Gesamtdownload - Nachrichten und Kommentare aus Politik und

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Gesamtdownload - Nachrichten und Kommentare aus Politik und
T r e n d s | H i n t e r g r Ü NDE | I n n o vat i o n e n
M
är z 2011
2010
März
Versetzung gefährdet?
Schwerwiegende Folgen
Auf zu neuen Ufern
Ideen versilbern
Wirtschaftspolitik | Die „Zwischenzeugnisse“
im Superwahljahr 2011 werden wohl keinen klaren
Trend für die Bundestagswahl aufzeigen. Seite 2
industrie & Märkte | Nur vier deutsche Unternehmen bauen Metalle im Ausland ab – das könnte
sich bald rächen.
Seite 5
Energie & Effizienz | Die großen vier Versorger
Mittelstandsfinanzierung | Neben
Krediten wählen KMUs neue Ansätze –
ab Seite 21
sie beleihen zum Beispiel Patente. verstärken ihre Aktivitäten im Ausland, denn der
deutsche Markt wird immer schwieriger. Seite 17
Blumen vom Facebook-Freund
Social Media | Einige Konsumgüterhersteller nutzen die Möglichkeiten schon intensiv – andere scheuen sich noch davor
Medienberichterstattung um den Super Bowl auf sich.
Einer der Pioniere beim Einsatz von
Social Media für Vertriebszwecke ist
1-800-Flowers. Als erstes Unternehmen verkaufte der US-amerikanische
Blumenversender seine Produkte direkt in einem Facebook-Store, statt die
Kunden auf die eigene Homepage weiterzuleiten. Seitdem hat sich die Fangemeinde verzehnfacht.
Viel Pflege erfordern Konzepte, bei
denen das Zusammengehörigkeits­
gefühl der Kunden im Mittelpunkt
steht – und gelegentlich sogar die
­Marke in den Hintergrund tritt. Beispielsweise können sich auf der von
Bosch ins ­Leben gerufenen Community „1-2-do.com“ Mitglieder über handwerkliche Projekte austauschen und
Fragen diskutieren. Einen ähnlichen
Ansatz verfolgt auch die Warenkette
Real mit dem Familymanager, einem
Portal mit Tipps und Foren zu den Themen Ernährung, Gesundheit, Familie
und Freizeit.
Ist Social Media nur ein vorübergehender Hype oder ein langfristig nützlicher Kanal? Auch wenn angesichts
der jungen Geschichte dieser Medien
noch viele Dinge in Bewegung sind,
kristallisiert sich schon jetzt klar
­heraus: Social Media wird sich langfristig als bedeutender Marketing-, Absatz- und Service-Kanal etablieren.
Von Elwine Happ-Frank
D
ie jüngsten Unruhen in der
arabischen Welt haben gezeigt: Facebook, Twitter und
Co spielen eine immer größere Rolle –
und können sogar Revolutionen mit
auslösen. Große Markenartikler müssten diese Medien deshalb stärker nutzen. Doch nur wenige Firmen setzen
das Instrumentarium geschickt ein.
Insgesamt verstehen die renommierten Konsumgüterhersteller das soziale
Netzwerk schlecht, stellt die Unternehmensberatung A. T. Kearney in einer
Studie fest.
Dabei nimmt die Bedeutung von Social Media rasant zu. Durchschnittlich
verweilen die Nutzer 32 Minuten bei
­Facebook, innerhalb von drei Monaten
hat die Internet-Reichweite der größten Web-Community um 9 % auf 40 %
zugenommen.
Dennoch hatten von den 50 TopMarkenartiklern weltweit fünf Unternehmen gar keine Aktivitäten in diesem Bereich. Aber auch die Konzerne,
die sich in den sozialen Netzen tummeln, sind noch sehr zurückhaltend.
Bei sieben Firmen – dazu gehören so
renommierte Namen wie Disney, Gucci, McDonald’s, Louis Vuitton, American Express und Sony – kann nur das
Unternehmen die Konversation starten. Lediglich eine einzige der Weltklasse-Marken traut sich eine ungefilterte Facebook-Wand zu, alle anderen
erlauben nur ausgewählte Einträge. Im
November und Dezember 2010 beantworteten die Topmarken fast 90 % der
Nutzer­einträge nicht, fand die Studie
heraus. Nur bei 15 % der Antworten
wurde der Nutzer zu einem weiteren
Dialog animiert, lediglich 17 % schafften es, den Adressaten mit Namen anzusprechen.
Eine der Ursachen dafür ist die
Scheu der Unternehmen vor einem
Kon­trollverlust. Tatsächlich können
sich Probleme beim Produkt oder Service im Internet wie ein Lauffeuer
­verbreiten und großen Imageschaden
­anrichten. Vielen Firmen fehlt bislang
Chancen für B2B
auch ein klarer Beleg, dass die Wirkung
von Social Media größer ist als die traditioneller Medien. Die Diskussionen
in der Öffentlichkeit um den Schutz
von Daten und der Privatsphäre im
Netz spielen ebenfalls eine Rolle.
Internet- statt TV-Kampagne
Einige Unternehmen setzen die neuen
Möglichkeiten aber schon sehr in­tensiv
ein. PepsiCo hat sich zum Beispiel im
vergangenen Jahr in den USA ent-
schlossen, ihre über viele Jahre sehr erfolgreiche TV-Kampagne anlässlich
des Super Bowls durch Social-MediaAktivitäten zu ersetzen – mit einem
komplett neuen Ansatz. Ein großer Teil
des Werbebudgets wurde für Spenden
für kommunale Projekte bereitgestellt.
Dabei konnten die Nutzer über Twitter,
Facebook und eine iPhone-Applika­tion
über die Verteilung entscheiden. Der
Erfolg: PepsiCo gewann über eine halbe Million Fans hinzu und zog 20 % der
Den ersten Blumenshop bei Facebook hat das US-Unternehmen
1-800-Flowers eingerichtet. Seitdem
hat sich die Fangemeinde verzehnfacht. Foto: Getty
Social Media wird für die Kommu­
nikation mit dem Endkunden immer
wichtiger. Doch welche Rolle spielt
dieses Instrument im B2B-Segment?
Nach einer Untersuchung von Forrester Research bezieht bereits die Hälfte
der Einkäufer in Unternehmen Social Media in Entscheidungen mit ein.
Sie informieren sich in Business Networks wie LinkedIn oder Xing, über
Web­sites wie Slideshare, auf denen
Unter­nehmen ihr Know-how präsentieren können, oder auf Rating- und
Handelsplattformen wie alibaba.
I n h a lt
Aktuelles Thema
Nahost-Krise
Für die Rohstoffversorgung
sollte Deutschland die
russische Karte spielen,
meint ifo-Präsident Sinn. Innovationen & IT
Weltrekordkabel
ABB hat ein superstarkes
Hochsee-Kabel für OffshoreWindparks entwickelt. 11
Energie & Effizienz
Windige Hotspots
Ein neuer Atlas zeigt, wo die
besten Standorte für Windräder
in Baden-Württemberg sind. 18
Factoring
Wie Phoenix aus der Asche
Die Finanzkrise hat der Branche
neues Leben eingehaucht –
die Nachfrage steigt. ab 26
Industriestadt Berlin
Im Herzen Europas
Nach der Wende setzt Berlin
auf seine ideale Lage und
­Innovationskraft. ab 29
Journal
Ein Technik-Pionier mit Herz
Robert Bosch hatte eine gutes
Gespür für Innovationen und
für die Nöte der Menschen in
den Kriegswirren. 32
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53. Jahrgang · B7388 E
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Gemischte Teams sind erfolgreicher
Globalisierung | Der Anteil an AusländerInnen im Management nimmt nur langsam zu
F
rauen in die Führungspositionen – so lautet derzeit eine häufig geäußerte Forderung. Volkswagen hat nun ein Signal gesetzt: Die
SEB-Chefin Annika Falkengren wurde
für den Aufsichtsrat nominiert. Doch
noch ist das ein Einzelfall. Eine gemischte Zusammensetzung des Managements gilt aber als Erfolgsfaktor
in einer globalisierten Wirtschaft. Dazu
gehört auch ein größerer Anteil an Entscheidern aus anderen Ländern und
Erdteilen. Daran hapert es besonders.
Die Märkte in den einzelnen Regionen der Welt wachsen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten – dafür
brauchen die Unternehmen Manager,
die damit Erfahrung haben. Die Finanzkrise hat die Differenzen zwischen
den Industrienationen und den sogenannten Schwellenländern eher noch
4 195007 102003
03
vertieft: China und Indien wachsen mit
zum Teil zweistelligen Raten, während
sich die Wirtschaft in den USA nur
­zögerlich stabilisiert und in Europa einige Länder schwer mit einer Erholung
kämpfen.
Gleichzeitig unterscheiden sich die
Bedürfnisse der Kunden in den einzelnen Regionen grundlegend, wie ein
Blick auf die Kaufkraft zeigt: Auch
wenn sich das Niveau ganz langsam
annähert, ist der Abstand noch beträchtlich. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt in China bei 3 700 USDollar, in den USA aber bei 46 000 USDollar. „Das bedeutet, dass Produkte
und Services, die für einen Markt entwickelt wurden, wahrscheinlich nicht
für eine andere Nation passen“, stellt
Ernst & Young in einer Studie fest.
Einer Online-Befragung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unter 1 000
Topmanagern weltweit zufolge sind die
Konzernspitzen noch vorwiegend mit
Führungskräften aus dem Heimatmarkt besetzt. Nur in drei von zehn
Unternehmen gibt es Manager, die
nicht aus dieser Region stammen. Nur
eine von zehn Firmen hat ein wirklich
Die Schwellenländer brauchen einen
anderen Managertyp als Industrie­
nationen. Unterschiedlich besetzte
Führungsgremien können die Heraus­forderungen am besten meistern.
internationales Management: Bei diesen Unternehmen kommt die Hälfte
der Verantwortlichen aus Ländern jenseits des Heimatmarkts.
Die Unternehmen sind sich der Problematik durchaus bewusst. Einen radikalen Schritt hat beispielsweise die
Kreditkarten-Gesellschaft Mastercard
getan. Im Juli 2010 wurde Ajay Banga
neuer CEO des US-Konzerns. Die Er-
nennung des Inders war nach Ansicht
von Ernst & Young ein starkes Signal,
wo Mastercard in Zukunft die wichtigen Märkte sieht. Umgekehrt schlafen
auch die Firmen in den Schwellenländern nicht. Vor etwa einem Jahr machte Tata Motors Carl-Peter Forster, den
ehemaligen Europachef von General
Motors, zum neuen CEO. Seine langjährige Erfahrung in entwickelten
Märkten ist ein Zeichen dafür, dass Ta­
ta eine Expansion nach Westen plant.
Eine Internationalisierung der Managementteams ist aber nicht nur vor
dem Hintergrund der Globalisierung
der Märkte wichtig – gemischte Teams
sind einfach besser. Die renommierte
US-Organisation Catalyst, die sich für
mehr Frauen in Führungspositionen
einsetzt, kam in einer Untersuchung
der 500 umsatzstärksten Unternehmen
der Welt zu dem Schluss, dass Firmen
mit einem höheren Frauenanteil mehr
Erfolg haben. Die Eigenkapitalrentabilität lag bei Konzernen mit mehreren
weiblichen Topmanagern um 53 % höher als bei den Unternehmen mit der
niedrigsten Zahl an Frauen in Führungspositionen.
hp
4
Best Bu y
Die Zentrale in der Heimatstadt,
Tochtergesellschaften in den einzelnen Ländern: So sieht die Struktur internationaler Konzerne normalerweise aus. Best Buy hat einen anderen
Ansatz gewählt. Der US-Anbieter von
elektronischen Konsumgeräten hat
drei gleichberechtigte Divisionen geschaffen, um auf die unterschiedlichen Anforderungen der Märkte besser einzugehen: Amerika, Europa und
Asien. Damit verabschiedet sich Best
Buy auch von der traditionellen Unterteilung in entwickelte Länder und
Schwellenmärkte.
Statt ein funktionierendes Geschäftsmodell auf andere Märkte zu übertragen, wendet Best Buy einen selektiven Ansatz an. Jede Region kann
nach dem Best-Practice-Modell einzelne Komponenten der Wertschöpfungskette auswählen. „Wenn uns
beispielsweise das Waren- und Liefersystem in Kanada gefällt, dann
übernehmen wir es in Asien“, stellt
Kal Patel, Chef der Asien-Sparte, fest.
2 Wirtschaftspolitik
Versetzung gefährdet?
Kommentar
Anstandsfragen
Der mediale Druck war enorm. Wohl
kein anderes Thema dominierte die
Berichterstattung in den letzten Wochen so stark wie die Affäre rund um
Karl-Theodor zu Guttenberg. Der
Rücktritt des Ministers zeigt, mit welcher doppelten – unterstützenden
und gleichzeitig zerstörenden – Wirkungskraft die Medien die thematische Agenda setzen.
Nach all den unwürdigen Schmährufen vonseiten der Opposition bleibt
festzuhalten: Zu Guttenberg hat
nicht Fahnenflucht be­gangen. Die
Rücktrittserklärung war gut begründet. Rückblickend hat der Franke
eine mutige Jahrhundert­reform der
Bundeswehr angestoßen.
Während die Opposition eine permanente Anstandsdebatte um die
Person des Ministers führte, kam die
erschreckende Meldung von toten
Soldaten völlig in Vergessenheit.
„Wenn es auf dem Rücken der Soldaten nur noch um meine Person gehen
soll, kann ich dies nicht mehr verantworten“, so zu Guttenberg. Folgerichtig zog der beliebte Politiker die Konsequenz, die er auch von anderen
verlangt hätte. Zu Guttenberg steht
zu seinen Fehlern, das macht ihn
menschlich. „Nachdem dieser Tage
viel über Anstand diskutiert wurde,
war es für mich gerade eine Frage
des Anstands, zunächst die drei gefallenen Soldaten mit Wür­de zu Grabe zu tragen.“ So viel zu Moral und
Verantwortung.
Ob und wann zu Guttenberg das
politische Parkett wieder betreten
wird, bleibt zunächst ungewiss. Als
dynamischer Typ einer neuen Politikergeneration mit Mut zur Veränderung würde er Deutschland guttun.
Wir dürfen nun gespannt sein, in
welche Richtung die Moraldebatten
weitergehen werden. Bestimmt nicht
in die Richtung von Steinewerfern
und sogenannten lupenreinen Demokraten.
pht
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März 2011
WirtschaftsKurier
Superwahljahr | Die „Zwischenzeugnisse“ werden wohl keinen klaren Trend für die Bundestagswahl erkennen lassen
Musterschüler oder Sitzenbleiber?
Das Vertrackte an schlechten
Zwischenzeugnissen für die Bundes­
regierung: Manchmal sind sie
tatsächlich ein Hinweis darauf, dass
die Versetzung ernstlich gefährdet
ist, ebenso oft auch nicht. So mehr­
deutig wird es auch in diesem
­Superwahljahr wieder zugehen. Im
Bild die Spitzen der Koalitions­
regierung, Angela Merkel und
Guido Westerwelle. foto: getty
Von RAiner Bonhorst
S
uperwahljahr in Deutschland.
Eine Wahl ist schon gelaufen,
sechs kommen noch, drei davon
stehen unmittelbar bevor. Eine Kon­
stante solcher regionaler Zwischenwahlen ist die, dass sie der Bundes­
regierung in Berlin selten gut, umso
­öfter aber wehtun. Das Vertrackte an
den üblicherweise schlechten Zwischenzeugnissen: Manchmal sind sie
tatsächlich ein Hinweis darauf, dass
die Versetzung der Bundesregierung
ernstlich gefährdet ist, ebenso oft aber
auch nicht. So unklar und mehrdeutig
wird es leider auch in diesem Superwahljahr wieder zugehen.
Nehmen wir die Hamburger Bürgerschaftswahl, die am 20. Februar stattfand. Natürlich ging es dort in erster
­Linie um Waterkant-Probleme. Aber
sie hat so Erstaunliches ergeben, dass
dies durchaus Spuren in der großen
Politik hinterlassen wird. Ein Höllengang für die CDU; gigantischer Jubel
bei der SPD, deren Olaf Scholz schon
als möglicher Kanzlerkandidat genannt
wird; dazu eine endlich mal wieder
­zufriedene FDP und solide, wenn auch
enttäuschte Grüne. Das alles wird die
Seelen auch im Bund und in den zur
Wahl anstehenden Ländern auf die
eine oder andere Weise ängstigen oder
beflügeln.
In Baden-Württemberg – Wahl am
27. März – verstehen bisher alle nur
Bahnhof. Das Projekt Stuttgart 21 hat
fast alle anderen Themen an den Rand
gedrängt. Mithalten kann allenfalls
noch der Konflikt um den Ausstieg
aus dem Atomausstieg. Das Ländle ist
mit seinen drei Atomkraftwerken (Phi­
lipps­burg, Neckarwestheim und Obrig­
heim) unmittelbar betroffen.
Die Doppelkrise aus Atom und
Bahnhof nagt an Stefan Mappus, dem
Amtsinhaber und Spitzenkandidaten
der CDU. Er muss sich nach dem Ab-
gang seines Vorgängers Günther Oettinger erstmals zur Wahl stellen. Der
Absturz seines Hamburger Kollegen
Christoph Ahlhaus sollte Mappus am
anderen, südlichen Ende der Republik
nicht tief berühren, aber ganz kalt kann
ihn das nicht lassen.
Dagegen könnte der Sieg von Scholz
in Hamburg Kurt Beck, dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von
Rheinland-Pfalz, Auftrieb geben. Dieser muss, um seine Ambitionen auf die
Kanzlerkandidatur zu pflegen, allen
Richtungen der Partei dienen. Man
kann dies Ausgewogenheit nennen,
und bisher erfreut er sich so einer absoluten Mehrheit. Doch seine SPD ist
nicht nur bundesweit ins Trudeln geraten. Dem Bundesvorsitzenden droht
am 27. März daheim in der Pfalz nun
mindestens der Verlust der absoluten
Mehrheit. Umfragen lassen sogar einen Sieg der CDU als wahrscheinlich
erscheinen. Ein Horrorszenario für den
Mann, dem in Hamburg ein neuer
siegreicher Konkurrent vor die Augen
getreten ist.
Die Ostalgie treibt ihre Blüten
Die Wähler in Sachsen-Anhalt dürfen
am 20. März, also schon eine Woche
vor den Schwaben und den Pfälzern,
zu den Urnen gehen. Es wird wieder
eine Wahl nach ganz speziellem ostdeutschem Politikgeschmack. Er äußert sich in einer erstaunlich oder –
wenn man so will – erschreckend tiefen Zuneigung zur SED-Nachfolgepartei. Die Linke könnte diesmal sogar die
stärkste Partei werden. Die Aufgabe
der demokratisch bewährten Parteien
CDU und SPD besteht wieder einmal
darin, gemeinsam die Linke aus der
Regierung fernzuhalten. Ein Rückfall
in eine von der Linken geduldete SPDRegierung droht diesmal kaum. Dazu
ist die SPD allen Umfragen zufolge zu
schwach. Sie wird, wie zuletzt schon,
hinter der Linken auf den dritten Platz
verbannt bleiben. Die Ostalgie treibt
ihre ganz eigenen Blüten.
Sind diese drei Wahlen absolviert,
gibt es eine kleine, dann eine längere
Pause. Ende Mai wählen die Bremer
ihre Bürgerschaft, im September sind
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin
an der Reihe, den Landtag beziehungsweise das Abgeordnetenhaus neu zu
besetzen.
Niemand weiß, welche Auswirkungen dieser Wahlmarathon auf die
­Bundesregierung haben wird. Wer
schon das Ende der Merkel-Regierung
heraufdämmern sieht, wird seine politische Todesnachricht eines Tages womöglich als verfrüht zurücknehmen
müssen. Wer Deutschland tatsächlich
regieren wird, entscheidet sich – Super­
wahljahr hin, Superwahljahr her – im
Jahr 2013. Und zwei Jahre sind in der
Politik eine sehr, sehr lange Zeit.
WAhlter mine 2011
■■ 20. März Sachsen-Anhalt (Landtag)
■■ 27. März Baden-Württemberg
(Landtag)
■■ 27. März Rheinland-Pfalz (Landtag)
■■ 22.
Mai Bremen (Bürgerschaft)
September Mecklenburg-Vor­
pommern (Landtag)
■■ 18. September Berlin (Abgeordne­
tenhaus)
■■ 4.
„Wir machen uns nicht genug Gedanken um die Zukunft“
Prof. Arnulf Baring | Der Bevölkerung wird das wahre Ausmaß vieler Probleme verschwiegen, so der Historiker
korridore so eng wie möglich gehalten“. Baring bezeichnete dies letztendlich als „intellektuelle Schwäche“ und
führte als Beispiel die Sarrazin-Debatte
an, bei der die Politik alles getan hätte,
um die Diskussion im Keim zu er­
sticken. Diese Art des Umgangs unterscheide sich aber maßgeblich von
der Herangehensweise beispielsweise
in den angelsächsischen Ländern,
wo eine offenere und pragmatischere
­Debattenkultur herrsche. „In Deutschland hingegen führt man Diskussionen
vornehmlich im Optativ – also in der
Wünschbarkeit“, so Baring.
Von Daniel G. Medhin
W
enn es darum geht, morsche
Gedankengebäude zum Einsturz zu bringen und seichte geistige Fundamente bloßzulegen,
haut Prof. Arnulf Baring gern einmal
rhetorisch auf den Putz. Sein Faible für
deutliche Worte hat den kritischen
Konservativen fast schon zum Stammgast bei Plasberg, Illner und Co gemacht, wo der vitale 79-Jährige als
­Garant kontroverser Diskussionen gilt.
Dass der Grandseigneur des verbalen
Schlagabtauschs trotz seiner pointierten Ansichten oft jenseits aller ideologischen Ausrichtung auf Zustimmung
stößt, verdankt der Historiker – neben
seiner Beredsamkeit – vor allem seinem unbestechlichen Blick, der den
Dunstkreis politischer Nebelkerzen
durchdringt, egal von welcher Seite sie
geworfen werden, und seiner feinen
Nase, die Denkfaulheit, Mutlosigkeit
und Ideenarmut unter jedem Stallgeruch aufstöbert.
Seine geistige Unabhängigkeit bewies Baring auch wieder in der baye­
rischen Landeshauptstadt, wo er als
Gastredner der Münchner Wirtschaftsgespräche über aktuelle Fragen sprach.
Dabei stellte er allen Parteien ein
schlechtes Zeugnis ihrer Führungs­
fähigkeiten und ihres Führungswillens
aus. Zwar könnten sie nur teilweise etwas dafür, da sich Parteibindungen gelockert hätten und es immer schwieriger werde, den Willen des Wählers zu
erfassen, sagte Baring, dennoch liege
die Hauptverantwortung bei den Parteien, da sie die Nachwuchsförderung
versäumt hätten. Dies sei ihr größtes
Versagen überhaupt, denn wie man
sich Führungspersonal heranziehe, gehöre zu den elementarsten Fragen, die
Parteien lösen müssten. „Ich glaube,
„Der Euro geht schief“
Prof. Arnulf Baring: „Politiker sind Getriebene der Medienmaschinerie.“ Fotos: Fotolia/U. Pfaffenberger/Montage WiKu
dass ein großer Teil des Unmuts der
Bevölkerung daher rührt, dass die
Menschen sagen: ,Meine Güte, er kann
es nicht.‘ Das beste Beispiel hierfür ist
Guido Westerwelle“, so der Historiker.
Unheilvolle Symbiose
Die „versiegenden“ Führungsfähigkeiten gingen, so Baring, mit der enorm
gewachsenen Bedeutung der Medien
eine unheilvolle Symbiose ein. Denn
die Politiker seien zunehmend Getriebene einer entfesselten und auf Hochtouren laufenden Medienmaschinerie.
Dies habe zur Folge, dass die Parteien
es vermeiden, komplexe Themen in
ausreichendem Maße anzupacken, da
sie Angst hätten, diese der Bevölkerung
nicht vermitteln zu können. „Diese
Verweigerungshaltung führt aber letztendlich dazu, dass wir uns nicht genug
Gedanken über die Zukunft machen“,
tadelte der Historiker. Zu denen mit einem Tabu behafteten Themen, deren
wahre Ausmaße verschleiert würden,
zählte er die exorbitante Verschuldung,
die demografische Entwicklung und
den Zustand des Bildungssystems. So
teile er die Meinung von Ex-Bundespräsident Horst Köhler „und mittlerweile auch vieler Wissenschaftler“, dass
die Verschuldung nicht wie offiziell
­angegeben zwischen 1 und 2 Bil. Euro
­liege, sondern sich aufgrund von Pen­
sionslasten und Rentenansprüchen auf
rund 7 Bil. Euro summiere.
Auch das Ausmaß der Entvölkerung
in vielen Gegenden Ostdeutschlands
sei erschreckend. „Es gibt dort Städte,
die 40 % ihrer Wohnbevölkerung verloren haben, und die Frage, wie man damit umgeht, ist noch völlig unklar“, kritisierte er. Drittens hob Baring die abnehmende Qualität der Bildung hervor, die im 19. Jahrhundert den Grundstein zu Deutschlands Aufstieg zur
Wirtschaftsmacht legte und sich in
der Zukunft als Stolperstein erweisen
könnte. „Denn lösen wir dieses Pro­
blem nicht, so werden wir industriell
zurückfallen“, mahnte der Professor.
Um die Bevölkerung nicht zu überfordern, würden gerade bei diesen
hochbrisanten Themen „die Meinungs­
Ein Paradefall ist für den Historiker
auch die Europa-Politik. Natürlich
­werde der Euro irgendwann einmal
„schiefgehen“, wegen der vielen unterschiedlichen Mentalitäten werde er
nicht funktionieren. Die Stabilität der
Währung sei in anderen Ländern einfach kein so hohes Gut wie in Deutschland, wo man die Hyperinflation erlebt
habe. Undenkbar sei auch, dass eine
Transferunion durchgehalten werden
könne und die Deutschen bereit seien,
für den Mittelmeerraum einzutreten.
„Wenn wir uns darauf einlassen, jagen
wir den ganzen Laden und letztendlich die Demokratie in die Luft“, sagte
Baring.
Statt in der Öffentlichkeit offen über
dieses Thema zu diskutieren, versuche
man mit dem Wort „alternativlos“ und
der unsinnigen Drohung, „wenn der
Euro scheitert, dann scheitert auch
die EU“, andere Denkansätze zu ver­
hindern. „Diese Wirklichkeitsverweigerung ist ein schlechtes Zeugnis für
das Urteilsvermögen unserer politischen Klasse“, erklärte Baring, der sich
mehr Sinn für das politisch Machbare
wünschte.
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4 Aktuelles Thema
März
2011
WirtschaftsKurier
„Wir müssen die russische Karte spielen“
Nahost-Krise | Für die Rohstoffversorgung sollte Deutschland die traditionell guten Beziehungen ausbauen, meint ifo-Präsident Sinn
R
ussland verfügt über immense
Bodenschätze. Deutschland
sollte sich von der EU beim
Ausbau der guten Kontakte zu dem
Riesenreich nicht bremsen lassen,
meint Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts, im Interview mit
WiKu-Mitarbeiter Dieter W. Heumann.
Gleichzeitig räumt er mit der Mär auf,
die Exporte seien die Hauptursache
für die Konjunkturerholung. Auch der
­Euro-Rettungsschirm sei, anders als
oft behauptet, nicht zu klein.
WirtschaftsKurier: Herr Prof. Sinn,
bereitet Ihnen die Entwicklung in
Nahost Sorgen? Könnte es – trotz
derzeit scheinbar leichter Beruhigung in Ägypten – noch zu einem
Flächenbrand in Nahost kommen,
mit gravierenden wirtschaftlichen
Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und damit auch auf die deutsche Konjunktur?
Prof. Hans-Werner Sinn: Ja, natürlich.
Eine Destabilisierung des Nahen
Ostens ist immer gefährlich. Nun
hoffen wir mal, dass nach dem
Rücktritt von Mubarak stabile Verhältnisse in Ägypten einkehren.
WiKu: Welche Auswirkungen sehen
Sie – aus heutiger Sicht – auf die Ölversorgung und den Ölpreis?
Sinn: Es gibt eine zweifache Wechselwirkung. Der hohe Ölpreis hat die
Grundnahrungsmittel verteuert,
weil die umfangreiche Produktion
von Bioethanol aus Mais und Zuckerrohr die Energie- und Nahrungsmittelmärkte schon im letzten
Aufschwung verkoppelt hatte. Das
hat die Unzufriedenheit der Massen
geschürt und die Grundbedingungen dafür geschaffen, dass sich die
tunesischen Aufstände ausbreiten
konnten. Zugleich hätte ein Bürgerkrieg in Ägypten den Suez-Kanal
versperrt, was die Ölpreise weiter
hochgetrieben hätte. Aber, wie gesagt, der Rücktritt Mubaraks könnte
jetzt zu einer Beruhigung der Lage
beitragen.
WiKu: Was kann der Westen tun, um
seine Versorgung mit Rohstoffen –
vor allem mit Öl – zu sichern?
Sinn: Deutschland muss seine traditionell guten Beziehungen zu Russland weiter ausbauen. Dort liegen
Bodenschätze genug. Idealerweise
sollte man in der EU eine gemein­
same Ressourcenpolitik entwickeln.
Als Kommissar Verheugen vor einigen Jahren aber so etwas vorschlug,
ließen ihn die Franzosen und andere abblitzen. Man wähnte sich durch
die Beziehungen zu den ehemaligen
Kolonien im Vorteil und sah nicht
die Notwendigkeit, die Ressourcenpolitik gemeinsam mit Deutschland
zu betreiben. Deswegen muss
Deutschland nun die russische Karte spielen. Die Russen sind vor allem
an Deutschland interessiert. Es geht
nicht an, dass wir unsere guten Kontakte zu Russland sozialisieren und
uns hier von der EU bremsen lassen,
während die anderen EU-Länder
ihre Kontakte zu den Ex-Kolonien
unter nationaler Kontrolle halten
und Deutschland abblocken.
WiKu: Die Konjunktur in Deutschland brummt – 3,6 % gesamtwirtschaftliches Wachstum im vergangenen Jahr. Und der ifo-Geschäftsklimaindex im Januar des laufenden Jahres war wieder positiver als
erwartet. Der Aufschwung setzt
sich fort, aber die Wachstumsraten
reduzieren sich ...
Sinn: Ja, aber die 2,4 % Wachstum, von
denen wir für 2011 ausgehen, sind
immer noch sehr gut. Damit liegen
wir weit über dem Trend aus der
Vorkrisenzeit.
WiKu: Der konjunkturelle Absturz im
Jahr 2009 war tief, die Gesamtwirtschaft schrumpfte um fast 5 %. Circa drei Viertel des Einbruchs sind
bisher aufgeholt.
Sinn: Schon im laufenden Jahr werden
wir alles aufgeholt haben. Weltweit
betrachtet ist die Industrieproduk­
tion heute bereits höher als im Jahr
vor dem Einbruch. Das hat mit der
großen Dynamik der Schwellenländer zu tun. Es gibt aber noch viele
Länder, die weit hinterherhinken.
WiKu: Deutschland ist vom jahrelangen Schlusslicht des europäischen
Konjunkturzugs nun zur Konjunkturlokomotive geworden. Was hat
diesen beachtlichen Wechsel bewirkt?
Sinn: Es waren nicht in erster Linie
die Exporte, wie oft behauptet wird.
Nicht einmal ein Drittel des Wachstums von 3,6 % im vergangenen Jahr
werden durch den Außenhandel erklärt. Die Hälfte ist auf eine überaus
stürmische Nachfrage nach Inves­
titionsgütern zurückzuführen, die
sich insbesondere bei den Ausrüstungsinvestitionen und beim Bau
gezeigt hat. Der Grund ist, dass sich
die Deutschen mit ihren Ersparnissen nicht mehr ins Ausland trauen.
In den vergangenen zehn Jahren
sind zwei Drittel der deutschen Ersparnisse dorthin transferiert worden, weil man glaubte, im Ausland
höhere Renditen erzielen zu können, und die Risiken nicht sah. Das
Kapital floss vor allem in die Südstaaten der Eurozone, die mit dem
geliehenen Geld einen kräftigen
wirtschaftlichen Aufschwung finanzierten und sich an die Spitze des
europäischen Konjunkturzugs setzten, freilich mit der Folge, dass die
Importe die Exporte überstiegen.
In Deutschland bewirkte der Kapitalexport dagegen eine jahrelang
schwache Binnenkonjunktur. Wir
wurden zum Schlusslicht beim
Wachstum und hatten eine Mas­
senarbeitslosigkeit, was die Lohnund Preissteigerungen dämpfte. Das
schwache Wachstum hielt die Importe zurück und die schwache
Idealerweise sollte man
in der EU eine gemeinsame Ressourcenpolitik
entwickeln, meint ifoPräsident Prof. HansWerner Sinn. Allerdings
ziehen nicht alle europäischen Staaten in dieser Frage
an einem Strang. Deshalb
sollte sich Deutschland von
der EU nicht bremsen lassen
und die guten Kontakte zu
Russland weiter ausbauen.
Foto: ifo Institut
„Es kann keine Rede
davon sein, dass der
Rettungsschirm nicht
ausreicht. Irgendwer
will uns hier offenbar
für dumm verkaufen.“
Preissteigerung belebte die Exporte.
WiKu: Hat sich dieser Trend gedreht?
Sinn: Seit der Krise sind vor allem
­sichere Anlagemöglichkeiten in
Deutschland gefragt. So wie vor allem Spanien goldene zehn Jahre erlebte, kann Deutschland jetzt einer
goldenen Dekade entgegensehen.
Diese These habe ich schon im Mai
letzten Jahres als Erster entwickelt.
Mittlerweile ist sie zum Allgemeingut geworden. Es gibt nur eine Einschränkung: Wenn wir unsere Bonität über allzu großzügige Rettungssysteme an die anderen Länder des
Euroraums verschenken, können
wir alles kaputt machen. Dann fließt
das Kapital wieder weg, im ­Süden ist
wieder Party, und wir kommen wieder in die Flaute.
WiKu: Das heißt, dass wir uns nicht
allein auf ein anhaltend gutes wirtschaftliches Wachstum verlassen
können?
Sinn: Der Staat muss nun endlich sparen. Deutschland muss so schnell
wie möglich Überschüsse im Staatsbudget bilden, um die Schuldenquote herunterzufahren. Dazu muss
der Staat dringend abspecken, anstatt den Bürgern immer mehr Geld
aus der Tasche zu nehmen. Der Finanzminister widersetzt sich den
Begehrlichkeiten seiner Kabinettskollegen eisern. Das ist anerkennenswert und muss fortgesetzt werden. Großes Einsparpotenzial sehe
ich nach wie vor bei den Subventionen. So ist der reduzierte Mehrwertsteuersatz für das Übernachtungsgewerbe nicht sachdienlich. Aber
es gibt noch viele Ansatzpunkte.
Je nach Definition werden jährlich
70 Mrd. bis 150 Mrd. Euro für Subventionen ausgegeben. Wenn man
hier beherzt ansetzen würde, könnte man die nötigen Überschüsse im
Staatsbudget herbeiführen. Außerdem ist der Sozialetat überzogen
und zieht immer mehr Bedürftige
aus dem Ausland an.
WiKu: Der Staatssektor hat in der
letzten Dekade weniger investiert,
als zum Erhalt des Kapitalstocks
notwendig gewesen wäre. Ging
die Stabilisierung der öffentlichen
Haushalte in der Vergangenheit zu
sehr auf Kosten öffentlicher Investitionen?
Sinn: Es mangelt an Zukunftsinvesti­
tionen, zum Beispiel an Geld für
Bildung oder Infrastruktur. Wir investieren zu wenig in die Zukunft
und zu viel in die Vergangenheit.
Das deutsche Rentenniveau ist im
internationalen Vergleich sehr üppig. In den neuen Bundesländern
liegen die gesetzlichen Renten pro
Rentenbezieher nominal um circa
20 % über den West-Renten, real sogar um fast 30 %. Mit Hartz IV wird
sehr viel leistungsloses Einkommen
verteilt. Der Transferstaat hat sich
bereits übernommen und nun soll
er auch noch die Südländer
retten.
WiKu: In der Tat, die
deutsche Verschuldung
könnte sich auch noch
durch die Garan­tien für
die hoch verschuldeten Eurostaaten ausweiten.
Sinn: Ja, wir müssen vom Ernstfall
ausgehen, nämlich
dass wir zahlen
müssen, auch wenn
die Politiker gern betonen, dass es sich hier
„lediglich um Garantien“
handelt, die wohl nicht in
Anspruch genommen werden. Wer Garantien gibt,
muss sich darauf einstellen,
dass sie gezogen werden. Also
müssen wir für Griechenland, Irland und Portugal sparen. Wir tun
aber auch gut daran, für Spanien
und Italien zu sparen. Selbst wenn
die Garantien formell nicht in Anspruch genommen werden sollten,
so würde das lediglich heißen, dass
wir diese Länder mit anderen Mitteln und auf andere Weise unterstützen müssen, damit sie ihre
Schulden zahlen können. Einen Teil
unseres Geldes werden wir nicht
wiedersehen.
WiKu: Also sind die Gefahren für die
Geberländer nicht zu unterschätzen ...
Sinn: Mit den Rettungspaketen wird
ein weiterer Ansteckungsweg zwischen den Ländern geschaffen. Sie
können sich nun nicht nur über die
Banken infizieren, sondern auch
noch über die Staatsfinanzen. Die
Entscheidungen, die die europäische Zentralbank und die EU-Länder in letzter Zeit getroffen haben,
vergrößern für Deutschland die Gefahr, mit in den Strudel von Staatsbankrotten hineingezogen zu werden. Ein Blick auf Irland macht die
Gefahr bewusst: Die irischen Banken hatten sich am heimischen Immobilienmarkt übernommen. Deshalb spannte der irische Staat im
September 2008 einen großzügigen
Rettungsschirm auf. Der Schirm
werde ja nie in Anspruch genommen, hieß es. Es komme nur darauf
an, den Märkten ein überzeugendes
Signal zu geben. Dann werde alles
wieder gut. Nichts wurde gut. Nur
zwei Jahre später waren die Banken
pleite, Irland musste unter den Rettungsschirm.
WiKu: Der derzeitige Euro-Rettungsschirm wird als nicht ausreichend
angesehen.
Sinn: So wie es Irland mit seinen Banken ergangen ist, kann es Deutschland ergehen, wenn es zustimmt,
den Rettungsschirm auszuweiten.
Der Rettungsschirm ist ausreichend.
„Es mangelt an
Zukunftsinvestitionen.
Wir investieren zu
wenig in die Zukunft
und zu viel in die
Vergangenheit.“
Zu unterscheiden ist aber, ob es sich
um Liquiditätsprobleme handelt
oder ob ein Land insolvent ist – wie
Griechenland. In letzterem Fall hilft
auch kein Rettungsschirm. Dann
müssen die Gläubiger – vor allem
die Banken – auf einen Großteil ihrer
Forderungen verzichten.
WiKu: Das ifo Institut hat Berechnungen angestellt ...
Sinn: Nach den Berechnungen unseres Instituts ist der Rettungsschirm
für Irland, Portugal und Spanien
nicht zu klein. Die in den Medien
genannte Summe von 250 Mrd. Euro
ist falsch: Wenn neben Griechenland auch Spanien, Irland und Portugal als Garantiegeber ausfallen,
werden nämlich auch deren Zusagen von den anderen Eurostaaten
übernommen, so steht es im EFSFVertrag.
WiKu: Und das heißt?
Sinn: Die Zusagen der mit „AAA“ ge­
rateten Euroländer – darunter
Deutschland – erhöhen sich so auf
315 Mrd. Euro. Weitere 60 Mrd. Euro
stammen von der EU (EFSM), und
187 Mrd. Euro kommen anteilig aus
dem Topf des Internationalen Währungsfonds (IWF) über 250 Mrd.
Euro hinzu. Das sind insgesamt 562
Mrd. Euro für Portugal, Irland und
Spanien. Die Summe übersteigt den
Refinanzierungsbedarf dieser Staaten in den nächsten drei Jahren –
selbst wenn man ihnen eine weitere
Verschuldung um 3 % ihres Bruttoinlandsprodukts zugesteht – um
etwa 130 Mrd. Euro oder 43 Transrapid-Strecken. Es kann also keine
Rede davon sein, dass der Schirm
nicht ausreicht. Irgendwer will uns
hier offenbar für dumm verkaufen.
Eu-Sta at sanwalt
Dauerhafte Stabilität und eine einheitlicher Entwicklung im Euroland
kann es nach Ansicht von Prof. HansWerner Sinn, Präsident des ifo Instituts, nur geben, wenn jedes Land
für seine Schulden selbst einstehen
muss. Verstöße gegen bestehende Regeln müssten – anders als bisher – automatisch bestraft werden.
Dazu sei eine von der Politik unabhängige Institution notwendig, eine
Art europäische Staatsanwaltschaft
für Wirtschaftsstraftaten der Staaten.
„Zudem benötigen wir dringend
mehr Kontrolle durch die Märkte“,
sagte Sinn. Sie könne aber nur dann
funktionieren, wenn zum Beispiel die
Banken auf Teile ihrer marode gewordenen Forderungen verzichten
müssten. Verluste dürften nicht ausschließlich auf die Steuerzahler der
Staatengemeinschaft abgewälzt werden. Ein Teil müsse auch von den
Banken selbst getragen werden. Nur
dann werde es eine vorsichtige, risikobewusste Kreditvergabe geben.
März
Industrie & Märkte
2011
WirtschaftsKurier
5
Die Zukunft findet woanders statt
In jeder Phase
Abgespeckte Kolosse
Zehnmal dünner als ein Haar
Für den Autobauer Daimler spielt das Ausland e­ ine
zunehmend größere Rolle. Immer mehr Modell­
reihen werden fernab der Heimat gebaut. Seite 6
Industriebau | Bilfinger Berger bietet einen
Industrieservice an, der Anlagen­betreiber
Seite 7
vom Bau bis zum Rückbau unterstützt. Leichtbau | Mit leichteren Materialien des Tech­
nologiekonzerns Siemens spart die Metro-Flotte
Seite 8
von Oslo bis zu 30 % Energie.
Leichtbau | Carbon gilt in vielen Schlüssel­berei­chen als der Stoff der Zukunft. Das Material
ist ­besonders leicht und gleichzeitig stabil. Seite 9
Gefährliche Verweigerung
Rohstoffe | Nur vier deutsche Unternehmen bauen Metall im Ausland ab
Von Daniel G. Medhin
M
it einem Pro-Kopf-Einkom­
men von rund 1 700 US-Dol­
lar zählt Sambia zu den
ärmsten Ländern der Welt. Trotzdem
lockt der Binnenstaat im südlichen
­Afrika die Investoren in Scharen an.
Denn unter seiner Oberfläche schlum­
mert ein Schatz, der unter anderem
dafür sorgt, dass Strom durch Leitun­
gen fließt: Kupfer. So gaben unlängst
der Bergbaugigant Vale und das Unter­
nehmen First Quantum Minerals be­
kannt, dass sie in den Abbau des Me­
talls noch in diesem Jahr weitere 1 Mrd.
US-Dollar beziehungsweise 400 Mio.
US-Dollar investieren wollen – und wo
Brasilianer und Kanadier graben, da
sind natürlich auch die Chinesen nicht
weit: Schon seit 2009 forciert die Volks­
republik ihre Aktivitäten in dem nörd­
lichen Nachbarland Südafrikas. Allein
das Bergbauunternehmen Zhongui
will in der nächsten Zeit 3,6 Mrd. USDollar in den Ausbau seiner dortigen
Kapazitäten pumpen.
Es ist eigentlich immer das gleiche
Lied: Geht es um das Thema Rohstoffe,
in welcher Region der Erde auch im­
mer, so fallen mit steter Regel­mäßigkeit
die Namen amerikanischer, australi­
scher, brasilianischer, britischer, kana­
discher und chinesischer Konzerne –
von deutschen Unternehmen ist hin­
gegen so gut wie nie die Rede. Zwar
sind momentan etwa 90 Firmen aus
der Bundesrepublik im Auslandsberg­
bau tätig – das aber vor allem im Be­
reich der strategisch eher unbedeuten­
den Industrieminerale, bei Steinen, Er­
den oder Torf. Bei Energie- und Metall­
rohstoffen, die Deutschland vor allen
Dingen benötigte, um seine HightechProdukte herzustellen, fällt die Bilanz
hingegen ernüchternd – um nicht zu
sagen erschreckend – aus. Gerade ein­
mal vier Unternehmen aus der Bun­
desrepublik sind derzeit direkt an ei­
nem Bergwerk im Ausland beteiligt
oder betreiben selbst eines.
In Südafrika baut der SpezialchemieKonzern Lanxess Chrom ab und
ist damit eine Einzelerscheinung in
Deutschland. Denn – wenn überhaupt – dann sind es nur wenige
inhabergeführte Firmen und
Fa­milien­unternehmen, die den
Metall­abbau im Ausland betreiben. Fotos: Lanxess
Andere Länder sind aktiver
Und das Beunruhigende daran ist: An­
dere Länder messen diesem Instru­
ment der Rohstoffsicherung eine weit­
aus größere Bedeutung bei. „Denn
selbst so rohstoffarme Volkswirtschaf­
ten wie die Schweiz sind im Metallbe­
reich viel intensiver im Auslandsberg­
bau engagiert und auch alle anderen
Länder sind in dieser Hinsicht viel bes­
ser aufgestellt“, erklärt der WirtschaftsGeologe Dr. Harald Elsner von der
Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe (BGR), der schon an
mehreren Studien zu diesem Thema
mitgearbeitet hat. In Deutschland set­
zen Konzerne wie Siemens vornehm­
lich auf langfristige Lieferverträge,
Hedging, Recycling, Ressourceneffizi­
enz oder Substitute. Nicht jeder ist je­
doch davon überzeugt, dass dies aus­
reichen wird, um die Versorgung lang­
fristig zu sichern. „Wir halten eine di­
rekte Beteiligung an Minen für zwin­
gend“, sagt Thomas Gutschlag, Finanz­
vorstand der Deutschen Rohstoff AG,
die eine Goldmine mit einer Jahres­
kapazität von 100 000 Tonnen in Aus­
tralien betreibt und gerade eine Öl-/
Gasgesellschaft in Denver gegründet
hat sowie ein Blei-/Zink-Vorkommen
in Kanada entwickelt. Auch Benno
Kratz, Geschäftsführer der ELG Haniel,
die Anteile an einer Ferrochrom-Mine
in Südafrika besitzt, hält derartige Akti­
vitäten für sinnvoll, „um der aktuellen
Knappheit entgegenzuwirken“.
Initiativen blieben ohne Erfolg
Zwar wurden in den vergangenen Jah­
ren vonseiten der BGR, des Bundes­
wirtschaftsministeriums und Fachver­
bänden viele Initiativen gestartet, um
die deutsche Metallindustrie für solche
Projekte zu gewinnen, jedoch ohne
nennenswerten Erfolg. „Man kann im
Metallbereich schon fast von einer aus­
geprägten Verweigerungshaltung der
deutschen Industrie sprechen“, kriti­
siert Elsner. Die Ursachen hierfür sind
vielschichtig und haben sowohl mit in­
ternen als auch mit externen Faktoren
zu tun. „Die Kosten und teilweise auch
die unsichere politische Lage der Län­
der, in denen die Rohstoffvorkommen
liegen, sind sicherlich die Hauptgrün­
de dafür, dass viele Unternehmen vor
einer aktiven Investition zurückschre­
cken. Es handelt sich hier um teure In­
vestments, die sich nur sehr langfristig
rechnen“, erklärt Kratz von der ELG
Haniel, die jährlich 420 000 Tonnen
Ferrochrom produziert, das vollständig
in den Verkauf geht und zur Verede­
lung von Stahl genutzt wird. Insbeson­
dere für die Herstellung der strategisch
wichtigen Seltenen Erden, die unter
anderem für die Produktion von Hoch­
leistungsmagneten und Katalysatoren
gebraucht werden, fallen immense
Kosten an. Für die Erschließung eines
Vorkommens und die chemische Auf­
bereitung der Rohstoffe schlägt eine
Summe zwischen einer halben und
­einer Milliarde Euro zu Buche. „Und
damit tun sich viele Firmen natur­
gemäß schwer“, sagt der BGR-Wirt­
schaftsgeologe Elsner. Vor allem in Kri­
senregionen muss ein solches Engage­
ment wohlüberlegt sein. Denn sonst
geht es potenziellen Investoren wie
den deutschen Unternehmen Thyssen
und Hoesch, die in Liberia 150 Kilome­
ter nördlich der Hauptstadt Monrovia
Eisenerz abbauten und die Produk­tion
1990 wegen des Bürgerkriegs in dem
westafrikanischen Land einstellen
mussten. Mit dieser Unsicherheit und
der eher langfristigen Natur derartiger
Projekte haben insbesondere große
Unternehmen ihre Probleme. „Viele
Firmen im Metallbereich sind Aktien­
gesellschaften und eher kurzfristig ge­
winnorientiert. Wir haben die Erfah­
rung gemacht, dass sie sich besonders
vor ihren Aktionären schwertun, ein
solches Projekt zu rechtfertigen“, sagt
Elsner. Deswegen sind die meisten Fir­
men, die im Ausland aktiv sind, inha­
bergeführt oder Familienunternehmen
wie die ELG Haniel oder Cronimet, die
Kupfer und Molybdän in Armenien ab­
baut. Eine Ausnahme stellt der Spezial­
chemie-Konzern Lanxess dar, der in
Südafrika jährlich rund 900 000 Ton­
nen Chrome fördert, die das Unterneh­
men für die eigene Lederherstellung
nutzt. Mit dem Betrieb der Mine stellt
es nicht nur die eigene Versorgung
­sicher, sondern einen gleichbleiben­
den Qualitätsstandard, wobei Lanxess
auf eine lange Erfahrung im Abbau zu­
rückgreifen kann.
Wissen, das den meisten fehlt: Denn
die Deutschen waren zwar bis Mitte
des 20. Jahrhunderts intensiv im Aus­
landsbergbau engagiert. Im Zuge des
allmählichen Rückzugs seit dem Ende
des Zweiten Weltkriegs und insbeson­
dere in den 80er- und 90er-Jahren, in
denen viele Firmen ihre lukrativen Mi­
nen verkauft haben, ging das Knowhow zurück. Den meisten Unterneh­
men fehlt es daher an der notwendigen
Expertise, „deswegen scheuen sie vor
einem Engagement zurück“, sagt Gut­
schlag von der Deutschen Rohstoff AG.
Zwar werden an Universitäten wieder
Kapazitäten aufgebaut, um ein solches
Wissen zu vermitteln, „das ist aber ein
langwieriger Prozess, da viele Lücken
entstanden sind“, so Elsner. Ob die
Deutschen allerdings diese Zeit haben,
ist fraglich. Elsner ist da skeptisch –
auch aus einem anderen Grund, der
sich in der aktuellen Debatte über die
Rohstoff-Frage zeigte: „Ich sehe, dass
alle anderen Länder schneller sind als
wir und handeln, während die deut­
sche Industrie sich wieder einmal seit
Monaten in einem sehr langen Ent­
scheidungsprozess befindet.“
Neugier und Lernbereitschaft
BASF | Der scheidende Vorstandsvorsitzende Jürgen Hambrecht über die Vergangenheit und die Zukunft
stand geht, als vielversprechend, da
Innova­tionen der Chemie dafür be­
nötigt werden, um Megatrends wie Kli­
ma- und Umweltproblemen begegnen
zu können. Die Fragen stellte WiKuRedakteur Daniel G. Medhin.
Fragen an …
D
ie Weltwirtschaftskrise 2008/09
bezeichnet BASF-Chef Jürgen
Hambrecht als das einschnei­
denste Ereignis seiner Amtszeit. Die
Zukunft seiner Branche bewertet der
Vorstandschef, der im Mai in Ruhe­
WirtschaftsKurier: Herr Hambrecht,
Sie stehen seit 2003 an der Spitze
von BASF und werden im Mai den
Stab an Kurt Bock weiterreichen.
Wenn Sie an Ihre Amtszeit zurück­
denken, welche allgemeine Ent­
wicklung oder welcher Trend hat
Sie im Nachhinein am meisten
überrascht?
Jürgen Hambrecht: Das bei Weitem
einschneidendste Ereignis war die
Weltwirtschaftskrise 2008/09. Nie­
mand hatte mit einem derart abrup­
ten und massiven Einbruch der glo­
balen Konjunktur gerechnet. Die
BASF hat die Krise aber hervorra­
gend gemeistert und ist sogar ge­
stärkt daraus hervorgegangen. Das
haben wir natürlich vor allem dem
großartigen Einsatz unseres Spitzen­
teams zu verdanken.
WiKu: Welche Charaktereigenschaf­
ten sind für eine Führungsposition
in der chemischen Industrie von
Nutzen?
Hambrecht: Neugier und Lernbereit­
schaft: Man muss verstehen, wie
Dinge zusammenhängen und funk­
tionieren.
WiKu: Vor welchen Herausforderun­
gen stehen wir in den nächsten
­Jahren?
Hambrecht: Die wirtschaftliche Ent­
wicklung wird immer weniger vor­
hersagbar, die Volatilität nimmt zu.
Unternehmen müssen deshalb noch
flexibler und schneller handeln.
Zum anderen müssen wir die Her­
ausforderungen der sogenannten
Megatrends meistern: eine wachsen­
de Weltbevölkerung mit mehr Bedarf
an Nahrung, sauberem Wasser und
Gesundheitsversorgung, mit stei­
gendem Bedarf an Energie und Res­
sourcen und damit einhergehenden
Klima- und Umweltproblemen.
WiKu: Welche Rolle spielt in diesem
Zusammenhang die Chemie?
Hambrecht: Dafür brauchen wir Inno­
vationen, vor allem aus der Chemie,
denn die Chemie ist der Problemlö­
ser für viele Zweige der produzieren­
den Industrie.
