Oliver Kahn „Dazwischen gibt es nichts“
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Oliver Kahn „Dazwischen gibt es nichts“
magazine INTERVIEW Oliver Kahn „Dazwischen gibt es nichts“ Oliver Kahn ist einer der weltbesten Torhüter. Bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2006™ im eigenen Land will der Deutsche mit seinem Team das Finale erreichen – und dabei attraktiven Fussball zeigen, wie er im Interview mit dem FIFA magazine sagt. FIFA magazine: Wie steht es um Ihren Puls, wenn Sie an die bevorstehende WM denken? Oliver Kahn: Da ich ja keine 20 mehr bin, bin ich recht gelassen, denn ich kann das sehr gut einordnen. Auf der anderen Seite ist der Fokus schon länger auf diese WM gerichtet. Das betraf das Training in letzter Zeit, die Spiele mit dem Verein, die ganze Vorbereitung darauf. Da legt man in einem WM-Jahr einfach einen Tick mehr Spannung und Konzentration rein. Wenn man eine gute Weltmeisterschaft spielen will, dann muss man zuvor eine gute Saison im Verein gespielt haben. VON GEORG HEITZ Wie oft werden Sie gegenwärtig auf die WM angesprochen? Kahn: Die Leute sind natürlich schon heiss auf dieses Turnier, das ist keine Frage. Viele Menschen freuen sich schon seit Jahren auf dieses Grossereignis. Es ist für einen Spieler sehr schön, diese Begeisterung zu spüren. Wie können die deutschen Spieler während des Turniers im eigenen Land abschalten? Ist das zwischen den Partien überhaupt möglich? Kahn: Das wird nicht einfach. Zwar haben wir das Mannschaftshotel, in das wir uns zurückziehen können. Sobald wir aber hinausgehen, sind wir mitten in den Fans. Es sind ja nicht nur Deutsche, sondern Menschen aus der ganzen Welt, die sich in dieser Zeit nur mit Fussball beschäftigen. So ist es auch eine Frage der Erfahrung eines Spielers. Wie kann ich abschalten? Das muss jeder für sich selbst lösen. Ich persönlich habe meine Möglichkeiten im mentalen Bereich. Die Hysterie um die deutsche Mannschaft wird weiter zunehmen, auch in der Berichterstattung der Medien. Stört Sie das? 16 MAI 2006 Kahn: Nein, denn ich beschäftige mich nicht besonders stark damit, ich konzentriere mich auf das Wesentliche. Und das sind für mich das Training, die Vorbereitung, die Regeneration, mein Kopf, mein Körper. Trotzdem werden Sie und Ihre Kollegen zu nahezu allem befragt … Kahn: … aber man muss ja nicht zu allem eine Auskunft geben. Es ist ganz wichtig – gerade für die jungen Spieler in der deutschen Nationalmannschaft –, dass wir Prioritäten setzen. Da muss man halt verständlich machen, dass man nicht allem gerecht werden kann. Das wiederum sollte dann auch akzeptiert werden. Stichwort junge Spieler. Wie erleben Sie diese in der Mannschaft? Verhalten die sich anders, als Sie selbst dies in diesem Alter taten? Kahn: Sicher. Man darf nicht vergessen, ich bin jetzt im 19. Jahr als Fussballprofi. Da hat sich einiges verändert, das ist heute eine neue Generation, die ihren eigenen Weg geht. Ich kann als älterer Spieler schon Hilfestellung in einigen Situationen geben, sogar Einfluss nehmen und meine Sicht der Dinge vermitteln. Das ist ein spannender Prozess, bei dem man sich gegenseitig befruchtet. Befürchten Sie, dass auf Grund der allgemeinen Erwartungshaltung und der Jugendlichkeit einiger Kadermitglieder am 9. Juni im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica die Besonnenheit fehlt? Dass mit dem Anpfiff acht Spieler nach dem Motto „Achtung, fertig, los“ nach vorne stürmen? Kahn: Natürlich (er lacht). Ich weiss, wie schwierig das ist. Ich habe das schon erlebt, als ich 1994 in den USA zum MAI 2006 17 Toshiba recommends Windows® XP. magazine INTERVIEW Oliver Kahn Be part of the game. One Japanese player will be in on all the FIFA World Cup™ action. Microsoft and Windows are either registered trademarks or trademarks of Microsoft Corporation in the United States and/or other countries. © Photo by Action Images Your sports pages. Your team shop. Your local bookies. 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Denn man spürt schon, wenn man ins Stadion kommt, noch vor dem Anpfiff, dass da etwas anders ist. In einem WM-Spiel herrscht eine ganz andere Atmosphäre als beispielsweise bei einer Partie der Champions League oder bei einer Bundesliga-Begegnung. Es wird aussergewöhnlich werden. Was sind die Unterscheide zwischen der heutigen deutschen Nationalmannschaft und den Teams der WM 2002 und der EURO 2004? Kahn: Solche Vergleiche sollte man nicht anstellen. Wir haben im Moment eine gute Mischung, was die Altersstruktur im Team betrifft. Eventuell mangelnde internationale Erfahrung können wir da sicher mit der riesigen Motivation durch den Heimvorteil mehr als kompensieren. Diese Motivation und Anspannung wird uns zu Höchstleistungen treiben. Das haben die Franzosen bei der WM 1998 gezeigt. Anfangs