Du hast am schaumgebäck der insel noch zu
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Du hast am schaumgebäck der insel noch zu
vorspiel Das Magazin des wiener Burgtheaters September / Oktober 2007 Nr. 41 Du hast am Schaumgebäck der Insel noch zu knabbern, das dich die Wirklichkeit bezweifeln lässt. »Sturm« von William Shakespeare In Kooperation mit Inhalt 3 Premieren 2007/2008 William Shakespeare Andrew Bovell Romeo und Julia Lantana Feridun Zaimoglu / Günther Senkel Mark Ravenhill Schwarze Jungfrauen Pool (kein Wasser) Österreichische Erstaufführung Österreichische Erstaufführung Wajdi Mouawad William Shakespeare Verbrennungen Heinrich IV. Österreichische Erstaufführung Yasmina Reza Adele Sandrock / Arthur Schnitzler Gehasste Geliebte Der Gott des Gemetzels Österreichische Erstaufführung James Goldman Johannes Schrettle Der Löwe im Winter sie sprechen / nur über ihre leiche In Zusammenarbeit mit TR WARSZAWA Michael Heltau und die Wiener Theatermusiker Uraufführung Händl Klaus Sammlung Marianne Bosch Lukas Bärfuss Uraufführung Die Probe (Der brave Simon Korach) Falk Richter Österreichische Erstaufführung Friedrich Schiller Wallenstein Verletzte Jugend Uraufführung Inhalt 4 Leitartikel: »Schule Europa« von Adolf Muschg 6 »Romeo und Julia« – Ein Gespräch mit Julia Hartmann und Sven Dolinksi 8 »Verbrennungen« – Ein Interview mit Wajdi Mouawad 10 »Schwarze Jungfrauen« von Feridun Zaimoglu und Günther Senkel 12Arthur Schnitzler – Adele Sandrock: »Gehasste Geliebte« 13 Werkstatttage 07 – Acht junge Autorinnen und Autoren am Burgtheater 14 »Das Leben ist eine entsetzliche Wirklichkeit« – Ignaz Kirchner liest Briefe von Vincent van Gogh 15 »Alle Toten fliegen hoch« von und mit Joachim Meyerhoff; Franz Kafka: »Der Prozess« mit Philipp Hochmair 16 Shakespeare – und kein Ende! 18Abschied von George Tabori 19 Wiederaufnahmen im Burgtheater: »König Ottokars Glück und Ende« und »Torquato Tasso« 21 Porträt: Pauline Knof 22 Rund um die Uhr: Von 6 bis 10 Uhr – Das Burgtheater erwacht 25 Magazin William Shakespeare Die Rosenkriege Fjodor M. Dostojewskij Die Brüder Karamasow Simon Stephens Motortown Österreichische Erstaufführung Impressum Titelbild: Johann Adam Oest als Prospero in »Sturm« von William Shakespeare vorspiel. Das Magazin des Wiener Burgtheaters erscheint fünfmal jährlich als Sonderbeilage der Tageszeitung »Der Standard« Medieninhaber und Herausgeber: Direktion Burgtheater GesmbH 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 2 Redaktion: Dramaturgie Burgtheater Gestaltung: Herbert Winkler, Annika Rytterhag Collettiva Design Herstellung: Goldmann-Zeitungsdruck GesmbH 3430 Tulln, Königstetter Straße 132 Saison 2007/2008 Leitartikel 4 Schule Europa Von Adolf Muschg Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung haben sich 27 Staaten der Europäischen Union angeschlossen. Nur im Zusammenspiel der drei Potenzen Staat, Religion und Kultur kann das Gemeinwesen existieren. In Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften« gilt es, das Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josefs II. zu feiern, und ein Komitee bemüht sich um spezifische »Werte«, mit denen sich die Donaumonarchie zu diesem Anlass schmücken könnte. Der Roman wirft damit die Gewissensfrage einer modernen Zivilisation auf: Welches sind denn die Werte, für die ihre Teilnehmer zu leben und zu sterben bereit sind? Solche Fragen hat in anderen Zeiten die Religion beantwortet, und von »Werten« pflegte sie nicht erst zu sprechen. Diesen Katalog – Tugenden wie Sünden – hat die Säkularisierung im Westen schrittweise, wenn auch nie restlos, kassiert, wobei dem liberalen Evangelium nach Adam Smith eine Schlüsselrolle zukommt. Denn ihm gelang es bekanntlich, gerade im Zentrum aller Todsünden – dem natürlichen Egoismus – »Gottes verborgene Hand« auszumachen. Seither steht im System der westlichen Werte kein Stein mehr auf dem andern. Sie bleiben vergleichsweise ohnmächtige Lückenbüßer, auch wenn ihnen die Aufklärung das Sonntagskleid von Menschen- und Bürgerrechten angezogen hat. In der werktäglichen Praxis ist kein Staat mit ihnen zu machen – sollte ausgerechnet das anspruchsvollste Staatsgebilde der Geschichte, die Europäische Union, auf sie zu gründen sein? Die sogenannte Pluralität der Werte ist in der Praxis ein gemischter Segen – besonders wenn sie von Menschen, die immer noch religiös gebunden sind, als Relativierung, im Grenzfall gar als Gotteslästerung wahrgenommen wird. Schon in der Verallgemeinerung von Werten, die uns als unantastbar gelten, sitzt inzwischen der Wurm kolonialistischen Verdachts. Dilemma der Werte Ich möchte mich an den »Weltgeschichtlichen Betrachtungen« Jacob Burckhardts orientieren, der – anders als fast alle seine deutschen Zunftgenossen im 19. Jahrhundert – als Historiker spekulativer Neigungen unverdächtig war. Für Burckhardt werden historische Gesellschaften immer und überall durch drei »Potenzen« genannte Kräfte geformt: die Religion, den Staat und die Kultur. Zwei Potenzen, Religion und Staat, neigen zur Beharrung und verheißen oder erzwingen Stabilität. Die dritte, Kultur genannte Potenz bleibt beweglich, sie repräsentiert jenen Spielraum, der Menschen nicht weniger nötig ist als innere und äußere Sicherheit. Ohne die Potenzen Staat und Religion kann eine Gesellschaft nicht existieren; ohne die Potenz Kultur lebt sie nicht, realisiert weder das Individuum sein Potenzial, noch erfährt sich die Gesellschaft als solche, als wählbare Verbindung selbständiger Teilnehmer. In Burckhardts Sprache: »Der Geist ist ein Wühler«; und solange die anderen Potenzen das unbedingte Sagen haben, wird er auch als solcher behandelt; vom Staat als Verräter; von der Religion als Apostat. Burckhardts Glücksverheißung – keineswegs eine Utopie, sondern ein tägliches Stück Kulturarbeit – beruht auf dem Modell, dass jede Potenz nur bedingt durch die beiden andern und zum Zusammenwirken mit ihnen genötigt zur eigenen veredelten Form findet; der Staat als begrenzter zu seiner vernunftgesteuerten Rolle; die Religion als persönliche zu ihrer Offenheit; die Kultur als autonome zu ihrer repräsentativen Stärke. Damit die Bedingungen für dieses menschenwürdige Zusammenspiel eintreten können, Die Pluralität der Werte ist ein gemischter Segen muss eine bestimmte formende Kraft, die allen dreien inhärent ist, geweckt worden sein und die Steuerung der Zivilisation übernehmen. Dieses Element ist bei Burckhardt die Kunst: Politisch erscheint sie als Staatskunst, religiös als erlaubte Vielfalt, kulturell als Lebenskunst. Der Schlüssel zu dieser Entwicklung liegt bei der eigentlich gesellschaftlichen Kraft, der Kultur: Zwar kann sie weder regieren noch gläubig machen. Und doch ist sie der Testfall jeder andern Freiheit, denn ihr Thema ist das anspruchsvollste, zugleich das eigentlich zivilisierende der Gesellschaft: die Vieldeutigkeit der menschlichen Existenz in Verbindung mit ihrer Autonomie. Kosmopolitismus Der Idealtyp von Burckhardts Modell ist auf einem einzigen Quadratkilometer klassischen Bodens zu besichtigen: der Akropolis Athens. Auf der Höhe das Heiligtum der Stadtgottheit, am Südhang das DionysosTheater und schließlich, auf der Nordseite des Hügels, die Agora, der Schauplatz der Demokratie, des bis heute wirkungsvollsten Beitrags Athens zur europäischen Zivilisation. Hier feilschte man, wie auf jedem Markt der Welt, um den Preis von Waren; und zugleich, wie auf keinem andern, stritt man um den Wert, den