WiKu: Wie bewerten Sie die Aus­
sichten Ihrer Branche für 2011?
Hambrecht: 2011 ist das Internationale
Jahr der Chemie, schon das stimmt
optimistisch. Das Wirtschaftswachs­
tum wird sich weltweit zwar verlang­
samen, aber für die Chemiebranche
ist mit einem deutlichen Wachstum
von gut 5 % zu rechnen.
6 Industrie & Märkte
März
2011
WirtschaftsKurier
Deutschland verliert an Bedeutung
Daimler | Automobilkonzern setzt auf neue Märkte und Kooperationen
Keine Abstriche soll es aber auch –
so betonte Zetsche – im Bereich For­
schung und Entwicklung geben: Daim­
ler werde mit unverändert hohem Tem­
po sowohl an der weiteren Verbes­
serung der Verbrennungsmotoren als
auch an der Entwicklung von Batterie­
Von Klaus G. Wertel
D
ie Daimler AG sieht für ihre
Fahrzeuge nur noch im Aus­
land – insbesondere in Asien
und Amerika – größere Wachstums­
chancen: „Mercedes-Benz wird eine
Premium-Marke bleiben – wir verfol­
gen deshalb nicht das Ziel, unseren
(Pkw-)Marktanteil in Deutschland
(zurzeit knapp 10 %) noch wesentlich
zu erhöhen“, erklärte der Daimler-Vor­
standsvorsitzende Dieter Zetsche auf
der Jahrespressekonferenz des Auto­
mobilkonzerns in Stuttgart. Angesichts
des in Deutschland bei jährlich rund
3 Mio. Pkw-Neuzulassungen stagnie­
renden, weltweit aber weiter wachsen­
den Autoabsatzes werde sich die Ver­
lagerung der Bedeutung der Märkte
fortsetzen, so Zetsche. Dies ­gelte eben­
falls für den Nutzfahrzeug-Sektor.
Daimler werde dieser Entwicklung
auch bei Entscheidungen für Modelle
und Produktionsstandorte Rechnung
tragen.
Der Daimler-Chef nannte eine Reihe
von Beispielen für die weiter zuneh­
mende Internationalisierung der
Daimler-Produktionsstrukturen: So
werde in China ein neues Pkw-Moto­
renwerk errichtet. Die chinesische VorOrt-Montage werde um zusätzliche
Modelle – etwa um den Geländewagen
GLK – erweitert. Eine Teilproduktion
der C-Klasse soll von 2014 an von Sin­
delfingen nach Tuscaloosa im US-Staat
Alabama verlagert werden. Die Neu­
auflage der Kompaktbaureihen – Aund B-Klasse – wird nicht nur in Rast­
statt, sondern von 2012 an auch in dem
völlig neuen Daimler-Werk im ungari­
schen Kecskemet vom Band laufen. In
Russland liefen die Vorbereitungen für
die Fertigung des Transportermodells
Sprinter. In Brasilien soll eine OffroadVersion des Mercedes-Lastwagens Ac­
tros produziert werden. In Indien hat
Daimler im Februar eine neue LkwMarke – Bharat Benz – vorgestellt, von
der es Modelle in den Gewichtklassen
von 6 bis 49 Tonnen geben wird.
China drittgrößter
Einzelmarkt für Mercedes-Pkw
Am weltweiten Pkw-Markt von rund
70 Mio. neuen Autos pro Jahr ist der
deutsche Anteil seit vielen Jahren rück­
läufig – er wird 2011 noch rund 4 %
„Die asiatischen Schwellenländer und insbesondere der chinesische Markt
werden weiterhin eine
tragende Rolle spielen.“
Dieter Zetsche, Daimler-Chef
betragen. Für Daimler ist der deutsche
Markt mit 265 000 – oder 21 % – der
2010 weltweit verkauften 1,27 Mio.
Mercedes-Personenwagen noch im­
mer der größte Einzelmarkt. Im Ver­
gleich zu den Wachstumsmärkten tritt
Daimler freilich im Inlandsverkauf auf
der Stelle: Die Mercedes-Verkäufe in
Deutschland sanken 2010 weniger
stark als die gesamten Pkw-Neuzulas­
sungen, gingen aber auch um 0,2 % zu­
rück. Dagegen erholte sich der zweit­
wichtigste Mercedes-Einzelmarkt – die
USA – im Vorjahr um plus 14 % auf
216 400 Verkäufe. Und in China haben
sich die Mercedes-Verkäufe um 112 %
auf 148 400 mehr als verdoppelt. China
ist damit bereits der drittgrößte Einzel­
markt für die Marke mit dem Stern –
und könnte möglicherweise schon
2011 die USA überholen.
Sehr gut haben sich auch die Merce­
des-Verkäufe in anderen Wachstums­
Daimler-Chef Dieter Zetsche gab
auf der Jahrespressekonferenz
die Marschroute in die Zukunft vor:
So will das Unternehmen unter
anderem den Elektro-Smart ab 2012
in Serie bauen. Fotos: Daimler
märkten entwickelt: etwa in Brasilien
(plus 46 % auf 7 500), in Russland (plus
64 % auf 19 700), in Südafrika (plus
16 % auf 16 500) oder in Südkorea (plus
86 % auf 16 500). In Westeuropa (ohne
Deutschland) nahmen die Verkäufe
um moderate 2 % auf 291 900 zu. Insge­
samt verkaufte Daimler 2010 17 % mehr
Personenwagen als 2009. Daimler-Chef
Zetsche rechnet für 2011 mit einer wei­
teren Zunahme der Nachfrage: „Die
asiatischen Schwellenländer und ins­
besondere der chinesische Markt wer­
den dabei weiterhin eine tragende Rol­
le spielen.“ In den USA erwartet Zet­
sche eine „Fortsetzung des Erholungs­
kurses“, in Westeuropa sei dagegen „in
Summe mit einer Stagnation der PkwVerkäufe“ zu rechnen. Der wachsende
Anteil der neuen Märkte verändert die
Zusammensetzung des Modell-Mix.
Die deutliche Erholung des Fahr­
zeugabsatzes schlägt sich auch in den
Daimler-Büchern nieder: So wuchs der
Umsatz 2010 um 24 % auf 97,8 Mrd.
Euro. Und das Konzernergebnis – 2009
noch bei minus 2,7 Mrd. Euro tief im
Verlustkeller – verbesserte sich drama­
tisch auf plus 4,7 Mrd. Euro.
antrieben, Brennstoffzellen-Fahrzeu­
gen und Hybridsystemen arbeiten.
Im sächsischen Kamenz baue Daim­
ler derzeit eine Fabrik für die Herstel­
lung eigener Batteriesysteme. Noch
2011 werde werde der Automobilher­
steller eine E-Klasse mit Diesel-Hybrid­
antrieb vorstellen. Und den ElektroSmart wolle Daimler 2012 in einer ers­
ten grö­ßeren Serie bauen. Zumindest
als ­Leasing-Fahrzeuge will das Unter­
nehmen demnächst auch eine Reihe
von Brennstoffzellen-Fahrzeugen an­
bieten: von der kompakten B-Klasse
bis zum Transporter Vito.
Weitere Partnerschaften geplant
Die Herausforderungen der Entwick­
lung neuer Materialien, Systeme und
Antriebe wolle Daimler aber auch – wo
immer dies ohne „Verlust der Marken­
identität“ möglich sei – in Kooperatio­
nen mit anderen kompetenten Unter­
nehmen meistern, versicherte Zetsche.
Als Beispiel nannte der Daimler-Chef
die 2010 vereinbarte Zusammenarbeit
mit Renault-Nissan. Diese – zunächst
nur für gemeinsame Kleinwagen-Platt­
formen und Transporter sowie für den
Austausch von Motoren angelegte –
Kooperation sei inzwischen auch auf
die gemeinsame Entwicklung von
Komponenten für Elek­trofahrzeuge er­
weitert worden. Mit dem Konkurren­
ten BMW sondiere Daimler regelmäßig
die Möglichkeiten gemeinsamer Be­
schaffungen.
Ein Riese auf tönernen Füßen
EADS | Der Verlustbringer passt nicht ins Konzept des Automobilkonzerns Daimler
W
ir sind ein Automobilkon­
zern.“ So begründete Bodo
Uebber, Finanzvorstand der
Daimler AG, auf der Jahrespressekon­
ferenz in Stuttgart die Absicht, sich von
weiteren Anteilen des europäischen
Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS zu
trennen. Von den 15 %, die Daimler
derzeit noch an EADS hält, hat der
Konzern dem Bund die Hälfte zum
Kauf angeboten. Als Hauptgrund für
Daimlers Verkaufsangebot gilt die
­geringe Rentabilität der EADS-Beteili­
gung. Daimlers Ausstiegspläne gefähr­
den die seit der EADS-Gründung im
Jahr 2000 immer wieder mühsam aus­
tarierte französisch-deutsche Balance
im Aktionariat des Vorzeigeprojekts
europäischer Industriepolitik und
Technologieförderung. Die Suche nach
Investoren, die in den EADS-Gremien
bei Standortentscheidungen künftig
die deutschen Interessen wahren, blieb
bislang vergebens.
Derzeit halten französische und
deutsche Unternehmen jeweils exakt
22,46 % der Anteile der nach niederlän­
dischem Aktienrecht verfassten EADS
N.V.: Zwei Drittel des französischen
­Pakets besitzt das Staatsunternehmen
Sogepa, das übrige Drittel der Wehr­
technik- und Medienkonzern Lagar­
dàre. Jenseits der 22,46 %-Parität be­
sitzt der französische Staat noch direkt
0,06 % der EADS-Aktien. Auf deutscher
Seite hält die Daimler AG zwei Drittel
des 22,46 %-Pakets an EADS-Aktien –
also rund 15 %. Das übrige Drittel hat
der Autokonzern 2007 an ein Konsorti­
um privater und öffentlicher Banken
verkauft. Daimler behielt allerdings die
vollen Stimmrechte für die deutsche
EADS-Beteiligung.
Technologie-Koloss,
aber Ertragszwerg
Die Bundesregierung tut sich schwer
mit dem Verkaufsangebot aus ­Stuttgart. Eine direkte Übernahme des
7,5 %-EADS-Anteils im Wert von rund
1,3 Mrd. Euro in Bundesbesitz lehnt
der FDP-Koalitionspartner ab, ebenso
einen indirekten Kauf durch die bun­
deseigene KfW Bank. Bundeswirt­
schaftsminister Rainer Brüderle (FDP)
sprach von einer „marktorientierten
Lösung“, die es zu suchen gelte – ohne
freilich eine solche konkret benennen
zu ­können. Der Luftfahrtkoordinator
der Bundesregierung, Peter Hintze
(CDU), nannte die „Erhaltung der
deutsch-französischen Balance bei
EADS“ ein „Oberziel“ der Bemühun­
gen um eine Lösung. Die Suche nach
geeigneten Investoren habe bereits be­
gonnen. Das Bankenkonsortium, das
2007 ein Drittel des deutschen EADSAktienpakets von Daimler übernom­
men hatte, soll schon abgewunken ha­
ben. In die ­Sondierungen einbezogen
sind inzwischen auch die Bundeslän­
der, in denen EADS-Standorte liegen.
Die Gründe, die mögliche Investo­
ren von einem Einstieg bei EADS ab­
halten, sind dieselben, die den stark
börsen­orientierten Autokonzern Daim­
ler den Ausstieg suchen lassen: Die Eu­
ropean Aeronautic Defence and Space
Company, EADS N. V., ist zwar ein Um­
satzriese – im Fünf-Jahres-Zeitraum
2005 bis 2009 wuchs der Jahresumsatz
um 34 % auf 43 Mrd. Euro (2009) –
EADS blieb aber eben auch ein Ertrags­
zwerg: Das Konzernergebnis oszillierte
in den vergangenen fünf Jahren zwi­
schen plus 1,8 Mrd. Euro (2004) und
minus 720 Mio. Euro (2009). Über ihre
Töchter – allen voran Airbus Indust­
Wir bieten individuelle
und passgenaue
Finanzierungslösungen
für mittelständische
Unternehmen.
Die Dresdner Factoring
AG schafft Liquidität,
Sicherheit und
Vertrauen.
Schnell &
flexibel.
Sprechen Sie mit
Roland Schmidt und
Grit Schuster.
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ries, Airbus Military und Eurocopter –
hat sich EADS zu einem der weltweit
führenden Unternehmen der Luft- und
Raumfahrt sowie der Wehrtechnik ent­
wickelt. Um für Europa einen Spitzen­
platz in diesen Schlüsseltechnologien
zu bewahren, investiert EADS jährlich
bis zu 3 Mrd. Euro in Forschung und
Entwicklung. Das war und ist der in­
dustriepolitische Auftrag an EADS.
­Unter diesen Bedingungen kann Ren­
dite nur Ergebnis, nicht vorrangiges
Ziel sein.
In das Konzept eines Unternehmens,
das – wie Daimler – seinen Anlegern
Renditeziele zwischen 6 % (Busse) und
10 % (Personenwagen) in Aussicht
stellt, passt eine Beteiligung an einem
auch über den betriebswirtschaftli­
chen Tellerrand hinaus Verantwortung
übernehmenden Technologie- und In­
dustriekomplex nicht. So war es wohl
auch weniger die nicht ganz neue Er­
kenntnis, dass Luft- und Raumfahrt
beim Autokonzern Daimler nicht zu
der von Analysten und Anlegern gern
gesehenen „Beschränkung auf das
Kerngeschäft“ passt, die jetzt den Aus­
schlag zum Verkaufsangebot eines
EADS-Aktienpakets an den Bund gege­
ben hat.
Als Treibsatz gilt vielmehr die für
2010 von EADS avisierte anteilige Ver­
lustzuweisung in Höhe von 261 Mio.
Euro an das Haus Daimler – eine Fol­
gewirkung der Anlaufschwierigkeiten
in der Produktion des Großraumflug­
zeugs A 380 und der Verteuerung der
Entwicklung des Militärtransporters
A 400M.
Französische Partner
haben Vorkaufsrechte
Die französisch-deutsche Parität im
EADS-Aktionariat ist zwar politisch ge­
wünscht, rechtlich aber nicht bindend
vereinbart. Daimler könnte seine
EADS-Aktien – falls sich in Deutsch­
land keine adäquaten Investoren fin­
den – auch an die französischen An­
teilseigner veräußern. Diese genießen
sogar, unter bestimmten Bedingungen,
Vorkaufsrechte. Es gilt freilich als si­
cher, dass die deutsche Politik auf
Bundes- wie auf Länderebene alles
­daran setzen wird, eine französische
Dominanz im Aktionariat und damit
auch in den Entscheidungsgremien
der EADS zu verhindern.
Eine diskutierte Alternative zum
Kauf des Daimler-Aktienpakets durch
deutsche Investoren wäre ein Kauf die­
ser Aktien durch die EADS selbst – bei
gleichzeitiger Übernahme eines gleich
großen Aktienpakets der französischen
Seite durch EADS. Selbst wenn es ge­
länge, die französische Seite für eine
solche Lösung zu gewinnen – wie soll
die derzeit arg gebeutelte EADS die
2,6 Mrd. Euro aufbringen, um zwei Mal
7,5 % der Aktien des eigenen Unterneh­
mens zu kaufen?
kw
März
Industrie & Märkte
2011
WirtschaftsKurier
Industriebau
7
Begleiter für den gesamten Lebenszyklus
Bilfinger Berger | Industrieservices für Anlagen von der Planung über die Instandhaltung bis zum Rückbau
Von Tobias Zaers*
D
ie Nachfrage nach externen In­
dustriedienstleistungen in der
Prozess- und Fertigungsindus­
trie ist in den vergangenen Jahren stark
gestiegen. Im Zuge dessen hat sich der
Industrieservice als eigenständige
Branche profiliert, die ein hohes
Wachstumspotenzial aufweist. Exper­
ten gehen in Deutschland von einem
Marktvolumen von 20 Mrd. Euro aus,
in Europa sind es rund 100 Mrd. Euro.
Dabei reicht Industrieservice als ex­
terne Dienstleistung längst weit über
die reine Instandhaltung hinaus. Ge­
fordert sind zunehmend auch metho­
disches und konzeptionelles Knowhow. So machen die steigende Kom­
plexität von Industrieanlagen und die
immer höheren Anforderungen an
Kostenoptimierung und Effizienz über
den gesamten Lebenszyklus hinweg
das gezielte Zusammenwirken von En­
gineering, Anlagenerrichtung und In­
standhaltung unverzichtbar. Daher ist
es für Anlagenbetreiber sinnvoll, be­
reits frühzeitig professionelle Indus­
trieservicepartner einzubinden, die wie
Bilfinger Berger Industrial Services mit
ihrem Leistungsspektrum von Planung
über Errichtung bis hin zur Instandhal­
tung den gesamten Lifecycle einer An­
lage abdecken.
Solche Servicekonzepte sind konse­
quent am spezifischen Bedarf der Kun­
den ausgerichtet, was wiederum aus­
schlaggebend ist für die Ausgestaltung
der Zusammenarbeit – sei es in Form
von Projekt- und Rahmenverträgen, sei
es in Form von Exklusivpartnerschaf­
ten oder Full-Service-Leistungen zu
Festpreisen. Industrielle Produktions­
anlagen unterscheiden sich deutlich in
Aufbau und Größe und bringen jede
für sich spezielle Herausforderungen
mit sich. Entsprechend unterschied­
lich sind die Kundenbedürfnisse in der
Instandhaltung, aber auch im Enginee­
ring oder im Projektgeschäft. Die Lö­
sungen müssen maßgeschneidert sein.
Den Standard-Servicevertrag schlecht­
hin gibt es nicht.
Schon in der Planungsphase einer
neuen Anlage werden die Weichen für
den erfolgreichen Betrieb gestellt. So
entscheiden die Auswahl der Kompo­
nenten, ihre Kombination und Anord­
nung über Beschaffungs- sowie Mon­
tageaufwand und bestimmen Zuver­
lässigkeit, Lebensdauer und Wartungs­
freundlichkeit der Anlage. Dies wiede­
rum hat entscheidenden Einfluss auf
die Höhe der Betriebs- und Instand­
haltungskosten. Komplettanbieter von
industriellen Dienstleistungen haben
eine differenzierte Sicht auf die Kosten.
Über die Betrachtung von Kapital- und
Betriebskosten des Betreibers hinaus
wird der gesamte Lebenszyklus der An­
lage berücksichtigt. Dabei fließen die
aus den Instandhaltungsprozessen ge­
wonnenen Erkenntnisse systematisch
mit ein. Dies kann dazu führen, dass
dem Kunden beispielsweise in be­
stimmten Bereichen der Anlage der
Einbau von redundanten Equipments
oder eines zusätzlichen Condition-Mo­
nitoring-Systems empfohlen wird. Das
erhöht zwar die Anfangsinvestition,
bringt aber auf Sicht signifikante Ein­
sparungen mit sich, weil die Kosten für
die Instandhaltung deutlich geringer
sind.
Frühe Einbindung von
Profis zahlt sich aus
Auch in der Betriebsphase, in der die
Instandhaltung die primäre Rolle
spielt, rechnet sich die frühe Einbin­
dung von professionellen Industrieser­
viceanbietern. Wer die Anlage seit Pla­
nung und Errichtung kennt, weiß auch
um die Optimierungsmöglichkeiten,
wenn der Produktionsbedarf steigt und
die Anlage diesem nicht mehr nach­
kommen kann. Demgemäß bleiben
Anlagenverfügbarkeit und -effizienz
durchweg auf hohem Level.
Solche Modifizierungen erfolgen
häufig als Einzelprojekte parallel zu ei­
nem geplanten Anlagenstillstand. Dies
macht eine enge Abstimmung von Pro­
jekt- und Stillstandsteam zwingend er­
forderlich. Denn gerade Turnarounds
sind in der Regel generalstabsmäßig
vorbereitet, weil das Zeitfenster eng ist
und oftmals Hunderte von Fachkräften
Wartung, Inspektion und Instandset­
zung ausführen. Deshalb ist es für den
Kunden von großem Nutzen, wenn alle
Leistungen aus einer Hand kommen.
Die Koordination erfolgt über eine
Schnittstelle, sprich: Der Kunde hat
nur einen Ansprechpartner, was ihm
die Kommunikation erleichtert und die
Transparenz im Projektablauf erhöht.
Ein weiterer Vorteil ist, dass so die Ein­
haltung der Sicherheits- und Qualitäts­
standards nach internationalen Maß­
stäben gewährleistet ist.
Die Vergabe von Instandhaltungs­
prozessen an einen externen Indus­
trieservicepartner oder gar die kom­
plette Auslagerung ermöglicht dem
Anlagenbetreiber, sich auf seine Kern­
kompetenzen zu konzentrieren. Knowhow gibt der Kunde dadurch nicht aus
der Hand. Im Gegenteil: Er gewinnt
Fachwissen und Erfahrung dazu. In­
ternational aufgestellte Anbieter von
Industrieservice wie Bilfinger Berger
Industrial Services sind regelrechte
Know-how-Tanks, die Innovationen
und Best Practices konzernweit aus­
tauschen und auf diese Weise ihren
Die Anforderungen an Industrie­
anlagen bezüglich der Kosten und
der Effizienz steigen: Professioneller
Industrieservice trägt zur Optimierung
bei. Fotos: Bilfinger Berger
Kunden bestmögliche Lösungen bei
Aufbau, Betrieb und letztlich auch
Rückbau ihrer Anlagen anbieten kön­
nen. Davon profitieren auch Länder, in
denen die Entwicklung und Imple­
mentierung von Instandhaltungskon­
zepten ebenso wenig „State of the Art“
sind wie die Orientierung an interna­
tionalen Qualitäts- und Sicherheits­
standards. Kunden in diesen Ländern
auf die Position der „Early Adopter“ zu
heben, bringt diesen signifikante Wett­
bewerbsvorteile – und erhöht nachhal­
tig den Stellenwert des Industrieser­
vice rund um den Globus.
*Tobias Zaers ist Leiter
Corporate Technical
Support der Bilfinger
Berger Industrial
Services Group
„Schon in der Planungsphase einer Anlage werden
die Weichen für den
erfolgreichen
Betrieb gestellt.“ Tobias Zaers,
Bilfinger Berger
Außen hui – innen hui
Gartner | Neue Fassadentypen verbessern Heizung, Kühlung, Lüftung und Tageslichtnutzung
G
läserne Fassaden sollen mehr
Transparenz schaffen, aber
auch den Energieverbrauch
senken und den Komfort erhöhen.
Neue Fassadentypen verbessern des­
halb sowohl Heizung und Kühlung wie
Lüftung und Tageslichtnutzung. Und sie
integrieren erneuerbare Energien wie
Geothermie, Nachtkühle oder Photo­
voltaik. Als erstes Bürogebäude der Welt
wurde kürzlich Roche Diagnostics im
Schweizer Rotkreuz mit der besonders
energiesparenden Closed Cavity Façade
(CCF) von Gartner eingekleidet.
Die 8 200 Quadratmeter große CCFFassade bei Roche Diagnostics ist eine
geschlossene zweischalige Fassade mit
einer inneren Dreifachverglasung und
einer äußeren Einfachverglasung. Sie
bietet einen erstklassigen Wärme-,
Sonnen- und Schallschutz und kombi­
niert hohe Transparenz durch eisen­
oxydarmes Glas mit einem geringen
Energieverbrauch. Da der Raum zwi­
schen der inneren und äußeren Ver­
glasung dauerhaft vor Witterungsein­
flüssen geschützt ist, können hocheffi­
ziente Sonnenschutzanlagen auch zur
Lichtlenkung verwendet werden. Alle
Regelungseinheiten der CCF-Fassade
sind wartungsarm ausgelegt.
Innovationen aus Gundelfingen
Entwickelt wurde diese Fassadeninno­
vation von der Josef Gartner GmbH in
Gundelfingen an der Donau, einem
der weltweit führenden Fassadenbauer
mit über 1 200 Mitarbeitern. Zusam­
men mit der Fraunhofer-Gesellschaft
hat Gartner die CCF-Fassade am For­
schungsgebäude „inHaus2“ in Duis­
Fassaden mit verschiedenen Funk­
tionen und in diversen Formen sind
die Welt von Gartner: Die Firma aus
Gundelfingen hat unter anderem die
BMW Welt in München (r.) oder den
Opernturm in Frankfurt (o.) ausgestattet. Ganz oben: Die Closed Cavity
Façade bietet erstklassigen Wärme-,
Sonnen- und Schallschutz. Fotos: Gartner
burg erprobt und zur Serienreife ent­
wickelt. Mittlerweile baut Gartner wei­
tere CCF-Fassaden für Objektbauten.
Gartner-Fassaden prägen auch das Ge­
sicht vieler Hochhäuser und architek­
tonischer Highlights von Metropolen
weltweit. In Deutschland zählen dazu
der Neubau der Deutschen Börse, die
Hochhäuser der Deutschen Bank und
der neue Opernturm in Frankfurt am
Main.
Mit seinen Fassaden entwickelt das
1868 gegründete Unternehmen Schlüs­
seltechnologien zum nachhaltigen
Bauen und hat über 300 Patente ange­
meldet. 1968 erfand Gartner beispiels­
weise die Integrierte Fassade zum Hei­
zen und Kühlen. Bei diesem Fassaden­
typ halten die Fassadenprofile nicht
nur das Glas, sondern sind gleichzeitig
Heiz- und Kühlflächen. Die Hohlpro­
file aus Stahl oder Aluminium führen
Wasser, das erwärmt oder gekühlt wer­
den kann. Die Elemente bilden einen
geschlossenen Wasserkreislauf, der an
das Hausheizungsnetz angeschlossen
wird. Die Fassadenheizung selbst wirkt
wie eine Niedertemperaturheizung
und senkt damit wesentlich die Heizund Kühlkosten eines Gebäudes. Bei­
spiele hierfür sind die Deutsche Börse
oder die BMW Welt in München, bei
der selbst Elektrokabel und Sprinkler­
leitungen in die Hohlprofile integriert
sind. Die Firmenzentrale von Alki-Tech
in Ingolstadt nutzt bei der Integrierten
Fassade erneuerbare Energien wie Erd­
wärme.
Wie eine zweite Haut
In den 80er-Jahren hat Gartner die
Zweite-Haut-Fassade zur natürlichen
Belüftung von Hochhäusern wie beim
Commerzbank-Hochhaus in Frankfurt
entwickelt und erstmals angewendet.
Diese zweischalige Fassade reduziert
den Energieeintrag und sorgt mit aus­
geklügelten Belüftungs- und Sonnen­
schutzsystemen im windgeschützten
Fassadenzwischenraum für ein an­
genehmes Raumklima. Beim Ver­
waltungsgebäude von Swarovski im
Schweizer Männedorf hat Gartner die­
sen Fassadentyp weiterentwickelt. Der
Neubau am Zürichsee wirkt wie ein
gläsernes Hufeisen. Trotz des hohen
Glasanteils erfüllt das vierstöckige Ge­
bäude so den sehr hohen Schweizer
Energiestandard, bei dem auch der
Energieverbrauch während der Be­
triebsdauer betrachtet wird. Neben ei­
ner besonderen Lichttransparenz der
Verglasung zeichnet sich die Fassade
durch einen elektrischen Sonnen­
schutz im Fassadenzwischenraum aus,
um den Energieeintrag in den Som­
mermonaten zu reduzieren.
Weitere Fassadeninnovationen von
Gartner gewinnen Kühlenergie aus
der Nachtauskühlung über integrierte
Klimageräte oder integrierten Solar­
absorber zur Warmwassergewinnung.
Insbesondere in Dachbereichen setzt
Gartner Photovoltaikelemente wie bei
Novartis in Basel oder bei der Califor­
nia Academy of Science in San Francis­
co ein, die dem höchsten internationa­
len Nachhaltigkeitsstandard entspre­
chen und eine Platinumzertifizierung
nach LEED (Leadership in Energy and
Environmental Design of the US Green
Building Council) erhielten. Denn in
Dachbereichen kann die Sonnenein­
strahlung am besten genutzt werden.
Für senkrechte Fassaden bieten dage­
gen Geothermie und Nachtkühle Vor­
teile, da sie im Unterschied zur Son­
neneinstrahlung jederzeit und an allen
Gebäudeseiten zur Verfügung stehen.
8 Leichtbau
Industrie & Märkte
März
2011
WirtschaftsKurier
Abgespeckte Schwergewichte
Siemens | Schienenfahrzeuge gelten als umweltfreundlich – das Potenzial ist aber noch lange nicht ausgereizt
Von Henner Vogelsang
und Heinrich Zeininger*
B
ei Schienen- und Kraftfahrzeu­
gen führt jedes eingesparte Ki­
logramm zu einem niedrigeren
Energieverbrauch. Auch die Umwelt
profitiert davon, denn die Kohlendi­
oxid-Emissionen sinken, Ressourcen
werden eingespart und die Wirtschaft­
lichkeit steigt. Deshalb ist der Leicht­
bau die Konstruktionsmethode der
Wahl. Ballungsräume setzen zuneh­
mend auf den Schienen- bzw. öffent­
lichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Zwar gilt der Schienenverkehr als be­
sonders umweltfreundlich, das heißt
aber nicht, dass in diesem Bereich
kein Einsparpotenzial vorhanden wäre.
Gewichtsreduktion, Rückführung der
Bremsenergie und wiederverwertbare
Bauteile – all diese Maßnahmen stei­
gern die Umweltfreundlichkeit. Metro­
züge von Siemens, die genau diese An­
sprüche erfüllen, fahren seit über drei
Jahren in Oslo.
Moderne Metroflotte braucht
viel weniger Energie
Im Vergleich zu den Vorgängerzügen
spart Oslos moderne Metroflotte rund
30 % Energie ein. Möglich macht dies
der Leichtbau, bei dem modulare Kon­
struktionsbauteile für die Wagenkästen
(sogenannter Rohbau) verwendet wer­
den. Der Rohbau macht knapp ein
Viertel des Gesamtgewichts eines Zugs
aus. Bevorzugter Werkstoff der Kon­s­trukteure ist Aluminium: ein Material,
das besonders leicht, crashtauglich
und – durch die industriell als Strang­
pressprofil gefertigten Halbzeuge –
kostengünstiger zu verarbeiten ist als
Stahl. Die Inneneinrichtung der Oslo­
er-Metrozüge besteht vor allem aus
Glasfaser-Kunststoff (GFK), der sich
durch eine hohe Stabilität und gerin­
ges Gewicht auszeichnet. Zudem sind
knapp 95 % der Zug-Komponenten re­
cycelbar.
Das perfekte Zusammenspiel von
Design, Konstruktion und Bauweise ist
auch der Anspruch bei den SiemensHochgeschwindigkeitszügen. Verwirk­
licht wurde er beispielsweise beim
­Velaro, einer Weiterentwicklung des
deutschen ICE 3. Mit einer Spitzenge­
schwindigkeit bis zu 350 Kilometer pro
Stunde ist er einer der schnellsten Se­
rientriebzüge der Welt und derzeit in
Spanien, China und Russland im Ein­
satz. Der Velaro verbraucht umgerech­
net 0,33 Liter Benzin pro Sitzplatz auf
100 Kilometer – ein Volumen, das in
eine herkömmliche Cola-Dose passt.
Hier spielt neben dem Leichtbau auch
die Aerodynamik eine große Rolle: Die
Entwickler haben das windschnittige
Neues Design, mehr Aerodynamik,
weniger Energieverbrauch: Nicht
nur im neuen ICE sorgen Materialien
von Siemens für mehr Effizienz,
sondern auch in der Metro von
Oslo. Fotos: Siemens
Verhalten durch Verkleidungen von
Dachgeräten, Drehgestellen und Wa­
genübergängen optimiert. Das elektri­
sche Bremssystem erlaubt eine Rück­
speisung der Bremsenergie in das Netz,
was Energie und Kosten spart.
Damit sind aber die Optimierungs­
möglichkeiten noch lange nicht er­
schöpft. Die Experten bei Siemens
­Corporate Technology (CT) arbeiten
daran, die Leichtbauwerkstoffe weiter­
zuentwickeln. Vor allem der Flugzeug-,
Fahrzeug- und Maschinenbau, die
Bran­chen Energieerzeugung (Windrä­
der) und Medizintechnik (Patienten­
liegen) sind auf solche Werkstoffe an­
gewiesen. Rotorblätter beispielsweise
sollten auch einen Jahrhundertsturm
überstehen, deshalb müssen die Faser­
verbundwerkstoffe besonders bruch­
fest sein und ihre Oberflächen Regen,
Schnee und UV-Strahlung standhalten.
Als Verstärkungsmaterialien für die
­Faserverbunde kommen Glas-, Kunst­
stoff- oder Kohlefasern infrage. Diese
lassen sich gut verarbeiten, haben ein
geringes Gewicht und weisen eine
hohe Festigkeit und gute Steifigkeit auf.
CT möchte die Faserverbundwerkstof­
fe optimieren – also eine bessere Ver­
windungssteifigkeit und Zähigkeit –
und idealerweise eine Leistungsstei­
gerung zwischen 20 % und 30 % errei­
chen.
Als Matrixmaterial bei der Herstel­
lung der Faserverbunde sind Epoxyd­
harze ideal. Um die Haftfähigkeit zwi­
schen den Faserbündeln und -ebenen
und damit ihre mechanischen Eigen­
schaften zu verbessern, greifen die
­Siemens-Forscher auf die Nanotech­
nologie zurück, indem sie beispiels­
weise sphärische Partikel wie Silica
oder Kohlenstoff-Nanoröhrchen (Car­
bon Nanotubes – CNT) in den Faser­
verbundstoff einfügen.
CNT haben einen Durchmesser zwi­
schen 1 und 50 Nanometern (nm). Das
entspricht einem millionsten Millime­
ter. Zum Vergleich: Die menschliche
DNA hat einen Durchmesser von rund
2 nm. Die CNT wirken als winzige
­Verbindungsbrücken und verstärken
so den Zusammenhalt zwischen den
Faserbündeln. Ein solch kohlenstoff­
faserverstärkter Kunststoff (CFK) ist
zugfester als Stahl und leichter als Alu­
minium.
Bei den faserverstärkten Kunststof­
fen ist bislang der Automatisierungs­
grad in der Produktion recht niedrig.
Im Verbundprojekt „CarboAir“ entwi­
ckelt Siemens gemeinsam mit zahlrei­
chen Unternehmen und Forschungs­
institutionen neben den neuartigen
Faserverbundwerkstoffen auch ent­
sprechende Herstellverfahren für die
Serienproduktion in den oben erwähn­
ten Branchen.
*Henner Vogelsang verantwortet bei
der Geschäftseinheit Mobility von
­Siemens Industry die Konstruktion
und Entwicklung von
Wagenkästen für Schienenfahrzeuge,
Heinrich Zeininger ist Program Manager
für Polymer ­Coatings and Composites
bei Siemens Corporate Technology
Über den Wolken zählt jedes Gramm
Rehau | Die Oberfranken bringen ein neues Leichtbau-Material für Flugzeuge auf den Markt
Von Daniel G. Medhin
Z
u Wasser, zu Land und in der
Luft: Die Produkte des Polymer­
spezialisten Rehau sind heut­
zutage in jedem Lebensbereich zu fin­
den. Das Portfolio der Oberfranken
konzentriert sich auf Lösungen für
energieeffizientes Bauen, Wasserma­
nagement und Infrastruktur; als jahr­
zehntelanger Entwicklungspartner der
Automobilindustrie beschäftigt Rehau
sich aber auch intensiv mit dem The­
ma Mobilität von morgen. Vor rund
15 Jahren hat sich das Unternehmen,
das weltweit etwa 15 000 Menschen
an 170 Standorten beschäftigt, aufge­
macht, den Himmel zu erobern. Heute
beliefert Rehau namhafte Flugzeugher­
steller wie Airbus mit Einrichtungs­
gegenständen für den Kabinen-Innen­
raum. Da über den Wolken jedes
Gramm zählt und sich schon kleinste
Gewichtsreduzierungen wohltuend auf
die Ökobilanz und die Kassen der Flug­
linien auswirken, sind alle Hersteller
kontinuierlich bemüht, das Gewicht
ihrer Metallvögel zu reduzieren. Auch
die Nordbayern verfolgen schon seit
Längerem das Thema Leichtbau und
drehen das Innovationsrad in dieser
Hinsicht immer weiter. Das jüngste
Kind der Rehau-Produktfamilie heißt
Rau-Flight.
Das neue Material befindet sich ge­
rade in der Einführungsphase und soll
im Bereich der Gepäckablage, bei Tep­
pichkanten sowie Abdeckungen zum
Einsatz kommen. Rau-Flight zeichnet
sich durch ein deutlich geringeres Ge­
wicht aus – bei gleicher Festigkeit und
Flammwidrigkeit.
Das ist besonders wichtig, da gerade
im Flugverkehr die Materialien starken
Belastungen ausgesetzt sind und ho­
hen Sicherheitsanforderungen genü­
gen müssen. So werden die meisten
Einrichtungsgegenstände eines Jum­
bojets aus sogenannten Hochtempera­
tur-Thermoplasten gefertigt, die bei
über 350 Grad Celsius verarbeitet wer­
den. Diese Kunststoffe sind nicht
brennbar und setzen bei Kontakt mit
Feuer keine toxischen Gase frei – dem­
entsprechend teuer sind sie folglich.
Auch Rau-Flight besteht aus solchen
Spezialkunststoffen, die jedoch durch
einen innovativen High-PerformanceFüllstoff aufgewertet werden.
Über ihr Netzwerk zu Zulieferern
und Universitäten kam die F & E-Ab­
teilung der Oberfranken mit Hohlglas­
kugeln in Kontakt, die sich ideal für
diesen Verwendungszweck eignen.
Rund drei Jahre lang hat die For­
schungsabteilung von Rehau getüftelt,
um die Leichtmacher in den Kunst­
stoff zu integrieren und ein entspre­
chendes Anwendungsgebiet zu defi­
nieren. „Wir haben unsere Ergebnisse
den Fachabteilungen vorgestellt und
„Wir haben unsere Ergebnisse den Fachabteilungen
vorgestellt und die
Ent­wicklung ist dann ganz
schnell in Richtung Flugzeugindustrie gegangen.“
Martin Sonntag,
Rehau Materialentwicklung
die Entwicklung ist dann ganz schnell
in Richtung Flugzeugindustrie gegan­
gen“, erklärt Dr. Martin Sonntag, Mit­
arbeiter aus dem Bereich Materialent­
wicklung. Für die Herstellung von
Rau-Flight werden die mikroskopisch
kleinen Glaskugeln und die Polymere
miteinander vermengt, aufgeschmol­
zen und anschließend unter Druck in
die entsprechende Form gebracht. Ob­
wohl die Kugeln sehr stabil sind, lag
die große Herausforderung bei diesem
Verfahren darin, den Druck so zu kon­
trollieren, dass sie nicht brechen.
„Sonst würde man den Gewichtsvor­
teil verlieren, weil am Ende keine
Hohlräume mehr im Kunststoff vorlä­
Martin Sonntag von der Rehau Materialentwicklung präsentiert stolz Rau-Flight – ein Material, das Flugzeuge noch leichter macht. Fotos: Rehau
gen“, erklärt Sonntag. Eine weitere
Schwierigkeit war es, das Füllmaterial
gleichmäßig in den Kunststoff einzu­
arbeiten.
Bei einem Griffleistensystem mit
­einem Gesamtgewicht von 48 Kilo­
gramm können beispielsweise mit
Rau-Flight rund fünf Kilogramm einge­
spart werden. Würden 100 Kilogramm
eines herkömmlichen Kunststoffs bei
einem A320 durch das innovative
­Rehau-Produkt ersetzt, würde sich der
Treibstoffverbrauch um etwa 2 000 Li­
ter pro Jahr reduzieren. Vielleicht dau­
ert es gar nicht mehr allzu lang, bis
Passagiere ihr Handgepäck in Fächern
aus Rau-Flight verstauen werden.
Derzeit befindet sich Rehau mit sei­
nem neuen Material in der AkquisePhase. Allerdings ist die Flugzeug­
industrie von sehr langen Lebens­
zyklen geprägt und bestehende Bau­
reihen werden nur wenig modifiziert.
Die Boeing 747 ist beispielsweise seit
1969 nahezu unverändert am Himmel
unterwegs. Neue Werkstoffe werden
meistens nur dann an Bord geholt,
wenn neue Flugzeuggenerationen ge­
plant werden. „Erhält man jedoch den
Zuschlag, hat man die Chance, über
viele Jahre dabei zu bleiben“, erklärt
Sonntag, der sehr zuversichtlich ist,
dass sich Rau-Flight schon bald wirt­
schaftlich auszahlen wird, da einige
Hersteller bereits Interesse an der Neu­
entwicklung der Oberfranken bekun­
det haben.
März
Industrie & Märkte
2011
WirtschaftsKurier
Leichtbau
9
Härter als Stahl – leichter als Aluminium
SGL Carbon | Autos, Windräder, Flugzeuge – Carbonfasern werden bald überall eingesetzt
Das Auto der Zukunft: 2013 wird
das Megacity Vehicle auf den Markt
kommen, das maßgeblich aus
Carbonfasern bestehen wird. Foto: BMW
Barcelona
Budapest
Carbonfasern sind zehn Mal dünner als ein menschliches Haar und werden zu
Bündeln aus 24 000 oder 50 000 Fäden zusammengefasst. Fotos: SGL Carbon
den wir unsere Iso-Graphit-Produk­
tion erweitern.
Als ein drittes Beispiel möchte ich
hier die Fertigstellung unseres Gra­
phit- und Elektrodenwerks in Ban­
ting, Asien, nennen. Banting wird zu
einem vollintegrierten Carbon- und
Graphit-Hub und zum zentralen
Standort innerhalb unseres globalen
Produktionsnetzwerks und weltweit
die kostengünstigste Anlage in der
Industrie.
Group liefert hier durch ihr gemein­
sames Joint Venture mit der BMW
Group, der SGL Automotive Carbon
Fibers, Carbonfaser und Carbon­
fasergelege für den BMW i3. Mit
­diesem Projekt werden erstmals
­Carbonfasermaterialien in der Groß­
serienfertigung eingesetzt. Um auch
zukünftig die Expansion unserer
Kunden in den Wachstumsmärkten
Solarenergie, Halbeiter und LEDs
weiterhin begleiten zu können, wer­
Genf
Köln
Hamburg
Madrid
Moskau
München
Stuttgart
Wien
Zürich
®
eo
og
y
die Windenergie, die Bauindustrie
und viele andere Industriebereiche.
WiKu: Können Sie vielleicht eines die­
ser Beispiele näher erläutern?
Köhler: Nehmen wir als Beispiel die
Windenergie: Die Rotorblätter ha­
ben heute Längen von etwa 45 bis
50 Metern. Mechanisch sind diese
­Rotorblätter (2,5 Megawatt) noch
mit Glas­faser-Verbundwerkstoffen
stabilisiert. Derzeit werden FünfMega-Watt-Anlagen mit Rotorblät­
terlängen von über 60 Metern und
Rotordurchmessern von 120 bis 130
Meter eingeführt. Durch das relativ
hohe Gewicht und die geringere
Steifigkeit stößt man hier mit Glasfa­
sern an die Grenzen. Carbonfasern
sind daher aufgrund ihrer Leichtig­
keit und hohen Steifigkeit eine ge­
eignete ­Lösung; gerade bei OffshoreAn­wendungen müssen die Rotor­
blätter möglichst stabil sein, um
auch größten mechanischen Belas­
tungen standzuhalten und sich nicht
durchzubiegen. Mit SGL Rotec ha­
ben wir ein Joint Venture, das High­
tech-Rotorblätter speziell für
Offshore-An­lagen mit Rotordurch­
messern über 60 Metern anbietet.
WiKu: In welchen Bereichen sehen Sie
das größte Potenzial für Carbon?
Köhler: Traditionell in der Luftfahrt­
p
WirtschaftsKurier: Carbon gilt als
­einer der Stoffe der Zukunft. Was
ist das Besondere an diesem Mate­
rial und welche Vorteile weist es
im Vergleich zu anderen Stoffen,
etwa Aluminium oder Stahl auf?
Jürgen Köhler: Einige Besonderheiten
der Carbonfaser lassen sich gut er­
läutern:
■■ Die Feinheit: Eine Carbonfaser ist
zehn Mal dünner als ein menschli­
ches Haar. Um diese überhaupt wei­
terverarbeiten zu können, fassen wir
entweder 24 000 oder 50 000 Carbon­
fasern zu einem sogenannten Faser­
bündel zusammen. Sie reichen auf
einer einzigen Acht-Kilogramm-Spu­
le aufgewickelt drei Mal um die Erde.
■■ Die Steifigkeit und Festigkeit: Im Ver­
gleich zu Aluminium ist Carbonfa­
serverstärkter Kunststoff (CFK) 40 %
leichter als Aluminium und 80 %
leichter als Stahl, bei einer ­höheren
Steifigkeit und Festigkeit.
■■ Die Ermüdungsfestigkeit und Scha­
dentoleranz: Die CFK-Bauteile ha­
ben eine hohe Ermüdungsfestigkeit
und Schadenstoleranz und können
sehr viel Energie aufnehmen und
vernichten, zum Beispiel beim Crash
(Rennauto).
WiKu: Was ist die Grundlage von Car­
bonfasern und wie werden sie her­
gestellt? Wie aufwendig ist die Pro­
duktion?
Köhler: Der Rohstoff (Precursor) für
Carbonfasern ist eine Kunststoff­
faser, die auf Erdöl basiert: Poly­
acrylnitril (PAN). PAN wird danach
in einem Hochtemperaturprozess
bei bis zu 1 500 Grad Celsius carbo­
„In einigen Jahren wird
die Automobilindustrie der
mengenmäßig größte
Anwender von CarbonfaserMaterialien sein.“
industrie und zunehmend im Bau
von Windkraftanlagen. In einigen
Jahren wird aber die Automobil­
industrie der mengenmäßig größte
Anwender von Carbonfaser-Materi­
alien sein.
WiKu: Die SGL Group ist einer der
weltweit führenden Hersteller von
Carbon. Wie bewerten Sie die ge­
schäftliche Entwicklung Ihres Un­
ternehmens in der jüngsten Ver­
gangenheit?
Köhler: Eine breite Basis an Technolo­
gien, Know-how und Produkten so­
wie eine global Ausrichtung haben
der SGL Group geholfen, als Gewin­
ner aus der Krise hervorzugehen.
Die SGL Group hat ihre globale Po­
sition gestärkt und wird weiterhin
­ihren Fokus auf die Wachstums­
märkte und -regionen legen.
WiKu: Was sind wichtige Märkte für
Ihr Unternehmen?
Köhler: Die Stahl-, Aluminium-, Wind-,
Solar-, Automobil-, Luftfahrt- und
die chemische Industrie.
WiKu: Welche Zukunftsprojekte und
Ziele verfolgt Ihr Unternehmen?
Köhler: Einige unserer wichtigsten Zu­
kunftsprojekte, die wir hier nennen
möchten, wären zum Beispiel das
Megacity Vehicle, der 2013 auf den
Markt kommende BMW i3. Die SGL
® Ampelmann GmbH
E
in besonderer Stoff mit beson­
deren Fähigkeiten: Carbon. Wie
das „schwarze Gold“ so manche
Zukunftstechnologie entscheidend vo­
ranbringt, erläutert Jürgen Köhler, Vice
President der Business Unit Carbon Fi­
bers & Composite Materials, in der vie­
le dieser Aktivitäten von SGL Carbon
gebündelt sind. Die Fragen stellte
WiKu-­Redakteur Daniel G. Medhin.
nisiert. Danach liegt fast reiner Koh­
lenstoff vor.
WiKu: Seit wann gibt es Carbonfasern
eigentlich und seit wann finden sie
eine breitere Anwendung?
Köhler: Die Carbonfaser findet erst seit
etwa 40 Jahren größeren Einsatz,
Wegbereiter waren der Flugzeugbau
und Militäranwendungen; danach
erfolgte eine schnelle Verbreitung in
Sportartikeln und nun zunehmend
in sogenannten industriellen Berei­
chen wie Windkraftanlagen, Druck­
behältern und im Automobilsektor.
WiKu: Vor allem im Automobilbereich
gilt Carbonfaser als der Stoff, der
die gesamte Branche revolutionie­
ren könnte. Sie kooperieren für das
Megacity Vehicle (MCV) eng mit
BMW. Welche Rolle spielt Carbon
bei diesem Projekt und welche
könnte es in Zukunft für die gesam­
te Branche spielen?
Köhler: Wir haben mit BMW das Joint
Venture SGL Automotive Carbon Fi­
bers gegründet. 2013 wird die BMW
Group das MCV auf den Markt brin­
gen, das maßgeblich aus CFK be­
steht. Mit der Gründung des Joint
Ventures haben wir gemeinsam mit
der BMW Group einen Meilenstein
für den Einsatz von Carbonfasern im
industriellen Maßstab in der Auto­
mobilindustrie gesetzt. Carbonfa­
sern übernehmen damit erstmals
eine bedeutende Rolle in der auto­
mobilen Serienproduktion. CFK
wird mit Sicherheit im Material-Mix
im Automobilbau schnell wachsen.
Der Trend zum Leichtbau startet ge­
rade erst richtig. Ein wichtiger As­
pekt ist dabei die Elektromobilität,
die nicht zuletzt wegen der schwe­
ren Batterien und der Fahrdynamik
Gewichtseinsparungen verlangt.
WiKu: Inwieweit könnten Carbon­
fasern dazu beitragen, dem Elekt­
romotor zum Durchbruch zu ver­
helfen?
Köhler: Carbonfaserbasierte Werkstof­
fe helfen, das Mehrgewicht von Bat­
terien zu kompensieren, und sind
somit von zentraler Bedeutung für
die Elektromobilität.
WiKu: Damit
sind die Einsatzmöglich­
keiten des Materials aber noch lan­
ge nicht erschöpft. Welche gibt es
noch?
Köhler: Weitere wesentliche und
schnell wachsende Anwendungs­
gebiete sind wie bisher die Flug­­zeug- und Verteidigungsindustrie,
pl
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ch
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r m a n ce t e
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no
PERSONAL2011
Fachmessen für Personalmanagement
www.personal-messe.de
„Der Trend zum Leichtbau startet
gerade erst richtig“, sagt Jürgen
Köhler, Vice President der Business
Unit Carbon Fibers & Composite
Materials bei der SGL Carbon. 6.-7. April, Hamburg
13.-14. April, München
In München zeitgleich mit:
CORPORATE
HEALTH
CONVENTION
FACHMESSE FÜR BETRIEBLICHE GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND DEMOGRAFIE
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25.02.11 11:09
10 Industrie & Märkte
März
Immer einen Schritt voraus
Kleine
Wasserspeicher
Personal2011 | Messe gastiert zum ersten Mal auch im Norden Deutschlands
Geohumus | Granulat verbessert Böden
T
rockenheit ist ein großes Pro­
blem in Afrika, aber auch in vie­
len anderen Teilen der Welt. Die
Firma Geohumus hat ein Produkt ent­
wickelt, mit dem Wasser und Nährstof­
fe besser im Boden gespeichert werden
können. Dafür wurde das Unterneh­
men mit der Dieselmedaille ausge­
zeichnet, die in Fachkreisen auch als
„Erfinder-Oscar“ bezeichnet wird.
Über das Potenzial des neuen Stoffs
sprach der WirtschaftsKurier mit Wulf
Bentlage, dem Geschäftsführer von
Geohumus.
G
utes Personal zu finden und zu
fördern steht derzeit auf der
Agenda von Unternehmen
ganz oben, denn die Wirtschaft boomt.
Im Hinblick auf den demografischen
Wandel könnte sich diese Situation
zum Dauerzustand auswachsen. Wie
Personalarbeit vor diesem Hintergrund
die Zukunftsfähigkeit von Betrieben
unterstützen kann, zeigen die beiden
Frühjahrsmessen Personal2011 Nord
(Hamburg) und Süd (München).
„Es geht darum, das gesamte Erwerbs­
potenzial in Deutschland besser zu
nutzen“, ist Prof. Stephan Kaiser von
der Universität der Bundeswehr Mün­
chen überzeugt. Der Keynote-Speaker
auf der Personal2011 Süd spielt damit
nicht nur auf Themen wie Frauenför­
derung und Vereinbarkeit von Beruf
und Familie an. „Unternehmen müs­
sen auch ihren Alterskorridor vergrö­
ßern – nach unten ist das fast noch
wichtiger als nach oben“, so Kaiser.
Die Bologna-Reform und die ver­
kürzte Studienzeit des Bachelor-Studi­
engangs seien zwar der erste Schritt.
Aber da viele Studierende zusätzlich
Masterstudiengänge belegten, ergebe
sich faktisch eine Studienzeitverlän­
gerung. „Personalentscheider sollten
deshalb sinnvolle Karrierepfade entwi­
ckeln, damit Bachelor-Absolventen ins
Unternehmen gehen und dann berufs­
begleitend ihren Master machen“, for­
dert der Experte für Personalfragen.
Insgesamt gelte es, die Beschäfti­
gungsfähigkeit der Mitarbeiter zu er­
höhen. Die Schwierigkeit dabei: Die
Anforderungen der Arbeitswelt steigen
Networking: Bei der Personal2011
kann man Erfahrungen sammeln, wie
man am besten den Herausfor­
derungen der Zukunft begegnet. Foto: Personal2011
laut Kaiser heute nicht mehr nur lang­
sam und kontinuierlich, sondern na­
hezu sprunghaft. „Das Personalma­
nagement sollte solche Themen als
Seismograph vorhersehen und ent­
sprechend vorbereiten“, so Kaiser.
Trägheit bei Social Media
Doch Personalverantwortliche legten
dabei bisweilen eine gewisse Trägheit
an den Tag – so etwa beim Thema So­
cial Media. Personaler konzentrierten
sich darauf, wie sie soziale Netzwerke
im Internet wie Facebook und Xing für
das Recruiting nutzen könnten. Die
meisten ignorierten aber noch, dass
damit auch „Open Innova­tion“ mög­
lich wäre: indem Unternehmen Leis­
tungspotenziale von Kunden oder Ex­
perten in den Wertschöpfungsprozess
integrieren.
