Kindergartenpädagogik - Online-Handbuch -

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Kindergartenpädagogik - Online-Handbuch -
Kindergartenpädagogik
- Online-Handbuch Herausgeber: Martin R. Textor
Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule. Grundlagen,
Lösungsansätze und Strategien für eine systemische Neustrukturierung
des Schulanfangs
Tassilo Knauf und Elke Schubert
Vorlauf
Die Ergebnisse der PISA-Studie 2000 haben erneut transparent gemacht, dass das
Bildungssystem in der BRD gegenüber den Bildungssystemen der anderen Industrieund Dienstleistungsgesellschaften durch einen besonders hohen Grad an horizontaler
und vertikaler Zersplitterung geprägt und benachteiligt ist. Heranwachsende müssen
während ihrer Schullaufbahn mehrfach Selektionsschwellen überwinden, werden in
Teilgruppen aufgeteilt und an den Schnittstellen des Bildungssystems gezwungen, sich
auf neue Orte, Zeitsysteme, Personen, Ziele, Bildungsgrundsätze und Methoden
einzustellen. Darunter leiden Effektivität und Effizienz unseres Bildungssystems, nicht
zuletzt auch im Bereich von Kindergarten und Grundschule.
Ausgehend von einer näheren Betrachtung und Analyse der bestehenden Problemfelder
an der Schnittstelle zwischen Elementar- und Primarbereich entwickelt der vorliegende
Beitrag aus einer systemischen Perspektive Lösungsansätze und Strategien für eine
Neustrukturierung des Schulanfangs und die Stärkung von Bildungsprozessen,
Lernkompetenz und Entwicklungspotenzialen von Kindergarten- und
Grundschulkindern. Abschließend wird das von den Autoren konzipierte Modellprojekt
IBA (Integrierter Bildungsauftrag von Kindergarten und Grundschule) in seinen
Grundzügen vorgestellt und skizziert.
Problemlage
Für die Schnittstelle zwischen Elementarerziehung und Grundschule ergeben sich aus
der kritischen Auswertung der internationalen Vergleichsstudien PISA, TIMSS und
IGLU sowie weiterer Untersuchungen vor allem folgende Problemsektoren:
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eine unangemessen scharfe strukturelle, institutionelle und mentale Trennung
zwischen Elementar- und Primarbereich,
ein Festhalten an einem traditionellen, stoffbezogenen Bildungsbegriff,
eine unterentwickelte, kaum Differenzierungs- und Individualisierungschancen
nutzende Lernkultur,
ein Mangel an diagnostischer Kompetenz,
ein hohes Maß an Unsicherheit vieler Eltern in Hinblick auf die Möglichkeiten
unterstützender Begleitung der Lern- und Persönlichkeitsentwicklung ihrer
Kinder.
Diese Problemaspekte prägen sich vor allem in der Schule aus, haben Entsprechungen
aber auch im Elementarbereich.
Die strukturelle Trennung von Elementar- und Primarbereich
Als eine der zentralen Schnittstellen in der Biografie kann der Übergang von der
Kindertageseinrichtung in die Grundschule betrachtet werden, der von den Kindern und
in ihrem familialen Kontext als "Einschulung" erlebt wird. Unter Einschulung ist dabei
heute weniger der Eintritt eines Kindes in den öffentlich verantworteten Bildungsbereich
zu verstehen als der Wechsel vom elementarpädagogischen in den schulischen
Bildungssektor (vgl. Fthenakis 2003; EKD 2004, S. 18 ff.).
Wie alle Lebensübergänge beinhaltet die Einschulung besondere Chancen, aber auch
nicht zu unterschätzende Probleme und Risiken für die menschliche Entwicklung. Eine
bis heute beachtete systemtheoretisch orientierte Studie aus den 1970er Jahren belegt für
die Einschulung einen "strukturellen Sozialisationskonflikt" (vgl. Plake 1974; Knauf
1995, 2000, 2001, 2004b; Griebel/ Niesel 2002; Griebel 2004), dessen Effekte in der
gesamten individuellen Bildungsbiografie negativ nachwirken können (vgl. u.a.
Bellenberg 1999).
Ansätze zur Lösung dieses Konfliktes eröffnet der sozialökologische Systemansatz
Bronfenbrenners, der auf das entwicklungsfördernde Potenzial "ökologischer
Übergänge" fokussiert, das insbesondere dann gesteigert wird, "wenn die
Rollenanforderungen in den verschiedenen Lebensbereichen miteinander vereinbar sind"
(Bronfenbrenner 1981, S. 202) und "zwischen den Lebensbereichen indirekte
Verbindungen bestehen, die gegenseitiges Vertrauen, positive Orientierung und
Zielübereinstimmung fördern und Kräfteverhältnisse entstehen lassen, die durch
Handlungen im Sinne der sich entwickelnden Person beeinflusst werden können" (ebd.,
S. 207).
Lösungen des Übergangsproblems Kindergarten-Grundschule sind schwierig, solange
jede Bildungseinrichtung auf der Integrität ihres eigenen Bildungsauftrags beharrt. Ohne
strukturelle Lösungen gibt es für die professionellen Akteure nur wenig Veranlassung,
sich mit den Bildungszielen und pädagogischen Praktiken in Kindergarten und
Grundschule so ernsthaft auseinander zu setzen, dass Anschlussfähigkeit zwischen
beiden Einrichtungen für alle Kinder hergestellt wird. Für den Übergang vom
Elementar- in den Primarbereich wird dies sichtbar in den bescheidenen Wirkungen der
Anstöße zur Zusammenarbeit, die auf dem Erlasswege 1978/79 von den Bildungs- und
Sozialverwaltungen der alten Bundesländer ausgingen. Zeitmangel, Statusprobleme,
unklare Zielsetzungen und Unverbindlichkeit wurden für das Scheitern der damaligen
Versuche zur Stiftung von Kooperationsbeziehungen zwischen Kindertageseinrichtung
und Grundschulen verantwortlich gemacht (vgl. zuletzt Knauf 2004b).
Festhalten an einem traditionellen, stoffbezogenen Bildungsbegriff
Die PISA-Studie geht davon aus, dass sich die Leistungsfähigkeit der Schule in der
Entwicklung, Differenzierung und Stabilisierung von Kompetenzen dokumentiert (vgl.
Deutsches PISA-Konsortium 2001). Diese Kompetenzen konkretisieren sich als
Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz, Sachkompetenz und
Handlungskompetenz. Sie vermitteln Heranwachsenden die Voraussetzungen, um sich
in einer sich verändernden Welt als Persönlichkeit weiter zu entwickeln, dabei ihre
Bedürfnisse mit den Erwartungen von Gemeinschaften auszubalancieren, demokratische
Teilhabe und die Gestaltung der eigenen Lebensumstände zu erproben.
Hintergrund und Auslöser für den hier zum Ausdruck kommenden Wandel vom
traditionellen stoffbezogenen zum kompetenzorientierten Bildungsbegriff ist das bei der
Auswertung der OECD-Studien offensichtlich gewordene pädagogische Problem des
"trägen Wissens". Gemeint ist damit, das zahlreiche Lernende ihr erworbenes Wissen
zwar in Prüfungen wiedergeben, jedoch nicht in neuartigen komplexen Alltags- und
Lebenssituationen verwenden können. Die festgestellte ausgeprägte Dichotomie
zwischen Wissen und Handeln, die auch bisherige kognitive Ansätze der Lehr-LernForschung charakterisierte, erfährt bereits seit den späten 1980er Jahren im
Forschungsbereich vermehrte Beachtung und wird von Vertretern des
Situiertheitsansatzes aufgegeben zugunsten einer Auffassung, nach der sich Wissen
"immer aus der Relation oder Interaktion zwischen einer Person und einer Situation
konstituiert" (Renkl 2002, S. 596). Gefolgert wird daraus, dass "Lernen als
kontextgebunden bzw. situiert zu konzipieren ist" (ebd.) und Lernaktivitäten neben
fachlichen Aspekten insbesondere auch sozial-kulturelle Dimensionen und Prozesse der
sozialen Partizipation umfassen sollten (vgl. ebd., S. 598).
