TB 6 Trendsportartenkonzept
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TB 6 Trendsportartenkonzept
Jürgen Schwier Wie kommt der Trendsport in die Schule? 1 Vorbemerkungen Sowohl die Sportdidaktik als auch die Unterrichtspraxis zeigen seit einigen Jahren ein ausgeprägtes Interesse an sogenannten Trendsportarten. Aerobic, Klettern, Beach-Volleyball, Inline-Skating, Snowboarding oder Streetball sind gegenwärtig zwar einerseits noch keine selbstverständlichen Inhalte des Schulsports, andererseits handelt es sich bei diesen Bewegungsformen jedoch auch nicht länger um avantgardistische Bewegungsformen, da sie inzwischen an zahlreichen deutschen Schulen unterrichtet und ausgeübt werden. Die besonderen pädagogischen Möglichkeiten und Risiken einer Einbeziehung von innovativen Bewegungspraktiken in den Schulsport sind darüber hinaus in den letzten Jahren ebenso ausführlich wie kontrovers diskutiert worden. Vor diesen Hintergrund versucht der vorliegende Beitrag einige zentrale Aspekte des entsprechenden sportpädagogischen Diskurses nachzuzeichnen. Mit Blickrichtung auf die „Eigensinnigkeit“ einzelner Trendsportarten wird dabei vor allem die Frage nach den geeigneten Vermittlungsmethoden angesprochen. Zunächst erscheint es jedoch hilfreich, eine begriffliche Einordnung und inhaltliche Bestimmung des Trendsports vorzunehmen. 2 Was ist Trendsport ? Die Ausbildung eines Feldes der Trendsportarten stellt ein relativ junges Phänomen in der Entwicklung des Sports dar. Obwohl sich zum Beispiel mit dem Surfen oder dem Skateboarden schon in den fünfziger bzw. den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts erste Vorläufer dieses Prozesses beobachten lassen, ist es erst im Verlauf des letzten Jahrzehnts zu einer Popularisierung derartig innovativer Bewegungsformen und Sportvorstellungen sowie zu einer umfassenden Vermarktung des Trendsports und seines Durchbruchs in der Medienöffentlichkeit gekommen. Die Entstehung von neuen Praktiken wie Base-Jumping, Crossgolfen, SalsaAerobic, Mountainbiking, Kitesurfing, Iceclimbing, Beach-Volleyball, Flow, Skate- oder Snowboarding wird in diesem Zusammenhang wesentlich durch die anhaltende Ökonomisierung des gesamten Sports, durch die Aufwertung der sportiven Körperthematisierung in der Jugendkultur und darüber hinausgehend im gesamten Raum der Lebensstile begünstigt. 1 Der Begriff Trendsportart kennzeichnet neuartige bzw. lifestylegerecht aufbereitete Bewegungsformen, die als „charismatische Produkte“ (LAMPRECHT & STAMM 1998, S. 372) ein erhebliches Verbreitungspotential besitzen. Trends im Feld des Sports sind ferner dadurch gekennzeichnet, dass sie unsere eingewöhnten Sportvorstellungen überschreiten und zuvor unbekannte oder vernachlässigte Auslegungen des menschlichen Sich-Bewegens in unseren Horizont rücken. Im Unterschied zu (Körper-) Moden kann man also nur dann von einem sportiven Trend sprechen, wenn sich ein neu auftauchendes Bewegungsangebot über mehrere Jahre im Bewusstsein der Sporttreibenden verankert und in Form einer eigenständigen Szene etabliert (vgl. SCHWIER 2003). Damit wird zugleich unterstellt, dass sich Trendsportarten nicht über einen massiven Medienoder Marketingeinsatz durchsetzen lassen, sondern an bereits vorhandenen Interessen und Leidenschaften, an körperbezogenen Dispositionen sowie an innovativen und kreativen Handlungsprozeduren bestimmter gesellschaftlicher Gruppen ansetzen. Von grundlegender Bedeutung für die folgende Argumentation ist des weiteren die Annahme, dass die fortlaufenden Interaktionen zwischen den jeweiligen Protagonisten und der Sportbranche die Entfaltung innovativer Bewegungspraktiken maßgeblich vorantreiben. Die Praxis der Trendsportarten ist in dieser