Doch es gibt auch Ausnahmen von
der Regel, wie die Otto GmbH beweist.
Das Handelsunternehmen setzt Social
Media ausgiebig ein, zum Beispiel für
das Ideenmanagement. In Foren und
Online-Räumen können Mitarbeiter
Ideen diskutieren. In Blogs zu Themen
wie IT oder Mode haben auch Externe
die Möglichkeit, sich in die Ideenent­
wicklung einzubringen. In dem Key­
note-Vortrag „New Age HR: Personal­
management im Digitalen Zeitalter“
stellt Michael Picard, Direktor Personal
bei Otto, auf der Personal2011 Nord in
Hamburg seine Arbeit vor.
„Wir schauen uns genau an, wie sich
die technologischen Möglichkeiten,
die Struktur der Bevölkerung und ihre
Nachfrage entwickeln“, so Picard. „Da­
raus leiten wir ab, welche Produkte
man überhaupt in fünf oder zehn Jah­
ren nachfragen wird.“ Auch die Perso­
nalstrategie richte das Unternehmen
danach aus. Einerseits zeigten diese
Überlegungen, welche Qualifikationen
zukünftig überhaupt gebraucht wür­
den. Andererseits bedenke Otto, wo es
entsprechende Mitarbeiter finden kön­
ne. „Wir müssen uns sukzessive davon
verabschieden, dass Arbeitsplätze im­
mer an ein und demselben Standort
geschaffen werden“, meint Picard.
Die moderne Technik ermögliche
den Zusammenschluss von Experten
auf der ganzen Welt. Schon heute über­
trage das Handelsunternehmen grö­
ßere Veranstaltungen wie Betriebsver­
sammlungen übers Netz – live oder in
einem Zusammenschnitt –, wenn man­
che Teilnehmer nicht selbst vor Ort
sein könnten. Arbeitszeit und Arbeits­
ort würden bei Otto immer flexibler. Es
gebe zunehmend virtuelle Teams und
damit auch neue Herausforderungen
für die Führungskräfte.
Rund 130 Vorträge und Podiumsdis­
kussionen – von und mit Ausstellern,
Fachzeitschriften und Experten aus
Wissenschaft und Praxis – hat die Per­
sonal2011 Süd zu bieten, die vom
13. bis zum 14. April in München in die
12. Runde geht. Erstmals gastiert die
Messe für die Personalarbeit in Unter­
nehmen und Organisationen auch in
Deutschlands Norden: Vom 6. bis zum
7. April feiert die Messe für Personal­
management im Messe- und Kongress­
zentrum CCH in Hamburg Premiere.
Schon die Erstveranstaltung wartet mit
circa 70 Programmpunkten auf.
Damit Personalverantwortliche in
München und Hamburg vergleichbare
Erkenntnisse gewinnen, setzt der Ver­
anstalter auch auf ähnliche Programm­
punkte. So referiert etwa Sabine Asgo­
dom, die zu den bekanntesten Erfolgs­
coachs in Deutschland gehört, an
­beiden Standorten. Sie stellt den hei­
ßesten Trend in der amerikanischen
Management-Psychologie vor: „Flou­
rishing – wie Sie und Ihre Mitarbeiter
aufblühen“. Asgodom geht in dem Key­
note-Vortrag der Frage nach, warum
manche Unternehmen mehr Gewinne
erarbeiten als andere und warum man­
che als Arbeitgeber beliebter sind. Ne­
ben der Management-Trainerin und
Expertin für Potenzialentwicklung re­
ferieren auch der Führungskräfte­
coach Dieter Lange sowie der Priester
und Hochschullehrer Prof. Thomas
Schwartz in Hamburg und München
als Key­note-Speaker.
2011
WirtschaftsKurier
WirtschaftsKurier: Herr Bentlage,
Warum benötigt man den Zusatz­
stoff Geohumus zur Wasserspei­
cherung?
Wulf Bentlage: Die drohende Wasser­
knappheit ist eines der drängends­
ten Probleme der Menschheit in den
kommenden Jahrzehnten. In ihrem
Bericht „Wasser in einer sich verän­
dernden Welt“ warnt die UNO schon
jetzt vor den dramatischen Folgen
des Wassermangels, der sich durch
den Klimawandel noch weiter ver­
schärfen wird. Wasser wird insbe­
sondere in der Landwirtschaft zur
Bewässerung benötigt, um die Er­
nährung einer wachsenden Erdbe­
völkerung sicherzustellen. Dabei
gibt es viele Regionen auf der Welt,
in denen es entweder grundsätzlich
zu wenig oder aber sehr unregel­
mäßig und zur falschen Zeit regnet.
Umweltsünden wie das unkontrol­
lierte Abholzen von ganzen Wäldern
verschärfen das Problem zusätzlich,
denn sie begünstigen Erosionspro­
zesse und führen dazu, dass der
­Boden das ohnehin knappe Wasser
nicht mehr speichern kann – es ver­
sickert stattdessen einfach ungenutzt
im Erdreich. Der Wasser- und Nähr­
stoffspeicher Geohumus ist ein Bo­
dengranulat, das in geringer Menge
in den Boden eingebracht wird und
die Wasserspeicherung maßgeblich
verbessert.
WiKu: Wie genau funktioniert dieses
Verfahren?
Bentlage: Seit den 70er-Jahren ist die
chemische Industrie in Deutschland
intensiv mit der kommerziellen Nut­
zung von Polyacrylsäure (Hydrogel)
beschäftigt. Moderne Babywindeln
beinhalten diese auch als „Super­
absorber“ bekannte, völlig ungiftige,
organische Substanz genauso wie
Damenbinden, um Flüssigkeit auf­
zunehmen und als geleeartige Masse
zu konservieren. Die Nutzung dieses
Effekts im Agrarsektor liegt auf der
Hand, denn hier versickern bis zu
80 % der Bewässerung ungenutzt im
Erdreich. Doch eine kontrollierte
Speicherung von Wasser im Boden
durch Zugabe von Hydrogelen er­
wies sich lange Zeit als unmöglich,
da das Granulat das Wasser zu
schnell und fest absorbierte und
nicht genug Flüssigkeit für Pflanzen
im Boden beließ.
Im Jahr 2003 gelang unserem For­
scherteam schließlich der Durch­
bruch: Die chemische Verbindung
von Polyacryl mit gemahlenem La­
vagestein ermöglichte es, den ersten
Mikronährspeicher für die landwirt­
schaftliche Nutzung herzustellen,
der in seiner heutigen Form bis zum
40-Fachen seines Eigengewichts an
Wasser aufnehmen und kontrolliert
wieder an die Umgebung abgeben
kann. Dadurch sind Wassereinspa­
rungen von bis zu 50 % möglich. Da­
rüber hinaus enthält Geo­humus zu­
sätzliche Nährstoffe und Mineralien,
die das Pflanzenwachstum fördern.
WiKu: Wo überall auf dem Globus
kommt Ihr Produkt schon zum Ein­
satz?
Bentlage: Geohumus produziert der­
zeit rund 1 000 Tonnen des innovati­
ven Bodenhilfsstoffs pro Jahr. Wich­
tige Märkte sind natürlich alle was­
serarmen Regionen des Nahen und
Mittleren Ostens, genauso wie Aus­
tralien. Aber auch weite Teile der
USA mit ihren teils extremen Klima­
strukturen sind sehr interessiert an
Verfahren zur Wasserspeicherung
im Boden. Wir haben dort deshalb
im vergangenen Jahr ein Tochter­
unternehmen gegründet.
Wulf Bentlage von Geohumus bekam
für seine Wasserspeicher die Dieselmedaille. Foto: Geohumus
Morgendämmerung für eine echte Emanzipation
Interview | Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck über die Zukunft Nordafrikas nach dem politischen Umbruch
S
eit Jahrzehnten engagiert sich
Rupert Neudeck in vielen Krisengebieten der Welt. Afrika ist
ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Über
die politische Lage und die wirtschaft­
lichen Perspektiven sprach der Wirt­
schaftsKurier mit dem Gründer des
Hilfskomitees Cap Anamur.
WirtschaftsKurier: Herr Neudeck, die
Bevölkerung im arabischen Raum
begehrt gegen jahrzehntelange Un­
terdrückung auf. Sind Sie über­
rascht von der Heftigkeit?
Rupert Neudeck: Nicht überrascht,
aber erfreut. Die arabischen Völker
wurden bei uns als die notorischen
Hinterwäldler-Völker behandelt, die
Aufklärung, Demokratie, Interesse
am globalisierten Austausch erst ler­
nen müssten. Jetzt erleben wir eine
Entwicklung, die derjenigen in Euro­
pa durchaus ähnelt, die am 14. Juli
1789 begann. Ich bin überzeugt, dass
das die wirkliche Emanzipation der
Völker des arabischen, iranischen
und des afrikanischen Raums mit
seinen potenziell so initiativreichen
Völkern einläutet.
WiKu: In einigen Ländern, etwa Tune­
sien, ist die Wirtschaft – und auch
die Aktivitäten deutscher Unterneh­
men – durch die aktuellen Ereignis­
se beeinträchtigt. Wann ist mit einer
Normalisierung zu rechnen?
Neudeck: Wir sind immer noch eher
gelähmt als erfreut über diese Ent­
wicklung. Die Tourismuswirtschaft,
etwa die Fluglinien, sollten längst
wieder in Tunesien wie auch in
Ägypten sein und ihre touristischen
Aktivitäten erweitern. Denn jetzt gibt
es bessere Voraussetzungen als vor
Ben Ali und Mubarak. Ich bin der
Ansicht, dass wir auf viel günstigere
Ausgangsdaten kommen, wenn die­
se Völker sich endlich selbst regie­
ren. Zudem bin ich davon überzeugt,
dass die Zukunft der europäischmaghrebinischen Wirtschaftszone,
um das Mittelmeer gleichsam wie
um einen Tisch herum, erst jetzt be­
ginnen kann. Es wird eine ganz neue
Zone von wirtschaftlichen Giganten
entstehen, und die deutsche Wirt­
schaft wird sagen können, dass sie
dabei gewesen ist. Die einstige Kolo­
nialzeit werden wir erst jetzt mit
Rupert Neudeck hat Afrika ausgiebig bereist und zeichnet ein differenziertes Bild
des Kontinents. Foto: Neudeck
emanzipierten Völkern und Gesell­
schaften überwinden und hinter uns
lassen.
WiKu: Sie kennen Afrika gut: Welche
Länder sind politisch am stabils­
ten?
Neudeck: Zu fragen, welche Länder
„am stabilsten“ sind, setzt ja voraus,
dass es die Normallage der stabilen
Länder gäbe. Dies gibt es aber in der
Regel noch nicht. Es gibt im Norden
die Maghreb-Staaten, die zumindest
eine wirtschaftliche Entwicklung
aufweisen, die sich sehen lassen
kann. Ähnliches gilt für die Republik
Südafrika. Daneben gibt es das vom
internationalen Währungsfonds und
der Weltbank einhellig gelobte Land
Bots­wana, das seine Bevölkerung an
dem Ausbau der Rohstoffvorkom­
men beteiligt, sowie die Insel Mauri­
tius. ­Tertium non datur (Anm. der
Red.: lat. für „Ein Drittes ist nicht ge­
geben“). Ich würde fünf, sechs Län­
der hinzuzählen, in denen sich eine
gewisse Stabilität entwickelt hat, die
aber noch nicht bedeutet, dass sich
in diesen Ländern die Errungen­
schaften eines Rechts- und Sozial­
staates und einer Art von Demokra­
tie etabliert haben. Das wären Gha­
na, Mali und Burkina Faso in West­
afrika sowie Tansania, Ruanda und
Uganda im Osten Afrikas.
WiKu: Welche Branchen entwickeln
sich auf dem Schwarzen Kontinent
besonders schnell?
Neudeck: In ganz Afrika entwickeln
sich zwei bis drei Branchen sehr
rasch und könnten sich zu Erfolgs­
geschichten entwickeln:
Einmal die Mobilfunk-Industrie, die
einen rasanten Siegeszug durch
alle Gebiete, selbst durch die „failed
­states“, angetreten hat. Man schätzt,
dass von 970 Mio. Afrikanern schon
300 Mio. Handy-Besitzer und -Nut­
zer sind.
Die zweite Industrie zielt auf die
oberen 10 % aus allen Ländern, die
gerne im afrikanischen Kontinent
herumfliegen. Galt es vor 30 Jahren
noch als Gesetz, dass man zwischen
den Hauptstädten afrikanischer Län­
der nicht direkt hin- und herfliegen
konnte, so haben insbesondere die
großen boomenden Airlines dieses
Gesetz aufgehoben. Das ist die
Ethio­pian Airlines mit einem tägli­
chen Flug von Frankfurt nach Addis
Abeba und mit Flügen in alle Rich­
tungen Afrikas. Das ist die Kenya
Airways, die nach der Kooperation
mit der KLM einen großen Auf­
schwung genommen hat. In Westaf­
rika ist es die fulminant zuverlässige
Air Maroc, die nicht nur ganz West­
afrika verlässlich bedient, sondern
auch die Metropolen der westlichen
und südostasiatischen Welt.
Der dritte Industrie- und Wirt­
schaftszweig harrt noch seiner Ent­
deckung. Wenn afrikanische Eliten
erst einmal die Überlegenheit ihrer
Witterung und Sonneneinstrahlung
für die Photovoltaik erkannt haben,
wird das die dritte große Branche
sein, die auch ihre eigene Produkti­
on, ihren eigenen Marktanteil und
ihre Exporte organisieren wird.
März
11
Innovationen & IT
2011
WirtschaftsKurier
Feuerwerk neuer Produkte
ABB | Technologiekonzern stellt auf der Hannover Messe unter anderem ein „Weltrekordkabel“ für die Anbindung von Offshore-Windparks vor
Ein weiteres ABB-Exponat für die
Hannover Messe ist ebenfalls für den
Einsatz im Bereich der Erzeugungs­
anlagen erneuerbarer Energien ent­
wickelt worden: Das neue Überwa­
chungsrelais CM sorgt für eine sichere
Abschaltung von EEG-Anlagen – etwa
im Fall eines Anlagendefekts, eines
Netzausfalls oder einer Netzabschal­
tung – und verhindert auf diese Weise
Schäden in den Anlagen oder eine
nicht gewollte Einspeisung von Strom
in ein abgeschaltetes Netz. Statt einer
Abschaltung der Anlage kann auch
nur eine Trennung vom allgemeinen
Stromnetz erfolgen – um auf diese Wei­
se, etwa bei Stromausfall im öffent­
lichen Netz, einen Inselbetrieb mit
dem Strom aus Eigenerzeugung sicher­
zustellen.
Von Klaus G. Wertel
D
ie auch noch im Jahr 2010
deutlichen Spuren der Wirt­
schaftskrise in den Büchern
der ABB Group haben das Tempo der
Entwicklungs­arbeit des weltweit tä­
tigen Technologiekonzerns nicht ge­
bremst: Auf der Hannover Messe 2011
(4. bis 8. April) präsentiert ABB wieder
ein Feuerwerk neuer Produkte und
Verfahren – Schwerpunkte sind die
Energie- und die Automationstechnik.
„Die Innovationen von heute sind die
Umsätze von morgen“, wird Peter
Smits, Vor­­standsvorsitzender der ABB
AG (Deutschland) und Leiter der „Re­
gion Zentraleuropa“ der ABB Group,
nicht müde zu versichern.
Einen Teil dessen, was im deutschen
ABB-Entwicklungszentrum Ladenburg
und in den Labors anderer ABB-Teil­
unternehmen in den vergangenen Mo­
naten zur Serienreife entwickelt und
für die Hannover Messe vorbereitet
wur­de, zeigte die ABB AG vorab bei ei­
nem Technik-Pressetag in Heidelberg.
Vor dem Hintergrund der aktuellen
Diskussion über den dringenden Aus­
baubedarf in den Netzen der europäi­
schen Stromfernleitungen wird bei­
spielsweise ein von ABB in Hannover
vorgestelltes „Weltrekordkabel“ für die
Hochspanungs-Gleichstrom-Übertra­
gung (HGÜ) besondere Beachtung fin­
den: Mit 320 Kilovolt und 800 Mega­
watt liegen die Spannungs- und Leis­
tungsdaten des neuen Kabels um rund
ein Drittel über den bislang stärksten HGÜ-Verbindungen. Erstmals zum
Einsatz kommt das neue Kabel beim
Anschluss des rund 80 Kilometer vor
der Nordseeküste im Aufbau befind­
lichen Windparks Borkum West II an
das deutsche Hochspannungsnetz.
Große Hoffnungen setzt ABB darauf,
endlich auch in Mitteleuropa den
Durchbruch für die im Konzern seit
vielen Jahren zu immer höherer Leis­
tungsfähigkeit entwickelte, in Asien
Doppelter Nutzen
und Amerika sowie weltweit bei See­
kabeln auch längst bewährte HGÜTechnik zu erreichen: „Die Hochspan­
nungs-Gleichstromtechnik bietet als
einzige Übertragungstechnologie die
Möglichkeit, den beispielsweise von
Windstromanlagen an und vor den
Küsten erzeugten Strom verlustarm
über weite Entfernungen zu den indus­
triellen Verbrauchszentren zu bringen“,
so begründet Thomas Worzyk, Tech­
nischer Leiter für HGÜ-Projekte bei
ABB Schweden in Karlskrona, die Er­
„Die Innovationen von
heute sind die Umsätze
von morgen.“
Peter Smits, Vorstandvorsitzender
der ABB AG (Deutschland)
wartung, dass der – in Deutschland
und anderswo in Europa – dringende
Bedarf an zusätzlichen Kapazitäten in
der Strom-Fernübertragung auch land­
seitig zum Bau von HGÜ-Leitungen
führen wird.
In China und in Südamerika hat
ABB mehrere HGÜ-Verbindungen von
jeweils mehr als 1 000 Kilometern Län­
ge installiert. So sind beispielsweise die
Kraftwerke des chinesischen DreiSchluchten-Damms per HGÜ-Technik
mit Shanghai und anderen Industrie­
zentren verbunden. Die mit mehr als
500 Kilometern bislang längste HGÜVerbindung in Europa wurde von ABB
im Jahr 2010 als Seekabel zwischen
Norwegen und Holland verlegt. In
Deutschland wurden bisher nur Ver­
bindungen zwischen Offshore-Wind­
parks und küstennahen landseitigen
Umspannstationen mit dieser Technik
verlegt. So hat ABB beispielsweise den
derzeit noch im Bau befindlichen
Windpark Bard Offshore 1 per HGÜ
mit dem Festland „verkabelt“ – mit
rund 200 Kilometern die weltweit bis­
her längste Verbindung eines OffshoreWindparks mit dem landseitigen Hoch­
spannungsnetz.
Auch eine zweite, in Hannover prä­
sentierte ABB-Neuheit hat mit dem
wachsenden Anteil der Erneuerbaren,
aber auch mit der starken Schwankun­
gen unterworfenen Stromerzeugung zu
tun: Das Power Converter System PCS
100 soll – teilweise in Verbindung mit
Energiespeichern und Hilfsgenerato­
ren – für eine stabile Spannung im Netz
sorgen. Mit Reaktionszeiten von fünf
bis zehn Millisekunden genüge PCS
100 auch strengsten Anforderungen
empfindlicher Anwendersysteme und
den in jüngster Zeit deutlich verschärf­
ten Auflagen der Netzbetreiber (GridCodes) hinsichtlich der Qualität des
von EEG-Anlagen ins Netz eingespeis­
ten Stroms, versicherte Ralph Hoff­
mann, bei der ABB Schweiz AG verant­
wortlich für das Projekt PCS 100.
Für den industriellen Einsatz konzi­
piert ist die PCS-100-Version „AVC“
(Active Voltage Conditioner): Das Sys­
tem biete, so Hoffmann, „eine extrem
schnelle und vollständige Ausregelung
von Einbrüchen der Spannung auf
bis zu 70 % Restspannung“. Geringere
Schwankungen können im Dauer­
betrieb „kontinuierlich mit 99 % Effi­
zienz“ ausgeregelt werden. Bei einem
längeren oder erheblichen Spannungs­
abfall soll PCS 100 die Zeit bis zum
Hochfahren der Notstromversorgung
überbrücken.
Das Weltrekordkabel: ABB verlegt
derzeit ein Hochsee-Kabel in der
Nordsee, bei dem erstmals eine
Spannung von 32o Kilovolt erreicht
wird. Damit sollen mehrere OffshoreWindparks an das deutsche Stromnetz angeschlossen werden.
Fotos: ABB Deutschland
Einen zweiten Schwerpunkt der ABBInnovationen 2011 bilden Komponen­
ten der Automationstechnik. Unter an­
derem präsentiert das Unternehmen in
Hannover eine neue Generation von
Durchfluss-Messgeräten mit erweiter­
ten Diagnosefunktionen – samt der
dazu gehörenden Diagnose-Software.
Neue Mess- und Analyse-Funktionen
des ProcessMaster FEP 500 sind bei­
spielsweise das Erkennen der Bildung
von Belägen innerhalb des Durchfluss­
systems, die Messung von Gasblasen
oder die Feststellung der Veränderung
der Leitfähigkeit in der Anlage. Die
Software ScanMaster unterstützt die
Überwachung und Steuerung der Sys­
teme, auch die Dokumentation der
Messwerte. Cornelia Giebenhain-Wag­
ner, Projektverantwortliche bei der
ABB Automation Products GmbH,
sieht in den verbesserten Systemen
gleich einen doppelten Nutzen: „Die
Erweiterung der Diagnosefunktionen
dient sowohl dem Schutz der Anlagen – etwa von Pumpen vor Trocken­
lauf – als auch der Sicherung einer
gleichbleibenden Produktqualität.“
Gleichstrom-K abel
Der Vorteil der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung gegenüber Drehstrom-Leitungen liegt vor allem im wesentlich geringeren Transportverlust: Bei
herkömmlicher Technik muss man bei einer Strecke von 1 000 Kilometern je nach
Spannungsstufe mit 7 % bis 10 % Verlust rechnen – bei Gleichstrom sind dies
­lediglich 3 % bis 3,5 %. Weitere Pluspunkte: Freileitungen sowie Erd- und Seekabel in Gleichstromtechnik sind einfacher aufgebaut und leichter, deshalb sind
sie auch kostengünstiger. Die Wechselstrom-Systeme verlangen mindestens drei
leitende Stränge. Bei Gleichstrom sind es nur zwei Stränge, bei Nutzung der Erde
als zweitem Pol ist es sogar nur einer. Bei Seekabeln kommt hinzu, dass die Abschirmung von Wechselstromleitungen ungleich aufwendiger und teurer ist als
bei Gleichstromkabeln.
Adressermittlung mit wenigen Mausklicks
SAF Connect | Neue Software nimmt unzustellbaren Poststücken den Schrecken
A
uf der Messe E-world energy &
water, die vom 8. bis zum
10. Februar 2011 in Essen statt­
fand, wurde am Stand der SAF For­
derungsmanagement GmbH das neue
Produkt SAF Connect für SAP vorge­
stellt. Entwickelt wurde es gemeinsam
mit der Soplex Consult GmbH, die
ebenfalls auf dem Stand vertreten war.
Die Innovation stieß auf reges Interesse
der Fachbesucher, handelt es sich doch
um ein neues Softwareprodukt zur
­Integration des SAF-Service „Adress­
ermittlung“ in SAP. „Das positive Feed­
back vieler Fachbesucher auf unser
Softwareprodukt hat unsere Erwartun­
gen übertroffen“, freute sich SoplexGeschäftsführer Wolfgang Donko.
Kamen bisher Poststücke als nicht
zustellbar zurück, war dies der Alb­
traum vieler Unternehmen. Denn
selbst bei Einsatz neuester SAP-Tech­
nologie war die Ermittlung der aktuel­
len Adresse extrem zeit- und kosten­
aufwendig und band dringend benö­
tigte Ressourcen. Jede Anfrage bei SAF
musste manuell zum Beispiel via Inter­
net vorgenommen werden. Informa­
tionen wurden in SAP umständlich
nachgepflegt. Alle weiteren Folgepro­
zesse wie Mahnsperren und Wieder­
vorlage waren ebenfalls nur von Hand
möglich.
saf und sople x
Die SAF Forderungsmanagement
GmbH mit Sitz in Heidelberg wurde 1996 als Tochtergesellschaft der
Deutschen Telekom AG gegründet.
Zusammen mit der accumio finance
services gmbh aus Hannover bildet
sie den SAF Unternehmensverbund,
dessen Dienstleistungsangebot Bonitätsprüfungen, Adressermittlungen
sowie Inkasso umfasst.
Die Soplex Consult GmbH ist ein Systemhaus und Beratungsunternehmen
mit Sitz in Berlin. Sie ist Spezialist für
das Kredit- und Forderungsmanagement mit SAP und bietet seit zehn
Jahren Softwarelösungen für das gesamte Debitorenmanagement an.
Die SAP-Add-in-Software schließt eine
Lücke, indem der gesamte Prozess der
SAF-Adressermittlung direkt in SAP
durchgeführt werden kann, denn sie
stellt eine Online-Anbindung an die
SAF-Datenbank her. Dabei verwaltet
SAF Connect die Informationen in SAP,
stellt sie übersichtlich dar und ver­
knüpft die Daten automatisiert mit
dem Debitor oder Kreditor. Die Vortei­
le liegen auf der Hand: Integrierte
Auf der langen Suche nach der richtigen Anschrift: Kam im Unternehmen Post als unzustellbar zurück,
band die korrekte Adressermittlung
bisher viele Ressourcen – selbst beim
Einsatz neuester SAP-Technologie.
Jetzt gibt es dafür eine Lösung.
Workflowfunktionen steuern die Auf­
gaben für den Sachbearbeiter, Auswer­
tungen können auf Knopfdruck mit
dem SAF Connect Reporting gezogen
werden und SAP-Tabellen werden au­
tomatisch aktualisiert und ergänzt.
Damit stellt SAF Connect eine echte
Unterstützung für jedes Unternehmen
dar: Der manuelle Anteil wird erheb­
lich reduziert, denn der Nutzer be­
kommt mit nur wenigen Mausklicks
die ermittelte Neuadresse direkt in sein
System. Zudem gelingt die Verwaltung
von SAF-Informationen durch einfa­
ches Handling in SAP und nicht zuletzt
werden Kosten eingespart.
Die Fachbesucher am Stand der SAF
würdigten den Nutzen des neuen Pro­
dukts: „Diese Software ist eine echte
Unterstützung. Damit wird der manuel­
le Aufwand ja erheblich reduziert.“ Ein
anderer Messeteilnehmer erklärte: „In
unserem Unternehmen beschäftigt sich
eine Mitarbeiterin nur mit Adresser­
mittlungen und allen damit einherge­
henden Tätigkeiten. Die wird sich über
diese Anwendung am meisten freuen.“
12 Aktienspiegel
Die Da x-Wer te Unternehmen
Adidas
Allianz*
BASF*
Bayer*
Beiersdorf
BMW*
Commerzbank
Daimler*
Deutsche Bank*
Deutsche Börse*
Deutsche Post
Deutsche Telekom*
E.ON*
Fresenius Medical Care
Fresenius VZ
HeidelbergCement
Henkel VZ
Infineon
K+S
Linde
Lufthansa
MAN
Merck
Metro
Münchener Rück*
RWE*
SAP*
Siemens*
ThyssenKrupp
Volkswagen VZ
Da x vom 2 8 . 02 .
letzte
Dividende
28.02.
0,35
4,10
1,70
1,50
0,70
0,30
0,00
1,85
0,75
2,10
0,60
0,78
1,50
0,65
–
0,12
0,72
0,10
0,20
1,80
0,00
0,25
1,25
1,18
6,25
3,50
0,60
2,70
0,45
1,66
46,50
104,40
60,26
56,18
43,50
58,78
6,25
51,05
46,58
55,64
13,29
9,75
23,78
47,98
66,11
50,73
43,66
7,93
55,95
110,60
14,82
92,01
65,51
53,00
120,95
48,91
43,72
97,59
30,13
122,90
31.01.
31.12.
30.11.
29.10.
30.09.
7 272 ,32 | 31 . 01 . 7 077, 4 8
31.08.
30.07.
45,49
48,89
48,36
46,87
45,41
40,17
41,56
110,45
88,93
84,50
90,04
82,90
80,94
89,10
56,18
59,70
57,50
52,28
46,26
41,64
44,81
53,86
55,30
55,95
53,62
51,15
48,18
44,12
40,02
41,53
44,73
46,81
44,90
42,19
45,45
56,08
58,85
57,93
51,51
51,44
41,67
41,31
5,57
5,55
5,61
6,48
6,08
6,21
6,94
53,42
50,73
49,87
47,43
46,46
38,36
41,38
43,17
39,10
36,60
41,42
40,15
49,58
53,60
55,36
51,80
46,59
50,56
48,95
48,22
53,72
13,39
12,70
12,35
13,40
13,31
12,91
13,33
9,74
9,66
9,87
10,41
10,04
10,39
10,31
24,35
22,94
22,11
22,50
21,63
22,21
22,90
42,74
43,23
44,47
45,77
45,31
44,68
42,11
0,00
64,07
66,47
64,41
59,24
56,14
54,51
47,73
46,90
41,86
37,59
35,35
31,65
38,65
44,54
46,54
47,25
42,38
39,40
37,10
38,09
7,72
6,96
6,85
5,66
5,08
4,40
5,18
53,99
56,36
51,41
50,01
43,92
41,28
40,74
106,45 113,55 107,60 103,45
95,48
88,90
89,95
15,35
13,36
16,40
15,38
13,49
12,46
12,48
84,44
88,99
90,52
79,00
79,96
67,89
71,23
62,50
59,85
60,14
59,85
61,62
68,54
68,30
51,43
53,88
55,26
50,36
47,75
40,18
42,60
114,40 113,45 107,00 112,35 101,60 100,80 106,30
52,61
49,89
47,96
51,50
49,55
51,68
54,19
42,22
38,10
35,94
37,47
36,29
34,46
35,04
93,63
92,70
84,29
82,08
77,43
71,78
74,79
29,56
30,99
29,42
26,44
23,92
21,60
22,77
118,00 121,40 123,80 108,00
88,53
78,53
81,31
Hoch
Tief
35,20
75,82
39,94
43,27
39,67
29,95
5,29
30,74
35,93
46,33
11,01
8,51
20,86
37,53
47,97
30,86
35,69
4,02
35,55
80,27
10,19
52,97
56,85
37,70
98,38
47,65
33,12
98,80
32,32
139,45
63,56
19,68
59,26
* Diese Dax-Werte gehören auch zum Euro Stoxx 50
Warten auf die Kurskorrektur
Börse München | Auswirkungen der Libyen-Krise sind unklar
von christine bortenlänger*
D
ie Unruhen in Nordafrika und
im arabischen Raum sowie
der stark steigende Ölpreis
­beeinflussten die Aktienmärkte einschneidend. Ein hoher Ölpreis schürt
vor allem die Furcht vor Inflation und
treibt die Sorge, das sich weltweit abzeichnende Wachstum könnte gebremst werden. Charakteristisch war
der Kursverlauf des Dax: Nachdem er
bis Mitte Februar noch auf ein Jahreshoch gestiegen war, sank er um fast
350 Punkte oder 4,6 % bis zum Monatsende. Auch die anderen In­dizes
wie MDax oder SDax zeigten einen
ähnlichen Kursverlauf. Die Gründe für
die positive Entwicklung in der ersten
Monatshälfte lagen vor allem in den
stabilen bis guten Konjunktur­daten sowie in den ganz überwiegend
­ ositiv ausgefallenen Unternehmens­
p
zahlen.
Wie wird es weitergehen? Die meisten Experten gehen davon aus, dass
die Unsicherheit im Nahen Osten
­zeitlich eher begrenzt sein dürfte, getreu dem Motto, politische Börsen
­haben kurze Beine. Nicht exakt einzuschätzen ist die hochexplosive Lage in
Die Euro Stox x 50-Wer te
Unternehmen
Air Liquide
Alstom
Anheuser-Busch
ArcelorMittal
Axa
Banco Bilbao
Banco Santander
BNP Paribas
Carrefour
Crédit Agricole
CRH
Danone
Enel
Eni
France Télécom
GdF Suez
Generali
Iberdrola
ING Groep
Intesa Sanpaolo
L’Oréal
LVMH
Nokia
Philips
Repsol
Saint-Gobain
Sanofi-Aventis
Schneider Electric
Société Générale
Telecom Italia
Telefónica
Total
Unibail-Rodamco
Unicredito Italiano
Unilever
Vinci
Vivendi
letzte
Dividende
­ ibyen. Überdies dürfte die SchuldenL
problematik einiger Eurostaaten, insbesondere Griechenlands, ins Blickfeld der Investoren geraten.
Korrektur auf den Aktienmärkten
„Die meisten Experten
gehen davon aus, dass die
Unsicherheit im Nahen
Osten zeitlich eher begrenzt
sein dürfte.“
28.02.
Auch die anstehenden Auktionen französischer, belgischer und vor allem
por­tugiesischer Staatsanleihen werden
ziemlich genau beobachtet. Insofern
könnte es zu einer weiteren Korrektur
auf den Aktienmärkten kommen. Andere sehen den Boden aber bereits
­erreicht. Aufgrund der insgesamt positiven fundamentalen Daten – Konjunktur, Unternehmensgewinne – warten
viele Investoren gerade auf eine solche
Kurskorrektur nach unten, um wieder
einsteigen zu können.
*Christine Bortenlänger ist
Geschäftsführerin der Börse München
E u ro S t ox x 5 0 vom 2 8 . 02 .
31.01.
31.12.
30.11.
29.10.
30.09.
3 013 ,09 | 31 . 01 . 2 953 ,63
31.08.
30.07.
2,35 93,81
91,23
95,75
90,20
92,94
89,79
82,06
86,37
1,24 43,22
40,77
36,00
31,74
36,26
37,61
37,64
40,16
0,38 40,42
40,42
43,24
41,93
45,04
42,30
41,05
40,64
0,19 26,63
26,61
28,51
24,29
23,10
25,32
23,03
23,39
0,69 15,22
15,46
12,55
11,06
13,08
12,79
12,27
14,15
0,09
8,95
8,97
7,56
7,08
9,45
10,01
9,52
10,34
0,23
8,94
8,95
7,93
7,30
9,23
9,67
9,25
9,97
1,50 56,58
54,60
48,34
45,60
52,55
53,92
49,37
52,71
1,08 35,58
35,79
31,70
34,86
38,78
40,02
35,83
35,33
0,45 12,72
10,79
9,61
9,44
11,78
11,25
9,95
10,51
0,19 16,45
15,64
15,50
13,41
12,31
12,80
12,28
16,03
1,30 45,43
43,99
47,74
45,13
45,48
43,25
42,41
43,04
0,10
4,32
4,14
3,76
3,64
4,11
3,87
3,75
3,77
0,50 17,67
17,36
16,31
15,60
16,20
16,10
15,67
15,69
0,60 16,03
15,96
15,72
15,60
17,27
16,21
16,04
16,07
0,83 29,38
28,98
27,30
25,55
28,68
25,32
24,44
25,49
0,35 16,37
15,98
14,18
13,54
15,78
14,71
14,24
15,46
0,14
6,32
6,26
5,78
5,30
6,06
5,62
5,56
5,42
0,00
9,09
8,32
7,26
6,80
7,67
7,67
7,02
7,38
0,08
2,44
2,44
2,03
2,01
2,53
2,40
2,21
2,54
1,80 84,24
84,80
84,41
81,93
84,36
82,67
78,50
80,52
1,40 114,25 114,05 123,25 116,85 112,60 100,85
91,77
93,62
0,40
6,28
7,82
7,75
7,12
7,76
7,62
6,75
7,10
0,75 23,66
22,77
22,94
20,79
21,73
22,93
22,11
23,91
0,53 24,33
22,98
20,98
18,58
19,93
18,59
18,02
18,11
1,00 43,33
42,32
39,02
34,52
33,56
31,63
29,04
32,67
2,40 50,00
49,88
48,66
46,58
50,18
50,13
45,27
44,57
2,05 119,90 113,90 114,15 108,15 102,00
92,51
83,69
88,50
1,75 50,95
47,23
40,85
35,71
43,03
44,00
40,18
44,24
0,05
1,13
1,04
0,97
0,95
1,10
1,03
1,07
0,98
0,65 18,40
18,35
16,99
16,39
19,40
17,95
17,50
17,42
1,14 44,41
42,72
40,05
37,32
39,05
37,86
36,87
38,71
0,95 145,70 139,40 147,05 133,95 149,70 160,65 148,80 151,40
0,03
1,86
1,82
1,56
1,50
1,87
1,92
1,86
2,15
0,21 21,86
21,61
23,58
21,73
21,31
21,40
21,14
22,58
0,52 43,62
42,29
41,10
37,30
38,38
36,86
34,63
37,15
1,40 20,66
20,94
20,47
18,80
20,50
19,80
18,41
18,45
Die MDa x-Wer te Hoch
Tief
(52 Wochen)
99,15
50,73
46,33
33,68
17,60
10,95
10,88
59,93
41,28
13,78
22,00
48,50
4,36
18,66
17,92
30,05
18,25
6,58
9,32
73,27
30,78
35,06
20,26
10,88
6,87
7,11
40,81
30,85
7,87
11,51
39,35
3,42
14,30
14,01
22,64
13,31
4,50
5,34
2,99
90,00
129,05
11,82
27,01
24,74
43,87
57,45
120,00
52,70
1,15
19,69
44,63
167,00
2,30
24,11
44,98
22,07
1,88
70,90
78,26
6,14
20,58
15,31
27,81
44,01
73,95
29,71
0,88
14,67
35,66
119,85
1,46
20,68
33,01
16,81
2011
M Da x vom 2 8 . 02 .
10 293 ,83 | 31 . 01 . 10 139,89
letzte
Dividende
28.02.
31.01.
31.12.
30.11.
29.10.
30.09.
31.08.
30.07.
Aareal Bank
Aurubis
BayWa
Bilfinger Berger
Boss, Hugo VZ
Brenntag
Celesio
Continental
0,00
1,00
0,50
2,50
0,97
–
0,50
0,00
25,28
38,57
32,50
60,76
54,40
75,75
20,05
61,25
22,45
41,12
33,10
64,53
51,46
69,22
18,45
57,50
22,80
44,18
35,04
63,20
56,50
76,30
18,60
59,14
20,15
37,28
32,61
56,08
45,20
67,90
18,10
59,81
17,55
36,96
30,05
52,33
47,61
67,35
17,13
62,42
16,32
34,96
30,23
50,56
42,59
61,00
15,96
57,01
14,54
31,35
29,13
47,05
33,95
60,07
16,00
47,70
16,00
34,88
28,00
43,81
34,20
58,50
17,92
48,95
25,68
46,84
35,06
65,62
58,44
77,60
25,76
68,53
12,57
30,85
26,26
40,75
25,01
48,12
15,69
33,10
Demag Cranes
Deutsche EuroShop
0,60
1,05
0,00
1,10
0,00
0,20
2,40
1,25
1,70
0,10
0,40
0,50
0,10
0,40
2,10
0,00
1,50
0,00
0,00
0,00
0,00
0,50
0,00
1,10
0,10
0,02
1,80
3,50
0,30
0,30
0,25
0,00
0,00
4,40
0,55
0,45
0,50
0,35
0,00
2,00
1,20
1,70
34,88
27,33
10,89
39,46
20,85
23,91
64,71
51,62
101,00
8,59
22,40
32,14
16,02
32,98
42,19
3,55
71,39
6,89
39,48
23,55
48,14
53,90
30,35
48,32
8,79
23,45
215,50
153,90
58,75
15,95
60,16
27,02
2,99
188,10
28,99
19,90
19,02
18,21
9,50
93,15
133,70
60,72
35,63
27,50
9,98
39,39
21,12
23,35
66,27
51,42
100,15
7,35
20,83
30,20
15,62
32,30
40,86
3,48
64,65
7,15
36,80
23,37
47,32
53,09
31,34
51,43
7,45
22,44
228,40
149,30
62,54
17,00
59,10
27,64
2,76
116,10
27,19
19,49
20,68
18,44
10,06
90,12
132,00
55,77
36,28
28,98
10,50
42,00
18,05
26,50
71,14
47,16
110,90
6,71
21,63
32,99
16,70
34,55
40,14
3,69
63,54
6,45
34,88
21,01
46,95
59,10
32,95
50,61
7,96
22,50
248,00
165,40
60,17
16,47
57,77
27,02
1,69
122,00
25,38
19,93
20,53
19,73
10,50
95,50
130,60
61,01
35,35
25,67
9,37
42,02
17,23
23,16
68,00
45,25
101,45
5,95
18,52
28,20
14,97
30,92
35,91
3,43
57,05
5,89
35,88
19,36
41,39
54,27
28,81
44,90
6,99
20,41
228,95
155,95
49,72
16,19
49,57
26,64
1,65
108,00
24,47
16,47
19,42
18,30
8,12
87,00
132,00
56,94
35,90
28,14
24,10
27,40
27,56
26,00
23,36
23,57
8,69
8,73
7,68
7,50
40,10
36,83
33,86
34,60
18,90
18,32
17,29
18,07
23,95
23,47
20,36
20,63
72,55
68,42
65,06
60,63
45,58
44,61
41,02
39,82
96,46
85,03
77,64
78,06
6,31
5,84
5,65
6,25
18,79
18,34
16,39
17,37
28,43
29,35
27,35
28,04
12,87
10,71
9,62
10,63
31,46
28,55
27,61
28,03
36,35
33,74
35,01
36,74
3,31
3,51
6,12
7,53
62,25
63,52
52,21
49,75
5,47
5,32
5,17
5,33
32,36
29,10
25,00
24,20
15,90
16,51
15,47
15,89
39,83
43,67
42,58
43,50
50,00
40,19
34,56
36,85
26,17
24,88
20,67
22,97
43,40
41,93
43,90
44,56
6,82
6,20
6,08
6,07
18,99
17,43
14,17
13,44
238,90 242,00 214,20 224,25
160,60 155,40 142,95 125,80
51,76
48,50
43,68
45,93
16,80
16,19
17,31
17,50
51,59
47,52
47,89
51,28
26,75
25,42
24,52
26,62
1,17
1,03
0,97
1,41
106,86
96,96
92,00
92,00
22,10
21,06
24,10
24,92
17,00
16,41
14,39
14,81
21,83
20,39
19,50
19,10
17,49
16,25
14,53
15,33
8,39
8,98
7,96
8,08
83,70
78,09
78,77
76,86
148,25 135,35 119,70 123,15
52,56
47,83
45,87
43,31
39,38
29,00
11,57
43,36
22,30
27,70
73,40
54,45
112,75
8,99
23,32
34,15
17,55
35,81
43,49
5,51
70,66
7,97
40,80
25,65
49,28
59,90
35,50
56,60
8,83
25,12
267,10
174,45
66,90
19,85
71,25
29,94
3,31
125,75
32,49
21,19
22,64
20,76
11,05
100,35
150,75
63,45
22,68
21,24
6,03
32,62
13,06
16,83
5254
33,96
62,61
5,06
13,63
22,01
7,45
23,44
30,63
2,87
45,09
4,65
19,89
13,51
36,01
27,26
13,51
37,05
5,19
10,33
206,20
106,00
41,79
15,25
45,77
20,30
0,81
77,58
20,60
13,90
15,45
12,63
6,67
65,75
88,80
42,83
Unternehmen
(52 Wochen)
51,55
108,85
61,88
59,17
49,36
65,49
7,37
59,09
55,25
62,48
14,18
10,64
28,93
48,89
67,88
54,00
48,59
8,32
85,85
115,50
17,93
97,85
72,53
85,71
126,00
68,34
45,05
März
WirtschaftsKurier
Deutsche Wohnen
Douglas Holding
EADS
ElringKlinger
Fielmann
Fraport
Fuchs Petrolub VZ
Gagfah
Gea Group
Gerresheimer
Gildemeister
Hamburger Hafen
Hannover Rück
Heidelberger Druck
Hochtief
IVG Immobilien
Kabel Deutschland
Klöckner & Co.
Krones VZ
Lanxess
Leoni
MTU Aero Engines
Praktiker Bau- u. H.
ProSiebenSat.1 VZ
Puma
Rational
Rheinmetall VZ
Rhön-Klinikum VZ
Salzgitter
SGL Carbon
Sky Deutschland
Springer, Axel
Stada Arzneimittel
Südzucker
Symrise
Tognum
Tui
Vossloh
Wacker Chemie
Wincor Nixdorf
Die SDa x-Wer te Unternehmen
Air Berlin
Alstria Office Reit
Amadeus Fire
Balda
Bauer
Bertrandt
Biotest
C.A.T. OIL
Centrotec Sust.
Cewe Color
Colonia Real Estate
Comdirect Bank
Constantin Medien
CTS Eventim
Delticom
Dt. Beteiligungs AG
Deutz
DIC Asset
Dürr
Elexis
Gerry Weber
Gesco
GfK
Grammer
GrenkeLeasing
H & R Wasag
Hawesko Holding
Highlight Comm.
Homag Group
Hornbach Holding
Indus Holding
Jungheinrich VZ
Koenig & Bauer
Kuka
KWS Saat
Medion
MLP
MVV Energie
Patrizia Immo.
Pfleiderer
SAF Holland
Sixt
SKW Stahl-Metal.
Ströer Media
TAG Immobilien
Takkt
Tipp 24
Tom Tailor
VTG
Wacker Neuson
SDa x vom 2 8 . 02 .
letzte
Dividende
28.02.
31.01.
31.12.
30.11.
29.10.
30.09.
Hoch
Tief
(52 Wochen)
5 235 , 49 | 31 . 01 . 5 148,24
31.08.
30.07.
–
3,39
3,49
3,71
3,68
3,40
2,99
3,33
3,60
0,50 11,10
10,30
10,50
9,71
10,01
10,19
8,52
8,88
1,45 34,83
33,35
28,99
27,50
27,50
25,47
21,74
22,63
0,00
8,39
7,29
6,90
6,16
6,32
4,98
3,60
3,42
0,60 35,52
37,20
35,30
30,65
33,15
30,05
31,92
31,52
1,20 53,36
52,81
5,11
44,90
46,55
43,52
37,44
33,75
0,40 46,00
44,25
46,34
40,53
37,64
33,90
30,00
28,50
0,30
7,31
7,98
7,57
6,75
6,47
6,66
6,86
7,03
0,00 19,70
19,85
16,00
15,23
16,92
14,24
14,02
13,75
1,05 33,25
33,20
33,35
33,80
31,00
27,23
26,25
24,50
0,00
5,68
5,57
5,58
5,48
4,72
4,20
4,07
4,29
0,41
8,12
8,20
7,20
7,10
7,18
6,55
6,83
7,00
0,00
2,00
1,65
1,75
1,69
1,61
1,60
1,61
1,63
0,83 45,61
46,80
46,22
44,15
40,56
37,98
34,88
39,18
1,70 63,79
60,70
66,50
58,00
57,30
49,57
43,25
39,15
1,40 20,70
20,80
21,00
21,73
20,79
18,80
17,60
17,38
0,00
5,95
6,11
6,25
5,55
6,20
5,39
4,72
4,73
0,30 10,35
8,96
8,34
7,37
7,54
7,32
6,25
6,26
0,30 24,92
24,11
23,87
20,88
21,80
22,88
20,35
21,20
0,17 13,80
13,05
13,23
12,83
11,98
11,49
11,90
11,54
1,10 39,90
35,17
36,75
34,77
34,62
30,06
24,77
24,55
1,30 59,44
55,15
52,41
51,70
44,50
41,70
43,40
43,90
0,30 35,92
37,79
37,60
31,81
30,34
31,33
30,00
28,61
0,00 17,36
16,65
18,30
16,82
18,79
16,70
14,22
14,40
0,70 40,15
39,50
37,99
37,30
38,25
36,00
36,25
34,90
0,45 19,93
20,49
21,05
19,92
21,38
17,25
18,14
19,51
1,35 32,88
34,70
29,42
30,30
28,50
28,50
27,95
28,00
0,17
4,85
4,44
4,19
3,90
3,75
3,97
4,10
3,85
0,00 16,00
15,73
16,60
16,33
15,48
13,05
13,33
13,70
1,34 105,05
98,00
99,50
88,78
78,80
72,29
69,14
73,03
0,50 21,95
21,88
21,99
21,26
19,15
19,11
16,93
16,87
0,12 29,05
27,48
29,58
25,98
27,22
24,55
21,94
22,40
0,00 16,92
17,06
17,50
14,04
14,40
12,71
13,73
14,65
0,00 17,00
17,35
16,60
13,77
15,04
14,00
12,48
11,94
1,90 143,70 142,45 145,35 136,45 128,80 120,70 125,00 120,50
0,20 12,10
12,20
13,50
10,92
11,25
10,30
9,18
9,28
0,30
7,28
7,80
7,60
7,39
7,62
7,48
7,30
8,03
0,90 27,29
27,01
28,01
27,00
29,12
29,00
31,00
31,10
0,00
5,88
4,93
3,84
3,65
3,66
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3,13
3,07
0,00
1,47
1,72
2,44
2,02
3,65
3,87
4,22
4,69
0,00
9,10
6,87
6,14
5,50
5,57
5,84
5,67
6,05
0,20 32,45
32,96
37,99
33,10
27,90
27,01
23,35
20,32
0,00 19,40
19,21
20,35
17,95
17,45
15,18
14,76
15,62
– 24,57
26,23
26,74
24,50
23,60
21,75
19,85
19,50
0,00
7,05
6,45
6,36
5,85
6,02
5,33
4,75
4,58
0,32 11,16
11,65
10,80
9,80
9,69
9,56
8,66
8,78
0,00 29,13
32,08
28,59
26,83
28,92
27,10
23,00
23,60
– 14,00
14,58
16,00
15,00
15,25
11,75
11,90
11,00
0,30 16,60
14,60
15,00
13,80
14,08
13,25
12,45
12,30
0,00 12,60
12,29
13,00
11,70
13,00
10,06
9,50
11,40
Hoch
Tief
(52 Wochen)
4,44
11,23
36,33
8,34
40,00
59,94
48,50
8,58
21,45
35,80
5,98
8,50
2,11
48,90
69,00
23,78
6,67
10,61
27,30
14,74
2,90
6,92
15,61
2,02
27,17
21,05
26,90
5,70
11,21
23,28
3,61
6,40
150
33,75
27,20
15,22
3,45
5,30
15,50
8,62
39,30
61,94
41,15
19,70
42,00
22,89
35,50
5,02
18,27
111,50
24,39
30,97
19,99
18,45
152,00
15,17
8,25
33,35
5,92
5,84
9,50
39,20
21,29
27,46
7,19
11,87
33,24
17,14
16,06
13,77
23,22
35,90
25,17
5,71
28,80
14,00
23,50
3,53
10,91
60,00
12,17
14,80
11,33
9,87
114,00
7,99
6,20
22,66
2,62
1,27
1,97
18,25
14,35
18,80
4,02
7,40
19,62
10,38
10,60
8,25
März
Finanzen & Börse
2011
WirtschaftsKurier
13
EU bläst zum Appell
Everybody’s Darling
Betongold
Teures Halbwissen
landesbanken | Was bisher aus vielen Gründen
nicht funktionierte, erzwingt jetzt Brüssel: die Neuordnung der Landesbanken-Landschaft. Seite 14
derivate | Die Aufklärungsarbeit der vergan­ge­
nen Jahre scheint Früchte zu tragen: Der DerivateSeite 15
Markt befindet sich im Aufwind.
Anleger wollen vom Aufwärtstrend am deutschen
Wohnimmobilienmarkt profitieren – doch die
Seite 16
Anlage hat so ihre Tücken.
Einmal Bauherr zu sein ist für viele ein Traum.
Doch gerade bei der Finanzierung gibt es einige
Stolpersteine, die es zu überwinden gilt. Seite 16
Das Inflations-Gespenst spukt durch Europa
Teuerungsrate | EZB bleibt gelassen
ein Problem. Zudem würden ­höhere
Leitzinsen die Banken in der Euro­zone
belasten, von denen einige noch immer unter der Finanzkrise leiden und
am Liquiditätstropf der EZB hängen.
von dieter w. heumann
D
ie Überraschung war perfekt:
Noch Ende vergangenen
Jahres hatte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet betont,
die Preise in der Eurozone würden nur moderat ansteigen. Bereits im Januar 2011 gab das europäische Statistikamt Eurostat
die Teuerungsrate innerhalb
der Währungsgemeinschaft
für den Monat Dezember mit
2,2 % bekannt. Für Januar wird
die jährliche Inflationsrate des
Euroraums sogar auf 2,4 % geschätzt. Somit war erstmals seit
2008 die Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) mit „bis
zu 2 %“ Preissteigerung wieder
überschritten worden. Trichet bewertet die Aussichten zwar noch
immer als „weitgehend ausgeglichen“,
räumt jedoch ein, dass der EZB-Rat die
Gefahr sehe, dass das Risiko einer zu
hohen Inflation steige.
Als wesentliche Preistreiber wurden
die Rohstoffe identifiziert. Für Energieprodukte und Nahrungsmittel musste
zum Teil tiefer in die Tasche gegriffen
werden. So erreichte das Fass Erdöl der
Sorte Brent Ende Februar Notierungen
über 110 US-Dollar. Unter den Agrar­
erzeugnissen verteuerten sich Weizen
und Soja um gut 40 % und für Mais
mussten gar um 70 % mehr als vor Jahresfrist gezahlt werden. Der Baumwollpreis hat sich verdoppelt.
