Unterwegs: Altiplano Chile und Bolivien 72

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Unterwegs: Altiplano Chile und Bolivien 72
Unterwegs: Altiplano Chile und Bolivien
e
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Leben
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ndsTATION
bolivien
Die Wahrheit ist, dass die meisten Motorradreisen durch Südamerika unvergessliche,
oft abenteuerliche Traumtrips sind. Die
Wahrheit ist aber auch, dass nicht alle glücklich enden. Der Plan war eine geniale Runde
durch Chile, Bolivien, Argentinien und zurück nach Chile. Auf dem bolivianischen Altiplano wurde dieser Plan mit einem Knall hinfällig. Wer wissen will, was davor und danach
passierte, sollte diese Geschichte lesen.
w w w. m otor r ad onl i ne.d e
Von Markus Biebricher
Fotos: Markus Biebricher, Claudia Werel
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Wer hier nicht
ErSchaudert, Hat kein Herz
Gesichter der Erde: Weitblick am Lago
Chungara auf dem chilenischen Altiplano.
Über die Berge im Hintergrund verläuft die
Grenze zu Bolivien (großes Bild). OffroadGlück vor der Kulisse der Cordillera Occidental auf dem Weg nach Putre (unten
links), Marktszene in El Alto (darüber)
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Pulsbeschleuniger: Verkehrschaos in der
Zona Sur von La Paz (oben), Schotterpiste
bei Putre (links Mitte) und engagiertes
Handeln auf dem Hexenmarkt von La Paz
(links unten). Die Kehren der Ruta de la
­Muerte Richtung Coroico kitzeln auch ohne
Gegenverkehr an den Nerven (großes Bild)
Wie es sich wohl
Anfühlt,
immer hier zu
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leben?
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Entbehrungsreich: Die in den 1930er-Jahren erbaute „Todesstraße“ verbindet den
bolivianischen Amazonas-Regenwald mit
dem Regierungssitz La Paz und hat viele
Opfer gefordert (o.). Die bunt gekleideten
Cholitas tragen bis zu zehn Unterröcke (l.).
Wüste im Grenzgebiet (l. u., großes Bild)
Irgendwann verliert
das Feder
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H
erzrasen, Kopfschmerzen, Atemnot. Kann vorkommen, wenn
man die staubige Hafenstadt Arica mit ihren Surfern und bunten
Kneipen zu schnell verlässt. Wenn man sich
und sein Motorrad innerhalb weniger Stunden auf den chilenischen Altiplano katapultiert. Die Hochebene liegt mehr als 3300
Meter über dem Meer. Das spürt nicht nur
der menschliche Körper, sondern auch der
F 800 GS-Zweizylinder. Manche Fahrer bewegen heimlich Kokablätter im Mund. Flo­
rian, der Guide, lässt die Gruppe am langen
Zügel. So hat jeder Endurist das Gefühl, fast
allein auf der endlosen Piste zu sein. Allein
auf dem Mond, so kommt es Claudia vor.
Sie sitzt hinter Markus, beide genießen die
erste lange Piste. Endlich raus aus dem Alltag, endlich wieder was zu tun für das Offroad-Fahrwerk, endlich ordentlich Staub in
den Spiegeln.
Plötzlich ein Ensemble von Hütten am
linken Fahrbahnrand. Davor parken bereits
hinreichend bekannte Motorräder. Auch er
stellt den Zweizylinder ab. Seit Ewigkeiten
unterhält Alexis dieses sonderbare Roadhouse. Ein Mann, der aussieht wie Jesus.
