Oxytocin und Methylergometrin nach der Geburt

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Oxytocin und Methylergometrin nach der Geburt
DIAGNOSTIK + THERAPIE
PLAZENTARPERIODE UND NACHGEBURTLICHE BLUTUNGEN
Oxytocin und Methylergometrin nach der
Geburt – Vorsicht bei der Anwendung!
Werner Rath1, Wiebke Gogarten2
Die prophylaktische und therapeutische Applikation von Oxytocin
(z.B. Syntocinon) und Methylergometrin (Methergin) gehört zu
den traditionellen Routinemaßnahmen in der Geburtshilfe. Sie
hat in den letzten 60 Jahren zu einer signifikanten Verminderung postpartaler Blutungskomplikationen und mütterlicher
Todesfälle beigetragen. Allerdings ist die Anwendung aufgrund
schwerer maternaler Nebenwirkungen und Komplikationen zunehmend in die Diskussion gekommen.
Die prophylaktische Applikation von
Oxytocin verkürzt signifikant die Dauer der Plazentarperiode (35) und vermindert die Rate postpartaler Blutungen um bis zu 40% (21, 23), ohne – entgegen früherer Auffassung –
die Häufigkeit manueller Plazentalösungen zu erhöhen (21). Durch eine
aktive Leitung der Nachgeburtsperiode
(intravenöse Injektion von 5–10 I.U.
Oxytocin innerhalb von 1 Minute nach
Durchtritt der kindlichen Schulter, rasches Abklemmen und kontrollierter
Zug an der Nabelschur bei gleichzeitigem Zurückhalten des tonisierten
Fundus uteri) konnte im Vergleich zu
einem expektativen Management eine Verminderung postpartaler Blutungen um 40–60% bei gleichzeitiger Verminderung der Häufigkeit postpartaler Anämien und des Bedarfs an
Blutkonserven erreicht werden (10,
18: Grad-A-Empfehlung), allerdings
unter Inkaufnahme einer deutlichen
Erhöhung mütterlicher Nebenwirkungen (u.a. Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Blutdruckerhöhung), insbesondere nach Applikation von Ergoalkaloiden.
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Frauenklinik für Gynäkologie und
Geburtshilfe, Universitätsklinikum
Aachen
2 Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum
Münster
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FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 6
Ungeachtet der Diskussion um eine
unnötige Medikalisierung geburtshilflicher Abläufe sollte zumindest bei
Risikokonstellationen (z.B. belastete
Anamnese, Überdehnungszustände des
Uterus) der aktiven Leitung der Nachgeburtsperiode der Vorzug gegeben
werden. Die Notwendigkeit zur Gabe
von Uterotonika in der Therapie postpartaler Blutungskomplikationen ist
unbestritten (Übersicht bei 24).
Ausgelöst durch Berichte über schwere maternale Komplikationen und Todesfälle (37) und stimuliert durch kritische Analysen aus der Anästhesie über
die hämodynamischen Wirkungen sind
Oxytocin und Methylergometrin in den
Fokus des aktuellen Interesses geraten; dies betrifft neben den zugelassenen Indikationen vor allem die Dosierung, die Art der Applikation und
die Auswirkungen der Uterotonika auf
kreislaufinstabile oder kardiovaskulär
vorbelastete Schwangere.
Oxytocin – zu oft eingesetzt
und zu hoch dosiert?
Im Zusammenhang mit der Anwendung von Oxytocin wurde vor kurzem
die Frage aufgeworfen: „Geben Geburtshelfer zu hohe Dosen zu schnell,
ohne die seit mehr als 30 Jahren bekannten hämodynamischen Wirkungen von Oxytocin zu berücksichtigen?“ (30).
Die Indikationen für Oxytocin sind
laut Produktinformationen u.a. die
Förderung und Beschleunigung der
Ablösung und Ausstoßung der Plazenta und damit verbunden die Prophylaxe der verstärkten Nachgeburtsblutung sowie die Therapie atonischer
Blutungen in der Nachgeburtsperiode.