Euroländer: gleiche Probleme –
aber unterschiedliche Inflationsraten
Zwar haben alle Euroländer mit den
gleichen Problemen zu kämpfen, jedoch gibt es im Euroraum eine recht
starke Streuung der nationalen Infla­
tionsraten. Dabei weisen gerade die
Krisenländer Griechenland und Spanien – obwohl sie eine Rezession oder
Mittelfristig bleiben die Preise stabil
nur ein schwaches gesamtwirtschaft­
liches Wachstum aufweisen – mit 4,7 %
beziehungsweise 1,8 % vergleichsweise
hohe durchschnittliche jährliche Inflationsraten auf. Laut EZB sind dort insbesondere hohe Umsatzsteuern sowie
andere Gebühren und Abgaben die
Treiber. Das dürfte sich in Zukunft aber
ändern: Sollte die Sparpolitik tatsächlich greifen und die Wirtschaft weiter
drosseln, dann könnte der Trend in
diesen Ländern möglicherweise eher
Richtung Deflation gehen.
In Deutschland, dessen Wirtschaft
geradezu boomt, hat sich die Inflation
binnen Jahresfrist kontinuierlich erhöht und liegt mittlerweile bei 2 %.
Ökonomen erwarten, dass die Teuerungsraten 2011 und 2012 über dem
Durchschnitt im Euroland liegen werden. Die teils kräftig gestiegenen Rohstoffpreise schlagen sich auf die deutschen Verbraucherpreise nieder, was
Die Inflationstreiber: Kraftstoffe für
Verkehrsmittel, flüssige Brennstoffe,
Gemüse, Gas, Tabak sowie Schmuck
und Uhren hatten 2010 den größten
Einfluss auf die durchschnittliche
jährliche Inflationsrate im Euroraum. Grafik: Wiku
„In den nächsten Monaten
könnte die Inflationsrate
weiter steigen, bevor sie
zum Jahresende hin sinkt.“
Jean-Claude Trichet, EZB-Präsident
den Wandel des wirtschaftlichen Umfelds hierzulande widerspiegelt. Neben
der importierten Inflation wird aber
auch der hausgemachte Teil der Preissteigerung zunehmen: So sehen die
Ökonomen in Deutschland – anders
als in den Randländern der Eurozone – wieder mehr Spielraum für
Lohnerhöhungen. Sinkende Arbeits­
losenzahlen und einsetzender Fachkräftemangel haben bereits mehrere
Unternehmen bewogen, Sonderzahlungen zu gewähren und Lohnerhöhungen vorzuziehen. Zudem sind erste
Miet- und Hauspreissteigerungen zu
beobachten, da sich die Einkommenssituation der privaten Haushalte zunehmend verbessert.
Der eindeutig aufwärtsgerichtete
Preistrend wäre ein Fall für die EZB,
zumal die Inflationsschwelle überschritten ist und es zu ihrer Aufgabe
gehört, die Geldwertstabilität zu wah-
ren. Aber die Notenbank demonstriert
Gelassenheit. Sie sieht die Stabilitätsvorgabe nicht als kurzfristig zu erreichendes Ziel an. Mittelfristig aber erwartet die Zentralbank, dass sich die
Inflation bereits wieder beruhigt hat.
Doch sicher ist das aus heutiger Sicht
nicht. Und daher ist zu fragen: Steckt
die EZB – auch mittelfristig – nicht in
einem Dilemma und wird sie dann in
der Lage sein, „liefern“ zu können?
Schließlich verlaufen im Euroraum die
wirtschaftlichen Entwicklungen sehr
unterschiedlich: Während die Konjunktur im Norden brummt, weisen die
hochverschuldeten südlichen Staaten
kein oder nur ein schwaches Wirtschaftswachstum auf. Eine restriktive
Geldpolitik würde die Wirtschaft in den
Problemländern zusätzlich belasten.
Da die Geldpolitik der EZB nicht individuell auf die nationalen Erfordernisse eingehen kann, hat die Notenbank
Sicherlich wird entscheidend sein, ob
es sich bei der deutlichen Inflationszunahme um eine Eintagsfliege handelt
oder ob die Teuerung kontinuierlich
weiter aufwärtsstreben wird. „In den
nächsten Monaten könnte die Infla­
tionsrate weiter steigen, bevor sie zum
Jahresende hin sinkt“, ist Trichet überzeugt. Deshalb seien auf mittlere
Sicht stabile Preise gewährleistet.
Gern bemüht Trichet die
Vergangenheit, um die erfolgreiche Arbeit der EZB in Sachen Inflation darzustellen:
Seit Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung betrage die
durchschnittliche Inflationsrate in der
Eurozone 1,97 %, verkündet er stolz.
Damit treffe die Notenbank exakt ihr
Ziel. Der Euro sei – selbst in einer Zeit
großer Verschuldungsprobleme bei
einzelnen Europartnern – stabiler als
jede einzelne seiner Vorgängerwährungen. In den 90er-Jahren habe die
Inflation in Deutschland bei 2,2 %, in
den 80ern bei 2,8 % und davor sogar
noch höher gelegen.
Es bestehen Zweifel, ob sich die
niedrigen Inflationsraten der Vergangenheit in die Zukunft hochrechnen
lassen. Vor allem lassen die preisbremsenden Wirkungen aus Schwellenländern – wie das Beispiel China zeigt –
spürbar nach. Und bei den nur schwer
zu ersetzenden Rohstoffen verknappen
sich die Ressourcen rasant, seit sich so
große Länder wie China und Indien –
auf dem Weg zur Industrienation – in
die Schlange der hungrigen Nachfrager
eingereiht haben.
Jede Niederlage ist die Chance für einen neuen Sieg
Berenberg Bank | Die Krise hat für Europa nicht nur schlechte Seiten
von constanze meindl
D
ie Krise hat die Welt aus der
Bahn geworfen. Es passierten
Dinge, die eher Stoff für einen
spannenden Hollywood-Streifen mit
Weltuntergangscharakter geliefert hätten – dass sie Realität werden könnten,
hat sich wohl kaum jemand ­vorgestellt:
Über Jahrzehnte gewachsene Finanzinstitute mussten vom Staat geret­tet
werden – oder gar zusperren –, Aber­
tausende von Privatanlegern auf der
ganzen Welt verloren binnen Sekunden ihr Erspartes und ganze Länder
standen – oder stehen – vor dem Ruin.
Doch was man bei all den Negativschlagzeilen der letzten Monate gern
vergisst: Die Krise ist auch eine Chance. Eine Chance für marode Länder,
ihre wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen auf neue, solide Säulen zu
stellen. Eine Chance, alte Strukturen zu
identifizieren und aufzubrechen. Eine
Chance, künftigen Generationen ein
solches Debakel zu ersparen.
Einer, der die Krise als solche Chance begreift, ist der Chefvolkswirt der
Berenberg Bank, Holger Schmieding.
Wer ändere schließlich schon in guten
Jahren seine schlechten Gewohnheiten? Er glaube nicht an Horrorszena­
rien wie etwa ein Auseinanderbrechen
der Währung in einen starken Nordund einen schwachen Süd-Euro: „Eine
Zersplitterung ist völliger Unsinn. Es
gibt keinen wirtschaftlichen Grund,
den Euro zu spalten“, betonte Schmieding. Vielmehr sieht er die Eurozone
gestärkt aus der Krise hervorgehen –
vorausgesetzt der bisher eingeschlagene Weg wird weitergegangen.
Die harten Reformen, die Deutschland in den Jahren 2003 bis 2007 durchgeführt hat – Maßnahmen, die sich
auch in der Finanzkrise als stabil erwiesen –, haben Good Old Germany
auf stabile Füße gestellt. Jedoch müsse
Deutschland darauf achten – um den
heimischen Steuerzahler nicht noch
mehr mit ausländischen Problemen zu
belasten –, dass die Peripherieländer
einen ähnlich tief greifenden Wandel
in der Arbeits- und Sozialpolitik voll­
zögen. Die Anstrengungen der vergangenen Monate zeigten, dass sich die
Schuldenländer „auf einem guten
Weg“ befänden, meinte Schmieding.
Würden die eingeschlagenen Bemühungen beibehalten, bestünden gute
Chancen, dass die angesammelten
Schulden künftig bedient werden
könnten. Wichtig sei aber, dass die starken Länder den schwachen Nationen
weiterhin Hilfe zur Selbsthilfe gewähren, sonst bestünde die Gefahr weiterer Staatspleiten.
Griechenland braucht
vor allem eines: Zeit
Dies gilt wohl insbesondere für Griechenland, dessen bisherige Bemühungen, aus dem Schuldensumpf herauszukommen, von Schmieding positiv
bewertet werden. Sicherlich sei es eine
offene Frage, ob das Land das Problem
lösen könnte. Doch sei es wichtig, den
Griechen Zeit zu geben, denn nun
Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, prophezeit Deutschland
ein goldenes Jahrzehnt. Foto: berenberg
habe das Land die fast einmalige Möglichkeit, sich zu reformieren. Sicherlich
sei Widerstand aus der Bevölkerung
da, dennoch wollen die Menschen,
dass sich etwas ändert: Die Demons­
trationen in Griechenland seien nicht
größer gewesen als bei der Hartz-4Thematik hierzulande, sagte der Berenberg-Volkswirt.
Neben Hellas gehört auch Portugal
zu den Sorgenkindern. Dies sei ein
Land, das traditionell nicht so starke
Wachstumsraten aufweise. Doch sieht
Schmieding hier kein wirkliches Pro­
blem aufkeimen, das der Eurozone
nachhaltig schaden könnte. Die Strukturreformen, die das Land anpackt, um
beispielsweise den Staatssektor zu ent-
schlacken, seien der richtige Weg, damit es weiter bergauf gehe.
Irland habe eigentlich „nur“ ein Bankenproblem. Der Berenberg-Volkswirt
sieht beste Möglichkeiten, dass die
grüne Insel schnell wieder auf den
Wachstumspfad zurückfindet. Die steigenden Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe schlagen sich jedoch
noch nicht in einem Aufschwung nieder, da die Probleme der Baubranche
immer noch negativ auf das Gesamt­
ergebnis wirken. Schon in ein bis zwei
Quartalen werde die irische Wirtschaft
– ausgehend von einem niedrigen Niveau – wachsen. Hilfe von außen brauche der keltische Tiger eigentlich keine
mehr, so Schmieding.
Entgegen der Annahme, Spanien
habe mit einem Ausfuhrproblem zu
kämpfen, sei das hohe Defizit des Landes eher dadurch zustande gekommen, dass es in den Boomjahren zu
viele Waren eingeführt hat, analysierte
der Experte. Der jetzt eingeschlagene
Sparkurs verschärfe das Importpro­
blem noch weiter – von heraufbeschwo­
renen Wettbewerbsnachteilen aber
keine Spur. Beim BIP-pro-Kopf-Wachstum haben die Spanier in den ver­
gangenen Jahren spürbar gegenüber
Deutschland aufgeholt. Wenn Spanien
nun dem straffen deutschen Reformbeispiel folgen würde, sieht der Berenberg-Chefvolkswirt Chancen, dass das
Königreich seine Aufholjagd in etwa
zwei bis drei Jahren wieder aufnehmen kann.
Deutschland prognostiziert Schmieding ein goldenes Jahrzehnt – allerdings auch das letzte seiner Art. Seinen
Optimismus begründet er vor allem
auf zwei Aspekte. Deutschland habe
endlich seinen Arbeitsmarkt im Griff –
die angestoßenen Reformen zeigen
Wirkung. Die Arbeitslosenzahlen sind
gesunken, was auch dem Niedriglohnsektor zu verdanken sei. Früher habe
es einfach weniger Jobs in diesen Gehaltskategorien gegeben. Nach vier
Jahrzehnten, in denen die (west)deutschen Arbeitslosenzahlen mit jedem
Zyklus gestiegen sind, geht der Trend
nun endlich in eine andere Richtung.
Außerdem habe ein Jahrzehnt der
Lohnzurückhaltung die Industrie spürbar entlastet. Deutschland sei ein her-
vorragender Produktionsstandort und
Standortflucht eigentlich kein Thema
mehr.
Der Lohn der Mühen: zehn Jahre
lang mehr Wachstum, weniger Arbeitslose, solide Staatsfinanzen und größerer Spielraum für die Verbraucher.
Deutschland kann endlich den bisher
ziemlich eng geschnallten Gürtel lockern, durchatmen und die Früchte
der harten Arbeit genießen – bis das
Pendel wieder in die andere Richtung
ausschlägt ...
Zinswende
Ab September dieses Jahres,
prognostiziert
Holger
Schmieding, Chefvolkswirt
der Berenberg Bank, wird
die Europäische Zentralbank
sukzessive damit beginnen,
die Zinsen wieder anzuheben. „Ein Viertel Prozentpunkt alle Vierteljahre“,
glaubt Schmieding, „bis der
Leitzins im Jahr 2013 wieder
bei 3 % angelangt ist.“ Im historischen Vergleich niedrig,
vom jetzigen Startpunkt aus
ein hohes Niveau. Die Federal
Reserve werde der europäischen Zinsentwicklung folgen.
14 Landesbanken
Finanzen & Börse
März
2011
WirtschaftsKurier
Brüssel bläst zum Appell
Neuordnung | Die EU erzwingt die Suche nach Lösungen
von klaus g. wertel
W
as in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder an
mangelnder Einsicht, regionalpolitischem Stolz, Sitzfragen und
anderen Egoismen scheiterte, das geschieht jetzt unter erheblichem Zeitdruck und unter massivem Zwang
der EU-Kommission: eine Neuordnung
der in der Finanzmarktkrise in Not geratenen Teile der deutschen Landesbanken-Landschaft. Der Mitte ­Februar
in Brüssel eingereichte Plan für eine
Zerlegung der WestLB – einst das
Flagg­schiff der Landesbanken – ist dabei die spektakulärste, aber nicht die
einzige Rosskur. Auch bei der BayernLB, der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und der HSH Nordbank
sind schmerzhafte Operationen bereits
in vollem Gang. Die Suche nach trag­
fähigen Geschäftsmodellen, geeigneten Fusionspartnern und Käufern für
Teilbereiche bleibt schwierig.
Diplomatischer im Ton, aber in der
Sache nicht weniger konsequent als
seine Vorgängerin Neelie Kroes nutzt
EU-Wettbewerbskommissar Joaquín
Almunia die „beihilferechtlichen Genehmigungsverfahren“ in Zusammenhang mit den diversen Staatshilfen
für deutsche Landesbanken zu drastischen Auflagen: Bilanzsummen müssen massiv reduziert, Beteiligungen
verkauft, ganze Geschäftsbereiche aufgegeben werden. Falls diese Auflagen
nicht fristgerecht erfüllt werden sollten, könnte die EU-Kommission „ungerechtfertigte Subventionen“ feststellen und die Rückzahlung der Staats­
hilfen sowie eine Rücknahme von
Bürg­schaften anordnen.
Besonders hart hat die Krise die
Düsseldorfer WestLB getroffen. Der
Kommentar
EU-Brechstange
Die Krise hat die Notwendigkeit von
Reformen und weiteren Zusammenschlüssen bei den deutschen Landesbanken nicht ausgelöst – aber:
Das Platzen der Blase hat schonungslos die schon zuvor vorhandenen Schwächen eines Teils der Landesbanken aufgedeckt. Eines Teils,
denn diejenigen, die sich auf Kundengeschäfte und Zentralbankfunktionen konzentriert und nicht jeden
Unfug der Finanzmärkte mitgemacht haben, sind vergleichsweise
gut durch die Krise gekommen.
Dass die EU-Kommission das europäische Beihilferecht jetzt als Brechstange einsetzt, um die Landes­ban­
ken klein zu machen, verwundert
nicht. Brüssel hat den Sinn des
­deut­schen Drei-Säulen-Modells nie
wirklich verstanden. Besonders die
Landesbanken waren der EU-Kommission schon immer suspekt.
Was die Kommission den Landesbanken jetzt auferlegt, ist teilweise
mehr Brandrodung als Flurberei­
nigung. Welche Logik hat zum Beispiel der diktierte Ausstieg aus
­ri­sikolosen, stets gewinnbringenden
Beteiligungen – etwa an Bausparkassen oder der Sparkassenversicherung? Wem ist geholfen, wenn
eine Landesbank ihre Unternehmenskunden nicht mehr ins Ausland begleiten kann, weil die EUKommission auf einer Amputation
der Auslandsfilialen besteht?
Dringend zu wünschen ist, dass bei
den notwendigen oder auch nicht
mehr zu vermeidenden Reformen
die Verhältnismäßigkeit gewahrt
bleibt: Zuerst müssen die von der
Krise ge­beutelten Landesbanken
ihre Haus­aufgaben erledigen, Altlasten regeln und zu tragfähigen
Geschäftsmodellen finden. Erst danach können diese Institute auch
einen sinnvollen Beitrag in Form
von Zusammenschlüssen oder auch
von Funk­tionen leisten. Fußkranken
gemeinsames Marschieren zu befehlen hat noch nie geholfen. kw
Bund, das Land Nordrhein-Westfalen
und die Sparkassen des Landes haben
das Überleben der Bank mit vielen Milliarden Euro an frischem Kapital und
Bürgschaften für erhebliche Ausfall­
risiken gesichert. Besonders hart sind
in diesem Sanierungsfall auch die Auflagen aus Brüssel ausgefallen: Die bislang hälftig vom Land Nordrhein-Westfalen und den dortigen Sparkassen
­getragene WestLB müsse bis Ende 2011
„mehrheitlich in neues Eigentum überführt“ oder – alternativ – „mit anderen
Instituten auf der Basis eines tragfähigen Geschäftsmodells verschmolzen
werden“, so die Weisung aus Brüssel.
Bis zum 15. Februar, 24 Uhr, musste ein
entsprechendes Konzept bei EU-Kommissar Almunia eingereicht werden.
Zerstückelung der WestLB
wahrscheinlich die einzige Lösung
Die Post aus Düsseldorf traf gerade mal
eine Stunde vor Fristablauf in Brüssel
ein – und enthielt gleich drei verschiedene Varianten einer Sanierung der
WestLB. Der Grund: Der Bund, das
Land und die Sparkassen konnten sich
nicht auf ein Konzept einigen. Bei Licht
betrachtet, bietet freilich nur eine der
drei Varianten – die Zerlegung der
WestLB in drei Teile – eine realistische
Chance, das Institut im Sinne des EUBeihilferechts zu sanieren.
Im Kern sieht dieses „Aufspaltungsmodell“ die Überführung der von der
WestLB wahrgenommenen Funktionen einer Zentralbank für die nordrhein-westfälischen Sparkassen in eine
Verbundbank vor. Träger dieser neuen
Bank wären dann nur noch die Sparkassen. Gemessen an der Bilanzsumme, hätte diese Verbundbank mit jährlich 50 Mrd. bis 70 Mrd. Euro nur noch
etwa ein Viertel des Geschäftsvolumens der bisherigen WestLB. Von den
derzeit rund 5 000 Mitarbeitern würden voraussichtlich nur etwa 1 000 in
die Verbundbank übernommen.
In einen zweiten Bereich sollen all
jene „werthaltigen Geschäftsbereiche“
der WestLB verlagert werden, die nicht
für die Sparkassen-Zentralbank-Funktion gebraucht werden, für die aber die
Chance eines Verkaufs an andere Institute oder Investoren besteht: Als Beispiele werden das Auslandsgeschäft
samt dem verbliebenen Netzwerk an
Auslandsniederlassungen, die Immobilien- und die Unternehmensfinanzierung sowie eine Reihe von Servicefunktionen genannt. Diese Bereiche
könnten zunächst als „Teilbetriebe“
weitergeführt und dann – in Gänze
oder in Teilen – an kompetente Institute veräußert werden.
In einem dritten Bereich würden die
Geschäftsbereiche gebündelt, die weder in die neue Verbundbank passen
noch verkäuflich sind. Nach Bilanzsumme wäre dies wahrscheinlich der
größte Bereich. Diese Geschäftsbereiche sollen dann in die bereits 2009 unter dem Dach der WestLB gebildete
„Bad Bank“ ausgelagert und „abgewickelt“ werden. Die Träger der WestLB,
also das Land und die Sparkassen,
­wären verpflichtet, für die betroffenen
Mitarbeiter gemeinsam einen Sozialplan zu vereinbaren und zu finan­
zieren. In dieser ersten deutschen Bad
Bank hat die WestLB derzeit nicht
­verkäufliche Forderungen und Zerti­
fikate im Nennwert von 77 Mrd. Euro
geparkt – abgesichert durch 16 Mrd.
Euro Bürgschaften des Bundes und des
Landes Nordrhein-Westfalen.
Käufer: Fehlanzeige
So bitter das „Aufspaltungsmodell“
auch ist – die beiden anderen, als Alter­
nativen bei EU-Kommissar Almunia
ein­gereichten Sanierungskonzepte erscheinen wenig realistisch und werden
deshalb auch kaum genehmigungsfähig sein. Für das „Verkaufsmodell“ –
also die Ver­äußerung der kompletten
WestLB oder deren Fusion mit einer
anderen Bank – fehlen bislang die nötigen Interessenten. Im November 2010
waren Verhandlungen zwischen der
BayernLB und der WestLB ergebnislos
abgebrochen worden. Die Bayern, die
die Reißleine gezogen haben, nannten
noch neun l andesbank en
LBBW
Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) ist das größte deutsche Institut. Bedingt durch ihre Entstehungsgeschichte in mehreren Fusionsschritten, ist die LBBW­
nicht nur Zentralinstitut der Sparkassen, sondern verfügt auch über eine breite
­Kundenbasis – insbesondere bei Privat- und Mittelstandskunden. Die Baden-Württembergische Bank ist ebenso eine 100%ige Tochter, wie die Landesbank Rheinland-Pfalz. Die 2008
im Wege eines Notverkaufs erworbene SachsenLB wurde auf die LBBW verschmolzen. 40,5 % der
­LBBW-Anteile halten die baden-württembergischen Sparkassen, ebenfalls 40,5 % besitzt das Land,
die restlichen 19 % hält die Stadt Stuttgart.
BayernLB
Die BayernLB folgt auf Platz zwei. Unter dem Eindruck der Erfahrungen der jüngsten Finanzmarktkrise arbeitet die BayernLB an der Umsetzung eines neuen Geschäftsmodells: Neben dem
Kerngeschäft einer Zentralbank der bayerischen Sparkassen sieht sich die BayernLB jetzt vor allem auch als
Bank für Unternehmens- und Privatkunden. Die BayernLB ist mit einem Anteil von 49,9 % Miteignerin der
SaarLB. Der Freistaat Bayern besitzt 94 % der Anteile,
der Sparkassenverband Bayern die übrigen 6 %.
WestLB
Die Nummer 3 unter den Landesbanken, die WestLB, wurde durch die Folgen der Finanzmarktkrise besonders hart
getroffen. Gegenwärtig suchen das Land Nordrhein-Westfalen und die Sparkassen des Landes nach einer zumindest teilweisen Rettung der Bank. Aktionäre der WestLB
sind die beiden Sparkassenverbände Rheinland und Westfalen-Lippe mit jeweils 25 %, die mehrheitlich dem Land
Nordrhein-Westfalen gehörende NRW.Bank mit 30,86 %,
das Land NRW direkt mit 17,76 % sowie die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe mit je 0,7 %.
Nord/LB
Die Nord/LB ist die Zentralbank der Sparkassen in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt
und Mecklenburg-Vorpommern. Daneben ist die Nord/LB im Firmen- und auch
im Privatkundengeschäft sowie bei Projektfinanzierungen (Schiffe, Flugzeuge und
anderes) tätig. Mit einer Beteiligung von 92,5 % führt
die Nord/LB die Bremer Landesbank als Tochterunternehmen. Hauptanteilseigner der Nord/LB sind das
Land Niedersachsen mit 41,75 % und der dortige Sparkassenverband mit 37,25 %. Weitere Eigentümer sind
Sachsen-Anhalt (8,25 %) sowie die Sparkassen-Organisationen in Sachsen-Anhalt (7,53 %) und MecklenburgVorpommern (5,22 %).
HSH Nordbank
Die HSH Nordbank AG – 2003 aus einer Fusion der Hamburgischen Landesbank
und der Landesbank Schleswig-Holstein entstanden – ist als Geschäftsbank im Inland überwiegend in Hamburg und Schleswig-Holstein tätig, gilt darüber hinaus
aber auch als international erfolgreiche Schifffahrtsbank. Der HSH Finanzfonds AöR,
­eine gemeinsame Anstalt von Hamburg und Schleswig-Holstein, hält mit 59,9 % den größten Anteil. Die
Hansestadt selbst hält direkt weitere 12,4 %, Schleswig-Holstein 11,0 %. Der dortige Sparkassenverband
ist mit 6,1 % beteiligt. Neun private Investorengruppen – geführt von dem US-Investor J. C. Flowers &
Co. – halten insgesamt 10,7 % der Aktien.
Helaba
Die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) ist vor allem als
Zentralbank der Sparkassen in Hessen und Thüringen tätig. Darüber hinaus betreut die Helaba Unternehmenskunden im Inund Ausland. Mit dem Erwerb der Sparkasse Frankfurt im Jahr
2005 wurde die Helaba auch zur regionalen Universalbank für
Privat- und Mittelstandskunden. Der Sparkassenverband Hessen-Thüringen hält 85 % der Anteile, das Land Hessen 10 % und
der Freistaat Thüringen 5 %.
LBB
Zur Landesbank Berlin AG (LBB) gehört vor allem auch die Berliner Sparkasse.
­Regionale Schwerpunkte der Privat- und Geschäftskundentätigkeit sind Berlin und Brandenburg. Nach dem
­Verkauf der Anteile des Landes Berlin hält der Deutsche
Sparkassen- und Giroverband 98,7 % der Anteile an der
Landesbank Berlin Holding AG. Die übrigen 1,3 % sind im
Streubesitz.
Bremer LB
Die Bremer Landesbank ist als Zentralbank der Sparkassen und als Geschäftsbank im Raum Bremen-Oldenburg
tätig. Die Nord/LB hält 92,5 % der Anteile der Bremer Landesbank, das Land Bremen 7,5 %.
SaarLB
Die Landesbank Saar AG ist Deutschlands kleinstes Institut. Die Aktien des Zentral­instituts der saarländischen
Sparkassen werden zu 49,9 % von der BayernLB gehalten. 14,9 % der Landesbank Saar gehören dem Sparkassenverband Saar, 35,2 % dem Saarland.
die WestLB – wenig kollegial – eine
„Bank in Abwicklung“. Die „chinesische Großbank“, die angeblich die
WestLB kaufen und als Brückenkopf
im europäischen Markt nutzen wollte,
hat entweder kalte Füße bekommen –
oder nie real existiert.
Das dritte Modell, genannt „Redimensionierungs-Konzept“, sieht eine
Schrumpfkur für die WestLB vor: Sämtliche Geschäftsfelder sollen reduziert
werden, die Bilanzsumme um ein Drittel sinken. Es ist kaum anzunehmen,
dass sich die EU-Kommission auf
­einen solchen Pauschalvorschlag einlassen wird. Wettbewerbskommissar
Almunia nannte in einer ersten Reak­
tion die Einreichung von gleich drei alternativen Konzepten „ungewöhnlich“,
versprach eine „sorgfältige Prüfung“
und kündigte eine „Entscheidung bis
zum Sommer 2011“ an.
LBBW auf gutem Kurs
Vergleichsweise geräuscharm arbeitet
die Landesbank Baden-Württemberg
(LBBW) die vor Jahresfrist von der EUKommission verfügten Auflagen in Zusammenhang mit einer auch vom Land
Baden-Württemberg mitfinanzierten
Kapitalerhöhung von 5 Mrd. Euro und
von Landesbürgschaften für Risiko­
papiere im Volumen von 12,7 Mrd. Euro
ab: Ihr verlustreiches Kreditersatzgeschäft in der Größenordnung von ehedem knapp 100 Mrd. Euro hat die LBBW
schon fast auf die Hälfte abgebaut. Der
von der EU verlangte Abbau von Betei­
ligungen kommt voran: Der Verkauf des
15 %-Anteils der LBBW an der Spar­kas­
senzentralbank DekaBank an die Sparkassen ist vereinbart. Auch die LBBWAnteile an der Landesbausparkasse
­Baden-Württemberg und an der SV
Spar­kassenversicherung werden wohl
in der Sparkassenfamilie bleiben. Trennen muss sich die LBBW noch von ihrem Immobilienbestand und dem Geschäftsbereich Baufinanzierungen – Angebote von Käufern liegen bereits vor.
Wehgetan hat die – von der EU-­
Kommission verlangte – Ausdünnung
des Auslandsfilialnetzes: Für die vielen
exportorientierten Unternehmenskunden, die die LBBW bislang auch im
Ausland betreuen konnte, hat die
LBBW durch diesen Rückbau an
„Hausbankqualität“ verloren. Ein wirklich neues Geschäftsmodell braucht
die LBBW nicht: Dank der Integration
der früheren Landesgirokasse Stuttgart
und der Baden-Württembergischen
Bank in die Landesbank Baden-Württemberg betreut die LBBW direkt und
über ihre Tochter BW-Bank mehr als
eine Million Privat- und Unternehmenskunden.
Ein im Herbst 2010 unternommener
vorsichtiger Vorstoß des baden-württembergischen Ministerpräsidenten
Stefan Mappus in Richtung einer Fu­
sion der LBBW mit der Landesbank
Hessen-Thüringen (Helaba) stieß in
Frankfurt und bei der Wiesbadener
Landesregierung auf höflich verpackte
Ablehnung. Dank einer soliden Kundenbasis und dank des Verzichts auf
riskante Kreditersatzgeschäfte kam die
Helaba ziemlich ungerupft durch die
jüngste Krise. An einer Fusion mit der
noch lange nicht zu Ende sanierten
LBBW – auch 2010 verfehlte die größte
deutsche Landesbank nochmals die
„schwarze Null“ – kann die Helaba also
kein Interesse haben. Von ihrer Struktur her würden LBBW und Helaba gut
zueinander passen: Auch die Helaba
wurde mit dem Erwerb der Sparkasse
Frankfurt im Jahr 2005 zur regionalen
Universalbank für Privat- und Mittelstandskunden. Außerdem betreibt die
Helaba mit der direkt1822 eine Internet-Direktbank.
Ringen zwischen
München und Brüssel
Das EU-Beihilfe-Genehmigungsverfahren für die Staatshilfen an die BayernLB schwebt noch: Über Auflagen
und Sanierungskonzepte wird seit fast
einem Jahr zwischen Brüssel und München diskutiert, auch hart gerungen.
Die überraschend schnelle und deutliche Rückkehr der in den Vorjahren arg
gebeutelten zweitgrößten deutschen
Landesbank in die schwarzen Zahlen
stärkt jetzt aber die Position der Bayern: Einen Konzerngewinn von rund
800 Mio. Euro kann der BayernLB-Vorstandsvorsitzende Gerd Häusler für
2010 melden – nach einem Verlust von
2,8 Mrd. Euro im Jahr 2009 in der Tat
eine gute Nachricht.
Häusler wertet die gelungene Umkehr der Ergebnisentwicklung auch
als Bestätigung für die Richtigkeit des
­neuen Geschäftsmodells der BayernLB
als „Mittelstands- und Privatkundenbank in Bayern und darüber hinaus“.
Das operative Ergebnis des Vorjahrs
stamme „nahezu vollständig aus den­
je­nigen Geschäftsbereichen, die in der
neuen BayernLB für das Kerngeschäft
der Zukunft stehen“, so der seit April
2010 die BayernLB führende Vorstandsvorsitzende Häusler in einer Bewertung des Geschäftsjahrs 2010.
Dass das neue Geschäftsmodell
nicht nur auf dem Papier steht, belegen jüngste Aktivitäten der Bank: Mit
der Online-Tochter Deutsche Kreditbank (DKB) wirbt die BayernLB bundesweit um Kunden – 2 Mio. sollen bereits durch besonders günstige Konditionen gewonnen worden sein. Auch
das Filialnetz der BayernLB wächst
wieder: Inzwischen ist die Bank sogar
in Düsseldorf, also am Sitz des verschmähten Fusionspartner-Kandidaten WestLB, vertreten.
HSH Nordbank: Warten auf Brüssel
Auch bei der HSH Nordbank steckt das
EU-Beihilfe-Genehmigungsverfahren
noch im Stadium der Sondierungen.
Aber die in der Krise mit 3 Mrd. Euro
staatlicher Hilfe Schleswig-Holsteins
„Wir tragen uns mit dem
Gedanken, 2011 einen
signifikanten Teil der
10-Mrd.-Euro-Garantie
zurückzuführen.“
Martin van Gemmeren,
Vorstandsmitglied HSH Nordbank
und Hamburgs sowie mit weiteren
10 Mrd. Euro an Bürgschaften gestützte
Bank will – unabhängig vom Fortgang
des Brüsseler Genehmigungsverfahrens – noch in diesem Jahr beginnen,
die staatlichen Hilfen zurückzugeben.
Geld fließen wird dabei wohl vorerst
nicht – beginnen soll die „Entschuldung“ mit den Bürgschaften: „Wir tragen uns mit dem Gedanken, 2011 einen signifikanten Teil der 10-Mrd.-Euro-Garantie zurückzuführen“, so HSHVorstandsmitglied Martin van Gemmeren. Bei der Sanierung mache die
Bank „gute Fortschritte“. Eine Einigung
mit Brüssel über mögliche Auflagen sei
noch im Frühjahr 2011 zu erwarten.
Mit einer weitergehenden Flurbereinigung der Landesbanken-Landschaft
wird es 2011 wohl nichts werden.
„Erst müssen wir unsere Hausaufgaben ­machen – dann sehen wir weiter,
was passt und was nicht“, so wirbt etwa
­Peter Schneider, Präsident des badenwürttembergischen Sparkassenverbands, dafür, die laufenden Sanierungsanstrengungen nicht auch noch
durch Fusionsdebatten zu belasten.
Der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) Heinrich Haasis – er kämpft seit mindestens
fünf Jahren, bislang vergebens, für eine
Zusammenführung der neun Institute
auf eine oder zwei Landesbanken – will
dagegen den Reform- und Fusionsdruck nicht wieder zurücknehmen:
„Das Thema bleibt auf der Tagesordnung.“ Bereits 2009 hatte sich der
DSGV in einem „Eckpunkte-Papier“
für eine strikte Beschränkung der
­Geschäfte der Landesbanken auf reale
Kundengeschäfte und auf ZentralbankFunktionen sowie für Fusionen der
acht Institute auf höchstens noch drei
Landesbanken „bis Ende 2011“ ausgesprochen.
März
Finanzen & Börse
2011
WirtschaftsKurier
Derivate
15
Everybody’s Darling
Deutsche Bank | Rund zwei Jahre nach der Finanzkrise stehen Zertifikate in der Gunst der Anleger wieder weit oben
Von Stefan Armbruster*
D
ie gewaltige Aufklärungsarbeit
der vergangenen Jahre bei den
Anlegern scheint Früchte getragen zu haben. Die Zertifikatebranche ist gestärkt aus der Krise zurück­
gekehrt. Gerade hat der Deutsche Derivate Verband (DDV) eine deutliche
Zunahme des Derivatevolumens im
Jahr 2010 auf wieder rund 109 Mrd.
Euro festgestellt. Der Verband gibt sich
zuversichtlich, dass sich das Wachstum auch im aktuellen Jahr fortsetzen
wird.
Es sind die Einfachheit, die schnelle
Emissionstätigkeit, die geringen Kosten und nicht zuletzt das zurückgekehrte Vertrauen in die Märkte, das Investoren wieder verstärkt zu Zertifikaten greifen lässt. Aber auch eine immer
größere Transparenz, viele Vorträge
und direkte Gespräche auf Anlegermessen in ganz Deutschland sowie
zahlreiche Publikationen wie unser
kostenloses Monatsmagazin „X-press“
(siehe www.xmarkets.de) brachten der
Branche einen Großteil des Vertrauens
zurück. Es scheint, als ob die meisten
Anleger begriffen hätten, dass es sich
bei Zertifikaten um seriöse Produkte
handelt, mit denen sich bei richtiger
Anwendung in jeder Marktsituation
Geld verdienen lässt.
Zertifikate können grob zwischen
klassischen Anlagen (Aktien und Anleihen) einerseits und riskanteren Investitionsmöglichkeiten wie Optionsscheinen andererseits angesiedelt werden. Ob sich ein Zertifikat dann mehr
der einen oder der anderen Anlageform annähert, hängt von der Ausgestaltung des individuellen Produkts ab.
Somit ist es möglich, zahlreiche Risikoprofile von sicherheitsorientiert bis hin
zu spekulativ abzudecken.
Derzeit ist zu beobachten, dass die
Mehrzahl der Anleger vorsichtiger ge-
worden ist. Sicherheit steht jetzt in der
Gunst ganz oben, was sich letztendlich
auch in der Rangliste „Produktkate­
gorien nach Marktvolumen“ des DDV
(siehe www.derivateverband.de) ablesen lässt. Gleichzeitig wird deutlich
stärker auf die Wahl der Bank geachtet.
Denn das sogenannte Emittentenrisiko
ist für die allermeisten Anleger nun
kein Fremdwort mehr.
Gefragt sind in erster Linie aktuelle
Produkte mit einem minimalen Risiko,
am besten mit Kapitalschutz. Diese
­Kapitalschutz-Zertifikate wie etwa das
Euro-Stoxx-50-(Kurs-)-Zertifikat
(WKN: DB0 SMR) bieten dem Anleger
zum Ende der Laufzeit eine Rückzah-
lung eines vorher festgelegten Betrags.
In dem aufgeführten Fall ist es mindestens der Nennbetrag von 100 Euro. Als
weitere große Gruppe rangieren IndexProdukte in der Beliebtheitsskala ganz
vorn. Ein Beispiel: Ein Index-Zertifikat
auf den Dax (WKN: 709 335) bildet einfach eins zu eins das bedeutendste
deutsche Börsenbarometer, den Dax,
ab. Steigt dieser um 10 %, steigt auch
der Wert des Zertifikats um 10 %. Ebenso gilt es allerdings auch in die umgekehrte Richtung. Den gleichen Produkttyp gibt es auf viele weitere nationale und internationale Indizes. Ein
kleiner Nachteil für den Neu-Zertifikate-Anleger ist dabei, dass er bei Index-
Zertifikaten nur wenig über die Möglichkeiten von Zertifikaten erfährt, da
sich kaum etwas gegenüber seinen
sonstigen Anlagen ändert: Wenn der
Markt steigt, gewinnt er. Fällt der Markt,
verliert er. Aber er hat den Vorteil, dass
er direkt den gesamten ­Index erwirbt
und somit diversifiziert investiert.
Die Zertifikate-Branche befindet
sich wieder im Aufschwung
und bietet für jeden Anlagetyp das
passende Investment.
Vorteile bei stagnierenden Kursen
Ihre Vorteile richtig ausspielen können
aber vor allem Zertifikate-Typen wie
Diskont-Zertifikate. Die Diskont-Strategie lohnt sich vor allem bei stagnierenden oder leicht fallenden Aktienmärkten. Aber auch bei steigenden
Kursen fährt der Anleger oft besser als
mit einem Direktkauf von Aktien. Die
Funktionsweise von Diskont-Zertifikaten ist schnell erklärt: Anleger kaufen
das Zertifikat günstiger ein, als die Aktie an der Börse notiert. Kaum zu glauben, können das nicht nur 10 % oder
20 % sein, nein – es gibt Diskonter mit
weit über 30 % Rabatt. Aufgrund des
günstigen Einstiegs ist allerdings der
Gewinn begrenzt. Diese Begrenzung
nennt sich Cap und steht von vornherein fest. Am Laufzeitende gibt es, falls
die Aktie auf oder über diesem Cap
steht, genau diesen ausbezahlt. Die feine Sache ist der Diskont, denn damit
hat der Anleger einen gewissen „Puffer“ nach unten. Wer beispielsweise
das Diskont-Zertifikat auf Daimler
(WKN: DB7 WWU) erwirbt, bezahlt für
das Zertifikat 34,44 Euro statt 54,24
Euro für die Aktie. Er kommt damit im
Gegenzug für den Verzicht der Dividende und einer Gewinnbegrenzung
in den Genuss eines Rabattes von
36,69 %. Sollte die Aktie am Laufzeit­
ende, dem 18. Juni 2012, auf oder über
dem Cap von 38 Euro stehen, gibt es
die Höchstrendite in Höhe von 10,34 %
über die gesamte Laufzeit berechnet.
Der Aktionär ist nur bessergestellt,
falls die Aktie 59,85 Euro übersteigen
sollte.
Der aktuelle Erfolg von Zertifikaten
für Privatanleger spricht für sich. Nicht
umsonst sind Zertifikate mittlerweile
längst zum deutschen Exportschlager
geworden. „Zertifikate made in Germany“ sind ein „Modell für Europa“
geworden. Fast überall können Anleger sie nun von Süd- bis Osteuropa
kaufen. Und wer einmal festgestellt
hat, welche Vorteile Zertifikate bieten,
wird sie nicht mehr missen wollen.
*Stefan Armbruster ist
Leiter von X-markets,
dem Zertifikate-Segment
der Deutschen Bank
Anlagechancen mit Turbo
Den Aufschwung vergolden
Société Générale | Devisenrisiken – absichern oder spekulieren
WestLB | Zertifikate für Optimisten und Pessimisten
back wie befürchtet einen Schwächeanfall, ist der Anleger durch den
­gleichzeitigen Wertgewinn des Optionsscheins vor Währungsverlusten geschützt. Tritt das Szenario nicht ein,
geht nur die vergleichsweise niedrige
Optionsprämie verloren.
Von Sebastian Bleser*
D
ie Dollar-Bombe tickt“, „Rating­
agentur sieht Euro-Krise“ –
solche und ähnliche Schlagzeilen prägten in den vergangenen Wochen die Wirtschaftsnachrichten und
viele Beobachter fragten sich: Was ist
eigentlich los an den Devisenmärkten?
Mittlerweile unverkennbar ist das Bemühen von einigen Länder wie den
USA, Japan und Brasilien, die eigene
Währung abzuwerten, um die Exporte
zu verbilligen und die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Europa steht vor der
Herausforderung, die Staatsfinanzen
einiger Mitgliedsstaaten in den Griff zu
bekommen. Allerdings: Wenn einzelne
Währungen an Wert verlieren, müssen
der ökonomischen Logik zufolge andere relativ an Wert gewinnen. Dies könnte der Euro sein, der traditionell stabile
Schweizer Franken oder die Währungen der rohstoffreichen Staaten Norwegen und Australien.
Wahrscheinlich ist, dass die Bewegungen an den Devisenmärkten in
­Zukunft eher zunehmen werden. Die
genaue Richtung und die Höhe der
Ausschläge können freilich auch Profis
nicht mit Sicherheit vorhersagen. Zu
komplex ist das Wechselspiel zwischen
den globalen Handelsströmen, politischen Entscheidungen und dem globale Zinstrend – Faktoren, die allesamt
in die Preisbildung an den Devisenmärkten hineinspielen.
Viele Konzerne haben sich
mit Termingeschäften abgesichert
Etliche deutsche Konzerne haben auf
diese Situation bereits reagiert und ihre
Engagements in Übersee mit Devisentermingeschäften abgesichert. Für kleinere Unternehmen und Privatanleger
kommen solche Transaktionen wegen der hohen Mindestanlagebeträge
Starke Verluste
oder hohe Gewinne
Sebastian Bleser geht davon aus,
dass die Turbulenzen an den Märkten
zunehmen werden. Foto: S. Générale
kaum infrage. Deswegen müssen sie
den Bewegungen an den Devisenmärkten jedoch nicht tatenlos zu­sehen.
Währungsoptionsscheine und OpenEnd-Turbos bieten die Möglichkeit,
auch kleinere Währungsinvestments
beispielsweise bei Aktien- oder Rohstoffanlagen kostengünstig abzu­si­
chern oder aber gezielt auf Wert­
schwan­­kungen zwischen zwei Währungen zu spekulieren.
Beispiel: Ein deutscher Anleger investiert 10 000 Euro in US-Aktien. Da er
das Währungsrisiko nicht tragen möchte, plant er, die Position auf dem Niveau des aktuellen Wechselkurses (1,35
US-Dollar für einen Euro) abzusichern.
Dazu kauft er einen Call-Optionsschein
mit einem Basispreis von 1,35 US-Dollar. Dieser kostete mit einer Laufzeit bis
Dezember 2011 zuletzt umgerechnet
circa 0,07 US-Dollar; dieser Kaufpreis
ist in etwa vergleichbar mit einer Ver­
sicherungsprämie. Erleidet der Green-
Eine überlegenswerte Alternative sind
auch Open-End-Turbos, deren Anlagechancen ebenso wie bei Optionsscheinen in einem starken Hebeleffekt liegen. Selbst bei kleineren Wechselkursveränderungen sind auf diese Weise
hohe Gewinne möglich, umgekehrt allerdings auch genauso starke Verluste,
wenn sich der Wechselkurs entgegen
der erwarteten Richtung entwickelt.
Im Unterschied zu Optionsscheinen
sind Turbos nicht mit einer festen Laufzeit ausgestattet. Dadurch entfällt die
für Laien oftmals nur schwer nachvollziehbare Preisfindung aus innerem
Wert, Zeitwert und Optionswert. Turbos gibt es sowohl in einer Long-Variante, die auf steigende Kurse setzt, als
auch in einer Short-Variante, mit der
Anleger auf sinkende Kurse spekulieren können. Jeder Turbo verfügt über
eine Stop-Loss-Schwelle, bei deren
­Unter- beziehungsweise Überschreiten
das Papier „ausgestoppt“ wird. Auf diese Weise wird verhindert, dass der Wert
bei einer gegenläufigen Kursentwicklung ins Negative rutscht, sodass das
Verlustrisiko auf den Kapitaleinsatz
­beschränkt ist. Turbozertifikate ermöglichen es, auf einfache Weise von Währungsschwankungen zu profitieren.
Der Anleger sollte sich aber zuvor eine
klare Marktmeinung gebildet und die
Produkte verstanden haben.
*Sebastian Bleser ist Zertifikate-Experte
bei der Société Générale
Von Frank Haak*
D
as Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Deutschlands wuchs 2010 um
3,6 %. Grund dafür ist vor allem, dass 2010 gerade die Exporte von
einem sehr niedrigen Niveau ausgehend rasant zunahmen und sich positiv auf die Wirtschaftsleistung auswirkten. Auch die Auslastung der Produktionskapazitäten normalisierte sich im
vergangenen Jahr, daher wird die deutsche Industrie 2011 vermutlich kräftig
investieren. Gleichzeitig begann 2010
auch die Erholung auf dem Arbeitsmarkt, die sich über den Jahreswechsel
hinaus weiter fortsetzte.
Steigende Beschäftigung und zunehmende Arbeitszeit werden sich 2011
voraussichtlich positiv auf die Höhe
der Einkommen der deutschen Privathaushalte auswirken. Nach Meinung
der Experten der WestLB dürfte der
private Konsum daher im laufenden
Jahr um 1,5 % zunehmen und den Aufschwung stützen. Dank des relativ
schwachen Euro und einer sich in den
Vereinigten Staaten erholenden Wirtschaft bleiben die Exportchancen gut.
Die Experten der WestLB erwarten
­daher für 2011 eine Steigerung des BIP
der Bundesrepublik Deutschland in
Höhe von 2,8 %. Für den Dax sehen sie
ein Zwischenziel von bis zu 8 400 Punkten und beim Euro Stoxx 50 von gut
3 000 Punkten. Das Jahresendziel liegt
für den Dax bei 7 600 Punkten und für
den Euro Stoxx 50 bei 2 900 Punkten.
Seit vergangenem Herbst wurden
Aktien zunehmend zur favorisierten
Assetklasse. Der Trend dürfte sich in
diesem Jahr verstärken. Besonders Aktien mit sicheren Dividendenzahlungen stehen dabei im Vordergrund, weil
sie attraktive Chancen bieten. Nach
Ansicht der Analysten der WestLB werden die Dividendenzahlungen in die-
sem Jahr eher noch zulegen. Im Vergleich zum Vorjahr rechnen sie für die
im Dax gelisteten Unternehmen mit
­einem Anstieg der Ausschüttungen an
die Anteilseigner um 5,4 Mrd. Euro auf
insgesamt 25,3 Mrd. Euro in diesem
Jahr. Dies kommt einer Steigerung von
rund 27 % und einer erwarteten Dividendenrendite von durchschnittlich
3,3 % gleich.
Der Grund: Bei steigenden Unternehmensgewinnen erfolgen Anpassungen bei den Dividendenzahlungen
erst mit einigen Monaten Verzögerung.
Mit Aktieninvestments ließen sich in
„Mit Aktieninvestments
ließen sich in den vergangenen Jahren – mit
Ausnahme von 2008 – dank
langfristig kontinuierlich
gestiegener Aktienmärkte
hohe Renditen erzielen.“
den vergangenen Jahren – mit Ausnahme zum Beispiel vom Jahr 2008 – dank
langfristig kontinuierlich gestiegener
Aktienmärkte hohe Renditen erzielen.
Die zwischenzeitlich sehr hohe Volatilität führte jedoch bei vielen Investoren
zu Verunsicherung. Mit Zertifikaten
können Anleger in steigenden, aber
auch in seitwärts tendierenden oder
gar fallenden Märkten Gewinne erwirtschaften. So bieten viele Zertifikate
zum Beispiel einen partiellen oder
vollständigen Kapitalschutz oder Mindestrenditen. Einige Zertifikatetypen
können indes auch als Renditeturbo
eingesetzt werden.
Für Börsenoptimisten, die ähnlich
wie die Experten der WestLB in den
nächsten Monaten einen weiter steigenden Euro Stoxx 50 erwarten, eignen
sich Outperformance-Zertifikate mit
kurzen Laufzeiten.
Mit diesen Papieren partizipieren
Anleger an der positiven Entwicklung
des Index, und dies überproportional
mit einem Faktor von zum Beispiel 1,8.
Das heißt, dass jeder Prozentpunkt,
den der Euro Stoxx 50 zulegt, Anlegern
eine Rendite von 1,8 Prozentpunkten
beschert. Anleger, die weiter an die
­Exportstärke der deutschen Unternehmen glauben, können zum Beispiel in
das Deutsche-Weltmeister-Active-Zertifikat (WLB8XZ) investieren. Mit diesem Papier partizipieren Anleger eins
zu eins an der Wertentwicklung von
zehn anfänglich gleich gewichteten
Aktien deutscher Unternehmen, die
Weltmarktführer in ihrer jeweiligen
Sparte sind. Daraus ergibt sich ein
Portfolio, das diversifiziert ist über
­unterschiedliche Branchen, Regionen
und Börsensegmente.
Als Alternative bieten sich für
eher pessimistisch eingestellte Anleger ­Capped-Bonus-Zertifikate an. Die­
se Produkte, etwa die WKN WLZ2MR,
verfügen zwar über keinen Kapitalschutz, jedoch über große Sicherheitspuffer zum Schutz vor Kursrücksetzern. Gleichzeitig partizipieren Anleger
bei Kursanstiegen jedoch nur bis zum
Bonuslevel (Cap).
Bereits diese kleine Auswahl aus
dem großen Anlage-Universum der
Zer­tifikate zeigt, dass Zertifikate durch
ihre flexiblen Ausgestaltungsmöglichkeiten nicht nur für jeden Anlegertyp,
sondern auch für jede Marktlage das
passende Produkt bereithalten.
*Frank Haak ist
Direktor bei der WestLB
16 Finanzen & Börse
März
2011
WirtschaftsKurier
Gute Aussichten für „Betongold“
Immobilienanlagen | Der Wohnungsmarkt zeigt moderaten Aufwärtstrend
des Anleiheinvestments in einem Wertpapier und schützt vor dem Total­
verlust. Gegenüber Anlageformen wie
Fest- oder Tagesgeld, Staatsanleihen
oder Pfandbriefen ist sie höher verzinst
und in der Regel börsenhandelbar, wodurch der Anleger in seiner Liquidität
flexibel bleibt. Im Vergleich zu Aktien
zeichnet sich das Wertpapier durch
eine konstante Kursentwicklung mit
geringer Volatilität aus.
von Pino Sergio*
D
er deutsche Immobilienmarkt
hat in den vergangenen Monaten gezeigt, welche Wachstumspotenziale – gerade im Wohnbereich – in ihm stecken: Die Preise für
Wohnimmobilien in Deutschland sind
einer Umfrage des Verbands deutscher
Pfandbriefbanken zufolge Ende 2010
so stark gestiegen wie seit rund zwei
Jahren nicht mehr. Selbst genutzte Eigenheime und Eigentumswohnungen
kosteten im vierten Quartal 2010 1,5 %
mehr als vor Jahresfrist. Vor dem Hintergrund der günstigen Entwicklung
des Arbeitsmarkts wird auch für 2011
ein weiterer moderater Preisanstieg erwartet.
Seit vielen Jahren entwickelt sich der
deutsche Wohnungsmarkt stabil und
ist im Vergleich zu vielen anderen Ländern frei von Übertreibungen. Nicht
nur die Kaufpreise, auch die Wohnungsmieten stiegen: Nach der letzten Quartalserhebung der Marktforschungsgesellschaft empirica sind in
jedem dritten Kreis die Mieten in den
vergangenen fünf Jahren stärker ge­
stiegen als der Preisindex der Lebens­
haltung. Immobilien gelten daher als
beliebter ­Inflationsschutz. Weitere derzeit boomende Immobilienkategorien
in Deutschland sind zudem Einzelhandelsimmobilien und Hotels der Businessklasse.
Doch wie können Kapitalanleger
mittel- bis langfristig von dieser Entwicklung profitieren? Wo liegen Chancen und Risiken der verschiedenen
Immobilieninvestitionen? Klar ist: Investments in Immobilien – direkt oder
indirekt – haben ihre Tücken. Vor allem Investments in offene Immobilienfonds, die jahrzehntelang als sicherer Hafen für Anleger galten, hatten
durch Schließungen der Anteilsrückgabe zuletzt stark eingebüßt.
Neues Gesetz – alte Probleme?
