Mumien in Klöstern und Kirchen

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Mumien in Klöstern und Kirchen
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Mumien in Klöstern und Kirchen
– Mönche, Päpste und Fürsten
Der inszenierte Tod
Abb. 2
Papst Johannes XXIII. in seinem
gläsernen Sarg im Petersdom
in Rom.
Papst Johannes Paul II., Medienstar par excellence,
inszenierte einen letzten, ganz großen Auftritt da, wo
andere von der Bühne abtreten – zum Zeitpunkt
seines Todes. Nicht nur das mühsame Sterben des
Oberhauptes der Katholischen Kirche wurde als
öffentliches Ereignis zelebriert, auch nach seinem
Tode wurde mit der Aufbahrung und dem anschließenden gigantischen Leichenbegängnis an dem
Mythos eines Mannes gearbeitet, der seine Kirche wie
kaum ein anderer über die Vermarktung seiner Person
in den Mittelpunkt des Interesses einer ansonsten
säkularisierten Öffentlichkeit gerückt hatte. Damit
geriet gleichzeitig ein bis heute geübtes Brauchtum
der katholischen Kirche in den Fokus der Aufmerk-
samkeit: Die verstorbenen Päpste werden einbalsamiert, dann öffentlich aufgebahrt und zuletzt in der
päpstlichen Krypta beigesetzt. Doch auch hier finden
sie nicht ihre endgültige Ruhe. Bei regelmäßigen
Inspektionen wird der Zustand der Särge und der
Leichname überprüft, und wenn Besonderheiten vorliegen, wird gehandelt – doch davon später.
Zunächst zurück zu Johannes Paul II. Hier stand die
Anwendung einer bestimmten, seit vielen Jahrzehnten
praktizierten Methode der Konservierung zur Diskussion, bei der zunächst durch das Öffnen mehrerer
Hauptschlagadern das Blut aus dem Körper entfernt
und anschließend eine Formaldehydlösung injiziert
wird. Diese sorgt letztlich dafür, dass der Verwesungsprozess zwar nicht endgültig verhindert, aber doch
zumindest merklich herausgezögert wird. Um diese
Behandlung menschlicher Leichname post mortem
hat sich im Laufe der Jahrhunderte ein regelrechtes
Gewerbe entwickelt, und so stand auch beim Tode
des Papstes ein Fachmann aus dem Kreise einer seit
Generationen auf die Einbalsamierung spezialisierten
Familie zur Verfügung, um genau wie beim Tode der
vorigen Päpste seines Amtes zu walten. Unerwartet
entschloss sich die Kurie jedoch, auf die Konservierung des Leichnams Johannes Paul II. zu verzichten.
Über die Gründe für diese Unterlassung wurde viel
spekuliert: möglicherweise spielte eine Rolle, dass es
beim Tode der beiden Amtsvorgänger des verstorbenen Papstes heftige Diskussionen gegeben hatte: Der
Leichnam des Papstes Paul VI. (*1897, Pontifikat
1963–1978), der im heißen Sommer 1978 verstorben
war, wies trotz der Präparation bereits zwei Tage nach
dem Tode deutliche Anzeichen der Verwesung auf,
weil sich das Formaldehyd nur unzureichend im
Körper verteilt hatte, während bei seinem Nachfolger,
dem nach einem Pontifikat von nur 33 Tagen verstorbenen Johannes Paul I. (1912–1978) Gerüchte aufkamen, mit der raschen Einbalsamierung unmittelbar
nach seinem Tode sollten die Spuren eines möglichen
Gewaltverbrechens verdeckt werden.
Ganz anders der Leichnam des Papstes Johannes
XXIII. (*1881, Pontifikat 1958–1963), dessen Körper
sich, ebenfalls auf die oben beschriebene Weise
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konserviert, bei einer Inspektion noch 37 Jahre nach
seiner Beisetzung in der päpstlichen Krypta als nahezu unverändert erwies (Abb. 2). Nachdem der wegen
seiner menschlichen Wärme und seiner kirchenpolitischen Leistungen gleichermaßen hoch verehrte
Johannes von Papst Johannes Paul II. im Jahre 2000
selig gesprochen worden war, entschloss man sich,
den Toten nunmehr umzubetten. Im Rahmen eines
pompösen Festaktes wurde er am Pfingstsonntag 2003
den zu Tausenden versammelten Gläubigen noch einmal in einem eigens angefertigten Sarg aus Kristall
gezeigt, bevor er, nur leicht durch eine dünne Wachsmaske geschönt, seine vorläufig letzte Ruhestätte
unter dem Altar des Heiligen Hieronymus am vorderen rechten Vierungspfeiler des Petersdoms fand.
