071019 Handelsblatt Vattenfall-Bericht

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Handelsblatt Nr. 202 vom 19.10.07 Seite 14
Report
Ludwig, Thomas
Ruft! Uns! An!
Dem Stromkonzern Vattenfall laufen die Kunden in Scharen davon. Nun sucht er den Dialog, um verlorenes Vertrauen
zurückzugewinnen. Ein Besuch im Service-Center.
THOMAS LUDWIG | HAMBURG "Worte, nichts als Worte" - als Marlene Süper* an diesem Morgen die Zeitung
aufschlägt, vergeht ihr die gute Laune. "Vattenfall stellt sich Ihren Fragen", steht da in riesigen, honiggelben Lettern. In
einer ganzseitigen Anzeige wirbt der Versorger um Vertrauen. "Ich glaub' denen kein Wort", sagt die junge
Hamburgerin. Kürzlich hat sie ihren Stromlieferanten gewechselt, da flatterte ihr glatt wieder ein Brief von Vattenfall ins
Haus. Es sei um die Leitungen gegangen, durch die der Strom ihres neuen Lieferanten "Lichtblick" fließt. Die gehören
immer noch Vattenfall. "Das war der totale Schock", schimpft Süper. "Mit denen wollte ich nun echt nichts mehr zu tun
haben" - wie so viele Verbraucher in diesen Tagen.
Nach den Pannen in den Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel steht Vattenfall Europe, Tochter der
schwedischen Vattenfall AB und Deutschlands drittgrößter Stromanbieter, in der Öffentlichkeit schlechter da denn je.
Zwar mussten der Vorstandsvorsitzende von Vattenfall Europe, Klaus Rauscher, der Atom-Vorstand Bruno
Thomauske wie auch der Leiter der Konzernkommunikation, Johannes Altmeppen, ihren Hut nehmen - doch der
personelle Kehraus konnte eines nicht verhindern: Seit Juni dreht sich die Kündigungsspirale immer schneller.
Innerhalb eines knappen Jahres haben inzwischen gut 100 000 Haushalte ihre Verträge gekündigt - so weit die
offizielle Darstellung des Unternehmens. Intern ist sogar schon von 200 000 Fahnenflüchtigen die Rede, bei
insgesamt 2,7 Millionen Kunden in Deutschland beileibe kein Pappenstiel.
Nun steuert das Management massiv gegen. "Wir haben Sie nicht offen und umfassend genug informiert. Das werden
wir in Zukunft besser machen", heißt es in der bundesweiten Anzeigenkampagne. Seit gut drei Wochen leistet das
Unternehmen öffentlich Abbitte und sucht den Dialog.
Dabei sind die Vorfälle in den Kernkraftwerken nicht die einzigen Brandherde. Tatsächlich ist gleich an mehreren
Stellen Feuer unterm Dach - oder wie es der neue Vattenfall-Europe-Chef Hans-Jürgen Cramer gegenüber
Führungskräften ausdrückte: Es gebe "eine Reihe offener Flanken".
In der Tat: Zum 1. Juli verprellte eine miserabel kommunizierte Preiserhöhung von mehr als fünf Prozent die
Kundschaft. In Hamburg droht der Senat der Stadt bei der geplanten Genehmigung des Braunkohlekraftwerks
Moorburg zurückzurudern. In der Lausitz will das Unternehmen den Tagebau wieder aufnehmen; Hunderte Menschen,
die von Umsiedlung betroffen sind, fühlen sich verladen, eine Bürgerinitiative macht mobil. Und im sächsischen
Boxberg versuchen Aktivisten von Greenpeace einen Baustopp für das neue Braunkohlekraftwerk zu erzwingen.
Vattenfall kommt aus den Negativschlagzeilen nicht heraus - und muss sich seither einiges anhören.
"Man kann", schnauzt die Stimme, "Kapitalismus nicht schlimmer betreiben, als es Vattenfall tut."Marco Lahann
schweigt, hört zu. "Ja, da brauchen Sie gar nicht ,mmhh' zu machen", legt der Anrufer nach.
Der 28-jährige Industriekaufmann Lahann gehört zu einem 30-köpfigen Team, das im Hamburger Service-Center
eigens für die "Dialog-Kampagne" abgestellt worden ist. Marco Lahann bleibt nicht nur höflich, sondern nimmt den
Verbalpöbler bemerkenswert ernst. Er schließt die Augen, konzentriert sich. Verständnissätze formulieren,
deeskalieren, mit Argumenten auf die Sachebene zurückkehren - das raten Kommunikationsprofis in solchen Fällen.