Das nun im Februar im Bundestag verabschiedete neue Anlegerschutzgesetz
tritt erst 2012 in Kraft und muss noch
den Bundesrat passieren. Vorgesehen
ist demnach eine zweijährige Mindesthaltefrist für neue Anleger. Pro Halbjahr dürfen Privatanleger aber Anteile
bis zu einer Höhe von 30 000 Euro
­zurückgeben. Akute Probleme einiger
großer Fonds und ihrer Anleger sind
damit nicht gelöst: 22 Mrd. Euro in acht
Investitionen in Hotels
Bilderbuch-Idyll: Die Preise für Wohn­
immobilien werden wohl auch im Jahr 2011
weiter steigen – davon können die Anleger
profitieren. Doch Immobilien­investments
haben so ihre Tücken.
großen Immobilienfonds sind derzeit
eingefroren und Anleger kommen nicht
an ihre Gelder. Weitere drei Fonds mit
einem Volumen von etwa 3 Mrd. Euro
befinden sich bereits nach zweijähriger
Schließung in Abwicklung.
Vielen Emittenten wird zu schaffen
machen, dass die Fremdfinanzierungsquote der Fonds ab 2014 nicht mehr
höher als 30 % sein wird. Zwangsweise
werden alternative immobilienbasierte Anlageprodukte dadurch wichtiger.
Im Gegensatz zu den offenen stehen
die geschlossenen Immobilienfonds
deutlich besser da. Sie berücksichtigen
derzeit mehr das Sicherheitsverlangen
der Deutschen und erfreuen den Anleger mit Ausschüttungen von zum Teil
bis zu 6 %. Das börsenunabhängige
Immobilienanlagemodell punktet vor
allem mit relativ niedrigem Kapitaleinsatz (ab 5 000 Euro), überschaubarem
Risiko und hoher Rendite. Der Nachteil: Das Geld ist in der Regel langfristig
angelegt und der Anlagehorizont beträgt meist zehn, 20 oder gar 30 Jahre.
Doch auch hier ist der Gesetzgeber
nicht untätig und plant weitere Einschränkungen vor allem in steuerrechtlicher Sicht. Positiv zu bewerten in diesem Zusammenhang: Eine neue EURichtlinie, die eine Zulassungs- und
Aufsichtspflicht der Anbieter geschlossener Fonds verlangt, muss bis Ende
2013 in nationales Recht umgesetzt
werden und schafft Zuverlässigkeit.
Immobilienaktien sind ein weiteres
Anlageinstrument. Sie bieten gegenüber den geschlossenen Fonds eine
quasi tägliche Verfügbarkeit und sogar
noch größere Gewinnmöglichkeiten.
Aber zugleich bergen sie auch ein
deutlich höheres Risiko – im Worst-Case-Szenario muss man Kursabstürze
oder sogar den Totalverlust einkalkulieren. Daher bieten sich andere mittelbare Anlagemodelle im Immobi­
lienbereich an, zum Beispiel Pfandbriefe, Genussscheine, Verbriefungen
und Hypothekenanleihen. Letztere
sind festverzinsliche Wertpapiere, die
von einem Immobilienunternehmen
als Unternehmensanleihe emittiert
werden und bei denen die Anleger im
Vergleich zur herkömmlichen Unternehmensanleihe zusätzlich mit den
der Anleihe unterliegenden Immobilienwerten abgesichert werden.
Hypothekenanleihen bieten insbesondere im Fall der erstrangigen Besicherung der Anleger eine vergleichsweise hohe Besicherung. Dies wird
durch Grundpfandrechte – in der Regel durch Grundschulden – an realen
Immobilien gewährleistet, durch die
der Anleger im Ernstfall im ersten
Rang, also vor allen anderen Gläubigern, über einen Treuhänder den Zugriff hat. Nicht investierte Barmittel
werden auf Sonderkonten gesichert.
Die Anlageform bündelt somit die
Vorteile der Immobilienanlage und
Die WGF Finanzgruppe nutzt, durch
Hypothekenanleihen bankenunabhängig finanziert, attraktive Immobilieninvestmentchancen, steigert Objektwerte
und Mieten durch umfassendes Immobilienmanagement und veräußert
die Gebäude später gewinnbringend.
Neben wohnungswirtschaftlichen Immobilien investiert sie bundesweit in
gewerbliche Immobilien, insbesondere in Business-Class-Hotels und Einzelhandelsimmobilien.
Die Gesellschaft bietet drei Anleihevarianten für verschiedene Anlegergruppen. Versicherungen, Versorgungskassen, Stiftungen und Banken
können ihr Sicherungsvermögen bereichern, da die Papiere die Voraussetzungen nach Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) erfüllen. Die siebte An­
leihe der WGF AG im Volumen von
100 Mio. Euro mit einer jährlichen
Festverzinsung von 5,35 % und viereinhalb Jahren Laufzeit ist seit Oktober
2010 auf dem Markt.
Über das RealWertPlus-Programm,
das die Immobilienfinanzierung innerhalb eines Joint Ventures durch die
WGF sicherstellt, können auch Dritte,
zum Beispiel Mittelständler und Kommunen, ihre Immobilienfinanzierung
über Hypothekenanleihen bankunabhängig realisieren.
Neben Hypothekenanleihen bietet
das Immobilieninvestmenthaus weitere immobilienbasierte Anlageformen,
darunter geschlossene Immobilienfonds über ihre Tochtergesellschaft deboka Deutsche Grund & Boden Kapital
AG, Genussrechte, institutionelle Anleihen sowie hypothekarisch besicherte Unternehmensdarlehen. Für 2011 ist
die Gründung einer Immobilien-KAG
geplant, die Immobilien-Spezialfonds
auflegt.
*Pino Sergio ist
Vorstandsvorsitzender der WGF
Wissenslücke mit Folgen
Baufinanzierung | Die Zinsen steigen – der Beratungsbedarf auch
Von Peter Haueisen*
N
och sind die Bauzinsen relativ
niedrig und lassen so manchen Traum von den eigenen
vier Wänden wahr werden. Wichtiger
als Tiefstzinsen sind bei der Eigenheimfinanzierung eine lange Zinsbindung und individuelle Beratung – zumal die Zinsen inzwischen wieder
steigen.
Zinsgarantien bis zu
einem Vierteljahrhundert
Wer ein Eigenheim finanziert, sollte
das aktuell noch niedrige Zinsniveau
nutzen und sich langfristig attraktive
Konditionen sichern. Einige Unter­
nehmen bieten Zinsgarantien bis zu 25
Jahre. Diese langen Laufzeiten kennen
allerdings nur wenige angehende Immobilienbesitzer, so das Ergebnis einer
Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa. Zwar ist es für neun von
zehn Bauherren beim Abschluss einer
Immobilienfinanzierung wichtiger,
sich einen durchschnittlich niedrigen
Zinssatz für einen längeren Zeitraum
zu sichern als kurzlaufend den niedrigsten Zinssatz am Markt. Doch über
welchen Zeitraum eine solche Garantie tatsächlich zu haben ist, weiß nur
jeder Fünfte – eine Wissenslücke mit
Folgen.
paket, das auf die eigenen
Bedürfnisse und die jeweilige Lebenssituation
passgenau zugeschnitten
ist, in jedem Fall.
Gerade bei der Baufinanzierung
können Halbwissen und Wissenslücken teuer zu stehen kommen. Auch
steuerliche Bedingungen und staat­
liche Fördermittel sind für Laien häufig schwer zu durchschauen. Wer im
Finanzierungsdschungel nicht
den Überblick verlieren,
sondern das persönlich am besten ge­
eignete Finanzierungskonzept finden
möch­te, kommt kaum
noch ohne Experten
aus. Bei der für die
meisten Menschen wichtigsten und
größten Kaufentscheidung ihres Lebens zahlt sich der Sachverstand eines
Finanzierungsexperten in barer Münze aus und bietet Sicherheit und Sorgenfreiheit.
Absicherung
der Familie
Das Eigenheim steht bei
vielen ganz oben auf
der Wunschliste. Doch die
wichtigen Eckpunkte bei
der Finanzierung kennen
nur die wenigsten.
Nachfrage nach
Expertenrat steigt
Das ist künftigen Eigenheimbesitzern
durchaus bewusst. Denn in den vergangenen Jahren hat der Beratungs­
bedarf bei der Immobilienfinanzierung
deutlich zugenommen: Während laut
forsa-Studie nur gut die Hälfte der heutigen Immobilienbesitzer einstmals
beim Kauf ihres Eigenheims die Beratung eines Experten eingeholt hat,
möchten sich heute bereits drei Viertel
der Immobilienplaner fachkundig zur
Baufinanzierung beraten lassen.
Für zwei Drittel der künftigen Immobilienbesitzer ist eine maßgeschneiderte Eigenheimfinanzierung zudem wichtiger als der jeweils niedrigste Zinssatz
am Markt. Denn wer gemeinsam mit
einem Berater vorausschauend plant,
für den rechnet sich ein Finanzierungs-
„Gerade bei der
Baufinanzierung können
Halbwissen und
Wissenslücken teuer zu
stehen kommen.“
Dementsprechend wünschen sich laut forsa-Studie die Befragten mehrheitlich eine Beratung,
die auch die Absicherung
der Immobilienfinanzierung und der Familie – etwa bei Arbeitslosigkeit, Umzug aus beruflichen
Gründen, Unfall oder Tod des Hauptverdieners – umfasst. Zudem werden
die eigenen vier Wände sehr häufig als
Baustein für die private Altersvorsorge
eingeplant. In diesem Fall empfiehlt es
sich, die einzelnen Bausteine integriert,
also von einem Anbieter, zu beziehen.
Die Allianz zum Beispiel bietet neben einer kompletten Produktpalette
zur Altersvorsorge auch die Immobi­
lienfinanzierung an. Auf dieser Basis
kann ein Finanzierungsexperte in der
Beratung auf die individuellen Bedürfnisse eines jeden Eigenheimplaners
pass­genau eingehen. Besonderen Wert
auf eine individuelle Beratung legen
Menschen im Alter zwischen 25 und
45 Jahren.
Im Vorfeld eines Immobilienkaufs
recherchiert ein Großteil der künf­
tigen Darlehensnehmer umfassend.
Dennoch fühlen sich viele Immobilienplaner oft nicht ausreichend informiert. Jedem dritten Befragten fehlen
gemäß forsa-Umfrage beispielsweise
Informationen zum Wohn-Riester.
Dabei würde etwa die Hälfte aller Baufinanzierer die staatliche Fördermöglichkeit, die sich aus Riester-Zulagen
und Steuervorteilen zusammensetzt,
gern nutzen. Allerdings weiß nur jeder Zehnte, wie viel Geld sich mit der
Wohn-Riester-Förderung überhaupt
sparen lässt. So kann nicht nur eine
vierköpfige Familie mit einem RiesterDarlehen bis zu 50 000 Euro sparen.
Auch für Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen und niedrigem Zulagenanspruch, zum Beispiel
für kinderlose Doppelverdiener oder
Singles, kann sich – unter steuerlichen
Aspekten – ein Riester-Darlehen ähnlich gut rechnen.
Diese finanziellen Vorteile erschließen sich vielen Kreditnehmern nicht
von selbst. Eine umfassende und kompetente Beratung kann auch diese Wissenslücken schließen.
*Peter Haueisen
ist Leiter Baufinanzierung
bei Allianz Leben
WirtschaftsKurier
Energie & Effizienz
Ruhe vor dem Sturm?
Klarer Standpunkt
Unverzichtbare Halbleiter
Lizenz zum Sparen
Windkraft | Wegen der Finanzkrise wurde der
Bau vieler Anlagen auf dieses Jahr verschoben.
Auch im Repowering steckt viel Potenzial. Seite 18
Windkraft | H. Bünting, Geschäftsführer von
RWE Innogy, spricht Klartext: Wer die Erneuerbaren
will, muss die Konsequenzen akzeptieren. Seite 19
windkraft | Arunjai Mittal, Chef der Industrie­
sparte bei Infineon, erklärt, welche Rolle Chips in
der regenerativen Stromerzeugung spielen.Seite 19
Zertifizierte Effizienz: TÜV Süd implementiert der­
zeit beim Chemiehersteller Innospec in Leuna ein
modernes Energiemanagementsystem. Seite 20
März
2011
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Auf zu neuen Ufern
Versorger | E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW suchen Alternativen zum schwierigen deutschen Markt
von klaus g. wertel
D
as Zerrbild vom „Oligopol der
vier großen Energiekonzerne,
die den deutschen Markt be­
herrschen“, ist ausgesprochen beliebt
und wird sich wohl noch lang halten.
Doch im wirklichen Leben sind E.ON,
RWE, EnBW und Vattenfall längst
auf der Suche nach Alternativen zu
dem zunehmend teurer und schwie­
riger werdenden Energiegeschäft in
Deutschland. Vor dem Hintergrund
immer neuer Steuern und Abgaben so­
wie im Inland kaum noch durchsetz­
barer Kraftwerksprojekte zeichnen sich
vor allem drei Trends ab:
■■ verstärkte Engagements in Auslands­
märkten,
■■ Trennung von überregulierten Berei­
chen bis hin zum Verkauf oder zur
Still­legung unrentabler Anlagen,
■■ Erschließung neuer, weniger regle­
mentierter Geschäftsfelder.
Besonders ambitioniert geht der
deutsche Branchen-Primus E.ON (Jah­
resumsatz 2009: 81 Mrd. Euro) an den
Umbau: „Vom europäischen Energie­
versorger zum globalen, spezialisierten
Anbieter für Energielösungen“ – so be­
schreibt der E.ON-Vorstandsvorsitzen­
de Johannes Teyssen das Ziel der neu­
en Strategie. Teyssen nennt sogar Eck­
werte: Der Anteil der außereuropäi­
schen Umsätze soll von derzeit 5 % auf
25 % im Jahr 2020 verfünffacht werden.
Die Zahl der „Marktregionen“, in de­
nen E.ON außerhalb Europas tätig ist,
soll von bislang zwei – Nordamerika
und Russland – auf vier steigen. Eine
Entscheidung für die neuen „Zielregio­
nen“ soll noch im Frühjahr 2011 fallen:
Wahrscheinlich werden dies China/In­
dien und Brasilien sein.
Bei den „Energielösungen“, die E.ON
E.ON-Chef Johannes Teyssen will
sein Unternehmen vom „europäischen Energieversorger zum
globalen, spezialisierten
Anbieter für Energielösungen“
umbauen. Foto: E.ON
anbieten will, werden wohl Kraftwerke
und Anlagen der erneuerbaren Energi­
en die Schwerpunkte bilden. Der Kon­
zern mit Sitz in Düsseldorf will dabei
sehr auf eine dauerhaft solide Wirt­
schaftlichkeit der Projekte achten. Dies
gelte für den Bau, noch mehr aber für
den Betrieb von Anlagen. In der Ver­
gangenheit musste E.ON gelegentlich
erhebliches Lehrgeld für nicht profi­
table Auslandsinvestitionen bezahlen.
Auch künftig werden sich die Düssel­
dorfer aber wohl nicht jedem Abenteu­
er entziehen können: So zählt E.ON zu
den Gründungsmitgliedern des Saha­
rastrom-Projekts Desertec.
Keine Scheu vor Kooperationen
mit der Konkurrenz
Expandieren will E.ON auch in Europa – zumindest dort, wo die „rechtli­
chen Rahmenbedingungen verläss­
lich“ sind und „Wirtschaftlichkeit gege­
ben“ ist. Dabei scheut sich E.ON auch
nicht vor Kooperationen mit Konkur­
renten: So bewerben sich die Düssel­
dorfer beispielsweise gemeinsam mit
dem deutschen Branchen-Zweiten
RWE (Jahresumsatz 2009: 48 Mrd.
Euro) um Aufträge für den Bau neuer
Kernkraftwerke in Großbritannien. In
Frankreich bezieht E.ON inzwischen
Strom aus EDF-Kernkraftwerken. So­
gar Sondierungen über eine mögliche
Mitfinanzierung neuer Kernkraftwerke
in Frankreich durch den deutschen
Energiekon­zern hat es schon gegeben.
Finanzieren will E.ON-Chef Teyssen
die neuen Auslandsinvestitionen nicht
nur, aber auch durch den Verkauf
von nicht oder nicht mehr rentablen
Be­teiligungen und Anlagen – im Inund Ausland: Für die Jahre 2011 bis
2013 nannte Teyssen ein Erlösziel von
15 Mrd. Euro aus „Desinvestitionen“.
Einen Katalog der zum Verkauf stehen­
den E.ON-Anlagen und -Beteiligungen
gibt es bislang noch nicht.
Erdgasprojekte im Zeichen
der Unabhängigkeit
Die – nach Umsatz – deutlich kleinere
RWE AG strebt ebenfalls nach neuen
Ufern, insbesondere aber nach einer
Erweiterung des Geschäftsmodells um
neue, zukunftsfähige Geschäftsfelder:
So beteiligen sich die Essener an dem
Erdgas-Pipelineprojekt Nabucco.
Durch diese Leitung soll dereinst Erd­
gas aus der Region am Kaspischen
Meer – an Russland vorbei – nach Eu­
ropa geliefert werden. In Ägypten in­
vestiert das Tochterunternehmen RWE
Dea rund 3,6 Mrd. US-Dollar in neue
Erdgasförderanlagen. RWE hofft, mit
beiden Engagements zu einem ei­
genständigen Erdgasimporteur und
-händ­ler aufsteigen zu können – und
unabhängig von der russischen Gaz­
prom und anderen Vorlieferanten zu
werden.
Einen Ausgleich für den in Deutsch­
land kaum noch möglichen Bau kon­
ventioneller Erzeugungsanlagen findet
RWE vor allem in den neuen EU-Mit­
gliedsländern Ost- und Südosteuropas,
aber beispielsweise auch in der Türkei:
So hat RWE erst unlängst mit dem tür­
kischen Unternehmen Turcas Petrol
ein Joint Venture geschlossen und den
Bau eines großen Gaskraftwerks mit ei­
ner Kapazität von 775 Megawatt im
südwesttürkischen Denizli vereinbart.
Vergleichsweise bescheidene Bröt­
chen backen die beiden kleinen unter
den vier großen Energieunternehmen
im Ausland: Die EnBW (Jahresumsatz
2010: 17,5 Mrd. Euro) beschränkt sich
auf wenige ausgewählte Auslands­
märkte: auf die Schweiz, Tschechien,
Polen, Ungarn und die Türkei. Und bei
Vattenfall Europe (Jahresumsatz 2009:
14 Mrd. Euro) – der deutschen Tochter
des schwedischen Staatskonzerns Vat­
tenfall AB – hat derzeit die Konsolidie­
rung Vorrang vor ehrgeizigen Invest­
ments. Die schwedische Mutter soll so­
gar einen Teilrückzug aus einzelnen
Auslandsmärkten und eine „Konzen­
tration“ der Geschäftstätigkeit auf
Schweden, Deutschland und die Nie­
derlande erwägen.
Neuorientierung geht
zu Lasten Deutschlands
Wie sehr die Neuorientierung der gro­
ßen Energieunternehmen zulasten
deren Engagements in Deutschland
gehen kann, zeigt besonders deutlich
ein Blick auf die Änderungen der Ei­
gentümerstruktur des Stromtransport­
netzes in Deutschland: Knapp zwei
Drittel der rund 35 000 Kilometer
deutscher Strom-Fernleitungen wur­
den in den vergangenen 16 Monaten
an ausländische Netzbetreiber ver­
kauft. E.ON veräußerte im November
2009 ihr 10 700 Kilometer messendes
Höchstspannungsnetzes für 1,1 Mrd.
Euro an den staatlichen niederländi­
schen Netzbetreiber Tennet B. V. Vat­
tenfall Europe folgte diesem Beispiel
im März 2010: Das 9 500 Kilometer
umfassende deutsche Vattenfall-Fern­
übertragungsnetz ging für 810 Mio.
Euro an ein Konsortium des belgi­
schen Netzbetreibers Elia System
Operator SA (60 %) mit dem australi­
schen Investmentfonds IMF – Indus­
try Funds Management (40 %).
E.ON und Vattenfall reagierten mit
dem Verkauf ihrer Fernübertragungs­
netze vor allem auf die finanzielle Zan­
genbewegung aus einer seit 2005
mehrfachen von der Bundesnetzagen­
tur verfügten Absenkung der zulässi­
gen Netzentgelte und den – wegen des
Ausbaus der Windenergie – immer hö­
heren Lasten des Netzbetriebs und der
Bereitstellung von Schattenkraftwer­
ken für windarme Phasen. Dass die
Bundesnetzagentur inzwischen ihren
restriktiven Kurs korrigiert und für
2010 erstmals wieder eine Erhöhung
der Netzentgelte um bis zu 30 % geneh­
migte, kam für die Verkaufsentschei­
dung von E.ON und Vattenfall zu spät.
Netzverkauf hat ungewollte
Nebenwirkungen
Eine Nebenwirkung dieses Netzver­
kaufs: Über den so dringenden Aus­
bau, einschließlich der Kostenträger­
schaft, der Netzkapazitäten zwischen
den neuen Erzeugungsschwerpunkten
an und vor den Küsten der Nord- und
Ostsee mit den Verbrauchsregionen in
West- und Süddeutschland müssen
deutsche Behörden und Politiker nun
in Holland und Belgien mit den neuen
Eigentümern der früheren E.ON- und
Vattenfall-Netze verhandeln. Der Bun­
desverband der Energie- und Wasser­
wirtschaft (BDWE) schätzt den not­
wendigen Investitionsbedarf in die
deutschen Netze und in zusätzliche
Reservekraftwerke für den Ausgleich
des schwankenden Windkraftstroms
allein für die Zeit bis 2020 auf 40 Mrd.
Euro.
Im Gegensatz zu E.ON und Vatten­
fall wollen die beiden anderen des
Quartetts der großen Vier – RWE und
EnBW – ihre Netze weiter selbst be­
treiben und am Konzept des „vertikal
integrierten Energiekonzerns“ festhal­
ten. Der Hauptgrund: Sowohl das
Netz der RWE-Tochter Amprion
(11 300 Kilometer) als auch das Netz
der EnBW-Transportnetze (3 500 Kilo­
meter) liegen weitab der Küsten und
der großen Onshore- und OffshoreWindenergieparks. Insofern halten
sich bei RWE und EnBW auch die
­Kosten für den Netzausbau und die
Bereitstellung von „Regelenergie“ in
Grenzen. Und: Die Kehrtwende der
Bundesnetzagentur zugunsten wieder
steigender Netzentgelte verspricht ei­
nen auch wirtschaftlich auskömmli­
chen Netzbetrieb.
Die Zukunft
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18 Windkraft
Energie & Effizienz
März
2011
WirtschaftsKurier
Laues Lüftchen vor dem Sturm
Deutsche Windindustrie | Nachdem der Onshore-Markt 2010 eingebrochen ist, wurde der Bau vieler Anlagen auf das laufende Jahr verschoben
von ulrich hottelet
D
ie deutsche Windindustrie hat
im vergangenen Jahr auf ih­
rem Heimatmarkt nicht die
angestrebten Wachstumszahlen er­
zielt. „Die Prognose für 2011 ist einge­
färbt durch die ernüchternde derzeiti­
ge Situation“, sagte der Präsident des
Bundesverbands Windenergie (BWE),
Hermann Albers.
Die deutsche Windindustrie konnte
2010 den aus dem Vorjahr prognosti­
zierten Wert von rund 1 900 Megawatt
nicht erreichen. Allerdings ist 2009 im
Vergleich zu den vorangegangenen Jah­
ren ein sehr gutes gewesen. Nach Erhe­
bungen des Deutschen WindenergieInstituts (DEWI) wurden 2010 nur 754
neue Windkraftanlagen mit einer Leis­
tung von 1 551 Megawatt neu installiert.
Dies gaben der BWE und der Verband
Deutscher Maschinen- und Anlagen­
bau (VDMA Power Systems) Ende Ja­
nuar bekannt. Im Vergleich zu 2009
mit 1 917 Megawatt bedeutet das einen
Rückgang von 19 %. Ende 2010 drehten
sich in Deutschland 21 607 Windräder
mit einer Gesamtleistung von 27 214
Megawatt. „Der deutsche Markt befin­
det sich damit wieder auf dem Niveau
von 1999. Grund für den Einbruch des
Onshore-Markts sind Finanzierungs­
probleme für Großprojekte wegen der
Finanzkrise, Unsicherheiten bei Netz­
anforderungen an Windenergieanla­
gen, ein langer Winter im Vorjahr und
der frühe Beginn dieses Winters“, sagte
Thorsten Herdan, Geschäftsführer von
VDMA Power Systems, bei der Vorstel­
lung der Jahresbilanz. „Wegen der Fi­
nanzierungsprobleme wurde der Bau
vieler Anlagen auf 2011 verschoben“, so
Albers. „Hinzu kommt, dass trotz neuer
Flächenausweisungen in einigen Bun­
desländern die Räume für Neuanlagen
weiter beschnitten werden. Abstands­
regelungen und Höhenbegrenzungen
verhindern einen effizienten Ausbau
der Windenergie an Land.“ Zudem er­
schwere ein laut Windindexwert schwä­
cher gewordener Wind die Finanzie­
rung von Investitionen. In Süddeutsch­
land ist die Nabenhöhe der Windräder
„Abstandsregelungen
und Höhenbegrenzungen
verhindern einen
effizienten Ausbau der
Windenergie an Land.“
Hermann Albers, Präsident des
Bundesverbands Windenergie (BWE)
wegen des schwächeren Winds höher
als im stürmischeren Norden. Die
durch­schnittliche Nabenhöhe auf dem
Festland beträgt 100 bis 120 Meter.
Im Repowering schlummert Potenzial
Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr
gab es dagegen beim Austausch alter
gegen neue und leistungsstärkere An­
lagen, dem sogenannten Repowering.
Dadurch kann die Leistung verdreibis versechsfacht werden. Nach den
­DEWI-Erhebungen konnten vergange­
nes Jahr 116 Windenergieanlagen mit
einer Leistung von zusammen 56 Me­
gawatt durch 80 Windkraftanlagen mit
zusammen 183 Megawatt ersetzt wer­
den. „Im Repowering schlummert im­
mer noch ein immenses Potenzial.
Spätestens im Jahr 2015 werden über
9 500 Windenergieanlagen repowering­
fähig sein“, gab sich Albers überzeugt.
„Das löst Investitionen in Höhe von
40 Mrd. Euro aus.“
Auch die Windenergie auf hoher See
übertraf die Installationszahlen des
Vor­jahrs. Im Jahr zwei des deutschen
Offshore-Markts konnten in den Pro­
jekten Baltic 1 und Bard 1 zusammen
108 Megawatt neu errichtet werden.
„Die erwarteten Zubauten von 150
Megawatt wurden zwar nicht erreicht,
die 100-Megawatt-Schwelle ist aber
endlich durchbrochen. Hier muss man
einfach sehen, dass Offshore eine neue
Technologie ist, ihre Entwicklung auch
Zeit kostet und das verfügbare Finanz­
volumen begrenzt ist. Für 2011 sind
300 Megawatt aufgrund des Fort­
schritts der Projekte wahrscheinlich“,
so Herdan.
Die Bundesländer mit dem höchsten
Anteil der Windenergie am Nettostrom­
verbrauch sind Sachsen-Anhalt, Meck­
lenburg-Vorpommern, Schleswig-Hol­
stein, Brandenburg und Niedersachsen.
Mit 52 % ist der Anteil in Sachsen-An­
halt so hoch, dass das Land zu einem
Stromexporteur geworden ist. Stetig
wachsende Bedeutung für die deutsche
Windindustrie kommt den Exportmärk­
ten zu. China, wo das „made in Germa­
ny“ einen sehr guten Ruf genieße, habe
2010 um 30 % zugelegt, teilte Herdan
mit. Während die Exporterfolge der Ori­
ginal Equipment Manufacturers in Chi­
na gering seien, sehe es bei den Zuliefe­
rern besser aus. Dagegen hat sich der
wichtige Exportmarkt USA mit 5 115
Megawatt halbiert. In Italien und Spani­
en seien leichte Rückgänge zu verzeich­
nen. Potenzial habe Osteuropa, die Tür­
kei und Südkorea. Der Weltmarkt habe
um 5 % bis 10 % abgenommen. Herdan
prognostiziert für 2011 eine Windleis­
tung von 40 Gigawatt weltweit.
Im Aufwind: Die deutsche Wind­
industrie ist nach einem ­schwachen
Jahr 2010 wieder auf Kurs. Die
­Branchenverbände wittern in den
Exportmärkten – insbesondere
in China – große Chancen. fotos: BWE
Politischer Konsens
Im Streit zwischen EU-Kommission
und Bundesregierung um die europa­
weite Harmonisierung der Förderins­
trumente erneuerbarer Energien ist es
Ende Januar zu einer Klärung gekom­
men. Die EU nahm nach der Kritik
von Umweltminister Norbert Röttgen
(CDU) von einer zeitnahen Harmoni­
sierung Abstand. „Dies kann nur ein
mittelfristiges Ziel sein“, hieß es in Kom­
missionskreisen. In einem von EUEnergiekommissar Günther Oettinger
vorgelegten Konzept ist nur noch von
einer stärkeren Konvergenz der natio­
nalen Fördersysteme die Rede. Die Ent­
scheidung darüber, wie die Gelder ver­
teilt werden, soll aber auch künftig in
den Händen der einzelnen Mitglieds­
staaten bleiben. Das Bundesumwelt­
ministerium und die Windenergiebran­
che begrüßten den Rückzieher Oettin­
gers. „Eine Harmonisierung hätte we­
niger erneuerbare Energien, weniger
Klimaschutz und weniger Wettbewerb
im Stromsektor nach sich gezogen.
­Darüber hinaus würde sie die Markt­
position Deutschlands im Bereich der
erneuerbaren Energien massiv ver­
schlechtern“, kommentierte Albers. Po­
sitiv sei vor allem, dass der Bundesum­
weltminister dies erkannt und den EUForderungen eine Absage erteilt habe.
Die Branche benötigt
Kontinuität und Verlässlichkeit
„Bei der anstehenden Novellierung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)
dürfen die Investitionsbedingungen am
Heimatmarkt nicht beschnitten, son­
dern der Binnenmarkt muss wieder
­gestärkt werden. Dazu sind Verunsi­
cherungen im Gesetzgebungsprozess
genauso zu vermeiden wie bei der
­Umsetzung von Netzanforderungen
an Windenergieanlagen“, so der BWEChef. Die Branche benötige Konti­
nuität, Stabilität und Verlässlichkeit.
Die Einspeisevergütung nach dem EEG
Windige Hotspots
Repowering
Windatlas Baden-Württemberg | Die Schwaben wissen, wo die Winde wehen
von philipp tröbinger
D
er schwäbische Pioniergeist hat
wieder zugeschlagen: Um die
Datengrundlage für die Wind­
energienutzung zu optimieren, gab das
baden-württembergische Wirtschafts­
ministerium die Erstellung eines Wind­
atlas beim TÜV Süd Industrie Service in
Auftrag. Die Ergebnisse stellen im Ver­
gleich zur bisherigen Datenlage sowohl
in qualitativer Hinsicht als auch in der
räumlichen Auflösung eine deutliche
Verbesserung dar. Das Projekt zielt auf
eine noch effizientere Ausbeutung des
Windpotenzials in Baden-Württemberg
ab und steht jedem Interessierten on­
line zur Verfügung. Die neuen Winddaten ermöglichen einen Quanten­
sprung in der regionalen Planung von
Windkraftanlagen.
„Mit der landesweiten Kartierung in
einer Auflösung von 250 Metern liegt
ein erstes zentrales Ergebnis der Wind­
potenzial-Analyse vor. Aufbauend da­
rauf werden die windstarken Regionen
nochmals genauer in einer Auflösung
von 50 Metern untersucht werden“, er­
klärte der baden-württembergische
Wirtschaftsminister Ernst Pfister. Da­
„Mit der landesweiten
Kartierung in einer
Auflösung von 250 Metern
liegt ein erstes zentrales
Ergebnis der
Windpotenzial-Analyse vor.“
Ernst Pfister,
Wirtschaftsminister Baden-Württemberg
Der Windatlas zielt auf eine noch
­effizientere Ausbeutung des Wind­
potenzials in Baden-Württemberg ab.
Die erstellte Datengrundlage vom TÜV
Süd Industrie Service ermöglicht einen
Quantensprung in der regionalen
Planung von Windkraftanlagen.
nannte er „auskömmlich“. Für die So­
larbranche hätte er sich eine geringere
Vergütung gewünscht. „Wir sind die
günstigste erneuerbare Energie“, beton­
te Albers und kritisierte das Energiekon­
zept der Bundesregierung, das kaum
Zuwachs für die Windenergie vorsehe.
mit wird der Fokus auf die windrei­
chen Regionen weiter geschärft. Der
Windatlas als fundierte Planungshilfe
für Regionen und Kommunen identi­
fiziert durch die exakte Analyse die
windhöffigsten Lagen. „Ein detaillier­
ter Blick auf die Karte zeigt, dass die
qualitativ besten Windkraftstandorte
in den Höhenlagen des Schwarzwalds
liegen“, erläuterte Walter Witzel, Lan­
desvorsitzender des Bundesverbands
Windenergie. Hierbei handle es sich
zwar um kleine Flächen, aber auf­
grund der hohen Windgeschwindig­
keiten seien an diesen „Hot Spots“
sehr starke Erträge an umweltfreund­
lich erzeugtem Strom möglich. „Das
bedeutet wenige Anlagen, aber hoher
Stromertrag“, so Witzel.
Der von den Experten des TÜV Süd
erstellte Windatlas für Baden-Würt­
temberg bezieht sich in der vorgeleg­
ten Version auf die Höhenlage von 100
Metern über dem Grund – auch für die
weiteren gängigen Nabenhöhen (80,
120 und 140 Meter) werden im nächs­
ten Schritt die Daten erfasst. In der
zweiten Projektphase sollen für die
­jeweiligen Regionen noch exaktere Be­
rechnungen vorgenommen werden.
Repowering heißt das Zauber­
wort: Im Ersatz von alten Wind­
kraftanlagen durch modernste
Technologie steckt enormes
Potenzial zur Effizienzsteige­
rung. Dabei werden Turbinen
in den Anlagen der ersten
Generation mit neueren und
effizienteren Antriebs­aggre­
gaten ausgetauscht. Mit die­
sem Erneuerungsprozess
wird die Nutzung der Stand­
orte optimiert, was schluss­
endlich einer Verdreifachung
des Ertrags verspricht – im
Zeitalter von Nachhaltigkeit
und Energieeffizienz eine
anzustrebende Formel. Re­
powering bedeutet: Halbie­
rung der Anlagenzahl, Ver­
doppelung der Leistung, drei­
facher Stromertrag, Halbe Um­
drehungszahl, Steigerung der
Volllaststunden und verbes­
serte Netzverträglichkeit. Nach
Angaben des Bundesverbands
WindEnergie entsteht durch Re­
powering im nächsten Jahrzehnt
ein potenzieller jährlicher Markt
von bis zu 1 000 Megawatt pht
März
Energie & Effizienz
2011
WirtschaftsKurier
Windkraft
19
Klartext zu den Konsequenzen
RWE Innogy | Mehr Erneuerbare bedeuten ein extrem schwankendes System
Stromverbindung zwischen Frank­
reich und Spanien wurde nach über
30 Jahren noch nicht endgültig zuge­
stimmt.
von hans bünting*
R
und 80 % der deutschen Strom­
erzeugung aus Erneuerbaren –
so die Vision der Bundesregie­
rung für das Jahr 2050. Das bedeutet
unter den gesetzten Prämissen eine
Verdreifachung der heutigen Erzeu­
gung auf Basis von Wind, Biomasse,
Sonne und Wasser. Das Konzept ba­
siert allerdings darauf, dass rund 20 %
Strom eingespart und 30 % importiert
werden. Diese Annahmen müssen
sich jedoch als realistisch und auch
technisch durchführbar erweisen.
Die Verdreifachung der Stromerzeu­
gung mit Erneuerbaren hingegen ist
realistisch. Deutschland könnte damit
beweisen, dass der Weg in eine CO2arme Energieversorgung möglich ist.
Aber dieser Weg ist nicht leicht. Er
braucht Zeit und man muss sich über
die Konsequenzen klar sein. Konkret
bedeutet das eine Umstellung von
­einem sicheren und planbaren auf
ein extrem schwankendes System der
Stromversorgung. Damit müssen wir
lernen umzugehen. Nicht nur die
Stromerzeuger und Netzbetreiber,
sondern jeder von uns. Wenn wir eine
Umstellung auf CO2-arme Technolo­
gien wollen, müssen wir auch zu den
Folgen stehen. Eine „Wasch mich, aber
mach mich nicht Nass“-Mentalität
wird uns scheitern lassen.
„Eine ,Wasch mich, aber
mach mich nicht
Nass‘-Mentalität wird uns
scheitern lassen.“
Widerstand gegen geplantes
Pumpspeicherkraftwerk
Hans Bünting, CFO RWE Innogy
2009 schon fast
200 Gefährdungstage
Die Leistung von Kohle-, Gas- und
Kernkraftwerken können wir entspre­
chend dem Verbrauch regeln und da­
mit zu jeder Zeit bedarfsgerecht Strom
bereitstellen. Wind und Sonne hinge­
gen scheren sich nicht um unseren
Bedarf, der Strom aus ihren Quellen
wird unabhängig davon erzeugt – oder
eben auch nicht. 27 000 Megawatt
Windkraft zu Lande stellen die deut­
schen Netzgesellschaften schon heute
vor große Aufgaben. Ein namhafter
Netzbetreiber berichtet für das Jahr
2009 von 197 Gefährdungstagen. An
solchen Tagen drückt so viel Wind
in das Netz, dass andere Kraftwerke
heruntergefahren werden müssen, um
einen „Blackout“ zu vermeiden. Im
­Januar 2008 schwankte die WindkraftErzeugung zwischen fast null bis zu
knapp 20 000 Megawatt. Zum Ver­
gleich: Der Bedarf einer mittelgroßen
Stadt mit 250 000 Einwohnern beträgt
rund 200 Megawatt Leistung. Die größ­
te Schwankung an einem Tag betrug
rund 14 000 Megawatt. Das entspricht
der Leistung von über zehn großen
Kohlekraftwerken. In den nächsten
Jahren werden neben Onshore-Wind­
parks auch riesige Offshore-Parks
von bis zu 1 000 Megawatt mit stark
schwankender Erzeugung hinzukom­
men. Mein eigenes Unternehmen
plant, rund 1 300 Megawatt in der
deutschen Nordsee zu bauen. Mit dem
Bau des ersten Parks starten wir be­
reits 2011.
Auch die Sonnenenergie, die vor
dem Hintergrund immer noch üppigs­
ter Fördersysteme massiv ausgebaut
wird, trägt zur Instabilität des Netzes
bei. Zwar sind Sonnenauf- und -unter­
gang leichter einzuschätzen als Wind­
stärken, aber schon eine dichte Wol­
kendecke oder weitreichender Boden­
nebel machen sich bemerkbar. Son­
nenenergie heißt, dass bis zu 40 000
Megawatt im Jahr 2020 innerhalb kur­
zer Zeit ein- und ausgeknipst werden – das muss durch andere Energie­
quellen kompensiert werden.
Hans Bünting, Geschäftsführer von
RWE Innogy, spricht die Probleme im
Umbau der Energieversorgung offen
an. Dabei spielt beim Ausbau der
erneuerbaren Energien neben langen
Genehmigungszeiten und Investi­
tionsvolumina auch die gesellschaftliche Akzeptanz eine entscheidende
Rolle. foto: rwe innogy
Mehr Wind und Sonne –
mehr Leitungen
Wir brauchen dringend technische
Lösungen, um die Volatilität des
Wind- und Sonnenstroms zu glätten,
Schwachwindzeiten zu überbrücken
und den Windstrom vom Norden des
Landes in die Verbrauchszentren zu
„Mit Pumpspeicherkraftwerken allein werden wir
das Problem nicht lösen.“
transportieren. Laut Deutscher Ener­
gieagentur müssen rund 3 500 Kilo­
meter neue Höchstspannungsleitun­
gen bis 2020 gebaut werden, um das
Netz hierfür anzupassen. Allein das
kostet circa 6 Mrd. Euro. Mehr Wind
und Sonne – mehr Leitungen. Der
­erneuerbare Strom, der kraft Gesetz
­Vorrang hat, leidet zurzeit noch an
Netzen, die in manchen Regionen nur
Kreisstraßenniveau haben. Das liegt
nicht am mangelnden Investitionswil­
len der Netzbetreiber, es fehlt leider
immer noch an einer zügigen Geneh­
migungspraxis und ausreichender Ak­
zeptanz in der Bevölkerung. Oft verge­
hen bis zur Genehmigung und zum
Bau neuer Leitungen zehn bis 15 Jah­
re. Das gilt nicht nur für Deutschland.
Dem dringend benötigten Bau einer
Gleichzeitig brauchen wir in großem
Umfang hochflexible konventionelle
Kapazitäten, um Flauten und Erzeu­
gungsschwankungen bei den Erneu­
erbaren aufzufangen. Ein Beispiel
sind Speicherkraftwerke. Auf dem
heutigen Stand der Technik lassen
ausschließlich Pumpspeicherkraft­
werke Stromspeicherungen in großem
Maßstab zu. RWE plant mit einem
Partner im Südschwarzwald ein sol­
ches Kraftwerk mit einer Leistung von
1 400 Megawatt. Da Pumpspeicher­
kraftwerke Fallhöhe brauchen, bieten
sich Regionen wie der Schwarzwald
besonders gut an. Wir hoffen, das
Kraftwerk im Jahr 2018 in Betrieb zu
nehmen, weil es eine wichtige Rolle
beim Umbau der Energiewirtschaft
spielt. Dennoch gibt es vor Ort viel
Protest. Dabei bietet dieses Kraftwerk
nur einen Bruchteil der Flexibilität,
die wir brauchen würden, um die Plä­
ne der Bundesregierung zu verwirk­
lichen. Mit Pumpspeicherkraftwerken
allein werden wir das Problem nicht
lösen. Das Potenzial ist zu gering.
Sämtliche Speichertechnologien müs­
sen erforscht und wo immer möglich,
zur Marktreife gebracht werden. Alter­
nativen, wie Druckluft- und Wasser­
stoffspeicher sind allerdings heute
noch extrem teuer.
Eingriffe in das Landschaftsbild
Investitionsvolumina, lange Genehmi­
gungszeiten sowie die politische und
gesellschaftliche Akzeptanz spielen
also die zentrale Rolle beim Ausbau
der Erneuerbaren. Er wird den Strom
langfristig verteuern und bedeutet teil­
weise einen Eingriff in das Land­
schaftsbild – auch wenn bei den Pla­
nungen darauf geachtet wird, diesen
möglichst gering zu halten. Nur wenn
wir diese Punkte akzeptieren, wird uns
der gewünschte Umbau der Energie­
versorgung gelingen.
*Hans Bünting ist
Geschäftsführer von RWE Innogy
„Halbleiter sind in der Stromerzeugung unverzichtbar“
Infineon | Der Chef der Industriesparte, Arunjai Mittal, erklärt wie kleine Chips Atromkraftwerke ersetzen könnten
H
albleiter sind entscheidend für
die künftige Energieversorgung.
„Ohne Chips wird es kein intel­
ligentes Stromnetz geben“, sagt Arunjai
Mittal, Chef der Industriesparte bei Infi­
neon. Dabei spielt die Halbleiterbran­
che bereits heute eine bedeutende Rolle
bei der Stromerzeugung, beispielsweise
bei der Wind- und Wasserkraft sowie
der Solarenergie. Mittal spricht im In­
terview mit dem WirtschaftsKurier über
die Schlüsselposition der Chipindustrie
in diesem Segment sowie über die Vi­
sion der effizienten Vernetzung unter­
schiedlicher Energiequellen.
WirtschaftsKurier: Herr Mittal, welche
Rolle spielt die Chipindustrie bei der
Stromerzeugung in Wind- und Wasserkraftanlagen?
Arunjai Mittal: Halbleiter sind in der
Stromversorgung über die gesamte
Wertschöpfungskette für elektrische
Energie unverzichtbar: von der Er­
zeugung über den Transport bis hin
zum Verbrauch. Sogenannte Leis­
tungshalbleiter tragen entscheidend
dazu bei, dass Energie aus Wind, Son­
ne und Wasser effizienter verteilt und
genutzt werden kann. Diese Produkte
helfen, möglichst viel der durch Wind
oder Sonneneinstrahlung gewonne­
nen elektrischen Energie ins Strom­
netz einzuspeisen und die Energie­
verluste während der Übertragung
vom Ort der Erzeugung zum Verbrau­
cher auf ein Minimum zu senken.
„Die Weiterentwicklung der
Halbleitertechnologie trägt
einen enormen Teil zur
Verbesserung des Wirkungsgrads der Anlagen bei.“
Arunjai Mittal,
Division President der Industrial &
Multimarket Division von Infineon
WiKu: Können Sie die erhöhte Energieeffizienz durch die Halbleiter anhand eines Beispiels erläutern?
Mittal: Ein eindrucksvolles Beispiel für
die Effizienz unserer Halbleiter ist
eine 1 500 Kilometer lange Strom­
trasse in China: Sie hat eine Übertra­
gungskapazität von 5 000 Megawatt
und transportiert den Strom aus meh­
reren Wasserkraftwerken bei Yunnan
im Landesinneren zur Wirtschaftsre­
gion Guangdong mit den Millionen­
städten Guangzhou und Shenzhen.
Trotz dieser langen Strecke betragen
die Transportverluste dank der ein­
gesetzten Hochspannungs-Gleich­
strom-Übertragungstechnik (HGÜ)
nur 2 % pro 1 000 Kilometer. Vergli­
chen mit den fossil befeuerten Kraft­
werken der Provinz Guangdong wer­
den so jährlich 30 Megatonnen an
CO2-Emissionen vermieden.
WiKu: Bei Offshore-Windanlagen wird
ein möglichst verlustarmer Stromtransport zum Land angestrebt. Wie
kann dies am effizientesten umgesetzt werden?
Mittal: Die Herausforderung liegt hier in
der Länge der Übertragungswege und
der Art der Kabel. Der Strom kann
nicht über eine Freileitung wie an
Land transportiert werden, das geht
nur mithilfe eines Hochspannungs­
kabels unter Wasser. Und das kann –
wenn auch nur schwer vorstellbar –
verstopfen. Ohne zu sehr ins Detail
zu gehen: Fließt in einem Kabel
Wechselstrom, ändert sich die Span­
nung und somit auch die Richtung
des Stroms hundertmal pro Sekunde.
Dadurch wird der Isolator im See­
kabel über den Leiter ständig auf-
und entladen. Je länger das Kabel ist,
desto mehr Strom muss für das stän­
dige Auf- und Entladen des Isolators
in das Kabel hineinfließen. Die Folge:
Ab einer Länge von etwa 70 Kilome­
tern „verstopft“ dieser Ladestrom das
Seekabel. Es kann daher keinen
Windstrom mehr an Land transpor­
tieren. Die Lösung dafür sind soge­
nannte Umrichter, welche die Energie
in Gleichstrom wandeln, der diesem
Phänomen nicht unterliegt. Die HGÜTechnik erlaubt es, den Strom der
großen Windparks sehr effizient an
Land zu transportieren.
WiKu: Wie tragen Halbleiter bei der
Windkraft zur effizienten Stromerzeugung bei?
Mittal: In das Stromnetz muss man
Wechselstrom mit einer bestimmten
Spannung und der passenden Fre­
quenz einspeisen. Photovoltaik- und
Windkraftanlagen zum Beispiel lie­
fern das nicht direkt und der Strom
muss umgeformt werden. Das erfolgt
mit sogenannten Umrichtern, deren
Herzstück Leistungshalbleiter sind.
Durch den Trend zu neuen Windge­
neratoren-Technologien wird sich der
Halbleiteranteil in Windkraftanlagen
im Lauf der nächsten Jahre verdop­
peln oder sogar verdreifachen. Die
Weiterentwicklung der Halbleiter­
technologie trägt einen enormen Teil
zur Verbesserung des Wirkungsgrads
der Anlagen bei. In den vergangenen
15 Jahren konnten wir bei gleichblei­
bender Chipfläche die Leistung um
über 180 % erhöhen.
WiKu: In welchen weiteren Bereichen
der Energieerzeugung kann mit der
Chiptechnologie mehr Effizienz erreicht werden?
Mittal: Halbleiter sind in allen Berei­
chen der Stromerzeugung unver­
zichtbar. Das Zusammenspiel von
zwei Komponenten ist erforderlich,
um unsere Energieversorgung lang­
fristig zu sichern: zum einen die Ener­
gieerzeugung, die deutlich stärker auf
erneuerbaren und CO2-freien Tech­
nologien basieren muss. Aber min­
destens genauso wichtig ist auch der
Energiekonsum: die effizientere Nut­
zung von elektrischer Energie stellt
künftig eine unserer größten Energie­
ressourcen dar. Dies gilt sowohl für
den Verbrauch der elektrischen Ener­
gie in Unternehmen als auch in Pri­
vathaushalten. Mit Halbleitern kön­
nen wir aus elektronischen Geräten
und Motoren mehr Leistung bei
gleichbleibendem oder sogar sinken­
dem Stromverbrauch herausholen.
Bereits heute wäre es möglich, bis zu
25 % des weltweiten Stromverbrauchs
einzusparen. So verbraucht etwa die
Elektronikschaltung für die Strom­
versorgung der Recheneinheit eines
Computer-Servers dank der Energie­
sparchips von Infineon rund 30 Watt
weniger Strom. Hochgerechnet auf
rund 60 Mio. Server weltweit entsprä­
che dies einer Ersparnis von 1,8 Giga­
watt – der Leistung eines mittleren
Atomkraftwerks. Daran sehen Sie, wie
ein kleiner Chip, der weniger als ei­
nen Euro kostet, zum Umweltschutz
beitragen kann.
WiKu: Herr Mittal, schauen wir in die
Zukunft: Welche Vision einer modernen Energieversorgung schwebt
Ihnen vor und welche Rolle wird dabei die Halbleiterindustrie spielen?
Mittal: Der Umbau der Stromnetze zu
intelligenten Netzen, den Smart Grids,
ist die entscheidende Voraussetzung,
um den wachsenden Energiebedarf
auch in Zukunft decken zu können.
Nur Smart Grids können je nach Be­
darf und Auslastung zwischen den
unterschiedlichen Stromquellen wie
Wind-, Solar-, Wasser- oder den kon­
ventionellen Kraftwerken flexibel hinund herschalten. Intelligente Strom­
zähler (Smart Meters) und kommuni­
kationsfähige Haushaltsgeräte werden
zur Verlängerung und Schnittstelle
des Smart Grids in den Haushalten.
Der Smart Meter liefert Verbrauchs­
daten per Datennetz, sodass Strom­
erzeugung und -verbrauch optimal
aufeinander abgestimmt werden kön­
nen. So kann der Stromkunde künftig
Geräte mit hohem Stromverbrauch
dann einschalten, wenn ein StromÜberangebot vorhanden und der
Preis niedrig ist. Damit spart er Geld
und leistet einen Beitrag zum Um­
weltschutz. Das alles ist nur mit inno­
vativen Halbleiterlösungen möglich.
20 Energie & Effizienz
März
2011
WirtschaftsKurier
Die Energiewelt von morgen
Landis+Gyr | Die Installierung von digitalen Stromzählern ist die Grundlage für eine effiziente Versorgung, meint CEO Peter Heuell
S
Vernetzte Welt und intelligente
Netze: Die Energiewelt von morgen
wird online reguliert und gesteuert.
Dafür sind leistungs­fähige IT-Plattformen notwendig, über die
Erzeugung und Verbrauch sinnvoll
gemanagt werden.
mart Meters sind ein Herzstück
der zukünftigen Energiewelt. Sie
messen den Strom digital,
„smart“ werden sie durch die Möglich­
keit, über Internet, Mobilfunknetz oder
Power Line mit dem Versorger zu kom­
munizieren. Die Kunden können da­
durch bald viele neue Tarifangebote
und Services nutzen. Über die Chan­
cen der neuen Energiewelt und die
Stolpersteine auf dem Weg dahin
sprach WiKu-Chefredakteurin Elwine
Happ-Frank mit Peter Heuell, CEO von
Landis+Gyr Deutschland.
WirtschaftsKurier: Die Energiewelt
steht vor einem großen Umbruch.
Welche Rolle spielen dabei die digitalen Stromzähler?
Peter Heuell: Smart Meters sind eine
wesentliche Grundlage für eine effi­
ziente Versorgung, die durch digitale Energiemanagement-Systeme
gesteuert wird. Landis+Gyr ist wie
kaum ein anderes Unternehmen für
die neue digitale Ära aufgestellt. Wir
haben unsere Unternehmensstrate­
gie auf diesen Wandel ausgerichtet,
in die Entwicklung der Technologie
investiert und durch Firmenzukäufe
unser Angebotsportfolio vervollstän­
digt. Mit Erfolg. Wir sind heute an
fast jedem Smart-Meter-Großprojekt
in Europa beteiligt. Unser Ziel ist es,
Marktführer in diesem Bereich zu
werden.
WiKu: Was sind die wesentlichen
Kennzeichen der neuen Energiewelt?
Heuell: Die Erzeugung wird nicht mehr
dem Verbrauch folgen, sondern der
„Die Erzeugung wird nicht
mehr dem Verbrauch
folgen, sondern der
Verbrauch wird sich an der
Erzeugung orientieren.“
Peter Heuell,
CEO Landis+Gyr Deutschland
Verbrauch wird sich an der Erzeu­
gung orientieren. Ein Beispiel: Die
Waschmaschine könnte in Zukunft
online einen Impuls bekommen,
wenn das Stromangebot sehr groß
ist, und sich dann automatisch ein­
schalten. Zu diesem Zeitpunkt wird
gleichzeitig der Tarif am günstigsten
sein. Waschautomaten, die das kön­
nen, gibt es im Übrigen schon: Miele
ist ein Vorreiter auf diesem Gebiet.
WiKu: Was kostet ein Smart Meter?
Heuell: In den meisten europäischen
Ländern liegen die Ausgaben bei
etwa 100 Euro. In Deutschland ist
der Preis höher, weil die Stückzahlen
hier noch niedrig sind. Deutschland
hinkt in diesem Bereich hinterher.