Nicht nur herausragende Ereignisse wie die Umbettung des unverwesten und damit im Geruch der Heiligkeit stehenden Johannes XXIII., sondern jede Konservierung und anschließende Aufbahrung eines
päpstliche Leichnams sollte vor allem Öffentlichkeit
ermöglichen und stand damit im Dienste der Selbstdarstellung des Vatikans und seiner Repräsentanten.
Diese konnten sich auf diese Weise noch im Tode in
der Fülle ihrer Macht und ihres Prunks zeigen und
damit sowohl die Institution als auch das Amt stärken.
Bevor moderne medizinische Methoden der Konservierung in den Vatikan Einzug gehalten hatten,
bediente man sich bei den Versuchen, die päpstlichen
Leichname haltbar zu machen, altüberlieferter Techniken, die sich kaum von denen im Alten Ägypten üblichen unterschieden. Nachdem man den Verstorbenen die leicht verweslichen inneren Organe entnommen hatte, balsamierte man den Körper mit Essigsäure, mancherlei Kräutertinkturen und Harzen, bevor er
aufgebahrt und dann in der Krypta zur letzten Ruhe
gebettet wurde. Die Organe erwartete ein anderes
Schicksal: Sie wurden in der Kirche Tre Fontane,
früher St. Vinzenz und Anastasius am römischen Trevibrunnen aufbewahrt, wo sie bis heute als Reliquien
verehrt werden. Erst unter Pius X. (Pontifikat 1903–
1914) wurde die Organentnahme abgeschafft, so dass
der Wunsch vieler polnischer Katholiken, das Herz
des in Polen als Karol Wojtyla geborenen Johannes
Paul II. in Krakau beisetzen zu dürfen, unerfüllt blieb.
Abb. 3
Die Schädelgruft, Teil der
Kapuzinergruft in Rom.
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Katakomben des Kapuzinerkonvents von Palermo auf
Sizilien.
Transport und letzte Verpflichtungen
Nicht nur der Drang nach Repräsentation und Machtdemonstration, kurz, die Selbstdarstellung einer Institution oder einer Herrscherdynastie, waren und sind
Gründe, die Leichname herausragender Verstorbener
einer konservierenden Behandlung zu unterziehen,
und nicht immer sind Einbalsamierung oder Mumifizierung die Methoden der Wahl. Häufig machten
ganz profane Gründe in Zusammenhang mit einem
bestimmten weltanschaulichen Hintergrund die Konservierung eines Leichnams notwendig, wenn nämlich ein Herrscher auf einem Kreuzzug oder während
eines Krieges starb und mit unzulänglichen, das heißt
auch langsamen Transportmitteln zu seiner endgültigen Ruhestätte überführt werden musste. Berühmt
wurde in diesem Zusammenhang der Stauferkaiser
Friedrich I. Barbarossa (*1122, Kaiser 1155–1190),
der während des Dritten Kreuzzuges im Fluss Saleph
in Anatolien ertrank. Der Leichnam sollte, nachdem
man versucht hatte, ihn mit Essig haltbar zu machen,
in Jerusalem, der Heiligen Stadt, beigesetzt werden.
Da sich diese Konservierungsmethode im heißen
anatolischen Sommer jedoch als völlig unzureichend
erwies, sah man sich gezwungen, den Körper so zu
präparieren, dass er sich transportieren ließ. Dazu
wählte man eine Methode, die weniger dem Bedürfnis nach Erhaltung des status quo, als vielmehr dem
nach Reduzierung entsprach, indem man den Körper
zunächst ganz wie Wildbret ausweidete, dann zerleg-
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te und zum Schluss abkochte, um die edlen Teile, die
Knochen, vom Fleisch zu trennen und rein zu erhalten. Nachdem man Überlegungen angestellt hatte, ob
man auch Fleisch und Eingeweide bestatten müsse,
entschied man sich für folgendes Procedere: Die
Überreste des legendären Herrschers fanden nach
entsprechender Prozedur getrennte letzte Ruhestätten.