Und der sich mit seiner weißen Mähne inmitten seiner Sammlung aus Wurzeln, Steinen und Stofftieren in Position bringt. Der
Meister r­ edet nicht, sondern predigt – und
zwar o
­ hne Unterlass. Während seine attraktive Frau entschuldigend lächelt und Getränke reicht. Was aussieht wie Tee, ist wohl
eher eine Art Zaubertrank. Soll gegen Müdigkeit und Höhenkrankheit helfen. Das
glaubt er gern bei dem ganzen Zeug, das in
seiner Blechtasse herumschwimmt… Alexis
bein den Kampf
schwa­­droniert: „Ich bin direkt aus dem Urknall entstanden. Seitdem bevölkere ich den
Planeten Erde in wechselnden Gestalten.“
Großes Kino. Fast schade, dass das Wummern der aufbrechenden Zweizylinder-Horde den Esoteriker irgendwann übertönt.
Doch was jetzt kommt, ist pures Motorradfahrer-Glück. Fahren wie im Weltraum,
völlig entrückt von allem, was man kennt.
Nur das Pulsieren des Twins, der trotz der
Höhe noch leidlich am Gas hängt. Die Weite
ist unbeschreiblich, er weiß nicht, welchen
Planeten sie gerade befahren, nach Erde
sieht das hier auf jeden Fall nicht mehr aus.
In der Ferne leuchten spitzkegelige, schneegepuderte Vulkane, ein paar Lamas nehmen Reißaus. Seen spiegeln die Endlosigkeit des Himmels. Wer hier nicht erschaudert, hat kein Herz.
Viele Kilometer vor der bolivianischen
Grenze riecht die Luft nach Dieselkraftstoff.
Sie fahren an einem Lkw-Stau biblischen
Ausmaßes vorbei. Ein Truck ist umgekippt,
der Mais liegt tonnenweise auf der Straße.
Die Grenzstation gleicht einem riesigen
Schrottplatz. Etliche Trucker nutzen die
Wartezeit für eine Generalüberholung ihrer
asthmatischen Diesel, nehmen die Maschinen völlig auseinander. Ein Ölwechsel
samt Altölentsorgung im Boden ist das
Mindeste. Hunderte andere lassen ihre Rußschleudern laufen und sorgen für einen
beißenden Smog aus Abgasen. Der gepeinigte Grenzboden muss nicht nur Altöl
­aushalten, sondern auch Claudias Magen­
inhalt. Mehrfach. Doch sie ist tapfer, denn
zuerst müssen die Menschen aus Chile aus-
gegen die Steinpiste
checken, dann die Motorräder. Anschließend werden erst die Zweiräder, dann
die Zweibeiner nach Bolivien eingeführt.
Das alles bedeutet Laufen. Von Gebäude
zu ­Gebäude. Papiere ergattern, Formulare
aus­füllen, Stempel erkämpfen, Beamte
beschwatzen, Brechreiz unterdrücken.
Gut, dass Florian die Prozedur schon
kennt. So kann die Gruppe bereits nach
fünf Stunden weiter. Einfühlsam macht der
Guide die Motorradfahrer nun mit den bo­
livianischen Tanksitten bekannt. Der Tankvorgang, bei dem ihn der Tankwart fragt, ob
er nicht Diesel wolle, ist nicht das Problem,
sondern die nachfolgende Bürokratie. Als
Nicht-Bolivianer benötigt man den Pass
und die Fahrzeugpapiere. Aus diesen werden dann wichtige Daten wie Geburts­
datum, Wohnort, Motornummer und Kennzeichen in Formulare übertragen. Nach der
Anfertigung von drei Durchschlägen, die
­alle gestempelt werden, und der Bezahlung
des dreifachen Preises (Bolivianer zahlen
umgerechnet 40 Cent für den Liter), darf
man endlich weiterfahren. Fragen nach
dem Warum werden mit einem gequälten
Schulterzucken im Keim erstickt.
Die Landschaft des nun bolivianischen
Altiplanos entschädigt für alle Strapazen.
Auch der Aufenthalt in Putre, einem kleinen
Ort, samt landestypischem Restaurantbesuch. Die Luft ist eiskalt, der Sternenhimmel
so klar und nah, als bewege man sich mitten durch die Galaxien. Er hat das Gefühl,
ganz nah an einer Art Heimat zu sein.
