06-15 Haie - Natürlich
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06-15 Haie - Natürlich
NATUR Haie – gejagte Jäger Haie durchziehen die Ozeane seit über 400 Millionen Jahren und sind unzweifelhaft die perfektesten Raubtiere im Meer. Heute jedoch sind die Jäger hauptsächlich Gejagte und einige Arten stehen bereits an der Schwelle zum Aussterben. Text: Kurt Amsler, Thomas Vogel Fotos: Kurt Amsler E in attraktiver Teenager mit langen blonden Haaren verlässt die ausgelassene Strandparty, springt ins Wasser und schwimmt dem aufgehenden Mond entgegen. Dass jetzt etwas Schreckliches passieren muss, erahnt der Kinobesucher schon an der Musik, die sich zum Crescendo steigert. Hart, rhythmisch, wie der Herzschlag eines Menschen in Todesangst. Und dann passiert es: Das Wasser spritzt, man hört ein mahlendes Geräusch, das das Blut in den Adern erstarren lässt, und die Schreie des Mädchens, die in einem Gurgeln 6 Natürlich | 2-2007 untergehen, als der Hai sein Opfer in die Tiefe zieht. Das war 1975 die Eröffnungsszene des Filmes «Der Weisse Hai». Damit wurde ein Image geprägt, das die Haie als nimmersatte Fressmaschinen darstellt, die nichts anderes tun, als die Strände nach Menschenfleisch abzusuchen. Haie haben den Menschen zu fürchten Den Haien brachte diese Popularität nichts als Ärger. Sie wurden Freiwild Haie – gejagte Jäger NATUR Gejagter Jäger Natürlich | 2-2007 7 NATUR Haie – gejagte Jäger Auf dem Weg zur Ausrottung: Für kulinarische Leckerbissen und die Apotheke verenden jährlich 200 Millionen Haie von Hochseeanglern, verenden als Beifang der Hochseefischer, ihre Flossen landen im Kochtopf oder sie bieten Stoffe für die asiatische Apotheke. Das Milliardengeschäft mit Haiflossen expandierte in erschreckendem Ausmasse: Geschätzte 200 Millionen Haie ziehen Fischer jährlich für die asiatischen Märkte an Land, schneiden ihnen die Flossen ab und werfen den noch lebenden, aber nicht mehr schwimmfähigen Hai zurück ins Wasser, wo er elendiglich zugrund geht. Das sind etwa 500 000 Haie pro Tag oder rund 20 000 jede Stunde. Folge dieser Massaker: Je nach Quelle stehen 30 bis 70 Haiarten bereits auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten. Ein anderes Bild der angeblichen «Bestie» Hai zeichnen die Zahlen der Haiattacken auf Menschen: Obwohl dem «International Shark Attack File» (ISAF) in Florida weltweit jährlich zwischen 50 und 75 Haiangriffe auf Menschen gemeldet werden, enden nur gerade fünf bis zehn davon tödlich. Und das obschon jährlich über 20 Milliarden Menschen zum Baden, Schwimmen, Schnorcheln, Tauchen und Surfen in die Meere steigen. Die Chance dabei von einem Hai gebissen zu werden, liegt demnach bei 1:200 Millionen. An einem Haibiss zu sterben sogar bei 1:2 Milliarden. Es ist statistisch gefährlicher, sich unter einer Kokospalme aufzuhalten, als in einer Kostenloses Unterrichtsmaterial Seit September 2006 können Schulen und Lehrer kostenloses Unterrichtsmaterial für alle Schulstufen bei Sharkproject anfordern. Die Materialien sind sowohl für einzelne Unterrichtsstunden als auch für den Einsatz in Projektwochen geeignet. Der gesamte Lernstoff wurde von Pädagogen geprüft und ist so aufbereitet, dass er in allen Altersstufen eingesetzt werden kann. Ziel dieser Schulaktion ist gezielte Information von Schulkindern über Evolution, Biologie, Sinnesorgane, Ökologie und die Bedeutung sowie die Gefährdung der Haie und deren Wichtigkeit für das gesamte ökologische Gleichgewicht. Das kostenlose Schul-Package beinhaltet: 18-minütigen Einstiegsfilm zum Thema Hai, Präsentation mit über 150 Bildern und Grafiken, einen Leitfaden, der den Vortragenden durch die Präsentation führt und weiterführend Hintergrundinformationen