Abs. 4 GG nicht erwähnt.
(Rdnr. 519)
20.
Woher stammt das Institut der „Gegenzeichnung“?
Aus dem Konstitutionalismus. Rechtsakte des Staatsoberhaupts – Vorbehaltsbereiche
ausgenommen – bedurften der Gegenzeichnung (oder „Contrasignatur“) des Kanzlers oder
Ministers, um gültig zu sein.
(Rdnr. 521)
21.
Welches Problem wird im Zusammenhang mit der Gegenzeichnung diskutiert?
5
Ob nur formelle (Rechts-) Akte der Gegenzeichnung bedürfen oder ob der Bundeskanzler
bzw. zuständige Minister sein Einverständnis auch zu informellen Akten erklären muss.
(Rdnr. 524)
22.
Was versteht man unter „Präsidentenanklage“?
Die Befugnis des Bundestages und des Bundesrates, den Bundespräsidenten wegen
vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines Bundesgesetzes vor dem
Bundesverfassungsgericht anzuklagen (Art. 61 Abs. 1 Satz 1 GG). Ziel einer solchen Klage
wäre es, den Bundespräsidenten aus seinem Amt zu entfernen.
(Rdnr. 526)
23.
Hat die Europäische Union ein „Staatsoberhaupt“?
Nein, denn die Europäische Union ist (noch) kein Staat. Der für zweieinhalb Jahre gewählte
Präsident des Europäischen Rates (Art. 15 Abs. 5 EUV) führt dessen Vorsitz und hat einzelne
Befugnisse (Art. 15 Abs. 6 EUV), ist jedoch nicht mit einem Staatsoberhaupt vergleichbar.
(Rdnr. 528)