Oliver Kahn „Dazwischen gibt es nichts“

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Oliver Kahn „Dazwischen gibt es nichts“
magazine
INTERVIEW
Oliver Kahn
„Dazwischen gibt
es nichts“
Oliver Kahn ist einer der weltbesten
Torhüter. Bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2006™ im eigenen Land
will der Deutsche mit seinem Team das
Finale erreichen – und dabei attraktiven
Fussball zeigen, wie er im Interview mit
dem FIFA magazine sagt.
FIFA magazine: Wie steht es
um Ihren Puls, wenn Sie an die
bevorstehende WM denken?
Oliver Kahn: Da ich ja keine 20 mehr
bin, bin ich recht gelassen, denn ich kann
das sehr gut einordnen. Auf der anderen
Seite ist der Fokus schon länger auf diese
WM gerichtet. Das betraf das Training in
letzter Zeit, die Spiele mit dem Verein, die
ganze Vorbereitung darauf. Da legt man
in einem WM-Jahr einfach einen Tick
mehr Spannung und Konzentration rein.
Wenn man eine gute Weltmeisterschaft
spielen will, dann muss man zuvor eine
gute Saison im Verein gespielt haben.
VON GEORG HEITZ
Wie oft werden Sie gegenwärtig
auf die WM angesprochen?
Kahn: Die Leute sind natürlich
schon heiss auf dieses Turnier, das ist
keine Frage. Viele Menschen freuen sich
schon seit Jahren auf dieses Grossereignis.
Es ist für einen Spieler sehr schön, diese
Begeisterung zu spüren.
Wie können die deutschen Spieler
während des Turniers im eigenen
Land abschalten? Ist das zwischen
den Partien überhaupt möglich?
Kahn: Das wird nicht einfach. Zwar
haben wir das Mannschaftshotel, in das
wir uns zurückziehen können. Sobald
wir aber hinausgehen, sind wir mitten in
den Fans. Es sind ja nicht nur Deutsche,
sondern Menschen aus der ganzen Welt,
die sich in dieser Zeit nur mit Fussball
beschäftigen. So ist es auch eine Frage
der Erfahrung eines Spielers. Wie kann
ich abschalten? Das muss jeder für sich
selbst lösen. Ich persönlich habe meine
Möglichkeiten im mentalen Bereich.
Die Hysterie um die deutsche
Mannschaft wird weiter zunehmen, auch in der Berichterstattung der Medien. Stört Sie das?
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MAI 2006
Kahn: Nein, denn ich beschäftige
mich nicht besonders stark damit, ich
konzentriere mich auf das Wesentliche.
Und das sind für mich das Training, die
Vorbereitung, die Regeneration, mein
Kopf, mein Körper.
Trotzdem werden Sie und Ihre Kollegen zu nahezu allem befragt …
Kahn: … aber man muss ja nicht
zu allem eine Auskunft geben. Es ist
ganz wichtig – gerade für die jungen
Spieler in der deutschen Nationalmannschaft –, dass wir Prioritäten setzen. Da
muss man halt verständlich machen, dass
man nicht allem gerecht werden kann.
Das wiederum sollte dann auch akzeptiert
werden.
Stichwort junge Spieler. Wie erleben Sie diese in der Mannschaft?
Verhalten die sich anders, als Sie
selbst dies in diesem Alter taten?
Kahn: Sicher. Man darf nicht vergessen, ich bin jetzt im 19. Jahr als Fussballprofi. Da hat sich einiges verändert, das
ist heute eine neue Generation, die ihren
eigenen Weg geht. Ich kann als älterer
Spieler schon Hilfestellung in einigen
Situationen geben, sogar Einfluss nehmen
und meine Sicht der Dinge vermitteln.
Das ist ein spannender Prozess, bei dem
man sich gegenseitig befruchtet.
Befürchten Sie, dass auf Grund
der allgemeinen Erwartungshaltung und der Jugendlichkeit
einiger Kadermitglieder am 9. Juni
im Eröffnungsspiel gegen Costa
Rica die Besonnenheit fehlt? Dass
mit dem Anpfiff acht Spieler nach
dem Motto „Achtung, fertig, los“
nach vorne stürmen?
Kahn: Natürlich (er lacht). Ich weiss,
wie schwierig das ist. Ich habe das schon
erlebt, als ich 1994 in den USA zum
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INTERVIEW
Oliver Kahn
Be part of the game. One Japanese player
will be in on all the FIFA World Cup™ action.
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ersten Mal bei einer WM dabei war.
Da bestritten wir das Eröffnungsspiel
gegen Bolivien und gewannen mit Ach
und Krach 1:0. Ich versuche, die Partie
gegen Costa Rica als ganz normales Spiel
zu sehen.
Ein ganz normales Spiel? In Ihrem
Heimstadion in München?
Kahn: Wenn man es psychologisch
so angehen könnte, dass man die Dinge
nicht zu gross werden lässt, könnte man so
den Druck abfedern. Dann könnte man
sagen, dass es ein ganz normales Spiel ist,
oder? Dann wäre man nicht gross nervös.
Das hinzubekommen wird allerdings
nicht einfach. Denn man spürt schon,
wenn man ins Stadion kommt, noch vor
dem Anpfiff, dass da etwas anders ist.
In einem WM-Spiel herrscht eine ganz
andere Atmosphäre als beispielsweise bei
einer Partie der Champions League oder
bei einer Bundesliga-Begegnung. Es wird
aussergewöhnlich werden.
Was sind die Unterscheide zwischen der heutigen deutschen
Nationalmannschaft und den
Teams der WM 2002 und der
EURO 2004?
Kahn: Solche Vergleiche sollte man
nicht anstellen. Wir haben im Moment
eine gute Mischung, was die Altersstruktur im Team betrifft. Eventuell mangelnde
internationale Erfahrung können wir da
sicher mit der riesigen Motivation durch
den Heimvorteil mehr als kompensieren. Diese Motivation und Anspannung
wird uns zu Höchstleistungen treiben.