vermittelt, ein Exemplar der Sharkproject-Zeitung «Shark-News». Weitere Exemplare der «Shark-News» sowie die DVDs «Mit Haien sprechen» und «Angstzination» können zusätzlich vergünstigt bezogen werden bei: Sharkproject e.V., Frankfurterstrasse 111b, D-63067 Offenbach, Info@sharkproject.com 8 Natürlich | 2-2007 von Haien bewohnten Meeresbucht zu schwimmen. Immerhin erschlagen herabfallende Kokosnüsse jedes Jahr rund 150 Menschen. Doch jedes Mal, wenn ein Taucher oder ein Surfer von einem Hai angegriffen wird, überschlagen sich die Medien mit reisserischen Schlagzeilen und fordern jeweils den schnellen Tod der Bestie. 900 000 Tonnen Hai jährlich Im Gegensatz dazu steht das stille Sterben der Haie – oder gar «Aussterben», wie es der Schweizer Haiforscher Erich Ritter nennt –, ohne dass die Medien davon Notiz nehmen. Mehrere 100 Millionen Haie werden jährlich getötet. Umgerechnet auf die durchschnittlichen Todesfälle durch Haibisse kommen auf einen toten Menschen 20 Millionen von Menschen getötete Haie. Kein Wunder, haben doch nur gerade acht Länder den privaten und kommerziellen Fang von einzelnen Haien reglementiert. Der bedrohte grosse Weisse Hai zum Beispiel ist nur in England, Australien, Kanada, Neuseeland, Südafrika und den USA geschützt. Und das erst, seit wissenschaftliche Modelle die Fortpflanzung dieser Art in Frage gestellt haben. Weltweit ist also die Jagd auf Haie offen und davon wird reger Gebrauch gemacht. Der weitaus grösste Markt für Haiprodukte ist in den asiatischen Ländern zu finden. An erster Stelle steht Haie – gejagte Jäger NATUR So helfen Sie dem Hai Um Haien auch in Zukunft eine Chance zu geben, ist ein Verzicht auf Produkte, die ten Zahlen bekannt sind, besteht gleichwohl Einigkeit darüber, dass die heutige Anzahl nicht mehr ausreicht, um die Population aufrechtzuerhalten. aus Haien gefertigt werden, ein Muss. Die Unterstützung von Organisationen, die sich für den Haischutz einsetzen, ist sicher der effizienteste Weg, den gejagten Jägern zu helfen. Schreiben kann man auch an Reiseunternehmen, die Haifangtrips anbieten, und sie auffordern, sich nicht weiter an der Ausrottung einer für das Ökosystem des Meeres wichtigen Tierart zu beteiligen. der Handel mit den Flossen. Sie werden zu Potenz fördernden Mitteln, Medizin und der Haiflossensuppe verarbeitet. Um diesen Markt zu befriedigen, wurden im Jahre 2004 über 900 000 Tonnen Hai gefangen. Nicht eingerechnet in diesen Statistiken der UN-Welternährungsorganisation (FAO) sind die Zahlen der weltweiten Fänge durch Sportangler. Selbst Schutzgebiete sind nutzlos Die Fischereiindustrie geht hier mit einer cleveren Strategie ans Werk: Dort wo die Fangflotten selber nicht agieren können, werden durch Agenten die einheimischen Fischer zur Jagd auf Haie motiviert. Das ist für die Einheimischen leicht verdientes Geld, mit viel weniger Arbeitsaufwand und Kosten als der traditionelle Fischfang. Von dieser Fischerei bleiben auch die schönsten Naturparadiese und Tauchplätze der Welt nicht verschont. Das Rote Meer, das grosse Barrierriff von Australien, Polynesien, der Pazifik, die Küsten Afrikas, die Karibik, Indonesien, Philippinen, Taiwan, aber auch das Ferienparadies Malediven, das zusammen mit Indien und Sri Lanka etwa 20 000 Tonnen Haiflossen exportiert. Selbst in den Schutzgebieten der Galapagos-Inseln fallen jedes Jahr eine grosse Anzahl Haie der illegalen Fischerei zum Opfer. Die berühmten HammerhaiSchulen bei den Inseln Wulf und Darwin sind bedrohter denn je. Wissenschafter schätzen, dass die Bestände einiger Haiarten weltweit um 80 Prozent zurückgegangen sind. Obschon für den Weissen Hai keine exak- Nach Thuna und Marlin nun der Hai Mitschuldig an der Dezimierung von Haien sind