war es für sie im eigenen Land sogar schwierig, in Fahrt zu kommen. Doch ab einem gewissen Punkt konnten sie sich von den Zuschauern tragen lassen. So ähnlich möchten wir das auch hinkriegen. herausgestrichen wird. Manchmal wird dieser Antrieb fast als eine Art Krankheit dargestellt. Können Sie darüber lachen? Kahn: Ich bewerte das eigentlich neutral, wobei ich mitunter schon lächle. Wenn einer glaubt, dass die konstante Leistung auf hohem Niveau mit links gelingt. Wer glaubt, dass einem das zugeflogen kommt, der liegt komplett daneben. Den Ehrgeiz braucht es, um sich zu stetiger harter Arbeit anzuspornen, den muss man entwickeln, um besser zu sein als die anderen. Und das geht jedem anderen Spitzensportler auch so? Kahn: Ja, egal in welcher Sportart sich einer bewegt. Ganz oben an der Spitze, da muss hart und konsequent gearbeitet werden. Mein früherer Trainer bei Bayern München, Giovanni Trapattoni, führte jeden Tag an sich banale Übungen mit Weltklasseleuten wie einem Lothar Matthäus durch. So wie ein Klavierspieler immer wieder seine Partitur spielen muss, muss ein Fussballer stets die Grundlagen trainieren. Sie wurden mit dem Übernamen „Titan“ bedacht. Schmeichelt Ihnen dieser Ausdruck, oder finden Sie ihn daneben? Kahn: Ach, das ist halt eine boulevardeske Schlagzeile, die mich nicht weiter tangiert. Die Medien bauen gerne solche Begriffe auf, ich habe mich daran gewöhnt. Ein Fehler wäre allerdings, selbst zu glauben, dass dieses entwickelte Bild tatsächlich Realität ist. Das lernt man ganz schnell im Profigeschäft. Der Saudi-Araber Sami Al Jaber hat gesagt, er fürchte bei der WM nur eines: Ihren Händedruck. Ist seine Angst berechtigt, falls ihr beide aufeinander trefft? Kahn: Nein (er lacht). Ich bin wohl auf dem Spielfeld sehr emotional, sehr ernsthaft und angespannt, doch daraus kann man nur wenig Rückschlüsse auf den eigentlichen Menschen ziehen. Es ist doch ein Unterschied, wie sich ein Sportler auf seiner Bühne gibt und wie er privat ist. Ein Boxer geht nach einem knallharten Kampf ja auch nicht nach Hause und schlägt den Erstbesten zu Boden, der ihm über den Weg läuft. Solche Rückschlüsse sind ein wenig absurd. Trotzdem haben Torhüter einen kräftigen Händedruck. Kahn: Er wird ihnen nachgesagt. Es handelt sich dabei ja auch nicht um einen filigranen Job, sondern um handfeste, harte Arbeit. Toni Schumacher (einer der Vorgänger Kahns im deutschen Nationalteam; Red.) hat einmal gesagt: „Der Torwartjob ist niemals gerecht.“ Dieser Satz sagt eine Menge darüber, wie man sich mental mit dieser Aufgabe auseinander setzen muss. Wie sehr hat sich das Torwartspiel in den letzten Jahren gewandelt? Kahn: Es hat sich revolutionär verändert, als die Rückpassregel eingeführt wurde. Heute hat der Torhüter hinter der Es gibt kaum einen Bericht über Sie, in dem nicht Ihr Ehrgeiz Be part of the game. With Toshiba, Official IT Partner of the 2006 FIFA World Cup™. www.be-part-of-the-game.com MAI 2006 19 magazine INTERVIEW OLIVER KAHN Oliver Kahn Vierer-Abwehrkette die Funktion eines Liberos. Er muss zudem seinen Fünfmeterraum beherrschen – und dies bei stark verbesserter Athletik der Feldspieler und immer schneller werdenden, neu entwickelten Bällen. Das Anforderungsprofil umfasst wirklich vieles. Flanken sind heutzutage wie Schüsse. Wenn früher einer flankte, konnte man als Torwart einmal ums Tor laufen und dann den Ball fangen. Das geht längst nicht mehr. Heute gibt es Spezialisten für Standardsituationen, was deren Bedeutung und Gefahr enorm gesteigert hat. Der deutsche Bundestrainer Jürgen Klinsmann war einst Ihr Teamkollege bei Bayern München. Bereitet Ihnen das Mühe? Kahn: Das ist schon so lange her, zehn Jahre, das spielt überhaupt keine Rolle. Klinsmann hat einige Innovationen in den Trainingsalltag eingebracht. Erreicht er damit die Spieler? Der Fussballer ist doch eher ein Traditionalist. Kahn: Die neuen Ideen werden oft überzogen dargestellt. Ich selbst spüre positive Auswirkungen der Trainingsarbeit, etwa des Fitnesstrainings. Man muss im Sport offen sein für Innovationen, sich mit ihnen befassen. Der Fussball ist vielleicht eher konservativ, es kann vorkommen, dass Neues zunächst einmal kritisch betrachtet wird. Am Ende hängt aber alles vom Ergebnis ab. Stimmen die Resultate, dann hat man alles richtig gemacht. Sonst war alles falsch. Und dazwischen gibt es nichts. Welches Ergebnis muss Deutschland bei der WM erzielen, damit man alles richtig gemacht hat? Kahn: Unser Ziel ist es, ins Finale zu kommen. Dabei genügt es nicht, irgendwie ins Endspiel zu stolpern. Das hat der Konföderationen-Pokal im letzten Jahr gezeigt. Die Zuschauer sind irre mitgegangen, weil sie von unserer Spielweise angetan waren, auch wenn wir nicht um Platz eins spielten. Ist die Pause zwischen Meisterschaftsende und WM-Start