Unklar ist zudem noch immer, wer
hierzulande für die Kosten eines
­intelligenten Zählers aufkommt. In
vielen anderen europäischen Län­
dern werden die Ausgaben in einem
Umlageverfahren auf Energieerzeu­
ger, Netzbetreiber und Verbraucher
verteilt. In Deutschland wird der
Kunde wohl allein dafür aufkommen
müssen.
WiKu: Wie ist denn die Situation in
anderen europäischen Ländern?
Heuell: Italien ist praktisch flächende­
ckend mit Smart Meters ausgestattet,
auch Schweden ist schon relativ
weit. Viele andere Länder haben be­
reits entsprechende Projekte verge­
ben oder stehen kurz vor einem lan­
desweiten Roll-out. Dazu gehören
Frankreich, England, Spanien oder
auch Dänemark und Finnland.
WiKu: Wieso verzögert sich die Einführung in Deutschland? Immerhin müssen seit Anfang 2010 bei
neuen Gebäuden oder größeren
Umbauten Smart Meters eingesetzt
werden ...
Heuell: Das stimmt, aber aufgrund ei­
nes Übersetzungsfehlers vom Engli­
schen ins Deutsche, den die EU zu
verantworten hat, sind die gesetzli­
chen Vorgaben in Deutschland nicht
zukunftsweisend. So sind die Zähler,
die jetzt eingebaut werden müssen,
zum Beispiel nicht kommunikativ –
eine Voraussetzung für energieeffizi­
ente Konzepte. Außerdem können
die Verbräuche in der Regel nur an
einem Display im Keller und in
Mehrfamilienhäusern in der Regel
unter Verwendung einer Pin einge­
sehen werden – in vielen Häusern
sind die Räume mit den Zählern so­
gar überhaupt nicht zugänglich.
WiKu: Seit Anfang dieses Jahres müssen die Versorger neue lastvariable
Tarife anbieten. Wie ist da der Stand
der Dinge?
Heuell: Um Probleme wegen der kom­
plexen gesetzlichen Rahmenbedin­
gungen zu umgehen, erlaubt die
Verordnung sowohl last- als auch
zeitvariable Tarife. Für Letztere müs­
sen aber keine Smart Meters instal­
liert werden. Zeitvariable Tarife las­
sen sich auch mit einem herkömm­
lichen Zähler in Kombination mit
einer Zeitschaltuhr umsetzen.
WiKu: Dann wird sich die Einführung
in Deutschland noch einige Zeit
hinziehen.
Heuell: Ja. Hier werden die herkömm­
lichen Zähler wohl erst beim turnus­
gemäßen Austausch durch Smart
Meters ersetzt.
WiKu: Die EU strebt bis 2020 in Eu­
ropa eine 80%ige Abdeckung mit
Smart Meters an. Wie sieht das in
Deutschland aus?
Heuell: Ich glaube nicht, dass dieser
Zeitplan realistisch ist. Ich gehe da­
von aus, dass die Einführung ab 2012
in Schwung kommt und das EU-Ziel
bis etwa 2024 erreicht wird.
WiKu: Was sind die Vorteile der neuen
Energiezähler?
Heuell: Smart Meters sind intelligente
Messpunkte, die neben dem Ver­
brauch auch die Spannung und an­
dere Parameter messen und diese
Werte via bidirektionale Kommuni­
kation an den Versorger übertragen
können. Diese Funktionalität wird in
Zukunft eine große Rolle spielen,
wenn der Anteil der regenerativen
Energien zunimmt. Darüber hinaus
können mithilfe der intelligenten
Zähler Daten zum Stromverbrauch
für den Kunden generiert werden.
So haben wir derzeit schon sehr de­
taillierte Informationen über Hoch­
spannungsnetze. Aber im Bereich
der mittleren Spannung und auf der
Ebene der Verbraucher fehlen uns
entsprechende Daten. Diese aber
sind die Grundlage für stabile Netze,
letztendlich das „Smart Grid“. Zu­
sätzlich sind Smart Meters die
Grundlage für neue Tarifangebote
und Services.
WiKu: Welche Möglichkeiten für neue
Tarife gibt es denn?
Heuell: Es gibt ja heute schon verein­
zelt Situationen an den Energiebör­
sen, wo man für den Stromeinkauf
nicht zahlen muss, sondern für die
Abnahme sogar Kostenvorteile er­
hält. Es wäre beispielsweise denkbar,
dass Strom zu Zeiten mit sehr nied­
rigem Verbrauch oder deutlichem
Überangebot in einem bestimmten
Zeitfenster wesentlich günstiger ist
als heute.
WiKu: Welche neuen Dienstleistungen
machen Smart Meters möglich?
Heuell: Da sind sehr viele verschiede­
ne Dinge denkbar. Die Palette reicht
von speziellen Services für ältere
Menschen über den Feuerschutz bis
hin zu Angeboten für stromsparende
Haushaltsgeräte.
WiKu: Außer der holperigen Einführung der Smart Meters – welche
weiteren Stolpersteine gibt es für
die Verwirklichung einer effizienten Energieversorgung?
Heuell: Das ist zum einen der Mangel
an innovativen Speichern. In diesem
Zusammenhang werden in Zukunft
voraussichtlich die Batterien von
E-Autos eine wichtige Rolle spielen.
Aber auch andere Technologien wie
die Verflüssigung von Wasserstoff
oder auch neue Gasspeicher müssen
weiterentwickelt werden. Es gibt
auch ganz neue Denkansätze: Zum
Beispiel könnte man die Temperatur
in einem Tiefkühlhaus ein Grad stär­
ker absenken als üblich und dann
die Kühlung ausschalten. Über 24
Stunden steigt die Temperatur wie­
der um ein Grad. Das ist auch eine
Form der Energiespeicherung.
WiKu: Gibt es noch weitere Probleme
bei der Verwirklichung der neuen
Energiewelt?
Heuell: Die Netzkapazitäten sind ein
Engpass. Nach einer Studie brau­
chen wir in Deutschland 3 600 Kilo­
meter neue Leitungen. Im vergange­
nen Jahr wurden aber gerade einmal
70 Kilometer gebaut.
L andis+Gyr
Landis+Gyr ist ein Global Player für
Energiemanagement-Systeme. Smart
Meter mit entsprechender SoftwareAusstattung treten derzeit einen Siegeszug an: Sie sind ein wichtiger Baustein für das neue Energiezeitalter, in
dem die Erneuerbaren eine größere
Rolle spielen. Das Unternehmen mit
Hauptsitz in Zug (Schweiz) produziert
bereits seit über 100 Jahren elektromechanische Zähler, die zur Energieabrechnung verwendet werden. Mitte des Jahres wird das Unternehmen
dieses Geschäft einstellen und sich
ganz auf die Herstellung von digitalen Smart Meters konzentrieren.
Die Lizenz zum Sparen
Neue EU-Norm | Der Chemieproduzent Innospec aus Leuna installiert zusammen mit dem TÜV Süd ein modernes Energiemanagement
von Michael Bunk
und Silvio Kammer*
I
n der Industrie bietet der Nachweis
eines Energiemanagementsystems
(EnMS) seit Jahresbeginn Möglich­
keiten für Ermäßigungen bei Energieund Stromsteuern, wenn es von unab­
hängiger Stelle zertifiziert ist – zum Bei­
spiel nach DIN EN 16001. Die EU-Norm
beschreibt die Anforderungen an ein
systematisches und stetiges Energiema­
nagement für mehr Effizienz und unter
Beachtung geltender gesetzlicher Vor­
gaben. Die Jahre 2011 und 2012 gelten
als Übergangszeitraum, in dem die
Grundlagen für das Implementieren
­eines EnMS gelegt werden wie eine Sys­
tematik zur Erfassung der Verbrauchs­
daten. Ab 2013 dürfte ein voll funktions­
fähiges EnMS dann notwendige Bedin­
gung für Steuerermäßigungen sein.
Das EnMS dient der systematischen
Senkung des Energiebedarfs und damit
der Reduzierung des Energiekosten­
anteils an den Betriebskosten. Vorhan­
dene Optimierungspotenziale bei Ener­
giebezug und -verwendung werden
durch die Datenerfassung und -auswer­
tung sichtbar. Grundlegende Vorausset­
zung für die Einführung eines EnMS ist
die genaue Kenntnis des Ist-Zustands
der vorliegenden Anlage sowie eine
präzise Aufstellung des gesamten Ener­
giebedarfs der Produktionsanlagen. Er­
gänzend zu den Daten aus der vorhan­
denen Betriebsmesstechnik werden zur
umfassenden Analyse und Komplettie­
rung der Energiebilanz temporäre Mes­
sungen an den Anlagen und Systemen
vorgenommen.
Detailarbeit
und Gesamtüberblick
TÜV Süd Industrie Service hat zusam­
men mit Innospec Leuna eine Studie zu
dessen Energiebedarf erstellt und un­
terstützt den Spezialchemie-Hersteller
derzeit bei der Einführung eines hoch­
modernen EnMS. Der Blick aufs Detail
und die einzelnen Prozesse verbunden
mit branchenübergreifendem Fachwis­
sen waren dabei von entscheidender
Bedeutung.
Innospec Leuna ist Teil der interna­
tionalen Innospec Specialty Chemicals
Inc. An seinem Standort in Sachsen-An­
halt stellt das Unternehmen Spezial­
kunststoffe und chemische Zusätze her.
Zur permanenten Steigerung seiner
Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit
hat der Spezialchemie-Hersteller seit
dem Jahr 2000 über 20 Mio. Euro inves­
tiert. Im Rahmen der fortschreitenden
technischen Entwicklung werden auch
die Produktionsprozesse einer laufen­
den Modernisierung unterzogen wer­
den. Einsparpotenziale lassen sich na­
hezu bei jeder Anlage finden.
Das Expertenteam von TÜV Süd ana­
lysierte zusammen mit Ingenieuren von
Innospec die Netzqualität sowie die
zeitabhängige Lastaufnahme. Darüber
hinaus haben sie einzelne Anlagen mit
außergewöhnlichen Verbrauchsspitzen
und den Dampfhaushalt untersucht.
Ein im Branchenvergleich überdurch­
schnittlicher Bedarf an Dampf und
­Strom wirkte sich auch auf die Energie­
kosten aus.
Für die einzelnen Prozessstufen ha­
ben die Experten zunächst umfangrei­
che Screening-Analysen zu Energiebe­
zug und -einsatz vorgenommen. Kern­
prozess in Leuna ist die Polymerisation,
zentrale Anlage dafür ist unter anderem
ein Höchstdruckverdichter. Er wird zur
ersten Aufbereitung der Ausgangsstoffe
eingesetzt und benötigt mit über 50 %
den Großteil der Energie. Es folgen der
Zwischendruckverdichter, die Kühl­
kreisläufe und diverse Einzelverbrau­
cher, die für die Untersuchung zusam­
mengefasst wurden.
Online-Messungen des Energiebedarfs
Effizienz im Fokus: Der Spezialchemiehersteller Innospec Leuna analysiert an seinem Standort in
Sachsen-Anhalt zusammen mit den
Experten von TÜV Süd die Einsparpotenziale der Anlagen. foto: innospec leuna/tüv Süd
In einem zweiten Schritt und ausge­
hend von den erhobenen Daten wur­
den mögliche Einsparpotenziale ermit­
telt und Maßnahmen für Optimierun­
gen vorgeschlagen. Dazu zählten neue
noch energieeffizientere Antriebe und
Motoren. Weitere Maßnahmen beinhal­
ten die Volumenstrom- beziehungswei­
se Druckregelung von Kühlkreislauf­
pumpen sowie die Nutzung von über­
schüssigem Niederdruckdampf. Das
Energiemanagementsystem, das derzeit
implementiert wird, ermöglich künftig
Online-Messungen des Energiebedarfs.
Dieser wird dann nach Kosten-NutzenRechnungen ausgewertet.
In der Praxis konnte der Großteil der
Maßnahmen vollständig oder teilweise
implementiert werden – mit überschau­
baren Investitionskosten. Bei Produkti­
onsunterbrechungen werden nun sämt­
liche Nebenaggregate vollständig ab­
geschaltet, bei Ersatz- und Neuinvesti­
tionen werden Geräte wie Antriebe und
Motoren systematisch durch energie­
effizientere ersetzt. Das vorhandene
Prozessleitsystem wird zusätzlich so
­genutzt, dass sich einzelne Geräte
­bedarfsabhängig ansteuern lassen. Die
TÜV-Süd-Experten prüfen darüber
­hinaus, wie sich der rückgespeiste Nie­
derdruckdampf so nutzen lässt, dass
das energetische Potenzial kostenredu­
zierend eingesetzt werden kann. Des
Weiteren wird untersucht, wie sich die
Qualität des ohnehin erzeugten Nieder­
druckdampfs so verbessern lässt, dass
dieser sinnvoll weiterverwendet werden
kann. Der optimierte Produktionspro­
zess spart jährlich gut 5 % der Energie­
kosten ein. Das hochmoderne Energie­
managementsystem, das derzeit imple­
mentiert wird, bringt künftig weiteres
Einsparpotenzial von 3 % bis 5 %.
*Michael Bunk ist Leiter Energiesysteme
beim TÜV Süd Industrie Service,
Silvio Kammer ist Prokurist und Leiter
Technik bei Innospec Leuna
März
2011
WirtschaftsKurier
Mittelstandsfinanzierung
21
Wissen ist Macht
Keine Scheu vor dem Parkett
Keine Frage der Größe
Wie Phoenix aus der Asche
Marken und Patente sind nicht zu unterschätzende
Vermögensgegenstände im Unternehmen – doch
sie zu barer Münze zu machen ist tricky. Seite 22
Christine Bortenlänger von der Börse München
erklärt, warum das Going Public nicht nur
Seite 23
für Großkonzerne geeignet ist.
Die „Kleinen“ scheuen oftmals noch den Gang ins
Ausland. Bernd Laber von der Commerzbank
erklärt im Interview, worauf zu achten ist. Seite 25
Factoring | Die Branche brach in der
Finanzkrise ein – doch nun meldet sie
ab Seite 26
sich fulminant zurück. „Wir wollen Kernbank des Mittelstands sein“
BayernLB | Vorstand Jan-Christian Dreesen über die strategische Neuausrichtung des Instituts
D
ie BayernLB hat in der Wirtschafts- und Finanzkrise viele
Federn lassen müssen, sich
aber mit einem umfassen Restrukturierungsprogramm wieder auf Erfolgskurs gebracht. Zukünftig will sich das
Institut auf die Bereiche Großunternehmen, Immobilien, Sparkassen und
vor allem auf das Geschäft mit dem
Mittelstand konzentrieren. Mit BayernLB-Vorstand Jan-Christian Dreesen
sprach WiKu-Mitarbeiter Dieter W.
Heu­mann.
WirtschaftsKurier: Von der neuen
BayernLB ist die Rede. Worin un­
terscheidet sie sich von dem alten
Institut, das in der Finanzkrise kräf­
tig Federn lassen musste?
Jan-Christian Dreesen: Heute gehen
wir nur noch Risiken ein, die wir
kennen und beherrschen. Wir konzentrieren uns auf das Kerngeschäft:
Mittelstand, Großunternehmen, Immobilien und Sparkassen. Alles, was
nicht zu unseren Kernaktivitäten gehört, bauen wir konsequent ab. Das
Kreditersatzgeschäft der früheren
Jahre betreiben wir beispielsweise
gar nicht mehr. Dadurch haben wir
wie geplant die Bilanzsumme in den
vergangenen zwei Jahren um etwa
90 Mrd. Euro auf rund 330 Mrd. Euro
reduziert. Den Wandel bei der BayernLB können Sie auch am Vorstand
festmachen, der seit 2008 komplett
erneuert wurde.
WiKu: Welchen Stellenwert nimmt
das Firmenkundengeschäft in der
neuen Bank ein?
Dreesen: Es gibt meines Erachtens
zwei wesentliche Kernelemente, die
für das Geschäftsmodell einer Landesbank wichtig sind: erstens das
Sparkassen- oder Konsortialgeschäft,
weil die Landesbank das Zentralinstitut für die Sparkassen ist, und zweitens das Firmenkundengeschäft.
Da­zu gehört bei der BayernLB sowohl das Mittelstands- als auch das
Großkundengeschäft. Zum Großkundengeschäft zählt unter anderem
das Geschäft mit den Dax-30-Unternehmen. Damit haben wir eine gute
strategische Positionierung gefunden.
WiKu: Welchen Stellenwert hat das
mittelständische Kreditgeschäft für
Ihr Institut?
Dreesen: Im Zuge der Restrukturierung
haben wir mit dem Mittelstandsge-
schäft einen Schwerpunkt gebildet
und einen klaren Wachstumskurs
eingeschlagen. Dass wir richtig entschieden haben, zeigt sich seither in
höheren Kreditvolumina, wachsenden Erträgen und der steigenden
Zahl an Kunden. Im Rahmen des
Mittelstandsgeschäfts sprechen wir
Unternehmen mit einem Umsatz
von mehr als 50 Mio. Euro an. Gemeinsam mit unserer Tochter DKB
ist die BayernLB einer der größten
Mittelstandsfinanzierer in Deutschland. Die DKB ist im Firmenkun­
denkreditgeschäft vor allem in Ostdeutschland engagiert. Ende vergangenen Jahres verfügten DKB und
BayernLB über Kredite an den Mittelstand in Höhe von gut 48 Mrd.
Euro.
WiKu: Wie hat sich Ihre mittelstän­
dische Kreditsparte im Jahr 2010
entwickelt?
Dreesen: Zusammengenommen haben wir das Kreditvolumen im vergangenen Jahr gegenüber 2009 um
mehr als 10 % gesteigert. Allein die
BayernLB konnte durch die Kon­
zentration auf den Mittelstand 2010
100 neue Kunden gewinnen. Zudem
haben wir das Bestandskunden­
geschäft gestärkt, indem es gelungen ist, uns vermehrt als Kernbank
zu positionieren. Die Positionierung
im Mittelstand als Kernbank ge-
„Alles, was nicht zu
unseren Kernaktivitäten
gehört, bauen wir
konsequent ab.“
Jan-Christian Dreesen,
BayernLB-Vorstand
hört ebenfalls zu den wichtigen ­Zielen der BayernLB.
WiKu: Alle Banken stürzen sich auf
das mittelständische Kreditgeschäft
in Deutschland. Dabei ist die zu er­
zielende Marge doch eher gering.
Was macht den Reiz dieser Sparte
aus?
Dreesen: In der Tat, zumindest im Geschäft mit guten Adressen stehen die
Margen aufgrund des ausgeprägten
Wettbewerbs unter Druck. Die deutsche Wirtschaft ist mittelständisch
strukturiert. Der Mittelstand ist
wichtig und wir wollen Kernbank
des Mittelstands sein. Das bedeutet,
dass die Kreditversorgung des Mittelstands für uns – trotz teilweise
schwacher Margen – hohe Priorität
hat. Neben unserem Ankerprodukt,
dem Kredit, liegt der Reiz des Geschäfts im Cross-Selling. Ein durchaus interessanter Ertragspool findet
sich beispielsweise im Auslands­
geschäft durch die Begleitung von
Exportfinanzierungen, Akkreditiven,
Absicherungen von Währungen und
Ähnlichem. Im Übrigen sollte sich
jeder Kunde genau erkundigen, wie
die eigene Bank aufgestellt ist und
wo ihre Kernkompetenz liegt, bevor
er sich zu einer engeren Zusammenarbeit entschließt.
WiKu: Also – im Gegensatz zu an­
deren Landesbanken – hat sich die
BayernLB nicht aus der Export­
finanzierung zurückgezogen ...
Dreesen: Im Gegenteil, wir setzen in
diesem Geschäftsbereich weiterhin
auf Wachstum. Der Mittelstand engagiert sich zunehmend im Ausland.
Und da wir Kernbank des Mittelstands sind, gehört die Exportfinanzierung – wie Dienstleistungen für
das Auslandsgeschäft allgemein – zu
unseren wichtigsten Angeboten bei
der Begleitung des Mittelstands.
WiKu: Was bietet die BayernLB in
­ihrem mittelständischen Kredit­
geschäft mehr als andere Häuser?
Dreesen: Unser Branchen-Know-how.
Zu den Fokus-Branchen der BayernLB zählen unter anderem die Automobilzulieferer, der Maschinenbau,
die Elektrotechnik, die Chemie, der
Lebensmittelbereich aber auch zukünftige Wachstumsbranchen, wie
erneuerbare Energien oder Medizintechnik, also Branchen, mit denen
die Bank wachsen kann. Dort sind
wir in der Lage, mit den Kunden auf
Augenhöhe zu sprechen. Dazu haben wir im Haus eine hohe Sach-,
Branchen- und Technikkompetenz
angesiedelt, von den branchenspe­
zifischen Betreuern bis hin zu In­
genieuren aller Fachrichtungen. Sie
beraten unsere Kunden bei Investitionen nicht nur über die für sie güns-
tigste Finanzierung, sondern auch
zu Fragen der Rentabilität oder zum
Einsatz der richtigen Technologie.
Allein das schafft für die Kunden
­einen wichtigen Mehrwert. Daneben
genießt auch der Wissenstransfer
von außen einen hohen Stellenwert.
So haben wir zum Beispiel eine Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu un­
serer Branchenausrichtung lanciert.
Natürlich verschließen wir uns im
mittelständischen Firmenkundengeschäft keiner Branche.
WiKu: Das Geschäftsgebiet der Bay­
ernLB beschränkt sich im Mittel­
standsgeschäft keineswegs mehr
nur auf Bayern. Neben München
und Nürnberg haben Sie nun auch
in Düsseldorf eine Niederlassung
eingerichtet. Warum NordrheinWestfalen?
Dreesen: Nordrhein-Westfahlen ist
aufgrund seiner wirtschaftlichen
Stärke ein attraktiver Standort. Etwa
ein Viertel der von uns definierten
mittelständischen Zielkunden – mit
einem Umsatz ab 50 Mio. bis zu einer Mrd. Euro – befindet sich in
NRW. Und da wir unser Mittelstandskreditgeschäft weiter ausbauen wollen, führt an diesem Bundesland kein Weg vorbei. Eine Rolle
spielt zudem, dass wir aufgrund unseres besseren Angebots als Unternehmensfinanzierer gute Chancen
darin sehen, in NRW Fuß zu fassen.
Jeder für uns interessante Mittelständler unterhält in der Regel bis zu
fünf Bankverbindungen.
WiKu: Lockt – trotz geplatzter Fu­sion – nicht auch das Mittelstands­
kreditgeschäft der WestLB?
Dreesen: Nein. Unser Entschluss, nach
NRW zu gehen, stand bereits Ende
2009 fest – also lange bevor wir mit
der WestLB Gespräche aufgenom-
„Nordrhein-Westfalen ist
aufgrund seiner
wirtschaftlichen Stärke ein
attraktiver Standort.“
men hatten. Die Eröffnung der Filiale in Düsseldorf ist zufällig mit dem
Ende der Fusionsgespräche zusammengefallen.
WiKu: Die Landesbanken sind im
Kreditgeschäft relativ stark: Fast
ein Viertel der Kreditversorgung im
mittleren und gehobenen Unter­
nehmensfinanzierungsbereich in
Deutschland stammt von den Lan­
desbanken. Wäre das nicht – neben
der Zentralbankenfunktion – ein
starkes Standbein für eine deutsche
Landesbank, die gleichzeitig stark
genug wäre, als zweite große hei­
mische Bank deutsche Interessen
international angemessen zu ver­
treten?
Dreesen: Jeder, der über das Thema
„Brauchen wir Landesbanken“ philosophiert, sollte auch sagen, was
geschähe, wenn dem Wirtschaftsstandort Deutschland sein stärkster
Unternehmensfinanzierer genommen würde. Wie viele Landesbanken
es in Deutschland braucht, lässt sich
aus heutiger Sicht schwer beurteilen. Ohne Frage braucht Deutschland aber starke Unternehmens­
finanzierer. Wie Sie sagen, ist der
Landesbankensektor hier bereits gut
aufgestellt, insbesondere die BayernLB als klassischer Unternehmensfinanzierer. Und wir verschließen uns
auch keiner vernünftigen strategischen Option. Aber wir prüfen eben
auch genau unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. In erster Linie müssen wir jedoch auf uns selbst
schauen. Dann sehen wir weiter.
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22 Mittelstandsfinanzierung
März
2011
WirtschaftsKurier
Kredithürde ist wieder niedriger
Liquidität | Unternehmen kommen leichter an die benötigten Mittel
von Dieter W. Heumann
F
ast hätte sie es zum (Un-)Wort
des Jahres 2010 geschafft: die
Kreditklemme. Aber schon im
Lauf des vergangenen Jahres nahm
ihre Popularität ab und mittlerweile
fällt die Vokabel kaum noch in einer
der zahlreichen Talkshows, die sich
lange Zeit genüsslich mit dem Thema
befassten.
Das Münchner ifo Institut, das monatlich die Kredithürde für die gewerbliche Wirtschaft ermittelt – und damit
über die Schwierigkeiten der Unternehmen berichtet, langfristige Bankdarlehen zu erhalten –, signalisiert Entwarnung. Nach der jüngsten Umfrage
unter 4 000 deutschen Unternehmen,
kommen Firmen seit Anfang 2010 in
Deutschland wieder leichter an Kre­
dite. Nach Klaus Abberger, Koordinator
der Befragungen, haben wir es mit einer „nachhaltigen Verbesserung beim
Kreditzugang für Unternehmen zu
tun“. Während die Kredithürde der gewerblichen Wirtschaft zu Jahresbeginn
2010 noch bei 42,4 % lag, ist sie bis zum
Januar 2011 auf 25,4 % gesunken. Dabei profitierten sowohl die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes als
auch die des Handels und der Bauwirtschaft.
Kreditvergabe stützt den Aufschwung
Zwar ist auch heute das Vorkrisen­
niveau der Kredithürde noch nicht
ganz erreicht, so Abberger. In den
Boomjahren 2007 und 2008 sei der
Kreditzugang noch günstiger gewesen – vor allem für die größeren Unternehmen –, aber festzustellen sei, dass
die Kreditvergabe den konjunkturellen
Aufschwung in der Bundesrepublik
stütze und nicht, wie lange Zeit be­­
fürchtet, behindere. Die Banken scheinen sogar mehr Geld anzubieten, als
von den Unternehmen nachgefragt
wird. Michael Kemmer, Hauptgeschäfts­
führer des Bundesverbands deutscher
Banken (BdB), klagte zur Jahreswende:
„Die privaten Banken halten Kredite
für ihre Unternehmenskunden bereit,
allerdings werden die Kreditlinien der-
zeit bei Weitem nicht ausgeschöpft.“
Nach Angaben der Kreditanstalt für
Wiederaufbau (KfW) lag das Kreditneugeschäft der deutschen Banken im
dritten Quartal 2010 um 9 % unter dem
des entsprechenden Vorjahresquartals.
Die Dynamik des Rückgangs bleibt
zwar weit unter den hohen zweistel­
ligen Schrumpfungsraten des Winterhalbjahrs 2009/10, aber die Förderbank rechnet mit einem anhaltenden,
wenn auch weiter abgeschwächten
Rückgang im vierten Quartal 2010
und im ersten Vierteljahr 2011. Das
­erstaunt vor allem vor dem Hintergrund des kräftigen wirtschaftlichen
Aufschwungs, in dem sich die Bundesrepublik derzeit befindet.
KfW-Chefvolkswirt Norbert Irsch
sieht im Wesentlichen zwei Gründe
dafür, dass es bisher zu „keiner nennenswerten Belebung der Kreditnachfrage“ gekommen ist: Erstens, die deutsche Wirtschaft hat die Krise weitaus
besser überstanden und befindet sich
in guter Verfassung. Zweitens verfügen
die Unternehmen über eine deutlich
verbesserte Innenfinanzierung. Die
breite öffentliche Diskussion über die
Kreditklemme – von den Medien über
die Verbände bis hin zur Politik – ist
bei den Unternehmen auf Beachtung
­gestoßen: Immerhin bestand das große Ri­siko – angesichts der Finanzkrise
und der schwierigen Lage vieler Banken – selbst für gesunde Unternehmen
darin, in ­Liquiditätsschwierigkeiten zu
geraten und so möglicherweise ihre
Existenz zu riskieren. Nach Abberger
wurde die Liquiditätssicherung folglich
zu einem wesentlichen Anliegen der
Unternehmen in der Krise, wobei die
Suche nach Möglichkeiten innerhalb
der Häuser in den Fordergrund rückte.
Die Unternehmen bauten insbeson­
dere ihr Working Capital ab: Lager­
bestände wurden reduziert, Forderungen schneller eingetrieben und Zahlungen an Lieferanten hinausgezögert.
Auch die Deutsche Bundesbank verweist auf die verbesserte Innenfinanzierung, wofür sie in erster Linie die
kräftige konjunkturelle Erholung verantwortlich macht.
Trotz der Absatzschwierigkeiten im
Geschäft mit Neukrediten beurteilt die
KfW die mittelfristigen Aussichten für
den deutschen Unternehmenskreditmarkt als „so günstig wie seit langer
Zeit nicht mehr“. Die Förderbank verweist auf die anhaltend guten Wachstumsaussichten für die deutsche Wirt-
Mit Schwung übers Hindernis:
Unternehmer signalisieren, dass die
Banken die Kriterien für Finanzierungen wieder gelockert haben. Das
Wort „Kreditklemme“ scheint aus
den Köpfen vorerst wieder verbannt.
schaft. So sei für dieses Jahr mit weiteren 2,6 % Wachstum zu rechnen. Neben
den Exporten werde sich die Binnenwirtschaft spürbar erholen. Schon im
Lauf des vergangenen Jahres avancierten die Investitionen zur wichtigsten
Konjunkturstütze Deutschlands. Das
wird sich im laufenden Jahr fortsetzen
und dürfte auch im Verlauf des Jahres
2011 die Nachfrage nach Neu­krediten
beleben. Dennoch dürfte kurzfristig
kaum ein Engpass in der Kreditvergabe
auftreten, zumal deutsche Banken –
auch bei vermeintlich attraktiveren Investitionsmöglichkeiten im Ausland –
erfahrungsgemäß künftig vorsichtiger
agieren werden, was der inländischen
Kreditvergabe zugutekommen sollte.
Auch im Kreditgeschäft rangieren heute Sicherheits- und Bonitätsdenken vor
dem Streben nach höchster Rendite.
Nach der ersten „European Credit Risk
Survey“ von FICO, einem Anbieter von
Predictive Analytics und Lösungen für
Decision Management, und European
Financial Market Association (Efma)
wurden Risikomanager von mehr als
100 europäischen Banken zu Jahres­
beginn zur Entwicklung des Kredit­
geschäfts in ihrer Region befragt. 80 %
der in den deutschsprachigen Ländern
Deutschland, Österreich und Schweiz
befragten kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) gehen von
einer Zunahme des Kreditangebots im
nächsten halben Jahr aus. 55 % erwarten eine Ausweitung der Kreditvergabe
an KMUs.
Dennoch warnt Abberger: „Auch
wenn wir gegenwärtig weit von einer
Kreditklemme entfernt sind, so sollten
wir dieses Thema doch nicht völlig verbannen.“ Er verweist auf die strengeren
Basel-III-Regelungen, die ab 2013 in
Kraft treten und die zwar einerseits
notwendig seien, aber andererseits tief
in das Geschäftsgebaren der Banken
eingreifen würden. In der Tat müssen
die Kreditinstitute ihr Eigenkapital
stärken und werden sich dafür zusätzliche Gelder besorgen müssen. Viele
Institute müssen da noch reagieren,
wobei einige von ihnen große Schwierigkeiten bekommen dürften an aus-
reichendes Kapital zu gelangen. Das
aber könnte sich auf das Kreditangebot
auswirken, vor allem aber werden die
Banken versuchen, die mit den Ka­
pitalaufstockungen verbundenen hö­
heren Kosten – je nach Marktlage – auf
die Kunden überzuwälzen. Auch der
Zins ist keineswegs auf seinem niedrigen Niveau zementiert, selbst wenn die
EZB derzeit nicht am Leitzins dreht –
da unterschiedliche Konjunkturgeschwindigkeiten in der Eurozone und
die Notwendigkeit ausreichender Liquiditätsversorgung immer noch leidender Finanzinstitute und hochverschuldeter Staaten die Notenbank im
Augenblick noch zurückhalten. Das
deutsche Zinsniveau dürfte ohnehin
auf den Prüfstand kommen, zumal die
Garantien Deutschlands für die Schuldenstaaten erst jüngst wieder kräftig
angehoben wurden, was längerfristig
kaum spurlos an der guten Bonität des
Landes vorbeigehen dürfte.
Trotz Optimismus –
einige Risiken bleiben
Aber es gibt noch weitere Risiken zu
beachten: So schwelt weiterhin die
­Krise der Landesbanken, die immerhin etwa ein Viertel aller Kredite in
Deutschland vergeben. Dass sich derzeit bei der Westdeutschen Landesbank (WestLB) Lösungsmöglichkeiten
andeuten, ist im Wesentlichen dem
Druck aus Brüssel geschuldet und die
EU-Behörde hat bereits die Landesbanken im Norden, Süden und Südwesten der Republik im Visier. Keineswegs gelöst ist auch die Schuldenpro­
blematik der Peripheriestaaten in der
Eurozone. Dort sind einige große deutsche Banken als Kreditgeber – zum Teil
recht stark – involviert. In den USA
schwelt noch das Risiko der Gewerbe­
im­mo­bilien. Viele dieser Immobilien
wurden im Boom finanziert und stehen jetzt vor der Umfinanzierung. Auch
da sind deutsche Banken im Obligo.
Auch wenn die gute Konjunktur
hier­zulande derzeit viele Sorgen verdrängt, so sind doch die durch die
­Finanzkrise entstandenen Probleme
meist noch nicht gelöst.
Aus einer Idee wird bare Münze
Marken und Patente | Ein mögliches Finanzierungsinstrument für den Mittelstand
von constanze meindl
W
er nicht erfindet, verschwindet. Wer nicht patentiert,
verliert.“ Dieses Zitat von
Erich Otto Häußer, der von 1976 bis
1995 Präsident des Deutschen Patentund Markenamts war, hat heute so viel
Gewicht wie vielleicht noch nie. Alles,
was technisch neu, erfinderisch und
gewerblich anwendbar ist – die Grundpfeiler einer jeden potenziellen Patent­
anmeldung –, steht in der Ökonomie
des 21. Jahrhunderts hoch im Kurs.
Technologieführerschaft, F & E-Kosten
und Know-how sind Begriffe, die mit
dem Wirtschaftsleben mittlerweile
mindestens so verbunden sind wie
Konjunktur, Gewinn und der ehrbare
Kaufmann. Aber – wer seine Neuerung
geschützt wissen will, muss tief in die
Tasche greifen: Abgesehen von den
Entwicklungskosten fallen noch Gebühren bei den zuständigen Ämtern
an – vom Honorar für den Patentanwalt, der in der Regel unverzichtbar ist,
um ein Patent, Gebrauchs- oder Geschmacksmuster anzumelden, ganz zu
schweigen: Ausarbeitung der Patentschrift, Beantwortung von Prüfungsbescheiden und die fristgerechte Einzahlung von fälligen Gebühren nehmen in
der Regel viel Zeit und Ressourcen in
Anspruch. 10 000 Euro können bis zur
Erteilung eines Patents schon mal fällig
werden. Wer seine Erfindung gar in allen 38 an das Europäische Patentübereinkommen angeschlossenen Ländern
vor Nachahmern gesichert wissen will,
sollte sich auf Kosten bis zu 100 000
Euro oder mehr einstellen.
Doch Patente, Marken und Co sind
nicht nur ein wichtiger Treibstoff, um
den Motor eines Unternehmens am
Laufen zu halten. Sie sind ein nicht
zu unterschätzender immaterieller
Vermögensgegenstand, der positiv zur
Unternehmensfinanzierung beitragen
kann. Für Mittelständler bieten sich im
Wesentlichen zwei Möglichkeiten, wie
sie ihr geistiges Eigentum – oder Intellectual Property (IP) – zu barer Münze
machen können.
Sale-and-Lease-Back
zur Wachstumsfinanzierung
Beim Sale-and-Lease-Back-Verfahren
werden Marken und Patente an eine
Leasinggesellschaft oder an eine für
diesen Zweck gegründete Objektgesellschaft verkauft und anschließend
­zurückgeleast. „Das Sale-and-LeaseBack-Verfahren ist aber kein Instrument zur Krisenfinanzierung“, erläutert
Robert Tafelmeier, Geschäftsführer der
IP Valuation GmbH. Denn diese Methode eigne sich nur für Unternehmen,
die solides Wachstum aufweisen. Minimum ist ein Jahresumsatz von 20 bis
25 Mio. Euro. Es sei jedoch durchaus
ein Instrument zur Wachstumsfinanzierung. Falls ein Mittelständler beispielsweise plane, ins Ausland zu gehen, kann das Sale-and-Lease-Back
von Marken und Patenten – wie es bei
Immobilien schon lang üblich ist – eine
Alternative sein.
Häufiger werden Patente und Marken als Sicherheit für einen klassischen
Kredit bei der Bank verwendet, erklärt
Tafelmeier. Besonders um eine Insolvenz zu verhindern, böte sich diese Lö-
Wissen ist Macht: Know-how ist heutzutage das wahrscheinlich wichtigste
Gut – doch den Preis für Wissen festzulegen ist keine leichte Aufgabe.
sung für den Mittelstand an. Denn
selbst wenn ein starkes Patent- oder
Markenportfolio vorliegt – in den Büchern taucht dies nicht auf. Werte von
Marken dürfen derzeit überhaupt nicht
bilanziert werden, Patente nur mit
den bisherigen Investitionskosten angesetzt werden. Durch ein Gutachten
bewertete immaterielle Vermögens­
gegenstände können aber als stille
­Reserven in die Kreditverhandlungen
mit eingebracht werden – und so Zahlungsengpässe behoben werden. Noch
machen besonders die großen Banken
nur in einem überschaubaren Rahmen
Gebrauch von dieser Möglichkeit, so
Tafelmeier. Er beobachte jedoch, dass
die Institute sich zunehmend dieser
Option öffnen, und empfiehlt Mittelständlern, die Thematik aktiv bei ihrer
Bank anzusprechen. Denn die Einbringung von Marken und Patenten kann
das Firmen-Rating verbessern. „Hier
entsteht eine Win-win-Situation für
Banken und Unternehmer“, bestätigt
Tafelmeier. Die Finanzinstitute müssen
Kredite an besser geratete Unternehmen mit weniger Eigenkapital hinterlegen. Firmen erhalten mit einer besseren Einstufung ihres Unternehmens
attraktivere Kreditkonditionen. Einen
weiteren Schub erwartet Tafelmeier,
wenn in den nächsten Jahren die Bilanzierungsrichtlinien – sowohl nach
HGB als auch nach IFRS – weiter für
immaterielle Vermögensgegenstände
geöffnet werden. Dann glaubt Tafelmeier, werden sich auch die Banken
noch stärker dem Thema zuwenden.
Auch Betriebe, die sich im Insolvenz­
verfahren befinden, können mit vorhandenen Marken und Patenten ihre
Verhandlungsposition verbessern. Der
Insolvenzverwalter erhalte gute Argumente für seine Verhandlungen, das
Unternehmen stelle sich am Markt attraktiver dar und es lägen klare Argumente für die Fortführung des Betriebs
auf der Hand, erläutert Tafelmeier.
Voraussetzung für all diese Transaktionen ist die zuverlässige Bewertung
von Marken und Patenten. Wie sich
aus der Bezeichnung „immaterieller“
Vermögensgegenstand schon ergibt,
ist das keine einfache Aufgabe. Es existieren diverse Bewertungsleitlinien –
DIN-Normen und ISO-Standards –, die
besonders in den vergangenen Jahren
immer weiter ausgearbeitet wurden.
Sie stellen einen roten Faden für die
Beurteilung dar. In die Bewertung fließen sowohl qualitative Aspekte wie die
technologische Stärke eines Patents
oder die Bekanntheit einer Marke als
auch quantitative Parameter wie Um­
satz­erlöse und Renditekennzahlen ein.
Risiken werden mit einem Abschlag
bewertet. „Wichtig ist am Ende, dass
der ermittelte Wert transparent und
nachvollziehbar ist“, so Tafelmeier.
Nicht jedes Patent hat
das Zeug zum „Blockbuster“
Dagegen steht Prof. Andreas Beyer, Sozius bei der Patent- und Rechtsanwaltskanzlei Wuesthoff & Wuesthoff,
einer zuverlässigen Bewertung von
Marken und Patenten eher kritisch gegenüber. Seiner Meinung nach werde
hier viel Schindluder getrieben. „Nur
die wenigsten Patente bringen Geld
ein“, konstatiert der Diplom-Ingenieur.
Meist dienten sie dazu, sich einen
technologischen Vorsprung vor den
Wettbewerbern zu sichern oder diese
aus dem Markt fernzuhalten. Der monetäre Nutzen stehe oftmals nicht im
Vordergrund. Hier einen Wert zu be­
ziffern sei beinahe unmöglich, da die
meisten Produkte nicht nur mit einem,
sondern mit einer Vielzahl von Patenten geschützt sind. Außerdem sei nie
abzusehen, ob eine Erfindung das
Zeug zum „Blockbuster-Patent“ habe
oder nicht. Auch er habe schon in so
mancher Neuerung enormes Potenzial
gesehen, das dann aber vom Markt
nicht ho­noriert wurde. Nicht zuletzt
deshalb kommt der Experte zu dem
Schluss: „Als Bank wäre ich sehr vorsichtig, ein Patent als Sicherheit anzuerkennen.“ Für seriös hält Prof. Beyer
eine Bewertung nur, wenn durch ein
Patent bereits Lizenzeinnahmen generiert werden. Hier habe der Markt die
Unsicherheiten bezüglich des Wertes
beseitigt und eine Basis geschaffen, auf
der eine Bewertung aufbauen könne.
März
23
Mittelstandsfinanzierung
2011
WirtschaftsKurier
Der Mittelstand gehört aufs Parkett
Börse München | Nicht nur für Großkonzerne ist der Gang an die Börse attraktiv
Von Christine Bortenlänger*
D
ie Börsenlandschaft ist in
­Bewegung: Großfusionen wie
der angestrebte Zusammenschluss der Deutschen Börse in Frankfurt mit der New Yorker NYSE, aber
auch eine Verlagerung des Handels
weg von Aktien und Renten und hin zu
Derivaten sowie die wachsende Tendenz, hohe Volumina über „alternative
Handelsplattformen“ außerhalb der
Börsen abzuwickeln, bestimmen das
Bild. Da ist es vielleicht an der Zeit, einmal über die tatsächliche Bestimmung
der Börse als Börse nachzudenken –
unabhängig von Umsatz-, Profit- und
Shareholder-Value-Gedanken.
Die Börse München wurde vor 181
Jahren vom Münchner Handelsverein
mit der Intention gegründet, dem Gewerbe und den neu entstehenden industriellen Betrieben Kapital zuzuführen. Den „Wohlstand zu mehren“ und
das „Glück des Einzelnen zu erhöhen“
standen im Vordergrund der Bemü-
Dazu braucht es zwei Seiten einer
Medaille: ein attraktives Angebot für
Anleger, um transparent, sicher und
­liquide mit Aktien und Anleihen zu
handeln, und die Möglichkeit für
­Unternehmen, Eigenkapital über einen Börsengang zu beschaffen oder
Fremdkapital durch die Ausgabe von
Unternehmensanleihen aufzunehmen. Beiden Seiten wird die Börse
München gerecht: So können an der
Börse München über 12 000 Wertpapiere gehandelt werden, darunter über
4 500 Aktien aus dem In- und Ausland.
Banken, Brauereien und
Solarfirmen sind gelistet
Um neben Konzernen auch mittelständische Unternehmen mit Eigenkapital zu versorgen, gründete die
­Börse München 2005 das Segment
m:access. Inzwischen sind hier fast
vierzig Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen gelistet: Solar- und Immobilienfirmen, Banken
und IT-Dienstleister, Beteiligungsgesellschaften und Brauereien, ein Textilunternehmen, ein Baustoffhändler
und ein Seilbahnbetreiber. Ihre Umsätze bewegen sich vom einstelligen
bis zum dreistelligen Millionenbereich
und sie verteilen sich auf ganz
Deutschland. Seit Ende 2010 können
Unternehmen auch Fremdkapital
(m:access bonds) ab einem Volumen
von 25 Mio. Euro aufnehmen. Eine
Mindeststückelung von höchstens
1 000 Euro erleichtert dabei die Beteiligung von Privatanlegern, deren Interesse nach Unternehmensanleihen mit
Blick auf zum Teil problematische
Staatsanleihen durchaus gestiegen ist.
Die Räumlichkeiten der Börse München am Karolinenplatz. Die Fassade des
1894 errichteten Gebäudes steht unter Denkmalschutz. Fotos: Börse münchen
Das Segment m:access der Börse
München ist auf mittlere Unternehmen zugeschnitten, denn es verknüpft
einen hohen Qualitätsstandard und
damit Transparenz für den Anleger
mit einem überschaubaren bürokra­
tischen Aufwand und damit geringen
Folgekosten für die Unternehmen.
Beispielsweise verpflichten sich die
Unternehmen, sich (mindestens) einmal im Jahr einer Analystenkonferenz
zu stellen, die von der Börse München
in Frankfurt und in der bayerischen
Landeshauptstadt ausgerichtet wird.
Anleger können sich so über interessante Small- und Mid-Caps auch aus
ihrer Region informieren und sie in
das Kalkül ihrer Anlagestrategie einbeziehen.
Ein Emissionsexperte begleitet die
Unternehmen während des gesamten
IPO-Prozesses und die Börse Mün-
chen steht ebenfalls beratend zur Seite. Eine Rechnungslegung nach HGB
und statt zweisprachiger Quartals­
zahlen eine Veröffentlichung (zum
Beispiel auf der Website) der Kernaussagen und -kennziffern des geprüften
Jahresabschlusses sowie des Un­ter­
neh­mens­kalenders bilden dabei we­
sentliche Folgepflichten.
Aufgrund des hohen Interesses und
der grundsätzlich wieder positiven
Börsenstimmung erwarten wir in diesem Jahr weitere Zugänge. Die Börse
München wird auch weiterhin der Vorgabe, Kapital für die Wirtschaft bereitzustellen, nachkommen.
*Christine Bortenlänger
ist Mitglied des Vorstands
der Bayerischen Börse
und der Geschäftsführung
der Börse München
Eigenkapital schafft
Freiraum und Flexibilität
„Ein Börsengang stärkt das
Image von Unternehmen
und kann damit
die Kundenbindung und
Lieferantenbeziehung
unterstützen.“
Christine Bortenlänger, Bayerische Börse
hungen des Handelsvereins. Das würden wir heute so nicht mehr formulieren, aber die zentrale Rolle der Börse
als Kapitalvermittler für die Wirtschaft,
um das Wachstum der Volkswirtschaft
zu stärken, nehmen wir sehr ernst.
Denn nur über die Börse kann der Anleger von der Wirtschaftskraft von Unternehmen profitieren – in Form von
Kursgewinnen oder Dividenden (Aktien) oder in Form von Zinsen bei Renten (Unternehmensanleihen).
Noch immer sind 93 % aller deutschen
Firmen Familienunternehmen, 91 %
oder 2,6 Mio. Unternehmen geführt
vom Inhaber. Auch wenn hier der mengenmäßige Schwerpunkt eindeutig bei
kleineren und kleinsten Firmen liegt,
gibt es eine größere Anzahl mittelständischer Unternehmen, für die die Kapitalbeschaffung über die Börse eine
interessante und wichtige Alternative
böte. Denn Eigenkapital schafft Freiraum, ermöglicht Wachstum und Investitionen, führt zu Innovationen und
Beschäftigung und nicht zuletzt bildet
es die Grundlage, um Fremdkapital
aufzunehmen. Ein Börsengang stärkt
außerdem das Image von Unternehmen und kann damit die Kundenbindung und Lieferantenbeziehung unterstützen. Eine Börsennotierung kann
auch die Nachfolgeregelung erleichtern, weil beispielsweise familienfremde Manager eher zur Mitarbeit mo­
tiviert werden können und auch weil
sich eine große Variationsbreite der
­eigenen Mitsprache je nach Höhe der
Beteiligung bietet.
regionalbörsen werben um k mus
Noch immer trauen sich viele mittelständisch geführte Unternehmen nicht
einmal, an das Wort „Börsengang“ zu
denken. Zu sehr verbinden sie diese
­Vokabel mit Großkonzernen. Doch ist
mittlerweile zu beobachten, dass immer mehr Mittelständler die Scheu
vorm Parkett verlieren – nicht zuletzt
dank der zahlreichen speziell für diese
Zielgruppe zugeschnittenen Angebote
der deutschen Regionalbörsen.
Neben der Börse München und ihrem
Segment m:access hat auch die Börse Stuttgart den Mittelstand verstärkt
in den Fokus genommen. Das Anleihensegment Bondm ermöglicht mittelständischen Unternehmen, sich liquide Mittel über die Börse zu beschaffen.
Das Angebot richtet sich insbesondere
an Firmen des gehobenen industriellen oder industrienahen Mittelstands,
die Fremdkapital in Form von Anleihen
durch Eigenemissionen mit einem Volumen von 50 Mio. bis 150 Mio. Euro
aufnehmen möchten. Die Anleihe wird
vom Unternehmen selbst ausgegeben und dann im Freiverkehr der Börse
Stuttgart gehandelt.
Die Börsen Hamburg und Hannover
bieten den mittelständischen Kunden –
unabhängig von der Unternehmensgröße – die Möglichkeit, an der Mittelstandsbörse Deutschland, dem Handelssegment der beiden Nordbörsen, Aktien
und Anleihen zu platzieren. Das Besondere: Die Emittenten können nach dem
Baukastenprinzip entscheiden, von welchen Dienstleistungen sie bei der Kapitalaufnahme Gebrauch machen möchten: Von der Erstellung eines Prospekts
bis hin zur Vertriebsunterstützung können sich die Unternehmen individuell
die für sie wichtigen Leistungen zusammenstellen.
Das Handelssegment der Börse Düsseldorf ist der Mittelstandsmarkt. Er richtet
sich an Unternehmen, die Eigen- oder
Fremdkapital aufnehmen möchten.
Mittelständler, die eine Anleihe in Höhe von mindestens 10 Mio. Euro emittieren möchten, einen von der BaFingebilligten Verkaufsprospekt vorweisen
können und mindestens ein BB-Rating
in der Tasche haben, können seit November 2010 die Börse Düsseldorf für
ihre Emissionen nutzen.
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04.03.11 Wirtschaftskurier 210x297.indd 1
14.02.11 10:48
24 Mittelstandsfinanzierung
Das Fördergeschäft brummt
Staatsbanken | Erst Helfer in der Krise – jetzt Finanzierer des Aufschwungs
Mitte vergangenen Jahres die Zugangs­
voraussetzungen erleichtert wurden –
statt ausschließlich Innovationen werden seither alle klassischen Investitionsvorhaben gefördert. Dennoch sind
die Volumen bislang noch klein. Einen Grund dafür sieht LfA-Experte
Conradi in den Risiken für die Hausbanken, die zu einem Drittel in den
Nachrang gehen müssen. „Die Bereitschaft bei den Partnerbanken sei hier
noch nicht sehr ausgeprägt. Da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten“, so Conradi.
von sigrid stoss
E
rst Helfer in der Krise, dann
­Finanzierer des Aufschwungs –
die staatlichen Förderbanken
sind bei der Unternehmensfinanzierung nach wie vor gefragt. Auch wenn
das Wort „Kreditklemme“ kaum noch
jemand in den Mund nimmt, ist die
­Situation vieler Geschäftsbanken nach
wie vor angespannt und angesichts
neuer Auflagen durch Basel III bleiben
die Geldhäuser zurückhaltend.
Die Förderbanken bieten den Kredit­
instituten günstige Refinanzierungen
an, die auch bei den Unternehmen ankommen. „Wegen der guten Konditionen für ihre Firmenkunden haben Förderkredite bei den Geschäftsbanken
nach wie vor einen hohen Stellenwert“,
sagt dazu Herbert Conradi, Leiter des
Fördergeschäfts bei der bayerischen
LfA. Die Nachfrage nach frischem Geld
gerade bei mittelständischen Unternehmen hält indessen unvermindert
an. Nach Rekordwerten im Fördergeschäft 2010 erwarten die Staatsbanken
auch 2011 einen Run auf zinsgünstige
Kredite. Wegen der guten Konjunktur
rechnet die baden-württembergische
L-Bank in diesem Jahr sogar mit einer
steigenden Nachfrage. Die bayerische
LfA, die 2010 mit 1,7 Mrd. Euro Fördervolumen 6 400 mittelständische Unternehmen unterstützte und damit einen
Anstieg um 57 % auf den höchsten Wert
der vergangenen zehn Jahre verzeichnete, sieht ebenfalls noch kein Ende
der Fahnenstange. „2011 wird bei den
Förderkrediten voraussichtlich mindestens so gut wie 2010“, sagt Conradi.
„Die Nachfrage ist nicht trotz, sondern gerade wegen der guten Konjunktur gestiegen. Die Unternehmen investieren wieder mehr in Wachstum“, so
erklärt Manfred Schmitz-Kaiser, Mitglied des Vorstands der L-Bank. Seit
Mitte des vergangenen Jahres würden
statt Liquiditätshilfen immer häufiger
Investitionskredite beansprucht. Der
L-Bank-Kredit zur Gründungs- und
Wachstumsfinanzierung verbuchte
2010 ein Plus von 70 %. Auch im laufenden Jahr steht nach Einschätzung
der L-Bank die Wachstumsfinanzierung im Vordergrund. Dafür spricht
der hohe Auslastungsgrad der Produktionsanlagen im verarbeitenden Gewerbe von mehr als 87 %.