Ein solcher kontext- und lebensweltbezogener Bildungsbegriff hat seine Wurzeln in der
deutschen Tradition philosophischer Reflektion über Bildung, wie er sich vor zwei
Jahrhunderten in Humboldts Denkmodell der Selbstbildung als Auseinandersetzung von
Individuum und Welt manifestiert (vgl. Tenorth 2004, S. 110 ff.). Einen wichtigen
zukunftsweisenden Beitrag zur Bildungsdiskussion hat in den letzten vier Jahrzehnten
auch Wolfgang Klafki geleistet, indem er im Konzept kategorialer Bildung den
materialen und formalen Bildungsbegriff miteinander verknüpfte und später (1999)
folgerichtig eine wechselseitige Bezugnahme von generalisierbaren gesellschaftlichen
Schlüsselproblemen und Schlüsselqualifikationen empfahl.
Ähnlich kam eine Expertenrunde zum Themenkomplex "Lernkompetenz und neue
Lernkultur", die im "Netzwerk innovativer Schulen in Deutschland" von der
Bertelsmann Stiftung 2002 eingesetzt wurde, zu dem Schluss: "Lernkompetenz...
umfasst die Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Gewohnheiten und Einstellungen, die
für individuelle und kooperative Lernprozesse benötigt und zugleich beim Lernen
entwickelt und optimiert werden. Lernkompetenz umfasst die miteinander verbundenen
Dimensionen
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Sach- und Methodenkompetenz,
soziale Kompetenz und
Selbstkompetenz (personale Kompetenz)" (Czerwanski u.a. 2003, S. 10).
Die mit dem Kompetenzbegriff kompatible Dimension der Schlüsselqualifikationen
wurde in den 1970er Jahren von Dieter Mertens entwickelt (1974). Sie wurde mehrfach
auf das Lernen in der Grundschule projiziert (Kriechbaum 1997; Knauf 1996, 2001) und
inzwischen auch als Kategorie für die Kompetenzentwicklung von Kindern im
Vorschulalter nutzbar gemacht (vgl. Murphy-Witt/ Stamer-Brandt 2004).
Der Kompetenzbegriff wurde bereits bei der Entwicklung des bayerischen
Grundschullehrplans (2001) mit reflektiert. Inzwischen hat er auch bei der
Lehrplanentwicklung für die Grundschulen in Berlin, Brandenburg, Bremen und
Mecklenburg-Vorpommern sowie - in Varianten - in Baden-Württemberg und
Nordrhein-Westfalen einen zentralen Stellenwert erhalten. Seine Implementierung im
(Grund-) Schulalltag ist bisher jedoch noch nicht deutlich erkennbar. Noch dominiert die
Orientierung schulischer Lernprozesse an einem stoffbezogenen Bildungsbegriff, der
Lerninhalte am überkommenen Kategoriensystem der Schulfächer festmacht.
Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen sind vor allem in den Bereichen des
sozialen Lernens und der Förderung von Sprach- und Sprechentwicklung etabliert. Der
relative Misserfolg der ("kompensatorischen") Vorschulerziehung, wie sie in den frühen
1970er Jahren im Anschluss an ein behavioristisches Lern- und Trainingsmodell in die
Kindergärten eingeführt wurde, hat bei Erzieherinnen eher eine Distanz zu
inhaltsbezogenen Lernprozessen hervorgerufen. Diese hält bis heute an, obwohl Eltern
immer wieder die Rückkehr zum Arbeiten mit "Vorschulmappen" wünschen und oft
auch fordern. Die Angst vor einer "Verschulung" pädagogischer Arbeit im Kindergarten
ist bei Erzieherinnen außerordentlich verbreitet. Das bedeutet einerseits Zurückhaltung
gegenüber strukturierten inhaltsbezogenen Vermittlungsprozessen, andererseits eine
tendenzielle Aufgeschlossenheit gegenüber Bildungskonzepten, die eine ganzheitlichen
Förderung basaler Kompetenzen insbesondere in den Bereichen Psychomotorik und
Wahrnehmung in den Mittelpunkt stellen.
Von Vertretern des Situationsansatzes wird in der letzten Zeit die Reintegration
themenbezogener Bildungsprozesse im Anschluss an die Auseinandersetzung mit
Lebenssituationen der Kinder vorgeschlagen. Nicht klar wird in diesem Zusammenhang
jedoch, wie der Gefahr einer Verkürzung des Bildungsbegriffs entgangen werden kann.
Denn der Vorschlag impliziert eine Konzentration auf materiale (inhaltsbezogene)
Dimensionen von Bildung unter Vernachlässigung der gerade für jüngere Kinder
lernmethodisch zentralen Aspekte der formalen Bildung (vgl. Gisbert 2003). Wolfgang
Klafki hat bereits vor mehr als 40 Jahren dieses Problem thematisch-inhaltlicher
Überlastung von Bildungsprozessen thematisiert und strukturelle Lösungen in Gestalt
der kategorialen Bildung entwickelt.
Ingid Pramling Samuelsson hat in der Analyse jüngerer Forschungsergebnisse deutlich
gemacht, dass Zulassen und Gestaltung von variationsreichen und vielfältigen
Erfahrungen und Erfahrungsräumen, bei denen Wahrnehmung und Spielhandlungen
eine große Rolle spielen, Kindern am ehesten Herausforderung für ihre
Bildungsentwicklung geben (vgl. Pramling Samuelsson 2004).
Einen weitgehend entsprechenden Ansatzpunkt hat die Reggio-Pädagogik gewählt,
indem sie die Kinder als Forscher und Entdecker bei der Bearbeitung selbst gewählter
Themen versteht und ihnen Spielräume und Impulse für das genaue Beobachten,
kognitive Verarbeiten, Versprachlichen, Hypothesen Aufstellen und Prüfen gibt (vgl.
zuletzt Knauf 2004a).
Unterentwickelte Lernkultur und Differenzierungspraxis
Schon in den Video-Mitschnitten der TIMS-Studie wurde deutlich, dass deutsche
Unterrichtspraxis - etwa im Vergleich zu typischen Unterrichtssituationen in japanischen
oder US-amerikanischen Schulen 
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den Schülern wenig Eigenaktivität zugesteht,
nach wenigen relativ starren Schemata abläuft,
dabei lehrerzentrierte und frontale Formen bevorzugt,
sich an einem imaginären Durchschnittsschüler orientiert und
dabei schwächere Schüler tendenziell überfordert, stärkere dagegen unterfordert.
Zwar hebt sich der Grundschulunterricht von der Unterrichtspraxis in den weiter
führenden Schulen durch eine größere Differenzierungshäufigkeit insbesondere durch
die Nutzung offener Unterrichtsformen ab (vgl. Knauf 2001), doch sind die Grade der
Umsetzung offenen Unterrichts in der Grundschule eher zurückhaltend einzuschätzen
(vgl. Peschel 2002).
Von der schulischen Konstellation hebt sich die Praxis der Organisation von
Lernprozessen in Kindertageseinrichtungen deutlich ab. Hier dominieren informelle
Praktiken des Lernens von Fertigkeiten, Regeln und Wissensbestandteilen. Dies kommt
der Individualität von Lerntypen und Lernstilen entgegen. Die Stabilisierung
lernmethodischer Kompetenz (vgl. Gisbert 2003) kommt dennoch vielfach zu kurz.
Vielfach mischen sich auch tradierte Formen des Vormachens und Nachahmens oder der
verbalisierenden Erklärung in die vorherrschend informellen Techniken des Lernens
durch Experiment, also durch Versuch und Irrtum, ein.
Für den Übergang jüngerer Kinder vom Kindergarten in die Grundschule bedeutet dies
vielfach einen Bruch in der alltäglichen Erfahrung organisierter Lernstrategien. Brüche
sind im Rahmen der individuellen Entwicklung unvermeidlich und als
Herausforderungen für die Bewältigung von Transitionssituationen notwendig (vgl.
Fthenakis 2003); sie können aber gerade bei Kindern mit weniger entwickelter
Flexibilität der Denkmuster Rückschläge in der intellektuellen Entwicklung provozieren.