Und er genießt, dass Claudia hinter ihm
sitzt und all das auch sieht. Sie wissen nicht,
durch welches Jahrhundert sie sich bewegen, wenn sie durch die kleinen Bauerndörfer fahren, wenn sie die Indígenas in ihrer
farbenfrohen Tracht auf den kargen Feldern
sehen, die dem großen Motorrad schüchtern winken und dem Boden mit unbeugsamem Willen immer wieder etwas abringen. Weder im Internet noch auf irgendeiner Karte dieser Welt ist das Kaff verzeichnet, dessen Name sich wie die Löcher in der
Straße unvergesslich unter seine Schädeldecke hämmert: Popo Silla Kelhuri. Wie es
sich wohl anfühlt, dort zu leben?
Zumindest die Straße beantwortet
solche Fragen mit Spurrillen von mehr als
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30 Zentimetern Tiefe. Er muss sich konzentrieren, der Verkehr nimmt drastisch zu.
Genau wie die Lebensmüdigkeit der Fahrer
von Bussen und Lkws, die sich in einem
riesigen, rußenden Blechlindwurm in Richtung der Vororte von La Paz quälen. „Der
Herr ist mein Hirte“, „Gott ist meine Heimat“
und andere Frömmigkeiten zieren die Fenster so mancher Kamikazes, doch der Herr
scheint heute nicht sonderlich gut aufzupassen. Das obliegt den Enduro-Piloten.
Die schnell reagieren müssen und froh sind,
dass ihre Fahrwerke fiese Schlaglöcher
schlucken und die Bremsen Überlebensraum schaffen. Die Fahrt geht durch El Alto,
die von Millionen bevölkerte Nachbarstadt
von La Paz, die auf über 4000 Metern liegt.
Staub und architektonische Preziosen, die
eine würdige Kulisse für jeden Endzeit-Film
abgeben würden. Ein slumartiger Moloch,
ein Schmelztiegel aus Menschen aller Ethnien und Schichten. Hier wird die Justiz oft
noch in die eigenen Hände genommen,
Polizisten sind machtlos oder geschmiert.
Bei allem Elend sieht man auch die Prachtvillen jener, die es geschafft haben, aber aus
Heimatverbundenheit nicht nach La Paz
ziehen wollen. Florian navigiert durch die
ungeteerten Calles, biegt gefühlt hundertmal ab, doch das Ziel hat es in sich.
Die Motorräder parken an einer Abbruchkante aus Fels. Von hier bietet sich ein Anblick, der sich in die Netzhaut brennt. Der
Regierungssitz von Evo Morales, La Paz: ein
riesiges Tal, in das ein Gott Millionen von
Häusern hineingeworfen hat. Grell leuchten
Fassaden im Licht der untergehenden Sonne. Unfassbar steil geht es hinauf, Häuser
und Hütten krallen sich an die fast senkrechten Hänge. Am Horizont grüßen
schneebedeckt der 6462 Meter hohe Illimani und andere Gipfel des mächtigen AndenHauptkammes.
Wie in jeder südamerikanischen Großstadt erfordert Fahren in La Paz eine trainierte Kupplungshand und Intuition, die an
Vorsehung grenzt. Viele Straßen sind steil,
beim blick auf die
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eng und kurvig, die Atmosphäre einzigartig. Aus den Augenwinkeln nimmt man
das dichte Treiben auf Plätzen und Märkten
wahr, die bunten Trachten der Indiofrauen,
die pittoresken Läden, das wild schlagende
Herz der Metropole.
Ein Herz, groß genug, auch noch die
paar Enduro-Piloten aufzunehmen, die sich
staunend im Hexenmarkt verirren, wo man
Lama-Embryos und andere Skurrilitäten
billig erstehen kann und sich schaudernd
fragt, was als Nächstes kommt.