Rückkehr auf das
Vorkrisen-Niveau
Die KfW Bank in Frankfurt geht unterdessen eher von einem „Fördergeschäft auf dem Niveau der Zeit vor der
Finanz-und Wirtschaftskrise“ aus, wie
es bei der Bank heißt. Die zuletzt erzielten Rekordwerte der KfW hingen
KMUs gehen gestärkt
aus der Krise hervor
vor allem mit dem von der Bundesregierung aufgelegten Krisen-Sonderprogramm zusammen, das Ende 2010 auslief. Die etablierten und bewährten
KfW-Programme will die Bank punk­
tuell anpassen. So will die Staatsbank
zum 1. April 2011 die Gründungs- und
Unternehmensfinanzierung verein­
fachen und verbessern, indem die
Fremdkapitalfinanzierungen für Existenzgründer im neuen KfW-Gründerkredit und die Finanzierungen für etablierte Unternehmen weitgehend im
KfW-Unternehmerkredit zusammengefasst werden.
Nachrangkapital zählt zu den Mezzanine-Produkten, mit denen Mittelständlern zu einer besseren Eigen­
kapitalausstattung verholfen werden
soll. Solche Darlehen können je nach
Vertragsgestaltung zum Eigenkapital
gerechnet werden. Ein MezzanineProdukt bietet zum Beispiel auch die
bayerische Förderbank mit dem sogenannten Mittelstandskapital an – mit
mäßigem Erfolg allerdings. Obwohl
Optimismus bei der KfW: Die Kreditanstalt für Wiederaufbau rechnet
für 2011 mit einem Fördervolumen
auf Vorkrisen-Niveau. Im Bild die
Innenansicht des Atriums der Ost­arkade der KfW im Hauptsitz in
Frankfurt/Main. Foto: KfW
„Die Nachfrage ist nicht
trotz, sondern gerade
wegen der guten
Konjunktur gestiegen. Die
Unternehmen investieren
wieder mehr in Wachstum.“
Manfred Schmitz-Kaiser,
Vorstandsmitglied der L-Bank
Generell scheint das Thema Eigen­
kapital nicht mehr den Stellenwert zu
haben wie noch vor einem Jahr. Denn
die mittelständische Wirtschaft hat
sich während der konjunkturellen Talfahrt besser geschlagen als erwartet.
Die beklagte dünne Eigenkapital­
ausstattung hat sich in der Krise wider
alle Voraussagen verbessert, sogar um
8 % im Schnitt, wie die KfW erhoben
hat. „Damit konnten die kleinen und
mittleren Unternehmen ihre Krisenfestigkeit erhöhen und auch ihre Kredit­
fähigkeit verbessern“, kommentierte
der Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe Norbert Irsch dieses Ergebnis.
Auch die L-Bank bestätigt, dass es
selbst vielen kleineren Betrieben im
vergangenen Jahr gelungen sei, ihr
­Eigenkapital auszubauen. „Dennoch
braucht der Mittelstand weiterhin
Partner, die innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens Beteiligungen eingehen. Nur so lassen sich umfangreiche
Vorhaben wie Nachfolgefinanzierungen bewältigen“, betont L-Bank Vorstandsmitglied Schmitz-Kaiser. Mezzanine seien nach wie vor gefragt.
Auch weil im Jahr 2011 kapitalmarkt­
finanzierte Mezzanine-Programme
auslaufen werden. „Für Mittelständler
wird es dann schwierig werden, Anschlussfinanzierungen zu finden“, befürchtet Schmitz-Kaiser. Diese Lücke
will die ­L-Bank mit ihrem Programm
L-MezzaFin schließen.
Unabhängig von der Konjunktur, so
ist Conradi von der LfA überzeugt,
wächst die Bedeutung der Förderbanken als Finanzierer des Mittelstands.
Conradi führt das auf eine veränderte
Beziehung zu den Geschäftsbanken
zurück. Man gehe seit einigen Jahren
aktiv auf die Banken zu und mache die
Vorteile einer Zusammenarbeit deutlich. „Wir werden mittlerweile als Partner und nicht mehr als Behörde wahrgenommen“, so Conradi. Der Experte
hält das auch für den richtigen Weg:
„Ohne die Hausbanken geht es nicht“,
sagt er.
März
2011
WirtschaftsKurier
Unterstützung
am Scheideweg
Nimbus | Privates Beteiligungskapital als Alternative
von Jan Pieter de Graaf*
V
eränderungen sind der Erfolgsmotor des deutschen Mittelstands – und nahezu jedes Unternehmen kommt in seiner Geschichte an einen Wendepunkt, der über den
zukünftigen Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Dies können Neupositionierungen, Expansionen, Restrukturierungen, Turnarounds, Ausgliederungen
oder Nachfolgeregelungen sein – essenziell sind dabei immer die individuell richtige Strategie, die Verfügbarkeit
von Kapital und das operative Knowhow zur Umsetzung von Veränderungsprozessen. Doch diese Weichen richtig
zu stellen bedeutet für Unternehmer
häufig große Herausforderungen, zumal das operative Tagesgeschäft oft keinen Raum für eingehende strategische
Analysen und Entscheidungen lässt
oder das nötige Kapital fehlt.
Hier kann privates Beteiligungska­
pital echten Mehrwert schaffen und
­einen entscheidenden Beitrag zur Zukunftssicherung der Betriebe leisten.
Denn auf den Mittelstand spezialisierte
Kapitalbeteiligungsgesellschaften wie
Nimbus hands-on investors unterstützen Unternehmen in Umbruchsitua­
tionen kurz-, mittel- und langfristig auf
den drei wichtigsten Ebenen: strategisch, finanziell und operativ.
Auf der strategischen Ebene werden in enger Zusammenarbeit mit der
­Geschäftsleitung die Substanz, die Geschichte und das zukünftige Potenzial
der Unternehmen individuell analysiert und gemeinsame Ziele und Stra­
tegien für eine erfolgreiche Positionierung im Markt entwickelt. Auf der finanziellen Ebene führen sie durch die
Übernahme von Anteilen den Unternehmen zunächst Eigenkapital zu und
Zug um Zug erarbeitet eine private
Beteiligungsgesellschaft mit den
Unternehmen die richtige Strategie.
erhöhen damit die Eigenkapitalquote
signifikant. Dies bildet die erste Basis
für anstehende Investitionen und die
Finanzierung der festgelegten Ziele.
Darüber hinaus stellt die Gesellschaft
aufgrund ihrer eigenen Finanzkraft und
der Vernetzung mit weiteren Finanzierungspartnern die Verfügbarkeit von
Kapital stets sicher. Auf der operativen
Ebene schließlich begleitet der Investor
die Unternehmen mit aktiver Management-Unterstützung bei der Umsetzung der strategischen Veränderungsprozesse. Und zwar so lang, bis die gemeinsam gesteckten Ziele erreicht sind
und das Unternehmen wieder eigenständig im Markt agieren kann.
Branchenwissen schafft Vertrauen
Diese enge Zusammenarbeit mit der
Geschäftsleitung erfordert eine indi­
viduelle und partnerschaftliche Beratung seitens der Kapitalbeteiligungs­
gesellschaft mit genauer Kenntnis der
Chancen und Herausforderungen der
Unternehmen. Insbesondere für die
mittelständischen Unternehmer bedeutet die Zusammenarbeit mit einem
Eigenkapitalpartner einen enormen
Vertrauensbeweis und sie erwarten
strategische sowie operative Unterstützung auf Augenhöhe. Dies kann die
Beteiligungsgesellschaft nur gewährleisten, wenn sie über umfangreiche
Industrieexpertise verfügt, eine belastbare Erfolgsgeschichte nachweisen
kann und die involvierten Manager
selbst aus der Industrie kommen. Erst
damit kann der Investor belegbares
Branchen-Know-how und operative
Management-Erfahrung für die Unternehmen einbringen und „hands-on“
zu einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung beitragen.
Der Fokus auf ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen der Beteiligungsgesellschaft und dem Unternehmen nimmt nach unserer Erfahrung
bei Nimbus den Unternehmern auch
die Sorge, sie könnten nach der Ab­
gabe der Anteile die Kontrolle und Einflussnahme verlieren und würden ihr
Unternehmen komplett in fremde
Hände übergeben. Denn eines darf
man nicht vergessen: Eine Beteiligung
kommt für einen Investor nur dann infrage, wenn er von dem Potenzial ­eines
Unternehmens überzeugt ist. Unternehmer und Beteiligungsgesellschaft
eint also von Anfang an das ge­mein­
same Ziel, das Unternehmen langfristig erfolgreich und zukunfts­sicher zu
machen.
*Jan Pieter de Graaf ist
Geschäftsführer von
Nimbus hands-on investors
Alternative mit viel Potenzial
Demica | Supply Chain Finanzierung auf dem Vormarsch
von Phillip Kerle*
D
as Vertrauen der globalen
Märkte in die Wirtschaft ist
weiterhin angeschlagen – und
die jüngsten Ereignisse in Griechenland und Irland haben kaum zu einer
Erleichterung dieser Unsicherheit seit
Beginn der Finanzkrise beigetragen.
In Deutschland, wo mehr als 99,7 %
der Betriebe kleine und mittelstän­
dische Unternehmen (KMU) sind, haben die krisenbedingte Knappheit an
liquiden Mitteln und der begrenzte
­Zugang zu klassischen Kreditlinien das
operative Geschäft und die Wett­be­
werbs­fähigkeit der KMU deutlich eingeschränkt. Der Bedarf der KMU nach
­einem besseren Cashflow und ihre
­Abhängigkeit von Abnehmern in Großunternehmen – wie auch der Abnehmerwunsch nach verlängerten Zah-
lungsbedingungen – haben die Notwendigkeit alternativer Finanzierungslösungen wie etwa Supply Chain Finanzierung (SCF) verstärkt. So können
Zulieferer und Abnehmer vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren.
SCF trägt nicht nur zu einem verbesserten Cashflow-Management bei. Es
reduziert auch Risiken in der Zulieferer­
kette und erhöht die Transparenz der
Transaktionen. Ebenso bietet SCF kleineren Zulieferern eine Finanzierungslösung, bei der der Zinskostenaufwand
anhand der Bonität des Großunternehmenseinkäufers berechnet wird – der
Vorteil: niedrigere Leihzinssätze.
Banken in Europa – Hauptanbieter
von SCF – erleben derzeit exponentiell
steigende Wachstumsraten bei der
Nachfrage nach Finanzierungslösungen für die Supply Chain. Einige Banken rechnen sogar mit dem Ersatz
des ­traditionellen Akkreditiv-Geschäfts
durch SCF-Programme. Laut unserer
jüngsten Umfrage unter den Top-40Banken in Europa liegen die Gründe
für diesen rasanten Anstieg auf der
Hand: Kredite sind teuer, Abnehmer
und Zulieferer müssen ihren Cashflow
verbessern, und SCF bietet die Lösung,
bei der Liquidität in der Lieferantenkette freigesetzt und Risiken reduziert
werden.
Unterstützung für die Zulieferer
Phillip Kerle von Demica kennt die
Vorteile der Supply Chain Finan­
zierung als alternative Lösung für
den Mittelstand. foto: demica
Es geht aber nicht nur um die Frei­­set­zung von liquiden Mitteln. Ebenso
wichtig sind die Unterstützung und
Qualitätssicherung der Zulieferer. Großunternehmen, die als Abnehmer agieren und die SCF-Programme aufsetzen,
sind sogenannte Investment Grade
Companies. Ihre Kreditfähigkeit wird
höher als die ihrer Zulieferer eingestuft
– und oftmals haben kleine Zulieferer
gar kein individuelles Bonitätsrating.
SCF ermöglicht Zulieferern den Zugang
zu Krediten mit einem Leihzins, der
deutlich unter der Zinsrate liegt, die sie
bei traditionellen Darlehensprodukten
erhalten würden – manchmal bis zu
drei oder vier Prozentpunkte darunter.
In Deutschland bilden KMUs das
Grundgerüst für Innovationen und
Fortschritt. 70 % aller Arbeitskräfte sind
bei einem KMU angestellt, und ohne
Zugang zu liquiden Mitteln kann dieser Wirtschaftstreiber zum Stillstand
kommen. Um leistungsfähigen Unternehmen, die in der Vertrauensklemme
stecken, den Zugang zu SCF zu ermöglichen, müssen Großabnehmer und
deren Banken SCF-Programme fördern
und vorantreiben. Die gute Nachricht
ist, dass mehr als 80 % der europäischen Top-Banken laut unserer Studie
ihre Marketingaktivitäten für SCF-Angebote hochgefahren haben. Institute
aus Deutschland unterstreichen dabei
die Notwendigkeit eines kundenorientierten Ansatzes in der SCF.
Derzeit erwarten die Banken eine
steigende Nachfrage für SCF-Lösungen
hauptsächlich aus der herstellenden
Industrie, aus Handel, Automotive,
Maschinenbau und der Lebensmittel­
industrie. Infolge der jüngsten Finanzund Wirtschaftskrise suchen Firmen
händeringend nach alternativen Finanzlösungen abseits der traditionellen Kreditvereinbarungen, und SCF
bietet ihnen Cashflow optimierende
Mittel an – genau das, was sie von­
ihren Großabnehmern nachdrücklich
gefordert haben.
*Phillip Kerle ist Hauptgeschäftsführer
von Demica in London
März
25
Mittelstandsfinanzierung
2011
WirtschaftsKurier
Die Kleinen erobern die Welt
Commerzbank | Gut vorbereitet können auch KMUs den Schritt ins Ausland wagen, meint Bereichsvorstand Bernd Laber
G
erade der kleine Mittelstand
scheut oft den Weg ins Ausland: zu teuer, zu unvorhersehbar, zu risikoreich. Doch wenn Kunden
oder Lieferanten eine Auslandspräsenz
fordern, ist es meist schon zu spät, dann
könnte der Wettbewerber bereits da
sein. Weshalb die Größe der Firma nur
eine untergeordnete Rolle spielt, was
der Mittelständler zum Banktermin
mitbringen sollte und wie man, finanziell gesehen, eine „blutige Nase“ vermeidet, weiß Bernd Laber, Bereichsvorstand Mittelstandsbank International
bei der Commerzbank.
WirtschaftsKurier: Herr Laber, was
sind die wichtigsten Gründe für eine
Internationalisierung? Kommt man
heutzutage auch als kleineres Un­
ternehmen darum noch herum?
Bernd Laber: Ob sich ein Unternehmen
dazu entschließt, einen internationalen Weg zu gehen, ist nicht prinzipiell
eine Frage der Größe. Das hängt ab
vom Geschäftsmodell, vom Produkt,
von den für das Unternehmen re­
levanten Märkten und einer Reihe
­anderer Faktoren. Ab einer gewissen
Größe ist grenzüberschreitendes Geschäft allerdings keine Option mehr,
sondern ein Muss. Nicht zuletzt die
Finanz- und Wirtschaftskrise war
Anlass für viele Unternehmen, die
weltweiten Märkte auf Chancen und
Potenziale hin zu untersuchen. Das
spiegelt sich auch in vielen Gesprächen, die wir mit unseren Kunden
geführt haben. Das Interesse an unseren Auslandsanalysen, am Knowhow der Mitarbeiter unseres International Desk und am direkten Kontakt
zu den German Desks im Ausland ist
sehr groß. Wir stellen fest, dass Internationalisierung nach wie vor ganz
weit oben auf der Agenda des Mittelstands steht.
WiKu: Inwieweit ist Internationalisie­
rung mittlerweile gerade für kleine
und mittlere Unternehmen viel­
leicht sogar ein entscheidender Er­
folgsfaktor geworden?
Laber: Im Rahmen einer langfristigen
Wachstumsstrategie kann es sich
auch für kleine und mittlere Unternehmen zunehmend stärker lohnen,
internationale Märkte in ihre strategischen Überlegungen mit einzubeziehen. Vor ein paar Jahren war dies
noch den größeren Firmen vorbehalten. Mittelständische Unternehmen
denken vielfach erst dann darüber
nach, ins Ausland zu gehen, wenn
ihre wichtigsten Kunden oder Großabnehmer diesen Schritt bereits gewagt haben und umgekehrt eine
­internationale Präsenz von ihren Lieferanten erwarten oder gar fordern.
Dabei boten viele internationale
Märkte in den letzten Jahren deutlich
stärkeres Wachstum als Deutschland.
Selbstverständlich ist auch für ein erfolgreiches Auslandsengagement das
vernünftige Abwägen der Chancen
und Risiken ein Muss. Dennoch sollte es im Grundsatz darum gehen,
Chancen zu ergreifen, und nicht da­
rum, Risiken zu vermeiden.
WiKu: Welche Unterstützung kann
ein Firmenkunde mit starkem Aus­
landsgeschäft von seiner Bank er­
warten?
Laber: Es ist wichtig für unsere Kunden,
dass der Firmenkundenbetreuer, der
das Unternehmen in Deutschland
berät, auch für das internationale
Geschäft verantwortlich ist und den
Kunden international kompetent begleiten kann. Dazu kommt im Idealfall natürlich eine ausreichende Präsenz in den Auslandsmärkten. Die
Commerzbank zum Beispiel ist mit
ihren Filialen, Tochter- und Beteiligungsgesellschaften sowie Repräsentanzen mit rund 14 000 Mitarbeitern
in mehr als 50 Ländern an über 110
Standorten direkt vertreten. Wir
­begleiten unsere Kunden in nahezu
jedes Land der Erde. Dabei haben
wir sichergestellt, dass es überall Ansprechpartner gibt, die sowohl die
deutsche als auch die Landessprache
beherrschen und sich mit den kulturellen und strukturellen Besonderheiten des jeweiligen Landes hervorragend auskennen. Tiefes Markt- und
Sektorwissen, breite Produktexper­
tise und die Fähigkeit zur Entwicklung von innovativen Finanzlösungen sind ebenso Selbstverständlichkeiten wie umfassendes Know-how
in den Bereichen Corporate Finance,
strategische Unternehmensfinanzierung, also etwa Debt & Equity Capital
Markets sowie Mergers & Acquisitions, ferner die Absicherung von
Währungs-, Zins- und Rohstoffrisiken sowie Cash­management.
WiKu: Was erwarten Sie, wenn der
Unternehmer sich zur Finanzie­
„Internationalisierung
steht nach wie vor ganz
weit oben auf der Agenda
des Mittelstands.“
Bernd Laber, Commerzbank
ausl andsfinanzierung
■■ Fördermittel
Im Bereich der Fördermittel ist das
wesentliche Instrument der Außenwirtschaftsförderung für den Mittelstand die Euler-Hermes Exportkreditversicherung. Zur Refinanzierung dieser Lieferantenkredite bietet sich der
regresslose Forderungsankauf an. Die
Exportforderung sowie die Rechte und
Ansprüche aus der Euler Hermes-Deckung werden an die Commerzbank
abgetreten. Im Gegenzug erhält der
Kunde bei ordnungsgemäßer Ankaufsdokumentation den diskontierten Barwert der Exportforderung.
■■ Bestellerkredit
Beim Bestellerkredit gewährt eine inländische Bank dem ausländischen
Besteller einen Kredit. Die Auszahlung
der Kreditmittel erfolgt jedoch an den
Exporteur, damit er seinen Verpflichtungen aus diesem Liefergeschäft
nachkommen kann. Der Bestellerkredit bietet sich vor allem für Geschäfte an, bei denen dem Abnehmer ein
mehrjähriges Zahlungsziel angeboten
werden soll.
■■ Forfaitierung
Eine weitere Möglichkeit ist der regresslose Ankauf einer Forderung
(Forfaitierung). Die Forderung, die der
Exporteur nach vertragsgemäßer Lieferung gegenüber dem Importeur hat,
wird dabei von der Bank ohne Rückgriff auf den Exporteur angekauft. Damit werden nicht nur das wirtschaftliche Risiko aus dem Grundgeschäft,
sondern auch die politischen Risiken
des Importlands abgedeckt.
■■ Lieferantenkredit
Der Lieferantenkredit wird zur Finanzierung des Zahlungsziels, das der
Exporteur dem Importeur gibt, gewährt. Er wird an den Exporteur ausbezahlt und üblicherweise durch Ansprüche aus dem Liefergeschäft und
damit verbundenen Sicherheiten abgesichert. Der Lieferantenkredit wird
häufig schon während der Produktionsphase gewährt.
Von Deutschland in die ganze Welt:
Dass der heimische Mittelstand so
einiges stemmen kann, hat er auch in
Krisenzeiten wieder bestätigt. International ihre Kraft zu beweisen –
davor schrecken KMUs oftmals zurück.
Doch richtig vorbereitet, mit einer
erfahrenen Hausbank im Rücken,
können die Kleinen die Welt erobern.
rung seines Auslandsengagements
an Sie wendet?
Laber: Grundlage für eine Geschäftsbeziehung sind Partnerschaftlichkeit, Offenheit und Transparenz. Wir
möchten das Geschäftsmodell un­
seres Kunden und seine Gründe für
das Auslandsengagement verstehen.
Je früher das mittelständische Unter­
nehmen sein Finanzinstitut einbezieht, desto individueller und ziel­
gerichteter kann hier die Unter­
stützung gelingen. Banken können
angesichts ihrer breiten, über reine
Finanzierungsaspekte hinausgehenden Kompetenz auch Impulse für
strategische Neuausrichtungen geben, indem sie ihre Kunden über die
Potenziale ausländischer Märkte –
sei es für Export, Import, Koopera­
tion/Joint Venture oder Auslandsinvestition – informieren und beraten.
WiKu: Was muss der Unternehmer
an Sicherheiten oder an Konzepten
mitbringen? Wie unterscheiden
sich die Anforderungen bei kleinen
und mittleren Unternehmen von
den Großkonzernen?
Laber: Die Besicherung ist natürlich
abhängig von der gewählten Finanzierungsform. Grundsätzlich ist eine
frühzeitige Einbindung der Bank von
Vorteil, um die Bonitätsprüfung vorzunehmen und alle notwendigen
Punkte für die Sicherheitenstellung
mit dem Kunden zu besprechen. In
der Praxis zeigen sich unterschied­
liche Anforderungen an kleine und
mittlere Unternehmen sowie Großkonzerne. Dies hängt vor allem von
der Art der Finanzierung, der Laufzeit, dem Verwendungszweck, der
Bonität des Unternehmens und dem
generellen Risikoprofil beziehungsweise Umfeld ab.
WiKu: Welche Rolle spielen die ein­
heimischen Banken in den Ländern
vor Ort bei der Finanzierung?
Laber: Viele konkurrierende Banken
zie­hen sich trotz steigender Interna­
tionalisierung des deutschen Mittelstands aufgrund der weltweiten Finanzkrise von ausländischen Märkten
zurück. Die Commerzbank agiert entgegengesetzt und eröffnet neue Filialen in der Schweiz, in Wien, Tianjin
und Beijing. Damit einher gehen die
Implementierung eines einheitlichen
Betreuungsmodells weltweit sowie
die Einführung von German Desks in
allen Commerzbank-Filialen.
WiKu: Was raten Sie Unternehmern,
damit sie finanziell keinen Schiff­
bruch erleiden?
Laber: Mittelständische Unternehmen
gehen vielfach erst dann die Frage
der Internationalisierung an, wenn
sie von Kunden dazu gedrängt werden. Das heißt, der Impuls kommt
häufig von außen: Kleine Unternehmen entwickeln ihre Märkte zu selten
vorausschauend. Damit droht jedoch
die Gefahr, Chancen zu verpassen.
Auf der anderen Seite ist es wichtig,
über die Zahlungsmodalitäten im
Auslandsgeschäft bereits vor Vertrags­
unterzeichnung mit neuen Kunden
im Ausland nachzudenken. Hier können und wollen wir als Bank gerne im
Vorfeld beraten, wie ein Unternehmen dies am besten macht, um sich
finanziell „keine blutige Nase“ zu holen. Es gibt einen weiteren Aspekt.
Eine gut geplante und vorausschauende Internationalisierungsstrategie
erschließt nicht nur neue Märkte,
sondern sichert auch bestehende
Marktpositionen im Heimatmarkt ab.
Für zwei Drittel aller Mittelständler
ist der internationale Konkurrenzdruck inzwischen auch auf dem Heimatmarkt spürbar. Eine Prüfung der
individuellen Chancen und Risiken
für eine internationale Aus­richtung
sowie die Einbeziehung des Finanzierungspartners lohnen also in jedem Fall. Für die meisten mittel­
ständischen Unternehmen hat sich
die Auslandsinvestition gelohnt. Fast
zwei Drittel der Unternehmen haben
ihr Auslandsengagement in den vergangenen fünf Jahren ausgeweitet.
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26 Factoring
März
2011
WirtschaftsKurier
Wie Phoenix aus der Asche
Factoring | Die Krise hat der Branche neues Leben eingehaucht – Nachfrage und Bekanntheit steigen
von norbert hofmann
D
ie deutsche Wirtschaft boomt,
die Finanz- und Wirtschaftskrise scheint vergessen. Wie in
den schlechten gilt aber auch in den
guten Zeiten: Zum Unternehmenserfolg gehören Liquidität und ein effizientes Risikomanagement. Kein Wunder ist es da, dass mit der anspringenden Konjunktur auch die Nachfrage
nach Factoring steigt. Die Branche
kann sich derzeit sogar über besonders blühende Geschäfte freuen. Zwar
musste auch sie angesichts der
schlechten Wirtschaftslage im Jahr
2009 noch Umsatzeinbrüche hinnehmen. Doch selbst damals verzeichnete
das Factoring in Deutschland einen
durchaus beachtlichen Zugang an
Neukunden. Viele, vor allem mittelständische Unternehmen interessierten sich erstmals für den Forderungsverkauf als Finanzierungsalternative,
weil klassische Bankkredite in der
­Regel schwerer zu bekommen waren.
„Diese Kunden sind dem Factoring
jetzt auch nach der Krise treu geblieben“, sagt Alexander Moseschus, Geschäftsführer des Deutschen Factoring-Verbands.
Weil mit dem Aufschwung auch die
Forderungsvolumen der Bestandskunden nach oben geschnellt sind, ist mittlerweile sogar von einer rasanten Bele-
„Wir stoßen immer noch
auf Kunden, die Factoring
nicht kennen und erst in der
Bank darauf aufmerksam
gemacht wurden.“
Hauke Kahlcke,
Geschäftsführer VR Factorem
bung des Geschäfts im Jahr 2010 die
Rede. Der positive Trend dürfte sich
fortsetzen, weil die Unternehmen im
Aufschwung deutlich mehr in ihre Betriebsmittel investieren müssen und
dafür Finanzierungen brauchen. „Wir
registrieren quer durch alle Branchen
einen optimistischen bis sehr optimistischen Ausblick, sodass wir 2011 mit
weiter steigenden Umsätzen rechnen“,
sagt Manfred Plachetka, Geschäftsführer der Crefo Factoring Rhein Ruhr
GmbH. Gleichzeitig berichten vor allem kleine und mittlere Unternehmen
laut Konjunkturumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) noch immer von Schwierigkeiten bei der Beschaffung von
Fremdkapital. „Die Entwicklung bei
den Finanzierungsbedingungen bleibt
hinter der wieder sehr guten Geschäftssituation der Unternehmen zurück“,
so die Studie. Vor allem Firmen mit
schwacher Eigenkapitalausstattung berichten trotz aller Stabilisierungstendenzen von höheren Anforderungen
an Sicherheiten und Zinsen. Das Factoring kann in einer solchen Situation
hilfreich sein. Denn die dafür anfallenden Kosten werden zu einem Gutteil
nicht nur durch die Schonung der Kreditlinien wettgemacht. Mit dem Forderungsverkauf steigen auch die Chancen, durch schnellere Bezahlung der
Eingangsrechnungen von Skontovorteilen zu profitieren. „Entscheidend
aus Sicht unserer Kunden sind die
schnell gewonnene Liquidität und die
daraus resultierenden Vorteile beim
Einkauf“, bestätigt Plachetka von der
Crefo Factoring Rhein Ruhr.
Gerade für kleinere Unternehmen
bleibt zudem interessant, dass sie
durch Auslagerung ihres Debitorenmanagements samt Mahnwesen an
den Factor interne Fixkosten sparen
können. Nicht wenige Firmen interes-
sieren sich jetzt aber auch deshalb für
den Verkauf ihrer Forderungen, weil
sie der Anstieg der Insolvenzen für
Ausfallrisiken sensibilisiert hat. „Damit
hat auch das Bedürfnis nach Absicherung zugenommen, das für mehr als
40 % unserer Kunden nach der Liquidi-
nach wie vor nicht zu unterschätzen.
Denn besonders im Aufschwung, so
warnen die Experten des Deutschen
Industrie- und Handelskammertags,
sind Unternehmen durch die zuvor
ausgetrocknete Liquidität einerseits
und einen erhöhten FinanzierungsbeAnzeige
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tätsbeschaffung – mit mehr als 90 % –
die wichtigste Motivation für Factoring
ist“, sagt Hauke Kahlcke, Geschäfts­
führer der zur Genossenschaftlichen
FinanzGruppe gehörenden VR Factorem GmbH. Das Risiko, geplante Einnahmen infolge einer Zahlungsunfähigkeit des Abnehmers zu verlieren, ist
darf andererseits insolvenz­gefährdet.
Freilich nehmen auch die FactoringGesellschaften die Debitoren erst einmal unter die Lupe, ehe sie über den
Ankauf der Forderungen entscheiden.
„Wir machen das Unternehmen dann
darauf aufmerksam, dass bei einem
seiner Abnehmer ein Ausfallrisiko vor-
liegt, und tragen so zu einer Schadensprophylaxe bei“, sagt Kahlcke. Bei der
VR Factorem achtet man zudem da­
rauf, das Factoring gemeinsam mit den
Beratern der Volks- und Raiffeisenbanken in ein Gesamtkonzept der Finanzierung als gezielte Ergänzung zum
Bankkredit einzubetten. An Potenzial
mangelt es nicht. „Wir stoßen immer
noch auf Kunden, die Factoring nicht
kennen und erst in der Bank darauf
aufmerksam gemacht wurden“, so VRFactorem-Geschäftsführer Kahlcke.
In der griechischen Mythologie
verbrennt der Vogel Phoenix, um aus
seiner Asche neu aufzuerstehen.
Ganz so dramatisch hat es die Factoring-Unternehmen zwar nicht
getroffen, aber einige hatten mit den
Auswirkungen der Finanzkrise zu
kämpfen. Jetzt, wo die Unternehmen
wieder deutlich mehr in ihre Be­triebsmittel investieren, befindet sich
auch die Branche im Aufwind.
Deutschland hinkt in Sachen
Factoring Europa hinterher
Ein Blick in die europäischen Nach­
barländer unterstützt die These. Auch
wenn sich das Marktvolumen mit über
100 Mrd. Euro im Jahr 2010 wieder
nahe den alten Höchstständen befinden dürfte, hinkt Deutschland bei einer Factoringquote von rund 4 % anderen Ländern wie etwa Frankreich und
Italien hinterher. Die Quote steht für
den Anteil des angekauften For­de­
rungs­­volumens am Bruttosozialprodukt und liegt im europäischen Durchschnitt bei über 6 %. In England ist sogar mehr als das Doppelte der Standard. Zumindest ein paar weitere
Schrittchen in diese Richtung dürfte
sich der deutsche Markt bewegen,
wenn beispielsweise die Banken angesichts der neuen Eigenkapitalvorschriften von Basel III noch schärfere Bedingungen an die Kreditvergabe stellen.
Denn sinnvoll ist das Factoring auch,
weil es die Eigenkapitalquote stärkt
und so wiederum zu günstigeren Kreditkonditionen führen kann. „Der Forderungsverkauf wird angesichts der
Zurückhaltung der Banken zudem deshalb weiter an Gewicht gewinnen, weil
viele mittelständische Unternehmen
ihre während der Krise zurückgestellten Investitionen jetzt nachholen wol-
len“, sagt Matthias Bommer, Geschäftsführer der bankenunabhängigen Vantargis Factoring in München. Er verweist darauf, dass die durch den Forderungsverkauf gewonnene Liquidität
darüber hinaus im oftmals scharfen
Wettbewerb um neue Kunden eine Hilfe sein kann. „Wer dank seiner Liquidität längere Zahlungsziele einräumt, ist
bei der Auftragsvergabe nicht selten im
Vorteil“, sagt Bommer.
Der Wettbewerb hat allerdings auch
in der Factoringbranche selbst Spuren
hinterlassen. Viele kleine und mittlere
Anbieter, die hohe Ausfälle zahlen
mussten, bekommen nun ihrerseits
Liquiditätsprobleme. „Solche Institute
stehen jetzt teilweise zum Verkauf,
weil Banken die Refinanzierung einschränken oder höhere Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung
stellen“, bestätigt Vantargis-FactoringGeschäftsführer Bommer.
März
27
Factoring
2011
WirtschaftsKurier
Der Markt ist in Bewegung wie nie zuvor
Deutscher Factoring-Verband | Forderungsverkauf als sicherer Hafen für den Mittelstand
von Alexander Moseschus*
D
er deutsche Factoring-Markt
befindet sich wieder im Aufwind. Gerade in den Zeiten
nach der globalen Finanzkrise erweist
sich die Unternehmensfinanzierung
durch Forderungsverkauf als ein sicherer Hafen, besonders für dringend
auf Liquidität angewiesene Unternehmen aus dem Mittelstand. Während
im Jahr 2009 deutsche Unternehmen
die Folgen der globalen Finanz- und
Wirtschaftskrise deutlich spürten mit
starken Einbrüchen im Bestandskundengeschäft und einem damit einhergehenden, erstmaligen Rückgang im
Umsatzvolumen der Factoring-Branche, wird sich für 2010 wohl wieder ein
Wachstum für das Gesamtjahr 2010
vermelden lassen.
Verwöhnt von Umsatzzuwächsen
Die offiziellen Detailzahlen zum Markt
legt der Deutsche Factoring-Verband
e. V., der die Interessen von 26 deutschen Factoring-Instituten und damit
etwa 85 % des deutschen Factoring-Volumens vertritt, Mitte März auf seiner
Bilanzpressekonferenz in Frankfurt/
Main vor. Es deutet allerdings einiges
darauf hin, dass die Factoring-Branche, die mit Ausnahme des Jahres 2009,
des Jahres der Finanzkrise, stetig von
Umsatzzuwächsen verwöhnt war, neuen Schwung erhalten hat: Schon das
erste Halbjahr 2010 startete stark dynamisch.
Der Gesamtumsatz der Mitgliedsunternehmen des Verbands stieg allein für das erste Halbjahr 2010 auf
­bemerkenswerte 59,02 Mrd. Euro, ein
deutliches Plus von knapp 38 % (im
ersten Halbjahr 2009: 43,26 Mrd.
Euro). Dieses starke Wachstum kann
als Zeichen dafür gewertet werden,
dass die Finanzkrise in weiten Teilen
des Mittelstands wohl überwunden
werden konnte. Viele Hersteller und
Lieferanten haben, wie schon seit Jahren nicht mehr, dick gefüllte Auftragsbücher. Auch in der Factoring-Branche machte sich dabei die besonders
starke Nachfrage aus dem internatio-
nalen Geschäft bemerkbar; für das erste Halbjahr 2010 wurde ein stolzer Anstieg im Export-Geschäft von knapp
3 Mrd. Euro verzeichnet, der Umsatz
stieg auf insgesamt über 13 Mrd. Euro
an (2009: 10,75 Mrd. Euro), ein Zuwachs um 28 %, im Import-Geschäft
um 39 % auf 1,26 Mrd. Euro (2009: 0,91
Mrd. Euro).
Neukunden aus Krisenzeiten
bleiben Factoring treu
Schon diese erfreulichen Zuwachszahlen des ersten Halbjahrs werden in der
Branche als Beleg dafür gesehen, dass
viele Neukunden, die in Zeiten der
­Finanzkrise Factoring kennen- und
schätzen gelernt haben, diese Finanzdienstleistung auch weiterhin erfolgreich als alternative Finanzierungsform nutzen. Die Vorteile des Fac­
torings – unter anderem die 100%ige
Delkredere-Absicherung, die sofortig
nutzbare umsatzkongruente Finanzierung bei gleichzeitiger Verbesserung
der Bilanzstruktur und damit mittelbarer Erhöhung der Eigenkapitalquo-
„Factoring nutzen zu
können ist zwischenzeitlich
zu einem Qualitätsmerkmal
geworden.“
Alexander Moseschus, Geschäftsführer
Deutscher Factoring-Verband
te – mögen dabei in vielen Fällen mit
vertragsentscheidend für FactoringNeukunden gewesen sein. Factoring
leistet dabei mit einer zwischenzeitlich erlangten Factoring-Quote von
4 % (2009) einen immer wichtigeren
Beitrag zur Finanzierung des deutschen Mittelstands. Auch das Image
des Factorings hat sich bei Kunden,
aber auch Banken deutlich verbessert:
Factoring nutzen zu können ist zwischenzeitlich zu einem Qualitätsmerkmal geworden.
Der Factoring-Markt ist in der jüngsten Zeit in Bewegung wie kaum jemals
zuvor: Neue Anbieter haben sich entschieden, den deutschen Markt zu
­bedienen, sicherlich auch vor dem
Hintergrund, dass die Wachstums­
potenziale für Factoring überdurchschnittlich sein dürften. Andere, auch
große Marktteilnehmer verschmolzen
mit bereits bekannten Anbietern. Seit
Ende 2008 sind Factoring-Unternehmen in Deutschland zudem der Finanzaufsicht der Bundesanstalt für
­Finanzdienstleistungen (BaFin) unterstellt, mit der Begründung des Gesetzgebers, dass der Forderungsverkauf
bei der Finanzierung der Industrie
und des Mittelstands inzwischen eine
immer wichtigere Rolle spiele. Vor
dem Hintergrund der damit einher­
gehenden eingeschränkten Finanzaufsicht nach Maßgabe des Kreditwesengesetzes (KWG) befindet sich die
Branche vertikal andererseits in einer
Konsolidierungsphase; gerade Kleinstunternehmen, die die schärfer werdenden Anforderungen nicht erfüllen
können, ziehen sich aus dem Markt
zurück. Diese Entwicklung ist aus
Transparenzgründen auch für Factoring-Kunden sicherlich von Vorteil
und wird mit dazu beitragen, dass die
Dynamik des Forderungsankaufs im
Jahr eins nach der Krise weiter anhalten dürfte. Factoring lässt somit auch
für 2011 ein spannendes Geschäftsjahr
erwarten!
*Alexander Moseschus ist
Geschäftsführer des
Deutschen Factoring-Verbands
Sprungtuch für das Exportgeschäft
Deutsche Factoring Bank | Chancen auf neuen Märkten nutzen
VON HENDRIK HARMS*
V
ielen mittelständischen Unternehmen mit starkem Auslandsgeschäft bietet der Export
als Treiber des deutschen Konjunkturaufschwungs jetzt neue Wachstumschancen. Nach überstandener Krise ist
jedoch ihre Innenfinanzierung bisweilen noch schwach oder gar negativ.
Dann stellt sich die Frage: Wie lässt
sich die zusätzliche Liquidität für
den Aufschwung generieren, zumal in
vielen Ländern deutlich längere Zahlungsziele gelten als in Deutschland?
Hier bietet sich Factoring als wirksamer Stabilisator und positiver Impulsgeber für den Liquiditätshaushalt an.
Das gilt auch für Unternehmen, die
in den aufstrebenden neuen Märkten,
beispielsweise den BRIC-Staaten – Brasilien, Russland, Indien und China –,
ihre Chance suchen.
Während Kunden in Deutschland
normalerweise binnen 30 Tagen zahlen, sind beispielsweise in Frankreich,
Italien oder in den USA 60 oder gar 90
Tage keine Ausnahme. Eine interne Erhebung der Deutschen Factoring Bank
ergab: Werden Forderungen jahresdurchschnittlich auch nur um einen
Tag schneller beglichen, reduziert dies
den laufenden Finanzierungsbedarf
schon erheblich. Bei einem Jahresumsatz von 1,5 Mio. Euro und unterstellten Sollzinsen von 8 % pro Jahr fallen
333 Euro an Kosten für jeden Tag der
durchschnittlichen Debitorenlaufzeit
an. Hinzu kommt: Neben der Überbrückung langer Zahlungsziele ist es
Hendrik Harms, Geschäftsführer der
Deutschen Factoring Bank, kennt die
Vorteile für den Export. Foto: Dt. FB
für viele Unternehmen zudem schwierig, valide Bonitätsinformationen über
ihre ausländischen Abnehmer zu erhalten. Auch die Zahlungsmoral lässt
nicht selten zu wünschen übrig. Solche
Risiken hilft Factoring zu vermeiden,
und die dafür anfallenden Kosten sind
im Export nicht zwingend höher als im
Inlandsgeschäft.
Geld innerhalb von 48 Stunden
Der Verkauf der Forderungen an einen
leistungsstarken Factor löst spätestens
48 Stunden nach Rechnungsstellung
die Bezahlung von bis zu 90 % aller
­limitgedeckten Auslandsforderungen
aus. Damit verbunden ist für den Kun-
best pr ac tice im e xpor t
Um seine internen Fertigungsabläufe
zu optimieren und sich von Drittlieferanten unabhängiger zu machen, plante ein exportstarkes mittelständisches
Pharmaunternehmen Investitionen im
Umfang etwa eines halben Jahresumsatzes. Die weiter steigende Kundennachfrage erforderte zugleich eine
­Ausweitung der Betriebsmittelfinanzierung. Auf Vermittlung der betreuenden
Sparkasse kam Factoring als ergänzender ­Finanzierungsbaustein ins Spiel. Im
­Ergebnis bleiben die Kontokorrentkredite der Hausbanken weiterhin bestehen,
der darüber hinausgehende Betriebsmittelbedarf sowie die Auftragsfinanzierung werden durch ein stilles Kooperations-Factoring der Deutschen Factoring
Bank gedeckt – eine wichtige Weichenstellung für gesundes Wachstum.
den nicht nur 100%iger Schutz vor
­Forderungsausfällen weltweit, sondern
auch die Möglichkeit, Zahlungsziele
zur Verbesserung der Wettbewerbs­
position künftig flexibler zu gestalten.
Hinzu kommen die klassischen Factoring-Vorteile unter anderem für die
Rentabilität: So kann der Kunde die
zusätzlichen Finanzmittel für Einkaufsvorteile (Skonti, Rabatte) einsetzen
und Marktchancen nutzen. Bei einer
gewünschten Übertragung der Forderungsverwaltung an einen Spezialisten
werden darüber hinaus zusätzliches
Verwaltungspersonal und Sachkosten
für die Debitorenbuchhaltung gespart.
Weiterhin werden von der FactoringGesellschaft grundsätzlich die Kreditprüfung, das Inkasso und die Rechtsverfolgung übernommen. Weitere Vorteile sind die Verkürzung der Bilanz,
weil die gekauften Forderungen aus
dem Vermögen der Firma ausscheiden. Dadurch verbessern sich wichtige
Bilanzkennzahlen mit positivem Einfluss auf ein künftiges Rating.
Prinzipiell gibt es für Firmen auch
noch andere Wege, um im Export an ihr
Geld zu kommen. Im Vergleich zur Forfaitierung eignet sich Factoring besonders bei regelmäßigen Auslandslieferun­
gen an einen oder mehrere Abnehmer
und mit dem Ziel, Geldforderungen
kurzfristig zu realisieren. Die FactoringGesellschaft übernimmt im Gegensatz
zum Kreditversicherer das Ausfallrisiko
zu 100 %, wobei die Warenkreditver­
sicherung auch in die Factoring-Zusammenarbeit integriert werden kann.
Beim Factoring erfolgt der Forderungsausgleich immer 120 Tage nach Fälligkeit der Rechnung. Ein Ausfall muss
nicht separat nachgewiesen werden.
Bei der Wahl ihres Factoring-Instituts (Factor) sollten Unternehmen in
jedem Fall darauf achten, dass dieses
über internationale Erfahrung verfügt
und der 1968 gegründeten Factors
Chain International mit entsprechenden Partnerschaften in rund 60 Ländern angehört.
*Hendrik Harms ist Geschäftsführer
der Deutschen Factoring Bank
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28 Factoring
März
2011
WirtschaftsKurier
Auf dem Weg zum Standard
Bibby Financial Services | Im Zuge von Basel III wird Factoring zur Selbstverständlichkeit
von Jörg Freialdenhoven*
D
ie Forderung nach einer Er­
höhung der Eigenkapital­quote
der Banken im Zuge der Basel-III-Beschlüsse hat nicht nur die
­Finanzwirtschaft in Aufruhr versetzt.
Auch die deutschen Mittelständler fragen sich, welche Auswirkungen Basel
III auf die Unternehmensfinanzierung
haben wird. Eines kristallisiert sich
deutlich heraus: Das erhöhte Risikobewusstsein der Banken wird sich in
den nächsten Jahren aller Voraussicht
nach auf einem weiterhin hohen Level
einpendeln. Die restriktive Kreditvergabe wird somit insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
mit geringer Eigenkapitaldecke oder
dem Fokus auf vermeintlich riskante
Geschäftsfelder wie den Export zur
Normalität.
Die Unternehmensfinanzierung befindet sich also in einem Wandel, der
sich schon während der Wirtschaftskrise abzeichnete: Je höher die Hürden für Kredite gelegt werden beziehungsweise je weniger verlässlich die
Bereitstellung von Krediten ist, desto
mehr entwickeln sich Finanzierungsalternativen zum Standard. Vor diesem Hintergrund spielt die AusrichWie der Feuervogel Phoenix nach
seiner Auferstehung neu erstrahlt,
glänzt auch die Factoring-Branche
nach der Finanzkrise. 2010 war schon
ein sehr erfolgreiches Jahr und auch
2011 rechnen die Spezialisten für das
Forderungsmanagement mit einem
Umsatzplus.
tung der Finanzierungsstrategie eine
übergeordnete Rolle, um die Weichen
für eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft bei ­finanzieller Planungssicherheit zu stellen. Ziel dabei sollte es sein,
das eigene Finanzierungsportfolio
brei­ter aufzustellen und damit einer-
„Die Unternehmens­
finanzierung befindet
sich in einem Wandel,
der sich schon während
der Wirtschaftskrise
abzeichnete.“
seits die Abhängigkeit vom Bankkredit
zu lockern und andererseits Flexibi­
lität und kon­stante finanzielle Handlungsfähigkeit zu gewährleisten.
Forderungen werden zu Liquidität
Hierzu können die Finanzierungsalternativen Factoring und Exportfactoring einen entscheidenden Beitrag
leisten, denn sie schöpfen das Potenzial des von den meisten Unternehmen ungenutzten Umlaufvermögens
voll aus. Indem die Unternehmen ihre
Forderungen an einen Factoringanbieter übertragen und dafür im Gegenzug bis zu 90 % der Forderungssumme direkt ausgezahlt bekommen,
setzen sie das in Rechnungen gebundene Kapital frei und können so ihre
Liquiditätssituation signifikant ver­
bessern. Im Vergleich zu langwierigen
Kreditverhandlungen und festgesetzten Kreditlinien erfolgt die Bereitstellung von Kapital durch Factoring beziehungsweise Exportfactoring dabei
nicht nur sehr viel schneller, sondern
auch dauerhaft und umsatzkongruent.
Das Resultat ist ein konstanter und
verlässlicher Liquiditätsfluss, der neben der Absicherung der Unternehmensfinanzierung Spielräume für Investitionen und Wachstum schaffen
kann.
Dabei sind zwei weitere Eigen­
schaften der Finanzierungsinstrumente entscheidend: Der Factoring-Anbie-
ter übernimmt das Risiko der angekauften Forderungen, sodass die fi­
nan­zielle Belastung aufgrund ausbleibender oder verzögerter Forderungen
für die Unternehmen entfällt. Außerdem übernimmt der Factoring-Anbieter das komplette Forderungsmanagement inklusive professionellen Mahnungswesens. Dies führt nicht nur
zu einer nachweislich verbesserten
Zahlungsmoral der eigenen Debitoren, sondern entlastet die Unternehmen ebenfalls von erheblichem
adminis­tra­tivem Aufwand und ermöglicht ­ihnen so eine Konzentration auf
die ­jeweiligen Kernkompetenzen.
Insbesondere für exportierende
Mittelständler ist dies ein klarer Vorteil in Anbetracht des komplexen
­internationalen Forderungsmanagements und langer Zahlungsziele. Spezialisierte Factoringanbieter wie Bibby Financial Services koordinieren
beim Exportfactoring die Zahlungen
im zu beliefernden Ausland. Dies beschleunigt Zahlungsläufe durch das
professionelle Forderungsmanagement enorm und rechtliche, währungstechnische sowie kommunika­
tive Problemstellungen werden auf
ein Mindestmaß reduziert. Hierfür ist
die internationale Ausrichtung be­
ziehungsweise Vernetzung des Factoring-Unternehmens unabdingbar. Bei
Bibby Financial Services beispiels­
weise gewährleisten 44 eigenständige
Niederlassungen weltweit und eine
spezialisierte Unternehmenseinheit
Jörg Freialdenhoven, Geschäftsführer
von Bibby Financial Services, kennt
die Folgen von Basel III für die Un­ter­
neh­mensfinanzierung. Foto: Bibby
mit Services in über 90 Ländern einen
reibungslosen Ablauf.
Vor dem Hintergrund sich wandelnder Voraussetzungen in der Unternehmensfinanzierung erfüllen die Finanzierungsalternativen Factoring und
Exportfactoring die Anforderungen an
eine moderne Finanzierungslösung:
Sie sind flexibel und verlässlich verfügbar, stärken die unternehmerische
und finanzielle Unabhängigkeit und
sind auf eine erfolgreiche Zukunft ausgerichtet.
*Jörg Freialdenhoven ist Geschäftsführer
von Bibby Financial Services
por tr ät
Bibby Financial Services, im Jahr 1985
in Liverpool gegründet, hat sich von
Anfang an auf Finanzierungslösungen für kleine und mittlere Unternehmen konzentriert und verfügt daher über eine einzigartige Kenntnis
der Herausforderungen seiner Zielkunden. Der Finanzdienstleister betreut
heute weltweit mehr als 5 000 KMUs
und ist mit über 800 Mitarbeitern und
44 eigenständigen Niederlassungen in
Großbritannien, Irland, Deutschland,
Frankreich, Schweden, Polen, in der
Tschechischen Republik, der Slowakei, in den USA, in Kanada, Australien
und ­Indien ein international führendes
­Unternehmen unter den unabhängigen Factoring-Anbietern. Außerdem
verfügt Bibby Financial Services über
eine auf internationale Geschäftsbeziehungen spezialisierte Unternehmenseinheit mit Services in über 90 Ländern. Bibby Financial Services ist von
Banken unabhängig und ein Tochterunternehmen der Bibby Line Group,
die sich auch nach Gründung durch
John Bibby vor über 200 Jahren noch
in Familienhand befindet. Die deutsche Niederlassung mit Hauptsitz in
Düsseldorf ist Mitglied im renommierten Deutschen Factoring Verband e. V.
und der International Factors Group.
Der passende Begleiter für die Töchter
Coface Deutschland | Unternehmensweite Factoringlösung lässt Auslandsdependancen genug Eigenständigkeit
Von Franz J. Michel*
F
actoring hat für international tätige Unternehmen als Baustein
ihrer Außenhandelsfinanzierung
erheblich an Bedeutung gewonnen.
Diese Entwicklung wird weiter anhalten. Erhöhte Risiken in vielen Ländern
bei gleichzeitigem Liquiditätsbedarf
machen dieses Finanzierungsinstrument interessant. Der große Vorteil:
Der Mittelzufluss wird aus dem eigenen Forderungsvolumen generiert. Neben der Ausfuhrkreditversicherung,
die das Ausfallrisiko abdeckt, ist Exportfactoring zum anerkannten und
nachgefragten Instrument im Außen-
handel geworden. Dabei erstreckt es
sich nicht mehr allein auf das klas­
sische Exportgeschäft. Anbieter, die
über ein internationales Netzwerk verfügen, begleiten Unternehmen auch
bei ­weitergehenden Engagements, also
im Multi-Domestic-Business.
Einheitlicher Ansprechpartner
für alle Vertragsfragen
Es geht dabei um die Anbindung ausländischer Tochtergesellschaften an
die Factoring-Lösungen. Viele Unternehmen, die im Exportgeschäft tätig
sind, agieren nicht nur von einem
Standort in Deutschland aus, sondern
unterhalten auch Tochtergesellschaf-
ten und Beteiligungen in anderen Ländern. In diesen Fällen besteht oftmals
das Bedürfnis, eine einheitliche Factoring-Lösung für die ganze Unternehmensgruppe zu erhalten. Eine wichtige
Aufgabe besteht darin, die Tochter­
gesellschaften einerseits eigenständig
an das Factoring-Konzept anzubinden.
Viele wollen die separate Andienung
von Forderungen, das eigene Handling
der tagtäglichen Kommunikation usw.
Hinsichtlich übergeordneter Vertragsfragen soll es oft aber einen einheit­
lichen Ansprechpartner geben.
Hier muss der Factor in der Lage
sein, durch individuell abgestimmte
Konzepte auf die speziellen Wünsche
Spielraum schreibt man mit F.
Wer finanziell unabhängig ist, kann sich ganz auf sein Geschäft
konzentrieren. Mit Factoring gewinnen Sie Spielraum: Forderungsausfälle sind passé, Sie genießen sofortige Liquidität aus Ihren
Forderungen – und nutzen unsere langjährige Erfahrung im Kreditund Debitorenmanagement.
www.deutsche-factoring.de
Forderungen zeitgemäß managen
„Private Kreditversicherer
und international
aufgestellte FactoringGesellschaften sind Teil
des Finanzsystems
von Unternehmen.“
Franz J. Michel,
Vorstandschef Coface Deutschland
der Kunden einzugehen. Ein weitere
Anforderung: Wächst das Auslands­
geschäft, was höhere Forderungen bedeutet, muss auch die Finanzierung
durch das Factoring-Institut parallel
zum Umsatz mitwachsen. Der Factor
braucht also eine entsprechende Finanzstärke und ausreichende Refinanzierungsmöglichkeiten. So ist Exportfactoring auch eine Form der – privatwirtschaftlichen – Exportförderung.