lange genug? Kahn: Das ist für mich überhaupt kein Problem. Wer über ein Jahrzehnt bei Bayern München spielt, der weiss gar nicht, was eine Pause ist. Wer wird der Star der WM 2006? Kahn: In dieser Frage gab es immer wieder Überraschungen. Wer ausserhalb Italiens kannte beispielsweise vor dem Turnier 1990 einen Toto Schillaci? Jene, Geboren am: 15. Juni 1969 in Karlsruhe (Deutschland) Nationalität: Deutscher Zivilstand: getrennt, zwei Kinder (KatharinaMaria, David) Grösse: 188 cm Gewicht: 91 kg Position: Torhüter Vereine als Spieler: 1975–1994: Karlsruher SC. Seit 1994: FC Bayern München (Vertrag bis 2008). Erfolge als Spieler: Gewinner der EURO (1996), Gewinner des UEFA-Pokals (1996), Deutscher Meister (1997, 1999, 2000, 2001, 2003, 2005), Gewinner des DFB-Pokals (1998, 2000, 2003, 2005), Gewinner des DFB-Ligapokals (1997, 1998, 1999, 2000, 2004), Finalist UEFA Champions League (1999), Gewinner der UEFA Champions League (2001), Gewinner des Toyota-Pokals (2001), Finalist FIFA FussballWeltmeisterschaft™ (2002). Bester Torhüter und Spieler bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ (2002), Welttorhüter des Jahres (1999, 2001, 2002), Europas Torhüter des Jahres (1999, 2000, 2001, 2002), Deutschlands Fussballer des Jahres (2001, 2002), Deutschlands Torhüter des Jahres (1994, 1997, 1999, 2000, 2001, 2002). 83 A-Länderspiele für Deutschland. Stand: 28. Februar 2006 die im Vorfeld hoch gehandelt werden, halten dem Druck nicht immer stand. Beenden Sie bitte zum Schluss folgende drei Sätze: Franz Beckenbauer ist für mich … Kahn: … der Kaiser. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit Ronaldo bei der WM, weil … Kahn: … wir noch eine Rechnung offen haben. Am 10. Juli 2006, dem Tag nach dem WM-Finale in Berlin, werde ich … Kahn: … hoffentlich eine Menge zu feiern haben. „Stimmen die Resultate, dann hat man alles richtig gemacht. Sonst war alles falsch.“ MAI 2006 21 magazine JOÃO HAVELANGE Der Aristokrat des Fussballs wird 90 Während 24 Jahren war João Havelange FIFA-Präsident, seit 1998 ist er Ehrenpräsident des Weltfussballverbandes. Am 8. Mai feiert der Brasilianer seinen 90. Geburtstag. Eine Laudatio des Schweizer Sportjournalisten und langjährigen Havelange-Freundes Walter Lutz. A ls Jean Marie Faustin Godefroid Havelange, von den Eltern kurz João genannt, am 8. Juni 1998 in Paris als FIFA-Präsident zurücktrat, 24 Jahre nach seiner ersten Wahl, schloss er den 51. FIFA-Kongress mit den Worten: „Ich sage nicht auf Wiedersehen, denn wenn man auf Wiedersehen sagt, erweckt man den Eindruck, wieder kommen zu wollen. Deshalb sage ich Adieu, und wenn man mich bittet, wieder zu kommen, komme ich wieder.“ Havelange hatte seinem bisherigen Generalsekretär, Manager und späteren Freund Joseph S. Blatter Platz gemacht und sich im Wahlkampf kräftig für ihn eingesetzt. Seinen Nachfolger nannte er jetzt nicht mehr seinen Sohn, sondern „meinen jüngeren Bruder“. Und nun, am 8. Mai 2006, kann also der markanteste und erfolgreichste Präsident in der über 100-jährigen Geschichte des Weltfussballverbandes seinen 90. Geburtstag feiern. Er tut es frisch, fit, munter und klar im Kopf – als wäre er noch nicht 75. KNAPPER SIEG Dreimal Havelange: mit seinem damaligen Generalsekretär Joseph S. Blatter (ganz oben), nahe der Copacabana in Rio de Janeiro und bei seinem 80. Geburtstag mit Gattin Anna Maria. 22 MAI 2006 70 Jahre nach der Gründung der FIFA, nach sechs europäischen Präsidenten und nach der Bildung von bereits fünf aussereuropäischen Konföderationen schien die Zeit für den ersten nichteuropäischen Präsidenten überreif. Es wäre ein wichtiger Schritt in die Zukunft und mehr als nur eine Geste gegenüber den bis dahin vernachlässigten Schwellenländern gewesen, in denen die Begeisterung für und der Hunger nach Fussball ständig wuchsen. Ähnliche Gedanken wurden schon 20 Jahre früher im als erzkonservativ geltenden Internationalen Olympischen Komitee (IOK) gewälzt. Das geschah dort mit dem Resultat, dass der US-Amerikaner Avery Brundage 1952 für 20 Jahre zum ersten und bis heute einzigen nichteuropäischen Präsidenten gewählt wurde. Aus der Einsicht, dass es immer dringender werde, massive Entwicklungshilfe zu leisten, um die Globalisierung des Fussballs endlich voranzutreiben, entschloss sich Havelange 1971 auf Druck von Freunden, für das präsidiale Amt zu kandidieren. Er wollte mit dem Fussball einen Beitrag zur Verringerung wirtschaftlicher, sozialer, aber auch sportlicher Ungleichheiten leisten. Auch weil er wusste, dass der damalige Präsident, Sir Stanley Rous, im Wahljahr (1974) 80-jährig werden würde. Rous und Havelange lieferten sich den bis dahin aufwendigsten Wahlkampf der FIFAGeschichte. Havelange mit einem ambitiösen, klaren Siebenpunkteprogramm, das eine grosszügige Entwicklungshilfe in allen Winkeln