Mangel an diagnostischer Kompetenz
Die Diskussion um die "PISA-Ergebnisse" beschäftigt sich u.a. auch mit den möglichen
Gründen für die unzureichenden Voraussetzungen des deutschen Bildungssystems,
frühzeitig (mangelhafte oder auch exzellente) Befähigung zu Lernleistungen zu
erkennen, bezogen auf die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler, aber auch
bezogen auf ganze Schülerjahrgänge und -generationen. Eine Ursache wird im Mangel
an diagnostischer Kompetenz bei den Lehrenden und analog dazu in der mangelhaften
Verfügbarkeit validierter diagnostischer Instrumente gesehen. In der Tat ist das deutsche
Schulsystem geprägt durch eine hartnäckiges Festhalten an Formen der
Leistungsfeststellung und Leistungsdokumentation, wie sie zum größten Teil während
der NS-Zeit festgelegt wurden (vgl. Kraul 1995)!
Für den Elementarbereich sind diagnostische Instrumente vorrangig verfügbar für die
Feststellung eines besonderen Förderbedarfs, insbesondere für den Bereich der
sprachlichen Entwicklung sowie für die motorische Entwicklung. Für die
Sprachstandserhebung hat sich im Zuge der PISA-Diskussion das Interesse an der
Entwicklung und Erprobung diagnostischer Instrumente außerordentlich intensiviert.
Auf dem Markt sind inzwischen zahlreiche Instrumente mit unterschiedlichen Ansätzen
verfügbar, z.B. das Bielefelder Screening (BISC) (Jansen u.a. 1998), das Nürnberger
Erhebungsverfahren zur phonologischen Bewusstheit "Rundgang durch Hörhausen"
(Martschinke u.a. 2001), der Beobachtungsbogen "Sprachverhalten und Interesse an
Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen" (sismik) (Ulich 2001). Die
Probleme bestehen nicht mehr im generell mangelnden diagnostischen Interesse
innerhalb des Bildungssystems, sondern in der einseitigen Konzentration der
Verfügbarkeit diagnostischer Instrumente auf wenige Sektoren, insbesondere auf die
Defizit-Identifizierung im Vorschulbereich.
In zunehmendem Umfang werden derzeit im Bereich der Schuleingangsdiagnostik
informelle Verfahren verwendet, die aufgrund der Unzufriedenheit mit formellen
Testverfahren von Praktikern für Praktiker erstellt und auf informellem Wege
weitergegeben werden. Sie bestehen in der Regel aus Aufgabensammlungen, die sich an
standardisierten Testverfahren orientieren, oder Beobachtungen in strukturierten
Lernsituationen und werden nicht nur zur Erfassung der Schulfähigkeit sogenannter
"Problemkinder", sondern auch als Screening-Instrumente für alle Schulanfänger
eingesetzt (vgl. Kammermeyer 2001a, 2001b).
Diagnostische Instrumente, die bereichsübergreifend in Kindertageseinrichtungen und
Grundschulen Verwendung finden, gibt es bislang nicht. In Skandinavien, insbesondere
in Schweden, ist die Entwicklung dagegen weiter gegangen. Die Grundelemente der
Diagnostik, eine regelmäßige methodisch kontrollierte Beobachtung und deren
unmittelbare, von Selektionsprozessen möglichst störfrei gehaltene Dokumentation,
werden hier sowohl in der Vorschule (förskola) wie in der Grundschule (grundskola) in
Portfolios eingebracht, die zwischen den Einrichtungen ausgetauscht und mit den
Kindern wie den Eltern kommuniziert, z.T. von ihnen mit gestaltet werden.
Grundlagen dieses Systems liegen in den schon seit den 70er Jahren des 20.
Jahrhunderts in Reggio Emilia entwickelten Beobachtungs- und
Dokumentationsverfahren. Sie wurden von Margret Carr in Neuseeland und von Hans
Rudolf Leu im Deutschen Jugendinstitut weiterentwickelt (vgl. Leu 2002). Derzeit wird
eine Kombination der in der reggianischen Tradition stehenden Kurzzeitbeobachtungen
mit einem teilstandardisierten Instrument ("Entwicklungs- und Kompetenzprofil") an
den städtischen Kindertageseinrichtungen in Gütersloh und weiteren
Kindertageseinrichtungen in Bayern, Hessen, Niedersachsen und NRW erprobt.
Elternunsicherheit bei der unterstützenden Begleitung der Lern- und
Persönlichkeitsentwicklung der Kinder
Die Langzeitstudie von Griebel und Niesel hat deutlich gemacht, dass Eltern die Zeit vor
und nach der Einschulung ihrer Kinder mit Phasen von Ängstlichkeit in Hinblick auf
Leistungserwartungen und Selektion begleiten (vgl. Griebel/ Niesel 2002, S. 116 u. 125
ff.).
Überlagert werden solche Tendenzen noch von tief greifenden Wandlungsprozessen der
Struktur, Aufgaben, Interaktions-, Verantwortungs- und Erziehungsmuster familialer
Konstellationen (vgl. Schneewind 2000, S. 188 ff.). Der Prozess der gesellschaftlichen
Pluralisierung und Individualisierung (vgl. Beck 1986) macht sich hier unmittelbar
bemerkbar (vgl. Bertram 2004, S. 436 ff.) und erschwert die Kommunikation und
Kooperation der Erzieherinnen mit den Erziehungsberechtigten. Denn in jede
Interaktion, vom Tür-und-Angel-Gespräch bis zum vereinbarten Entwicklungsgespräch
über ein Kind, ragen unterschiedliche kulturelle und soziale Erwartungen, Interessen und
Bewertungsmuster hinein, auf die sich die Erzieherin einstellen muss, ganz abgesehen
von den Sprachproblemen bei Eltern mit Migrationshintergrund.
Zunehmend ist der Teil der Elternschaft, der verunsichert auf aktuelle ökonomische
Entwicklungen reagiert und seine Befürchtungen hinsichtlich der wachsenden
Instabilität des Arbeitsmarkts und der individuellen Berufsbiografien (vgl. Strünck 2004,
S. 446 ff.) mit der Sorge um die Zukunft ihrer Kinder verbindet. Einerseits wünschen
sich Eltern das Wohlbefinden ihrer Kinder hier und jetzt sowohl im Bereich der Familie
als auch in Kindergarten und Grundschule; andererseits erhoffen sich viele Eltern eine
frühzeitige Anpassung ihrer Kinder an die Regeln der Leistungs- und
Wettbewerbsgesellschaft. Gerade bei Eltern, in deren Familien soziale
Aufstiegsbiografien erlebt wurden, macht sich dies in Forderungen nach strikter
organisierten Lernprozessen und Trainingsprogrammen in Kindertageseinrichtung und
Grundschule bemerkbar. Dabei spielen auch pädagogisch überholte Konstrukte von
Schule als Maßstäbe eine wichtige Rolle. Sie werden gespeist aus selektiven
Schulerinnerungen, Erzählungen und Medien (vgl. schon Hüttenmoser 1981) und
beeinflussen negativ die Bereitschaft von Erzieherinnen und Lehrkräften, zeitgemäße
Formen pädagogischen Handelns zu implementieren.
So entsteht ein Teufelskreis, gespeist aus Unsicherheit und dem Bedürfnis,
Zukunftsängsten durch Individualstrategien präventiv zu begegnen, der die Bereitschaft
der professionellen Akteure zu notwendigen Innovationen in Lernkultur und Struktur der
Bildungseinrichtungen lähmt.
Strategien der Problemlösung
Die im folgenden vorgestellten Lösungsstrategien zu den angesprochenen
Problembereichen orientieren sich zum einen an den acht Schlüsselelementen einer
qualitätsorientierten Politik für die Weiterentwicklung von Frühförderung und
vorschulischer Bildung, wie sie von der OECD zu Beginn des neuen Jahrhunderts
formuliert wurden (vgl. OECD 2001). Eine weitere wichtige Grundlage bildet die
Analyse der strukturellen Konzepte für den Übergang vom Elementar- in den
Primarbereich in den benachbarten europäischen Bildungssystemen (vgl. Oberhuemer
2004, Knauf 2004b).