Sicht für alternative Modi der Selbstsetzung offen, kann aber niemals völlig authentisch sein, sondern lässt sich als ein Schauplatz symbolischer Auseinandersetzungen zwischen den Interessen des Sportsystems und denen der sozialen Akteure begreifen. In vergleichbarer Weise, wie dies WINTER (2003) für den gesamten Bereich der Populärkultur postuliert, kann der Trendsport eine soziale Identität begünstigen, „die sich zum Teil des Zugriffs des Machtblocks entzieht“ (ebenda, S. 106). Die Entwicklung von Trendsportarten vollzieht sich also im Widerstreit zwischen den Kräften der Disziplinierung, der Routinisierung, der sozialen Kontrolle und denen der Antidisziplin, der Subversion, des populären Vergnügens (vgl. EHNI 1998; SCHWIER 2000, S. 37-46). Innovative Bewegungsformen artikulieren so ein alternatives Sportverständnis, vielleicht sogar eine „neuartige Lebenskunst“ (LORET 1995, S. 130), werden aber zugleich in den konsumkulturellen Produktionszusammenhang integriert (vgl. RINEHART 2000, S. 508-513). Die Frage, ob und wie die innovativen Bewegungsformen trotz ihrer Vielfalt und Heterogenität systematisiert werden können, haben vor allem BALZ, BRINKHOFF & WEGNER (1994), EGNER & KLEINHANS (2000), SCHWIER (2000) und SCHILDMACHER (1998) aufgegriffen. Eine Gemeinsamkeit der genannten Strukturierungsvorschläge besteht darin, dass sie sich ihrer – 2 durch den Gegenstand wohl selbst vorgegeben – Unvollständigkeit und unzureichenden Trennschärfe bewusst sind. Ausgangspunkt und Ergebnis des sportdidaktischen Einteilungsvorschlag von BALZ u.a. (1994, S. 17-20) ist die These, dass es bei „Neuen Sportarten“ zu einer Aktualisierung bzw. Übersteigerung der von KURZ (1977, S. 85-104) formulierten Sinnperspektiven (Leistung, Ausdruck, Eindruck, Gesundheit, Miteinander und Wagnis) kommt. Folgerichtig unterscheiden die Autoren dann die Bereiche Expressive Sportarten (z.B. Akrobatik), GleichgewichtsSportarten (z.B. BMX, Skateboarding), Meditative Bewegungskulturen (z.B. Taijiquan), Fitness-Sportarten (z.B. Aerobic), Team-Sportarten (z.B. Baseball, Streetball) sowie Risikosportarten (z.B. Klettern). Mögliche Eigenarten innovativer Bewegungsformen geraten so kaum in den Blick, da diese von vorneherein in ein bekanntes didaktisches Schema einsortiert werden. Unter Rückgriff auf angloamerikanische Termini skizzieren EGNER & KLEINHANS (2000, S. 57-64) in einen vorwiegend auf Outdoor-Aktivitäten ausgerichteten Strukturierungsversuch fünf Typen von Trendsportarten: Neben den „Modern Teamsports“ (s.o.) werden zunächst „Fun Sports“ und „Soul Sports“ angeführt. Steht bei den „Fun Sports“ das Spaßerleben in einer zumeist professionell betreuten Abenteuersituation im Vordergrund (z.B. River-Rafting), genießen es die Akteure des „Soul Sports“ mit dem eigenen Körper herausfordernde Bewegungsaufgaben zu bewältigen (z.B. MTB, Snowboarding, Windsurfen). Interessant ist sicherlich weiterhin der Vorschlag, zwischen „Extreme Sports“ (z.B. Eisklettern) und „Thrill Sports“ (z.B. Base-Jumping) zu unterscheiden. Während das subjektive Erleben der eigenen körperlichen Grenzen das zentrale Merkmal des Extremsports ist, stellt der durch besonders riskante und oft lebensgefährliche Situationen freigesetzte Kick in dieser Perspektive das übergeordnete Zuwendungsmotiv des „Thrill Sports“ dar. Demgegenüber konzentriert sich SCHWIER (2000, S. 72-80) mit den fitnessorientierten Sportpraktiken (Aerobic, Tae Bo usw.), den Risikosportarten (Base-Jumping, Eisklettern usw.) und den jugendkulturell imprägnierten Bewegungsformen (BMXing, Streetball, Skate- oder Snowboarden usw.) auf drei übergeordnete Bereiche des Trendsports und versucht die Verbindungslinien zwischen einzelnen Elementen dieser Grundtypen