auch die Sportangler und die Reiseindustrie, die mit Erfolg Hai-Anglerreisen anbietet. So gilt der Hai an der Angel vielerorts als ultimativer Nervenkitzel. Begonnen hat das eigentliche Haijagdfieber in den 70er-Jahren, als die Bestände der Thunfische, Marline und Schwertfische zurückgingen. Schätzungen zufolge haben sogenannte Sportfischer die geschlechtsreifen Schwertfische des Atlantiks in den letzten 15 Jahren um zwei Drittel reduziert. «98 Prozent aller Schwertfische, die momentan an Longlines gefangen werden, sind juvenil, also noch nicht geschlechtsreif», heisst es dazu in einem Bericht von Shark Info. In den USA, wo die Sportfischerei seit den 60er-Jahren boomt, wurden Haifangclubs gegründet und Hai-Turniere veranstaltet, in denen es darum ging, innert Rekordzeit ein möglichst grosses Tier zu fangen. Da für die gelandeten Haie kein weiterer Verwertungszweck bestand, enden sie oft im Abfall. 1990 sollen Sportfischer allein an der Ostküste der USA 2,5 Millionen Haie gefangen haben, vor allem Blauhaie (Prionace glauca) und Sandbankhaie (Carcharhinus plumbeus). An der US-Westküste stellte die Fischereibehörde ein Jahr später fest, dass Sportfischer rund sechsmal mehr Zebrahaie (Triakis semifasciata) fingen als die Berufsfischer. (K)ein lukratives Geschäft Laut der amerikanischen Fischereibehörde verkauften Sportfischer Ende der 1990er-Jahre jährlich Haifleisch im Wert von 1,3 Millionen Dollar. Dieser Betrag steht jedoch in krassem Missverhältnis zum Aufwand: Denn, um zu diesem Resultat zu kommen, investierten sie 200 Millionen Dollar für Boote, Mieten und Gerätschaften. Welche ökologischen Auswirkungen das Sportfischen auf Haie haben kann, zeigt das Beispiel des Weissen Hais in Südaustralien. Weisse Haie fressen See- Ultimativer Nervenkitzel: Je grösser der gefischte Hai, desto grösser das Ego des Fischers hunde und kontrollieren so deren Population. Weil Sportfischer den Weissen Hai zu stark dezimierten, wuchs die Seehundpopulation unkontrolliert. Sie überfrassen deshalb die Fisch- und Krebsgründe und eliminierten ihre eigene Nahrungsbasis. Fazit: Wildhüter mussten Seehunde abschiessen. Die Heilmittelindustrie hat im Hai ebenfalls eine neue Einnahmequelle entdeckt. Seit einigen Jahren wird weltweit Haiknorpelpulver gegen Krebs und Arthrose verkauft. Die Mittel sind bewiesenermassen nutzlos, doch der Glaube der betrogenen Patienten verhilft den Herstellern zu Milliardenumsätzen. Fortsetzung auf Seite 12 Natürlich | 2-2007 9 NATUR Haie – gejagte Jäger Die zehn wichtigsten Haiarten Indopazifischer Zitronenhai (Negaprion brevirostris) Die bis zu drei Meter messenden Zitronenhaie sind weit verbreitet im Zentral- und im Westpazifik sowie im Indischen Ozean: Südafrika, Mauritius, Seychellen, Madagaskar, Rotes Meer ostwärts bis Pakistan, Indien, Sri Lanka, Vietnam, Malaysia, Indonesien, Neuguinea, Australien (Queensland, Westaustralien, nördliches Australien), Neukaledonien, Philippinen, Palau, Marshall-Inseln, Tahiti. Weisser Hai Walhai (Carcharodon carcharias) Der wahrscheinlich mehr als sieben Meter Länge erreichende Hai lebt weltweit in den Küstengewässern der meisten gemässigten und einiger tropischer Regionen. Ostatlantik: Mittelmeer und Madeira bis Südafrika. Westatlantik: Neufundland bis Kuba und nördlicher Golf von Mexiko, Brasilien bis Argentinien. Indischer Ozean: Südafrika, Seychellen. Westpazifik: Sibirien bis Philippinen, Australien bis Neuseeland. Zentralpazifik: Marshall-Inseln und Hawaii. Ostpazifik: Golf von Alaska bis Golf von Kalifornien, Panama und Chile. Steht im Moment auf Liste drei, das heisst lokal geschützt in Australien. Da der Hai biologisch eigentlich schon als ausgestorben gilt, wäre ein weltweiter Schutz des