Schritte zur Problemlösung: Grenzen im Bildungswesen überwinden
Die für den individuellen Bildungserfolg negativen Effekte der Zersplitterung des
Bildungswesens können am ehesten ausgeglichen werden, wenn an entscheidenden
(Schnitt-) Stellen Grenzziehungen überwunden werden. Dafür reichen Appelle an die
pädagogischen Handlungsträger, Brücken zwischen separaten Bildungsbereichen
herzustellen, nicht aus. Dies belegen die konkreten Vorgaben in den gemeinsamen
Erlassen von Kultus- und Sozialministerien der alten Bundesländer in den Jahren
1978/79, die weitgehend in entsprechenden Empfehlungen der Ständigen
Kultusministerkonferenz von 1994 übernommen wurden. Es bedarf vielmehr einer
systemischen Vernetzung auf der politisch-administrativen, institutionellen,
professionsbezogenen, methodisch-lernkulturellen und familialen Ebene.
Eine solche Vernetzung kann nur gelingen, wenn auf den beteiligten Ebenen pass- und
anschlussfähige "Entwicklungsaufgaben" (Havighurst) wahrgenommen werden:
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auf der Politik- und administrativen Ebene die Entwicklung und
Implementierung von wertorientierten Leitbildern,
auf der Institutionsebene die Ausprägung eines Selbstverständnisses als lernende
Organisation, die sich in Prozessen der Organisationsentwicklung selber
reflektiert und prüft (Selbstevaluation), sich Ziele setzt und Strategien der
Zielerreichung erprobt,
auf der Ebene der professionellen Akteure (Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte)
die Sensibilisierung für Störungen als Ausgangspunkt für das Aufgreifen von
Impulsen, die den Rahmen gewohnter Berufsidentitäten in Verantwortung und
Respekt gegenüber dem Kind erweitern und bereichern (Change-Management)
(vgl. Mary/ Nordholt 2004),
auf der Ebene der Kinder die Gewissheit, dass sie als Träger von Potenzialen
(Wissen, Können, Kompetenzmotivation, Energie, Kreativität) gesehen werden,
dass ihre Unverwechselbarkeit und Würde geachtet und sie vor Ausgrenzung und
Missachtung geschützt werden (vgl. Knauf 2000; Liebers/ Prengel 2004, S. 9),
auf der Ebene der Eltern die Herausforderung, im Dialog mit Pädagog/innen als
Ko-Expert/innen ihrer Kinder ein differenziertes Bild ihres eigenen Kindes zu
entwickeln und (darauf aufbauend, vor allem) an der Stärkung der Fähigkeiten
und Potenziale dieses unverwechselbaren Individuums mitzuwirken. Dabei käme
es darauf an, Balancen zu finden zwischen dem Bedürfnis, ihren Kindern
Wohlbefinden (hier und jetzt) zu sichern, und der zukunftsorientierten Projektion
von gesellschaftsfähigen Persönlichkeitsbildern auf ihre Kinder.
In den Bildungssystemen der "PISA-Staaten" Finnland, Norwegen, Schweden, England
und Kanada, aber (außerhalb des PISA-Verbundes) auch der Niederlande, sind in Bezug
auf Menschenbilder, Lernkonzepte, Kooperationsbereitschaft und Kooperationspraxis
sowie hinsichtlich institutioneller Verknüpfungen große Teile der skizzierten
"Entwicklungsaufgaben" in den letzten Jahrzehnten bearbeitet und zum Teil bewältigt
worden. Die jeweils gefundenen Lösungen können nicht ohne Berücksichtigung der
jeweiligen historischen und kulturellen Kontexte kopiert werden. Wie dies bei der
Mehrzahl von Innovationen in den Bereichen Forschung, Technologie, Wirtschaft und
Politik geläufige Praxis ist, sind Impulse von außen allerdings wichtig, oft auch
entscheidend, um Problemlösungen oder Praxisoptimierungen zu realisieren.
Die nachfolgend genannten Schritte und Elemente einer Lösung des
Schnittstellenproblems zwischen Elementar- und Primarbereich gehen dementsprechend
von einer Reflektion internationaler Entwicklungen aus, dies aber streng bezogen auf die
Erfordernisse einer Passfähigkeit in Hinblick auf Institutions-, Handlungs- und
Mentalitätsstrukturen innerhalb von Tradition und aktueller Diskussion in der
Bundesrepublik Deutschland.
Schritte zur Problemlösung: Flexibilisierung der Einschulung
Bildungspolitisch hat sich in jüngster Zeit die Bereitschaft zur Flexibilisierung der
Einschulung erheblich verbessert. Im bayerischen Modellversuch KIDZ sollen Kinder
die Möglichkeit erhalten, auf Grund der Frühförderung im Kindergarten gleich in die 2.
Klasse eingeschult zu werden. In NRW wird die flexible Eingangsphase eingeführt, die
Kinder je nach Bedarf in bis zu drei Jahren durchlaufen können. Schulen in BadenWürttemberg können sich wie in Brandenburg und Thüringen (im Rahmen
unterschiedlicher Versuchsmodalitäten) ebenfalls hierfür entscheiden, haben aber auch
die Möglichkeit, variable Einschulungstermine zu wählen.
Um eine für alle Beteiligten zufrieden stellende Umsetzung der Flexibilisierung der
Einschulung zu erreichen, ist es von grundlegender Bedeutung, dass der Wechsel von
der Bildungseinrichtung Kindergarten in die Bildungseinrichtung Grundschule ein
niederschwelliger Übergang wird. Aus diesem Grunde sollten
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Kinder mit Personen, Aktionsstrukturen und Räumen in der Grundschule, in die
sie eingeschult werden, bereits im Vorfeld vertraut gemacht machen,
sich die Lernkulturen in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen aneinander
annähern,
aufeinander bezogene Verfahren der diagnostischen Erfassung von
Entwicklungen und Fähigkeitsprofilen entwickelt, erprobt, evaluiert und
implementiert werden.
Das bisher für die Einschulung zentrale Kriterium der Schulfähigkeit sollte verstanden
werden als ein gesellschaftliches Konstrukt, das zwischen verschiedenen Akteuren
(Schule, Kindertageseinrichtung, Eltern, Politik und interessierten Gruppen der
Öffentlichkeit) ausgehandelt wird und historischen Wandlungen unterworfen ist (vgl.
Nickel 1996; Kammermeyer 2000). So spielt die Kategorie Schulfähigkeit
beispielsweise im niederländischen oder schwedischen Schulsystem praktisch keine
Rolle, obwohl in beiden Ländern unterschiedliche Einschulungsmodalitäten (Früh- bzw.
Späteinschulung) praktiziert werden.
Schulfähigkeit sollte entsprechend nicht mehr als personenbezogenes
Einschulungskriterium, sondern als Ziel betrachtet werden, an dessen Erreichung alle an
der Erziehung und Bildung des Kindes beteiligten Personen mitwirken. Damit die
Einschulung den einschneidenden Charakter eines Initiationsritus verliert und zu einem
persönlichen Übergangsritual wie der Geburtstag wird, sollten folgende Kriterien erfüllt
sein:
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die relative Vertrautheit des Kindes mit den personalen und sozialökologischen
Bedingungen der neuen Situation als Grundlage individueller Schulbereitschaft,
die gemeinsame Auswertung der differenzierten Entwicklungsdokumente über
das einzelne Kind durch Erzieher/innen, Grundschullehrer/innen und Eltern,
die gemeinsame Entscheidung aller Beteiligten, in der Regel auch des Kindes,
nach Absprache mit dem örtlichen Gesundheitsamt (Schularzt) und der
zuständigen Schulbehörde.
Schritte zur Problemlösung: Den Bildungsauftrag umsetzen
Ausgangspunkt kann nur der Paradigmenwechsel von einem stoff- zu einem
kompetenzorientierten Bildungsbegriff sein. Es geht um
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die Stärkung der Fähigkeit zur Selbstbildung und zum Aufbau von KoKonstruktionen zusammen mit anderen Kindern und Erwachsenen,
die Ausprägung lernmethodischer Kompetenz und die Erweiterung des
Repertoires von Lernstrategien,
die Ausdifferenzierung und Stabilisierung von Schlüsselqualifikationen und
die Entwicklung der Fähigkeit, mit Krisen und Problemen umzugehen.