Lahann weiß das. Doch der Anrufer will davon nichts wissen.
"Die Versorger sind doch alle Betrüger, die gehören in staatliche Hand", schallt es durchs Telefon. "Und warum wollen
Sie dann Ihren Anbieter wechseln?" wirft Lahann ein. Einen kurzen Moment ist es still in der Leitung. Dann kommt die
genervte Antwort: "Das interessiert mich doch alles nicht."Spätestens jetzt ist klar: Der Anrufer will weder Antworten
noch einen Dialog. Er will loswerden, was ihm an Vattenfall stinkt.
Als eine Art Telefonseelsorger für verprellte Verbraucher verkörpert Lahann den Willen des Versorgers zum
Neuanfang. Getreu der Devise "Loyalität und Selbstkritik sind keine Gegensätze" gibt er sein Bestes, um seinem
Arbeitgeber auf die Beine zu helfen. Die Kampagne Vattenfalls läuft noch bis Anfang Dezember und wird das
Unternehmen rund fünf Millionen Euro kosten. Mit der Resonanz ist man zufrieden: Rund 1 000 Anrufer und
E-Mail-Schreiber zählt man wöchentlich. Zum ernüchternden Vergleich: Bei Produktrückrufen zählen Firmen in der
Regel 3 000 bis 5 000 Anrufe - täglich.
19.10.2007 14:12
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Call-Center-Agent Lahann kennt sie alle: den Besserwisser, den Besorgten, den Verärgerten, den Wohlgesinnten, den
Technik-Freak, den Höflich-Interessierten, den Choleriker. Fast 60 Seiten dick ist der Frage-und-Antwort-Katalog, mit
dessen Hilfe er die Gemüter zu beruhigen sucht. "Natürlich kann ich nicht alles wissen", lacht er. Besonders
schwierige Fragen leitet er an Techniker weiter. Kein Kunde soll sich alleingelassen fühlen, und jeder soll innerhalb
von 48 Stunden eine Antwort bekommen.
Ein Lämpchen blinkt am oberen Rand des Computerbildschirms - der nächste Anrufer hängt seit 20 Sekunden in der
Warteschleife. Es wird Zeit. "Sind die Störfälle in den Atomkraftwerken behoben?" fragt ein junger Mann. "Die
Kraftwerke sind noch nicht wieder am Netz", antwortet Lahann. Ein Team unabhängiger Experten habe ein
Maßnahmenpaket zusammengestellt, das es abzuarbeiten gelte, bevor die Kraftwerke wieder anlaufen könnten. Man
verbessere das Sicherheitsmanagement. Vor Anfang 2008, das ist inzwischen klar, werden die AKWs keinen Strom
produzieren. Jeder Tag Stillstand kostet das Unternehmen rund eine Million Euro.
Im Übrigen, bekräftigt Marco Lahann, habe es sich nicht um einen Störfall gehandelt - auf der internationalen Skala
sichercheitsrelevanter Ereignisse in Kernkraftwerken habe der Vorfall nicht mal die eins erreicht. "Na ja," zögert der
Anrufer, ein eher zaghaftes Stimmchen, "ich bin zwar noch nicht ganz beruhigt, aber doch ein bisschen. Danke."
Der Unternehmensspitze dürfte ein bisschen Beruhigung in diesen schwierigen Zeiten nicht genügen. Zuletzt ging
Hans-Jürgen Cramer auf einem Führungskräftetreffen mit seinen Mitarbeitern hart ins Gericht: "Haben wir nicht
übersehen, dass Image und Reputation wirklich einen Wert haben?War es nicht zu einfach für uns, Geld zu
verdienen, ohne uns um Kunden kümmern zu müssen?" Rhetorische Fragen freilich, deren Antworten bei den
Angesprochenen nicht eben für Heiterkeit sorgten.