Während das Fleisch des Kaisers in der Peterskirche in
Antiochia, heute Syrien, beigesetzt wurde, liegen
seine Knochen in der Kathedrale von Tyros, heute
Libanon, Herz und Eingeweide in Tarsos, heute Südosttürkei. Es waren letztlich diese von technischen
Notwendigkeiten diktierten Praktiken, die zu der bis
heute gepflegten Sitte der Herzbestattung führten.
Christliche Teilbestattungen entspringen aber keineswegs immer dem Wunsch, Transportprobleme zu meistern und sind auch keine abstruse, auf das uns heute
so fremde Mittelalter beschränkte Sitte. So ließen sich
die Habsburger, Könige Österreich-Ungarns und
Deutsche Kaiser, über viele Generationen in der so
genannten Kapuzinergruft, der Familiengrablege der
Habsburger unter der Kapuzinerkirche am Neuen
Markt in Wien, bestatten. Die Gründung dieser Gruft
geht auf ein Testament der Kaiserin Anna (1585–1618)
von 1618 zurück, in dem sie den Bau veranlasste.
Nach elf Jahren Bauzeit wurden die Särge der Kaiserin Anna und ihres Mannes, des Kaisers Matthias
(1557–1619), 1633 in die Gruft überführt. Nachdem
die Gruft zum ersten Mal unter Ferdinand III. (*1608,
Kaiser 1637–1657) und anschließend noch sieben
weitere Male erweitert worden war, fanden insgesamt
zwölf Kaiser, 19 Kaiserinnen und zahlreiche Familienangehörige des Hauses Habsburg dort ihre letzte
Ruhestätte. Allerdings beherbergt die Gruft nur den
ausgeweideten und einbalsamierten Körper der
Verstorbenen, während das Herz meist in der so
genannten Herzgruft der Augustinerkirche und die
Eingeweide im Stephansdom bestattet wurden. Als
bislang letztes Mitglied des Kaiserhauses ließ sich Zita
von Bourbon-Parma, Frau des letzten Kaisers, Karl I.
(1887–1922) 1989 in der Kapuzinergruft beisetzen,
während ihr Herz ebenso wie das ihres Mannes und
weiterer Habsburger im Kloster Muri in der Schweiz
ruht. Dieses im Jahre 1027 im Kanton Aargau von
Radbot von Habsburg gegründete Kloster stand bis
1415 unter der Schutzhoheit der Habsburger, behielt
aber auch nach der Übernahme durch die Eidgenossen und einer wechselvollen Klostergeschichte
zwischen höchster Blüte und Auflösung die engen
Beziehungen zum Hause des Stifters bei.
Auch Karl I., dessen progressive Sozialpolitik und
Fürsorge für die österreichisch-ungarischen Truppen
sowie Bemühungen um humane Kriegsführung und
einen raschen Friedensschluss im Ersten Weltkrieg zu
seiner Seligsprechung führten, hat den Kontakt zu
Muri gepflegt. Als er nach kurzem Exil in der Schweiz
und auf der Insel Madeira bereits 1922 an einer Lun-
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genentzündung starb, wurde der Körper des ehemaligen Kaisers, der niemals formal abgedankt hatte, in
der Kirche Nossa Senhora do Monte in Funchal
bestattet, da man selbst der Leiche die Rückkehr in
ihre ehemalige Heimat verweigerte. Sein Herz fand
seine letzte Ruhestätte im Kloster Muri, das immerhin
als altes, legitimes Habsburgerbegräbnis gelten konnte und gerade diejenige dynastische Kontinuität
demonstrierte, die in der Heimat mit der Verweigerung des Begräbnisses in der Kapuzinergruft unterbunden werden sollte.