Das haben die Franzosen bei der WM
1998 gezeigt. Anfangs war es für sie im
eigenen Land sogar schwierig, in Fahrt zu
kommen. Doch ab einem gewissen Punkt
konnten sie sich von den Zuschauern
tragen lassen. So ähnlich möchten wir
das auch hinkriegen.
herausgestrichen wird. Manchmal
wird dieser Antrieb fast als eine
Art Krankheit dargestellt. Können
Sie darüber lachen?
Kahn: Ich bewerte das eigentlich
neutral, wobei ich mitunter schon lächle.
Wenn einer glaubt, dass die konstante
Leistung auf hohem Niveau mit links
gelingt. Wer glaubt, dass einem das
zugeflogen kommt, der liegt komplett
daneben. Den Ehrgeiz braucht es, um
sich zu stetiger harter Arbeit anzuspornen, den muss man entwickeln, um
besser zu sein als die anderen.
Und das geht jedem anderen
Spitzensportler auch so?
Kahn: Ja, egal in welcher Sportart
sich einer bewegt. Ganz oben an der
Spitze, da muss hart und konsequent
gearbeitet werden. Mein früherer Trainer bei Bayern München, Giovanni
Trapattoni, führte jeden Tag an sich
banale Übungen mit Weltklasseleuten
wie einem Lothar Matthäus durch. So
wie ein Klavierspieler immer wieder seine
Partitur spielen muss, muss ein Fussballer
stets die Grundlagen trainieren.
Sie wurden mit dem Übernamen
„Titan“ bedacht. Schmeichelt
Ihnen dieser Ausdruck, oder
finden Sie ihn daneben?
Kahn: Ach, das ist halt eine boulevardeske Schlagzeile, die mich nicht
weiter tangiert. Die Medien bauen
gerne solche Begriffe auf, ich habe
mich daran gewöhnt. Ein
Fehler wäre allerdings,
selbst zu glauben, dass
dieses entwickelte
Bild tatsächlich
Realität ist. Das
lernt man
ganz schnell
im Profigeschäft.
Der Saudi-Araber Sami Al Jaber
hat gesagt, er fürchte bei der WM
nur eines: Ihren Händedruck. Ist
seine Angst berechtigt, falls ihr
beide aufeinander trefft?
Kahn: Nein (er lacht). Ich bin wohl
auf dem Spielfeld sehr emotional, sehr
ernsthaft und angespannt, doch daraus
kann man nur wenig Rückschlüsse auf
den eigentlichen Menschen ziehen. Es ist
doch ein Unterschied, wie sich ein Sportler auf seiner Bühne gibt und wie er privat
ist. Ein Boxer geht nach einem knallharten Kampf ja auch nicht nach Hause und
schlägt den Erstbesten zu Boden, der ihm
über den Weg läuft. Solche Rückschlüsse
sind ein wenig absurd.
Trotzdem haben Torhüter einen
kräftigen Händedruck.
Kahn: Er wird ihnen nachgesagt. Es
handelt sich dabei ja auch nicht um einen
filigranen Job, sondern um handfeste,
harte Arbeit. Toni Schumacher (einer der
Vorgänger Kahns im deutschen Nationalteam; Red.) hat einmal gesagt: „Der
Torwartjob ist niemals gerecht.“ Dieser
Satz sagt eine Menge darüber, wie man
sich mental mit dieser Aufgabe auseinander setzen muss.
Wie sehr hat sich das Torwartspiel
in den letzten Jahren gewandelt?
Kahn: Es hat sich revolutionär verändert, als die Rückpassregel eingeführt
wurde. Heute hat der Torhüter hinter der
Es gibt kaum einen Bericht über
Sie, in dem nicht Ihr Ehrgeiz
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magazine
INTERVIEW
OLIVER
KAHN
Oliver Kahn
Vierer-Abwehrkette die Funktion eines
Liberos. Er muss zudem seinen Fünfmeterraum beherrschen – und dies bei stark
verbesserter Athletik der Feldspieler und
immer schneller werdenden, neu entwickelten Bällen. Das Anforderungsprofil
umfasst wirklich vieles. Flanken sind
heutzutage wie Schüsse. Wenn früher
einer flankte, konnte man als Torwart
einmal ums Tor laufen und dann den
Ball fangen. Das geht längst nicht mehr.
Heute gibt es Spezialisten für Standardsituationen, was deren Bedeutung und
Gefahr enorm gesteigert hat.
Der deutsche Bundestrainer
Jürgen Klinsmann war einst Ihr
Teamkollege bei Bayern München.
Bereitet Ihnen das Mühe?
Kahn: Das ist schon so lange her, zehn
Jahre, das spielt überhaupt keine Rolle.
Klinsmann hat einige Innovationen in den Trainingsalltag
eingebracht. Erreicht er damit die
Spieler? Der Fussballer ist doch
eher ein Traditionalist.
Kahn: Die neuen Ideen werden oft
überzogen dargestellt. Ich selbst spüre
positive Auswirkungen der Trainingsarbeit, etwa des Fitnesstrainings. Man muss
im Sport offen sein für Innovationen,
sich mit ihnen befassen. Der Fussball
ist vielleicht eher konservativ, es kann
vorkommen, dass Neues zunächst einmal
kritisch betrachtet wird. Am Ende hängt
aber alles vom Ergebnis ab. Stimmen
die Resultate, dann hat man alles richtig
gemacht. Sonst war alles falsch. Und
dazwischen gibt es nichts.
Welches Ergebnis muss Deutschland bei der WM erzielen, damit
man alles richtig gemacht hat?
Kahn: Unser Ziel ist es, ins Finale zu
kommen. Dabei genügt es nicht, irgendwie ins Endspiel zu stolpern. Das hat der
Konföderationen-Pokal im letzten Jahr
gezeigt. Die Zuschauer sind irre mitgegangen, weil sie von unserer Spielweise
angetan waren, auch wenn wir nicht um
Platz eins spielten.
Ist die Pause zwischen Meisterschaftsende und WM-Start lange
genug?