Bei dieser Indikation gilt laut Produktinformation Oxytocin als Mittel
der zweiten Wahl und sollte nur eingesetzt werden, wenn andere uteruskontrahierende Substanzen wie Methylergometrin, Prostaglandine oder
deren Derivate kontraindiziert sind (s.
auch Rote Liste). Diese Darstellung in
den Produktinformationen widerspricht
gängigen nationalen und internationalen Leitlinien (z.B. AWMF 015 / 031,
September 2007, 24), dies bedarf der
weiteren Klärung.
Laut Produktinformationen für Oxytocin ist bei intravenöser Bolusgabe
„mehrerer internationaler Einheiten
Oxytocin“ ein ausgeprägter Blutdruckabfall verbunden mit Flush und
einer Steigerung der Herzfrequenz zu
beachten.
„Oxytocin is a
cardiovascular hormone“
Die kreislaufrelevanten Wirkungen von
Oxytocin sind grundsätzlich dosisabhängig; sie beruhen vor allem auf einer passageren Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur mit Vasodilatation und konsekutiver endothelrezeptorvermittelter Aktivierung des
NO-Stoffwechsels (34). Die Folge ist
eine mütterliche Hypotension, die
durch Reflextachykardie und Erhöhung des Herzminutenvolumens bei
gesunden Schwangeren im Allgemeinen effektiv kompensiert wird. Nicht
zu Unrecht wurde daher in einer Publikation von Gutkowska et al. (11)
Cave kardiale
Dekompensation
Problematisch wird diese Situation allerdings bei durch Blutverlust bedingter Hypovolämie, die ihrerseits zu
einer Erhöhung der Herzfrequenz und
Abnahme des Blutdrucks führt, oder
bei einer Herzerkrankung der Mutter
(u.a. fixiertes Herzminutenvolumen,
eingeschränkte myokardiale Reserve,
negativ chronotrope Wirkung von Betablockern), bei denen eine adäquate
Kompensation der hämodynamischen
Wirkungen von hoch dosiertem und als
Bolus appliziertem Oxytocin ausbleibt
(22, 37). Darüber hinaus kann die mütterliche Hypotension zusätzlich durch
eine Spinalanästhesie (z.B. bei Sectio
caesarea) verstärkt werden. Todesfälle in Verbindung mit der Bolusapplikation von Oxytocin aus den „Confidential Enquiries into Maternal Deaths
in the United Kingdom“ belegen eindrucksvoll diese Pathophysiologie und
deren Komplexität (5).
Darüber hinaus wurde über Myokardischämien in Verbindung mit der Gabe von Oxytocin sowie über ST-Strecken-Senkung im EKG berichtet (Übersicht bei 5, kasuistisch bei 20, 29),
insbesondere bei Schwangeren mit
Herzerkrankungen, aber auch bei gesunden Schwangeren ohne kardiale
Vorerkrankungen (39). In diesen Fällen dürfte den hämodynamischen Effekten von Oxytocin zum Teil eine additive Wirkung zukommen, da bei
massivem Blutverlust infolge postpartaler Blutung per se eine Myokardischämie entstehen kann sowie eine
verminderte Kontraktilität des Myokards parallel zum Schweregrad des
hämorrhagischen Schocks, die gerade bei herzkranken Schwangeren
schwerwiegendere Folgen haben als
die Wirkungen von Oxytocin (32). Andere Fallberichte zeigen jedoch, dass
primär nicht der ausgeprägte Blutverlust, sondern eine durch Uterotonika ausgelöste Myokardischämie im
Vordergrund der hämodynamischen
Instabilität steht (33).
Andererseits wird als Nebenwirkung
für Oxytocin häufig eine Blutdruckerhöhung angegeben. Dies erscheint
auf den ersten Blick widersprüchlich,
ist aber aus der Physiologie der Hämodynamik post partum verständlich.
Die Aufhebung der Vena-cava-Kompression führt in Verbindung mit dem
Rückstrom des Blutes aus der unteren Extremität und einem erheblichen
Auspressvolumen des Uterus, verstärkt
durch die Gabe von Oxytocin,
zu einer maternalen Autotransfusion von mindestens 500 ml,
zu einer Erhöhung des Herzminutenvolumens und damit
zu einer hyperdynamen Kreislaufsituation unmittelbar post partum.