Tieres nur eine späte Rechtfertigung – vielleicht aber auch Rettung in letzter Sekunde. Lokal geschützt werden die Tiere bereits auch partiell in Südafrika, Malta und den USA. (Rhincodon typus) Der mit bis 14 Meter Länge grösste lebende Fisch ist zu finden auf den Seychellen, Thailand, Christmas Island und in allen tropischen und subtropischen Ozeanen der Welt, insbesondere in dem tropischen Westaustralien. Ernährt sich von Plankton. Riesenhai (Cetorhinus maximus) Lebt in allen gemässigten und kalten Meeren. Riesenhaie sind passive Planktonfresser, was bedeutet, dass sie das Wasser nicht aktiv einsaugen, sondern lediglich über ihre Kiemen gleiten lassen. Pro Stunde werden etwa 2000 Tonnen Wasser filtriert. Können bis 12 Meter gross werden. Grosser Hammerhai (Sphyrna mokarran) Global in tropischen und warm gemässigten Meeren. Eine Haiart, deren Bestand sich in den letzten Jahren drastisch reduziert hat. Ursachen dafür sind Überfischung, Sportfischerei und der sogenannte Beifang. Kann bis sechs Meter lang werden. 10 Natürlich | 2-2007 Haie – gejagte Jäger NATUR Ammenhai Blauhai (Ginglymostoma cirratum) Westlicher Atlantik: Rhode Island bis hinunter ins südliche Brasilien, einschliesslich Bermuda, Golf von Mexiko, Bahamas, Kuba und Karibik. Ostatlantik: Kapverdische Inseln bis in das tropische Westafrika und auch schon vor der Atlantikküste Frankreichs gesichtet. Ostpazifik: von Kalifornien bis Ecuador. Diese Art fehlt im Mittelmeer. Sehr häufig in den flachen Gewässern (ein Meter Wassertiefe) der Karibik und den Florida Keys. Erreicht maximal vier Meter Länge und kann häufig in Aquarien gesehen werden. Liegt meist bewegungslos am Boden. (Prionace glauca) Der wahrscheinlich am weitesten verbreitete Knorpelfisch: global in allen tropischen und gemässigten Meeren. Westatlantik: Neufundland bis Argentinien. Zentralatlantische Inseln: Azoren, St. Paul’s Rocks. Ostatlantik: Norwegen bis Südafrika, Mittelmeer (bis in die nördliche Adria, fehlt aber im Schwarzen Meer). Indischer Ozean: Südafrika und südliches Arabisches Meer (fehlt im Roten Meer und im Arabischen Golf ) bis Indonesien, Japan, Australien, Neukaledonien und Neuseeland. Zentralpazifische Inseln. Ostpazifik: Golf von Alaska bis Chile. Kann beinahe vier Meter lang werden. Bullenhai Gewöhnlicher Dornhai Weissspitzen-Riffhai (Carcharhinus leucas) Der im Schnitt 2,25 Meter grosse Fisch lebt in allen tropischen und subtropischen Meeren. Am häufigsten ist er nahe an kontinentalen Küsten und in Flussmündungen zu finden. Ostatlantik, Mauretanien bis Südafrika. Kann sogar Hunderte von Kilometern im Süsswasser flussaufwärts schwimmen. (Squalus acanthias) Hält sich weltweit in antitropischen Gegenden auf. Urvater der Schillerlocke und von «Fish and Chips». Einst der häufigste Hai der Meere und heute seltene und teure Delikatesse. Ein Schutz des kleinwüchsigen nur gut einen Meter grossen Tieres wäre dringend angebracht, damit sich die Populationen erholen können. (Triaenodon obesus) Weit verbreitet in einem Grossteil des tropischen Indopazifiks. Indo-West- und Zentralpazifik. Südafrika und Rotes Meer bis Pakistan, Indien, Sri Lanka, Burma, Indonesien, Vietnam, Taiwan, Riukiu-Inseln, Philippinen, Australien (Queensland, Nord- und Westaustralien), Neuguinea. Weit verbreitet bei den Inseln Ozeaniens (Polynesien, Melanesien, Mikronesien), nördlich bis Hawaii und südwestlich bis zur Pitcairn-Inselgruppe. Ostpazifik: Cocos, Galapagos, Revilla, Gigedo, Panama und Costa Rica. Meist nicht grösser als 1,6 Meter. Quelle: www.projectaware.org, www.hai.ch Natürlich | 2-2007 11 NATUR Haie – gejagte Jäger Geschäftstüchtiger Forscher «Sharks don’t get cancer» oder in der deutschen Ausgabe «Warum Haie gegen Krebs