Kahn: Das ist für mich überhaupt
kein Problem. Wer über ein Jahrzehnt
bei Bayern München spielt, der weiss gar
nicht, was eine Pause ist.
Wer wird der Star der WM 2006?
Kahn: In dieser Frage gab es immer
wieder Überraschungen. Wer ausserhalb
Italiens kannte beispielsweise vor dem
Turnier 1990 einen Toto Schillaci? Jene,
Geboren am: 15. Juni 1969 in Karlsruhe
(Deutschland)
Nationalität: Deutscher
Zivilstand: getrennt, zwei Kinder (KatharinaMaria, David)
Grösse: 188 cm
Gewicht: 91 kg
Position: Torhüter
Vereine als Spieler: 1975–1994: Karlsruher
SC. Seit 1994: FC Bayern München (Vertrag bis
2008).
Erfolge als Spieler: Gewinner der EURO
(1996), Gewinner des UEFA-Pokals (1996), Deutscher Meister (1997, 1999, 2000, 2001, 2003,
2005), Gewinner des DFB-Pokals (1998, 2000,
2003, 2005), Gewinner des DFB-Ligapokals
(1997, 1998, 1999, 2000, 2004), Finalist UEFA
Champions League (1999), Gewinner der
UEFA Champions League (2001), Gewinner
des Toyota-Pokals (2001), Finalist FIFA FussballWeltmeisterschaft™ (2002). Bester Torhüter und
Spieler bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™
(2002), Welttorhüter des Jahres (1999, 2001,
2002), Europas Torhüter des Jahres (1999,
2000, 2001, 2002), Deutschlands Fussballer des
Jahres (2001, 2002), Deutschlands Torhüter des
Jahres (1994, 1997, 1999, 2000, 2001, 2002).
83 A-Länderspiele für Deutschland.
Stand: 28. Februar 2006
die im Vorfeld hoch gehandelt werden,
halten dem Druck nicht immer stand.
Beenden Sie bitte zum Schluss
folgende drei Sätze: Franz Beckenbauer ist für mich …
Kahn: … der Kaiser.
Ich freue mich auf ein
Wiedersehen mit Ronaldo bei der
WM, weil …
Kahn: … wir noch eine Rechnung
offen haben.
Am 10. Juli 2006, dem Tag nach
dem WM-Finale in Berlin, werde
ich …
Kahn: … hoffentlich eine Menge zu
feiern haben.
„Stimmen die Resultate, dann hat man
alles richtig gemacht. Sonst war alles falsch.“
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JOÃO HAVELANGE
Der Aristokrat
des Fussballs wird 90
Während 24 Jahren war João Havelange FIFA-Präsident, seit 1998
ist er Ehrenpräsident des Weltfussballverbandes. Am 8. Mai feiert
der Brasilianer seinen 90. Geburtstag. Eine Laudatio des Schweizer
Sportjournalisten und langjährigen Havelange-Freundes Walter Lutz.
A
ls Jean Marie Faustin
Godefroid Havelange, von
den Eltern kurz João genannt, am 8. Juni 1998 in Paris als
FIFA-Präsident zurücktrat, 24 Jahre
nach seiner ersten Wahl, schloss er den
51. FIFA-Kongress mit den Worten: „Ich
sage nicht auf Wiedersehen, denn wenn
man auf Wiedersehen sagt, erweckt man
den Eindruck, wieder kommen zu wollen. Deshalb sage ich Adieu, und wenn
man mich bittet, wieder zu kommen,
komme ich wieder.“
Havelange hatte seinem bisherigen
Generalsekretär, Manager und späteren
Freund Joseph S. Blatter Platz gemacht
und sich im Wahlkampf kräftig für ihn
eingesetzt. Seinen Nachfolger nannte er
jetzt nicht mehr seinen Sohn, sondern
„meinen jüngeren Bruder“.
Und nun, am 8. Mai 2006, kann also
der markanteste und erfolgreichste Präsident in der über 100-jährigen Geschichte des Weltfussballverbandes seinen
90. Geburtstag feiern. Er tut es frisch,
fit, munter und klar im Kopf – als wäre
er noch nicht 75.
KNAPPER SIEG
Dreimal Havelange: mit seinem damaligen
Generalsekretär Joseph S. Blatter (ganz oben),
nahe der Copacabana in Rio de Janeiro und bei
seinem 80. Geburtstag mit Gattin Anna Maria.
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MAI 2006
70 Jahre nach der Gründung der
FIFA, nach sechs europäischen Präsidenten und nach der Bildung von bereits fünf aussereuropäischen Konföderationen schien die Zeit für den ersten
nichteuropäischen Präsidenten überreif.
Es wäre ein wichtiger Schritt in die Zukunft und mehr als nur eine Geste gegenüber den bis dahin vernachlässigten
Schwellenländern gewesen, in denen
die Begeisterung für und der Hunger
nach Fussball ständig wuchsen. Ähnliche Gedanken wurden schon 20 Jahre
früher im als erzkonservativ geltenden
Internationalen Olympischen Komitee
(IOK) gewälzt. Das geschah dort mit
dem Resultat, dass der US-Amerikaner
Avery Brundage 1952 für 20 Jahre zum
ersten und bis heute einzigen nichteuropäischen Präsidenten gewählt wurde.
Aus der Einsicht, dass es immer dringender werde, massive Entwicklungshilfe zu leisten, um die Globalisierung des
Fussballs endlich voranzutreiben, entschloss sich Havelange 1971 auf Druck
von Freunden, für das präsidiale Amt zu
kandidieren. Er wollte mit dem Fussball
einen Beitrag zur Verringerung wirtschaftlicher, sozialer, aber auch sportlicher Ungleichheiten leisten. Auch weil
er wusste, dass der damalige Präsident,
Sir Stanley Rous, im Wahljahr (1974)
80-jährig werden würde. Rous und
Havelange lieferten sich den bis dahin
aufwendigsten Wahlkampf der FIFAGeschichte. Havelange mit einem ambitiösen, klaren Siebenpunkteprogramm,
das eine grosszügige Entwicklungshilfe
in allen Winkeln der Welt vorsah, mit
Kursen, der Aufstockung der WM-Endrunde von 16 auf 24 Teilnehmer und der
Einführung von Weltmeisterschaften
auch für Jugendliche.
