Mumien in Klöstern und Kirchen
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Mumien in Klöstern und Kirchen
4.07 Wunn 14.06.2007 10:18 Uhr Seite 1 INA WUNN Mumien in Klöstern und Kirchen – Mönche, Päpste und Fürsten Der inszenierte Tod Abb. 2 Papst Johannes XXIII. in seinem gläsernen Sarg im Petersdom in Rom. Papst Johannes Paul II., Medienstar par excellence, inszenierte einen letzten, ganz großen Auftritt da, wo andere von der Bühne abtreten – zum Zeitpunkt seines Todes. Nicht nur das mühsame Sterben des Oberhauptes der Katholischen Kirche wurde als öffentliches Ereignis zelebriert, auch nach seinem Tode wurde mit der Aufbahrung und dem anschließenden gigantischen Leichenbegängnis an dem Mythos eines Mannes gearbeitet, der seine Kirche wie kaum ein anderer über die Vermarktung seiner Person in den Mittelpunkt des Interesses einer ansonsten säkularisierten Öffentlichkeit gerückt hatte. Damit geriet gleichzeitig ein bis heute geübtes Brauchtum der katholischen Kirche in den Fokus der Aufmerk- samkeit: Die verstorbenen Päpste werden einbalsamiert, dann öffentlich aufgebahrt und zuletzt in der päpstlichen Krypta beigesetzt. Doch auch hier finden sie nicht ihre endgültige Ruhe. Bei regelmäßigen Inspektionen wird der Zustand der Särge und der Leichname überprüft, und wenn Besonderheiten vorliegen, wird gehandelt – doch davon später. Zunächst zurück zu Johannes Paul II. Hier stand die Anwendung einer bestimmten, seit vielen Jahrzehnten praktizierten Methode der Konservierung zur Diskussion, bei der zunächst durch das Öffnen mehrerer Hauptschlagadern das Blut aus dem Körper entfernt und anschließend eine Formaldehydlösung injiziert wird. Diese sorgt letztlich dafür, dass der Verwesungsprozess zwar nicht endgültig verhindert, aber doch zumindest merklich herausgezögert wird. Um diese Behandlung menschlicher Leichname post mortem hat sich im Laufe der Jahrhunderte ein regelrechtes Gewerbe entwickelt, und so stand auch beim Tode des Papstes ein Fachmann aus dem Kreise einer seit Generationen auf die Einbalsamierung spezialisierten Familie zur Verfügung, um genau wie beim Tode der vorigen Päpste seines Amtes zu walten. Unerwartet entschloss sich die Kurie jedoch, auf die Konservierung des Leichnams Johannes Paul II. zu verzichten. Über die Gründe für diese Unterlassung wurde viel spekuliert: möglicherweise spielte eine Rolle, dass es beim Tode der beiden Amtsvorgänger des verstorbenen Papstes heftige Diskussionen gegeben hatte: Der Leichnam des Papstes Paul VI. (*1897, Pontifikat 1963–1978), der im heißen Sommer 1978 verstorben war, wies trotz der Präparation bereits zwei Tage nach dem Tode deutliche Anzeichen der Verwesung auf, weil sich das Formaldehyd nur unzureichend im Körper verteilt hatte, während bei seinem Nachfolger, dem nach einem Pontifikat von nur 33 Tagen verstorbenen Johannes Paul I. (1912–1978) Gerüchte aufkamen, mit der raschen Einbalsamierung unmittelbar nach seinem Tode sollten die Spuren eines möglichen Gewaltverbrechens verdeckt werden. Ganz anders der Leichnam des Papstes Johannes XXIII. (*1881, Pontifikat 1958–1963), dessen Körper sich, ebenfalls auf die oben beschriebene Weise 4.07 Wunn 2 14.06.2007 10:18 Uhr Seite 2 · INA WUNN konserviert, bei einer Inspektion noch 37 Jahre nach seiner Beisetzung in der päpstlichen Krypta als nahezu unverändert erwies (Abb. 2). Nachdem der wegen seiner menschlichen Wärme und seiner kirchenpolitischen Leistungen gleichermaßen hoch verehrte Johannes von Papst Johannes Paul II. im Jahre 2000 selig gesprochen worden war, entschloss man sich, den Toten nunmehr