Der schöne Tod für Jedermann
Wenn es nach dem oben Gesagten so aussieht, als sei
die Konservierung des Körpers ein Vorrecht der Päpste, Kaiser und Könige gewesen, ist dies nur für das
Mittelalter richtig. Zu bestimmten Zeiten war der
Brauch, den Körper nach dem Tode zu konservieren,
unter den Reichen und Vornehmen Europas weit
verbreitet, glaubte man doch bis in das Mittelalter an
eine baldige Auferstehung, für die man den Leib so
schön und so unversehrt wie möglich erhalten wollte
(Meyer 2000, S. 202). Nachdem das Konservieren des
Leichnams zunächst wegen langer Überführungszeiten eine reine und häufig unappetitliche Notwendigkeit gewesen war, erforderten ab dem 14. Jahrhundert
die zunehmend aufwendigen und langwierigen
Bestattungszeremonien ganz neue Fertigkeiten auf
dem Gebiet der Leichenpräparierung. Vorreiter waren
auch hier die Könige, die unmittelbar nach Eintritt des
Todes einbalsamiert und dann, mit allen Insignien der
Macht und des Reichtums ausgestattet, öffentlich aufgebahrt wurden, und zwar in eben dem Raum, in dem
gleichzeitig ein Bankett zu ihren Ehren stattfand. Der
Prunk und Pomp der Königsbegräbnisse wurde bald
vom höheren Adel und Klerus allgemein nachgeahmt,
und damit einher ging notwendigerweise die entsprechende Präparierung des Körpers, die das Öffnen des
Leichnams und die Organentnahme einschloss. Gerade diese, ein wirkungsvoller Schritt, um die Verwesung hinauszuzögern, musste besonders schnell
vorgenommen werden, um eine Veränderung des
Leichnams zu verhindern. Manchmal erfolgte der entscheidende Schnitt wohl zu schnell, anders lassen
sich die zahlreichen Testamente kaum erklären, in
denen inständig darum gebeten wurde, den Körper
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Sizilien.
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nach dem Tode nicht zu öffnen (Aries 1980, S. 462).
Im siebzehnten Jahrhundert muss zumindest innerhalb der französischen Aristokratie das Einbalsamieren allgemein üblich gewesen sein; ebenso die
getrennte Bestattung von Körper und Herz. Gelegentlich gibt es hierzu von den Verstorbenen genaue testamentarische Anweisungen: dass nach dem Tode das
Herz entnommen und in einer bestimmten Kapelle
begraben werden solle, während der Körper nach
einer gewissen Aufbahrungszeit in einem Kloster oder
einer Kirche, dem oder der man sich zu Lebzeiten
verbunden gefühlt hatte, zuletzt in die heimische
Gruft auf dem eigenen Landsitz überführt werde.
Platzersparnis und Endgültigkeit
Wenn durch diese Praktiken die endgültige Beisetzung des Verstorbenen auch oft lange hinausgezögert wurde, handelt es sich dennoch nicht um ein
Sekundärbegräbnis im eigentlichen Sinne, denn im
Christentum, vor allem im Mittelalter und der frühen
Neuzeit, wurde ein für alle Mal beerdigt. Ausnahmen
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Katakomben des Kapuzinerkonvents von Palermo auf
Sizilien.
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waren die Überführung von Reliquien der Heiligen
oder aber notwendige Reaktionen auf die Überbelegung von Gräberfeldern: Um den auf den Friedhöfen herrschenden Platzmangel zu bewältigen, war
in manchen Gegenden der Brauch bekannt, die
Knochen von bereits lange zuvor Verstorbenen auszugraben und, in Beinhäusern sorgfältig sortiert, die
Schädel gelegentlich auch beschriftet und mit Namen,
Geburts- und Sterbedatum versehen, aufzuschichten.
Ab dem siebzehnten Jahrhundert kam dann jedoch
der neue Brauch auf, in zwei Etappen zu bestatten.
Auf der Mittelmeerinsel Malta wurden zum Beispiel
die Bedeutenden unter den Ordensrittern zunächst in
einem vorläufigen Grab in der Krypta ihrer Kirche beigesetzt, wo ihre Überreste langsam trockneten oder
eben doch verfaulten, bis man sie nach frühestens
einem Jahr an ihre endgültige Ruhestätte in eine
Kapelle der Kirche überführte. Vergleichbares war
auch Sitte im spanischen Königshaus. Im Escorial gibt
es einen Raum, der nur der Vorbereitung der königlichen Toten diente, die zunächst in eine kleine
Nische eingemauert wurden, bevor der endgültig
konservierte, das heißt nun mumifizierte und sich
nicht mehr verändernde Leichnam in einer ähnli-
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chen, aber nun offenen Nische zur letzten Ruhe
gebettet wurde (Ariès 1980, S. 488).