Doch die europäischen Verbände, die
noch nicht erkannt zu haben schienen,
dass in aller Welt ein enormes fussballerisches Entwicklungspotenzial brach
lag, hielten an ihrem eigennützigen
Kontinentaldenken fest. Sie wollten
Seine Ausstrahlung
ist so speziell, dass
man ihn zu jener
Sorte Menschen
zählt, von denen es
heisst, sie würden,
wenn sie einen Saal
betreten, diesen
durch ihre Persönlichkeit auch gleich
ausfüllen.
FOTOS: FIFA
die FIFA-Führung und damit ihre Vormachtstellung unter keinen Umständen preisgeben. Zwei angesehene und
einflussreiche Fussballführer Europas,
die etwas weiter dachten und über die
Meere hinausblickten, FIFA-Vizepräsident Ernst B. Thommen und UEFAPräsident Gustav Wiederkehr, waren
leider beide bereits gestorben und konnten nicht mehr für eine Umkehr sorgen.
Obwohl Havelange, der im Wahlkampf
182 Länder besucht hatte, 20 Jahre
jünger als sein Gegenkandidat war, endete die Abstimmung mit einem erstaunlich knappen Sieg des Brasilianers:
62:56 im ersten Wahlgang (absolute
Mehrheit 79), 68:52 dann im zweiten.
NEUE PERSPEKTIVEN
Havelange liess sich dadurch nicht
irritieren und wich keinen Buchstaben
von seinen Zielen ab. Er leitete in der
FIFA, die damals gerade zwölf Angestellte zählte, entschlossen eine neue Ära ein.
An ihrem Anfang stand die Erfüllung der
Wahlversprechen. Dafür suchte er einen
dynamischen Manager. Er fand ihn mit
sicherem Gespür in Blatter. Jetzt galt es
– erstmals –, Sponsoren zu finden. Zum
ersten Mal überhaupt fielen damals, es
sind erst drei Jahrzehnten her, Worte wie
Marketing und Merchandising im FIFA
House. Die neuen Finanzquellen öffneten fast schlagartig den Weg zu neuen
Ufern und zeigten neue Perspektiven
auf.
Havelange wies Vorzüge auf, über die
damals nicht viele Präsidenten im Sport
verfügten. Als Unternehmer wusste er
mit Geschäftsleuten und Aufsichtssräten
umzugehen. Als Vorsitzender der wichtigsten brasilianischen Autobusfirma
und als Aufsichtsrat in zahlreichen weiteren Gesellschaften, fand er namhafte
kommerzielle Partner. Als Anwalt war
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magazine
JOÃO HAVELANGE
Stationen eines bewegten Lebens:
Havelange als Schwimmer, als Unternehmer
und beim Papstbesuch.
er im öffentlichen Verkehr, in der Chemieindustrie, im Bankwesen, bei Versicherungs- und Werbeagenturen, die er
präsidierte, tätig. In diesen Beziehungen
lag das Geheimnis für das rasche Gelingen der Entwicklungshilfe. Sie zahlte
sich auch aus. Durch Neueintritte von
über 40 Nationen aus Afrika, Asien und
Ozeanien erhöhte sich die Mitgliederzahl nun rasch von 141 auf 190. Es war,
wie sich zeigte, der erste Schritt, um aus
der FIFA eine Familie zu machen.
FÜNF STUNDEN SCHLAF
Typisch für die Art, mit der Havelange tief greifend seine neue Aufgabe
anpackte, war etwa, dass er, noch nicht
einmal ein Jahr im Amt, eine Sitzung
des Exekutivkomitees im April 1975
demonstrativ nach Afrika (Dakar) einberief. Er wollte sofort ein Zeichen
setzen und damit seinen Kollegen im
Führungsorgan klar machen, dass seine
Zielsetzungen nicht leere Worte waren.
Als Sohn belgischer Eltern in Rio
de Janeiro als Brasilianer geboren, wo
sein früh verstorbener Vater – João war
erst 18 – als Mineningenieur tätig war,
wurde er in französischsprachigen belgischen Internaten geschult und erzogen, bevor er früh als Rechtsanwalt und
Dr. iur. promovierte. Von da an hiess es
deshalb oft, Havelange sei ein halber Europäer, ein ganzer Brasilianer und dazu,
das ganz gewiss, ein Mann von Welt
– weil er global dachte und Menschen,
Kulturen und Religionen mit Respekt
begegnete.
Aus dieser Optik heraus versuchte er,
im Fussball nach der Dekolonialisierung
in Afrika so etwas wie eine neue Ordnung zu begründen. Beinahe im Stil
eines hohen Kolonialoffiziers versorgte
Havelange die „Ureinwohner“, denen er
wohl gewogen war, als Erstes mit Bällen,
Spielfeldern, Trainern und verhalf ihnen
damit zu Hoffnung, Freizeitvergnügen,
mehr Lebensfreude und Selbstachtung.
Eine Binsenwahrheit bewahrheitete sich:
Wie die Geschichte eines Landes oder
eines Unternehmens wird auch die der
FIFA nicht von Programmen und Organigrammen gemacht, nicht von Strukturen und Regeln geprägt, sondern von
herausragenden Persönlichkeiten.
Eine solche war Havelange, der
baumlange, athletische und heute noch
elastische Herr mit den klaren hellblauen
Augen, einer sonoren Stimme, der heute noch täglich 40 Minuten schwimmt,
einen Ruhepuls von unter 60 Schlägen
hat, in seinem Leben nie rauchte und nur
zum Anstossen Wein trank. Vielleicht
auch weil er 1936 an den Olympischen
Spielen über 1500 m Crawl und 1952
in Helsinki im Wasserball an den Start
ging und sich auch nachher stets sportlich betätigte. Offenbar unermüdlich,
genügen ihm meist fünf Stunden Schlaf.