In den Bildungsplänen, -empfehlungen, -programmen und -vereinbarungen der
Bundesländer aus den Jahren 2003/04 sind hierzu zahlreiche Ansatzpunkte enthalten, die
nicht revidiert, sondern implementiert werden müssen. Besondere Beachtung verdient
das Konzept der Schlüsselqualifikationen als Grundlage lebenslangen Lernens, das in
der Grundschule für Heranwachsende eine wichtige Bewährungsprobe erhält. Norbert
Landwehr hat 1996 folgende Schlüsselqualifikationen als Fähigkeiten zum gestaltenden
Umgang mit gesellschaftlichen Wandlungsprozessen definiert:
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Kreativität,
Problemlösefähigkeit,
Teamfähigkeit,
Selbstmotivierte Lernkompetenz,
Offenheit und Flexibilität,
Eigeninitiative.
Monika Murphy-Witt und Petra Stamer-Brandt haben 2004 speziell für Kinder im
Kindergartenalter folgende Schlüsselqualifikationen beschrieben:
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Flexibilität,
Kommunikationsfähigkeit,
Medienkompetenz,
Kreativität,
Teamgeist,
Konfliktfähigkeit,
Organisationstalent,
Stressresistenz.
Solche katalogisierten Schlüsselqualifikationen lassen sich zusammenfassend auch als
Selbst-, Sozial-, Methoden- und Handlungskompetenz beschreiben. Sie konkretisieren
sich in der Nutzung eines Repertoires sehr unterschiedlicher Lernstrategien, wie sie für
die Grundschule in dem Sammelband von Marlies Hempel (1999) und teilweise von
Dieter Baacke (1999) als Entwicklungsdimensionen für die Kinder vor der Einschulung
beschrieben werden:
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Bewegungsfähigkeit weiterentwickeln,
Wahrnehmungsfähigkeit ausdifferenzieren,
Erkunden und Informationen aufnehmen,
sich das Staunen bewahren,
eine Kultur des Fragens entwickeln,
Welt deuten,
sammeln, ordnen und präsentieren,
Kultivierung der Gefühle,
das Spiel als Möglichkeit des Lernens behalten,
Differenzierung von Sprache und Kommunikation,
Symbolsysteme (Piktogramme, Schriftsprache, Zahlen) identifizieren und zu
nutzen beginnen,
Identität und Selbstkonzepte aufbauen,
Entwicklung von Leistungsbewusstsein.
Bildung, die diese Elemente vereinigt und in vielfältigen Querverbindungen vernetzt,
lässt sich "als Konstruktion von Welt- und Selbstentwürfen" bezeichnen (Laewen 2004,
S. 2).
Schritte zur Problemlösung: Eine neue Lernkultur
Die Komplexität eines so verstandenen Bildungsbegriffs lässt sich nur implementieren
in vergleichbar komplexen Aktions- und Interaktionsstrukturen. Hierfür haben
Kindertageseinrichtungen vielfältige Handlungsspielräume, die auch von Erzieherinnen
oft und bereitwillig, vielfach jedoch zu wenig konsequent, genutzt werden. Das letztlich
auf Aristoteles zurückgehende, in der Pädagogikgeschichte (z.B. bei Schleiermacher,
Montessori, Petersen, Parkhurst) immer wieder reaktivierte Prinzip der Kultivierung von
"Antinomien", von Gegensätzen und Spannungsbögen (vgl. Winkel 1986), bildet gerade
für jüngere Kinder einen Rahmen, in den sie eigene Handlungsmotive, Aktionsenergien,
vielfältige Emotionen, innere Bilder, aber auch sich entwickelnde Fähigkeiten und
Fertigkeiten einbringen können. Konkret sind dies beispielsweise Spannungsbögen
zwischen
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Ordnung und Unstrukturiertheit,
Regel und Experiment,
Anregungsvielfalt und Reizreduktion,
Bewegung und Ruhe,
Kommunikation und Stille,
Gemeinschaftlichkeit und Individualisierung,
zweckfreiem Spiel und zielorientierter Produktion.
Für diese Bildungsprozesse stimulierenden Antinomien gibt es in den klassischen
reformpädagogischen Ansätzen nach Montessori, Freinet, Steiner und Petersen und in
den neueren elementarpädagogischen Konzepten (Reggio-Pädagogik, Situationsansatz,
Offene Kindergartenarbeit, Waldpädagogik) vielfältige Anknüpfungspunkte, die auch
häufig - aber oft unsystematisch - in Kindertageseinrichtungen genutzt werden, z.B.
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der Morgenkreis und die Kinderkonferenz als Orientierungsrahmen, als
gebundene, zeitlich fixierte Rituale für die Förderung des
Gemeinschaftsbewusstseins und der Kommunikation, die Regeleinhaltung
verlangt, zugleich aber der Artikulation von persönlichen Erlebnissen,
Erinnerungen, Empfindungen und von Handlungsplanungen dient;
das Bauspiel, das experimentelle, ästhetische, kreative und soziale Dimensionen
aktiviert;
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das darstellende Spiel, das Anlässe zur Rollenübernahme, aber auch zu
Rollendistanz und zum Perspektivenwechsel bietet und damit Impulse für die
Identitätsentwicklung bereit hält;
das experimentelle Spiel, das z.B. mit Hilfe von Mess- und
Vergrößerungsinstrumenten das Registrieren und genaue Beobachten materialer
Strukturen, von stofflichen Veränderungen und Ursache-Wirkungs-Systemen,
aber auch das Aufstellen, Bezweifeln und Überprüfen von Hypothesen fördern
kann.
Insbesondere Projekte können intensive Bildungserfahrungen ermöglichen, wobei die
verschiedenen elementarpädagogischen Projektkonzepte einer Prüfung bedürfen, bevor
sie als Modelle für die Praxis empfohlen werden (vgl. Knauf 1998, 2001, 2004a). Den
Prinzipien der Selbstbildung und der Ko-Konstruktion von Bedeutungen, Wissen und
Können entspricht vor allem die in der Reggio-Pädagogik in mehr als drei Jahrzehnten
entwickelte Projektstruktur, die in Hinblick auf Dauer, Zahl der beteiligten Kinder,
Intensitätsgrade der Steuerung und Intervention der Erzieherinnen sehr flexible
Prozessverläufe impliziert. Elemente sind andererseits sehr strikt



die konsequente Orientierung an den Interessen der Kinder,
der Vorrang für Problemlösungen und das Finden von Erkenntnisstrategien
durch die Kinder,
die enge Verbindung von genauer Wahrnehmung, Kommunikation, darstellender
Dokumentation, Ansprechen von Emotionen und dem Erkenntnisinteresse der
Kinder.
Die Projekte sind in der reggianischen Konzeption integrierte Handlungsfolgen, in die
Forschungs-, Kommunikations- und Dokumentationsprozesse eingehen. Erzieherinnen
verstehen sich in ihnen als Begleiterinnen, Forscherinnen und Krisenmanagerinnen. Ihre
Hauptaufgaben sind das Beobachten, Bereitstellen von Ressourcen, Impulse Geben und
Dokumentieren (vgl. Knauf 1998a).
Ein Aufgreifen dieser Projektkonzeption könnte auch für den Bereich der
Grundschuldidaktik eine große Bereicherung darstellen, weil sie eine ausgezeichnete
Möglichkeit der inneren Differenzierung und der Stabilisierung von Lernhaltungen
bietet. Sie lässt sich durchaus kombinieren mit aktuellen (grund-) schulpädagogischen
Projektansätzen (vgl. Frey 1998; Gudjons 2001; Hänsel 1999).
