Erfahrungsbericht Nr.4 - andrasmaxindurban

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Erfahrungsbericht Nr.4 - andrasmaxindurban
Erfahrungsbericht Nr.4
geschrieben im Februar 2012
von Andras Kemmerzehl
Die Werkstatt
Und für die Konservativen unter uns, ein viertes Ankommen.
Wie viele Kinder aus der Ethembeni School eigentlich
auf den Rollstuhl angewiesen sind weiß ich ehrlich
gesagt gar nicht. Aber es ist mir eigentlich auch ziemlich
egal, da es eigentlich immer etwas zu reparieren gibt in
der Rollstuhl-Werkstatt, in der ich einen Großteil meiner
Arbeitszeit verbringe. Keine Arbeit mit Kindern,
zumindest nicht für diesen Teil meiner Arbeit. Das heißt
keine Kids. Die können allerdings, in dem ganzen
Geschehen außerhalb der Werkstatt, einem genug Kraft
abverlangen. Die Werkstatt, ein Ort der Ruhe, der
Ordnung im Chaos und der rostigen Schrauben. Ich, das
Werkzeug, ein paar Materialien, 50 Rollstühle. Es riecht
auch gelegentlich etwas streng.
Während das neue Schuljahr mit der gewöhnlich
afrikanischen Art, sprich gemächlich und entspannt ins
Laufen kam, brachte ich gemeinsam mit der neuen
Physiotherapeutin Lee-Anne ein bisschen Struktur in
die Bereiche des Physioraums, der Rumpelkammer
nebenan und der Werkstatt. Krücken, Schuhe und
Kleinzubehör im Physiobereich, Rollstühle und
Ersatzteile in die Werkstatt. Caroline (Chefin des
Therapiebereichs) weg aus der Werkstatt, zurück an
ihren eigentlichen Arbeitsplatz. Und die Entlastung tut
ihr sichtlich gut. Und das tut mir gut. Zu ihr hab ich
eigentlich den besten Draht in der Schule. Gemeinsam
suchen wir nach Lösungen bei schier unlösbaren
Problemen. Sie ist sehr erfinderisch und ideenreich und
verrückt nach Kabelbindern, da diese oft die schnellste
Lösung sind.
PIMP MY WHEELCHAIR
Ich kann inzwischen eigentlich alles bis auf schweißen.
Aber wir haben ja auch kein Schweißgerät. Ich kann
Rückenlehnen, Sitzflächen und
Fussklappenspezialanfertigungen bauen, Armlehnen
polstern, Kissen und Gurte nähen, Räder und
Kugellager austauschen und rostige Schrauben lösen.
Letzteres ist der ständige Begleiter, der böse Geist aus
der Werkstatt der meinen Schweinehund weckt. Ich
könnte jetzt einen Text schreiben über meine Kämpfe
mit den Schrauben, aber alleine der Gedanke daran treibt
mir den Angstschweiß auf die Stirn.
Dann rede ich doch lieber von schöneren Sachen und
zwar von dem Moment, wenn ich einen reparierten,
beziehungsweise gepimpten Rollstuhl einem Kind zurück
geben kann, was sowohl bei dem Kind als auch bei mir zu
einem erleichterten und sehr glücklichen Gefühl führt. Und
dann gehts gleich an den nächsten Auftrag.
Oder ich sortiere Schrauben, räume auf, oder schnaufe auch
mal kurz durch.
PIMP MY WHATEVER
Das man aus Holz auch andere Dinge bauen kann habe ich
schon zu beginn meiner Handwerker-Karriere in
Ethembeni festgestellt. Vielleicht war es meine deutsche
Ordentlichkeit, die mich dazu veranlasst hat, dem Haufen
aus Spaten, Rechen und anderen Gartengeräten, die sich in
dem einen Raum in der Skills-Section befinden, den Kampf
anzusagen. In dem Raum befinden sich außerdem ein paar
Bretter, Schrott und ein paar große Geräte wie eine
Kreissäge (deutsches Fabrikat) oder ein Schleifstein, die
sich normalerweise in der Benutzung der etwa 7
Groundmen (Platzwarte) befinden. Mittels dieser Geräte
habe ich dem Chaos erst einmal Abhilfe verschafft und
gleichzeitig probiert einen pädagogischen Wert daraus zu
gewinnen. Den Kids aus der Skills-Section, mit denen ich
zweimal die Woche im Garten arbeite, probiere ich
klarzumachen, dass an ihrem späteren Arbeitsplatz eine
gewisse Ordnung herrschen sollte. Spaten zu Spaten und
Rechen zu Rechen.Wider meinen Erwartungen, die ich in
diesem gewagten Projekt ziemlich weit unten ansetzte,
herrscht auch nach gut vier Monaten dieser Maßnahme
eine annehmbare Ordnung. Super, das hat geklappt.
(Anfertigungszeit: ca. 5 Stunden, Material: Bretter und
eine begrenzte Anzahl an großen Nägeln)
In dem gleichen Raum ist auch eine interessante
Anfertigung entstanden, die dem körperlich ziemlich
eingeschränkten Ndumiso ermöglicht, am Hallen-Boccia
teilzunehmen. Dabei probieren die Kids kleine, relativ
schwere Lederbälle in eine gewisse Zone zu rollen. Das
der Junge mitspielen will, war an seinem Nicken mit einem
gleichzeitigen Grinsen im Gesicht unschwer zu erkennen.