Gerade diese Sitte, nämlich die der Mumifizierung,
blieb nicht auf Regenten und den höheren Adel und
den Klerus beschränkt, und es gab Klöster, deren
Mönche für ihre Fähigkeit, Leichen vor der Verwesung
zu bewahren, geradezu berühmt waren. Ein solcher
Ort, beschrieben zu Beginn des 18. Jahrhunderts, war
eine Franziskanerkirche in Toulouse, in deren Beinhaus mumifizierte Leichen aufbewahrt wurden. Ihren
guten Erhaltungszustand verdankten die Toten einer
mehrstufigen Bestattungstechnik: Zunächst wurden
die Verstorbenen in einer bestimmten „das Fleisch
verzehrenden“ Erde begraben, dann exhumiert und
im Kirchturm in der dort zirkulierenden Luft getrocknet. Die so konservierten Toten wurden zuletzt, mit
säuberlichen Inschriften versehen, in einer Art Beinhaus gelagert, wo man sie auch gern dem interessierten Publikum zeigte.
Besonders berühmt für ihre Mumifizierungen wurden die Kapuziner, deren Name bereits in Zusammenhang mit dem habsburgischen Erbbegräbnis fiel.
In Rom hatten Mönche dieses von den Franziskanern
abstammenden Ordens im 17. Jahrhundert eine
Kirche in der Nähe des Palastes der Barberini erbaut,
in deren zugehöriger Gruft sie zunächst die verstorbe-
nen Mönche, dann aber auch die Armen der Stadt
beisetzten (Abb. 3). Während sich die meisten der
Toten mit einem Platz zwischen den aufgestapelten
Gebeinen begnügen mussten, blieb die Mumifizierung einschließlich der Bestattung in Kutte und Strick
solchen Mönchen vorbehalten, die zu Lebzeiten im
Rufe der Heiligkeit gestanden hatten.
Die eindrucksvollen Räumlichkeiten, die den Mönchen nicht nur als Begräbnisstätte, sondern auch als
Andachts- und Meditationsraum dienten, wurden
vom 18. bis zum 19. Jahrhundert gründlich umgestaltet, so dass sich die nach dekorativen Gesichtspunkten sortierten und gestapelten Gebeine zusammen mit
Wandornamenten und ausgestellten Mumien zu
einem Gesamtkunstwerk fügen, dessen Sinn das
Memento mori sein soll. Aus heutiger ökonomischer
Warte wird nicht bedauert, dass das eigenwillige
Arrangement von Knochen und Mumien zur Attraktivität der Kirche für Touristen beiträgt.
Natürliche Mumifizierung
Vergleichbare Katakomben der Kapuziner gibt es in
Palermo, wo sie heute ebenfalls zum touristischen
Pflichtprogramm gehören (Abb. 4, Abb. 5, Abb. 6).
Hier hatten im Jahre 1534 Kapuzinermönche vor den
Toren der Stadt ein Kloster errichtet, das gleichzeitig
als Grablege für die verstorbenen Brüder diente.
Schon bald wurde jedoch der Raum knapp, und eine
erste Erweiterung stand an. Als man im Zuge dieser
Erweiterung die Leichen in die neuen Gewölbe überführen wollte, stellte man voller Erstaunen fest, dass
sich die Toten in Trockenmumien verwandelt hatten.
Während es sich bis dahin um eine natürliche Mumifizierung gehandelt hatte, machte der zunehmende
Andrang auch von frommen Laien auf die Begräbnisstätte der Kapuziner ein künstliches Mumifizieren
unumgänglich (Abb. 7). Die Mönche entwickelten
daher Techniken, um die Leichen innerhalb kurzer
Zeit zu trocknen und haltbar zu machen. Dies geschah, indem man die Verstorbenen zunächst in gut
durchlüfteten Räumen trocknen ließ, bevor man sie
zur endgültigen Konservierung mit Kreide und Arsen
bestäubte, um sie zuletzt entlang der Korridore aufzustellen. Die Kapuziner Palermos verdanken ihren
Zustand also nicht zuletzt natürlichen Umständen:
einer gut zirkulierenden Belüftung und einem geeigneten Mikroklima, in dem der Körper nicht verwest,
sondern vielmehr durch Trocknung haltbar gemacht
wird, ganz ähnlich, wie man Trockenkonserven von
Fleisch herstellt.