Schritte zur Problemlösung: Entwicklung diagnostischer Kompetenz
In Kindertageseinrichtungen wie in Grundschulen besteht ein gleichermaßen hoher
Bedarf an systematischer Anwendung differenzierter diagnostischer Instrumente. Deren
Anwendungsbereiche und Funktionen sind breiter, als dies in den ersten Reaktionen auf
die PISA-Studie angenommen wurde. Vor allem folgende Aufgaben stehen im
Vordergrund:



Präzisierung der Kenntnisse über individuelle Entwicklungsprozesse und die
Ausprägung von Kompetenzprofilen (z.B. in Hinblick auf spezifische
Begabungen und Hochbegabungen, aber auch auf "Teilleistungsstörungen",
Entwicklungsverzögerungen, besondere Förderbedarfe),
Ermittlung differenzierter Grundlagen für eine individuelle Förderpraxis
insbesondere in den Bereichen sprachlicher und anderer Basiskompetenzen,
Ermittlung von Grundlagen für die pädagogische Gestaltung der Kita- und der
Grundschulpraxis in Hinblick auf die Entwicklungs- und Bildungsbedürfnisse
der Kinder,



Ermittlung von Grundlagen für die Einrichtungskonzeption unter Einschluss der
Entscheidungen über Raumgestaltung, Gestaltung des Außengeländes,
Materialbeschaffung und -präsentation, Öffnungszeiten und Zeitstrukturierung
sowie Arbeitsteilung im Team und Formen der Zusammenarbeit mit den Eltern,
Ermittlung von Grundlagen für eine differenzierte Elterninformation und beratung,
Entwicklung gemeinsamer Konzepte und Formen der pädagogischen Diagnostik
von Kindertageseinrichtung und Grundschule auf der Grundlage datenrechtlicher
Sicherungen.
Die Mehrzahl der in den letzten Jahren neu entwickelten diagnostischen Instrumente
konzentriert sich immer noch vorrangig auf die Erhebung von
Entwicklungsverzögerungen und -störungen sowie von Fähigkeitsdefiziten, um
Ansatzpunkte für ausgleichende Maßnahmen zu erhalten. Der funktionale
Zusammenhang von Diagnostik und Förderung ist vom Grundsatz her richtig. Probleme
ergeben sich allerdings,



wenn die eingesetzten diagnostischen Instrumente eine defizitorientierte Sicht
auf das Kind verstärken und den Blick auf die Stärken des Individuums
verstellen,
wenn diagnostische Verfahren und darauf aufbauende Fördermaßnahmen
speziell für einzelne "Problemgruppen" den Zusammenhang der pädagogischen
Gestaltung des gemeinsamen Kita-Tages fragmentieren,
wenn diagnostische Verfahren vorrangig von externen Experten realisiert werden
und damit Professionalität und Verantwortung der Erzieherin in der
Kindertageseinrichtung destabilisieren.
Diagnostische Verfahren in Kindertageseinrichtung und Grundschule sollten






sich an einem ganzheitlichen Bild vom Kind als Träger von Stärken und
Schwächen und eines unverwechselbaren Persönlichkeitsprofils orientieren.
an den Erfahrungen von Erzieher/innen anknüpfen und deren Kompetenzen als
Kennerinnen der einzelnen Kinder in der Einrichtung nutzen.
eine Überformung des Kindergartenalltags durch Tests und isolierte
Problemgruppenförderung vermeiden.
als Ergebnis eine qualitative Persönlichkeits- und Kompetenzeinschätzung und
kein quantitatives Kinder-Ranking anstreben.
die Stärkung von Selbstbildungskompetenz und die Stabilisierung von
Schlüsselqualifikationen im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft mit
reflektieren.
die Probleme selektiver Wahrnehmung und der Subjektivität von Urteilsbildung
reduzieren.
Diese Forderungen lassen sich am ehesten durch einen Methoden-Mix erfüllen, zu dem
zumindest die drei Elemente Kurzzeitbeobachtung, Portfolio, Entwicklungs- und
Kompetenzprofil gehören sollten.
Die 10-Minuten-Kurzzeitbeobachtung
Die Kurzzeitbeobachtung hält einen nach dem Zufallsprinzip Aktion und Interaktion
eines oder mehrerer Kinder in einer unmittelbar protokollierten Prozessdokumentation
fest. Sie bezieht sich damit auf die Mikrostrukturen des Verhaltens und reduziert das
Überformen von Beobachtung durch implizite Persönlichkeitsmodelle oder typische
Beurteilungsfehler (Halo-, Pygmalion- und andere Effekte).
Kurzzeitbeobachtungen werden seit mehr als 30 Jahren in den städtischen
Kindertageseinrichtungen in Reggio Emilia praktiziert. Sie wurden von Margret Carr in
Neuseeland und Hans Rudolf Leu (DJI) als "Bildungs- und Lerngeschichten" theoretisch
und praktisch weiterentwickelt (vgl.: Leu 2002). In Anlehnung an die "Leuvener
Engagiertheitsskala" werden nach Leu die konkreten Beobachtungen nach den Kriterien





Interesse,
Engagiertheit der Interessenverfolgung,
Problemlösefähigkeit,
Kommunikationsfähigkeit,
Perspektivenwechsel, soziale Verantwortung
mit wenigen Stichworten interpretiert. Nachfragen bei dem beobachteten Kind können
als zusätzliche Quellen für die Interpretation genutzt werden. Sie dienen der
Einschätzung der kognitiven, motivationalen, kommunikativen und sozialen
Kompetenzen und Bereitschaften zur Strukturierung von Lernprozessen. Da diese ihre
Basis in den biopsychischen Voraussetzungen individueller Entwicklung haben, ist es zu
empfehlen, auch die motorischen Fähigkeiten und die Wahrnehmungsfähigkeiten als
Kriterien für die Interpretation der Beobachtung heran zu ziehen.
Das Portfolio
Die Idee des Portfolios stammt aus der Berufswelt. Es wurde schon im 19. Jahrhundert
bei Bewerbungen von Journalisten als Vorstellungsmappe verwendet. In den letzten
beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fand es als Möglichkeit der Kombination von
Schüler-Selbsteinschätzung und Lehrerurteil Eingang in den schulischen Bereich und
bereicherte die Formen der schulischen Leistungsbeurteilung. Diese Entwicklung nahm
ihren Ausgangspunkt in den Neuengland-Staaten der USA; innerhalb Europas wurde sie
vor allem in Österreich (vgl. Vierlinger 1999) und flächendeckend in Schweden
aufgegriffen, wo das Erstellen von Portfolios sowohl in der Vorschule als auch in der
Grundschule zur gängigen Praxis gehört. In jüngster Zeit finden sich auch an deutschen
Grundschulen erste viel versprechende Ansätze zur Nutzung des Portfolios als neue
Form der Dokumentation und Analyse von Lernprozessen und wichtige Grundlage einer
individualisierenden und differenzierenden Lernförderung und Leistungsbeurteilung
(vgl. Hecker 2004). Das Portfolio kann im Bereich der Entwicklungs- und
Kompetenzdokumentation von Kindern eine gewichtige Rolle bei der Verzahnung der
pädagogischen Praxis des Elementar- und Primarbereichs spielen. Im IBA-Projekt (s.u.)
soll dies erprobt werden.
Das Portfolio, eine kontinuierlich fortgeschriebene Sammlung verschiedenster
Entwicklungsdokumente über und für jedes Kind, enthält die dokumentierten
Kurzeitbeobachtungen, Kinderzeichnungen, Fotos des Kindes in verschiedenen
Aktionen und sozialen Konstellationen, notierte Kinderäußerungen sowie
Beobachtungsnotizen oder Bemerkungen der Erzieher/innen. Alle
Entwicklungsdokumente werden datiert, so dass eine Art Mini-Archiv für das einzelne
Kind entsteht. Die Entwicklung des Kindes lässt sich an Hand der archivierten
Dokumente nachvollziehen und illustrieren, z.B. wenn alle Dokumente in einer
Zeitleiste angeordnet werden. Innerhalb der im Kindergarten meist über drei Jahre
geführten Entwicklungsdokumentation lassen sich mit der zunehmenden Fülle und
Dichte der Materialien Entwicklungsschübe und Entwicklungsverlangsamungen
ausmachen. Eltern erleben bei den "Entwicklungsgesprächen" mit den Erzieher/innen
das Datenfundament des Portfolios als einen großen Gewinn, den die Erzieher/innen
ihrerseits als Kompetenz-, Professionalitäts- und Statusgewinn verbuchen können.