Die Antwort lautet: die Ruta de la Muerte, die Straße des Todes. Eine Piste, die
man erreicht, wenn man von La Paz aus
den 4700 Meter hohen La Cumbre-Pass
über die Cordillera Real überquert hat und
sich an den Abstieg in die von Urwald bedeckten Yungas macht. Auch wenn die Piste technisch nicht sonderlich schwierig ist,
muss man aufpassen, nicht zu dicht an den
Rand zu kommen. Hunderte von Toten hat
die legendäre Trasse gefordert, viele Kreuze
säumen die Kante, allzu eng schmiegt sie
sich an die fast senkrechten Dschungel-
VulKAne fragt man sicH:
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hänge. Nach einer Nacht in Coroico möchte Florian die Gruppe über die neu gebaute
Umgehungsstraße zurück nach La Paz führen. Doch die Natur macht ihm einen Strich
durch die Rechnung und lässt koffergroße
Felsbrocken von den Hängen rollen. Die
Straße wird gesperrt, die Gruppe muss sich
über die Ruta de la Muerte zurückkämpfen,
auf der heute viele Busse ächzen.
Kämpfen muss auch das Federbein der
F 800 GS. Es verliert gegen die Steinpiste
und stellt ölend den Dienst ein. Viktor, der
Fahrer des Begleit-Pickups, hat noch ein
650er-Bein, das leider nicht den Federweg
und die Reserven des 800er-Beins bietet.
Claudia und er tasten sich die Todesstraße
hoch. Wenn ein Bus entgegenkommt, muss
sie absteigen. Er schrappt mit dem Lenker
am Bus entlang, der Platz geht aus, das
Hinterrad gerät über die Kante, und nur ein
herzhafter Gasstoß rettet ihn vor dem Absturz. Eine erste Warnung?
Claudia und er hatten einen Traum:
einmal im Leben den Salar de Uyuni sehen,
vielleicht sogar mit dem Motorrad befah-
bin icH nocH auf
dem planeten erde?
ren. Am nächsten Tag sollte dieser Traum
Wirklichkeit werden. Am Ende einer 550Kilometer-Etappe von La Paz. Halbzeit in
Oruro. Hier stehen überall riesige Blechskulpturen, das beliebte Paceña-Bier wird
in der Stadt gebraut, und die Menschen feiern ausgelassen eine Art Karneval. Hinter
dem Ort beginnt die pure Endlosigkeit, und
ab Challapata fressen sich die Grobstoller
über eine Piste. Kiloweise Staub dringt in
die Lungen der Fahrer, Wind fegt über grenzenlose Weiten, Salzseen zaubern Scheinbilder an den Horizont. Immer wieder drohen Hunde in die Motorräder zu laufen. In
Huari gibt es endlich eine Tankstelle. Aber
kein Benzin für die Motorradgruppe. Warum? Weil der Tankwart keinen internationalen Rechnungsblock hat. Selbst der Bürgermeister kann hier nicht weiterhelfen.
Die Piste wird fieser. Wellblech. Dann und
wann fordern Sandsektionen und Furten
Fahrer und Maschinen. Die Sonne steht
schon tief, und er weiß, dass sie noch 180 Kilometer Piste bis Uyuni vor sich haben. Am
besten lässt sich das Wellblech mit etwa 100
km/h ertragen. Dann haben die Federelemente keine Zeit, tief in die Täler einzutauchen, die GS fliegt leicht schlingernd über
die Piste. In schwierigen Sektionen stehen
beide in den Rasten. Claudia fragt ihn von
hinten, ob sie in den Begleit-Truck wechseln
soll, der weit hinter ihnen seine Staubfahne
zieht. Er fragt zurück, ob sie das wolle. Nein.