In seiner Amtszeit hat er 192 Mitgliedsländer je dreimal besucht. Er hat exakt
errechnet, dass er in seinen 24 Präsidialjahren insgesamt 27 000 Stunden im
Flugzeug verbrachte. Das sind drei Jahre
und zwei Monate, in denen er den Erdumfang von rund 40 000 km insgesamt
etwa 50 Mal umrundete – und kaum je
unter dem Jetlag litt.
„AMI HANS“
Mit seiner hartnäckigen Vorwärtsstrategie machte Havelange aus dem
Fussball ein Produkt und aus der FIFA
ein modernes Unternehmen. Eine Marke, ein Gütezeichen, ein Begriff. Er ist
immer ein Leader, profitiert von einem
aussergewöhnlichen Gedächtnis, scheint
immer Zeit zu haben, wirkt nie hektisch und aufgeregt, zeigt nie Spuren
von Stress. Liebenswürdig, höflich, geduldig und grosszügig hat er die Gabe,
die Menschen, ihren Charakter und ihre
Fähigkeiten gut einschätzen zu können.
Den Kopf voller Ideen und Projekte, ver-
Reich an Lebenserfahrung und mit
beträchtlichen Sportkenntnissen ausgerüstet,
konnte ihm niemand etwas vormachen.
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MAI 2006
knüpft er Autorität und Macht, strahlt
Charisma aus, vereinigt Weitblick und
Weltoffenheit, hat etwas Herzliches und
trotz aller Zurückhaltung auch etwas
Spontanes.
Als Präsident kannte Havelange die
wichtigsten Dossiers genau. Reich an
Lebenserfahrung und mit beträchtlichen
Sportkenntnissen ausgerüstet, konnte
ihm niemand etwas vormachen. Er ist
der Doyen im IOK, dem er seit 1963
angehört. Dazu war er 15 Jahre lang Präsident der Dachorganisation Brasiliens.
Und im Fussball wirkte er als Delegationschef bei den Weltmeisterschaften
1958, 1962 und 1970, genau in den
Jahren, in denen die „Seleção“ Weltmeister wurde.
Havelange ist aber auch eine treue Seele. Grössen aus Politik und Wirtschaft,
aus Sport und Armee vereinigen sich in
Zürich seit 30 Jahren jährlich zweimal
zu einem geselligen Beisammensein bei
einem Fussballspiel, das jahrelang als
FIFA – UEFA etikettiert war. Havelange
hat an mehr als 60 Zusammenkünften
nur ein einziges Mal gefehlt, früher dabei auch Fussball gespielt und mit seiner
brasilianischen Ballbehandlung beeindruckt. Aus den Kontakten mit einigen
dieser Bankiers, Minister, Dreisternegenerälen, Verlegern, Stadtpräsidenten,
Olympiasiegern und Sportführern haben
sich dauernde Beziehungen entwickelt.
Der FIFA-Präsident hiess in diesem exklusiven Kreis nie „Monsieur le Président“. Man nannte ihn halb französisch
und halb deutsch einfach „Ami Hans“.
MONUMENT DER FIFA
Havelange ist kein Mann grosser
Worte und langer Reden. Er ist schlicht
in seinen Auftritten. Anders als heute Politiker und Wirtschaftsführer hat er nie
nach medialer Anerkennung gelechzt.
Und Pressekonferenzen dauerten bei
ihm, nicht zur Freude aller Medienleute,
nie eine Ewigkeit. Das entspricht seinem
distinguierten, diskreten, oft etwas zurückhaltenden Wesen. Havelange ist ein
Monument der FIFA, eine Autorität,
eine Respektsperson von hoher Akzeptanz, unantastbar und integer, er steht
immer jenseits von Gut und Böse. Seine
Haltung, die konsequente „innere“ und
die noch immer straffe „äussere“, drückt
etwas Vornehmes, Aristokratisches, Patriarchalisches aus. Und seine Ausstrahlung ist so speziell, dass man ihn zu jener Sorte Menschen zählt, von denen es
heisst, sie würden, wenn sie einen Saal
betreten, diesen durch ihre Persönlichkeit auch gleich ausfüllen.
Havelanges Verdienst ist es zuallererst gewesen, einen schlafenden Koloss
wachgerüttelt zu haben. Und er hat dazu
in Form einer Vision ein kühnes Zukunftsbild entworfen und grosse Teile
davon umgesetzt.
Als die FIFA am 21. Mai 2004 in
Paris ihren 100. Geburtstag feierte, hat
sich für Havelange ein Kreis geschlossen.
Der 54. FIFA-Kongress erwies seinem
Ehrenpräsidenten eine besondere Ehre
und krönte seine Laufbahn mit dem Jubiläumsverdienstorden. Die Hommage
hatte besonderen Charakter. Mit einer
langen stehenden Ovation, wie man sie
nicht oft erlebt, und die wohl einmalig
von Menschen aus 205 Nationen und aller Kulturen spontan dargebracht wurde,
fand Havelanges Lebenswerk eine eindrucksvolle Krönung. Überrascht, beeindruckt, verwirrt, etwas verlegen und
verloren, aber gleichwohl nicht ohne
Stolz, nahm der sonst nie seine Haltung
verlierende Havelange mit Tränen in den
Augen die Huldigung entgegen.
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magazine
DVR KOREA
Hohe Ziele
und viele Träume
Nicht zuletzt mit der Unterstützung der
FIFA hofft der nordkoreanische Fussball,
bald wieder für positive Schlagzeilen
sorgen zu können. An Willen fehlt es
jedenfalls nicht – ebenso wenig an Zielen
und Wünschen.
VON ANDREAS WERZ
I
n der nordkoreanischen Hauptstadt
Pjöngjang ist es an diesem 29. Januar
2006 bitterkalt – minus zwölf Grad
Celsius. Trotzdem wird einem warm ums
Herz, wenn man die fröhlichen Kinder
sieht, die sich an diesem Sonntag auf
dem Gelände des Fussballverbandes der
DVR Korea (PRK) versammelt haben.