umzubetten. Im Rahmen eines pompösen Festaktes wurde er am Pfingstsonntag 2003 den zu Tausenden versammelten Gläubigen noch einmal in einem eigens angefertigten Sarg aus Kristall gezeigt, bevor er, nur leicht durch eine dünne Wachsmaske geschönt, seine vorläufig letzte Ruhestätte unter dem Altar des Heiligen Hieronymus am vorderen rechten Vierungspfeiler des Petersdoms fand. Nicht nur herausragende Ereignisse wie die Umbettung des unverwesten und damit im Geruch der Heiligkeit stehenden Johannes XXIII., sondern jede Konservierung und anschließende Aufbahrung eines päpstliche Leichnams sollte vor allem Öffentlichkeit ermöglichen und stand damit im Dienste der Selbstdarstellung des Vatikans und seiner Repräsentanten. Diese konnten sich auf diese Weise noch im Tode in der Fülle ihrer Macht und ihres Prunks zeigen und damit sowohl die Institution als auch das Amt stärken. Bevor moderne medizinische Methoden der Konservierung in den Vatikan Einzug gehalten hatten, bediente man sich bei den Versuchen, die päpstlichen Leichname haltbar zu machen, altüberlieferter Techniken, die sich kaum von denen im Alten Ägypten üblichen unterschieden. Nachdem man den Verstorbenen die leicht verweslichen inneren Organe entnommen hatte, balsamierte man den Körper mit Essigsäure, mancherlei Kräutertinkturen und Harzen, bevor er aufgebahrt und dann in der Krypta zur letzten Ruhe gebettet wurde. Die Organe erwartete ein anderes Schicksal: Sie wurden in der Kirche Tre Fontane, früher St. Vinzenz und Anastasius am römischen Trevibrunnen aufbewahrt, wo sie bis heute als Reliquien verehrt werden. Erst unter Pius X. (Pontifikat 1903– 1914) wurde die Organentnahme abgeschafft, so dass der Wunsch vieler polnischer Katholiken, das Herz des in Polen als Karol Wojtyla geborenen Johannes Paul II. in Krakau beisetzen zu dürfen, unerfüllt blieb. Abb. 3 Die Schädelgruft, Teil der Kapuzinergruft in Rom. 4.07 Wunn 14.06.2007 10:18 Uhr Seite 3 MUMIEN IN KLÖSTERN UND KIRCHEN · Abb. 4 Katakomben des Kapuzinerkonvents von Palermo auf Sizilien. Transport und letzte Verpflichtungen Nicht nur der Drang nach Repräsentation und Machtdemonstration, kurz, die Selbstdarstellung einer Institution oder einer Herrscherdynastie, waren und sind Gründe, die Leichname herausragender Verstorbener einer konservierenden Behandlung zu unterziehen, und nicht immer sind Einbalsamierung oder Mumifizierung die Methoden der Wahl. Häufig machten ganz profane Gründe in Zusammenhang mit einem bestimmten weltanschaulichen Hintergrund die Konservierung eines Leichnams notwendig, wenn nämlich ein Herrscher auf einem Kreuzzug oder während eines Krieges starb und mit unzulänglichen, das heißt auch langsamen Transportmitteln zu seiner endgültigen Ruhestätte überführt werden musste. Berühmt wurde in diesem Zusammenhang der Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa (*1122, Kaiser 1155–1190), der während des Dritten Kreuzzuges im Fluss Saleph in Anatolien ertrank. Der Leichnam sollte, nachdem man versucht hatte, ihn mit Essig haltbar zu machen, in Jerusalem, der Heiligen Stadt, beigesetzt werden. Da sich diese Konservierungsmethode im heißen anatolischen Sommer jedoch als völlig unzureichend erwies, sah man sich gezwungen, den Körper so zu präparieren, dass er sich transportieren ließ. Dazu wählte man eine Methode, die weniger dem Bedürfnis nach Erhaltung des status quo, als vielmehr dem nach Reduzierung entsprach, indem man den Körper zunächst ganz wie Wildbret ausweidete, dann zerleg- 3 te und zum Schluss abkochte, um die edlen Teile, die Knochen, vom Fleisch zu trennen und rein zu