Nicht immer ist eine solche Konservierung beabsichtigt, sondern erweist sich manchmal eher zufällig
als eine Eigenschaft des Ortes, so auch bei der St.
Michaeler Gruft der Salvatorianer in Wien (Rainer
2005) in unmittelbarer Nähe der kaiserlichen Kapu-
Abb. 7
Kindermumie der Rosalia
Lombardo in den Katakomben
des Kapuzinerkonvents von
Palermo auf Sizilien. Sie starb
1920 an Spanischem Fieber
und wurde von dem Chemiker
Dr. Solafia konserviert.
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Die heilige Virginia Centurione
Bracelli in ihrem gläsernen
Sarg im Dom zu Genua.
zinergruft, in der der Wiener Adel seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Bei diesen Bestattungen handelt
es sich um ganz normale Beisetzungen im Inneren
einer Kirche, eine Praxis, der sich die Kurie zwar
immer widersetzt und der sie in zahlreichen Erlassen
widersprochen hatte, der sie jedoch nicht Einhalt
gebieten konnte. Der Drang, ad sanctos, in der Nähe
der Reliquien der Heiligen, bestattet zu werden, war
übermächtig und hatte sich europaweit durchgesetzt.
So wurde auch die aus dem 13. Jahrhundert stammende Michaelerkirche, die zusammen mit der Augustinerkirche einmal zweite Hofkirche der Habsburger
gewesen war, zu einer begehrten und kostspieligen
Grablege der Reichen und Vornehmen.
Nicht nur die südlichen Gefilde, auch das nördlichere Europa hat seine berühmten Kirchenmumien
aufzuweisen. Eine der bedeutendsten – zumindest aus
der Warte deutscher Geschichtsschreibung – befindet
sich in der Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg.
Dieses Denkmal hochromanischer Baukunst, den
Heiligen Dionysius und Servatius geweiht, erlebte
seine erste Bauphase ab 997 bis 1021. In seiner Krypta ruhen die auf natürliche Weise mumifizierten
Leichname König Heinrichs I. (Heinrich, der Vogler;
um 875–936) und seiner Frau Mathilde (895–968),
während in einem noch unterhalb der Krypta befindlichen Raum die Särge von Äbtissinen der Quedlinburger Abtei, der Aurora von Königsmarck, der
Geliebten Augusts des Starken von Sachsen, und weiterer adliger Damen eine letzte Heimstatt gefunden
haben.
Obwohl die Bestattung in Kirchen, Klöstern oder
gar in Domen das Vorrecht von Adel, Klerus und
reichen Stiftern gewesen war, verirrten sich gelegentlich auch solche Leichen in eine Krypta, die als
Lebende eher unbedeutend gewesen waren. Hervorragendes und weit über regionale Grenzen bekanntes
Beispiel ist der Bleikeller des St. Petri-Domes zu
Bremen, in dessen dunklen Gewölben mehrere
Mumien zu besichtigen waren, die eine der Attraktionen des Domes darstellten. Die Anziehungskraft, die
diese auf natürliche Weise vor der Verwesung
bewahrten Toten auf Besucher ausübt, ist trotz der
Verlegung von der Krypta in einen Nebenraum im
Jahre 1822 seit Jahrhunderten ungebrochen. Bereits
der Reisende Zacharias Conrad von Uffenbach
berichtete 1753 von einem „Gewölbe unter dem
Dom, welches eben die Craft hat, die Cörper unverweßlich zu erhalten“ (Tacke 1985, S. 6). Die Attraktivität der Mumien ist nicht nur auf ihren ausgezeichneten Erhaltungszustand zurückzuführen, sondern
auch auf die Geschichten, die sich inzwischen um
jeden Toten ranken, der im Bleikeller seine letzte
Ruhestätte gefunden hat. Da ist zunächst ein angeblicher Dachdecker, der um 1450 durch einen Sturz
ums Leben kam und dessen Leiche erst Jahre später in
mumifizierten Zustand gefunden worden sein soll,
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wodurch man auf die besonderen Eigenschaften des