Und das war dann auch schon die Lösung. Man kann auch
Boccia mit dem Kopf spielen. Die (noch nicht patentierte)
Awesome-Boccia-Mit-Dem-Kopf-Spiel-Super-Rampe hat
ein Auflagebrett mit einer Schiene, in die der Ball gelegt
wird. Mit einem Metallgestell um den Kopf, an dem eine
Art Stift angebracht ist (Headpointer), muss der Ball in die
Luke des Bretts befördert werden. Dann gehts die Rampe
runter und der Ball rollt. Wohin ist dann egal aber das Kind
ist im Spiel integriert. Und das ist finde ich die Hauptsache.
Die Awesome-Boccia-Mit-Dem-Kopf-Spiel-Super-Rampe,
kurz ABMDKSSR hat ein, in der Höhe verstellbares
Auflagebrett um den Schwierigkeitsgrad zu senken bzw. zu
erhöhen. Anfertigungszeit: ca.10 Stunden, Material: ein
Brett, vier Rollstuhlachsen, dünne/biegsame Spanplatte,
Kabelbinder)
Ich war neulich mit ein paar Physiotherapeutinnen in
Durban auf einem Rollstuhl-Seminar, in dem es
hauptsächlich um die neusten Rückenlehnen- und
Sitzkissenmodelle ging. Ich fand das alles sehr interessant,
auch den Preis für die billigste Rückenlehne, 600$.Unter
den etwa 20 Zuhörern, hauptsächlich junge weiße Frauen
aus dem Therapiebereich, war ein schwarzer
Rollstuhlfahrer, seit 1977 im Rollstuhl. Ich weiß das, da ich
ihn in der Teepause angesprochen habe. Ich fand nämlich
seine Frage, die er kurz vor der Pause stellte, bezüglich
meiner komischen Gedanken, die ich während dem Vortrag
anfing zu hegen, sehr bestätigend. Ich zitiere und übersetze
seine Frage frei aus meinen Gedanken: „Was ist Ihrer
Meinung nach die Lösung am Ende des Tages? In der
Realität ist es nun mal so, dass die Menschen in diesem
Land froh sind, wenn sie irgend einen Rollstuhl
bekommen, und sei es ein Gartenstuhl auf Rädern.
Hauptsache man kommt irgendwie von A nach B.“
Daraufhin die Antwort der Rückenlehnen- und
Sitzkissenvertreterin: „Das stimmt schon, wir befinden uns
hier in einer Art Traumwelt... Das Problem ist in der
südafrikanischen Regierung zu suchen.“ Er erzählt mir
dann in der Pause, dass man, wenn man gegen die
Regierung kämpft, schließlich wissen muss für was.
Deswegen sei er hier, um sich auf den neusten Stand zu
bringen. Nicht, um an einem solchen Ort zu kämpfen.
Weiterentwicklung der Produkte ist ja nicht verkehrt. Ich
verstand aber jetzt sein ironisches Kichern von vorhin, als
die Antwort auf seine Frage kam.
Als ich in der Mittagspause mit Caroline über die Absurden
Preise spreche (Ein Spezial-Sitzkissen mit
Luft/Flüssigkeitsfüllung gibt es übrigens ab 500$), bleibt
besonders ein Satz hängen und verschwindet im Laufe des
weiteren Vortrags auch nicht mehr. „Kann uns ja egal sein
Andras... Brett, Schaumstoff, und ein paar Schrauben: Wir
bauen uns die Teile selber!“
Eben.
– Den Flüssigkeitssensor für Sitzflächen, den Caroline eigenes entwickelte, kam bei den Kids
leider nicht so gut an. Klar, das Ding fängt an zu piepsen, wenn man nass sitzt. Fände ich
glaub ich auch nicht so gut, fällt mir dazu im Nachhinein ein. Aber die Idee dahinter finde
ich nach wie vor super.
– Lee-Anne bringt neuen Schwung in die ganze Sache. Sie ist hochmotiviert und hat mir
beispielsweise einen Zettel in die Hand gedrückt, mit ihren Zielen, die sie im
„Rollstuhlmonat – Februar“ durchsetzen will. Eine wesentliche Erneuerung ist eine kurze
Checkliste für jeden Rollstuhl, welche die Lehrer jeden Tag abhaken müssen (es wird mit
einem Preis um die Teilnahme geworben). Außerdem soll es noch diesen Monat einen
Rollstuhl-Waschtag geben!
– Wenn das mit meiner Bestellung von
Ersatzteilen klappen sollte, wird in
Ethembeni bald wieder RollstuhlBasketball gespielt. Es warten auf mich
neun komplett ausgeschlachtete
Sportrollstühle, die in einer verborgenen
Ecke der Schule zum Vorschein kamen.
Einer funktioniert schon wieder.
Andras Kemmerzehl
(Freiwilliger der Weltweiten Initiative Für
Soziales Engagement e.V)
Postadresse: Andras Kemmerzehl
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