Rang der Dinge. Hier lernten Menschen, die in der Tragödie erfahren hatten, dass dem Menschen nicht zu helfen sei, als Bürger sich selber helfen. Für Burckhardt war Athen eine Schule menschlicher Zivilisation. Um sie an einer ihrer Lektionen zu illustrieren: Der große Tragiker Sophokles wünschte auf seinem Grabstein nicht als Schöpfer der Antigone geehrt zu sein, sondern als Soldat im Krieg gegen die Perser. Anderseits: Sein älterer Kollege Aischylos hat denselben »Persern« eine Tragödie gewidmet, die gänzlich frei ist von Triumphalismus: Sie betrachtet das Schicksal des Feindes mit Erschütterung und Respekt. Wer handelt hier: die Politik, die Religion, die Kultur? In unauflöslicher Verbindung zeigen sie die Kunst der Polis am Werk. Vergleichbare Errungenschaften mussten sich in Europa vor 1945 auf die spezialisierte Kultur beschränken; Bilder eines friedlich vereinigten Europa galten als Produkte von Visionären und Träumern. Seit 1945 – und seit 1989 – ist die Arbeit an der »Polis Europa« zur konkreten und gemeinschaftlichen Aufgabe geworden, die alle Burckhardtschen Potenzen – und alle Potenziale der Europäer – ganz neu herausfordert. Ein über hundertjähriger Bürgerkrieg, der sich zum Weltkrieg, zur Katastrophe der Zivilisation ausgeweitet hat, bildet die schauderhafte – und hoffnungsvolle – Grundlage für eine Entwicklung, zu der es keine Alternative gab als den Absturz. Es ist nötig zu wissen, dass das politische Europa sich nicht nur gegen diese Menetekel gebildet hat, sondern immer noch in ihrem Banne steht, auch wenn sie ihr Gesicht verändert haben. Der Glücksfall der heutigen Union wird nicht dauern, wenn sie nicht die Kraft und den Willen hat, auf die Frage der 2007/2008 Saison Leitartikel 5 globalisierten Wirtschaft eine Antwort kosmopolitischer Zivilisation zu liefern, an der alle Burckhardtschen Potenzen in einem neuen, in der Geschichte noch nie da gewesenen Gleichgewicht beteiligt sind. Diese Antwort muss nicht nur tragbar sein für ihre Bürger, sie allein können sie tragfähig machen. Das ist der epochale Hintergrund unserer »Werte«-Debatte. Europa braucht Werte weder ganz neu zu erfinden, noch darf es sie für sich allein beanspruchen. Um diese Wertvorstellung annäherungsweise zu definieren, halte ich es für unerlässlich, an der Differenz zwischen Globalisierung und Kosmopolitismus festzuhalten. Auf der klassischen Agora waren Ratplatz und Markt eng verbunden und zugleich durch eine unsichtbare Linie geschieden: Sie trennte die Sphäre des Handels und Wandels von derjenigen politischer Entscheidung. Im einen Raum bewegt sich der Mensch als Kunde, im andern als Bürger. Sowohl der Preis von Waren als auch der Wert der Dinge wollen im Dialog gefunden werden, doch das Gespräch von Kauf und Verkauf dient der Notwendigkeit und dem Bedürfnis; hier herrscht gewissermaßen unumschränkt die Natur. Der politische Diskurs aber entscheidet zwischen Bedürfnissen, muss daher auch imstande sein, sich über sie zu erheben und von unmittelbaren Interessen frei zu machen. Die Unterscheidung zwischen dem naturgebundenen »Reich der Notwendigkeit« und dem geistbestimmten – und kulturbestimmenden – »Reich der Freiheit« war für das europäische Denken von seinem Ursprung her konstitutiv. Die klassische Antike lieferte eine philosophische, die christliche Religion eine religiöse, die Aufklärung eine moralische Begründung dafür. Alle zusammen begründen die kosmopolitische Dimension, die »Tiefe« der gesellschaftlichen Kultur. Lassen Sie mich, was gemeint ist, an einem antiken Merksatz illustrieren, der regelmäßig verkehrt zitiert wird. Im Originalton Senecas lautet er: »Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir.« Also: nicht für das Nötigste und Notdürftige, für das der Markt zuständig ist, das aber für die Bedürfnisse der Polis zu dürftig wäre – auch wenn es wie Wohlstand aussieht. Lernen, das heißt: sich bilden muss man für die Schule, s-chol, was griechisch »Muße« bedeutet; also für den richtigen, den kunstvollen Gebrauch von Frei- Saison 2007/2008 heit, auch der Freiheit von Bedürfnissen, wie sie Diogenes auf der Agora demonstriert hat, als er an Alexander den Großen keinen Wunsch hatte, als: Er möge ihm aus der Sonne gehen. Das Ziel dieser Freiheit steht auf keinem Ferienplan und keinem Einkaufszettel, aber sie ist die Grundlage für ein Gemeinwesen, in dem nicht nur bequem oder sicher zu leben ist, sondern schön. Dieser Begriff von Schönheit steckt im Element »kosmos« der Zusammensetzung »kosmopolitisch«, in der das Lange und Breite unserer natürlichen Bedürfnisse mit der Tiefe des Anspruchs auf Zivilisation zwar zusammen Europa braucht Werte weder ganz neu zu erfinden, noch darf es sie für sich allein beanspruchen besteht, aber mit ihm durchaus nicht identisch ist und auch der Eroberung der Kultur durch den Markt widersteht – in aller Freiheit. Wer diese Freiheit nicht kennt, ist ein Wilder, wer sie bestreitet, ein Barbar, wer sie auf den Markt beschränkt, ein Banause – das sind die drei Versuchungen zum Selbstverlust, vor denen Europa die ihm mögliche Zivilisation bewahren muss. Denn seine kostbarste Errungenschaft steht auf dem Spiel: der Schutz berechtigter, erträglicher und verträglicher Vielfalt. Wie das Gegenbild dazu aussehen könnte, ja wie es aussehen soll, führen uns heute die Lobredner der Globalisierung als »flache Welt« vor – so der Pulitzerpreisträger Thomas L. Friedman in seiner Vision von Wertschöpfungsketten, die sich dank den Eigenschaften von Silikonkristall und Glasfaserkabel dramatisch verkürzen lassen. Dieser »flachen Welt« soll die Zukunft gehören – eine paradoxe Aussicht, denn sie legt es zugleich darauf an, das raumzeitliche Gefäß menschlicher Existenz buchstäblich plattzumachen, als wäre deren Grundlage, die Bindung an Raum und Zeit, das eigentliche Hindernis für den »pursuit of happiness«. Die Deformation und Verödung kultureller Praxis – sie segelt gern unter Bannern wie »Kommunikations«- oder »Wissens«Gesellschaft – erlaubt nicht mehr, eine Freiheit ein reines Phantom zu nennen, welche die Grenzen der Endlichkeit zu überspringen verspricht – und damit den Reibungswiderstand jeder Zivilisation, die Todesgewissheit, banalisiert. Historisches Gedächtnis Aber ganz sicher hätte Europa als politische, kulturelle, religiöse Errungenschaft in der »flachen Welt« keine Stelle mehr. Denn Europa ist auf die Verbindlichkeit von Raum und Zeit gegründet, auf Verantwortlichkeit für das Hier und Jetzt. Ohne Gedächtnis verliert es, mit seiner Identität, auch das Bewusstsein ihrer Fragwürdigkeit; es kann, wenn es denn Zukunft haben soll, seine Herkunft aus der zeitlichen Tiefe, die Unbequemlichkeit seiner Geschichte nicht abschütteln. Diese bleibt die obligatorische Schule seiner Freiheit. Wer Europa durch eine technologische Lobotomie von ihr zu entlasten verspricht, bringt es um sein spezifisches Gewicht und um die Erbschaft, die es – ihrer barbarischen Mitgift eingedenk – der Weltzivilisation zu melden hat. Muss von Werten die Rede sein, europäischen Werten, so gehört der Umgang mit Grenzen vielleicht an erster Stelle dazu: Und er beginnt mit der Anerkennung der eigenen Grenzen. Die EU ist, wahrlich, ein hinreichend begrenztes Gebilde. Aber dass sie innerhalb dieser anzuerkennenden Grenzen jemals Tatsache würde, haben sich vor hundert Jahren nur Utopisten träumen lassen – und sogar vor zwanzig Jahren hat kein Realist daran geglaubt. Und doch haben sich heute 27 eigensinnige