der Welt vorsah, mit Kursen, der Aufstockung der WM-Endrunde von 16 auf 24 Teilnehmer und der Einführung von Weltmeisterschaften auch für Jugendliche. Doch die europäischen Verbände, die noch nicht erkannt zu haben schienen, dass in aller Welt ein enormes fussballerisches Entwicklungspotenzial brach lag, hielten an ihrem eigennützigen Kontinentaldenken fest. Sie wollten Seine Ausstrahlung ist so speziell, dass man ihn zu jener Sorte Menschen zählt, von denen es heisst, sie würden, wenn sie einen Saal betreten, diesen durch ihre Persönlichkeit auch gleich ausfüllen. FOTOS: FIFA die FIFA-Führung und damit ihre Vormachtstellung unter keinen Umständen preisgeben. Zwei angesehene und einflussreiche Fussballführer Europas, die etwas weiter dachten und über die Meere hinausblickten, FIFA-Vizepräsident Ernst B. Thommen und UEFAPräsident Gustav Wiederkehr, waren leider beide bereits gestorben und konnten nicht mehr für eine Umkehr sorgen. Obwohl Havelange, der im Wahlkampf 182 Länder besucht hatte, 20 Jahre jünger als sein Gegenkandidat war, endete die Abstimmung mit einem erstaunlich knappen Sieg des Brasilianers: 62:56 im ersten Wahlgang (absolute Mehrheit 79), 68:52 dann im zweiten. NEUE PERSPEKTIVEN Havelange liess sich dadurch nicht irritieren und wich keinen Buchstaben von seinen Zielen ab. Er leitete in der FIFA, die damals gerade zwölf Angestellte zählte, entschlossen eine neue Ära ein. An ihrem Anfang stand die Erfüllung der Wahlversprechen. Dafür suchte er einen dynamischen Manager. Er fand ihn mit sicherem Gespür in Blatter. Jetzt galt es – erstmals –, Sponsoren zu finden. Zum ersten Mal überhaupt fielen damals, es sind erst drei Jahrzehnten her, Worte wie Marketing und Merchandising im FIFA House. Die neuen Finanzquellen öffneten fast schlagartig den Weg zu neuen Ufern und zeigten neue Perspektiven auf. Havelange wies Vorzüge auf, über die damals nicht viele Präsidenten im Sport verfügten. Als Unternehmer wusste er mit Geschäftsleuten und Aufsichtssräten umzugehen. Als Vorsitzender der wichtigsten brasilianischen Autobusfirma und als Aufsichtsrat in zahlreichen weiteren Gesellschaften, fand er namhafte kommerzielle Partner. Als Anwalt war MAI 2006 23 magazine JOÃO HAVELANGE Stationen eines bewegten Lebens: Havelange als Schwimmer, als Unternehmer und beim Papstbesuch. er im öffentlichen Verkehr, in der Chemieindustrie, im Bankwesen, bei Versicherungs- und Werbeagenturen, die er präsidierte, tätig. In diesen Beziehungen lag das Geheimnis für das rasche Gelingen der Entwicklungshilfe. Sie zahlte sich auch aus. Durch Neueintritte von über 40 Nationen aus Afrika, Asien und Ozeanien erhöhte sich die Mitgliederzahl nun rasch von 141 auf 190. Es war, wie sich zeigte, der erste Schritt, um aus der FIFA eine Familie zu machen. FÜNF STUNDEN SCHLAF Typisch für die Art, mit der Havelange tief greifend seine neue Aufgabe anpackte, war etwa, dass er, noch nicht einmal ein Jahr im Amt, eine Sitzung des Exekutivkomitees im April 1975 demonstrativ nach Afrika (Dakar) einberief. Er wollte sofort ein Zeichen setzen und damit seinen Kollegen im Führungsorgan klar machen, dass seine Zielsetzungen nicht leere Worte waren. Als Sohn belgischer Eltern in Rio de Janeiro als Brasilianer geboren, wo sein früh verstorbener Vater – João war erst 18 – als Mineningenieur tätig war, wurde er in französischsprachigen belgischen Internaten geschult und erzogen, bevor er früh als Rechtsanwalt und Dr. iur. promovierte. Von da an hiess es deshalb oft, Havelange sei ein halber Europäer, ein ganzer Brasilianer und dazu, das ganz gewiss, ein Mann von Welt – weil er global dachte und Menschen, Kulturen und Religionen mit Respekt begegnete. Aus dieser Optik heraus versuchte er, im Fussball nach der Dekolonialisierung in Afrika so etwas wie eine neue Ordnung zu begründen. Beinahe im Stil eines hohen Kolonialoffiziers versorgte Havelange die „Ureinwohner“, denen er wohl gewogen war, als Erstes mit Bällen, Spielfeldern, Trainern und verhalf ihnen damit zu Hoffnung, Freizeitvergnügen, mehr Lebensfreude und Selbstachtung. Eine Binsenwahrheit bewahrheitete sich: Wie die Geschichte eines Landes oder eines Unternehmens wird auch die der FIFA nicht von Programmen und Organigrammen gemacht, nicht von Strukturen und Regeln geprägt, sondern von herausragenden Persönlichkeiten. Eine solche war Havelange, der baumlange, athletische und heute noch elastische Herr mit den klaren hellblauen Augen, einer sonoren Stimme, der heute noch täglich 40 Minuten schwimmt, einen Ruhepuls von unter 60 Schlägen hat, in seinem Leben nie rauchte und nur zum Anstossen Wein trank. Vielleicht auch weil er 1936 an den Olympischen Spielen über 1500 m Crawl und 1952 in Helsinki im Wasserball an den Start ging und sich auch nachher stets sportlich betätigte. Offenbar unermüdlich, genügen