Dies ist eine Konstellation, die einerseits vor allem bei Präeklampsie
(laut Produktinformation Kontraindikation für Oxytocin) und erhöhter Volumenzufuhr (z.B. nach Sectio caesarea) das Risiko für ein Lungenödem
erhöht, andererseits sich für herzkranke Schwangere infolge zusätzlicher kardiovaskulärer Belastung deletär auswirken kann.
Diese pathophysiologischen Konsequenzen sollten im Hinblick auf die
Dosierung und den Applikationsmodus von Oxytocin im Einzelfall berücksichtigt werden (s.u.).
Dosierungsempfehlungen
rein empirisch
Die Empfehlungen zu Dosierungen und
Applikationsmodi von Oxytocin sind
in der Literatur uneinheitlich und
letztlich nicht anhand definitiver Dosisfindungsstudien geklärt, sondern
basieren auf vorwiegend empirischen
Empfehlungen (5, 15).
Laut Produktinformationen der Herstellerfirmen können während einer
Sectio nach Entwicklung des Kindes
5 I.E. Oxytocin intramural oder langsam intravenös gegeben werden (Prophylaxe), in der Nachgeburtsperiode
(atonische Blutung) 5–10 I.E. intra-
muskulär oder 5–6 I.E. langsam intravenös; auf den akuten Blutdruckabfall wird in diesem Zusammenhang
hingewiesen. Internationale Produktinformationen geben bei postpartalen Blutungen entweder die intramuskuläre Gabe von 10 I.E. Oxytocin
oder die intravenöse Gabe von 10–40
I.E. in 1.000 ml 0,9%iger Kochsalzlösung an. Die AWMF-Leitlinie (9) empfiehlt zur Behandlung der atonischen
Nachblutung 10 I.E. Oxytocin als Bolus plus mindestens 40 I.E. in 500 ml
Trägerlösung (125 ml pro Stunde).
In den gängigen Lehr- und Facharztbüchern werden zur Beschleunigung
der Plazentageburt 3 I.E. Oxytocin intravenös empfohlen (17), zur aktiven
Leitung der Nachgeburtsperiode 5–
10 I.E. Oxytocin intravenös innerhalb
einer Minute nach Durchtritt der kindlichen Schulter bzw. Geburt des Kindes (14, 28), zur Behandlung der Uterusatonie 10 I.E. als Bolus verbunden mit einer Kurzinfusion von bis zu
20 I.E. Oxytocin in 0,9%iger Kochsalzlösung (28).
DIAGNOSTIK + THERAPIE
mit dem Titel „Oxytocin is a cardiovascular hormone“ auf diese Zusammenhänge hingewiesen.
Entsprechende Empfehlungen aus den
USA lauten: Infusion von 10 I.E. in
einer Dosierung von 0,02–0,04 I.E.
pro Minute (2, 3).
Die Empfehlungen aus England geben
an: bei Sectio caesarea 5 I.E. Oxytocin langsam intravenös nach der Geburt des Kindes, 5–10 I.E. Oxytocin
intravenös zur Behandlung der atonischen Blutung, gefolgt von einer
langsamen Oxytocininfusion (6). Keine dieser Dosierungsempfehlungen
ist aber bisher auf hohem Niveau evidenzbasiert gesichert.
Hinsichtlich der Vermeidung postpartaler Blutungskomplikationen zeigte eine Vergleichsstudie zwischen
5 I.E. und 10 I.E. Oxytocin eindeutige Vorteile zugunsten der höheren
Oxytocindosierung (19), bei Sectio
caesarea waren demgegenüber die intravenöse Gabe von 5, 10, 15 und 20
I.E. Oxytocin hinsichtlich der Uterustonisierung und des postpartalen
Blutverlustes äquieffektiv (27).
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DIAGNOSTIK + THERAPIE
Interessant in diesem Zusammenhang
sind Dosis-Wirkungs-Studien und dosisabhängige Untersuchungen zur hämodynamischen Wirkung von Oxytocin. Bei gesunden Frauen ohne Wehen und elektiver Sectio unter Spinalanästhesie war eine Dosis von
≤1 I.E. Oxytocin für eine effektive
Uterustonisierung ausreichend (7).