Kellers aufmerksam wurde. Dann gibt es eine englische Lady, deren ausschweifendes Leben schließlich
zu ihrem Tod an Syphilis geführt haben soll, einen
angeblichen schwedischen General, einen englischen
Major, dessen Adjutanten und einen im Duell umgekommenen Studenten, einen Tagelöhner und, das
letzte aller Rätsel, einen leeren Prunksarg. Bei
genauerem Hinsehen handelt es sich allerdings um
weniger illustre Persönlichkeiten: Der angebliche
Dachdecker kam nicht durch einen Sturz, sondern in
Folge einer Schussverletzung ums Leben, so dass es
sich vermutlich um einen Soldaten handelt, der bei
der Verteidigung der Stadt Bremen gegen die Schweden irgendwann zwischen 1653 und 1666 zu Tode
gekommen ist. Bei dem schwedischen General handelt es sich vermutlich um den Pommerschen Obris-
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ten Gregor von Winsen, der in schwedischen Diensten stand und eines natürlichen Todes starb, bei
seinem angeblichen Adjutanten um einen bei Kampfhandlungen umgekommenen Soldaten, und bei dem
im Duell gestorbenen Studenten können keine
gewaltsamen Verletzungen festgestellt werden. Eindeutig identifiziert sind der englische Major und eine
Dame: es handelt sich um den Kanzler in schwedischen Diensten Bernhard von Engelbrechten und
seine Frau Maria, die letztlich auch ihr und ihres
Mannes Begräbnis im so genannten Erskineschen
Gewölbe des Bremer Doms durchsetzte.
In losem Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen
Krieg, der die Krypta des Bremer Domes füllte, noch
ein besonders abstruser Fall: 1634 verstarb im gleichen Kriege der französische Offizier Graf d’Arcourd
an den Folgen einer Kopfverletzung oder der anschließenden Trepanation. Der Mediziner, der den
Grafen so erfolglos behandelt hatte, trennte daraufhin
den Kopf vom Rumpf, entfernte das Gehirn und
mumifizierte die Überreste durch Räuchern, um die
Kopfmumie an die Geliebte des Grafen als Erinnerungsstück zu verkaufen. Da die Dame jedoch inzwischen einen sehr lebendigen Ersatz für den toten
Geliebten gefunden hatte, wurde aus dem Geschäft
nichts. Heute ruht der Kopf nach einigen Irrfahrten in
der anthropologischen Sammlung des Wiener Naturhistorischen Museums (Ráček 1985, S. 49).
Unverweslichkeit als Eigenschaft
der Heiligen und Seligen
Papst Johannes XXIII. ist beredtes Beispiel für eine
dem Gläubigen nur allzu offensichtliche Tatsache:
Heilige verwesen nicht! So auch Virginia Centurione,
deren unverwester Leichnam von Arbeitern 1801 in
ihrem Grab unter dem Boden des ehemaligen Klosters
der Heiligen Clara Carignano in Piemont in Italien
gefunden wurde (Abb. 8). 150 Jahre hatte der
Leichnam der 1587 geborenen, früh verheirateten
und verwitweten Adligen unverändert in der Erde
gelegen.
Virginia Centurione hatte nach ihrer kurzen und
unglücklichen Ehe die Wiederverheiratung verweigert
und widmete sich nach einer Vision zunächst der
Fürsorge für Galeerensträflinge. Nach einer weiteren
Vision erkannte sie als ihre zukünftige Aufgabe, sich
um verlassene und notleidende Mädchen zu kümmern, für die sie das Kloster vom Kalvarienberg
mietete, um hier für ihre Schutzbefohlenen das Heim
und Kloster „Unsere Liebe Frau von der Zuflucht am
Kalvarienberg“ einzurichten. Zwei weitere Häuser
entstanden im Laufe der Jahre mit der finanziellen
Hilfe von Unterstützern, darunter ihrem Schwiegersohn, der sich intensiv für ihr Werk engagierte. Trotz
ihrer adligen Herkunft lebte die Stifterin selbst ganz
bescheiden in einem dürftigen Zimmerchen, in dem
sie auf einigen über Böcke gelegten Brettern schlief.