Die Schar lacht, schreit und applaudiert, als ausländische Besucher erscheinen, angeführt von Mohamed bin
Hammam aus Katar, dem Präsidenten
der Asiatischen Fussballkonföderation
(AFC) und Vorsitzenden des Goal-Bureaus der FIFA. Eine Blaskappelle spielt
die FIFA-Hymne, ranghohe nationale
Regierungs- und Fussballvertreter, unter
ihnen PRK-Präsident Rim Kyong Man,
sind anwesend, als Bin Hammam eine
Plakette enthüllt.
Zum zweiten Mal schon wird in der
DVR Korea ein Projekt im Rahmen
des FIFA-Entwicklungsprogramms Goal
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27
magazine
DVR KOREA
Land, Leute und Fussball
Offizielle Landesbezeichnung: Demokratische Volksrepublik Korea
Fläche: 122 762 km²
Einwohner: 22,9 Millionen
Bevölkerung: 99,8 Prozent Koreaner, 0,2 Prozent Chinesen.
Die DVR Korea hat weltweit die niedrigste Ausländerrate.
Hauptstadt: Pjöngjang (2,7 Millionen Einwohner)
Staatsform: Volksrepublik seit 1948. Laut Verfassung ist
die DVR Korea ein sozialistischer Staat. Der Marxismus wurde
allerdings offiziell durch die von Staatsgründer Kim Il Sung
entwickelte „Chuch’e-Ideologie“ ersetzt. Das Militär (1,2
Millionen Soldaten) hat einen erheblichen politischen Einfluss
und verbraucht einen Drittel des Bruttoeinkommens der DVR
Korea, die diesbezüglich deutlich vor den USA (drei Prozent)
an der Weltspitze liegt.
Staatsoberhaupt: Der 1994 verstorbene Kim Il Sung ist seit
1998 „Ewiger Präsident“. Protokollarisches Staatsoberhaupt ist
der Vorsitzende des Präsidiums der Obersten Volksversammlung, Kim Yong Nam. Faktisch nimmt Kim Jong Il, der Sohn
von Kim Il Sung, eine kaum eingeschränkte Machtposition im
Land ein. Kim Jong Il wird von seinen Landsleuten als „grosser
Führer“ bezeichnet, er ist Generalsekretär des Zentralkomitees
der Kommunistischen Partei der Arbeit Koreas (PdAK) und
Vorsitzender der Verteidigungskommission.
Regierungschef: Premierminister Pak Pong Ju (seit 2003).
Geschichte: Nachdem durch die Kapitulation Japans der
Zweite Weltkrieg sein Ende nahm (1945), wurde das seit 1910
von Japan besetzte Korea von den Siegermächten entlang
des 38. Breitengrads in zwei Besatzungszonen aufgeteilt.
Der Süden wurde von amerikanischen Truppen besetzt, der
Norden kam unter die Kontrolle der Roten Armee. Im Folgenden wurde in Nordkorea eine Wirtschafts- und Staatsform nach
sozialistischen Vorstellungen eingerichtet. Am 9. September
1948 proklamierte das Oberhaupt der späteren koreanischen
Arbeiterpartei, Kim Il Sung, die Demokratische Volksrepublik
Korea als Antwort auf die wenige Wochen zuvor erfolgte Ausrufung der Republik Korea im amerikanischen Einflussbereich.
Beide sahen sich jeweils als rechtmässige Regierung über ganz
Korea an. Nachdem sich beide Seiten wiederholt Gefechte an
der Grenze geliefert hatten, eskalierte der Konflikt schliesslich
zum Koreakrieg (1950–1953), der alle Hoffnungen auf eine
baldige Wiedervereinigung zunichte machte.
FUSSBALL
Verbandsgründung: 1945
FIFA-Mitglied: seit 1958
Verbandspräsident: Rim Kyong Man
Fussballer total: 110 000
Registriert: 5000
Nicht registriert: 100 000
Jugendliche: 5000
Profis: keine
Mädchen/Frauen: keine Angaben vorhanden
Schiedsrichter: 300
Offizielle: 1000
Vereine: 150
Teams: 800
Die DVR Korea (rotes Dress) will asiatische Konkurrenten wie die VR China (weisses Trikot) bald überflügeln.
Quellen:
Der Fischer Weltalmanach/Aktuell/Wikipedia/FIFA
eingeweiht. Nach einem Kunstrasen
im Stadion Kim Il Sung finanzierte der
Weltfussballverband die Renovation des
Verbandssitzes und die Erstellung zweier zusätzlicher Trainingsplätze. Darauf
absolvieren an diesem Festtag die ANationalteams der Männer und Frauen
Übungseinheiten. Sie haben sich nicht
eigens für die Einweihung die Trainingsanzüge übergezogen, sondern sie
versammeln sich hier regelmässig und
bereiten sich – nicht selten gemeinsam
– auf künftige Wettbewerbe vor.
BALD WELTMEISTER?
Skulptur und Plakette auf dem durch Goal mitfinanzierten
Trainingsgelände. – Ein nordkoreanischer Nationalspieler im
verbandseigenen Kraftraum.
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MAI 2006
Offiziell existiert der Profifussball
in der DVR Korea nicht. Viele Spielerinnen und Spieler gehen jedoch keinem
geregelten Beruf nach. Sie sind zwar in
Universitäten eingeschrieben, ihr Tages-
ablauf wird aber vom Fussball bestimmt.
Sie trainieren und spielen in Vereinen,
die von der Polizei oder dem Militär geführt werden. Finanzielle Unterstützung
erhalten die Fussballerinnen und Fussballer von der Regierung.
Fussball ist in diesem sozialistischen
Staat die beliebteste Sportart. Auch Kim
Jong Il, von seinem Volk als „grosser
Führer“ bezeichnet, gilt als Fussballanhänger. Im Eingangsbereich des Verbandsgebäudes hängt ein Gemälde, das
den Sohn des Staatsgründers Kim Il Sung
im Gespräch mit Fussballern zeigt.