ihm meist fünf Stunden Schlaf. In seiner Amtszeit hat er 192 Mitgliedsländer je dreimal besucht. Er hat exakt errechnet, dass er in seinen 24 Präsidialjahren insgesamt 27 000 Stunden im Flugzeug verbrachte. Das sind drei Jahre und zwei Monate, in denen er den Erdumfang von rund 40 000 km insgesamt etwa 50 Mal umrundete – und kaum je unter dem Jetlag litt. „AMI HANS“ Mit seiner hartnäckigen Vorwärtsstrategie machte Havelange aus dem Fussball ein Produkt und aus der FIFA ein modernes Unternehmen. Eine Marke, ein Gütezeichen, ein Begriff. Er ist immer ein Leader, profitiert von einem aussergewöhnlichen Gedächtnis, scheint immer Zeit zu haben, wirkt nie hektisch und aufgeregt, zeigt nie Spuren von Stress. Liebenswürdig, höflich, geduldig und grosszügig hat er die Gabe, die Menschen, ihren Charakter und ihre Fähigkeiten gut einschätzen zu können. Den Kopf voller Ideen und Projekte, ver- Reich an Lebenserfahrung und mit beträchtlichen Sportkenntnissen ausgerüstet, konnte ihm niemand etwas vormachen. 24 MAI 2006 knüpft er Autorität und Macht, strahlt Charisma aus, vereinigt Weitblick und Weltoffenheit, hat etwas Herzliches und trotz aller Zurückhaltung auch etwas Spontanes. Als Präsident kannte Havelange die wichtigsten Dossiers genau. Reich an Lebenserfahrung und mit beträchtlichen Sportkenntnissen ausgerüstet, konnte ihm niemand etwas vormachen. Er ist der Doyen im IOK, dem er seit 1963 angehört. Dazu war er 15 Jahre lang Präsident der Dachorganisation Brasiliens. Und im Fussball wirkte er als Delegationschef bei den Weltmeisterschaften 1958, 1962 und 1970, genau in den Jahren, in denen die „Seleção“ Weltmeister wurde. Havelange ist aber auch eine treue Seele. Grössen aus Politik und Wirtschaft, aus Sport und Armee vereinigen sich in Zürich seit 30 Jahren jährlich zweimal zu einem geselligen Beisammensein bei einem Fussballspiel, das jahrelang als FIFA – UEFA etikettiert war. Havelange hat an mehr als 60 Zusammenkünften nur ein einziges Mal gefehlt, früher dabei auch Fussball gespielt und mit seiner brasilianischen Ballbehandlung beeindruckt. Aus den Kontakten mit einigen dieser Bankiers, Minister, Dreisternegenerälen, Verlegern, Stadtpräsidenten, Olympiasiegern und Sportführern haben sich dauernde Beziehungen entwickelt. Der FIFA-Präsident hiess in diesem exklusiven Kreis nie „Monsieur le Président“. Man nannte ihn halb französisch und halb deutsch einfach „Ami Hans“. MONUMENT DER FIFA Havelange ist kein Mann grosser Worte und langer Reden. Er ist schlicht in seinen Auftritten. Anders als heute Politiker und Wirtschaftsführer hat er nie nach medialer Anerkennung gelechzt. Und Pressekonferenzen dauerten bei ihm, nicht zur Freude aller Medienleute, nie eine Ewigkeit. Das entspricht seinem distinguierten, diskreten, oft etwas zurückhaltenden Wesen. Havelange ist ein Monument der FIFA, eine Autorität, eine Respektsperson von hoher Akzeptanz, unantastbar und integer, er steht immer jenseits von Gut und Böse. Seine Haltung, die konsequente „innere“ und die noch immer straffe „äussere“, drückt etwas Vornehmes, Aristokratisches, Patriarchalisches aus. Und seine Ausstrahlung ist so speziell, dass man ihn zu jener Sorte Menschen zählt, von denen es heisst, sie würden, wenn sie einen Saal betreten, diesen durch ihre Persönlichkeit auch gleich ausfüllen. Havelanges Verdienst ist es zuallererst gewesen, einen schlafenden Koloss wachgerüttelt zu haben. Und er hat dazu in Form einer Vision ein kühnes Zukunftsbild entworfen und grosse Teile davon umgesetzt. Als die FIFA am 21. Mai 2004 in Paris ihren 100. Geburtstag feierte, hat sich für Havelange ein Kreis geschlossen. Der 54. FIFA-Kongress erwies seinem Ehrenpräsidenten eine besondere Ehre und krönte seine Laufbahn mit dem Jubiläumsverdienstorden. Die Hommage hatte besonderen Charakter. Mit einer langen stehenden Ovation, wie man sie nicht oft erlebt, und die wohl einmalig von Menschen aus 205 Nationen und aller Kulturen spontan dargebracht wurde, fand Havelanges Lebenswerk eine eindrucksvolle Krönung. Überrascht, beeindruckt, verwirrt, etwas verlegen und verloren, aber gleichwohl nicht ohne Stolz, nahm der sonst nie seine Haltung verlierende Havelange mit Tränen in den Augen die Huldigung entgegen. MAI 2006 25 magazine DVR KOREA Hohe Ziele und viele Träume Nicht zuletzt mit der Unterstützung der FIFA hofft der nordkoreanische Fussball, bald wieder für positive Schlagzeilen sorgen zu können. An Willen fehlt es jedenfalls nicht – ebenso wenig an Zielen und Wünschen. VON ANDREAS WERZ I n der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang ist es an diesem 29. Januar 2006 bitterkalt – minus zwölf Grad Celsius. Trotzdem wird einem warm ums Herz, wenn man die fröhlichen Kinder sieht, die sich an diesem Sonntag auf dem Gelände des Fussballverbandes der DVR Korea (PRK) versammelt haben. Die Schar lacht, schreit und applaudiert, als ausländische Besucher erscheinen, angeführt von Mohamed bin Hammam aus Katar, dem Präsidenten der Asiatischen Fussballkonföderation (AFC) und Vorsitzenden des Goal-Bureaus der FIFA. Eine Blaskappelle spielt die FIFA-Hymne, ranghohe nationale Regierungs- und Fussballvertreter, unter ihnen PRK-Präsident Rim Kyong Man, sind anwesend, als Bin Hammam eine Plakette enthüllt. Zum zweiten Mal schon wird in der DVR Korea ein Projekt im Rahmen des FIFA-Entwicklungsprogramms Goal MAI 2006 27 magazine DVR KOREA Land, Leute und Fussball Offizielle Landesbezeichnung: Demokratische Volksrepublik Korea Fläche: 122 762 km² Einwohner: 22,9 Millionen Bevölkerung: 99,8 Prozent Koreaner, 0,2 Prozent Chinesen. Die DVR Korea hat weltweit die niedrigste Ausländerrate. Hauptstadt: Pjöngjang (2,7 Millionen Einwohner) Staatsform: Volksrepublik seit 1948. Laut Verfassung ist die DVR Korea ein sozialistischer Staat. Der Marxismus wurde allerdings offiziell durch die von Staatsgründer Kim Il Sung entwickelte „Chuch’e-Ideologie“ ersetzt. Das Militär (1,2 Millionen Soldaten) hat einen erheblichen politischen Einfluss und verbraucht einen Drittel des Bruttoeinkommens der DVR Korea, die diesbezüglich deutlich vor den USA (drei Prozent) an der Weltspitze liegt. Staatsoberhaupt: Der 1994 verstorbene Kim Il Sung ist seit 1998 „Ewiger Präsident“. Protokollarisches Staatsoberhaupt ist der Vorsitzende des Präsidiums der Obersten Volksversammlung, Kim Yong Nam. Faktisch nimmt Kim Jong Il, der Sohn von Kim Il Sung, eine kaum eingeschränkte Machtposition im Land ein. Kim Jong Il wird von seinen Landsleuten als „grosser Führer“ bezeichnet, er ist Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Arbeit Koreas (PdAK) und Vorsitzender der Verteidigungskommission. Regierungschef: Premierminister Pak Pong Ju (seit 2003). Geschichte: Nachdem durch die Kapitulation Japans der Zweite Weltkrieg sein Ende nahm (1945), wurde das seit 1910 von Japan besetzte Korea von den Siegermächten entlang des 38. Breitengrads in zwei Besatzungszonen aufgeteilt. Der Süden wurde von amerikanischen Truppen besetzt, der Norden kam unter die Kontrolle der Roten Armee. Im Folgenden wurde in Nordkorea eine Wirtschafts- und Staatsform nach sozialistischen Vorstellungen eingerichtet. Am 9. September 1948 proklamierte das Oberhaupt der späteren koreanischen Arbeiterpartei, Kim Il Sung, die Demokratische Volksrepublik Korea als Antwort auf die wenige Wochen zuvor erfolgte Ausrufung der Republik Korea im amerikanischen Einflussbereich. Beide sahen sich jeweils als rechtmässige Regierung über ganz Korea an. Nachdem sich beide Seiten wiederholt Gefechte an der Grenze geliefert hatten, eskalierte der Konflikt schliesslich zum Koreakrieg (1950–1953), der alle Hoffnungen auf eine baldige Wiedervereinigung zunichte machte. FUSSBALL Verbandsgründung: 1945 FIFA-Mitglied: seit 1958 Verbandspräsident: Rim Kyong Man Fussballer total: 110 000 Registriert: 5000 Nicht registriert: 100 000 Jugendliche: 5000 Profis: keine Mädchen/Frauen: keine Angaben vorhanden Schiedsrichter: 300 Offizielle: 1000 Vereine: 150 Teams: 800 Die DVR Korea (rotes Dress) will asiatische Konkurrenten wie die VR China (weisses Trikot) bald überflügeln. Quellen: Der Fischer Weltalmanach/Aktuell/Wikipedia/FIFA eingeweiht. Nach einem Kunstrasen im Stadion Kim Il Sung finanzierte der Weltfussballverband die Renovation des Verbandssitzes und die Erstellung zweier zusätzlicher Trainingsplätze. Darauf absolvieren an diesem Festtag die ANationalteams der Männer und Frauen Übungseinheiten. Sie haben sich nicht eigens für die Einweihung die Trainingsanzüge übergezogen, sondern sie versammeln sich hier regelmässig und bereiten sich – nicht selten gemeinsam – auf künftige Wettbewerbe vor. BALD WELTMEISTER? Skulptur und Plakette auf dem durch Goal mitfinanzierten Trainingsgelände. – Ein nordkoreanischer Nationalspieler im verbandseigenen Kraftraum. 28 MAI 2006 Offiziell existiert der Profifussball in der DVR Korea nicht. Viele Spielerinnen und Spieler gehen jedoch keinem geregelten Beruf nach. Sie sind zwar in Universitäten eingeschrieben, ihr Tages- ablauf wird aber vom Fussball bestimmt. Sie trainieren und spielen in Vereinen, die von der Polizei oder dem Militär geführt werden. Finanzielle Unterstützung erhalten die Fussballerinnen und Fussballer von der Regierung. Fussball ist in diesem sozialistischen Staat die beliebteste Sportart. Auch Kim Jong Il, von seinem Volk als „grosser Führer“ bezeichnet, gilt als Fussballanhänger. Im Eingangsbereich des Verbandsgebäudes hängt ein Gemälde, das den Sohn des Staatsgründers Kim Il Sung im Gespräch mit Fussballern zeigt. In den vergangenen Jahren dürfte sich Kim Jong Il insbesondere über die Fussballerinnen seines Landes gefreut haben. Erst 1986 wurde ein Nationalteam gegründet, doch seither haben Nordkoreas Frauen bereits dreimal den Asiatischen Nationen-Pokal und einmal die AsienSpiele gewonnen sowie zweimal an der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft teilge- nommen. Im Juli dieses Jahres steht in Thailand die asiatische Qualifikation für die WM 2007 in der Volksrepublik China an. „Dieses Turnier wollen wir gewinnen“, sagt PRK-Generalsekretär Kim Jong Su. Sein Assistent O Kil Nam blickt bereits etwas weiter in die Zukunft und strebt noch höhere Ziele an: „In absehbarer Zeit wollen wir Weltmeister werden.