Informationen aus
Dosis-Wirkungs-Studien
Bekannt ist, dass es bei protrahiertem Geburtsverlauf und/oder intravenöser Oxytocininfusion zur Wehenverstärkung zu einer Verminderung und Desensibilisierung myometraner Oxytocinrezeptoren kommt
(Übersicht bei 25), die die Gabe höherer Oxytocin-Dosen im Hinblick auf
eine effektive Uterustonisierung in
der Nachgeburtsperiode erfordern. In
einer randomisierten Doppelblindstudie bei Schwangeren nach Geburtsstillstand, Wehenverstärkung
durch intravenöses Oxytocin und
nachfolgender Sectio caesarea unter
Spinalanästhesie konnte festgestellt
werden, dass eine intravenöse „loading dose“ von 3 I.E. Oxytocin für eine adäquate Uteruskontraktion ausreicht, gefolgt von einer kontinuierlichen Oxytocindauerinfusion mit
20 I.E. pro Liter (120 ml/h, 4).
Als Alternative in diesen Fällen wurde die Einmalinjektion des lang wirksamen Oxytocinagonisten Carbetocin
(Pabal, Ferring Arzneimittel) – Indikation: Prävention der Uterusatonie
nach Sectio unter Spinalanästhesie –
empfohlen mit bisher viel versprechenden klinischen Ergebnissen
(Übersicht bei 31).
In einer weiteren Studie wurden die
hämodynamischen Wirkungen einer
5-I.E.- versus einer 10-I.E.-Bolusgabe von Oxytocin bei Sectio caesarea
unter Spinalanästhesie bei gesunden
Schwangeren verglichen. Dabei kam
es nach Applikation von 10 I.E. Oxytocin als Bolus innerhalb von 30 Sekunden zu einem signifikanten Blutdruckabfall und nach 2 Minuten zu
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einer signifikanten Erhöhung der
Herzfrequenz und des Herzminutenvolumens – hämodynamische Veränderungen, die nach einem 5-I.E.-Oxytocin-Bolus weniger ausgeprägt waren (22). Unter Hinweis auf einen
mütterlichen Todesfall nach einer 10I.E.-Bolusgabe von Oxytocin in England wurde bei gesunden Schwangeren daher die langsame intravenöse
Applikation von 5 I.E. Oxytocin empfohlen, bei Schwangeren mit Hypovolämie oder kardiovaskulären Erkrankungen sollte eine rasche Bolusapplikation in jedem Fall vermieden
werden (22, 32).
Kurzinfusion ist eine
viel versprechende Variante
Eine viel versprechende Alternative
zur Bolusgabe ist die Kurzinfusion
von 5 I.E. Oxytocin über 5 Minuten,
die hinsichtlich ihrer hämodynamischen Auswirkungen mit der 5-I.E.Bolusapplikation bei gesunden
Schwangeren und Sectio caesarea verglichen wurde (36). Ohne Unterschiede hinsichtlich der resultierenden Uteruskontraktionen und des
Blutverlusts zeigte sich nach Bolusanwendung eine signifikante Steigerung der Herzfrequenz (im Mittel 17
Schläge pro Minute vs. 10 Schläge pro
Minute) und ein signifikant stärkerer
Abfall des mittleren arteriellen Blutdrucks (im Mittel 27 vs. 8 mmHg),
der erst nach 90 Sekunden wieder zu
den Ausgangswerten zurückkehrte.
Ungeachtet des Fehlens größerer Studien wurde daher die Kurzinfusion von
5 I.E. Oxytocin vor allem bei kardiovaskulär instabilen Schwangeren empfohlen.
Tägliche Praxis aufgrund
der neuen Erkenntnisse
überprüfen
Es ist daher nötig, unsere bisherigen
Empfehlungen aus Lehrbüchern und
Leitlinien und unsere tägliche Praxis
im Hinblick auf diese neuen Erkenntnisse zu überprüfen. Eine Umfrage aus England zeigte (5), dass unter dem Einfluss der „Confidential En-
quiries into Maternal Deaths“ ein Umdenken der Geburtshelfer erreichbar
war; vor der Publikation des mütterlichen Todesfalles im Zusammenhang
mit der raschen Bolusgabe von 10 I.E.