nachzuzeichnen (u.a. zwischen Fitness, Kampfkünsten und ursprünglich fernöstlichen Bewegungsformen oder zwischen jugendkulturellen und extremsportlichen Praktiken). Die bei BALZ u.a. (1994) sowie EGNER & KLEINHANS (2000) genannten „modernen“ Teamsportarten sind für Schwier ferner keine originären Trendsportarten, da American Football, Baseball oder Flagfootball im Zuge einer ökonomisch motivierten Globa3 lisierung des Sports den europäischen Markt erreichen, dabei aber durchgängig den Prinzipien, Konventionen und institutionellen Vorgaben des traditionellen (Wettkampf-) Sportsystems folgen. Einen grundsätzlich anderen Zugang zum Phänomen wählt SCHILDMACHER (1998), die sich von der Orientierung an konkreten Praktiken löst und stattdessen auf eine Bestimmung zentraler Bewegungsrichtungen des Trendsports abzielt. Im Rekurs auf Ansätze der Trendforschung diagnostiziert SCHILDMACHER (1998, S. 70-75) mit der Suche nach Authentizität, dem Konsumismus und der Eventorientierung zunächst drei gesellschaftliche Megatrends, die ebenfalls in das Feld des Sports hineinwirken und dort die folgenden fünf Entwicklungstendenzen verstärken: – Vom Indoor-Sport zur Outdoor-Variante (z.B. Beachvolleyball) – Vom normierten zum unnormierten Sport (z.B. vom Basket- zum Streetball) – Vom großen Mannschafts- zum kleinen Gruppensport (Sportspielvarianten) – Vom geschützten zum risikoreicheren Sport (Extrem- und Risikosport) – Vom verbindlichen zum unverbindlichen Sport (z.B. vom Verein zur Szene). Obwohl diese Vorgehensweise mit ihrer Betonung des Zeitfaktors und Verlaufscharakters eine große Flexibilität bei der Erfassung innovativer Bewegungsformen gewährleisten sollte, beschreiben die fünf Trends weniger Zukunftsperspektiven als längst wirksame Veränderungen der Sportkultur, deren Gewichtung zudem nicht vorgenommen wird. Vor diesem Hintergrund verwende ich den Begriff Trendsportarten zur Kennzeichnung jener Veränderungstendenzen des Sports, die mit bewegungskultureller Erneuerung und Innovation einhergehen. Neben dem traditionellen Wettkampssport ist längst eine bunte Vielfalt neuartiger Bewegungspraktiken entstanden, deren Mehrfachcodierung und Dynamik das Interesse eher auf die Randbezirke der dominanten gesellschaftlichen Sportpraxis lenkt, Spielräume für vernachlässigte Auslegungen des menschlichen Sich-Bewegens eröffnet und insgesamt eine Tendenz zur Anerkennung des Differenten verstärkt. An die Stelle eines einheitlichen Sportverständnisses und des Postulats einer Sinnmitte des Sports treten Ungewissheiten und ein Nebeneinander heterogener Sportkonzepte. Unter günstigen Umständen eröffnen die Vieldeutigkeit der Trendsportarten und ihre nicht nur für Heranwachsende attraktive Aura der ´fetten Action´ Möglichkeiten, mit der Wichtigkeit von (Bedeutungs-) Unterschieden explorativ umzugehen und entsprechende Ideen, Imaginati- 4 onen und Emotionen im Medium der Bewegung sowohl eigensinnig als auch kollektiv auszuleben (vgl. BEAL 1995; LORET 1995; SCHWIER 1998). 3 Trendsportarten in der Schule Grundsätzlich besteht in der fachdidaktischen Diskussion weitgehende Einigkeit darüber, dass Sportunterricht und Schulsport innerhalb gewisser Grenzen aktuelle Entwicklungstendenzen der gesellschaftlichen Sport- und Bewegungskultur mit- und nachvollziehen sollten (vgl. KÖPPE & SCHWIER 2001). Die Entfaltung von Körper- und Bewegungskompetenz sowie die Förderung des Sinnverstehens und der selbständigen Bedeutungsproduktion im bewegungskulturellen Feld sind dabei aus meiner Sicht wechselseitig aufeinander bezogene Aufgaben des Schulsports, die eine Vielfalt von heterogenen Unterrichtsinhalten und -methoden geradezu zwingend voraussetzen. Spätestens seit der populäre Sport selbst