erhalten. Nachdem man Überlegungen angestellt hatte, ob man auch Fleisch und Eingeweide bestatten müsse, entschied man sich für folgendes Procedere: Die Überreste des legendären Herrschers fanden nach entsprechender Prozedur getrennte letzte Ruhestätten. Während das Fleisch des Kaisers in der Peterskirche in Antiochia, heute Syrien, beigesetzt wurde, liegen seine Knochen in der Kathedrale von Tyros, heute Libanon, Herz und Eingeweide in Tarsos, heute Südosttürkei. Es waren letztlich diese von technischen Notwendigkeiten diktierten Praktiken, die zu der bis heute gepflegten Sitte der Herzbestattung führten. Christliche Teilbestattungen entspringen aber keineswegs immer dem Wunsch, Transportprobleme zu meistern und sind auch keine abstruse, auf das uns heute so fremde Mittelalter beschränkte Sitte. So ließen sich die Habsburger, Könige Österreich-Ungarns und Deutsche Kaiser, über viele Generationen in der so genannten Kapuzinergruft, der Familiengrablege der Habsburger unter der Kapuzinerkirche am Neuen Markt in Wien, bestatten. Die Gründung dieser Gruft geht auf ein Testament der Kaiserin Anna (1585–1618) von 1618 zurück, in dem sie den Bau veranlasste. Nach elf Jahren Bauzeit wurden die Särge der Kaiserin Anna und ihres Mannes, des Kaisers Matthias (1557–1619), 1633 in die Gruft überführt. Nachdem die Gruft zum ersten Mal unter Ferdinand III. (*1608, Kaiser 1637–1657) und anschließend noch sieben weitere Male erweitert worden war, fanden insgesamt zwölf Kaiser, 19 Kaiserinnen und zahlreiche Familienangehörige des Hauses Habsburg dort ihre letzte Ruhestätte. Allerdings beherbergt die Gruft nur den ausgeweideten und einbalsamierten Körper der Verstorbenen, während das Herz meist in der so genannten Herzgruft der Augustinerkirche und die Eingeweide im Stephansdom bestattet wurden. Als bislang letztes Mitglied des Kaiserhauses ließ sich Zita von Bourbon-Parma, Frau des letzten Kaisers, Karl I. (1887–1922) 1989 in der Kapuzinergruft beisetzen, während ihr Herz ebenso wie das ihres Mannes und weiterer Habsburger im Kloster Muri in der Schweiz ruht. Dieses im Jahre 1027 im Kanton Aargau von Radbot von Habsburg gegründete Kloster stand bis 1415 unter der Schutzhoheit der Habsburger, behielt aber auch nach der Übernahme durch die Eidgenossen und einer wechselvollen Klostergeschichte zwischen höchster Blüte und Auflösung die engen Beziehungen zum Hause des Stifters bei. Auch Karl I., dessen progressive Sozialpolitik und Fürsorge für die österreichisch-ungarischen Truppen sowie Bemühungen um humane Kriegsführung und einen raschen Friedensschluss im Ersten Weltkrieg zu seiner Seligsprechung führten, hat den Kontakt zu Muri gepflegt. Als er nach kurzem Exil in der Schweiz und auf der Insel Madeira bereits 1922 an einer Lun- 4.07 Wunn 4 14.06.2007 10:19 Uhr Seite 4 · INA WUNN genentzündung starb, wurde der Körper des ehemaligen Kaisers, der niemals formal abgedankt hatte, in der Kirche Nossa Senhora do Monte in Funchal bestattet, da man selbst der Leiche die Rückkehr in ihre ehemalige Heimat verweigerte. Sein Herz fand seine letzte Ruhestätte im Kloster Muri, das immerhin als altes, legitimes Habsburgerbegräbnis gelten konnte und gerade diejenige dynastische Kontinuität demonstrierte, die in der Heimat mit der Verweigerung des Begräbnisses in der Kapuzinergruft unterbunden werden sollte. Der schöne Tod für Jedermann Wenn es nach dem oben Gesagten so aussieht, als sei die Konservierung des Körpers ein Vorrecht der Päpste, Kaiser und Könige gewesen, ist dies nur für das Mittelalter richtig. Zu bestimmten Zeiten war der Brauch, den Körper