Nationalstaaten zu einer Verbindung zusammengeschlossen. Ein solches von der List der Vernunft geschaffenes, jetzt aber auf die Klugheit, nein: die Weisheit seiner Gestalter dringend angewiesenes Gebilde bietet unerschöpflichen Lernstoff für die »Schule«, die Seneca gemeint hat. Adolf Muschg ist Schriftsteller und Professor emeritus der ETH Zürich. Der vorliegende Text ist das leicht gekürzte Referat zum Thema «Europa – seine Werte – seine Zukunft« anlässlich der Konferenz der europäischen BildungsministerInnen am 1. März in Heidelberg. Burgtheater 6 Romeo und Julia Ein Gespräch mit Julia Hartmann und Sven Dolinski Er hat gerade seine Schauspielausbildung an der Ernst Busch-Schule in Berlin abgeschlossen, sie wird ihre diesen Herbst in Bochum beenden. Sven Dolinski und Julia Hartmann sind die jüngsten Ensemblemitglieder des Burgtheaters. Ab dem 20. September 2007 stehen sie in der Inszenierung von Sebastian Hartmann als das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur auf der Bühne. Ein erstes Gespräch während der Proben mit der Dramaturgin Judith Gerstenberg über diese Herausforderung. Kaum ein Theaterstück ist bekannter als »Romeo und Julia«, wobei die wenigsten den Verlauf der Geschichte tatsächlich kennen. Nahezu jeder hat ein Bild im Kopf. Wie sah dieses Bild bei Euch aus? Musstet Ihr Euch, um die Rollen spielen zu können, erst einmal frei machen davon und auch von den Sehnsüchten, die auf diese Liebe projiziert werden? Julia Hartmann: Meine Eltern haben mich nach Shakespeares Julia benannt und mir das immer erzählt – von daher wusste ich sehr früh um diese Geschichte. Sie wollten sogar meinen jüngeren Bruder auch noch Romeo nennen, aber davon sind sie dann Gott sei Dank abgekommen. Als ich elf war, habe ich den die Verfilmungen kannte ich zum Teil. Erst als ich mit der Rolle besetzt wurde, habe ich das Stück zum ersten Mal gelesen. Aber Du hattest auch, ohne es gelesen zu haben, bestimmt schon eine Idee davon … Sven Dolinski: Stimmt, aber die war gar nicht in erster Linie positiv. Der Inbegriff des jungen Verliebten – das klingt auch ein bisschen langweilig. Dann habe ich das Stück gelesen und gedacht: das ist ja großartig. Die Rolle war ganz anders, als ich mir vorgestellt hatte. Manchmal bewundert man die Figur, die man spielt, für das, was sie kann, weil man weiß: ich könnte das nicht. Ich versuche mich gar nicht von den Projektionen auf dieses Liebespaar zu befreien. Film mit Leonardo DiCaprio gesehen, der mir damals sehr gefallen hat, und er hat lange mein Bild von Romeo und Julia bestimmt. Im Moment mag ich das Bild, das unser Regisseur Sebastian Hartmann zu Beginn der Proben entworfen hat. Er sieht Romeo und Julia als Engel, die gekommen sind, um Frieden zu stiften, die genau wissen, was sie tun, und dann wieder gehen. Das hatte ich vorher so noch nicht gedacht. Mit diesem Bild konnte ich sehr viel anfangen und darin weiterdenken. Letztlich versuche ich mich vielleicht gar nicht von den Projektionen auf dieses Liebespaar zu befreien. Es ist nämlich interessant, aus welchen Bildern diese sich zusammensetzen. Julia Hartmann Sven Dolinski: Ich habe »Romeo und Julia« nie zuvor im Theater gesehen – Ich habe noch nie so geliebt, dass ich so viel dafür hergeben würde. Julia Hartmann: Aber die Bedingungslosigkeit, mit der die beiden lieben, hängt natürlich auch mit den Umständen ihrer Begegnung zusammen. Sie lernen sich gerade kennen und erfahren, dass sie eigentlich Todfeinde sein müssten. Gerade das macht diese Liebe auch so ungeheuer spannend. Sven Dolinski: Und es sind nur vier Tage, in denen alles passiert, in denen sie nicht aneinander zweifeln – im Leben hat man da meist mehr Zeit. Es gibt ja auch erstaunlich wenige gemeinsame Szenen miteinander. Mich fasziniert, dass Romeo am Anfang des Stücks ein pubertär Liebender ist, der einfach nach einem Gefühl sucht, es nachahmt und 2007/2008 Saison Burgtheater 7 dann, durch die Begegnung mit Julia, ungeahnte Kräfte entwickelt und diese Liebe mit jeder Konsequenz verfolgt. Was bedeutet in so einem knappen Zeitraum Entwicklung? In diesen vier Tagen passiert ja ungeheuer viel: Liebe auf den ersten Blick, heimliche Heirat, Eskalation des Familienstreits, Romeo erlebt, wie sein bester Freund stirbt, wird selbst zum Mörder, muss fliehen, erfährt, dass Julia tot ist, kehrt zurück, wird wieder zum Mörder, ist selbst todesbereit… Das reicht für viele Leben. Sven Dolinski: Das alles passiert wie im Rausch und dieser Eindruck von sich überschlagenden Ereignissen wird in der Inszenierung durch Szenenüberschneidungen noch verstärkt. Die Frage, die aufgeworfen wird, ist auch, inwieweit wir für das, was wir machen, verantwortlich sind. Gibt es Vorherbestimmung, Schicksal? Dann wären Romeo und all die anderen für ihre Taten nicht Julia Hartmann: Für mich war es am Anfang schwierig, mich auf die Naivität dieser gerade einmal 13-Jährigen einzulassen, obwohl ich auch erst 22 bin. Aber wir wollten Julia nicht als pubertierende, rotzige junge Frau zeigen, sondern tatsächlich als dieses Kind, dem etwas widerfährt. Zumindest im ersten Teil liegt uns an dieser Unschuld. Später dann wird das gebrochen. Sven Dolinski: Mir imponiert die Energie, die die Figuren haben. Dass Romeo sagt: Entweder ich kriege diese Frau, oder das ist nicht mehr mein Leben. Wobei Romeo auch, bevor er Julia trifft, schon in einer eigenartigen Stimmung ist … Sven Dolinski: Das ist eine Stimmung, die aus der Entscheidung resultiert: Ich will etwas erleben, sonst sterbe ich lieber. Das steht außerhalb von moralischen Grenzen und Begriffen. Romeo sagt: Entweder ich kriege diese Frau, oder das ist nicht mehr mein Leben. verantwortlich. Oder suggeriere ich mir nur, dass alles vorherbestimmt ist, und deswegen passiert es auch genauso? Ich lese es so, dass die Figuren bewusst ihre Verantwortung auslagern auf die Sterne, auf höhere Mächte. Sie wollen sich treiben lassen. Vielleicht hat das auch mit dieser Zeit zu tun, in der die Geschichte angelegt ist, die Zeit der Pest, eine Endzeitstimmung, die Hartmann in der Inszenierung ja auch sehr betont. Was sind für Euch die neuen Eindrücke von den Figuren, die Ihr während der Proben dazugewonnen habt? 2007/2008 Saison Romeo und Julia von William Shakespeare Deutsch von Thomas Brasch Regie: Sebastian Hartmann Bühne: Jürgen Bäckmann Kostüme: Moritz Müller Licht: Friedrich Rom Sounddesign: Florian Pilz Fechtchoreographie: Sonia Laszlo Mit Kirsten Dene, Julia Hartmann, Myriam Schröder, Mareike Sedl; Patrick O. Beck, Karim Chérif, Sven Dolinski, Gerrit Jansen, Roland Kenda, Thomas Lawinky, Charles Maxwell, Markus Meyer, David Oberkogler, Martin Schwab, Johannes Terne H Premiere am 20. September 2007 im BURGTHEATER Sven Dolinski Akademietheater 8 »Man wird später einmal nicht sagen können: Wo waren die Künstler?