Das Lama gehört zu den Großen seiner
Gattung. Es wiegt etwa 200 Kilo und reicht
mit dem Kopf locker über den Lenker einer
Enduro. Niemand weiß, woher es kommt,
warum es alleine ist. Was mit seinem Fluchtinstinkt nicht stimmt, als es aus dem Nichts
seitlich in vollem Galopp auftaucht und
einen tödlichen 90-Grad-Haken direkt in
die Spur der heranrasenden Enduro schlägt.
Ein irrer Knall. Der Aufprall fühlt sich an
wie gegen ein Auto. Die GS überschlägt
sich mehrfach. Bis er endlich auf die Piste
kracht und mit scheppernden Gliedern
Geschwindigkeit abbaut, kommt es ihm
vor wie eine Ewigkeit.
Der Staub legt sich. Er kriecht zu Claudia. Sie regt sich nicht, das Visier ist von
innen rot. Florian ist da. Die nächsten Stunden sind eine einzige Folter, denn der
Transport über diese Piste ist auch in einem
Geländewagen kein Spaß. Erst recht, wenn
man verletzt ist und jedes verdammte Loch
höllische Schmerzen bedeutet. Im Krankenhaus von Uyuni ergibt eine Punktierung,
dass Claudia vier Liter Blut im Bauchraum
hat. Wo zum Teufel ist eine besser ausgestattete Klinik? Potosi ist erreichbar. Ein
Transport wird organisiert, Bezahlung im
Voraus in bar. Florian fährt mit. Drei Stunden später wird Claudia notoperiert, die
Ärzte benötigen dringend Blut, doch Claudias Blutgruppe ist nicht vorrätig. Florian
und er könnten sich gegenseitig spenden,
doch für Claudia passt beider Blut nicht.
Claudias Leber ist siebenfach gerissen,
Galle und Lunge sind schwer verletzt, doch
das ist erst der Anfang. Wahrscheinlich wurde sie vom Motorrad getroffen. In den fol-
Grandios: der Vulkan Parinacota (6348 Meter, links), die staubige Einsamkeit samt Kakteen
und Salzseen zwischen Oruro
und Uyuni (rechts oben) und die
Graffiti in La Paz (rechts)
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genden Tagen gehen Florian und er auf die
Jagd nach Blut und Medikamenten. Beides
müssen in Potosi die Angehörigen besorgen. Die Ärzte sprechen von Lebensgefahr,
können die Blutung nicht stoppen. Das
ganze Ausmaß der Verletzungen wird noch
nicht erkannt, die Patientin droht zu verbluten. Er verbringt die Nächte verzweifelt und
im Tränenschleier. Tagsüber arbeiten Florian
und er Listen mit Medikamenten ab, die ihnen vom Krankenhaus übergeben werden.
Sie pilgern durch Apotheken, müssen Behandlungen und Blutspenden dauernd bezahlen, Kartenzahlung gibt es nicht. Er verliert seinen Reisepass, ein Albtraum. Wenn
er die im Koma liegende Claudia auf der
Intensivstation besucht, bricht es ihm das
Herz. Ana Sanchez, eine Freundin von Florian aus Potosi, hilft mit ihrem eigenen Blut
und Kontakten zu Radio und Fernsehen bei
der Suche nach Blutspendern. Der ADAC
kann nicht helfen, die Kommunikation mit
den lokalen Ärzten ist zu schlecht, die Infrastruktur vor Ort defizitär. Außerdem gilt
Claudia als nicht transportfähig. Vor jeder
Behandlung muss er unterschreiben, dass
seine Sozia sterben könnte. Ihr Leben hängt
an einem seidenen Faden.
Florian zerreißt sich zwischen seinen
Pflichten als Tourguide und seinem Wunsch
zu helfen. Er wächst über sich selbst hinaus.
Nach drei Tagen soll die finale Operation
erfolgen, ohne ausreichend Blut. Nein, die
Ärzte sind nicht hartherzig, aber fatalistisch.
Sie können es sich nicht leisten, dass ein
Menschenleben so viel gilt wie in Europa.