nach dem Tode zu konservieren, unter den Reichen und Vornehmen Europas weit verbreitet, glaubte man doch bis in das Mittelalter an eine baldige Auferstehung, für die man den Leib so schön und so unversehrt wie möglich erhalten wollte (Meyer 2000, S. 202). Nachdem das Konservieren des Leichnams zunächst wegen langer Überführungszeiten eine reine und häufig unappetitliche Notwendigkeit gewesen war, erforderten ab dem 14. Jahrhundert die zunehmend aufwendigen und langwierigen Bestattungszeremonien ganz neue Fertigkeiten auf dem Gebiet der Leichenpräparierung. Vorreiter waren auch hier die Könige, die unmittelbar nach Eintritt des Todes einbalsamiert und dann, mit allen Insignien der Macht und des Reichtums ausgestattet, öffentlich aufgebahrt wurden, und zwar in eben dem Raum, in dem gleichzeitig ein Bankett zu ihren Ehren stattfand. Der Prunk und Pomp der Königsbegräbnisse wurde bald vom höheren Adel und Klerus allgemein nachgeahmt, und damit einher ging notwendigerweise die entsprechende Präparierung des Körpers, die das Öffnen des Leichnams und die Organentnahme einschloss. Gerade diese, ein wirkungsvoller Schritt, um die Verwesung hinauszuzögern, musste besonders schnell vorgenommen werden, um eine Veränderung des Leichnams zu verhindern. Manchmal erfolgte der entscheidende Schnitt wohl zu schnell, anders lassen sich die zahlreichen Testamente kaum erklären, in denen inständig darum gebeten wurde, den Körper Abb. 5 Katakomben des Kapuzinerkonvents von Palermo auf Sizilien. 4.07 Wunn 14.06.2007 10:19 Uhr Seite 5 MUMIEN IN KLÖSTERN UND KIRCHEN · nach dem Tode nicht zu öffnen (Aries 1980, S. 462). Im siebzehnten Jahrhundert muss zumindest innerhalb der französischen Aristokratie das Einbalsamieren allgemein üblich gewesen sein; ebenso die getrennte Bestattung von Körper und Herz. Gelegentlich gibt es hierzu von den Verstorbenen genaue testamentarische Anweisungen: dass nach dem Tode das Herz entnommen und in einer bestimmten Kapelle begraben werden solle, während der Körper nach einer gewissen Aufbahrungszeit in einem Kloster oder einer Kirche, dem oder der man sich zu Lebzeiten verbunden gefühlt hatte, zuletzt in die heimische Gruft auf dem eigenen Landsitz überführt werde. Platzersparnis und Endgültigkeit Wenn durch diese Praktiken die endgültige Beisetzung des Verstorbenen auch oft lange hinausgezögert wurde, handelt es sich dennoch nicht um ein Sekundärbegräbnis im eigentlichen Sinne, denn im Christentum, vor allem im Mittelalter und der frühen Neuzeit, wurde ein für alle Mal beerdigt. Ausnahmen Abb. 6 Katakomben des Kapuzinerkonvents von Palermo auf Sizilien. 5 waren die Überführung von Reliquien der Heiligen oder aber notwendige Reaktionen auf die Überbelegung von Gräberfeldern: Um den auf den Friedhöfen herrschenden Platzmangel zu bewältigen, war in manchen Gegenden der Brauch bekannt, die Knochen von bereits lange zuvor Verstorbenen auszugraben und, in Beinhäusern sorgfältig sortiert, die Schädel gelegentlich auch beschriftet und mit Namen, Geburts- und Sterbedatum versehen, aufzuschichten. Ab dem siebzehnten Jahrhundert kam dann jedoch der neue Brauch auf, in zwei Etappen zu bestatten. Auf der Mittelmeerinsel Malta wurden zum Beispiel die Bedeutenden unter den Ordensrittern zunächst in einem vorläufigen Grab in der Krypta ihrer Kirche beigesetzt, wo ihre Überreste langsam trockneten oder eben doch verfaulten, bis man sie nach frühestens einem Jahr an ihre endgültige Ruhestätte in eine Kapelle der Kirche überführte. Vergleichbares war auch Sitte im spanischen Königshaus. Im Escorial gibt es einen Raum, der nur