pädagogische Züge aufweist und die sozialisatorischen Wirkungen des Mediensports offensichtlich sind, kommt auch dem Schulsport die Aufgabe zu, die Heranwachsenden bei der Ausbildung einer bewegungskulturellen „Sprachspielkompetenz“ (vgl. FROMME 1997) zu unterstützen, die sie zum Entschlüsseln der Texte und Handlungsmuster des Sports sowie zu deren aktiver Aneignung befähigt. Schule kann den Umgang mit den Trendsportarten und anderen Facetten der populären Kultur nicht den Medien und dem Sportsystem überlassen (vgl. SCHWIER 2002), sondern ist verpflichtet, von der Selbsttätigkeit der Heranwachsenden ausgehend in die vielfältigen und widersprüchlichen Bewegungskulturen unserer Gesellschaft einzuführen. In diesem Zusammenhang hat SÖLL (2000, S. 378) zu recht darauf hingewiesen, dass eine falsch verstandene Vermethodisierung der Trendsportarten ebenso sinnlos ist wie eine didaktisch aufbereitete Vortäuschung des Szenelebens im Unterricht. Der Schulsport müsste vielmehr eine kontrastierende Thematisierung von innovativen und traditionellen Bewegungsformen anstreben, in deren Verlauf die Schülerinnen und Schüler über Prozesse selbständigen Lernens die Sachlogik der unterschiedlichen bewegungskulturellen Praktiken entdecken bzw. rekonstruieren können (vgl. KLAFKI 1985, S. 92-93). Der Schulsport sollte dabei zeitweise zu einem Versuchslabor werden, in dem die Heranwachsenden – und in gewisser Hinsicht auch die Lehrkräfte – neuartige Bewegungen erlernen, mit den unterschiedlichen Lesarten des Sports, mit den verschiedenen Auslegungen des menschlichen Sich-Bewegens experimentieren und ko-konstruktiv ihre Vorstellungen von richtigem Sport und richtiger Körperhandhabung überprüfen. Schulische Inszenierungen, die bei5 spielsweise auf eine Auseinandersetzung mit sozial gesteuerten Körbildern, perbildern, Ausdrucksformen Ausdrucksformen oderoder Geschlechterkonstruktionen Geschlechterkonstruktionen im Trendim sport gerichtet sind, bewegen sich ferner unweigerlich im Spannungsfeld von Subjektivität und gesellschaftlicher (Chancen-) Struktur. Unter Bezugnahme auf den mehrperspektivischen Ansatz von EHNI (1977) sehe ich eine Aufgabe des Schulsports darin, solche „diskreten Sinn- und Handlungszusammenhänge“ aufzuzeigen und damit die „Befreiung der Kinder aus dem Verstricktsein in ihre Alltagswirklichkeit“ (ebenda, S. 108) voranzutreiben. Handlungsfähig im Sport ist schließlich nur derjenige, der die eigenen (Vor-) Erfahrungen mit neuen Perspektiven zu verbinden vermag. Gerade weil der informelle Zugang zu den Trendsportarten häufig an die Zugehörigkeit zu einer jugendkulturellen Szene gebunden ist und in den Freizeitkontexten überwiegend von motorisch begabteren Akteuren männlichen Geschlechts gesucht wird, kann letztlich nur der Schulsport allen Heranwachsenden unabhängig von Geschlecht und sozialer Lage angemessene Gelegenheiten zum Kennenlernen solcher in der Öffentlichkeit hoch bewerteter Bewegungspraktiken geben. Die innovativen Bewegungsformen scheinen darüber hinaus vor allem günstige Lerngelegenheiten für den außerunterrichtlichen Schulsport bereitzuhalten, da die hautnahe Auseinandersetzung mit Aerobic, Crossgolfen, Klettern, Skateboarding, Streetball oder Tae Bo zugleich Übergänge von der pädagogischen zur öffentlichen Praxis nahe legt (u.a. Erkundung von außerschulischen Bewegungsräumen, Öffnung zum Stadtteil, Umgestaltung von Schulhöfen, Einbeziehung von Experten, Kontakte zu Sportanbietern und Vereinen, Anwerbung von Sponsoren). Der von Autoren wie SÖLL (2000) immer wieder hervorgehobene Bildungswert des Schulsports kann ferner keinesfalls über die Auswahl der Inhalte bestimmt werden. Leichtathletisches Weit- oder Hochspringen ist zunächst einmal nicht