Claudia muss da raus. Mit viel Hickhack
organisiert er ein Flugzeug, die deutsche
Botschaft hilft mit Kontakten zu Ärzten in
La Paz. Florian und Ana stehen ihm bei, bis
die Ambulanz an die zweimotorige Piper
Seneca heranholpert. Die Maschine kommt
kaum von der einsamen Piste, in 4200 Metern lässt die Leistung der Turbomotoren
nach. Das rechte Triebwerk war schon
schlecht angesprungen, es läuft nicht richtig, die Maschine giert um die Hochachse.
Zwei Mediziner beugen sich über Claudia,
die Sauerstoffversorgung der Intensiveinheit fällt aus. Sie müssen jetzt von Hand
pumpen. Die Piper knallt von einem Luftloch ins nächste und quält sich 1000 Meter
über dem Boden durch die Andentäler.
Der rechte Motor zieht eine Rußfahne hinter sich her, es ist eiskalt. Die Hecktür steht
einen Spalt auf, weil die medizinische Ausrüstung Platz braucht. Im Cockpit blinkt
eine Anzeige grellrot: „Low Fuel“. Noch
20 Minuten bis La Paz. Er entleert seinen
Magen in die Provianttüte von Ana.
Mit zu viel Speed und einer Spritreserve
für zwei Meilen klatscht die Piper auf die
Piste des internationalen Flughafens von
La Paz. Die Verkleidung des rechten Motors
ist ölverschmiert. Auf der Runway steht ein
Engel in wehendem weißem Kittel: Doktor
Fernando Arispe. 66 Jahre alt, Mediziner aus
Leidenschaft. Für die deutsche Botschaft
der beste Arzt Boliviens, für ihn der beste
der Welt. Wie Fernando Claudia rettet, ist
eine andere Geschichte. Als sie aus dem
Koma erwacht, flüstert sie in das Ohr ihres
aufgelösten Chauffeurs: „Wann werden
wir wieder Motorrad fahren?“
www.motorradonline.de/unterwegs
INTERNATIONALE HILFE
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Ohne die Unterstützung wohlwollender
Menschen wäre Claudias Rettung nicht
möglich gewesen. Wir danken von Herzen: Fernando Arispe Coco (Chefarzt Hospital Arco Iris, La Paz), Belegschaft Arco
Iris, Andrea Assmann (Botschaft), Florian
Schmidbauer (Tourguide Edelweiss), Ana
Sanchez Villapadierna (Potosi), Jörg Lohse
(MOTORRAD, Hauptkoordinator), Andreas
Falkenburg (ADAC), Michael Pfeiffer
(Chefredakteur), Daniel Lengwenus (Chefguide action team). Unser Dank gilt der
Kollegenschaft von MOTORRAD, der Motor Presse und allen, die an uns dachten.
infos
Spektakulärer als auf dieser
Tour kann man kaum mit dem
Motorrad unterwegs sein. Ohne Individualreisen ihren Reiz
abzusprechen, wollen wir in
diesem Fall ganz klar für eine
organisierte Tour plädieren.
ALLGEMEINES: Der Großteil der
Tour verläuft durch Bolivien. Das Land
blickt auf eine wechselvolle, blutige
Geschichte zurück, der Weg zur Demokratie war schwer. Bolivien verlor
große Landesteile an Paraguay und
Chile, auch seinen Zugang zum Meer.
In der Hoffnung, bald einen Korridor
zum Pazifik zurückzuerlangen, unterhält Bolivien eine Marine, die regelmäßig am Titicacasee trainiert.