der Vorbereitung der königlichen Toten diente, die zunächst in eine kleine Nische eingemauert wurden, bevor der endgültig konservierte, das heißt nun mumifizierte und sich nicht mehr verändernde Leichnam in einer ähnli- 4.07 Wunn 6 14.06.2007 10:19 Uhr Seite 6 · INA WUNN chen, aber nun offenen Nische zur letzten Ruhe gebettet wurde (Ariès 1980, S. 488). Gerade diese Sitte, nämlich die der Mumifizierung, blieb nicht auf Regenten und den höheren Adel und den Klerus beschränkt, und es gab Klöster, deren Mönche für ihre Fähigkeit, Leichen vor der Verwesung zu bewahren, geradezu berühmt waren. Ein solcher Ort, beschrieben zu Beginn des 18. Jahrhunderts, war eine Franziskanerkirche in Toulouse, in deren Beinhaus mumifizierte Leichen aufbewahrt wurden. Ihren guten Erhaltungszustand verdankten die Toten einer mehrstufigen Bestattungstechnik: Zunächst wurden die Verstorbenen in einer bestimmten „das Fleisch verzehrenden“ Erde begraben, dann exhumiert und im Kirchturm in der dort zirkulierenden Luft getrocknet. Die so konservierten Toten wurden zuletzt, mit säuberlichen Inschriften versehen, in einer Art Beinhaus gelagert, wo man sie auch gern dem interessierten Publikum zeigte. Besonders berühmt für ihre Mumifizierungen wurden die Kapuziner, deren Name bereits in Zusammenhang mit dem habsburgischen Erbbegräbnis fiel. In Rom hatten Mönche dieses von den Franziskanern abstammenden Ordens im 17. Jahrhundert eine Kirche in der Nähe des Palastes der Barberini erbaut, in deren zugehöriger Gruft sie zunächst die verstorbe- nen Mönche, dann aber auch die Armen der Stadt beisetzten (Abb. 3). Während sich die meisten der Toten mit einem Platz zwischen den aufgestapelten Gebeinen begnügen mussten, blieb die Mumifizierung einschließlich der Bestattung in Kutte und Strick solchen Mönchen vorbehalten, die zu Lebzeiten im Rufe der Heiligkeit gestanden hatten. Die eindrucksvollen Räumlichkeiten, die den Mönchen nicht nur als Begräbnisstätte, sondern auch als Andachts- und Meditationsraum dienten, wurden vom 18. bis zum 19. Jahrhundert gründlich umgestaltet, so dass sich die nach dekorativen Gesichtspunkten sortierten und gestapelten Gebeine zusammen mit Wandornamenten und ausgestellten Mumien zu einem Gesamtkunstwerk fügen, dessen Sinn das Memento mori sein soll. Aus heutiger ökonomischer Warte wird nicht bedauert, dass das eigenwillige Arrangement von Knochen und Mumien zur Attraktivität der Kirche für Touristen beiträgt. Natürliche Mumifizierung Vergleichbare Katakomben der Kapuziner gibt es in Palermo, wo sie heute ebenfalls zum touristischen Pflichtprogramm gehören (Abb. 4, Abb. 5, Abb. 6). Hier hatten im Jahre 1534 Kapuzinermönche vor den Toren der Stadt ein Kloster errichtet, das gleichzeitig als Grablege für die verstorbenen Brüder diente. Schon bald wurde jedoch der Raum knapp, und eine erste Erweiterung stand an. Als man im Zuge dieser Erweiterung die Leichen in die neuen Gewölbe überführen wollte, stellte man voller Erstaunen fest, dass sich die Toten in Trockenmumien verwandelt hatten. Während es sich bis dahin um eine natürliche Mumifizierung gehandelt hatte, machte der zunehmende Andrang auch von frommen Laien auf die Begräbnisstätte der Kapuziner ein künstliches Mumifizieren unumgänglich (Abb. 7). Die Mönche entwickelten daher Techniken, um die Leichen innerhalb kurzer Zeit zu trocknen und haltbar zu machen. Dies geschah, indem man die Verstorbenen zunächst in gut durchlüfteten Räumen trocknen ließ, bevor man sie zur endgültigen Konservierung mit Kreide und Arsen bestäubte, um sie zuletzt entlang der Korridore aufzustellen. Die