In den vergangenen Jahren dürfte sich
Kim Jong Il insbesondere über die Fussballerinnen seines Landes gefreut haben.
Erst 1986 wurde ein Nationalteam gegründet, doch seither haben Nordkoreas
Frauen bereits dreimal den Asiatischen
Nationen-Pokal und einmal die AsienSpiele gewonnen sowie zweimal an der
FIFA Frauen-Weltmeisterschaft teilge-
nommen. Im Juli dieses Jahres steht in
Thailand die asiatische Qualifikation
für die WM 2007 in der Volksrepublik
China an. „Dieses Turnier wollen wir
gewinnen“, sagt PRK-Generalsekretär
Kim Jong Su. Sein Assistent O Kil Nam
blickt bereits etwas weiter in die Zukunft
und strebt noch höhere Ziele an: „In
absehbarer Zeit wollen wir Weltmeister
werden.“
FEHLENDE ERFAHRUNG
Realitätsfremd ist dieses Vorhaben
nicht, zumal die DVR Korea über mehrere talentierte Spielerinnen verfügt – allen voran die 26-jährige Ho Sun Hui.
Die Mittelfeldspielerin zählt bereits zu
den weltbesten Fussballerinnen. Sie
wirkt in der zehn Vereine umfassenden
Spitzenliga mit, deren Spiele durchschnittlich 3000 Zuschauer verfolgen.
Der Verband will sich nun bei der Regierung dafür stark machen, Spielerinnen
Gemeinsam
Im März 1991 fällten die Regierungen
und Fussballverbände der DVR Korea
und der Republik Korea den überraschenden Entscheid, ein gemeinsames
Team zur FIFA Junioren-Weltmeisterschaft nach Portugal (14.–30. Juni 1991)
zu entsenden, nachdem die beiden seit
Jahrzehnten verfeindeten Staaten die
Qualifikation für diese Endrunde noch
getrennt absolviert hatten.
Die Mannschaft, gebildet von zehn
Südkoreanern und acht Nordkoreanern
– auch der Betreuerstab setzte sich aus
Personen beider koreanischer Nationen
zusammen – scheiterte in Portugal im
Viertelfinale an Brasilien (1:5).
MAI 2006
29
magazine
DVR KOREA
DVR Korea
an FIFATurnieren
„Nur der Fussball
ist dazu fähig“
FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™
Qualifikation: 1966, 1974, 1982, 1986,
1990, 1994, 2006
Endrunde: 1966 (8. Rang)
Mohamed bin Hammam, Präsident der Asiatischen
Fussballkonföderation (AFC), Mitglied des FIFAExekutivkomitees und Vorsitzender des FIFA-GoalBureaus, über den Fussball in der DVR Korea.
Olympisches Fussballturnier
der Männer
Qualifikation: 1976, 1988, 1992, 2000, 2004
Endrunde: 1976 (8. Rang)
FIFA Junioren-Weltmeisterschaft
Qualifikation: 2003
Die DVR Korea (weiss-rotes Dress) überzeugte bei der FIFA U-17-Weltmeisterschaft 2005 (hier im Viertelfinale gegen Brasilien).
zu ausländischen Teams, am liebsten zu
europäischen, zu entsenden. „Was unseren Fussballerinnen und auch Fussballern vor allem fehlt, und das macht sich
in Begegnungen mit anderen Nationen
negativ bemerkbar, ist die internationale
Erfahrung“, sagt Kim Jong Su.
In der Vergangenheit gingen schon
mehrere nordkoreanische Fussballerinnen und Fussballer in die Volksrepublik China, nach Kasachstan, Thailand
und Schweden, doch es waren – in erster
Linie aus politischen Gründen – lediglich kurze Gastspiele.
Der Verband hofft, dass sich an diesem
Zustand bald etwas ändern wird. Nach
dem positiven Auftritt der männlichen
Auswahl bei der letztjährigen FIFA
U-17-Weltmeisterschaft in Peru, als sie
bis ins Viertelfinale vordrang und dort
erst in der Verlängerung am späteren
Finalisten Brasilien scheiterte, interessieren sich angeblich mehrere europäische
Vereine für nordkoreanische Jungfussballer. „Konkrete Angebote sind bislang
allerdings nicht bei uns eingetroffen“,
sagt Generalsekretär Kim Jong Su. Sollte
dies jedoch geschehen, würden seine
Mitstreiter und er sich dafür einsetzen,
diesen Talenten einen Wechsel ins Ausland zu ermöglichen.
Auch ranghohe Politiker wollen sich
dem Vernehmen nach für eine Öffnung
einsetzen – zumindest was den Fussball
30
MAI 2006
betrifft. Diese Absicht teilte Yang Hyong
Sop, Vizepräsident der Obersten Volksversammlung, Bin Hammam in einem
persönlichen Gespräch bei einer Tasse
Tee mit. Der Gastgeber eröffnete dem
AFC-Präsidenten auch, dass die DVR
Korea die Beziehungen zur AFC verbessern und verstärken werde. Und dann
sagte Yang noch dies: „Asiens Ziel muss
sein, dereinst die Nummer eins im Weltfussball zu werden.“
Etwas bescheidener, aber ebenfalls
selbstbewusst ist PRK-Generalsekretär Kim: „Mittelfristig wollen wir im
Frauen- und im Männerfussball die
Besten des asiatischen Kontinents sein.
Die Einführung des Profifussballs würde uns diesbezüglich enorm helfen, aber
das ist leider nicht realistisch. Die dafür
nötigen finanziellen Mittel sind nicht
vorhanden.“
MENTAL VERBESSERN
Während es im nordkoreanischen
Frauenfussball gut läuft, hinken die Männer hinterher. 1966 waren sie erstmals
und zugleich letztmals bei einer FIFA
Fussball-Weltmeisterschaft™ dabei und
sorgten damals in England mit einem
1:0-Erfolg über Italien für eine Weltsensation. Seither sind positive Schlagzeilen
rar. Für die diesjährige WM-Endrunde
in Deutschland vermochte sich die DVR
Korea in der Asien-Ausscheidung zwar
FIFA magazine: Sie haben im letzten Januar bereits das zweite GoalProjekt in der DVR Korea eingeweiht. Weshalb?