Ein nicht nur aus datenrechtlichen Gründen in jeder Einrichtung zu lösendes Problem ist
die Transparenz des Portfolios. Es ist in erster Linie ein Instrument für die professionelle
pädagogische Arbeit der Erzieher/innen. Es dient in diesem Zusammenhang auch der
Information und Beratung der Eltern. Je nach Vertrauensbasis zwischen Eltern und
Erzieherinnen (insbesondere der Gruppenleiterin), je nach Interesse, Verständnis und
Toleranz der Eltern kann der Grad der Öffnung des Portfolios ihnen gegenüber
verantwortet werden.
Das Entwicklungs- und Kompetenzprofil (EKP)
Das von den Autoren entwickelte und aktuell überarbeitete Entwicklungs- und
Kompetenzprofil wird seit 2004 an etwa 55 Kindertageseinrichtungen in Bayern,
Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, demnächst auch in Einrichtungen in
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, erprobt. Als standardisiertes Instrument wird
es für jedes Kind innerhalb der in der Regel dreijährigen Kindergartenzeit zwei- bis
dreimal eingesetzt, um horizontal (sozial) und vertikal vergleichende, also auf die
individuelle Entwicklung bezogene Daten zu gewinnen. Das EKP enthält Entwicklungsund Kompetenzkriterien, die sich auf die Bereiche Motorik, Wahrnehmung, Soziale
Kompetenz und Wertorientierung, Selbstkompetenz, Methodenkompetenz und
Sachkompetenz beziehen. Zum Ausprägungsgrad der jeweiligen Kriterien können in
einer fünfteiligen Skala Aussagen gemacht werden. Dabei sind die Quellen der
Einschätzung (konkrete Beobachtung oder Gesamteindruck) zu benennen. Zu allen
Kriterien können Kommentare notiert werden.
Grundlage für die Erstellung des Profils sind die im Portfolio gesammelten
Entwicklungsdokumente. Sie werden für jedes Kind alle zwölf bis 18 Monate für die
Erarbeitung des Profils durch das Gruppenteam oder die Gruppenleiterin herangezogen.
Erfahrungsgemäß dauert die Erarbeitung des Profils für jedes Kind zwischen 45 und 75
Minuten.
Mit Hilfe der im Rahmen des Entwicklungs- und Kompetenzprofils gesammelten Daten
können sehr präzise Einschätzungen zur Information und Beratung der Eltern, zur
Akzentuierung der pädagogischen Arbeit und zur Initiierung notwendiger
Fördermaßnahmen getroffen werden. Das EKP vermeidet eine defizitorientierte Sicht
auf das Kind, denn es veranlasst die Erzieherin, vorrangig die Fähigkeiten und
geleisteten Entwicklungsschritte zu erfassen. Es ist nicht nur auf die gesellschaftlich als
bedeutungsvoll eingeschätzten Qualifikationen des Individuums konzentriert, sondern
orientiert sich an einem ganzheitlichen Bild vom Kind, das sich auf seine geistige,
körperliche, emotionale und soziale Entwicklung bezieht.
Dieses Bild vom Kind beruft sich auf eine humanistische Denktradition, die letztlich auf
Aristoteles zurückgeht (vgl. u.a. Vigo 1996), aber auch in den modernen
Persönlichkeitsmodellen von Carl Rogers oder Erik Erikson wiederkehrt. Danach lässt
sich die Persönlichkeit eines Menschen an einzelnen unverwechselbaren Merkmalen
erfassen; sie drückt sich in seinen Handlungen aus, konkretisiert sich im Umgang mit
den Dimensionen Raum und Zeit und wird von Werten und der Konstruktion von Sinn
geleitet.
Schritte zur Problemlösung: Stärkung der Elternrolle
Im Zentrum dieser Lösungsstrategie steht das Vorhaben, die oft nur als Leerformel
zitierte Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und professionellen Pädagoginnen und
Pädagogen mit Leben zu erfüllen und zu kultivieren. "Aus der Sicht der pädagogischen
Fachkräfte heißt dies, dass sie Kindern nur dann einen neuen Erfahrungshorizont
eröffnen können, wenn sie die einzigartige Geschichte jedes einzelnen Kindes und die
seiner Familie verstehen und anerkennen. Statt einer Bewertung und Einordnung des
Kindes nach festgelegten Entwicklungskriterien sind seitens der Fachkräfte
Anerkennung, Offenheit und auch eine pädagogische Neugier gefordert, die persönliche
Geschichte des Kindes herauszufinden und auf dieser Basis..." Kindern Anregungen,
Herausforderungen und Förderung zukommen zu lassen (Tremel 2004, S. 6).
"Umgekehrt ist es für das Kind und seine Familie wichtig, in der Tageseinrichtung einen
sozialen Raum vorzufinden, der sich generell durch Akzeptanz und Interesse
auszeichnet. Nur wenn die Familie in ihrer Einrichtung ein kommunikationsfreudiges
Klima erlebt, in dem eigene Lebenserfahrungen anerkannt und eingebracht werden
können, geben sie auch ihren Kindern die Chance, den Kontext der familiären
Erfahrungen mit den Entwicklungsangeboten der Einrichtung zu verknüpfen" (ebd.;
Hervorhebung durch Verf.). Dies kann in folgenden Handlungsfeldern konkretisiert
werden:






Eltern als Experten ihrer Kinder ernst nehmen (Krieg/ Krieg 2004a, S. 9 f; Prott/
Hautumm 2004, S. 26 ff; Rothe 2004, S. 9 f.),
mit Eltern gemeinsam (ohne Scham und Beschönigung) ein differenziertes Bild
ihres Kindes entwickeln, auf das sie stolz sein können und in dem die
Kompetenzen und Ressourcen im Vordergrund stehen (vgl. Prott/ Hautumm
2004, S. 32 ff.),
die Handlungskompetenz von Eltern insbesondere in kritischen
Alltagssituationen und krisenanfälligen Lebensphasen ihrer Kinder stärken (vgl.
Textor 2004, S. 24 f.),
Eltern gegenüber die professionelle pädagogische Arbeit in ihren Zielen und
Handlungsstrukturen transparent machen (Krieg/ Krieg 2004b, S. 40 ff.; Prott/
Hautumm 2004, S. 15 ff. u. 28 ff.),
verstärkt Gelegenheit suchen und nutzen, um Eltern Partizipationsspielräume im
Rahmen professioneller Arbeit zu gewähren,
darüber hinaus Eltern frühzeitig für demokratische Mitwirkung im öffentlichern
Bildungsbereich aktivieren (vgl. auch Hebenstreit-Müller 2004, S. 167 ff.).
Voraussetzung für Erfolge in diesen Handlungsfeldern ist die Schaffung eines
Kommunikationsklimas, das Eltern mit heterogenem sozialen und kulturellen
Hintergrund die Sicherheit gibt, dass sie mit ihren Fragen, Problemen, Vorstellungen
und Unsicherheiten als Kommunikations- und Kooperationspartner willkommen sind.
Dies drückt sich beispielsweise in der Bereitschaft aus, Zeit in ein Gespräch zu
investieren und sich auf Sprache und Sprachcode des Gesprächspartners einzulassen.
Eine weitere Bedingung für die Aktivierung der Erziehungspartnerschaft mit Eltern ist
die Schaffung und einladende Bekanntmachung von Gesprächs- und pädagogischen
Planungssituationen. Hierfür muss ein breites Spektrum unterschiedlicher Angebote
geschaffen werden, von regelmäßigen Sprechzeiten über Elterncafés bis zu
themenspezifischen Gesprächsforen und Planungssitzungen, z.B. zur Entwicklung der
pädagogischen Konzeption eines Kindergartens oder des Schulprogramms.