Kapuziner Palermos verdanken ihren Zustand also nicht zuletzt natürlichen Umständen: einer gut zirkulierenden Belüftung und einem geeigneten Mikroklima, in dem der Körper nicht verwest, sondern vielmehr durch Trocknung haltbar gemacht wird, ganz ähnlich, wie man Trockenkonserven von Fleisch herstellt. Nicht immer ist eine solche Konservierung beabsichtigt, sondern erweist sich manchmal eher zufällig als eine Eigenschaft des Ortes, so auch bei der St. Michaeler Gruft der Salvatorianer in Wien (Rainer 2005) in unmittelbarer Nähe der kaiserlichen Kapu- Abb. 7 Kindermumie der Rosalia Lombardo in den Katakomben des Kapuzinerkonvents von Palermo auf Sizilien. Sie starb 1920 an Spanischem Fieber und wurde von dem Chemiker Dr. Solafia konserviert. 4.07 Wunn 14.06.2007 10:19 Uhr Seite 7 MUMIEN IN KLÖSTERN UND KIRCHEN · Abb. 8 Die heilige Virginia Centurione Bracelli in ihrem gläsernen Sarg im Dom zu Genua. zinergruft, in der der Wiener Adel seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Bei diesen Bestattungen handelt es sich um ganz normale Beisetzungen im Inneren einer Kirche, eine Praxis, der sich die Kurie zwar immer widersetzt und der sie in zahlreichen Erlassen widersprochen hatte, der sie jedoch nicht Einhalt gebieten konnte. Der Drang, ad sanctos, in der Nähe der Reliquien der Heiligen, bestattet zu werden, war übermächtig und hatte sich europaweit durchgesetzt. So wurde auch die aus dem 13. Jahrhundert stammende Michaelerkirche, die zusammen mit der Augustinerkirche einmal zweite Hofkirche der Habsburger gewesen war, zu einer begehrten und kostspieligen Grablege der Reichen und Vornehmen. Nicht nur die südlichen Gefilde, auch das nördlichere Europa hat seine berühmten Kirchenmumien aufzuweisen. Eine der bedeutendsten – zumindest aus der Warte deutscher Geschichtsschreibung – befindet sich in der Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg. Dieses Denkmal hochromanischer Baukunst, den Heiligen Dionysius und Servatius geweiht, erlebte seine erste Bauphase ab 997 bis 1021. In seiner Krypta ruhen die auf natürliche Weise mumifizierten Leichname König Heinrichs I. (Heinrich, der Vogler; um 875–936) und seiner Frau Mathilde (895–968), während in einem noch unterhalb der Krypta befindlichen Raum die Särge von Äbtissinen der Quedlinburger Abtei, der Aurora von Königsmarck, der Geliebten Augusts des Starken von Sachsen, und weiterer adliger Damen eine letzte Heimstatt gefunden haben. Obwohl die Bestattung in Kirchen, Klöstern oder gar in Domen das Vorrecht von Adel, Klerus und reichen Stiftern gewesen war, verirrten sich gelegentlich auch solche Leichen in eine Krypta, die als Lebende eher unbedeutend gewesen waren. Hervorragendes und weit über regionale Grenzen bekanntes Beispiel ist der Bleikeller des St. Petri-Domes zu Bremen, in dessen dunklen Gewölben mehrere Mumien zu besichtigen waren, die eine der Attraktionen des Domes darstellten. Die Anziehungskraft, die diese auf natürliche Weise vor der Verwesung bewahrten Toten auf Besucher ausübt, ist trotz der Verlegung von der Krypta in einen Nebenraum im Jahre 1822 seit Jahrhunderten ungebrochen. Bereits der Reisende Zacharias Conrad von Uffenbach berichtete 1753 von einem „Gewölbe unter dem Dom, welches eben die Craft hat, die Cörper unverweßlich zu erhalten“ (Tacke 1985, S. 6). Die Attraktivität der Mumien ist nicht nur auf ihren ausgezeichneten Erhaltungszustand zurückzuführen, sondern auch auf die Geschichten, die sich inzwischen um jeden Toten ranken, der im Bleikeller seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Da ist zunächst ein angeblicher