immun sind», lautete der Titel des Buches von William I. Lane, das Anfang der 1990er-Jahre den Run auf Haiknorpel ins Rollen brachte. Wie der Biologe Alexander Godknecht, Präsident der Haischutzorganisation «Shark Foundation» in einem Artikel ausführte, basiere das Buch auf einer Untersuchung von Forschern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) von 1983. Die Studie stellte fest, dass Knorpel von Kälbern und Haien die Blutversorgung und somit – indirekt – das Wachstum von Tumoren beeinträchtige. Unter Zitierung nicht immer lupenreiner Quellen pries Lane Haiknorpel als Allheilmittel gegen Krebs. Ein cleverer Schachzug des geschäftstüchtigen Agro-Biochemikers. Lane war nämlich Präsident der amerikanischen Fischmehl-Handelsvereinigung und untersuchte im Auftrag der damaligen Reagan-Administration Investitionsmöglichkeiten in die Fischindustrie von Guinea. Ein wirksames Krebsmittel versprach ein Milliardengeschäft – auch für Lane, der selbst Inhaber einer der grössten Firmen für Haiprodukte war. Um sicherzustellen, dass der Rubel weiter rollt, schob er 1996 ein zweites Buch nach: «Sharks still don’t get cancer» (Haie kriegen immer noch keinen Krebs). Doch bereits 1998 bewies ein unabhängiges Team von Krebsforschern der Cancer Treatment Research Foundation in Arlington Heights, Illinois, in einer mehrere Monate dauernden Studie, dass Haiknorpel bei schwerkranken Krebspatienten weder das Wachstum des Krebses verlangsamte noch die Genesung positiv beeinflusste. Dennoch verkaufen sich solche Präparate immer noch glänzend. Darum beisst ein Hai Deshalb stirbt der Hai aus Fischerei Die Hai-Bestände an der Ostküste der USA sind in den letzten 15 Jahren massiv zurückgegangen. Die Zahl der Hammerhaie sank um 89 Prozent, die der Fuchshaie um 80 Prozent, die der Weissen Haie um 79 Prozent. Die Populationen der Ozeanischen Weissspitzenhaie, Tigerhaie, Blauhaie und Makos sanken um 70, 65, 60 beziehungsweise 40 Prozent. Kanadische Forscher melden einen Rückgang der Ozeanischen Weissspitzenhai-Population um 99 Prozent. Sie wurden in gewissen Regionen beinahe ausgelöscht. Haie werden nicht nur aktiv für ihr Fleisch, ihre Flossen oder Knorpel befischt. Millionen Haie sterben, als unverwertbarer Beifang, in den Netzen und Longlines der schwimmenden Fischfabriken. Finning Finning wird das grausame Abschneiden der Flossen von Haien, oft noch bei lebendigem Leib, genannt. Der Rumpf des Haies wird dann als überflüssiger Ballast über Bord geworfen. Die Haiflossen machen nur rund 14 Prozent des Gesamtgewichtes eines Haies aus, bringen aber auf dem internationalen Markt wesentlich mehr ein als Haifleisch, kostet doch ein Kilo Haiflossen in Asien im Schnitt über 100 US Dollar. Hongkong und Festland China dominieren den Haiflossen-Markt. 50 Prozent der weltweit gehandelten Haiflossen gehen in diesen Markt. 80 Prozent der in Hongkong gelandeten Flossen gehen weiter auf das chinesische Festland. 2003 waren das 11 000 Tonnen mit jährlichen Zuwachsraten von 5 Prozent. Umwelt Während der über 400 Millionen Jahre ihrer Evolution kannten die Haie nur zwei Feinde — grössere Haie und Krankheiten. Kleine und neugeborene Haie sind besonders gefährdet. Um zu vermeiden, dass ihre Jungen grösseren Haien zum Opfer fallen, ziehen sich die meisten Haiweibchen zum Gebären ins geschützte Flachwasser zurück. Diese Hai-«Kinderstuben» sind für grössere Haie schwer zugänglich und somit sicher für die Haibabys und kleine Haiarten. Diese Hai-«Kinderstuben» werden durch die Zerstörung unserer Umwelt immer rarer. Zudem leben mehr als 80 Prozent aller Haiarten in Küstennähe und sind somit direkt den vielen Schadstoffen, die von unseren Flüssen ins Meer eingebracht werden, ausgesetzt. Knorpel und Knorpelpräparate Haiknorpel soll angeblich gegen Krebs helfen. Dieser Glauben zementierte das Buch «Sharks don’t get cancer» von William I. Lane. Heute ist bewiesen, dass Haie genauso Krebs bekommen wie der Mensch. 