Oxytocin bei Sectio caesarea wendeten 87% der befragten Geburtshelfer
10 I.E. Oxytocin vorzugsweise als i.v.Bolus beim Kaiserschnitt an, danach
nur noch 15%; auch auf die rasche
Bolusapplikation wurde deutlich häufiger verzichtet. Insgesamt änderten
84% der Geburtshelfer ihr Verhalten
im Umgang mit Oxytocin. In diesem
Zusammenhang ist daher dringend zu
fordern, auch in Deutschland ein derartiges anonymes Register mütterlicher Todesfälle zu etablieren.
Klinische Konsequenzen
Die hämodynamischen Wirkungen von
Oxytocin, insbesondere als intravenöser Bolus von mehr als 3–5 I.E., müssen immer im Zusammenhang mit der
Physiologie der Nachgeburtsperiode
und unterschiedlicher pathophysiologischer Konstellationen (z.B. Präeklampsie, hämodynamische Folgen
eines starken und raschen Blutverlustes, Hypovolämie) sowie einer vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankung der Mutter berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist in Abhängigkeit von der Indikation zur Gabe von
Oxytocin zwischen den Risiken einer
potenziell zu niedrigen und möglicherweise mindereffektiven Dosierung,
insbesondere bei der Behandlung atonischer Blutungen, und den hämodynamischen Folgen einer hoch dosierten Bolusapplikation abzuwägen und
dies im intensivmedizinischen Management gemeinsam mit dem Anästhesisten zu beachten.
Dabei liegt es auf der Hand, dass sich
die Situation der Oxytocinanwendung
zur Beschleunigung der Plazentageburt und zur Prophylaxe postpartaler
Blutungen, auch bei Sectio caesarea,
gravierend von der einer massiven atonischen Nachblutung unterscheidet.
Im ersten Fall dürfte die langsame intravenöse Applikation von 3 I.E. Oxytocin i.a. ausreichend sein, bei Sectio
Bei kreislaufinstabilen oder kardiovaskulär vorbelasteten Schwangeren
und der Notwendigkeit zur Gabe von
Uterotonika sollten – ungeachtet der
spärlichen Datenlage – 5 I.E. Oxytocin über 5 Minuten als Kurzinfusion
gegeben werden (30, 36) und keinesfalls Oxytocin als Bolus (32).
Methylergometrin
richtig indizieren
Die persistierende uteruskontrahierende Wirkung von Methylergometrin
(Methergin) beträgt bei intravenöser
Gabe mindestens 30 Minuten und hält
für 60–90 Minuten an (Halbwertzeit:
0,2–2 Stunden, 16).
Laut Produktinformationen ist Methergin zugelassen bei Blutungen nach
Abort, verstärkter postpartaler Blutung und Subinvolutio uteri im Wochenbett bei nicht stillenden Frauen.
Die Dosierung ist bei intravenöser Gabe mit 1–2mal täglich bis zu einer
halben Ampulle langsam i.v. oder
1–3 mal täglich bis zu einer Ampulle
intramuskulär angegeben. In einer
Cochrane-Analyse (16) wurde die Wirksamkeit dieser Substanz in der Leitung der Nachgeburtsperiode und zur
Prophylaxe postpartaler Blutungen
evaluiert: Sie führte zu einer signifikanten Senkung des Blutverlustes, der
Rate postoperativer Blutungen und
der Häufigkeit von Endometritis, war
allerdings auch mit einer erheblichen
maternalen Nebenwirkungsrate und
dem erhöhten Risiko für eine Plazentaretention belastet. Nach Prendiville
et al. (23) und entsprechend der Zulassung sollte Methergin allerdings nur
in der Therapie postpartaler Blutungen Anwendung finden.
In den gängigen Fachbüchern wird in
dieser Indikation die Gabe von 1 Ampulle (1 ml entspricht 0,2 mg) langsam intravenös – über 60 Sekunden
– empfohlen (14, 28), gegebenenfalls
die intramuskuläre Applikation in gleicher Dosierung. Die AWMF-Leitlinie
(015/031, 9) empfiehlt die langsame
intravenöse Gabe von 0,2–0,5 mg
Methergin (Wirkungseintritt nach 45
Sekunden). Bisher gibt es allerdings
keine international verbindlichen Angaben zur Dosierung und zum Applikationsmodus von Methylergometrin
(16).