Zuletzt setzte Vattenfall 13 Milliarden Euro um und ist damit fünftgrößter Erzeuger in Europa. Deutschland ist mit rund
2,7 Millionen Kunden der wichtigste Markt und liefert etwa 60 Prozent des Umsatzes. Umso sensibler reagiert der
Mutterkonzern in Stockholm auf die hiesigen Pannen. Die Deutschen führt man nun an ganz kurzer Leine. Cramer
macht, was Gesamtkonzernchef Lars-Göran Josefsson ihm in bestem Deutsch mit auf den Weg gibt. Im Gespräch mit
dem Handelsblatt klang das kürzlich so: "Noch sind wir nicht das kundenorientierte Unternehmen, das wir sein
möchten."
Josefsson verordnet dem gesamten Konzern eine neue Firmenkultur. Denn in seiner Heimat Schweden kämpft
Vattenfall mit ähnlichen Problemen wie in Deutschland. Deshalb widmete sich die diesjährige Managementkonferenz
jüngst ausschließlich einem einzigen Thema: "Trust" - Vertrauen. Das in der deutschen Öffentlichkeit
wiederzugewinnen fällt nicht leicht.
"Nach der völlig empathiefreien Kommunikation im Sommer fängt Vattenfall bei null an", diagnostiziert Thorsten
Hofmann, Chef der Berliner Krisen-Kommunikationsagentur PRGS. Mit den eingeleiteten Maßnahmen für mehr
Transparenz sei man aber auf dem richtigen Weg. "Sie haben die Schuhe geschnürt", sagt Hofmann. Allein, der Weg
ist weit.
Dass Unternehmen den Draht in die Öffentlichkeit in Krisenzeiten noch immer unterschätzen, zeigt eine bislang
unveröffentlichte PRGS-Umfrage unter 500 europäischen Firmen. Danach halten zwar drei Viertel der Befragten ein
Krisenhandbuch für nützlich - doch nur ein Viertel der Unternehmen hat einen solchen Leitfaden, der auf Extremlagen
vorbereitet, in der Schublade. Ähnlich sieht es bei Medientrainings, Krisenstäben und vorbereiteten Textbausteinen für
den Fall der Fälle aus - Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Dabei kennt wirklich jeder Manager den
Ausspruch des US-Finanzinvestors Warren Buffett: "Es dauert 20 Jahre, den Ruf eines Unternehmens aufzubauen,
aber nur fünf Minuten, ihn zu zerstören."
Bei Vattenfall scheint man aus dem diesjährigen Desaster lernen zu wollen. Neuester Clou: Jeden Morgen treffen sich
Vorstandsmitglieder und Kommunikationsexperten im "Trustroom" der Berliner Zentrale. Welche Entwicklungen
müssen wir uns bewusst machen?Wo droht Ungemach?Wo hat die Öffentlichkeit Erklärungsbedarf?Das sind die
Fragen, denen man sich Tag für Tag stellt.
Zudem sucht das Unternehmen Mitglieder für einen Kundenbeirat. Er soll für drei Jahre amtieren, mehrmals im Jahr
tagen und aus 20 Verbrauchern und einigen Vattenfall-Vertretern bestehen, unter ihnen Cramer. "Wir wollen die
Wünsche, Bedürfnisse und Ideen unserer Kunden aus erster Hand erfahren", sagt der Vorstandschef. Das Ziel: mit
klarer Sprache Vertrauen schaffen. Alles also nur eine Frage der Vermittlung Zumindest die Sprache der Verbraucher
ist schon heute mehr als deutlich: "Ich hoffe, ich hab' Sie nicht aus Ihrem Mittagsschlaf geweckt", meldet sich eine
hanseatisch klingende Stimme. Marco Lahann lacht: "Ist schon in Ordnung. Ihre Frage bitte."
* Name geändert
Alle Rechte vorbehalten. (c) Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH
Unternehmen:
Kunde-Kundenzufriedenheit
Kunde
Werbung und Marketing
Vattenfall Europe AG
Unternehmensfacette:
Marketing
Deskriptor(en):
Wertpapierkennnummer: DE0006012008
CREFO-Firmennummer: 2011425555
19.10.2007 14:12
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Person:
Josefsson, Lars-Göran
Cramer, Hans-Jürgen
Personenfacette:
Zitat
Branche:
Land:
WER-03-04
WER-03
WER
Bundesrepublik Deutschland C4EUGE
Länderfacette:
Werbung und Marketing
Datum:
20071019
1123880, HB , 19.10.07; Words: 1415, NO: 100719880
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Freitag, 19.10.2007
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