FIFA U-17-Weltmeisterschaft
Qualifikation: 2003, 2005
Endrunde: 2005 (8. Rang)
FIFA Frauen-Weltmeisterschaft
Qualifikation: 1991, 1999, 2003
Endrunde: 1999 (10. Rang), 2003 (11. Rang)
Olympisches Fussballturnier
der Frauen
Qualifikation: 2004
FIFA U-19-FrauenfussballWeltmeisterschaft
Qualifikation: 2002, 2004
Ganz oben: bin
Hammam mit dem
nordkoreanischen
Verbandspräsidenten Rim Kyong Man.
– Das neue Verbandsgebäude. – Nationalspielerin Ho Sun Hui.
FOTOS: AWE (6)/ALFIERI/IMAGO
für die Finalrunde zu qualifizieren, belegte dort in der Gruppe B hinter Japan,
Iran und Bahrain aber den letzten Platz.
„Unsere Fussballer müssen mental
besser werden“, sagt Kim. „Erst dann
können wir die Grossen wirklich herausfordern.“ Der Generalsekretär glaubt
nicht, dass nordkoreanische Fussballer
in nächster Zukunft zu europäischen
Vereinen wechseln werden. Nicht die
Politik erachtet er diesbezüglich als eine
zu hohe Hürde, sondern die Qualität
der Fussballer: „Unsere Spieler sind für
einen solchen Schritt noch nicht bereit.
In Europa herrscht auch keine Nachfrage nach unseren Fussballern.“
Mit vermehrten Testspielen gegen
starke Gegner, Trainingslagern in Europa, intensiveren Übungseinheiten, verbesserter Nachwuchsförderung, mehr
Kursen für Trainer, der Teilnahme an
AFC-Vereinswettbewerben und einer
verbesserten Kommunikation (siehe Interview mit Mohamed bin Hammam)
will der Verband den Rückstand auf
die Konkurrenz wettmachen. Die tollen
Leistungen der U-17-Auswahl bei der
WM 2005 in Peru sind Ansporn und
Hoffnung zugleich.
An Fussballbegeisterung im Land
mangelt es jedenfalls nicht. Während zu
Topspielen der zehn Klubs umfassenden
1. Division schon mal 15 000 Fans ins
Stadion kommen, ist die Arena bei Auftritten des A-Nationalteams nicht selten
ausverkauft.
Im TV finden die Partien der einheimischen Ligen dagegen selten statt,
europäische Meisterschaften so gut wie
gar nicht. Derzeit steht nicht einmal
fest, ob die fussballbegeisterten Nordkoreaner Livebilder des Endspiels der FIFA
Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland
2006™ sehen werden.
Mohamed bin Hammam: Fussball ist die weitaus beliebteste Sportart in der
DVR Korea, doch dieses Land benötigt dringend materielle und finanzielle Unterstützung – und dafür sorgen die FIFA und die AFC. Im Rahmen des ersten Goal-Projekts
finanzierte die FIFA im Stadion Kim Il Sung in Pjöngjang einen Kunstrasen, nun half
der Weltfussballverband bei der Renovation und beim Ausbau des Verbandsgebäudes
sowie bei der Erstellung von zwei zusätzlichen Rasenplätzen. Insgesamt hat die DVR
Korea von Goal 850 000 US-Dollar erhalten. Ich schliesse ein drittes Projekt in dieser
Nation nicht aus.
Wie beurteilen Sie die Qualität des nordkoreanischen Fussballs?
Bin Hammam: Das Land hat grosses fussballerisches Potenzial. Die DVR Korea
verfügt über viele talentierte Spielerinnen und Spieler. Während der Frauenfussball
und das Spiel auf Jugendebene in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte erzielt
haben, vermochte sich die A-Nationalmannschaft der Männer seit 1966 nicht mehr
für eine WM-Endrunde zu qualifizieren, obwohl der Fussball von der Regierung
unterstützt wird.
Welches sind die dringlichen Probleme im nordkoreanischen Fussball?
Bin Hammam: Die DVR Korea ist ein vollwertiges Mitglied der AFC und der
FIFA und eigentlich ein aktiver Verband. Doch im Kommunikationsbereich muss sich
einiges verbessern. Es braucht mehr Personen, die vollamtlich für den Verband arbeiten,
die erreichbar sind, die Probleme angehen und innerhalb nützlicher Frist lösen. Es darf
nicht sein, dass der Verband Auswahlmannschaften zu spät für ein Turnier anmeldet
und somit beispielsweise nicht an der Qualifikation für den Asien-Pokal 2007 teilnehmen kann. Die DVR Korea muss künftig auch mit Vereinen bei AFC-Wettbewerben
vertreten sein, was bislang nicht der Fall war. Doch ich bin überzeugt, dass sich die
Situation bald verbessern wird.
Woher nehmen Sie die Zuversicht?
Bin Hammam: Das wurde mir von hohen Funktionären und von Verbandsseite
versichert. Es hat sich auch schon einiges zum Positiven gewendet. Wir haben von
der DVR Korea beispielsweise verlangt, dass im Rahmen der Qualifikation für die
FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2006™ bei Heimspielen ausländischen Gästen gleich
bei deren Ankunft in Pjöngjang Visa ausgestellt, Bilder der Spiele für alle interessierten Fernsehanstalten zugänglich gemacht und Internetleitungen für ausländische
Medienvertreter zur Verfügung gestellt werden. Das alles hat geklappt, und zwar in
einem Land, in dem solche Dinge vorher unmöglich waren. Es hat mir einmal mehr
gezeigt, wozu der Fussball, und nur er, fähig ist.
awe
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