« Ein Interview mit Wajdi Mouawad über sein Stück »Verbrennungen« Das Testament ihrer Mutter Nawal schickt die Zwillinge Jeanne und Simon aus dem modernen Kanada in ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Heimatland. Um den letzten Wunsch der Verstorbenen zu erfüllen, machen sich die beiden widerwillig auf die Suche nach einem Heldenvater und einem unbekannten Bruder. Der universelle Kriegszustand, kurz zuvor noch News aus den Weltnachrichten, wird zur schockierenden Realität, holt das scheinbar normale Leben ein und bald ist nichts mehr wie zuvor… In einem Ende August geführten E-Mail-Interview erzählt der Autor Wajdi Mouawad von seiner Kindheit im libanesischen Bürgerkrieg, seinem Weg ins Exil und ans Theater und von »Incendies – Verbrennungen«. Das Stück, 2003 in Montréal uraufgeführt und auf internationalen Festivals und Gastspielen durch die Welt gereist, kommt am 28. September in der Regie von Stefan Bachmann zur österreichischen Erstaufführung. Sie wurden 1968 im Libanon geboren und haben Ihr Heimatland im Alter von acht Jahren mit Ihrer Familie verlassen, die vor dem Bürgerkrieg zunächst nach Paris, dann nach Kanada flüchtete. Ist »Verbrennungen« auch eine Art Spurensuche nach Ihren ganz persönlichen Wurzeln? Können Sie etwas über Ihren Weg vom Libanon nach Kanada erzählen? Während wir die Dinge erleben, haben sie für uns nicht die gleiche Bedeutung wie lange Zeit danach – vor allem natürlich, wenn wir noch ein Kind sind, wenn das gänzlich Unerwartete geschieht. Was mich betrifft, bedeutet das, dass der libanesische Bürgerkrieg in den Jahren des Exils in meinem Leben keine Rolle gespielt hat, jedenfalls war ich mir dessen nicht bewusst. Ich bin inmitten einer tiefen Stille aufgewachsen, zunächst in Paris, dann in Quebec, und ich habe tatsächlich geglaubt, dass das, was ich erlebe, in keiner Weise etwas mit dem Krieg zu tun hat. Ich habe keine Verbindung hergestellt zwischen meinem Exil und dem Krieg, auch wenn das vielleicht merkwürdig erscheint. Ich bin einfach meinen Eltern gefolgt. Das war natürlich ein großer Irrtum. Lange habe ich geglaubt, dass das, was uns täglich zustößt, nichts mit dem zu tun hat, was in der Welt passiert. Wenn ich nach meinem Leben gefragt wurde, kam mir niemals der Gedanke, über den Krieg zu sprechen, ich war überzeugt, das sei eine ganz und gar banale Sache, denn alle Libanesen, die ich kannte, hatten den Krieg erlebt und vor ihm fliehen müssen. Es war also für mich nichts Besonderes, den Krieg erlebt zu haben und im Exil zu sein, ich dachte überhaupt nicht darüber nach. Erst viel später, in Quebec, mit 24, 25 Jahren, wurde ich mir dieser Vergangenheit auf einmal bewusst, sie kehrte plötzlich mit Macht zurück, während ich mit Schrecken feststellen musste: Ich konnte weder arabisch lesen noch sprechen, ich wusste nicht das Geringste über den Libanon, ich hatte keine Ahnung von diesem Krieg, und ich wusste nicht mehr, warum ich lebte, wo ich lebte und warum ich der war, der ich war. Zu allem Überfluss fühlte ich mich in Quebec überhaupt nicht zu Hause; und so hatte ich aus verschiedenen Gründen und nach einigen tragischen Ereignissen plötzlich das dringende Bedürfnis zu verstehen. Ich begann, im Hochzeitsalbum meiner Eltern zu blättern. In den Häusern erkannte ich Zimmer wieder, die mich an längst vergangene Ereignisse erinnerten. Ich sah Menschen, die ich vergessen hatte, einige waren tot, einige waren in andere Länder geflohen. Und auf einmal, innerhalb einer Minute, habe ich den tiefen Schmerz gesehen und nachempfunden, der unsere Familie gefangen hielt, und die schreckliche Stille verstanden, die in dieser Familie herrschte, in der nichts ausgesprochen, nichts miteinander geteilt wurde, in der alles nur von der Notwendigkeit bestimmt war, das Leben innerhalb der Konvention fortzuführen. Nur wenn ich erschütterbar bin, kann meine Seele wachsen. Ich begann, meine Eltern zu befragen, und merkte, in welchem Ausmaß auch sie nichts von dem verstanden hatten, was ihnen zugestoßen war. Zu dieser Zeit reiste ich zum ersten Mal in den Libanon und lernte ein Land kennen, das rein gar nichts mit meinen Vorstellungen zu tun hatte. Ich fühlte mich, als würde ich in ein Leichenschauhaus zurückkehren, und sollte den endgültigen Tod eines Landes feststellen, das sich für mich mit der Kindheit verband. »Die Dinge sind nie genau so, wie man sie sich vorstellt.« Das habe ich auf dieser ersten Reise in den Libanon gelernt. Und ich habe begriffen, dass – in diesem Sinne – das Fiktionale mehr Wahrheit enthalten kann als die Realität. Ich habe daraufhin begonnen, diese Einsicht in meine Stücke einfließen zu lassen. Das Fiktionale in meiner Realität zu verankern ermöglicht mir, dieser Realität eine tiefere Dimension zu verleihen. Deshalb schreibe ich in meinen Stücken nie das Wort »Libanon«. In »Verbrennungen« nenne ich keines dieser Schlagwörter. »Palästinenser, Israelis, Libanesen«, ich kann es nicht, denn wenn ich auch ursprünglich von dort stamme, so komme ich doch nicht länger von dort. Jedoch das Fiktionale in meiner Realität zu verankern, ermöglicht mir, dieser Realität eine tiefere Dimension zu verleihen. Je tiefer Jeanne und Simon in die vom Bürgerkrieg zerstörte Vergangenheit ihrer Mutter eindringen, desto deutlicher wird, dass ihre Identität mit einem Grauen verknüpft ist, das ihr privates Leben übersteigt. Wenn sie das Stadium der Unschuld hinter sich gelassen haben, was haben die beiden Ihrer Meinung nach gewonnen? Jeanne ist sich in keiner Weise darüber im Klaren, dass sie die Vergangenheit ihrer Mutter aufdecken wird. Zu Beginn will sie sich lediglich einer unliebsamen Aufgabe entledigen. Später, je weiter ihre Suche fortschreitet, je mehr sie weiß, desto mehr ist sie erschüttert, und durch diese Erschütterung wird sie dazu gedrängt, 2007/2008 Saison Akademietheater 9 mehr wissen zu wollen, immer mehr, bis zum bitteren Ende. Das ist es, was Jeanne lernt, was sie gewinnt: den Mut, bis zu dem Punkt zu gehen, an dem man erschütterbar ist, und noch darüber hinaus. Vielleicht ist das das Wichtigste für mich. Der Mut, bis dahin zu gehen, wo ich erschütterbar bin – denn nur wenn ich erschütterbar bin, dann kann ich den Schmerz eines anderen fühlen, kann meine Seele wachsen. »Verbrennungen« ist auf keinen Fall ein Stück über die Notwendigkeit, seine Wurzeln zu kennen. So wie es falsch ist zu glauben, es sei ein Stück über den Krieg. Es ist vielmehr ein Stück über den Versuch, in einer unmenschlichen Situation seine Versprechen als Mensch zu halten. Sie sind Schauspieler, Autor, Regisseur, und diesen September übernehmen Sie die künstlerische Leitung des Théâtre Français am Centre National des Arts in Kanadas Hauptstadt Ottawa. Wofür steht das Theater in Ihrem Leben? Für die Verbindung zu anderen Menschen, zu gegenwärtigen Geschichten? Dafür, etwas auszudrücken? Widerstand zu leisten? Als ich Kind war, im Libanon, habe ich mir ein bisschen Taschengeld verdient, als die Milizionäre auf ihrem Weg durch unser Dorf kamen. Man nahm ihre Waffen – meistens Kalaschnikows –, und zerlegte sie in ihre Teile, um sie zu reinigen. Dann setzte man sie wieder zusammen und gab sie den Milizionären zurück. Ich träumte damals von dem Tag, an dem auch ich eine Kalaschnikow besitzen und einer Miliz angehören würde. Ich träumte davon, Sylvester Stallone zu sein und alle umzubringen, ganz allein. Ich träumte davon, alles mit einer einzigen Kugel in die Luft zu jagen. Ich träumte davon, Arnold Schwarzenegger zu sein und Conan der Barbar, super muskulös und sehr sehr stark. Um es kurz zu machen: ich verbrachte meine Kindheit damit, davon zu träumen, ein Held zu sein, und dabei wusste ich nur zu gut, dass ich niemals einer werden würde. Später las ich »Die Verwandlung« von Kafka und war total geschockt, denn ich las die Geschichte jenes Helden, der ich nie hatte sein wollen, dem ich aber bis ins Detail glich. Saison 2007/2008 Im Theater begegnet sich das, was verbrennt, und das, was wieder zusammengesetzt wird. Dadurch ist es möglich, dass im Theater die Schauspieler zu Milizionären werden und die Worte, die Sätze, die Entgegnungen zu