Die entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche Pädagogen-Eltern-Kommunikation
und -Kooperation ist von den Eltern wahrnehmbares kompetentes Handeln, das sich vor
allem in folgenden Feldern konkretisiert:

Systematik des Sammelns und Auswertens von Entwicklungsdokumenten über




das einzelne Kind,
Klarheit und zugleich erkennbare Akzeptanz und Empathie beim Beschreiben
des Kindes und beim Entwerfen von Ansätzen eines personenbezogenen
pädagogischen Umgangs mit dem Kind sowohl in der Tageseinrichtung wie in
der Familie,
Interesse am Dialog und Fähigkeit zum Gespräch mit Eltern über Entwicklungen
und Potenziale ihres Kindes,
Einladung an Eltern zur Präsenz (Hospitation und eventuell Mitwirkung) in
Interaktionssituationen innerhalb der Einrichtung,
dabei erkennbar Machen von Balancen zwischen Klarheit und Differenzierung in
pädagogischen Handlungszusammenhängen.
Die Ausdifferenzierung von Kommunikations- und Kooperationsformen zwischen
professionellen und nichtprofessionellen Erzieherinnen/ Erziehern wächst oft in
stadtteil- bzw. gemeindebezogene Netzwerke hinein, in denen auch andere
Organisationen, Institutionen und interessierte Einzelpersonen aktiv sind. Damit können
niederschwellige Beratungsangebote geschaffen werden, deren Nutzung die Kompetenz
von Eltern und Familien auch über den pädagogischen Bereich hinaus stärken kann.
Die hier skizzierten Entwicklungslinien sind gebunden an Prozesse der vorsichtigen
Veränderung pädagogischer Professionalität. Kern einer solchen
Professionsveränderung ist der Perspektivenwechsel von der pädagogischen Einzelarbeit
des professionellen Akteurs am Kind hin zu vernetzten Arbeitsprozessen im Team.
Besondere Berücksichtigung sollten systemische Aspekte des Lebenszusammenhangs
von Kindern in Familie, sozialem Nahbereich und in einer veränderten Lebensumwelt
mit Tendenzen zur Verinselung, Verhäuslichung, Mediatisierung und soziokulturell
geprägten Biographisierung finden. Lebenslanges professionales Lernen in den
pädagogischen Bereichen der Elementarerziehung und der Grundschule bedarf der
immer wieder neuen Schärfung des Blicks für sozialökologische und kulturelle
Veränderungen kindlicher Lebensumwelten und der immer wieder neuen Erprobung von
Kooperationsbeziehungen in professionellen, semi-professionellen und
nichtprofessionellen Netzwerken.
IBA - Ein Modellprojekt zur systemischen Neustrukturierung des Schulanfangs
Zum Abschluss unseres Beitrags geht es um die praktische Umsetzung und Erprobung
der im vorangegangenen dargelegten Überlegungen und Lösungsstrategien zur
systemischen Neustrukturierung des Schulanfangs. Kurz vorgestellt und in seinen
Grundzügen skizziert wird das von den Autoren konzipierte Modellprojekt IBA
(Integrierter Bildungsauftrag von Kindergarten und Grundschule), dessen Realisierung
für den Zeitraum von 2006 bis 2009 im Bundesland Niedersachsen geplant ist. Kernidee
ist eine die Lern-, Bildungs- und Persönlichkeitsentwicklung von Kindern fördernde
Intervention im Bereich der Schnittstelle zwischen Elementar- und Primarbereich mit
dem Ziel einer signifikanten Verbesserung der Anschlussfähigkeit von Lern-, Bildungsund Persönlichkeitsentwicklung in beiden institutionellen Bereichen.
Qualitätsmerkmale einer veränderten Schnittstellenstruktur und -gestaltung
Im Einzelnen geht es im Rahmen des IBA-Projektes um folgende Kernpunkte und
Lösungsschritte für eine qualitative Neugestaltung der Schnittstelle zwischen Elementarund Primarbereich:

Auf kommunaler Ebene werden durch die Schul- und Jugendhilfeträger
Leitbilder für eine gemeinsame Entwicklungsförderung jüngerer Kinder durch






Familie, Kindergarten und Schule formuliert.
Kindertageseinrichtungen, Grundschule und Elternvertreter gestalten Kontrakte
für einen formalen Rahmen und eine inhaltliche Füllung von wechselseitiger
Kommunikation und Kooperation.
In Kindertageseinrichtung und Grundschule werden regelmäßig Räume,
personelle und sächliche Ressourcen entsprechend den getroffenen
Vereinbarungen wechselseitig zur Verfügung gestellt, um ein differenziertes und
zugleich verzahntes Erfahrungsspektrum für entwicklungsfördernde Aktivitäten
der Kinder bereit zu stellen.
Durch gemeinsame Planung sowie durch gemeinsame oder aufeinander
bezogene Gestaltung pädagogischer Situationen und Handlungsstrategien werden
die pädagogisch dysfunktionalen Grenzen zwischen Überzeugungen, Haltungen
und professionellen Praktiken von Erzieherinnen und Grundschullehrkräften
abgebaut.
In Kindertageseinrichtung und Grundschule werden die Instrumente
pädagogischer Diagnostik aufeinander abgestimmt. Die gewonnenen
diagnostischen Daten werden partiell gemeinsam ausgewertet und dienen als
Grundlage für die individuelle und gemeinsame Förderung der Kinder in der
Schuleingangsphase.
Die Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern, Erzieherinnen und
Grundschullehrkräften wird durch Intensivierung informativer, beratender und
partizipativer Elemente gestärkt.
Auf Grund der Stärkung der schulischen Lernvoraussetzungen und des Abbaus
von Fremdheit gegenüber dem neuen System Schule auf Seiten der Kinder sowie
in Zusammenhang mit einer verbesserten und aufeinander abgestimmten
pädagogischen Diagnostik in Kindertageseinrichtung und Grundschule werden
Kinder zu individuell geeigneten Zeiten eingeschult und können besser gefördert
werden.
Die Leistungen des Modellversuchs zur Qualitätsentwicklung und -sicherung
Die Umsetzung des Konzepts findet an ausgewählten Projektstandorten statt, die
unterschiedliche sozialgeografische und soziokulturelle Rahmenbedingungen
repräsentieren. Gestützt durch Maßnahmen der Organisationsentwicklung und des
Qualitätsmanagements wird in wissenschaftlich begleiteten Fallstudien erprobt und
evaluiert, inwieweit die genannten Qualitätsmerkmale in pädagogischen
Handlungsfeldern implementiert werden können.
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Dr. Tassilo Knauf ist Professor für Elementarerziehung und Primarstufenpädagogik an der Universität
Duisburg-Essen und lehrte außerdem an den Universitäten Bielefeld, Bremen, Magdeburg, Potsdam und
Rostock. Er ist Mitbegründer und geschäftsführendes Vorstandsmitglied von Dialog Reggio - Vereinigung
zur Förderung der Reggio-Pädagogik in Deutschland e.V., Präsident der Gesellschaft für JenaplanPädagogik in Deutschland sowie Leiter von QuicK-Qualitätsmanagement in Kindertageseinrichtungen in
Verbindung mit der Universität Duisburg-Essen. Seine Arbeitsschwerpunkte im Bereich Fortbildung,
Beratung und Projektarbeit sind Reggio-Pädagogik, Konzeptions-, Team- und Qualitätsentwicklung sowie
pädagogische Arbeit mit Kindern unter 3 Jahren und im Hort bzw. Ganztagesgrundschule.
Kontakt: Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, FB Bildungswissenschaften, Universitätsstr. 12,
45141 Essen, Tel.: 0201/183-2247, Email: tassiloknauf@aol.com, tassilo.knauf@uni-essen.de
Dr. Elke Schubert, Diplompädagogin und Sonderschullehrerin, seit 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin
im Fach Erziehungswissenschaft an den Universitäten Dortmund und Duisburg-Essen. Zur Zeit vertritt sie
eine Professur für Primarstufenpädagogik und -didaktik an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeitsund Forschungsschwerpunkte: Grundschulpädagogik und -didaktik, Förderdiagnostik, Lernwerkstätten/
Werkstattkonzepte, Theorie-Praxis-Projekte in Schule und Lehrerbildung; pädagogische LehrLernforschung, Lehrerbildungsforschung.
Kontakt: Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, FB Bildungswissenschaften, Universitätsstr. 12,
45141 Essen, Tel.: 0201/183-2243, Email: elke.schubert@uni-essen.de