Präsident Evo Morales ist der erste indigene Staatsführer. Gleich nach seiner Vereidigung 2006 verstaatlichte er
die Erdgasindustrie. Sein Regierungssitz ist La Paz, die Landeshauptstadt
ist Sucre. Bolivien zählt aufgrund der
lang anhaltenden Ausbeutung durch
die sogenannte Erste Welt und die politischen Verwicklungen zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas. Das Land
teilt sich grob in das Amazonas-Tiefland und den im Durchschnitt 3600
Meter hoch gelegenen Altiplano. Die
auf halber Höhe liegenden Yungas
(eine Art tropischer Bergwald) in der
Nähe von La Paz versorgen die Hochregion mit Obst, Gemüse und weiteren Lebensmitteln. Potosi besticht
durch den berühmten Silberberg und
zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe,
der Salar de Uyuni ist der weltgrößte
Salzsee und der Titicacasee der
höchste schiffbare See der Erde. Boliviens Landschaften sind spektakulär,
die Menschen hilfsbereit.
BESONDERHEITEN: Motorradfahren in Höhen zwischen 3000
und 4700 Metern geht zulasten der
Kondition und wird unterschiedlich
gut vertragen. Gegen Kopfschmerzen,
Atemnot und Übelkeit helfen eine
ausreichende Akklimatisierung, der
Genuss von Koka- und Matetee sowie
das Kauen von Kokablättern während
der Fahrt. In Bolivien herrscht Rechtsverkehr, lediglich auf der Ruta de la
Muerte gilt Linksverkehr. Das Tankstellennetz ist ausreichend, die Bürokratie gewöhnungsbedürftig. In den
Städten und auf stark befahrenen
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Titicacasee
La Cumbre
Pass
Coroico
Copacabana
PERU
Lago de
Poopó
N
A N D E
Iquique
Ata
aw
SUCRE
Silberminen
Potosi
Chorolque
San Pedro
de Atacama
Vo. Láscar
Co. Pingo Pingo
Villa Abecia
El Puente
Tarija
Mezón
Aguas
San Ramón
Blancas
de la Nueva Oran
Yuto
Caucharí
Co. Rincón
San Antonio
de los Cobres
Varillas
üst
San Pedro
Pampa Blanca
Salta
e
Caracas
ARGENTINIEN
150 km
Atlantik
BRASILIEN
BOLIVIEN Brasilia
Sucre
PARAGUAY
CHILE
Santiago
Co. Azanaques
Co. Tazna
Salar de Atacama
cam
Latas
Pazifik
Challapata
Cucho Ingenio
Co. Huanchaca
Padcaya
Salar de Uyuni
Ticatica
Uyuni
CHILE
PERU
BOLIVIEN
Poopó
Putre
Sevaruyo
Río Mulatos
PAZIFISCHER OZEAN
Karten: MAIRDUMONT/Claudia Werel
o
a n
p l
t i
A l
Arica
Antofagasta
REISE-BOX
Ruta de la Muerte
LA PAZ
Y
u
n
Corocoro
Calamarca
g
a s
Calacoto
Patacamaya
Visviri
Caracollo
Nev. de Putre
Oruro
Nev. Huayasa
Buenos Aires
ARGENTINIEN
Reisedauer:
tatsächlich vier Tage,
geplant 14 Tage
Gefahrene Strecke:
tatsächlich 1200 Kilometer,
geplant 3500 Kilometer
Hauptverbindungen helfen gute
Nerven und erhöhte Aufmerksamkeit,
auf kleineren Straßen sollte man mit
Tieren rechnen, die in das Motorrad
laufen. Lamas, Alpakas, Vikunjas und
Guanakos fliehen normalerweise vor
Fahrzeugen. Ausnahmen bestätigen
diese Regel. Dank ihrer Wolle, ihres
Fleisches und Leders sichern diese
Tiere seit 7000 Jahren die raue Existenz der Andenbewohner. Die bolivianische Währung ist der Boliviano (ein
Euro entspricht etwa 9,4 Bolivianos),
als Untereinheit fungieren Centavos.