42 Krebsarten sind inzwischen bei Haien und verwandten Arten registriert. – Zusätzlich wird Hai-Knorpel auch als Nahrungsmittel-Zusatz verkauft – ohne jedoch bis heute den Nachweis erbracht zu haben, dass Hai-Knorpel irgendeine bessere Wirkung als pulverisierte Schweinsohren hat. Nur, Schweine sind nicht bedroht. – Bis heute ist aber keine seriöse wissenschaftliche Studie bekannt, in der eine Haiknorpelkur nachweislich eine Wirkung auf menschlichen Krebs zeigte. Vorurteile Haie gibt es viel zu viele… Falsch: Viele Haiarten sind stark gefährdet und einige sogar vom Aussterben bedroht! Haie sind primitiv… Falsch: Haie sind nicht primitiv, sondern hochspezialisiert! Haie sind böse… Falsch: Haie sind wilde Tiere wie Löwen oder Wildschweine! Haie sind gross… Falsch: Die Mehrheit aller Haie ist eher klein! Haie fressen Menschen… Falsch: Menschen passen nicht ins Nahrungsspektrum der Haie! Haie sind für das Ökosystem der Meere unwichtig… Falsch: Haie sind enorm wichtig für das marine Ökosystem! Haie sind Fressmaschinen… Falsch: Haie fres(Quelle: Shark Foundation) sen nicht mehr, sondern of weniger als andere Tiere! 12 Natürlich | 2-2007 Mitleid mit der «Bestie» Hai kennt der Mensch nicht. Und niemand findet etwas dabei, die Haie zu dämonisieren. Das hat der Mensch schon immer getan und Haie schien es in unendlicher Zahl zu geben. Und schon seit jeher gilt der grosse Weisse Hai als Menschenfresser (siehe Erlebnisbericht auf Seite 14/15). Das Killerimage ist seit dem Film «Der Weisse Hai» und seinen drei Sequels endgültig nicht mehr von ihm weg zu kriegen, auch wenn weltweit jährlich nur gerade zwei bis drei Menschen von ihm verletzt werden. Weshalb Haie auch hin und wieder einen Menschen anknabbern, versucht der Haiforscher Erich Ritter herauszufinden. Und obwohl ihm bei seinen Experimenten ein Bullenhai einen Teil der linken Wade herausbiss – «ein Testbiss», wie Ritter sagte –, lässt der umtriebige Forscher nichts auf die grossen Fische kommen. Haie beissen seiner Ansicht nach nicht grundlos in einen Menschen. Es sind mindestens drei von fünf auslösenden Faktoren nötig: Lärm, Beutegeruch wie Blut, erhöhte Körperspannung, panikartige Bewegungen oder starke Reflexion an hellen Gegenständen. Gefährdet seien deshalb vor allem verletzt im Wasser treibende Menschen, Unterwasserjäger, die ihre Beute am Gurt mitführen, oder Surfer, die auf ihrem Brett paddeln und vom Hai mit einer Robbe oder Meeresschildkröte verwechselt werden. Das Zusammentreffen aller fünf Faktoren ist sehr selten und ist höchstens bei einem Schiffsunglück oder einem Flugzeugabsturz ins Meer gegeben. In solchen Situationen ist die Gefahr, von Haien verletzt zu werden, jedoch sehr gross. Haie – gejagte Jäger NATUR bedenklich, dass ein vom Menschen geprägtes Image, gepaart mit einem Suppenrezept und dem Glauben an heilende Kräfte, das Ende einer Tierart bedeuten könnte. Die leider noch weit verbreitete Meinung, wir könnten auf die Haie verzichten, erweist sich nämlich als gefährlicher Bumerang. Erich Ritter hat es auf den Punkt gebracht: «Wenn die Haie sterben, stirbt das Meer und wenn das Meer stirbt, sterben die Menschen.» ■ I N FO B OX Material für Haiflossensuppe: Nur 14 Prozent eines Hais sind Flossen, der Rest wird als Abfall entsorgt Ein perfektes Raubtier Dass sich Haie Booten nähern, hat demnach nichts mit Mordlust zu tun. Wir wissen heute, dass elektrische Felder, die durch Metall und Motoren erzeugt werden, die Tiere anlocken. Ihre empfindlichen