1651 starb Virginia Centurione und hinterließ einen
Schwesternorden, dessen Mitglieder sich in Krankenund Armenhäusern engagierten. Am 22. September
1985 sprach Johannes Paul II. Virginia Centurione
selig; 2003 erfolgte die Heiligsprechung.
Zu den unversehrten Heiligen gehört auch Bernadette Soubirous (1844–1879), die als Tochter eines
Müllers in Lourdes in den Pyrenäen in ärmlichsten
Verhältnissen aufwuchs. An einem kalten Februartag
im Jahre 1858 erschien dem kränklichen und körperlich wie geistig zurückgebliebenen Kind eine weiße
Frauengestalt, die sich bei einer weiteren Erscheinung
als „Unbefleckte Empfängnis“ zu erkennen gab; ein
Ausdruck, den die ungebildete Bernadette nicht
kennen konnte, denn das entsprechende, von Papst
Pius vier Jahre zuvor verkündete Dogma war nur
Geistlichen und Gebildeten bekannt. Von der Echtheit
der Visionen überzeugt, fand Bernadette daraufhin die
Unterstützung des örtlichen Paters und geistlicher
Kreise, die ihr die Aufnahme in ein Kloster in Nevers
ermöglichten. Von den dortigen Schwestern beneidet
und angefeindet, starb sie im Alter von 35 Jahren an
ihrem Asthma oder an Knochentuberkulose. Nachdem bei einer ersten Exhumierung 1909 ihr Leichnam
völlig unverwest aufgefunden wurde, setzte man ihn
anlässlich ihrer Seligsprechung 1925 in einem gläsernen Sarg bei, in dem sie noch immer unverändert ruht
(Abb. 9).
Literatur
Ariès, P., Geschichte des Todes, München, Wien 1980
Babendererde, C., Sterben, Tod, Begräbnis und Liturgisches
Gedächtnis bei weltlichen Reichsfürsten des Spätmittelalters,
Ostfildern 2006
Abb. 9
Die heilige Bernadette von
Lourdes in ihrem gläsernen
Schrein in der Kirche St. Gilard
in Nevers.
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Bahr, W., Tote auf Reisen. Ein makabrer Reisebegleiter, St. Pölten, Wien, Linz 2000
Dondelinger, P., Die Visionen der Bernadette Soubirous und der
Beginn der Wunderheilungen in Lourdes, Regensburg 2003
Fischer, N., Geschichte des Todes in der Neuzeit, Erfurt 2001
Hengerer, M. (Hrsg.), Macht und Memoria. Begräbniskultur
europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit, Köln,
Weimar, Wien 2005
9
Spindler, K. / Wilfing, H. / Rastbichler-Zissernig, E. / Nedden,
D. z. / Nothdurfter, H. (Hrsg.), Human Mummies. A Survey of
their Status and the Techniques of Conservation, Wien, New
York 1996
Tacke, W., Der Bleikeller im Bremer Dom, oder der Dachdecker, der kein Dachdecker war, Bremen 1985
Uden, R., Wohin mit den Toten? Totenwürde zwischen Entsorgung und Ewigkeit, Gütersloh 2006
Lazzarini, A., Johannes Paul I. Der Papst eines neuen Morgens,
Freiburg Basel Wien 1978
Mathieu-Rosay, J., Die Päpste im 20. Jahrhundert, Darmstadt
2005
Meyer, R. J., Königs- und Kaiserbegräbnisse im Spätmittelalter.
Von Rudolf von Habsburg bis zu Friedrich III., Köln, Weimar,
Wien 2000
Ráček, M., Die nicht zu Erde wurden … Kulturgeschichte der
konservierenden Bestattungsformen, Wien, Köln, Graz 1985
Rainer, A., Melange und Zuckerlskelett. Ein Streifzug durch das
ober- und unterirdische Wien, Wien 2005
Abbildungsnachweis
Abb. 1
Photo: Mit freundlicher Genehmigung der
Altkatholischen Gemeinde Mannheim
Abb. 2, 3, 7, 8, 9 Photos: Wikipedia, GNUFDL
Abb. 4, 5, 6
Photos: Mit freundlicher Genehmigung der
Soprintendenza per i Beni Culturali ed
Ambientali, Servizio per i Beni Architettonici, Regione Scicilana, Italien
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