Ein global agierender Factoring-An­
bieter wie Coface Finanz hilft über die
Finanzierung, in der die Bonitätsüberprüfung der Abnehmer enthalten ist,
Märkte zu erschließen.
So ist der Begriff Unternehmens­
finanzierung heute viel differenzierter
zu betrachten als noch vor einigen Jahren, als der klassische Bankkredit als
Synonym für die Fremdkapitalbeschaffung gesehen werden konnte. Auch im
Exportgeschäft haben sich auf der ei-
nen Seite die Anforderungen an die Finanzierung, auf der anderen Seite aber
auch die Möglichkeiten der Kapitalund Liquiditätsversorgung verändert.
Es sind längst nicht mehr nur das klassische Akkreditiv oder die Staatsgarantie, die den Export begleiten. Im Bereich der Forderungsabsicherung zum
Beispiel treten die privaten Kreditver­
sicherungsgesellschaften immer mehr
an die Stelle der staatlichen Exportversicherung. Das hat rechtliche Gründe,
zeigt aber auch, dass die großen global
operierenden Kreditversicherer die
freien Märkte der Welt längst effizient
bedienen können. Daran wird auch die
zwischenzeitliche Intervention der Politik nichts ändern, die staatliche Deckungen befristet auch für Länder der
EU und OECD wieder erlaubt.
Durch die Gestaltung ihrer Konditionen, aber mehr noch durch ihre Bereitschaft, Risiken zu übernehmen, sind
private Kreditversicherer und international aufgestellte Factoring-Gesellschaften Teil des Finanzsystems von
Unternehmen. Das gilt – was die Marktabdeckung angeht, derzeit noch in vergleichsweise geringerem, aber stetig
zunehmendem Maße – auch für das
Exportfactoring. Factoring-Unternehmen sind in diesem Kontext nicht automatisch Konkurrenten zu Banken,
sondern Partner im Verhältnis von
­Unternehmen und Bank. Oft ergänzen
sich verschiedene Angebote und ergeben – miteinander kombiniert – ein Finanzierungs- und gegenseitiges Risiko­
absicherungssystem.
*Franz J. Michel ist
Vorstands­vorsitzender von
Coface Deutschland
por tr ät
Coface Deutschland zählt zu den führenden Anbietern von Lösungen im
Forderungsmanagement. Neben dem
Firmensitz in Mainz und elf weiteren
Repräsentanzen in Deutschland sind
die Rheinland-Pfälzer in den Niederlanden, Schweden und Dänemark vor
Ort vertreten. Coface Deutschland ist
eine 100%ige Tochter der Coface S.A.
(Paris).
März
2011
WirtschaftsKurier
Industriestadt Berlin
29
Im Namen des Fortschritts
Optimales Sprungbrett
Recyclingstandort der Republik
Lichtblicke
Von der Forschung bis zur Markteinführung: Die
Investitionsbank Berlin fördert zukunftsträchtige
Seite 30
Projekte in der Bundeshauptstadt.
Osteuropa im Visier: Herbert Lörch, CEO bei
Saperion, spricht im Interview über die StandortSeite 30
faktoren der Spree-Metropole.
Berliner Familienunternehmen: Die Alba Group
setzt mit innovativen Lösungen und Verfahren
Seite 31
bundesweite Standards.
Die zündende Idee enstand während der BerlinBlockade: Heute rückt Semperlux viele
prestigeträchtige Bauten ins rechte Licht. Seite 31
Innovation trifft auf Tradition
Industriestadt Berlin | Eine breite Allianz aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung macht auf das Potenzial des Produktionsstandorts aufmerksam
nen Europas. Das Spektrum reicht vom
Bau von Gleis- und Signalanlagen über
die Fahrzeugherstellung bis hin zu
branchenspezifischen Dienstleistungen. Berlin-Potsdam zählt außerdem
zu den acht deutschen Modellregionen
für Elektromobilität. Zahlreiche Praxisprojekte und Vorhaben werden hier
gestartet. Die 2010 gegründete Berliner
Agentur für Elektromobilität (eMO)
bündelt die Aktivitäten von Wissenschaft, Industrie und Politik in der
Hauptstadtregion.
Jedes dritte Solarmodul
kommt von der Spree
Ganz vorn dabei ist Berlin auch auf
dem Gebiet der Umwelttechnologien.
Die ansässige Solarindustrie etwa ist
die wachstumsstärkste Europas. Mehr
als jedes dritte Solarmodul wird mittlerweile an der Spree produziert. Einer
der großen Vorteile des Standorts: Unternehmen und Forschungseinrichtungen sitzen nah beieinander. Insbesondere in Hightech-Arealen wie dem Wis-
I
ch bin ein Berliner“ – mit dem bekannten Kennedy-Zitat wirbt seit
Ende 2010 die deutsche Hauptstadt
für sich als Industriestandort. Allerdings wird das Zitat aktuell in einen
neuen Kontext gesetzt: Auf Plakaten, in
Anzeigen und ab April auch in Form
einer Ausstellung auf dem Potsdamer
Platz sprechen die Industrieprodukte
die Öffentlichkeit an und verweisen
damit zugleich auf die Innovationskraft
des Standorts. Jedes Motiv steht für
­eines der inzwischen 15 Partnerunternehmen der Kampagne – und somit
stellvertretend für die insgesamt rund
740 Berliner Industriebetriebe. Die
Sonne etwa steht für den Hersteller
von Dünnschicht-Solarmodulen Inven­
tux Technologies, der Pillen-Blister für
das in Berlin ansässige größte ­deutsche
Pharmaunternehmen, Bayer HealthCare, und das Motorrad für das BMWWerk im Norden der Stadt, das jährlich mehr als 100 0000 Maschinen produziert.
Masterplan bis 2020
Die Kampagne „ich bin ein berliner“ –
ins Leben gerufen von der Hauptstadtkampagne be Berlin – knüpft an den
Masterplan Industriestadt Berlin 2010–
2020 an, mit dem sich eine breite Allianz aus Wirtschaft, Gewerkschaften,
Politik und Verwaltung zur Industriestadt Berlin bekennt. Ziel ist es, auf die
Leistungen und das Potenzial des Produktionsstandorts aufmerksam zu machen. Denn was angesichts der Bedeutung Berlins als Kultur- und Medienstadt allzu leicht in den Hintergrund
rückt: Die deutsche Hauptstadt hat
sich – mehr als 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung – zu einem
der interessantesten Produktions- und
Entwicklungsstandorte Europas ent­
wickelt. René Gurka, Geschäftsführer
der mit dem Hauptstadt-Marketing betrauten Berlin Partner GmbH: „Unsere
Industrie hat sich neu erfunden. Berliner Produkte sind innovativ und international konkurrenzfähig. Das wollen
wir mit der Initiative „ich bin ein berliner“ wieder ins Bewusstsein rücken.“
Der Strukturwandel, der mit dem
Fall der Mauer einsetzte, brachte Alt
und Neu zusammen – und daraus erwuchs Spannendes. So besinnt sich die
Industrie der Hauptstadt heute einer-
senschafts- und Technologiepark Berlin-Adlershof oder im derzeit ent­
stehenden Clean Tech Business Park
­Berlin-Marzahn arbeiten Produzenten,
Forscher und Dienstleister eng verzahnt an der Entwicklung neuer, effizienter Lösungen zur umweltfreundlichen Erzeugung, Speicherung und Nutzung von Energie. Nicht von ungefähr
ist Energieeffizienz, neben alternativen
Antriebstechniken, Windenergie und
Bioenergien, eines der zentralen Themen des Clean-Tech-Standorts Berlin:
In der Erzeugung von Strom und
­Wärme durch Kraft-Wärme-Kopplung
(KWK) belegt die Hauptstadt sogar
deutschlandweit einen Spitzenplatz
und ist zugleich KWK-Modellstadt.
Internationales Gesundheitszentrum
Rund 450 Unternehmen der Pharmabranche, der Biotechnologie und Medizintechnik und 71 Kliniken: Berlin ist
„Health Capital“ und zieht in dieser Eigenschaft nicht nur hervorragend ausgebildete Fachkräfte an, sondern auch
Patienten aus aller Welt. Die in Europa
einmalige Vernetzung von Industrie,
medizinischen Einrichtungen und Forschung ermöglicht es, Forschungsergebnisse schnell in die Praxis umzusetzen. Die ideale Umgebung hierfür bieten acht speziell auf Biotechnologieund Life Sciences-Unternehmen zugeschnittene Technologieparks. Zu den
Flaggschiffen des Standorts gehören
Europas größtes Universitätsklinikum,
die Charité, das Deutsche Herzzen­
trum Berlin, das als eines der leistungsstärksten Transplantationszentren der
Welt gilt, sowie das Max-DelbrückCentrum für Molekulare Medizin Berlin-Buch. Die Berliner Pharmaunternehmen, darunter Global Player wie
Bayer HealthCare, Pfizer und BerlinChemie, aber auch eine große Anzahl
renommierter mittelständischer Unternehmen wie Dr. Kade, erwirtschaften rund 13 % des gesamten deutschen
Pharmaumsatzes. Berlin-Brandenburg
zählt außerdem zu den führenden Biotechzentren Europas.
Volltreffer!
Stark wie ein Bär: Der Berliner
Industriestandort profitiert von der
engen Verzahnung von Wirtschaft,
Wissenschaft und Forschung.
Siemens, Storck, Gillette oder Schindler mittlerweile weitere multinationale
Konzerne in der Hauptstadt nieder­
gelassen, darunter Coca-Cola, BASF,
ThyssenKrupp und Motorola.
Vier umsatzintensive Branchen
„Unsere Industrie hat
sich neu erfunden.
Berliner Produkte sind
­innovativ und international
konkurrenzfähig.“
René Gurka,
Geschäftsführer Berlin Partner
seits auf ihre große Ära als „Elektro­
polis“ Ende des 19. Jahrhunderts, definiert sich aber zukunftsorientiert durch
einen Mix aus Hightech und sich modernisierender klassischer Industrie.
Vorangetrieben wird diese Entwicklung durch die ideale Lage der Stadt im
Herzen Europas und durch die große
Zahl an jungen und hoch qualifizierten
Arbeitskräften, die in Berlin leben und
arbeiten. Vor allem aber ist sie geprägt
durch die enge Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft in der Hauptstadtregion. Diese ist ein wesentlicher
Impulsgeber für die Innovationskraft
des Standorts. Ideale Voraussetzungen
also, die durch gute Förderbedingungen noch unterstützt werden. Nicht
von ungefähr haben sich neben alteingesessenen Erfolgsunternehmen wie
Besonders stark ist in Berlin das verarbeitende Gewerbe mit vier umsatzintensiven Branchen vertreten: der Elektroindustrie, der chemischen Industrie
(inklusive der Pharmaindustrie), dem
Bereich Metall, Maschinen- und Fahrzeugbau sowie der Ernährungswirtschaft. Die Kernbranchen zeichnen
sich durch innovative Schwerpunkte
aus, die sich aus einem engen Kontakt
mit Vertretern der Hightech-Branchen
wie Life Sciences, Clean Technologies
oder Mobilität ergeben. Von der modernen Infrastruktur der Stadt profitiert vor allem die boomende Informations- und Kommunikationsbranche
der Stadt. Denn Berlin besitzt nicht nur
das größte digitale Kommunikationsnetz Deutschlands, sondern auch das
größte geschlossene Breitbandverteilnetz Europas.
Kurze Wege zu den Märkten
Die Nähe zu den europäischen Wachstumsmärkten macht die Region auch
für die Automobilindustrie interessant.
Mit BMW und Daimler produzieren in
Berlin gleich zwei wichtige deutsche
Hersteller. Unter anderem wird Daimler ab 2012 im Werk Berlin Elektromotoren für Hybridantriebe von Mercedes-Benz fertigen. Aber auch viele Zulieferer sind hier zu Hause. Gleichzeitig
zählt Berlin-Brandenburg mit Unternehmen wie Bombardier Transporta­
tion, Siemens Transportation Systems
oder der Deutschen Bahn mittlerweile
zu den führenden Bahntechnikregio-
Ihre Themen im passenden Umfeld
Schwerpunktthemen in der April-Ausgabe:
ZUKUNFT PERSONAL
TRANSPORT & LOGISTIK
KREDITVERSICHERUNG
PRIVATE BANKING
ENERGIE UND UMWELT
VERLAGSBEILAGE: VERSICHERUNGEN
Erscheinungstermin: 1. April
Anzeigenschluss: 28. März
Informationen über Sonderthemen, Anzeigenschaltungen, Ad Specials und
Prospektbeilagen erhalten Sie unter der Rufnummer 089 638981-54.
Unsere Mediadaten im Internet: www.wirtschaftskurier.de/mediadaten
30 Industriestadt Berlin
März
2011
WirtschaftsKurier
Hightech-Branchen auf Erfolgskurs
Investitionsbank Berlin | Mit speziellen Programmen unterstützt die Landesförderbank Technologieunternehmen
tens 17 500 Euro Jahresumsatz), der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und der Umsätze in den genannten Wirtschaftsbereichen.
von Ulrich Kissing*
B
erlin ist in den vergangenen
­Jahren auf dem Weg zu einem
leistungsfähigen und innovativen Industriestandort ein gutes Stück
voran­gekommen – die deutsche Hauptstadt ist Spitzenreiter im Länderranking „Forschung- und Entwicklungseinsatz im Verarbeitenden Gewerbe“.
Beim Forschungspersonal rangiert Berlin, zwar mit schwankenden Werten,
aber doch bereits seit 1993 beständig
auf dem ersten Platz. Der Anteil des
Forschungs- und Entwicklungspersonals an der Gesamtbeschäftigtenzahl
in der deutschen Hauptstadt übertraf
zuletzt mit 9,7 % den gesamtdeutschen
Durchschnitt um 4,4 Prozentpunkte.
Parallel zum Personal gelang es den
Berliner Industrieunternehmen, auch
bei den Kosten eine gute Position zu belegen. Beim Verhältnis Forschungs- und
Entwicklungskosten zum Umsatz liegen
die drei Länder Hessen (4,5 %), BadenWürttemberg (4,2 %) und Berlin (3,7 %)
deutlich und Bayern (2,9 %) knapp über
dem Bundesdurchschnitt (2,5 %).
„Die deutsche Hauptstadt
ist Spitzenreiter im
Länderranking ,Forschungund Entwicklungseinsatz im
Verarbeitenden Gewerbe‘.“
Begleiter des Strukturwandels
Ulrich Kissing, IBB-Vorstandsvorsitzender
Die Investitionsbank Berlin (IBB) hat
den Strukturwandel der Berliner Wirtschaft in den zurückliegenden Jahren
erfolgreich begleitet. Heute ist die Stadt
ein Standort, dessen Wirtschaftswachstum stabil ist und aus heutiger Sicht für
2011 ein Plus von 2,5 % erwarten lässt.
Dennoch könnte Berlin seine Position
als Innovationsstandort sicher noch
weiter verbessern. Hier kann die IBB
mit ihren Produkten helfen. Neben dem
wichtigen Investitionsförderprogramm
GRW – Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ gibt es speziell für Techno­
logieunternehmen das Programm
­„ProFIT“. Damit fördert die IBB zu-
kunftsträchtige Projekte in allen Phasen
des Innovationsprozesses – von der Forschung bis zur Markteinführung.
Gerade mit ProFIT hat Berlin seit Jahresbeginn noch mehr Transparenz in
die Technologieförderung gebracht. So
sind in dem neuen Programm seit dem
1. Januar die bisherigen Förderprogramme „ProFIT“ und „Zukunftsfonds“ zusammengefasst. Angesiedelt ist es unverändert bei der IBB. Darüber hinaus
ist das Förderprogramm „Transfer Bonus“ nunmehr fester Bestandteil der
­Innovationsförderung. Mit diesem Programm werden Kooperationen zwi-
Kompetenzfelder wachsen schneller
als die Berliner Gesamtwirtschaft
schen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Forschungseinrichtungen in Berlin und Brandenburg bezuschusst. Seit Jahresbeginn 2011 wird das
Programm von der TCC TechnologieCoaching-Center GmbH, einer Tochter
der IBB, durchgeführt. Über den Zukunftsfonds wurden bis zu seinem Aufgehen in ProFIT Innovationsprojekte
mit strategischer Bedeutung für die Region gefördert, wobei die Schwerpunkte
in den Bereichen Bio- und Medizin-,
IuK- sowie Verkehrstechnologie lagen.
Von der Forschung bis
zur Markteinführung:
Die IBB fördert zukunfts­
trächtige Projekte in allen Phasen
des Innovationsprozesses. foto: ibb
Optimierte Innovationsförderung
Mit dem nun neuen ProFIT-Programm
wird die Qualität und Transparenz der
Berliner Innovationsförderung weiter
verbessert. Die Maßnahme ProFIT war
schon bisher das zentrale Technologieförderprogramm des Landes Berlin. Darin wurden über die vergangenen Jahre
in einem einzigartigen Optimierungsprozess insgesamt sieben Landestechnologieprogramme integriert. Die Erfolgsgeschichte von ProFIT ist insbeson-
dere gekennzeichnet durch eine deutliche Erhöhung des Bewilligungsvolumens, das von 21,8 Mio. Euro im Jahr
2005 auf 53,2 Mio. Euro im Jahr 2009
mehr als verdoppelt werden konnte.
Ein Blick auf die Entwicklung der
Berliner Technologiefelder bestätigt
den Erfolgskurs der Innovations- und
Technologieförderung in den vergangenen Jahren. Zu diesem Ergebnis
kommt die Studie „Perspektiven Berliner Kompetenzfelder“, die die IBB kürzlich veröffentlicht hat. Bei diesen Feldern handelt es sich um die Branchen
Medizintechnik, Biotechnologie, Informations- und Kommunikationstechnologie/Medien IuK (inklusive Kreativwirtschaft), Verkehrssystemtechnik,
Optische Technologien und Energietechnik. Untersucht wurde die Entwicklung des Unternehmensbestands (steuerpflichtige Unternehmen mit mindes-
Der Studie zufolge wachsen die Kompetenzfelder hinsichtlich aller drei untersuchten Parameter schneller als die
Berliner Gesamtwirtschaft. Hinsichtlich des Umsatzes und des Unternehmensbestands liegen sie zudem auch
über dem deutschen Durchschnitt beziehungsweise dem Durchschnitt der
größten deutschen Städte Hamburg,
Frankfurt/Main, München und Köln.
So verzeichnete Berlin beim Unternehmensbestand zwischen 2002 und 2008
ein jahresdurchschnittliches Wachstum von 3,9 % (Städtedurchschnitt:
2,9 %). Beim Umsatz betrug die
durchschnittliche Wachstumsrate sogar 8,8 % (1,2 %) und bei der Beschäftigung immerhin noch 0,5 % (0,5 %).
Schon seit Jahren fokussiert die IBB
den Fördermitteleinsatz auf die Kom­
petenzfelder, sodass Projekte in diesen
Bereichen im Jahr 2010 auf einen Anteil
von rund 60 % am Gesamtportfolio der
Wirtschaftsförderung kamen. Von den
2010 insgesamt bewilligten 212 Mio.
Euro entfielen 50 Mio. Euro auf Optische Technologien, 44 Mio. Euro auf
den Bereich IuK, 35 Mio. Euro auf Medizintechnik, 31 Mio. Euro auf Medien
und Kultur und 24 Mio. Euro auf Verkehr und Mobilität. Es folgten die Energietechnik (19 Mio. Euro) und die Biotechnologie (9 Mio. Euro). Als Landesförderbank helfen wir auf diese Weise,
moderne und hocheffiziente Industriearbeitsplätze in Berlin zu schaffen.
*Ulrich Kissing ist
Vorsitzender des Vorstands der
­Investitionsbank Berlin (IBB)
Optimales Sprungbrett
Chancen nutzen
Saperion | Der Berliner Softwarehersteller ist in Osteuropa sehr aktiv
UVB | „Die Wirtschaft folgt der Infrastruktur“
F
ür den Erfolg einer Firma sind
Informationen entscheidend –
das weiß man auch beim Berliner Softwarehersteller Saperion. Seit
über 20 Jahren entwickeln die IT-­
Experten aus der Bundeshauptstadt
leistungsfähige Software für das Erfassen, Ablegen, Verarbeiten und Aufbereiten von Unternehmensinformationen. Zum Kundenkreis von Saperion zählen neben mittelständischen
Betrieben auch global agierende Konzerne wie Lufthansa, E.ON oder Voda­
fone. Die Lösungen der Berliner unterstützen Unternehmen bei der effizienten Verwaltung von Firmeninformationen sowie bei der Automatisierung und Optimierung der Geschäftsprozesse. Herbert Lörch, CEO bei
Sape­rion, spricht im Interview über
die Standortfaktoren der deutschen
Bundeshauptstadt und sagt, ob der
Masterplan des Berliner ­Senats in seinem Unternehmen schon Früchte
trägt. Die Fragen stellte WiKu-Redakteur Philipp Tröbinger.
WirtschaftsKurier: Herr Lörch, unter
dem Motto der Imagekampagne
„ich bin ein Berliner“ geben lokale
Unternehmen ein Bekenntnis zum
Industriestandort Berlin ab. Welche Standortfaktoren der deutschen Bundeshauptstadt schätzen
Sie als Software-Unternehmen besonders?
Herbert Lörch: Berlin ist eine Drehscheibe im deutschen Luftverkehr
und wird daher besonders von unseren internationalen Partnern und
Kunden sehr geschätzt. Dies bestätigt sich Jahr für Jahr auf unserer
Saperion Convention – die Teilnahme ist hoch und die Bewertungen
für Berlin als Standort fallen sehr
gut aus. Zudem ist auch die Nähe zu
Osteuropa ein Vorteil für uns – wir
sind dort sehr aktiv und Berlin ist
von Christian amsinck*
I
„Unsere Kunden in Berlin
kommen aus unterschied­
lichen, eher dienstleistungs­
orientierten Branchen.“
Herbert Lörch, CEO bei Saperion
für uns das optimale Sprungbrett in
den Osten.
WiKu: Saperion wurde 1985 in Berlin
gegründet. Wurde die heutige
Hauptstadt als Unternehmenssitz
damals bewusst beziehungsweise
strategisch gewählt?
Lörch: Saperion hat sich schon immer
an den Kundenanforderungen orientiert. Die ersten Großkunden kamen aus Berlin: das Europäische
Patentamt und Siemens.
WiKu: Berlin gilt grundsätzlich eher
als kreative Mode- und Dienstleistungsmetropole. Die Standortentwicklung im industriellen Bereich
wird nun von politischer Seite verstärkt gefördert und angetrieben:
„Berlin soll wieder Industriestadt
werden“, so der im Sommer 2010
beschlossene Masterplan des Berliner Senats. Spiegeln sich diese
Ambitionen bereits in Ihrer Kundenliste wider?
Lörch: Derzeit kann man das noch
nicht sagen. Unsere Kunden in Berlin kommen aus unterschiedlichen,
eher dienstleistungsorientierten
Branchen. Zum Portfolio zählen
zum Beispiel die IDEAL Versicherung, Fleurop oder der ADAC Berlin-Brandenburg. Aber wir sind gespannt, welche Auswirkungen der
Masterplan auf Berlin und damit
auch auf unser Unternhemen Saperion hat.
WiKu: Neben der Firmenzentrale in
Berlin verfügt Saperion über sechs
deutschlandweit verteilte Kompetenzzentren und ist mit mehreren
Tochtergesellschaften in Großbritannien, Nordamerika, der Schweiz
sowie in Singapur auch auf internationaler Ebene vertreten. Gibt es
im Moment weitere Expansions­
absichten? Welche Märkte haben
Sie im Visier?
Lörch: Mit den erwähnten Niederlassungen sind wir derzeit strategisch
sehr gut aufgestellt. Unser interna­
tionales Geschäft führen wir praktisch zu 100 % über Partner. Daher
können wir mit einer überschau­
baren Anzahl von Niederlassungen
problemlos international agierende
Konzerne betreuen.
ch bin ein Berliner.“ Dieses Zitat
des ehemaligen US-Präsidenten
John F. Kennedy stand früher für
die Freiheit Berlins und den Durchhaltewillen seiner Bürger. Heute steht es
auch für das, was die Stadt zukunftsfähig macht: Sie ist ein Standort für eine
innovative und wettbewerbsfähige Industrie. Deshalb präsentiert eine Initiative der Berliner Wirtschaft und des
Senats herausragende Produkte aus
unterschiedlichen Bereichen, um die
Industrie sichtbarer machen und ein
neues Bewusstsein zu schaffen für die
Chancen der Industriestadt Berlin.
Denn immer noch wissen zu wenige
Menschen in und außerhalb der Re­
gion von der Leistungsfähigkeit der Industrie und ihrer Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung.
Sitz führender Unternehmen
So fertigt das Werk Berlin der Daimler
AG in Marienfelde ab 2012 Elektromoto­
ren für Hybridantriebe. Insgesamt 100
Autos vom Typ „smart electric drive“
fahren schon jetzt durch die Stadt. Und
Siemens produziert bereits seit 1847
Gasturbinen in Moabit, die für Kunden
in 60 Ländern hergestellt werden. Allein die größte und leistungsstärkste
Gasturbine der Welt kann rund 2,2 Mio.
Menschen mit Strom emissionsfreundlich versorgen. Die Semperlux-Gruppe
ist ebenso eng mit der Hauptstadt verwurzelt und international ausgerichtet.
Sie entwickelt energieeffiziente Lichttechnik und moderne LED-Technologie – sei es im Bundeskanzleramt, im
Porsche Museum oder auf den Straßen
Berlins. Bombardier Transportation hat
in Berlin seine Firmenzentrale und
setzt als weltweiter Marktführer neue
Standards in der Schienenverkehrstech­
nologie. Das Berliner Unternehmen
Bio­tronik gehört in der Medizintechnik
zu den weltweit führenden Herstellern
kardiologischer Implantate und hat
den ersten deutschen implantierbaren
Herz­schrittmacher entwickelt.
Diese Beispiele zeigen, dass Berlin
eine Stadt mit Chancen und Entwicklungspotenzial ist. Nach dem Mauerfall
hat die Berliner Industrie einen tief
greifenden Strukturwandel vollzogen
und solide industrielle Kerne etabliert,
die sich in der Wirtschafts- und Finanzkrise gut behauptet haben. Heute liegt
die Zahl der Industriebeschäftigten bei
rund 100 000. Mit jedem dieser Arbeitsplätze sind weitere im Dienstleistungsbereich verbunden. Nicht nur bundesweit, sondern auch in Berlin hat eine
starke Industrie eine Schlüsselfunktion
„Das Ziel ist, Berlin als
Modellregion für
Elektromobilität zu
etablieren.“
für die gesamte Wirtschaft – wie bei der
Ressourceneffizienz, Mobilität und in
der Gesundheitswirtschaft. Die Verei­
nigung der Unternehmensverbände in
Berlin und Brandenburg (UVB) zählt
deshalb zu den Einrichtungen, die
maßgeblich Initiativen in der Industriepolitik angestoßen hat wie den „Steuerungskreis Industriepolitik“ beim Regierenden Bürgermeister, den „Masterplan Industriestadt Berlin 2010 – 2020“
und eben die erste Imagekampagne für
die Berliner Industrie „ich bin ein Ber­
liner“. Die UVB beteiligt sich zudem finanziell an der „Agentur für Elektromobilität (eMO)“ zur gezielten Förderung
eines industriellen Zukunftsfeldes in
der Hauptstadtregion. Das Ziel ist, Ber-
lin als Modellregion für Elektromobilität zu etablieren.
Gezielte Fachkräfteentwicklung
Diese Initiativen fördern nicht nur das
Bewusstsein für die Bedeutung der Industrie in der Stadt, sondern erarbeiten
auch konkrete Maßnahmen, wie Berlin
als Industriestandort weiter gestärkt
werden kann, beispielsweise durch einfachere Verwaltungsabläufe bei Inves­
titionen und Ansiedlungen und der
­gezielten Fachkräfteentwicklung. Aber
nicht nur die Förderung der Industrie
ist eine Schlüsselaufgabe. Für die Unternehmen ist die Infrastruktur Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen
Erfolg getreu dem Motto: Die Wirtschaft
folgt der Infrastruktur. Dazu gehören
die planmäßige Fertigstellung des
­Flughafens BBI und die Verlängerung
der Bundesautobahn A100 bis zur
­Anschlussstelle „Am Treptower Park“
sowie die Nachnutzung des Flughafengeländes in Tegel als großflächiger Industriepark für Zukunftstechnologien,
Forschung und Entwicklung. Wir sehen
also Erfolge und neue Möglichkeiten in
der Entwicklung der wirtschaftlichen
Strukturen und in der Art und Weise,
wie sich die Politik um den Industrie­
standort kümmert und dabei die Wirtschaft unterstützt. Allen Beteiligten ist
dabei klar, dass nur durch eine starke
Industrie Berlin auch in anderen Be­
reichen wie im Dienstleistungssektor
nachhaltig wachsen und neue Arbeitsplätze schaffen kann. Denn trotz aller
Fortschritte hat Berlin im Bundesvergleich immer noch Aufholbedarf, was
den Ausbau der Industrie angeht. Es
gibt also noch eine Menge zu tun, aber
auch viele Chancen, die Berlin nutzen
kann.
*Christian Amsinck ist Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unter­
nehmensverbände Berlin-Brandenburg
März
31
Industriestadt Berlin
2011
WirtschaftsKurier
Recyclingstandort der Republik
Alba Group | Die vom Berliner Familienunternehmen entwickelte „Gelbe Tonne plus“ ermöglicht hohe CO2-Einsparungen
D
ie Ölkatastrophe im Golf von
Mexiko, ansteigende Benzinpreise und die Befürchtungen
um die Auswirkungen des Klimawandels machen deutlich: Der Umgang
mit endlichen Ressourcen und die bevorstehende Rohstoffverknappung verlangen ein Umdenken – sowohl ökologischer als auch ökonomischer Natur.
Neben dem Klimaschutz erlangt die
Erschließung von neuen Rohstoff­
quellen, genau wie die Steigerung der
­Rohstoffeffizienz, immer größere wirtschaftliche Bedeutung.
Das neue Schlagwort in diesem Zusammenhang heißt „Urban Mining“ –
also die Nutzung des Abfalls als Rohstoffmine der Zukunft. Das Berliner Familienunternehmen Alba Group, eine
der zehn größten Recyclinggruppen
weltweit, hat hier schon lange vor der
aktuellen Diskussion um Seltene Erden
und ansteigende Rohstoffpreise neue
Ideen entwickelt, die als Vorbild für
ganz Deutschland gelten.
Die Unternehmensgruppe, die Ende
der 60er-Jahre in Berlin gegründet wur-
de und noch immer in Familienbesitz
ist, gilt als der große Recycler Berlins.
Sie hat als Erste Anfang der 70er-Jahre
Glas, Papier und Pappe getrennt gesammelt und verwertet. Dieses System
der Mülltrennung entwickelte sie 1973
zum sogenannten Berliner Modell weiter, der Wertstoffsammlung nach Fraktionen. Ein System, das sich inzwischen bundesweit durchgesetzt hat.
Ein technisch einmaliges
Verfahren zur Restmüllbehandlung
2005 errichtete die Alba Group zudem
eine der modernsten Hightech-Sortieranlagen Europas in Berlin-Mahlsdorf.
Die Anlage sortiert den Abfall aus den
Gelben Tonnen und Gelben Säcken
von 5 Mio. Menschen und deckt damit die gesamte Hauptstadt sowie angrenzende Regionen aus Brandenburg
ab. Auch ein technisch einmaliges
­Ver­fahren zur Restmüllbehandlung,
die mechanisch-physikalische Stabili­
sierung, von der zwei Anlagen in Berlin
in Betrieb sind, wurde von Alba ent­
wickelt.
Im Jahr 2005 entwickelte die Alba
Group ihr Berliner Modell weiter, indem sie eine neue Wertstofftonne in
mehreren Hunderttausend Berliner
Haushalten einführte, die „Gelbe Tonne plus“. Mit dieser Tonne bietet Alba
den Verbrauchern eine kostengünstige
und äußerst praktische Erleichterung
der herkömmlichen Mülltrennung.
Denn in diese Tonne können zusätzlich zu den üblichen Verpackungsmaterialien, die in die Gelbe Tonne oder
den Gelben Sack gehören, auch alle
anderen, sogenannten stoffgleichen
trockenen Abfälle entsorgt werden –
beispielsweise der ausgediente Kochtopf aus Aluminium, das kaputte Plastikspielzeug oder auch defekte Elektrokleingeräte. Der Verbraucher spart eine
zusätzliche Tonne und Restmüllgebühren, denn die Menge an Restabfall, der
in Müllverbrennungsanlagen beseitigt
wird, reduziert sich merklich.
Zugleich werden mehr Stoffe dem
Recycling zugeführt, wodurch der produzierenden Industrie zusätzliche Sekundärrohstoffe zur Verfügung stehen.
Berliner Superlative: Die Alba Group –
eines der zehn größten Recycling­
unternehmen weltweit – betreibt
eine der modernsten HightechSortieranlagen Europas in BerlinMahlsdorf. Fotos: Alba
Das vermeidet teure Importe, denn
Deutschland ist selbst ein rohstoffarmes Land. Bereits heute spart das Recycling von Abfällen der deutschen Industrie jedes Jahr Rohstoffimporte von
rund 10 Mrd. Euro ein, wie eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen
Wirtschaft in Köln ergeben hat. Ein
Trend, der durch die bundesweite Einführung des Alba-Modells der Gelben
Tonne plus noch weiter zunehmen
könnte.
Vorbild für die Politik
„Als zuverlässiger
Umweltdienstleister trägt
Alba wesentlich dazu
bei, dass sich Berlin
als Recyclingstandort
etabliert hat.“
Walter Momper, Präsident des
Berliner Abgeordnetenhauses
Das hat auch die Politik erkannt. Das
Bundesumweltministerium plant mit
einem neuen Gesetz, dem sogenannten Kreislaufwirtschaftsgesetz, die erweiterte Wertstofftonne im ganzen
Land einzuführen. Das von Alba entwickelte Modell der Gelben Tonne plus
macht also Schule. Nicht zuletzt auch
weil durch die Öffnung des bestehenden Systems „Gelbe Tonne/Gelber
Sack“ zur erweiterten Wertstofftonne
ebenfalls der Ausstoß von klimaschädlichem CO2 in Deutschland deutlich
reduziert werden könnte. Das geht aus
einer kürzlich veröffentlichten Studie
des Fraunhofer-Instituts hervor. So
fanden die Forscher heraus, dass bei
einer bundesweiten Anwendung des
Modells Gelbe Tonne plus rund 290 000
Tonnen CO2 zusätzlich eingespart werden könnten, und zwar jährlich. Das
entspricht in etwa dem Ausstoß eines
normalen Pkws auf einer Strecke von
über 1,6 Mrd. Kilometern, umgerechnet rund 100 000 Mal der Fahrt Berlin–
Bangkok hin und zurück.
Bei all diesen Innovationen der Alba
Group in der Vergangenheit, die bundesweite Durchschlagskraft habe, ist es
kein Wunder, dass Berlin mittlerweile
als Vorbild in Sachen Recycling gilt. So
zeigte sich auch der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin und
amtierende Präsident des Berliner
­Abgeordnetenhauses, Walter Momper,
bei einem Anlagenbesuch im vergangenen Jahr beeindruckt: „Als zuverlässiger Umweltdienstleister trägt Alba
wesentlich mit dazu bei, dass sich Berlin als Recyclingstandort etabliert hat.“
Berliner Erleuchtungen
Semperlux | Der Erfolg des Familienunternehmens beruht auf einer zündenden Idee während der Berlin-Blockade
bei allen Lichtkonzepten an dem modernen Bauwerk um Neuentwicklungen. Aber auch andere Wahrzeichen
der Hauptstadt wie etwa das Bundeskanzleramt oder das Kaufhaus des
Westens (KaDeWe) erstrahlen im
Licht der Semperlux-Innovationen.
von philipp tröbinger
S
emperlux ist ein Paradebeispiel,
wie aus einer zündenden Idee
zum richtigen Zeitpunkt der
Grundstein für eine international agierende Unternehmensgruppe gelegt
werden kann. Auch nach 60 Jahren
sind die Berliner nicht müde geworden, mit entsprechendem Pioniergeist
innovative Lichtsysteme für den Innen- und Außenraum zu entwickeln.
Seit Jahrzehnten bringt Semperlux Formen, Funktionalität sowie kreatives
Design zusammen und setzt wie kein
anderes Unternehmen in der Branche
Standards in der deutschen „Lichtkultur“. So kommen die Lichtlösungen des
Familienunternehmens beispielsweise
am Flughafen in Wien, beim Porsche
Museum in Stuttgart oder bei der Puma-Zentrale in Herzogenaurach zum
Einsatz. Auch prestigeträchtige Bauwerke und Wahrzeichen im Ausland –
beispielsweise das Wembley Stadion in
London oder die Grachten in Amsterdam – werden mit Lichtkonzepten aus
der deutschen Hauptstadt ausgestattet.
Dabei hatte im Jahr 1948 alles eher bescheiden unter schwierigen Umständen angefangen.
Erfindung zum richtigen Zeitpunkt
Dass die besten Ideen in Notsituationen entwickelt werden, hat die Geschichte schon mehrmals bewiesen.
Gerade in Krisenzeiten sind Menschen
besonders kreativ, um sich aus einer
verzwickten Lage zu befreien. Auch die
Erfolgsgeschichte von Semperlux ist
Kooperationspartner der
Hauptstadtkampagne
Lichtblicke: Bekannte Bauwerke in der Hauptstadt sind mit Beleuchtungskonzepten von Semperlux ausgestattet. Im Bild der Hauptbahnhof (l.) sowie das Bundeskanzleramt.
darauf zurückzuführen. Der Aufstieg
des heute international agierenden Familienunternehmens begann in der
Zeit der Berlin-Blockade mit einer Produktneuheit: In den Jahren 1948/1949
stand den Menschen nur zwei Stunden
Strom pro Tag zur Verfügung. Eine Misere, die den arbeitslosen Elektroingenieur Hermann Bansbach zum Tüfteln
antrieb. Die „Erleuchtung“ ließ nicht
lang auf sich warten: Bansbach entwickelte und produzierte ein 24-Volt-Batterie-Aufladegerät, mit dem die Bevölkerung die Stromsperre überbrücken
konnte und ihr somit rund um die
Uhr Licht zur Verfügung stand. Dieses
­Ladegerät mit der Warenbezeichnung
„Semperlux“ – was so viel wie „immer
Licht“ bedeutet – war die Geburtsstun-
de des gleichnamigen Leuchtenherstellers aus Berlin.
Mit dem „Metersystem“ wurden
neue Maßstäbe gesetzt
„Wir sind überzeugt, dass
Berlin auch in den nächsten
Jahrzehnten eine sehr starke
Entwicklung erleben wird.“
Klaus-Peter Siemssen,
Vorstandsvorsitzender von Semperlux
Nach der Blockade stellte das Unternehmen verschiedenste Leuchtstofflampen
her und setzte mit einem von Lampenlängen unabhängigen „Metersystem“
neue Maßstäbe in der architekturbezogenen Innenbeleuchtung. Das in den
70er-Jahren entwickelte Programm von
Lichtrohren, -kanälen und -kassetten
revolutionierte die damalige „Beleuchtungskultur“. Bald darauf eroberte Semperlux mit designorientierten Außenleuchten auch die Innenstädte.
Als erfolgreiches Berliner Unternehmen sind die Projekte in der
Hauptstadt heute allgegenwärtig und
prägen den öffentlichen Raum – insbesondere bei Dunkelheit – ganz entscheidend mit. Mit der Unternehmens­
philosophie „Licht.Ideen.Systeme“
drückt Semperlux den bekanntesten
Bauwerken in der Spree-Metropole
seinen „Illuminations-Stempel“ auf.
Ein besonderes Prestigeobjekt der
jüngeren Geschichte ist der neue
­Berliner Hauptbahnhof. Am größten
Schienen-Knotenpunkt Europas sorgen insgesamt 54 verschiedene Beleuchtungssysteme von Semperlux für
angenehme und beeindruckende
Sichtverhältnisse: Von der einfachen
Bahnsteig-Leuchte über satinierte
Lichtbänder bis hin zur großflächigen
Fassadenbeleuchtung handelt es sich
Das Familienunternehmen zählt seit
Jahrzehnten zu den Innovationstreibern innerhalb der Branche und ist
nach wie vor mit Berlin eng verbunden.
Diese Bindung spiegelt sich unter anderem in der Kooperationspartnerschaft der 2010 initiierten Hauptstadtkampagne „Berlin – the place to be for
future industries“ wider. Neben anderen führenden Unternehmen an der
Spree – wie etwa Bombardier oder Siemens – gibt Semperlux der Kampagne
ein Gesicht und bekennt sich zu der
Weltstadt. „Für international agierende
Unternehmen, die eng mit den Geschehnissen am Markt verflochten sein
müssen, ist Berlin aktuell mit Sicherheit
einer der attraktivsten Standorte. Die
Breite an Know-how und die Dynamik
sind beeindruckend“, unterstreicht
Klaus-Peter Siemssen, Vorstandsvorsitzender von Semperlux. Auch in Anbetracht der Zukunftsfähigkeit der Metropole sind die Hauptstädter sehr zuversichtlich und selbstbewusst: „Wir sind
überzeugt, dass Berlin auch in den
nächsten Jahrzehnten eine sehr starke
Entwicklung erleben wird – und Semperlux hat sich hier auch einiges vorgenommen“, so Siemssen.
32 Journal
März
2011
WirtschaftsKurier
Bosch setzt nicht nur in der Technik
Maßstäbe, sondern auch was seine
Außenwirkung anbelangt: Links das
Plakat „Roter Teufel“ aus dem Jahr
1910. Als Motiv diente der Rennfahrer
Camille Jenatzy, der mit seinem mit
einer Magnetzüdnung ausgestatteten
Mercedes von Triumph zu Triumph
eilte. Rechts das Blechplakat
„Motorrad mit Bosch-Ausrüstung“
von 1925, das heute eine beliebtes
Sammlerstück ist. Fotos: Bosch
Ein Technik-Pionier mit Herz
Bosch | Der Automobilzulieferer feiert sein 125-jähriges Jubiläum und den 150. Geburtstag seines Gründers Robert Bosch
Von Daniel G. Medhin
D
ie Erfolgsgeschichte der Unter­
nehmen Daimler und Bosch
ist so eng miteinan­der ver­
knüpft, dass dieses Verhältnis schon
des Öfteren mit einer Ehe ver­glichen
wurde. Doch zu Beginn der Zusammen­
arbeit von Robert Bosch und Gottlieb
Daimler hätte wohl kaum ­einer ge­
glaubt, dass aus dieser Beziehung ein­
mal viele der Innovationen hervorge­
hen werden, die das Bild des Automo­
bils bis zum heutigen Tag prägen. Denn
von Liebe auf den ersten Blick konnte
zwischen dem Autohersteller und dem
Zulieferer wahrlich nicht die Rede sein.
Noch wenige Tag vor seinem Tod, am
12. März 1942, und rund ein halbes
Jahrhundert nach den ersten Kontak­
ten erinnerte sich Robert Bosch an den
mehr als holprigen Start: „Daimler
hasste mich und machte mir alle
Schwie­rigkeiten, die er mir machen
konnte.“ Neben persönlichen Aversio­
nen belasteten vor allem fachliche Dif­
ferenzen das Verhältnis der schwä­
bischen Tüftler. Den Zündstoff für ihre
explosive Beziehung lieferte das „Pro­
blem der Probleme“, wie es Carl Benz –
der andere Vater der motorisierten
Fort­bewegung – nannte: auf welche
Wei­se das Gasgemisch im Zylinder ei­
nes Motors entflammt werden sollte.
Während Benz auf die Batteriezün­
dung setzte, hatte sich Gottlieb Daim­
ler der Glührohrzündung verschrie­
ben, bei der ein Röhrchen in die Wand
des Zylinders eingefügt und von außen
erhitzt wird. Diese Technik war jedoch
nicht unumstritten und hatte schon
das eine oder andere Todesopfer gefor­
dert. Vor allem der in Nizza lebende
österreichische Generalkonsul Emil
­Jelinek, dessen Tochter Mercedes den
schwäbischen Vierrädern ihren Na­
men lieh, war ein entschiedener Geg­
ner dieser Methode. Da die Daimler
Motoren Gesellschaft großes Interesse
an den Geschäftsbeziehungen mit dem
Konsul hatte, der durch seine guten
Kontakte in die feine Gesellschaft den
Vertrieb der Autos ankurbeln sollte,
musste sich Gottlieb Daimler schließ­
lich zähneknirschend dem Druck aus
dem eigenen Haus fügen, das auf die
Alternative eines gewissen Herrn Ro­
bert Bosch aus Stuttgart setzte.
Moderne Produktion:
Schon früh setzte man bei
Bosch auf innovative
­Fertigungsmethoden.
Hier die Herstellung von Isolierkörpern für Z­ ündkerzen.
Eine Pionierleistung
Der Besitzer der Werkstatt für Feinme­
chanik und Elektrotechnik hatte 1887
zum ersten Mal auf Anfrage eines Kun­
den eine Magnetzündung produziert.
Bosch war zwar nicht der Erfinder die­
ser Technologie, verbesserte sie aber
entscheidend weiter, was zu einem
­Erfolgsprinzip des Unternehmens wer­
den sollte. Diese Technik kam zunächst
nur bei stationären Motoren zum Ein­
satz. Als aber der englische Automobil­
pionier Richard Simms Bosch 1897 ein
Motorfahrrad schickte, um dort einen
Magnetzünder einbauen zu lassen, ge­
lang ihm und seinem Meister Arnold
Zähringer diese herausragende Pio­
nierleistung. Neben Daimler konnte
man schon bald viele andere Kunden
aus der noch jungen Automobilindus­
trie hinzugewinnen. Für Bosch war
dies die Initialzündung zum Aufstieg
zu einer der führenden Unternehmer­
persönlichkeiten der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts.
Wie bei vielen anderen erfolgreichen
Wirtschaftskapitänen aus dem „Länd­
Robert Bosch (l.) war
ein passionierter Jäger:
Auch noch im hohen Alter
ging er mit Revierjäger
Seraphin Schöll auf die
Pirsch.
le“, so waren es auch bei Bosch die
klassischen schwäbischen Tugenden
wie Fleiß, Erfindungsgabe und Be­
scheidenheit, die diesen Aufstieg er­
möglichten. Bosch, der am 23. Septem­
ber 1861 im „Gasthaus zur Krone“ bei
Ulm geboren wurde, erhielt als Erbteil
noch eine starke soziale Ader. Bereits
sein Vater, Servatius Bosch, war über­
zeugter Demokrat mit ausgeprägtem
Gerechtigkeitssinn.
Im Jahr 1869 zog die Familie nach
Ulm um, wo Bosch die Realschule be­
suchte. Weniger theoretisch als prak­
tisch veranlangt, interessierte ihn
hauptsächlich die experimentelle Seite
der Physik. Als er nach der siebten
Klasse das Handtuch werfen musste,
weil er – wie er selbst zugab – zu wenig
Sitzfleisch und Ehrgeiz hatte, zeigte
sich der unschlüssige Schüler nicht ab­
geneigt, als ihm sein Vater vorschlug,
Feinmechaniker zu werden – was sich
als weiser Rat herausstellte. Denn in
diesem Berufsfeld – ähnlich wie heute
in der Informationstechnologie – wur­
den damals in hoher Schlagzahl bahn­
brechende Erfindungen wie Telegra­
phen, Dynamomaschinen und Groß­
motoren gemacht.
Um praktische Erfahrungen zu sam­
meln, begab sich der junge Geselle auf
Wanderschaft quer durch Deutsch­
land. Neben der Erweiterung seiner
fachlichen Kenntnisse kam er in dieser
Periode mit sozialistischen Ideen in
Kontakt, die seine soziale Einstellung
als Unternehmer entscheidend prägen sollten. So zahlte Bosch seinen Be­
schäftigten stets überdurchschnittliche
Löhne und bot ihnen attraktive Sozial­
leistungen, was ihm den Spitznamen
der „Rote Bosch“ einbrachte.
1883/84 folgte ein kurzes Intermezzo
an der Technischen Hochschule in
Stuttgart. Die akademische Ausbeute
scheint zwar mager gewesen zu sein,
trug aber dazu bei, dass er die „Furcht
vor technischen Ausdrücken“ verlor.
1884 reiste Bosch über den großen
Teich, um bei der Edison-Gesellschaft
zu arbeiten. Nach einem weiteren be­
ruflichen Zwischenstopp in England
kehrte der selbstbewusste junge Mann
in die Heimat zurück.
Mit 10 000 Mark Startkapital aus sei­
ner Erbschaft eröffnete er im November
1886 in einem Stuttgarter Hinterhaus
die „Werkstätte für Feinmechanik &
Elektrotechnik“. Der frischgebackene
Unternehmer durfte bei der Annahme
seiner Aufträge nicht wählerisch sein
und erledigte alle anfallenden Arbei­
ten. Dennoch waren die ersten Jahre
eine ständige Gratwanderung und
Bosch wird sie später als „böses Ge­
würge“ bezeichnen.
Magnetzündung sichert Existenz
Erst mit der Magnetzündung bekam
das Unternehmen zunehmend feste­
ren wirtschaftlichen Boden unter sich.
Im Jahr 1891 steuerte diese Technolo­
gie bereits mehr als 50 % zum Umsatz
bei und als Zulieferer für die aufstre­
bende Automobilindustrie stieg der
Absatz rasant an. Schon bald gründete
Bosch Vertriebsgesellschaften in Lon­
don, Frankreich und Österreich und
das Wachstum erforderte immer grö­
ßere Inves­titionen. Am 1. April 1901
zog er mit 45 Mitarbeitern in die neue
elek­trotechnische Fabrik. Der von
Gott­lob Hor­nunger erfundene Hoch­
spannungs­zünder trug zu weiterem
Wachstum bei.
Schon 1905 konnte Bosch einen
zweiten Fertigungsstandort in Paris
einweihen und die Reise von Gustav
Klein, der später sein Nachfolger in der
Geschäftsführung werden sollte, nach
Amerika glich einem Triumphzug. In­
nerhalb weniger Jahre entwickelten
sich die USA zum wichtigsten Absatz­
markt der Stuttgarter. Doch der Erste
Weltkrieg stoppte diesen Höhenflug
und markierte eine tiefe Zäsur, denn
mit einem Schlag fielen die wichtigsten
Märkte weg. Neben der politischen
Weltlage kamen für Bosch noch private
Probleme hinzu. So belastetet ihn die
schwere Krankheit seines Sohnes, und
weil er selbst mit gesundheitlichen
Problemen zu kämpfen hatte, stellte
sich die Nachfolgefrage immer drän­
gender: Schließlich wandelte Bosch
das Unternehmen 1917 in eine Aktien­
gesellschaft um und übernahm den
Vorsitz des Aufsichtsrats. Vor allem in
der Kriegszeit zeigte sich seine soziale
Ader. Gleich im ersten Jahr spendete er
400 000 Mark für Kriegswaisen und
kümmerte sich um die Unterbringung
Verwundeter sowie die Wohnsituation
von Arbeiterfamilien. Da er nicht von
Kriegsgewinnen profitieren wollte,
brachte er das Geld in eine Stiftung für
die Erbauung des Neckarkanals ein.
Nach dem Krieg veränderte sich nicht
nur die politische Landkarte, auch die
Bosch AG musste sich neu aufstellen.
Denn in der wirtschaft­lichen Eiszeit des
Krieges hatten viele Länder eigene Zu­
lieferindustrien aufgebaut. So versuchte
man nicht nur, die alten Kontakte wie­
der aufleben zu lassen, sondern richtete
einen weltweiten Servicedienst ein, der
den globalen Bekanntheitsgrad der
Marke steigerte. Auch die Zahl der Pro­
dukte hatten die Schwaben ständig er­
weitert und verkauften nun neben Zün­
dungen auch Licht, Batterien, Servo­
bremsen und Scheibenwischer. Eine
wichtige Weichenstellung für die Zu­
kunft stellten 1923 die erfolgreichen
Tests von Einspritzpumpen für den im­
mer beliebteren Dieselmotor dar. Ende
November 1924 lief das erste serienreife
Produkt vom Band.
Wandel zum Elektrokonzern
Um dem wachsenden Druck aus dem
Ausland standzuhalten, wurde die Pro­
duktion rationalisiert und 1925 in Stutt­
gart auf Fließbandarbeit umgestellt.
Nachdem die Automobilindustrie in
der Mitte der 20er-Jahre von einer
schweren Krise heimgesucht wurde,
versuchte die Firmenleitung, diese Ab­
hängigkeit zu reduzieren und die Ge­
schäftsgrundlage auf mehrere Säulen
zu stellen. Mit Übernahmen und der
Einrichtung neuer Produktionszweige
wandelte sich die Bosch AG immer
mehr zum Elektrokonzern.
Die Mitte der 30er-Jahre war für Ro­
bert Bosch eine äußerst ambivalente
Zeit. Zwar war das Unternehmen auf
Erfolgskurs, aber die NS-Diktatur warf
einen tiefen Schatten auf das Leben
von Robert Bosch, der dem Regime ab­
lehnend gegenüberstand und auch
Personen beschäftigte, die sich am Wi­
derstand gegen Hitler beteiligten, wie
den ehemaligen Bürgermeister von
Leipzig, Carl Goerdeler, der am Staats­
streichversuch des 20. Juli 1944 be­
teiligt war und hingerichtet wurde. Vor
­allem die Diskriminierung jüdischer
Mitbürger und die erneute Kriegsangst
belasteten ihn. Nach Ausbruch des
Krieges zog er sich immer mehr aus
dem Unternehmen zurück. Dass er die
Zerstörung seiner Werke durch die
Bomben nicht mehr erleben musste,
bezeichnete sein erster Biograf, der
spätere Bundespräsident Theodor
Heuss, als „Gnade“. ­
Die Entwicklung geht
bei Bosch ständig weiter:
hier ein Mit­­ar­bei­ter mit
einer elektrischen
Maschine für Elektro- und
Hybrid­motoren.