Unabhängig davon wird deutlich, dass
in aktuellen Empfehlungen die zugelassene Dosis bei der intravenösen
Gabe von einer halben Ampulle (0,1
mg) überschritten wird, darüber hinaus dürfte es technisch schwierig
sein, 0,5 ml Methergin langsam intravenös zu applizieren, was nur durch
eine Verdünnung der Substanz möglich ist, die aber in der Literatur nicht
geprüft ist und über die keine klinischen Empfehlungen vorliegen.
Entscheidend für die Wirkung von
Methergin in der klinischen Anwendung ist eine Vielzahl auf unterschiedlicher Affinität zu den α-Adrenorezeptoren und Dopaminrezeptoren beruhender Nebenwirkungen dieser Sekale-Alkaloide, wobei der starke
vasokonstriktorische Effekt bis hin
zum Gefäßspasmus im Vordergrund
steht.
Auch hier: cave kardiale und
zerebrale Dekompensation
Aus Herzkatheteruntersuchungen ist
bekannt, dass die Gabe von Ergoalkaloiden zu einer Verminderung des
Durchmessers der Koronararterien um
15–20% führt und schwere Myokardischämien auslösen kann (38).
Dementsprechend gehören u.a. Bluthochdruck, die postpartale Gabe nach
Präeklampsie und Eklampsie, ischämische Gefäßerkrankungen einschließlich ischämischer Herzerkrankungen und Sepsis zu den wichtigsten Kontraindikationen, die in der geburtshilflichen Praxis – vor allem in
der Notsituation einer starken postpartalen Blutung – häufig nicht berücksichtigt werden.
Bei Präeklampsie kommt die blutdrucksteigernde Wirkung der Substanz
mit u.a. der kontraktionsinduzierten
Erhöhung des Rückflussvolumens aus
dem Plazentabett und der Erhöhung
des Herzminutenvolumens zusammen
– eine Konstellation, die in Verbindung mit hoher Volumengabe (z.B.
bei Sectio caesarea) und Tachykardie
zu einer akuten Myokardbelastung mit
erhöhtem Sauerstoffbedarf führen und
gerade bei kardial vorbelasteten
Schwangeren deletäre Folgen haben
kann. Gefährdet sind auch ältere
Schwangere, insbesondere mit Nikotin- und Alkoholabusus, Migräne in
der Vorgeschichte und familiärer Belastung für eine koronare Herzerkrankung (38). Im hämorrhagischen
Schock/bei Hypovolämie (z.B. bei atonischer Blutung) kann die medikamenteninduzierte Vasokonstriktion
die periphere Vasokonstriktion und
die Tachykardie verstärken, die sich
aus der Pathophysiologie des hypovolämischen Schocks ergeben.
DIAGNOSTIK + THERAPIE
caesarea entweder die Applikation von
3 I.E. Oxcytocin gefolgt von einer kontinuierlichen Dauerinfusion (s.o.) oder
bei elektivem Kaiserschnitt die intravenöse Gabe von 3 I.E. Oxytocin in
500 ml Trägerlösung mit 80 Tropfen
pro Minuten (0,024 I.E./Minute, 40).
Im zweiten Fall gehen aktuelle Empfehlungen dahin, maximal 6 I.E. Oxytocin langsam intravenös zu verabreichen plus 10–40 I.E. in 500–1.000 ml
Ringerlaktatlösung oder physiologischer Kochsalzlösung als Dauertropfinfusion (2, 24). Die Wirkung intravenös applizierten Oxytocins tritt nach
1 Minute ein, nach intramuskulärer Injektion erst nach 3–5 Minuten, auch
dies sollte in der aktuellen Situation
bedacht werden.
Es ist daher im Hinblick auf die pharmakologischen Wirkungen von Methergin nicht erstaunlich, dass seit Beginn der 90er Jahre zahlreiche Berichte über schwere mütterliche Komplikationen nach Methergin publiziert
wurden, wobei eine detaillierte Analyse dieser Falldarstellungen den Rahmen dieser Arbeit überschreitet. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit handelt es sich dabei um mindestens 20
Veröffentlichungen, in denen Koronarspasmen und Myokardinfarkte z.T.