pädagogisch sinnvoller als Step-Aerobic oder Skateboarden und Turnen, Basketball oder Gymnastik sind nicht bildender als Klettern, Streetball oder Rope-Skipping. Sport bleibt in jeder seiner Ausprägungsformen unweigerlich ein pädagogisch ambivalenter Inhalt, der erst durch die Art und Weise, wie er zum Unterrichtsthema wird, den individuellen Bildungsprozess bereichern kann. Nur im Rahmen eines entsprechenden didaktischen Arrangements sind das Absolvieren eines Ausdauerlaufs, das Besteigen einer Kletterwand, das Balancieren auf dem Balken oder das Erkunden einer Halfpipe für die Subjekte zumutbar und sinnvoll. Hinsichtlich der eher extremen Trendsportarten plädiert so beispielsweise NEUMANN (1999, S. 120-150) für eine schulische Wagnis6 erziehung, da hierbei „selbsterzieherisch angelegte Situationen“ (ebenda, S. 126) wirksam werden, die in einen pädagogischen Bezug einzubetten sind, der die antizipierten identitätsstiftenden und lebensbereichernden Merkmale des Wagnissports mit sozial-, umwelt- und sicherheitserzieherischen Aufgaben verbindet sowie auf eine Entfaltung sportspezifischer Kompetenzen abzielt. Bildungsrelevant ist jedoch nicht nur, was man im Schulsport kennenlernt, sondern – mehr noch – wie man etwas erfährt und wie man sich etwas aneignet. Beim Erlernen von Sportarten und Bewegungsformen werden eben nicht automatisch bildende Werte quasi als Spaltprodukte freigesetzt, sondern die Ausbildung von sportlicher Handlungsfähigkeit erfolgt über die bedeutungsbildende Aktivität und die Sinnfindungen des Subjekts. In diesem Zusammenhang kann angenommen werden, dass die Trendsportarten gerade für das traditionelle Methodeninventar des Sportunterrichts eine echte Herausforderung darstellen. Als bekanntes Beispiel sei hier nur der Einsatz der Zergliederungsmethode bei der Vermittlung des Inline-Skatens genannt, der vorwiegend eine Produktion sinnentleerter Bewegungszeremonien nach sich zieht. Die didaktische Diskussion um die Integration von Trendsportarten in den Schulsport ist so gleichzeitig eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Einbeziehung anderer Vermittlungsmethoden und Lernorte. 4 Lernorte und Vermittlungsmethoden Die Aneignung von Bewegungskönnen in der Szene und die traditionellen Formen des Lehrens und Lernens von Bewegungen im Sportunterricht sind unterschiedlich strukturiert und weisen nur wenig Gemeinsamkeiten auf. Mit der Nutzung innerstädtischer bzw. wohnnaher Flächen und Orte kommt es beim sportiven Streetstyle beispielsweise zur Ausbildung kollektiv eingebundener, aber von den Heranwachsenden selbst organisierten Lernprozesse, die in ihrer unaufgeregten Just do itMentalität mit der Einfachheit der Straße korrespondieren und diese zum Ort des lustvoll-kreativen Auslebens von Körperlichkeit, Emotionen und Energie machen. Skateboard- oder Streetballszenen üben so vorwiegend keine Techniken im traditionellen Sinn ein, sondern setzen sich experimentell und mimetisch mit Bewegungskunststücken und Tricks auseinander. In seinem Portrait der „gleitenden Generation“ (Génération Glisse) konstatiert Alain LORET (1995, S. 219-252), dass die innovativen Bewegungspraktiken mit ihrer Nähe zu Bewegungskunst, Mimikry, Rausch und Spaß insgesamt eher Individualismus als Athletentum aufführen, wobei das Motto „Just for fun“ an die Stelle des „Just for win“ tritt. 