Sinnesorgane lassen sie vermuten, es gebe eine Beute. Denn Haie sind mit Sinnesorganen ausgestattet, die ihresgleichen suchen. Sie können Schallwellen über Distanzen von über fünf Kilometer auffangen und die Lärmquelle auf den Quadratmeter genau orten. Gerüche vermögen Haie selbst in homöopathischer Verdünnung aufzuspüren. Sie riechen einen Tropfen Fischextrakt in einem etwa tausend Quadratmeter grossen und zwei Meter tiefen Becken. Haie reagieren sehr empfindlich auf Druck und Wasserverschiebungen, was in die Praxis umgesetzt einem perfekten Tastsinn gleichkommt. Einzigartig in der Tierwelt ist die Tatsache, dass Haie in der Lage sind, die erhöhte Körperspannung eines verwundeten oder in Panik geratenen Lebewesens zu registrieren, ja sogar dessen Herzschlag zu hören. Geleitet von solchen Wahrnehmungen findet der Hai seine Beute selbst bei Dunkelheit oder trübem Wasser. Sein Körper besteht nur aus Muskeln und Knorpel, und dank seiner hydrodynamischen Körperform kann er mit Geschwindigkeiten von über 60 Stundenkilometern durchs Wasser ziehen. Zahnprobleme kennen die Tiere nicht. Das sogenannte Revolvergebiss kann aus sechs bis sieben Reihen messerscharfer Zähne bestehen. Bricht ein Zahn ab, rückt automatisch der nächste nach. All das, verbunden mit einer über 400 Millionen Jahre langen Entwicklungszeit, macht den Hai zum perfektesten Raubtier überhaupt. Er setzt aber seine Fähigkeiten nur zum Nahrungserwerb ein und ist weit davon entfernt, aus purer Mordlust zu töten. Die Gesundheitspolizei des Meeres Haie spielen im marinen Ökosystem eine absolute Schlüsselrolle. Sie stehen am Ende der Nahrungskette und kontrollieren ihrerseits andere Räuber, die sonst den Fischbestand, der auch uns Menschen als Nahrung dient, ausrotten würden. Durch das Fehlen der Haie vermehren sich auch Fische unkontrolliert, darunter auch kranke und schwache Tiere, deren Fortpflanzung jedoch für eine gesunde Population schädlich ist. Durch das Wegbleiben ihrer natürlichen Feinde sind auch im und am Wasser lebende Säugetiere betroffen, wie die Beispiele in Australien, aber auch Südafrika zeigen. All das und vieles mehr beweist klar, wie wichtig die Haie für die Meere, wie auch für uns Menschen sind. Über 400 Millionen Jahre haben die Haie überlebt und allen Veränderungen unserer Erdgeschichte getrotzt. Es ist mehr als nur Haischutzorganisationen • Shark Foundation, Dr. Alexander Godknecht Blütenstrasse 4, 8057 Zürich www.hai.ch, hai@hai.ch • Project Aware Foundation Oberwilerstrasse 3, 8442 Hettlingen Telefon 052 243 32 32, Fax 052 243 32 33 www.projectaware.org, aware@padi.ch • Sharkproject e. V., Internationale Initiative zum Schutz und zur Erforschung der Haie e.V., Frankfurter Strasse 111 b 63067 Offenbach, Deutschland Telefon +49 69 98 64 530 Fax +49 69 98 64 53 30 www.sharkproject.com, info@sharkproject.com • Hailife-Kampagne, Postfach 16 74 55006 Mainz, Deutschland Telefon +49 6704 609, Fax +49 6704 95 93 91 www.hai-society.org hai-info@hai-society.org Literatur • Ritter: «Mit Haien sprechen» Verlag Kosmos, 2004, ISBN: 3-440098-07-9, Fr. 42.– • Ritter: «Das Lächeln der Haie», Verlag Dr. Werner Steinert, ISBN 3-931309-07-x, Fr. 31.70 • Ritter/Brunnschweiler: «Körpersprache der Haie», Verlag Dr. Werner Steinert ISBN 3-931309-08-8, Fr. 52.20 • Mojetta: «Haie – Biografie eines Räubers» Jahr Verlag, 2004, ISBN 3-86132-745-7, Fr.17.50 • Hennemann: «Fischführer Haie und Rochen weltweit», Jahr Verlag, 2001 ISBN 3861325845, Fr. 60.40 • Cunningham-Day: «Sharks in Danger – Global Shark Conservation Status with Reference to Management Plans and Legislation» englisch, Verlag Universal Publishers, 2001 ISBN 1-58112-652-2, Fr. 45.