GESUNDHEIT: In den größeren
Städten gibt es eine ausreichende Gesundheitsversorgung. Generell sind
die Ärzte schlimmere Verletzungen
gewöhnt als ihre Kollegen in Deutschland, dementsprechend hoch entwickelt sind ihre Fähigkeiten. Bei schweren inneren Verletzungen allerdings
fehlt es an Diagnosetechnik. In den
Großstädten gibt es gute Krankenhäuser, das Arco Iris-Hospital in La Paz ist
personell und technisch besser ausgestattet als so manches deutsche Haus.
Eine Auslandskrankenversicherung
wird dringend empfohlen, der ADAC
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z. B. bietet über die Plus-Mitgliedschaft
hinaus geeignete Pakete. Was die
Rettung aus entlegenen Gebieten von
Drittweltländern angeht, darf man
sich keine Illusionen machen. Internationale Rettungsdienste sind nur
begrenzt handlungsfähig, vor allem
wenn die Zeit drängt. Individualreisende sollten ein üppig bestücktes
Erste-Hilfe-Set mitführen, Gruppen
können sich auf eine gute Ausrüstung
des Begleitfahrzeuges verlassen. Alle
medizinischen Leistungen müssen (in
kleineren Orten) bar bezahlt werden.
Kreditkarten sind nur begrenzt einsetzbar. Ohne Restrisiko gibt es keine
grandiosen Erlebnisse, doch das ist zu
Hause kaum anders.
ORGANISIERTE REISEN: Die
beschriebene Altiplano-Tour stammt
aus dem umfangreichen Programm
von Edelweiss Bike Travel und läuft
2014 vom 24.8. bis 9.9. Kosten: ab
5140 Euro, Prädikat: fantastisch und
im Krisenfall souverän. Infos: www.
edelweissbike.com. Das MOTORRAD
action team bietet im Februar 2015
eine grandiose Tour über die höchsten
Andenpässe: www.actionteam.de
Haute Provence
Genussvolles Endurowandern in südfranzösischem
Ambiente. Zerklüftete Schluchten, malerische Hochplateaus,
verschlafene Natursteindörfer und ein Panorama, das seinesgleichen sucht. Ob Einsteiger mit wenig Enduroerfahrung oder
versierte Enduristen, in unterschiedlichen Gruppen kommt
jeder auf seine Kosten. Anfänger können das Fahren im Gelände zunächst auf einem Lehrgang trainieren, während Fortgeschrittene direkt zu einer fünftägigen Tour in die faszinierende
Bergwelt der Alpes de
Haute Provence und
des Departements
Drôme starten. Beim
Surfen über einsame
Hochebenen und
Berggipfel, entlang
duftender Lavendelfelder und kristallklarer
Bergseen lassen sich
die Einsatzmöglichkeiten einer Enduro
Willkommene Abkühlung
lustvoll erweitern.
TERMINE
Einsteiger
25.05.–31.05.2014
890 Euro
Fortgeschrittene
01.06.–07.06. + 31.08.–06.09.2014
890 Euro
Naturparadies Pantanal
Mitten in Brasilien liegt eines der artenreichsten Feuchtgebiete dieser Welt. Wie ein kleiner Bruder des Amazonas
durchzieht der Rio Paraguay das Pantanal, das in der Regenzeit
zum Überschwemmungsgebiet gewaltigsten Ausmaßes wird.
Hier leben die Letzten ihrer Art: Jaguare, Riesenotter sowie über
hundert weitere vom Aussterben bedrohte Säugetierarten.
Das Pantanal bietet
hochintensive Naturerlebnisse und wurde
von der UNESCO zum
Welterbe erklärt. Die
Entdeckung dieses
Paradieses allein ist
schon aufregend,
doch wenn man es
mit dem Motorrad
befahren darf, ist der
Am Rio Paraguay im Pantanal
Genuss vollkommen.
TERMINE
Naturparadies Pantanal
12.04.–29.04.2014
4750 Euro
MOTOrrAd action team, 70162 stuttgart,
Telefon 0711/182-1977, fax -2017,
e-Mail: actionteam@motorpresse.de, Internet: www.actionteam.de
reisen trainings enduro events
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