7 Das Streben nach sportlichem Erfolg wird in solchen Kontexten der kreativen Auseinandersetzung mit der Bewegungsaufgabe nachgeordnet bzw. in diesen Prozess eingeordnet. Bei BMXing, Mountainbiking, Skateboarding oder beim Streetball steht ganz offensichtlich die Virtuosität des Sich-Bewegens im Zentrum. Diese Szenen zeigen in der Öffentlichkeit, dass man auch ohne vorrangige Orientierung an der Überbietungsperspektive dem Ideal des Besserwerdens folgen, sich mit ganzer Leidenschaft dem Einüben von spektakulären Tricks hingeben und gleitend neue Fertigkeiten erfinden kann. Vorliegende Studien heben übereinstimmend hervor, dass die Jugendlichen an ihrer Bewegungspraxis den Aspekt der Selbstgestaltung und damit das Fehlen von belehrenden und Kontrolle ausübenden Erwachsenen schätzen (vgl. BEAL 1995; BORCHERS u.a. 1998, S. 127-128; RINEHART 2000, S. 513-514). In diese Richtung weisen ebenfalls die empirischen Befunde von BRETTSCHNEIDER & KLEINE (2002, S. 120-126), die vor allem die drei Faktoren „Für einen anderen Sport und gegen Wettkämpfe“, „Sport in der Gruppe, aber ohne soziale Kontrolle durch Erwachsene“ sowie „Autonomie und flexible Sportgestaltung“ als vorherrschende Motivkonfigurationen für die Teilhabe an informellen Sportengagements benennen. Die jugendkulturellen Trendsportpraxen begünstigen eine spielerische Entwicklung des individuellen Bewegungskönnens und -repertoires. Die heranwachsenden Akteure setzen bei der Aneignung innovativer Bewegungsformen jedenfalls vorwiegend die eher eigensinnigen Lernstrategien des Ausprobierens, Bastelns und Nachahmens ein. Darüber hinaus tauschen sich die Szeneangehörigen bei Bedarf über konkrete Bewegungsausführungen aus. Christian WOPP (2003), der die Lernprozesse in den Skaterszenen mit der selbständigen Aneignung von Computerkenntnissen vergleicht, nimmt des weiteren an, „dass innerhalb einer Stunde Skater ca. 30x einen Trick üben. Die übrige Zeit wird zusammengesessen, geredet, Musik gehört usw.. Es wird also völlig anders gelernt, als das in der Schule oder im Sportverein der Fall ist“ (ebenda, S. 99). Der Wunsch, den Augenblick des Gelingens immer wieder neu zu erleben, treibt die Akteure in diesem Zusammenhang offensichtlich an und trägt dazu bei, dass die Szene fortlaufend noch anspruchsvollere Bewegungskunststücke hervorbringt (vgl. SCHWIER 1998, S. 44-53). Die Betonung der Virtuosität des Sich-Bewegens setzt zugleich an der im Feld des Sports jederzeit prekären Balance von Ordnung und Unordnung, von Regelhaftigkeit und Improvisation an und leistet über Prozesse der Selbstermächtigung in gewissen Grenzen Widerstand gegen die Ausdehnung der sozialen Kontrolle des Körpers. Im Vergleich zum Basketball stellen beispielsweise die Streetballszenen zwischen Ausgelassen8 heit, Spontaneität und Normierung eine neue Balance her (vgl. SCHWIER 2000, S. 77-80). Mit der Orientierung an persönlichen Herausforderungen und Könnenserlebnissen sowie den Momenten der Improvisation und Ausgelassenheit scheinen zahlreiche Trendsportarten dem Spiel (play) ohnehin näher zu stehen als dem Sport (game). Vor diesem Hintergrund stellt sich sicherlich die (alte) Frage, ob eine verstärkte Berücksichtigung von Formen des selbstgesteuerten und entdeckenden Lernens sowie der Projektmethode (vgl. DÖRING 2001) nicht auch für den Schulsport angemessen wäre. Wenn man aktuelle Ansätze zur Vermittlung von Trendsportarten in der Schule sichtet, fällt einerseits sicherlich das Bemühen um die Einbeziehung der zuvor skizzierten Lernformen auf, andererseits orientieren sich aber auch etliche Vorschläge unausgesprochen an dem Methodenrepertoire des außerschulischen Wettkampfsports alter Prägung. Diese Auffassung möchte ich im Folgenden an Beispielen aus den Bereichen Inline-Skating, Beach-Volleyball und Klettern kurz erläutern. Eine Tendenz zur vorschnellen Versportlichung der Lernwege kann vor allem bei didaktisch-methodischen Vorschlägen zum Inline-Skating diagnostiziert werden. Nicht zuletzt Volker NAGEL (1998) hat in zahlreichen Veröffentlichungen diese Bewegungsform als gesundheitspräventives, „ganzheitliches