Dachdecker, der um 1450 durch einen Sturz ums Leben kam und dessen Leiche erst Jahre später in mumifizierten Zustand gefunden worden sein soll, 7 wodurch man auf die besonderen Eigenschaften des Kellers aufmerksam wurde. Dann gibt es eine englische Lady, deren ausschweifendes Leben schließlich zu ihrem Tod an Syphilis geführt haben soll, einen angeblichen schwedischen General, einen englischen Major, dessen Adjutanten und einen im Duell umgekommenen Studenten, einen Tagelöhner und, das letzte aller Rätsel, einen leeren Prunksarg. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich allerdings um weniger illustre Persönlichkeiten: Der angebliche Dachdecker kam nicht durch einen Sturz, sondern in Folge einer Schussverletzung ums Leben, so dass es sich vermutlich um einen Soldaten handelt, der bei der Verteidigung der Stadt Bremen gegen die Schweden irgendwann zwischen 1653 und 1666 zu Tode gekommen ist. Bei dem schwedischen General handelt es sich vermutlich um den Pommerschen Obris- 4.07 Wunn 8 14.06.2007 10:19 Uhr Seite 8 · INA WUNN ten Gregor von Winsen, der in schwedischen Diensten stand und eines natürlichen Todes starb, bei seinem angeblichen Adjutanten um einen bei Kampfhandlungen umgekommenen Soldaten, und bei dem im Duell gestorbenen Studenten können keine gewaltsamen Verletzungen festgestellt werden. Eindeutig identifiziert sind der englische Major und eine Dame: es handelt sich um den Kanzler in schwedischen Diensten Bernhard von Engelbrechten und seine Frau Maria, die letztlich auch ihr und ihres Mannes Begräbnis im so genannten Erskineschen Gewölbe des Bremer Doms durchsetzte. In losem Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg, der die Krypta des Bremer Domes füllte, noch ein besonders abstruser Fall: 1634 verstarb im gleichen Kriege der französische Offizier Graf d’Arcourd an den Folgen einer Kopfverletzung oder der anschließenden Trepanation. Der Mediziner, der den Grafen so erfolglos behandelt hatte, trennte daraufhin den Kopf vom Rumpf, entfernte das Gehirn und mumifizierte die Überreste durch Räuchern, um die Kopfmumie an die Geliebte des Grafen als Erinnerungsstück zu verkaufen. Da die Dame jedoch inzwischen einen sehr lebendigen Ersatz für den toten Geliebten gefunden hatte, wurde aus dem Geschäft nichts. Heute ruht der Kopf nach einigen Irrfahrten in der anthropologischen Sammlung des Wiener Naturhistorischen Museums (Ráček 1985, S. 49). Unverweslichkeit als Eigenschaft der Heiligen und Seligen Papst Johannes XXIII. ist beredtes Beispiel für eine dem Gläubigen nur allzu offensichtliche Tatsache: Heilige verwesen nicht! So auch Virginia Centurione, deren unverwester Leichnam von Arbeitern 1801 in ihrem Grab unter dem Boden des ehemaligen Klosters der Heiligen Clara Carignano in Piemont in Italien gefunden wurde (Abb. 8). 150 Jahre hatte der Leichnam der 1587 geborenen, früh verheirateten und verwitweten Adligen unverändert in der Erde gelegen. Virginia Centurione hatte nach ihrer kurzen und unglücklichen Ehe die Wiederverheiratung verweigert und widmete sich nach einer Vision zunächst der Fürsorge für Galeerensträflinge. Nach einer weiteren Vision erkannte sie als ihre zukünftige Aufgabe, sich um verlassene und notleidende Mädchen zu kümmern, für die sie das Kloster vom Kalvarienberg mietete, um hier für ihre Schutzbefohlenen das Heim und Kloster „Unsere Liebe Frau von der Zuflucht am Kalvarienberg“ einzurichten. Zwei weitere Häuser entstanden im Laufe der Jahre mit der finanziellen Hilfe von Unterstützern, darunter ihrem Schwiegersohn, der sich intensiv für ihr Werk engagierte. Trotz ihrer adligen Herkunft lebte die Stifterin selbst ganz bescheiden in einem dürftigen Zimmerchen, in dem sie auf einigen über Böcke gelegten Brettern schlief. 