– Internet • www.iucnredlist.org (englisch) • www.sharkinfo.ch • www.elasmo.de • www.flmnh.ufl.edu/fish/sharks/isaf/ isafabout.htm (englisch, Internationale Stelle für Statistiken über Hai-Unfälle) • www.haiwelt.de • www.haiseite.de Natürlich | 2-2007 13 Aug in Aug mit dem Foto: Kurt Amsler Grossen Weissen H aai op die aas», ruft Andre Hartman in kehligem Afrikaans und zeigt nach achtern, wo eine stahlgraue Rückenflosse die von Wind und Wellen aufgewühlte Wasseroberfläche durchschneidet. Sicher mehr als zwei Meter dahinter schlägt das halbmondförmige Blatt der Schwanzflosse und treibt den riesigen grauen, leicht braun gescheckten Körper auf uns zu. Hai ans Boot heranführen Mehr als drei Stunden lang haben wir in unserem kleinen Boot ausgeharrt und in regelmässigen Abständen immer wieder kleine 14 Natürlich | 2-2007 zerriebene Stücke von Thunfischleber ins Wasser geworfen. Niemand weiss, wie weit der Geruch von der Strömung weggetragen wurde, doch eines ist sicher; der Grosse Weisse vor uns hat ihn irgendwann in seine Nase bekommen und ist ihm auf direktem Weg, wie ein Flugzeug dem Leitstrahl, zu unserem Boot gefolgt. Jetzt gilt es, das Tier nicht wieder zu verlieren. Dafür sorgt Andre, sicher der grösste Experte im Umgang mit Weissen Haien. Er kniet auf der kleinen Plattform am Heck und wirft dem Tier vorsichtig ein grosses Stück Thunfisch vor die Nase, welches an einer dicken Leine befestigt ist. Langsam zieht er diese wieder ein, wobei der Hai, total auf den Köder fixiert, langsam aber sicher zum Boot folgt. Hypnotiseur des grössten Raubtieres Jetzt, wo der grosse kegelförmige Kopf fast den linken Motor berührt, taucht Andre seine Hand ins Wasser. Es scheint, der Hai realisiere erst jetzt die unmittelbare Nähe des Bootes, denn er leitet ein abruptes Bremsmanöver ein. Dadurch steigt sein Kopf direkt vor mir aus dem Wasser und ich blicke aus nur knapp einem Meter in sein riesiges Maul. Mehr als deutlich kann ich die spitzen Fangzähne des Unterkiefers und Haie – gejagte Jäger NATUR die grossen, messerscharfen Dreiecke des heruntergeklappten Oberkiefers sehen. Sie gaben dem Tier vor Jahren den Namen: Carcharodon carcharius – der mit den gezackten Zähnen. Andre wölbt die Hand um die Nase, als wolle er ihn streicheln. Der Hai legt seinen Kopf noch weiter zurück und verharrt in dieser Stellung, als stünde er mit dem Menschen in einer geheimnisvollen Verbindung. Es herrscht absolute Stille, das einzige Geräusch kommt aus meiner Kamera, die Bild für Bild einfängt, wie ein Mensch das grösste Raubtier auf unserem Planeten hypnotisiert. Bald ausgestorben Der Augenblick scheint endlos. Tatsächlich dauert die Szene aber nur wenige Sekunden, bis Andre seinen Arm zurückzieht. Einige Herzschläge lang schwebt der Hai in der Luft, bevor er seitlich ins Wasser zurücksinkt. Noch kurz leuchtet sein weisser Bauch auf, dann verschwindet er in der grünblauen Tiefe. Diese Reaktion der Weissen Haie stellen Wissenschafter vor neue Rätsel. Ist es eine Art «tonische Immobilität», verursacht durch die Körperspannung des Menschen, die von Haien millionenmal verstärkt spürbar ist? Überreizt das Magnetfeld des Menschen sein Gehirn oder ist er ganz einfach verwirrt, weil seine Zähne nicht zu fassen kriegten, was ihm so nah erschien? Mein Job ist es aber nicht, das herauszufinden: Mit geht es darum, mit Bildern den Grossen Weissen ins rechte Licht zu setzen und sein Image als Killer zu zerstören. Denn positive Werbung hat er dringend nötig. Sonst kann es sehr bald sein, dass dieses Tier, das sechs Millionen Jahre unverändert überlebte, durch den Menschen weiterdezimiert wird, sodass unsere Kinder es in nicht einmal 50 Jahren nur noch im Bilderbuch ansehen können. Erlebnisbericht von Kurt Amsler Natürlich | 2-2007 15