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DIAGNOSTIK + THERAPIE
mit Todesfolge im Zusammenhang mit
der Gabe von Methergin beschrieben
wurden (u.a. 12, 38), vorwiegend bei
offenbar gesunden Frauen ohne erkennbare kardiovaskuläre Vorerkrankung, darüber hinaus mindestens drei
Fälle schwerer zerebrovaskulärer Angiospasmen/Angiopathien (u.a. 26)
und eine weitere Kasuistik über postpartal aufgetretene akute Ischämien
der unteren Extremität (8), abgesehen von zahlreichen Berichten über
Nebenwirkungen beim Neugeborenen
(Übersicht bei 1).
Aufgrund dieser Erkenntnisse wird
Methergin in deutschen Geburtskliniken zunehmend seltener zur Behandlung verstärkter postpartaler Blutungen eingesetzt, aktuelle internationale Übersichten empfehlen die Gabe von Methergin nur noch als
intramuskuläre Applikation von
0,2 mg oder die direkte Gabe in das
Myometrium (z.B. bei Sectio caesarea), keinesfalls aber intravenös als
Bolus (13). Probleme der intramyometrialen oder intramuskulären Gabe
beinhalten nicht kalkulierbare Plasmaspiegel, die zu einer verspäteten
hämodynamischen Wirkung vergleichbar der intravenösen Gabe führen können. Diese Empfehlungen sind
aber aufgrund der fehlenden Datenlage nicht auf hohem Niveau evidenzbasiert (EL III). Das Kombinationspräparat Syntometrin (0,5 mg Ergometrin + 5 I.E. Oxytocin) ist in
Deutschland kommerziell nicht mehr
verfügbar.
schiedenen Gründen unterlassen wird.
Bei einer Vielzahl von Schwangeren
mit kardialen Komplikationen war eine kardiale Vorerkrankung nicht bekannt und anamnestisch nicht zu erheben. Das Risiko von Myokardinfarkten in der Schwangerschaft steigt
mit zunehmendem mütterlichen Alter, so haben 35- bis 39-jährige
Schwangere ein 20fach höheres Risiko für einen Myokardinfarkt als unter
20-jährige, über 40-jährige haben ein
30fach erhöhtes Risiko (41).
Bei der Gabe von Uterotonika müssen
die Zulassungsrichtlinien, die Kontraindikationen, die pathophysiologischen Konstellationen der gegebenen
geburtshilflichen Situation, der aktuelle kardiovaskuläre Status der Mutter und die Dringlichkeit zur Anwendung dieser Substanzen in Abwägung
zu deren Risiken berücksichtigt werden. Rasche Bolusinjektionen sollten
vermieden (besser: Kurzinfusion) und
die minimaleffektive Dosis des Medikaments verabreicht werden; im Hinblick auf die unvorhersehbaren Nebenwirkungen ist ein engmaschiges
Kreislaufmonitoring – vor allem bei
Risikoschwangeren – indiziert (enge
Kooperation mit der Anästhesie).
Um mütterliche Morbidität zu vermeiden, sollte der Geburtshelfer die Gabe von Uterotonika nicht im Sinne einer „unreflektierten Routinemaßnahme“ anordnen, sondern individuell und
situationsangepasst indizieren.
Literatur
Blutdruck messen
nicht vergessen
Für die Anwendung von Uterotonika
in der Nachgeburtsperiode und bei
postpartalen Blutungen ist daher Folgendes zu berücksichtigen: Sofern
möglich, sollte immer eine sorgfältige Erhebung der Anamnese (Ausschluss kardiovaskulärer Risikofaktoren) sowie eine orientierende klinische Untersuchung der Schwangeren
einschließlich der Messung des Blutdrucks erfolgen, die aber in der geburtshilflichen Praxis häufig aus ver-
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Für die Autoren
Univ.-Prof.
Dr. med. W. Rath
Universitäts-Frauenklinik
der RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
wrath@ukaachen.de