“ FEHLENDE ERFAHRUNG Realitätsfremd ist dieses Vorhaben nicht, zumal die DVR Korea über mehrere talentierte Spielerinnen verfügt – allen voran die 26-jährige Ho Sun Hui. Die Mittelfeldspielerin zählt bereits zu den weltbesten Fussballerinnen. Sie wirkt in der zehn Vereine umfassenden Spitzenliga mit, deren Spiele durchschnittlich 3000 Zuschauer verfolgen. Der Verband will sich nun bei der Regierung dafür stark machen, Spielerinnen Gemeinsam Im März 1991 fällten die Regierungen und Fussballverbände der DVR Korea und der Republik Korea den überraschenden Entscheid, ein gemeinsames Team zur FIFA Junioren-Weltmeisterschaft nach Portugal (14.–30. Juni 1991) zu entsenden, nachdem die beiden seit Jahrzehnten verfeindeten Staaten die Qualifikation für diese Endrunde noch getrennt absolviert hatten. Die Mannschaft, gebildet von zehn Südkoreanern und acht Nordkoreanern – auch der Betreuerstab setzte sich aus Personen beider koreanischer Nationen zusammen – scheiterte in Portugal im Viertelfinale an Brasilien (1:5). MAI 2006 29 magazine DVR KOREA DVR Korea an FIFATurnieren „Nur der Fussball ist dazu fähig“ FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ Qualifikation: 1966, 1974, 1982, 1986, 1990, 1994, 2006 Endrunde: 1966 (8. Rang) Mohamed bin Hammam, Präsident der Asiatischen Fussballkonföderation (AFC), Mitglied des FIFAExekutivkomitees und Vorsitzender des FIFA-GoalBureaus, über den Fussball in der DVR Korea. Olympisches Fussballturnier der Männer Qualifikation: 1976, 1988, 1992, 2000, 2004 Endrunde: 1976 (8. Rang) FIFA Junioren-Weltmeisterschaft Qualifikation: 2003 Die DVR Korea (weiss-rotes Dress) überzeugte bei der FIFA U-17-Weltmeisterschaft 2005 (hier im Viertelfinale gegen Brasilien). zu ausländischen Teams, am liebsten zu europäischen, zu entsenden. „Was unseren Fussballerinnen und auch Fussballern vor allem fehlt, und das macht sich in Begegnungen mit anderen Nationen negativ bemerkbar, ist die internationale Erfahrung“, sagt Kim Jong Su. In der Vergangenheit gingen schon mehrere nordkoreanische Fussballerinnen und Fussballer in die Volksrepublik China, nach Kasachstan, Thailand und Schweden, doch es waren – in erster Linie aus politischen Gründen – lediglich kurze Gastspiele. Der Verband hofft, dass sich an diesem Zustand bald etwas ändern wird. Nach dem positiven Auftritt der männlichen Auswahl bei der letztjährigen FIFA U-17-Weltmeisterschaft in Peru, als sie bis ins Viertelfinale vordrang und dort erst in der Verlängerung am späteren Finalisten Brasilien scheiterte, interessieren sich angeblich mehrere europäische Vereine für nordkoreanische Jungfussballer. „Konkrete Angebote sind bislang allerdings nicht bei uns eingetroffen“, sagt Generalsekretär Kim Jong Su. Sollte dies jedoch geschehen, würden seine Mitstreiter und er sich dafür einsetzen, diesen Talenten einen Wechsel ins Ausland zu ermöglichen. Auch ranghohe Politiker wollen sich dem Vernehmen nach für eine Öffnung einsetzen – zumindest was den Fussball 30 MAI 2006 betrifft. Diese Absicht teilte Yang Hyong Sop, Vizepräsident der Obersten Volksversammlung, Bin Hammam in einem persönlichen Gespräch bei einer Tasse Tee mit. Der Gastgeber eröffnete dem AFC-Präsidenten auch, dass die DVR Korea die Beziehungen zur AFC verbessern und verstärken werde. Und dann sagte Yang noch dies: „Asiens Ziel muss sein, dereinst die Nummer eins im Weltfussball zu werden.“ Etwas bescheidener, aber ebenfalls selbstbewusst ist PRK-Generalsekretär Kim: „Mittelfristig wollen wir im Frauen- und im Männerfussball die Besten des asiatischen Kontinents sein. Die Einführung des Profifussballs würde uns diesbezüglich enorm helfen, aber das ist leider nicht realistisch. Die dafür nötigen finanziellen Mittel sind nicht vorhanden.“ MENTAL VERBESSERN Während es im nordkoreanischen Frauenfussball gut läuft, hinken die Männer hinterher. 