Kalaschnikows. »Verbrennungen« ist ein Stück über den Versuch, in einer unmenschlichen Situation seine Versprechen als Mensch zu halten. Es ist mir natürlich klar, dass man Theater, im Gegensatz zu Waffen, nicht auseinandernehmen kann, um es zu reinigen, vielmehr nimmt Theater uns auseinander, um uns zu reinigen. Das Theater ist sicher kein Ort für mich, um »die Welt zu verändern«, sondern vielmehr einer, um Zeugnis abzulegen von unserer Gegenwart, einer für den anderen. Diese Geste der Zeugenschaft ist in meinen Augen sehr wichtig. Ich glaube fest daran, dass wir in Momenten großer Auflösung und Verunsicherung an dem Versuch festhalten müssen, mit den Mitteln der Intuition die Schmerzen und das Leid in unserem Leben zu verstehen. Man wird später einmal nicht sagen können: Wo waren die Künstler? Und das allein ist schon eine Form von Widerstand. Das E-Mail-Interview wurde vom 20. bis 28. August 2007 von Susanne Meister geführt und aus dem Französischen übersetzt. Ungekürzt ist es im Programmheft zur Inszenierung nachzulesen. Verbrennungen von Wajdi Mouawad Aus dem Frankokanadischen von Uli Menke Regie: Stefan Bachmann Bühne: Hugo Gretler Kostüme: Anabelle Witt Mit Regina Fritsch, Sabine Haupt, Melanie Kretschmann; Klaus Brömmelmeier, Markus Hering, Daniel Jesch, Juergen Maurer H Premiere am 28. September 2007 im AKADEMIETHEATER Kasino 10 Schwarze Jungfrauen von Feridun Zaimoglu und Günther Senkel »Allah ist mein Herrscher, der Prophet mein Menschenkönig, im Koran find ich die Verfassung und im Heiligen Krieg die schöne Unterweisung. Damit hab ich mich ausgewiesen für Ost und West, damit hab ich mich als das Stück Dreck erwiesen, für das die Westler mich immer hielten. Ist Gott so fern von ihnen?« Feridun Zaimoglu verdichtet Interviews mit jungen deutschen Musliminnen zu zehn Monologen, in denen sich Alltagserfahrungen, innere Glaubenskriege und Garderobefragen zu einem vielfach gebrochenen Bild muslimischen Lebens in unseren Breiten fügen. Zwischen bauchfrei und vollverschleiert, zwischen traditioneller Frauenrolle und westlichem Lebensstil, zwischen Glaubensgewissheit und Identitätssuche versagen alle gesicherten Zuordnungen, mit denen man gemeinhin zwischen »Islam« und »Daham« unterscheiden zu können glaubt. Das ist beunruhigend, verstörend und provokant. Es ist aber auch befreiend. Das Schweigen ist gebrochen, es kommt ein Selbstbewusstsein zum Ausdruck, das nicht frei ist von Dummheit, Borniertheit und Stolz auf die falschen Dinge – das aber auch Reaktionen hervorruft, die im besten Falle der Beginn eines Dialoges sein könnten. Feridun Zaimoglus Stück erhebt nicht den Anspruch, ein repräsentatives Bild zu entwerfen. So unterschiedlich die gläubigen Frauen sind, allen gemein ist jedoch ein selbstbewusster und stolzer Umgang mit ihrer Religion. Im folgenden Porträt stellen wir zwei junge Frauen aus Wien vor, die aus ihrer Lebenswirklichkeit als österreicherische Musliminnen erzählen. »Letzte Woche in der Bim gab’s mal wieder so eine Situation. Da war eine alte Dame, die hat mich ganz traurig angeschaut und gesagt: ›Jö schau, die Arme muss sich schon verschleiern, das tut mir so leid.‹ Ich bin dann hingegangen und habe ihr gesagt: ›Sie müssen mich nicht bemitleiden, ich mach das aus freien Stücken.‹ Da blieb ihr dann die Gosch’n offen, sie hat wohl gar nicht erwartet, dass ich Deutsch spreche.« Saime Öztürk amüsiert sich, als sie das erzählt. Die 21-jährige Österreicherin ist es gewohnt, dass sie Blicke auf sich zieht. Saime ist praktizierende Muslimin und trägt ein Kopftuch. Schlechte Erfahrungen hat sie deswegen noch keine gemacht. »Die Leute sind halt oft neugierig, das kann ich schon verstehen.« Nadja Elgendy, 19 Jahre alt, geht es ähnlich: »Richtig blöd angeredet hat mich auch noch niemand.« Die zwei jungen Frauen gehen sehr selbstbewusst mit ihrer Religion um – und die Entscheidung, dies auch offen mit dem Kopftuch nach außen zu vertreten, haben beide sehr bewusst getroffen. Nadja, die einen ägyptischen Vater und eine österreichische Mutter hat, trägt das Kopftuch seit zwei Jahren, »gezwungen hat mich dazu niemand, auch wenn meine Eltern praktizierende Muslime sind. Meine Mutter und meine Schwester tragen keins.« Jeder müsse selbst seinen Weg finden, wie er die Religion leben möchte. »Ob mit oder ohne Kopftuch – das ist g’hupft wie g’hatscht. Musliminnen sind eben vielfältig und verschieden«, findet sie. Saime nickt zustimmend. Ihre Eltern sind als junge Menschen aus der Türkei eingewandert und ebenfalls religiös. Für Saime selbst spielte die Religion lange keine große Rolle, irgendwann habe sie aber doch angefangen, sich damit zu beschäftigen, »um herauszufinden, ob das was für mich ist.« Die Entscheidung für das Kopftuch war für beide jedoch eine große Sache und in der Schule gab es damals erst einmal Erklärungsbedarf bei den Klassenkameraden. »Wieso gerade du, du bist doch eine von uns – das waren die ersten Reaktionen. Als sie aber gemerkt haben, dass die Nadja mit Kopftuch und die Nadja ohne Kopftuch ein und derselbe Mensch ist, war es kein Thema mehr. Und ich fühle mich einfach wohl so.« Bei Saime war es ähnlich, als sie vor sieben Jahren entschied, sich zu verhüllen: »Meine Freunde waren schon froh, als sie gemerkt haben, dass ich mich deswegen nicht anders verhalte. Das ist ja keine Behinderung, ich gehe trotzdem noch raften oder snowboarden, zum Beispiel.« Generell sehen die in Niederösterreich aufgewachsenen Mädchen wenig Unterschiede zwischen ihrem Alltagsleben und dem einer gleichaltrigen, christlich geprägten Österreicherin. »Naja, au- ßer vielleicht, dass wir morgens um 4 Uhr aufstehen, um zu beten«, schmunzelt Nadja. Die fünf Gebete täglich, die zu den Grundpflichten eines gläubigen Muslims gehören, sind ihr sehr wichtig. »Das ist auch eine Art Ruhepol. Ich empfinde es nicht so, als müsste ich mein Leben um den Islam herumleben, sondern ich lebe mit dem Islam.« Auch Saime sieht das eher unkompliziert: »Das Mittagsgebet soll man zwischen 12 und 17 Uhr verrichten. Wenn ich da gerade auf der Uni bin, gehe ich halt in einen der Gebetsräume, die es dort gibt, oder auch mal einfach auf den Rasen. Ich hab auch schon mal auf der Skipiste gebetet, das ist gar kein Problem.« In der Moschee sind sie in der Regel einmal in der Woche, zum Freitagsgebet. Ausgehen ist für Nadja und Saime kein Tabu, allerdings verzichten sie dabei auf Alkohol: „Wir gehen viel in Cafés, ins Kino.« Auch männliche Begleiter sind nicht allzu ungewöhnlich, wenn ein freundschaftliches, geschwisterliches Verhältnis besteht. Nur mit dem Verlieben haben es die jungen Musliminnen nicht so leicht. »Die Liebe zwischen Mann und Frau ist im Islam durch die Ehe geregelt, das leben wir auch so«, erklärt Nadja. »Natürlich muss man sich zuerst kennen- und liebenlernen. Wir versuchen, dem Ganzen einen offiziellen Rahmen zu geben, also eine Verlobung. Und wenn man sich ganz sicher ist, heiratet man.« »Nicht jede Verlobung muss zwangsläufig zu einer Hochzeit führen«, wirft Saime ein. »Man kann sich auch wieder trennen, wenn man sich nicht versteht oder doch nicht zueinander passt. Das gibt’s natürlich.