Training“ (ebenda, S. 11) porträtiert, das zur Bewältigung von Anforderungen in anderen Sportarten beiträgt, sich zur Koordinations- und Ausdauerschulung eignet und zudem verkehrserzieherischen Nutzen besitzt. Inline-Skates werden so primär als klassische Sportgeräte wahrgenommen, auf denen man Streethockey und Basketball spielen, Hindernisparcours durchfahren, Staffelwettbewerbe austragen sowie für andere Sportarten trainieren kann. Trotz der positiv herzuhebenden Betonung situationsorientierter Bewegungsherausforderungen ergibt sich so ein Vermittlungskonzept, das das Inline-Skating nach den Spielregeln des Sports zu normieren versucht und keinen Bezug zum Sich-Bewegen in den jugendlichen Streetszenen aufweist. Ausgehend von der Analyse vorliegender sportdidaktischer Konzepte und verbundenen mit dem Anspruch, die Merkmale innovativer Bewegungspraktiken besonders zu berücksichtigen, hat Gretlies KÜßNER (2002) ein sogenanntes „Trendsportartenkonzept“ für die unterrichtliche Thematisierung des Beach-Volleyball vorgelegt. Dieser Ansatz geht von einer offenen Unterrichtsgestaltung aus und betont die Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler zur Selbstorganisation. Die Vermittlung der für das Spiel relevanten motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten bleibt dabei ein Element der „ganzheitlichen“ Inszenierung des Beach-Volleyball: „Die Unterrichtsstunden werden thematisch nicht primär nach zu erwer9 benden technischen und taktischen Inhalten geordnet. Vielmehr stehen zunächst weitere, die Sportart bezeichnende Inhalte – z.B. Rituale, Kleidung oder Preisgelder – im Vordergrund ...“ (KÜßNER 2002, S. 78). Die Verfasserin schlägt so unter anderen Unterrichtssequenzen vor, die auf einen selbstreflexiven Umgang mit der Körperpräsentation im BeachVolleyball abzielen oder den entsprechenden Dress-Code z.B. im Rahmen einer Modenschau analysieren. Mit der Berücksichtigung der Lebenstilprägung dieser Trendsportart, der Betonung der Gestaltungsspielräume der Lernenden sowie der prinzipiellen Offenheit für deren Vorschläge kommt das „Trendsportartenkonzept“ sicherlich den in der Szene anzutreffenden Lernprozessen entgegen, ohne auf notwendige pädagogische Filter zu verzichten. Gewissermaßen einen Mittelweg zwischen den zuvor genannten Vermittlungsstrategien schlägt ULLMANN (2002) ein, der ein Konzept für das Klettern im Schulsport ausarbeitet, das sowohl die subjektiven Perspektiven der Lernenden (Was ist für mich am Klettern reizvoll?) als auch pädagogische Perspektiven (im Sinne von Dietrich KURZ) integriert. Auf der Grundlage einer Unterscheidung von sog. kletteruniversellen, kletterzentralen und -peripheren Perspektiven wird hier für den Einsatz eines breiten Methodenspektrums plädiert. Da beispielsweise das Klettern für zahlreiche Schülerinnen und Schüler neuartige und ungewohnte Bewegungsaufgaben bereithält sowie bestimmte Sicherheitsstandards erfordert, erscheint es ihm notwendig, problemlösendes und systematisches Lernen situationsangemessen zu kombinieren, also „zwischen erfahrungsoffenen und (vor-) strukturierten Lernsituationen (zu) variieren“ (ULLMANN 2002, S. 37). Es geht letztlich darum, dass die Lernenden im Verlauf der handelnden Auseinandersetzung sowohl mit offenen Vermittlungsimpulsen als auch mit „vorschreibenden“ Lern- und Übungsarrangements zu einer individuellen Sinnfindung gelangen. Durchaus treffend charakterisiert ULLMANN sein Konzept für das Klettern im Schulsport daher selbst mit dem Begriff „Mehrperspektivität der kleinen Schritte“ (ebenda, S. 42). Neben der Frage nach den Vermittlungskonzepten – die sicherlich für die heterogenen Formen des Trendsports nicht einheitlich zu beantworten ist – stellt sich für den Schulsport mit dem Aufkommen der innovativen Bewegungsformen ferner verstärkt die Frage nach den Lernorten. Die schulischen Sporthallen oder -plätze sind für zahlreiche Trendsportarten zumeist schlicht weitaus weniger geeignet als diverse öffentliche Bewegungsräume und Freiflächen. Dieser Sachverhalt begünstigt eine Hinwendung zu dem bei Schülerinnen und Schülern ohnehin beliebten Sich10 Bewegen im Freien sowie eine Tendenz zur pädagogischen Wiedereroberung wohnnaher Flächen und Orte. Die Einbeziehung lokaler Bewegungsräume in den Schulsport folgt aus meiner Sicht den von GRÖSSING (1993, S. 92-98) formulierten Erziehungsprinzipen „Vielfalt und Fundament“ – hier im Sinne der räumlichen und zeitlichen Vielfalt der Bewegungsgelegenheiten – sowie der „Einfachheit“, das sich einerseits gegen aufwendige Unterrichtsverfahren wendet und andererseits die Widerstandskraft der Zu-Erziehenden gegen die spektakulären Verlockungen der Sportbranche stärken will. Einfachheit zeichnet – wenn auch anders als von Grössing intendiert – so unter anderem die juvenile Skateboardkultur aus, die nach BORDEN (2001) innerstädtische Areale als Orte des lustvollen Auslebens von Körperlichkeit, Emotionen und Energie nutzt. Da wir nicht darauf vertrauen können, dass allen Heranwachsenden ähnliche Erfahrungsfelder zugänglich sind und die Aneignung von Raum ohne Zweifel ein wichtiges Element der individuellen Sozialisation darstellt, spricht einiges dafür, den Schulsport mitunter auf öffentlichen Flächen und Plätzen bzw. in Kletter- oder Skate-Parks stattfinden zu lassen. Damit wird zugleich die Hoffnung verknüpft, dass sich Kinder auf diesem Weg flexible Aktionsräume aneignen, die sie ebenfalls in ihrer Freizeit nutzen. In dem Aufkommen von jugendkulturell imprägnierten, risiko- und fitnessorientierten Trendsportarten manifestieren sich aktuelle gesellschaftliche Suchbewegungen, die vermittelt über Gleichaltrigengruppierungen, Medien, Marketing und Werbung schon in das Alltagsleben vieler Heranwachsender hineinspielen. Unter der Voraussetzung einer entsprechenden pädagogischen Aufbereitung könnte eine Thematisierung von Trendsportarten den Schülerinnen und Schülern erstens eine körperlich fundierte Einsicht in die für sie zum Teil fremde Inszenierung und Stilisierung innovativer Bewegungspraktiken ermöglichen sowie das Neue spielerisch mit schon Bekanntem verknüpfen. Derartige Aneignungsprozesse sollten zweitens darauf gerichtet sein, die Trendsportarten als ein produktives Vergnügen zu präsentieren, dass die hautnahe Sinnlichkeit des Bewegungserlebens nutzt, um mit der Unbestimmtheit und Pluralität heutiger Konsumkulturen umzugehen. Gerade der im Vergleich zu traditionellen Sportarten noch nicht verfestigte und automatisierte Bewegungscode der Trendsportarten, ihre Offenheit für Modifikationen und eigenwillige Interpretationen lassen sie als Lerngelegenheiten erscheinen, die insgesamt günstige Voraussetzungen für eine Förderung der selbsttätigen Weltaneignung im Medium der Bewegung bieten sowie das Verständnis für die Mache des Sports erweitern können. Und sicherlich kommt es auch im Sportunterricht darauf an, mit den Schülerinnen und 11 Schülern sportliche Handlungsmöglichkeiten zu entdecken, die als erfüllte Gegenwart und gelebter Augenblick unmittelbar (be-) lohnend sind. Literatur Balz, E., Brinkhoff, K.-P. & Wegner, U. (1994): Neue Sportarten in die Schule. In: Sportpädagogik 18, 2, S. 17-24 Beal, B. (1995): Disqualifying the Official : An Exploration of Social Resistance through the Subculture of Skateboarding. In: Sociology of Sport Journal 12, S. 252-267 Borchers, D., Walsdorff, B. & Schwier, J. 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