1966 waren sie erstmals und zugleich letztmals bei einer FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ dabei und sorgten damals in England mit einem 1:0-Erfolg über Italien für eine Weltsensation. Seither sind positive Schlagzeilen rar. Für die diesjährige WM-Endrunde in Deutschland vermochte sich die DVR Korea in der Asien-Ausscheidung zwar FIFA magazine: Sie haben im letzten Januar bereits das zweite GoalProjekt in der DVR Korea eingeweiht. Weshalb? FIFA U-17-Weltmeisterschaft Qualifikation: 2003, 2005 Endrunde: 2005 (8. Rang) FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Qualifikation: 1991, 1999, 2003 Endrunde: 1999 (10. Rang), 2003 (11. Rang) Olympisches Fussballturnier der Frauen Qualifikation: 2004 FIFA U-19-FrauenfussballWeltmeisterschaft Qualifikation: 2002, 2004 Ganz oben: bin Hammam mit dem nordkoreanischen Verbandspräsidenten Rim Kyong Man. – Das neue Verbandsgebäude. – Nationalspielerin Ho Sun Hui. FOTOS: AWE (6)/ALFIERI/IMAGO für die Finalrunde zu qualifizieren, belegte dort in der Gruppe B hinter Japan, Iran und Bahrain aber den letzten Platz. „Unsere Fussballer müssen mental besser werden“, sagt Kim. „Erst dann können wir die Grossen wirklich herausfordern.“ Der Generalsekretär glaubt nicht, dass nordkoreanische Fussballer in nächster Zukunft zu europäischen Vereinen wechseln werden. Nicht die Politik erachtet er diesbezüglich als eine zu hohe Hürde, sondern die Qualität der Fussballer: „Unsere Spieler sind für einen solchen Schritt noch nicht bereit. In Europa herrscht auch keine Nachfrage nach unseren Fussballern.“ Mit vermehrten Testspielen gegen starke Gegner, Trainingslagern in Europa, intensiveren Übungseinheiten, verbesserter Nachwuchsförderung, mehr Kursen für Trainer, der Teilnahme an AFC-Vereinswettbewerben und einer verbesserten Kommunikation (siehe Interview mit Mohamed bin Hammam) will der Verband den Rückstand auf die Konkurrenz wettmachen. Die tollen Leistungen der U-17-Auswahl bei der WM 2005 in Peru sind Ansporn und Hoffnung zugleich. An Fussballbegeisterung im Land mangelt es jedenfalls nicht. Während zu Topspielen der zehn Klubs umfassenden 1. Division schon mal 15 000 Fans ins Stadion kommen, ist die Arena bei Auftritten des A-Nationalteams nicht selten ausverkauft. Im TV finden die Partien der einheimischen Ligen dagegen selten statt, europäische Meisterschaften so gut wie gar nicht. Derzeit steht nicht einmal fest, ob die fussballbegeisterten Nordkoreaner Livebilder des Endspiels der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006™ sehen werden. Mohamed bin Hammam: Fussball ist die weitaus beliebteste Sportart in der DVR Korea, doch dieses Land benötigt dringend materielle und finanzielle Unterstützung – und dafür sorgen die FIFA und die AFC. Im Rahmen des ersten Goal-Projekts finanzierte die FIFA im Stadion Kim Il Sung in Pjöngjang einen Kunstrasen, nun half der Weltfussballverband bei der Renovation und beim Ausbau des Verbandsgebäudes sowie bei der Erstellung von zwei zusätzlichen Rasenplätzen. Insgesamt hat die DVR Korea von Goal 850 000 US-Dollar erhalten. Ich schliesse ein drittes Projekt in dieser Nation nicht aus. Wie beurteilen Sie die Qualität des nordkoreanischen Fussballs? Bin Hammam: Das Land hat grosses fussballerisches Potenzial. Die DVR Korea verfügt über viele talentierte Spielerinnen und Spieler. Während der Frauenfussball und das Spiel auf Jugendebene in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte erzielt haben, vermochte sich die A-Nationalmannschaft der Männer seit 1966 nicht mehr für eine WM-Endrunde zu qualifizieren, obwohl der Fussball von der Regierung unterstützt wird. Welches sind die dringlichen Probleme im nordkoreanischen Fussball? Bin Hammam: Die DVR Korea ist ein vollwertiges Mitglied der AFC und der FIFA und eigentlich ein aktiver Verband. Doch im Kommunikationsbereich muss sich einiges verbessern. Es braucht mehr Personen, die vollamtlich für den Verband arbeiten, die erreichbar sind, die Probleme angehen und innerhalb nützlicher Frist lösen. Es darf nicht sein, dass der Verband Auswahlmannschaften zu spät für ein Turnier anmeldet und somit beispielsweise nicht an der Qualifikation für den Asien-Pokal 2007 teilnehmen kann. Die DVR Korea muss künftig auch mit Vereinen bei AFC-Wettbewerben vertreten sein, was bislang nicht der Fall war. Doch ich bin überzeugt, dass sich die Situation bald verbessern wird. Woher nehmen Sie die Zuversicht? Bin Hammam: Das wurde mir von hohen Funktionären und von Verbandsseite versichert. Es hat sich auch schon einiges zum Positiven gewendet. Wir haben von der DVR Korea beispielsweise verlangt, dass im Rahmen der Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2006™ bei Heimspielen ausländischen Gästen gleich bei deren Ankunft in Pjöngjang Visa ausgestellt, Bilder der Spiele für alle interessierten Fernsehanstalten zugänglich gemacht und Internetleitungen für ausländische Medienvertreter zur Verfügung gestellt werden. Das alles hat geklappt, und zwar in einem Land, in dem solche Dinge vorher unmöglich waren. Es hat mir einmal mehr gezeigt, wozu der Fussball, und nur er, fähig ist. awe MAI 2006 31