« Auch weitere Alltagsfragen sehen die Mädchen gelassen: Nein, man schwitzt auch im Sommer nicht sehr unter dem Tuch, weil es da sehr leichte Materialien gibt; zum Schwimmen trägt man spezielle Badekopftücher oder den neuen »Burkini«, man kann aber auch einfach zu den »Damenzeiten« in öffentliche Schwimmbäder gehen, und in arabischen Ländern gibt es Strände nur für Frauen. »Muslimische Männer dürfen übrigens auch nicht an Plätze gehen, an denen Frauen schwimmen, und müs- 2007/2008 Saison Kasino 11 Nadja Elgendy Saime Öztürk sen auch unter sich bleiben. Kleidervorschriften gelten für sie ebenfalls: Eng anliegende Kleidung, die den männlichen Körper betont, ist nicht zulässig – ein Muslim in Hotpants ist also nicht erlaubt«, führt Saime aus. Eingeschränkt oder gar unterdrückt fühlen die beiden Frauen sich durch die Regeln, die ihnen ihre Religion vorgibt, nicht. Das schlechte Image, das das Kopftuch in den Medien und in den Köpfen der Menschen hat, ist den Musliminnen bekannt, verstehen können sie es nicht. »Da werden immer nur die negativen Dinge wahrgenommen. Natürlich gibt es auch Mädchen, die zum Kopftuchtragen gezwungen werden, das will ich gar nicht leugnen. Aber das ist eigentlich gegen den Glauben: Im Islam ist die eigene, bewusste Entscheidung extrem wichtig – es wird nur das akzeptiert, was man aus freien Stücken macht«, erklärt Saime. Sie und Nadja sehen das Kopftuch nicht als Symbol Saison 2007/2008 der Unterdrückung, sondern – im Gegenteil – als den feministischen Ansatz schlechthin: »Ich verhindere dadurch, dass ich mich als Sexualobjekt präsentiere, es soll nur das zählen, was ich sage und denke«, so Nadja. Feminismus spielt eine große Rolle in der Organisation, in der sich Saime und Nadja engagieren: Die »Jungen Musliminnen Österreichs«, kurz JMÖ, haben es sich zur Aufgabe gemacht, »einen zeit- genössischen Lebensentwurf einer jungen Muslimin zu entwerfen, der authentisch islamisch und zugleich modern und entwickelt ist«. Neben Freizeit- und Sportveranstaltungen organisiert die JMÖ Seminare und Workshops, die die jungen Frauen weiterbilden und qualifizieren sollen. Denn dass sie es am Arbeitsmarkt später einmal nicht leicht haben werden, ist den beiden Germanistikstudentinnen bewusst. »Viele glauben, dass kopftuchtragende Frauen nicht kompetent sind«, meint Nadja. Sie würde später gerne einmal als Korrespondentin arbeiten, rechnet sich aber trotz ihrer Arabischkenntnisse keine guten Chancen aus. »Ich muss versuchen, viel besser als die anderen zu sein, das ist der einzige Weg.« Saime studiert Lehramt und blickt optimistischer in die Zukunft: »Ich bin guter Hoffnung, dass die Gesellschaft sich immer mehr öffnen wird und Klischees nach und nach durchbrochen werden. Die österreichischen Frauen haben ihre Rechte auch nicht von einem auf den anderen Tag gekriegt, die mussten auch kämpfen. Man muss akzeptieren, dass das nicht sofort geht. Aber ich denke, wenn sich noch mehr Musliminnen so engagieren und in die Öffentlichkeit gehen wie wir, dann sind wir auf einem guten Weg.« Judith Liere Schwarze Jungfrauen Von Feridun Zaimoglu und Günther Senkel Regie: Lars Ole Walburg Ausstattung: Nina Wetzel Video: Sebastien Dupouey Musik: Tomek Kolczynski Gitarre/Oud: Gilbert Trefzger Mit Sachiko Hara, Dorothee Hartinger, Pauline Knof, Adina Vetter; Michael Masula H Premiere am 22. September 2007 im KASINO Feridun Zaimoglu geboren 1964 im anatolischen Bolu und aufgewachsen in Deutschland, studierte Kunst und Humanmedizin. Unter dem Titel »Kanak Sprak« hat er 1995 seinen ersten Band mit Interviews veröffentlicht und damit der »zweiten Generation«, den Kindern der Migranten, eine, seine Sprache verliehen. Jetzt ist er, nach dem Gewinn des Jury-Preises beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2003, der Veröffentlichung des Romans »Leyla«, nach vielen Wortmeldungen in aktuellen politischen Debatten und der flächendeckenden Installation türkischer Fahnen am Museumsquartier unter dem Titel »KanakAttack. Die dritte Türkenbelagerung?«, mit der er den Wienern vor zwei Jahren einen heiligen Schrecken einjagte, für einen Theatertext wieder zu seinem ursprünglichen Verfahren zurückgekehrt und leiht seine Stimme gläubigen Musliminnen. Und das nicht nur im literarischen Sinne: vor kurzem stellte Zaimoglu seinen Sitz im Islamrat des deutschen Innenministeriums einer gläubigen Muslimin zur Verfügung, da diese Bevölkerungsgruppe dort bisher keinen Platz gefunden hatte. Burgtheater 12 Arthur Schnitzler – Adele Sandrock Gehasste Geliebte Szenische Lesung mit Elisabeth Orth und Peter Simonischek Wenn zwei Menschen einander bis ins Tiefste verstehen wollen, so ist das geradeso, wie wenn zwei einander gegenübergestellte Spiegel sich ihre eigenen Bilder immer wieder und von immer weiter her wie in verzweifelter Neugier entgegenwerfen, bis sie sich endlich im Grauen einer hoffnungslosen Ferne verlieren. Arthur Schnitzler Adele Sandrock schrieb an Arthur Schnitzler: »Du einzig geliebter, süßer Junge. Wenn du nur eine Minute Zeit hast, schreibe mir, dass du mich liebst! Ich sterbe, wenn ich es nicht höre. Engel – Schatz – Arthur – mein Alles – ich denke fort und fort an dich – ich kann nicht von dir lassen, ich bin dir verfallen ganz und gar – ich bin du – bin dein, ich liebe dich tief und unergründlich, ich bin rasend, wenn ich dich nicht sehe. Ich küsse dich jetzt – am Abend – die Nacht hindurch, ich zerbeiße deinen göttlichen Mund, ich träume, dass du mir gehörst – ich lebe und atme für dich, bin selig in meinem lachenden Glück in diesen wonnigen Tagen.« Er, der sie in seinen Briefen zärtlich ›Dilly‹ nannte, schrieb an sie: »Ich verstehe dich nicht, du verstehst mich nicht, wir verstehen uns nicht – die alte Liebesconjugation sobald man auch nur den Hauch einer – mir fällt kein Wort ein. Es ist, scheint’s, dringend notwendig, dass sich zwei Menschen, welche sich gegenseitig anbeten (wenigstens erzählen sie sichs gegenseitig), alle 8 Tage mindestens einmal bis aufs Blut sekiern. – Wozu deine infamen Bemerkungen? – Wozu meine Rohheiten? Nachdem wir dann ja doch wieder – – – .« Arthur Schnitzler hat wie kein anderer Dichter seiner Zeit die Stimmungen im Wien des Fin de siècle festgehalten und so eine zuverlässige und reiche Topographie der Wiener Seelenverfassung um 1900 geschaffen. 1893 lernt er die karrierebewusste Schauspielerin Adele Sandrock kennen, zwei Jahre lang sind die beiden ein Liebespaar. Welche Schattierungen der Gefühle ihre Beziehung durchlebt, zeigt dieser Abend im Burgtheater. Auszüge aus dem Briefwechsel und Szenen aus Schnitzlers Stücken erlauben einen vergnüglichen Einblick in das Seelenleben der beiden exaltierten Künstler und ihre überaus komplizierte Beziehung zueinander: eine Beziehung beherrscht von Launen, geprägt von einem beständigen Wechsel der Einstellungen, gelebt von Augenblick zu Augenblick. Arthur Schnitzler und Adele Sandrock Gehasste Geliebte Leitung: Wolfgang Wiens Ausstattung: Ilona Glöckel Am Klavier: Anton Gisler Mit Elisabeth Orth, Peter Simonischek H Premiere am 21. Oktober 2007 im BURGTHEATER 2007/2008 Saison Kasino 13 Werkstatttage 07 Acht junge Autorinnen und Autoren am Burgtheater: Dorothee Brix, Ann-Christin Focke, Alexandra Helmig, Charlotte Roos, Katharina Schmitt, Stephan Lack, Andreas Liebmann und Philipp Löhle Joachim Meyerhoff bei den Werkstatttagen 06 Zum fünften Mal finden heuer die Werkstatttage am Burgtheater statt. Der Deutsche Literaturfonds und das Burgtheater haben acht junge, vielversprechende Autorinnen und Autoren zu einem Arbeitsaufenthalt nach Wien eingeladen: Dorothee Brix, Ann-Christin Focke, Alexandra Helmig, Charlotte Roos, Katharina Schmitt, Stephan Lack, Andreas Liebmann und Philipp Löhle. 