1651 starb Virginia Centurione und hinterließ einen Schwesternorden, dessen Mitglieder sich in Krankenund Armenhäusern engagierten. Am 22. September 1985 sprach Johannes Paul II. Virginia Centurione selig; 2003 erfolgte die Heiligsprechung. Zu den unversehrten Heiligen gehört auch Bernadette Soubirous (1844–1879), die als Tochter eines Müllers in Lourdes in den Pyrenäen in ärmlichsten Verhältnissen aufwuchs. An einem kalten Februartag im Jahre 1858 erschien dem kränklichen und körperlich wie geistig zurückgebliebenen Kind eine weiße Frauengestalt, die sich bei einer weiteren Erscheinung als „Unbefleckte Empfängnis“ zu erkennen gab; ein Ausdruck, den die ungebildete Bernadette nicht kennen konnte, denn das entsprechende, von Papst Pius vier Jahre zuvor verkündete Dogma war nur Geistlichen und Gebildeten bekannt. Von der Echtheit der Visionen überzeugt, fand Bernadette daraufhin die Unterstützung des örtlichen Paters und geistlicher Kreise, die ihr die Aufnahme in ein Kloster in Nevers ermöglichten. Von den dortigen Schwestern beneidet und angefeindet, starb sie im Alter von 35 Jahren an ihrem Asthma oder an Knochentuberkulose. Nachdem bei einer ersten Exhumierung 1909 ihr Leichnam völlig unverwest aufgefunden wurde, setzte man ihn anlässlich ihrer Seligsprechung 1925 in einem gläsernen Sarg bei, in dem sie noch immer unverändert ruht (Abb. 9). Literatur Ariès, P., Geschichte des Todes, München, Wien 1980 Babendererde, C., Sterben, Tod, Begräbnis und Liturgisches Gedächtnis bei weltlichen Reichsfürsten des Spätmittelalters, Ostfildern 2006 Abb. 9 Die heilige Bernadette von Lourdes in ihrem gläsernen Schrein in der Kirche St. Gilard in Nevers. 4.07 Wunn 14.06.2007 10:19 Uhr Seite 9 MUMIEN IN KLÖSTERN UND KIRCHEN · Bahr, W., Tote auf Reisen. Ein makabrer Reisebegleiter, St. Pölten, Wien, Linz 2000 Dondelinger, P., Die Visionen der Bernadette Soubirous und der Beginn der Wunderheilungen in Lourdes, Regensburg 2003 Fischer, N., Geschichte des Todes in der Neuzeit, Erfurt 2001 Hengerer, M. (Hrsg.), Macht und Memoria. Begräbniskultur europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit, Köln, Weimar, Wien 2005 9 Spindler, K. / Wilfing, H. / Rastbichler-Zissernig, E. / Nedden, D. z. / Nothdurfter, H. (Hrsg.), Human Mummies. A Survey of their Status and the Techniques of Conservation, Wien, New York 1996 Tacke, W., Der Bleikeller im Bremer Dom, oder der Dachdecker, der kein Dachdecker war, Bremen 1985 Uden, R., Wohin mit den Toten? Totenwürde zwischen Entsorgung und Ewigkeit, Gütersloh 2006 Lazzarini, A., Johannes Paul I. Der Papst eines neuen Morgens, Freiburg Basel Wien 1978 Mathieu-Rosay, J., Die Päpste im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2005 Meyer, R. J., Königs- und Kaiserbegräbnisse im Spätmittelalter. Von Rudolf von Habsburg bis zu Friedrich III., Köln, Weimar, Wien 2000 Ráček, M., Die nicht zu Erde wurden … Kulturgeschichte der konservierenden Bestattungsformen, Wien, Köln, Graz 1985 Rainer, A., Melange und Zuckerlskelett. Ein Streifzug durch das ober- und unterirdische Wien, Wien 2005 Abbildungsnachweis Abb. 1 Photo: Mit freundlicher Genehmigung der Altkatholischen Gemeinde Mannheim Abb. 2, 3, 7, 8, 9 Photos: Wikipedia, GNUFDL Abb. 4, 5, 6 Photos: Mit freundlicher Genehmigung der Soprintendenza per i Beni Culturali ed Ambientali, Servizio per i Beni Architettonici, Regione Scicilana, Italien 4.07 Wunn 14.06.2007 10:19 Uhr Seite 10