14 Tage erhalten sie hier die Möglichkeit, im Austausch mit Regisseuren, Dramaturgen und Schauspielern des Ensembles an ihren Stücken zu arbeiten. Dazu bringt jeder der Autoren zur Überprüfung der Bühnenwirksamkeit und Theatertauglichkeit ein noch nicht abgeschlossenes Stück mit. Diese Stücke unterscheiden sich in ihrer Form ebenso stark wie in ihren Themen. So stehen in einigen Stücken die alltäglichen Widrigkeiten im Berufs- oder Beziehungsleben im Zentrum, in anderen politische oder gesellschaftliche Fragen. Themen wie Familienplanung und Genmanipulation spielen eine Rolle, aber auch »sich selbst entheddernde Kopfhörer« und Weltmusik. Es geht um Eifersucht, politische Karrieren, Klimawandel oder Hautausschlag. Zu den Schauplätzen, an denen die Autoren ihre Figuren Saison 2007/2008 auftreten lassen, gehören die Pariser Vorstädte, gepflegte Eigentumswohnungen, sterile Krankenhäuser und der Kraterrand des Aetna. Im Zentrum der Werkstatttage, die heuer erstmals von den Dramaturginnen Britta Kampert und Susanne Meister geleitet werden, steht die Arbeit an diesen noch im Entstehen begriffenen Stücken. In Zusammenarbeit mit Schauspielern des Ensembles und den Regisseurinnen Eva-Maria Baumeister und Barbara Nowotny sowie den Regisseuren Sebastian Hirn und Michael Talke werden diese noch unfertigen Stücke »auf die Probe gestellt« und weiterentwickelt. Dabei stehen den Dramatikern der Autor Martin Heckmanns, die Theaterwissenschaftlerin und Publizistin Kristin Becker und der Schweizer Journalist Tobi Müller zur Seite. Um die Autoren während der Werkstatttage darin zu unterstützen, ihren Stil und ihren eigenen künstlerischen Weg zu finden und den Blick auf die eigene Arbeit zu schärfen, ist das gemeinsame Reden über die Texte genauso wichtig wie das Ausprobieren und Erproben: Auf den Probebühnen des Burgtheaters haben die Autoren die Möglichkeit, ihre Texte mit Hilfe der Regisseure und der Schauspieler lebendig werden zu lassen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler des BurgtheaterDIE AUTORinnen und AUTOREN DER WERKSTATTTAGE 2003–2006 In den letzen Jahren bei den Werkstatttagen am Burgtheater zu Gast waren Catherine Aigner, Jörg Albrecht, Andri Beyeler, Toni Bernhart, John Birke, Evamaria Bohle, Nuran Calis, Nina Ender, Reto Finger, Simon Froehling, Christoph Graebel, Meike Hauck, Nino Haratischwili, Anja Hilling, Johanna Kaptein, Lothar Kittstein, Jannis Klasing, Christopher Kloeble, Kai Lenke, Claudius Lünstedt, Gerhard Meister, Susanne Mewe, Kristina Nenninger, Jan Neumann, Ewald Palmetshofer, Christina Schlemmer, Katharina Schmidt, Volker Schmidt, Johannes Schrettle, Gerhild Steinbuch, Darja Stocker, Tine Rahel Völcker, Sabine Wang, Laura de Weck. an dem «, das Stück »Fluchtburg Teiler ster bei sein n 06 Gerhard Mei ge ta at en Werkst d an er m eh n lzeit mit in dieser Spie n im arbeitete, ist atje t und Jörg R Sabine Haup hen. Vestibül zu se rin ück der Auto St Ebenso ein in er m eh ln x (Tei Dorothee Bri 7): »Zuhause« mit e0 Werkstatttag aider, rak, Sylvia H vo D ie an Stef r te ie D a, Hans Karin Lischk hael Masula. Mic Knebel und Ensembles stellen sich dazu ganz in den Dienst der Sache und freuen sich darauf, mit den Autoren in unmittelbaren Kontakt zu kommen. Sie sind inspirierende, aber auch kritische Partner, die sehr genau nachfragen, was ein Autor mit seinen erdachten Figuren und seinem Stück eigentlich will. Die Autoren müssen hier Rede und Antwort stehen, können im Gegenzug aber in ihrer Arbeit auch auf die Fragen, Anregungen und Wünsche aus der Theaterpraxis spontan reagieren. So verändert sich der Text der Szenen und Stücke in der konkreten Arbeit. Das vorläufige Arbeitsergebnis wird dann in der WerkstattNacht präsentiert – die beste Gelegenheit für das Publikum, die jungen Autorinnen und Autoren von morgen mit ihren neuen Stücken schon heute kennen zu lernen. WerkstattNacht am 14. Oktober 2007 im KASINO Vestibül 14 Das Leben ist eine entsetzliche Wirklichkeit Briefe von Vincent van Gogh gelesen von Ignaz Kirchner Tragikomiker Ignaz Kirchner / Martin Schwab Klaus Dermutz zeichnet im neuen Band der edition burgtheater einfühlsame Portraits der beiden Künstler Ignaz Kirchner und Martin Schwab. Beide sind hervorragende Interpreten klassischer ebenso wie zeitgenössischer Dramatiker und gleichzeitig begnadete Komiker: Kirchner beispielsweise als Clov in George Taboris Inszenierung von Becketts »Fin de partie«, Martin Schwab etwa als Schuster Pfrim in Martin Kušejs Inszenierung von Nestroys »Höllenangst«. Begrüßung: Klaus Bachler, Martina Schmidt (Verlagsleiterin Deuticke) Einführung: Klaus Dermutz Mit: Ignaz Kirchner und Martin Schwab, Dorothee Hartinger und Philipp Hauß, Peter Huemer und Gert Jonke. Anschließend lädt das Austria Trend Parkhotel Schönbrunn zu einem Umtrunk. Kostenlose Zählkarten sind an der Kassa des Burgtheaters erhältlich. Klaus Dermutz (Hrsg.): Tragikomiker. Ignaz Kirchner / Martin Schwab. Deuticke Verlag, 256 Seiten, Euro 25,60. Am 28. September 2007 um 16.30 Uhr im Pausenfoyer des BURGTHEATERS Die Briefwechsel Vincent van Goghs zählen zu den großen Korrespondenzen der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte. Intensiven Briefkontakt hatte er vor allem mit seinem Bruder Theo, einem Kunsthändler. Ständig von Geldsorgen geplagt, ohne öffentliche Anerkennung und im Kampf gegen die immer wieder ausbrechende Geisteskrankheit, beweist van Gogh eine erstaunliche Hellsicht und Sprachgewalt. Über 18 Jahre hinweg schrieb sich das Brüderpaar regelmäßig – manchmal gleich mehrere Briefe an einem Tag. Als Vincent van Gogh im Sommer 1880 endgültig beschloss, Künstler zu werden, berichtete er seinem Bruder oft seitenlang über Fortschritte und Rückschläge und vor allem über die Ideen und Theorien, die hinter seiner Kunst stecken. Er beschrieb seine Motive, die Techniken, die er ausprobierte, und bat Theo, ihm neue Tubenfarben, Leinwände und Geld zu schicken. So legen die Briefe nicht nur Zeugnis von Vincent van Goghs Leben ab, vom Schicksal eines Genies, das von Erfolglosigkeit, Selbstzweifel und Geisteskrankheit geprägt war, sondern doku- mentieren auch seine eigenwillige künstlerische Entwicklung. Van Goghs 37 Lebensjahre sind geprägt durch ein stetes Suchen. Jung verlässt er das protestantische Elternhaus und arbeitet in Kunsthandlungen in Den Haag, London und Paris. In Amsterdam verwirft er schnell das Studium der Theologie, um sich als Laienprediger ausbilden zu lassen. Während seiner Predigerzeit 1878 1880 beginnt er zu zeichnen. Nach einem kurzen Besuch der Brüsseler Akademie kehrt er der universitären Ausbildung endgültig den Rücken. Im Museum studiert er Rembrandt, Millet und Delacroix. Eine entscheidende Veränderung für van Goghs bis dahin dunkelgetönte Malerei bringt ein Aufenthalt in Paris 1886–1888, wo er den Impressionisten begegnet. 1888 reist er nach Arles. Im hellen Licht des Midi entstehen seine heute bekanntesten Bilder. Nach einem Nervenzusammenbruch sucht van Gogh 1889 die Heilanstalt von Saint-Rémy-de-Provence auf. Im Juni 1890 wählt er den Freitod. Ab 19. September 2007 im VESTIBÜL 2007/2008 Saison Vestibül 15 Alle Toten fliegen hoch Teil 1: Amerika von und mit Joachim Meyerhoff Joachim Meyerhoff, von der Zeitschrift »Theater heute« zum Schauspieler des Jahres gekürt und seit mehreren Jahren auch als Regisseur erfolgreich, unternimmt mit »Alle Toten fliegen hoch« eine Reise durch die eigene Geschichte. An mehreren Abenden in dieser Spielzeit erzählt er vom Aufwachsen als Sohn eines Psychiatriedirektors, von der Blutsbrüderschaft mit Haustieren, von den ersten Schritten als Schauspieler und immer wieder vom unvermeidlichen und schmerzhaften Abschiednehmen. Im Oktober geht es um sein High-SchoolJahr in den USA (heute erzählt er oft, es sei ein Basketball-Stipendium gewesen), das er in Laramie, im Bundesstaat Wyoming, verbracht hat. Laramie, wo abends die Wölfe heulen. Fünfhunderttausend Menschen leben auf einer Fläche, die so groß wie Deutschland ist. Und meine Familie lebte nicht mal in der Stadt selbst. Ich war außerhalb von außerhalb. Ausstattung: Sabine Volz H Premiere am 12. Oktober 2007 im VESTIBÜL Franz Kafka: Der Prozess Mit Philipp Hochmair »Ich wollte immer mit zwanzig Händen in die Welt hineinfahren.« Franz Kafkas Jahrhundertroman »Der Prozess« erzählt die Geschichte einer Verweigerung. Joseph K. wird am Morgen seines dreißigsten Geburtstags von einem imaginären Gericht angeklagt, ohne jemals zu erfahren, was ihm zur Last gelegt wird. Er verliert sich in Affären und Ablenkungen, anstatt der Aufforderung nachzugehen, »mehr an sich« zu denken und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und was »das Wesentliche« eigentlich ist, fragen sich auch heute – rund 90 Jahre nach Erscheinen des Romans – wohl alle Menschen, nicht nur, wenn sie in ihr dreißigstes Lebensjahr eintreten. »Der Prozess« mit Philipp Hochmair ist ein vielstimmiger Monolog, in dem Joseph K. als Zeitgenosse erkennbar wird. Ein Mensch, der sich in Selbstinszenierungen und Phantasiebildern verliert, anstatt Verantwortung zu übernehmen – womöglich liegt darin ja die unergründliche Schuld, nach der Joseph K. vergeblich sucht. »Philipp Hochmair hat aus dem ›Prozess‹ ein funkelndes Schauerstück gemacht.« KulturSPIEGEL Regie: Andrea Gerk Kompositionen: Michael Maierhof Ab 6. Oktober 2007 im VESTIBÜL Philipp Hochmair Saison 2007/2008 Shakespeare 16 Shakespeare – und kein Ende! Nach »Viel Lärm um nichts«, »Ein Sommernachtstraum«, »Julius Caesar«, »Maß für Maß« und »Sturm« wird in dieser Spielzeit der Shakespeare-Zyklus mit »Romeo und Julia«, »Die Rosenkriege« und »Heinrich IV.«. fortgesetzt. Auch die erfolgreiche Reihe »Shakespeare – eine Republik von Fehlern« ergänzt die Inszenierungen wieder mit den unterschiedlichsten Vorträgen, Diskussionen und Sonderprogrammen. s in noch günstiger -Pass espeare-Pass lik von Fehlern« ak Sh m de Shakespeare it Spielzeit: M ter, – eine Repub m Servicecen Auch in dieser zur Reihe »Shakespeare oder in unsere d h Burgtheater un der Kassa im Burgtheater are-Pass. Für jeden Besuc pe an e es Si ch n ak si e lte Sh Si n ha en er he s ol H n persönlic des Zyklu re ng Ih ltu 3, ta e le ss ns al ga ra r Hanusch Sonderve en Sie fü ng bzw. einer peln bekomm einer Vorstellu Ihren Pass. Mit zwei Stem ras 25 % Ermäßigung auf l in Ext einen Stempe ellungen und espeare-Vorst ak Sh n re de peln vorlegen an ss mit 12 Stem Kartenpreis. den regulären r, die einen Shakespeare-Pa he Auf die Besuc eine Überraschung! t te ar w , können Herfried Münkler: Wie Republiken zerfallen: Rom – Shakespeare – heute Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler, von DER ZEIT als »wandelnder Ein-Mann-Think-Tank« bezeichnet, wird in seinem Vortrag ausgehend von Shakespeares »Julius Caesar« über den Zerfall von Republiken und die Entstehung von Imperien sprechen. Mit seinem 2005 veröffentlichten Buch »Imperien – die Logik der Weltherrschaft vom alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten« ging er der Frage nach, welche Risiken aber auch Chancen mit der Entstehung von Imperien verbunden sind: »Die Europäer sind stolz und froh, ihre Imperien hinter sich gelassen zu haben, aber sie haben dabei leider auch die Fähigkeit eingebüßt, die Ordnungsleistungen und Funktionsweise von Imperien zu verstehen.« Am 9. November 2007 im KASINO Elisabeth Bronfen Shakespeares nächtliche Welt: »Romeo und Julia« und »Ein Sommernachtstraum« Charlotte Schwab und Sven-Eric Bechtolf Venus und Adonis Venus, die Göttin der Liebe, verliebt sich in den schönen Jüngling Adonis. Um ihn zu gewinnen, bietet sie all ihre Verführungskünste auf. Während in Ovids »Metamorphosen« Adonis das Liebeswerben der Göttin erhört, schildert Shakespeare den Jüngling als höchst unwilligen Liebhaber, der sich von einigen göttlichen Küssen nicht dazu bewegen lässt, die für den nächsten Tag geplante Eberjagd abzusagen. Charlotte Schwab und Sven-Eric Bechtolf präsentieren diesen Klassiker der Liebesdichtung voll Sinnlichkeit und spielerischem Witz. Am 25. September 2007 im AKADEMIETHEATER Der Shakespeare-Zyklus wird unterstützt von Gerne spricht die Forschung von einer grünen Welt in den Dramen Shakespeares, in der starre Ordnungen aufgebrochen und Lösungen für psychische wie politische Konflikte gefunden werden können. Nun bietet es sich aber ebenfalls an, von einer nächtlichen Welt zu sprechen, die als Heterotopie zur Tagwelt fungiert, mit deren strengen symbolischen Gesetzen sowie deren Vernunftsedikt. Eine vergleichende Lektüre von »Romeo und Julia« und dem »Sommernachtstraum«, beide Stücke fast zeitgleich von Shakespeare verfasst, soll dazu dienen aufzuzeigen, warum ein Gang in die Nacht – als Bühne und geistige Verfassung – notwendig ist. Zugleich gilt es zu fragen: Welches Wissen kann aus der Nacht in den Tag zurück getragen werden? Was muss mit dem Aufwachen vergessen oder verdrängt werden? Wem gelingt der Gang in die Morgenröte? Wer bleibt in der Nacht? Schließlich soll auch das Verhältnis von Theater als Gegenort zur Alltagswelt erörtert werden, um danach zu fragen, was es heißt, aus einer Theateraufführung »aufzuwachen«. Am 5. November 2007 im KASINO 2007/2008 Saison Zum Gedenken 18 Abschied von George Tabori Budapest, 24. Mai 1914 – Berlin, 23. Juli 2007 Ideen, Sätze, Gedichte, Szenen, Prosa, Briefe, Reden, Gedanken, Glossen, Einwürfe, Entwürfe, Träume und ein Wort George Tabori und Ignaz Kirchner in »Mein Kampf« Julia Stemberger, Gert Voss und Rudolf Melichar in »Othello« Ursula Höpfner in »Purgatorium« »Ich denke an mich wie an jemanden, den ich kannte, der das und das machte. Ich habe so viel erlebt. Von Ungarn bin ich nach England gegangen, dann war ich Journalist in Sofia, in Istanbul war ich ein Jahr, in Jerusalem, Kairo, wieder in England, dann bin ich nach Hollywood gegangen, in New York war ich zwanzig Jahre. Manche Sachen sind mir sehr nah. Das bin ich. Andere Sachen sind George Tabori.« Jetzt ist George Tabori, der »dienstälteste Theatermacher der Welt« – wie er sich selber bezeichnete, gestorben. Die 93 Jahre seines Lebens verbrachte er in 17 verschiedenen Ländern, arbeitete als Schuhputzer, Nachrichtenoffizier, Regisseur und Autor und schrieb seine Stücke und Prosatexte in drei Sprachen. »Meine Heimat ist ein Bett und eine Bühne«, sagte er einmal. In seinen Stücken setzte Tabori dem Furchtbaren eine absurde Komik entgegen. Sein Vater und der Großteil seiner Familie kamen in Auschwitz um, das er als »größten Witz der Weltgeschichte« bezeichnete: »Unmöglich ist es, die Vergangenheit zu bewältigen, ohne dass man sie mit Haut, Nase, Zunge, Hintern, Füßen und Bauch wiederbelebt hat.« Berlin und Wien – das waren die entscheidenden Stationen für Taboris Arbeit als Autor und Regisseur. Am Burgtheater brachte er in den Jahren von 1987 bis 1999 insgesamt zehn seiner Stücke zur Uraufführung – darunter »Mein Kampf« und »Goldberg Variationen«. Unvergessen sind auch seine Inszenierungen von »Fin de Partie« und »Othello«. Am 23. Juli ist George Tabori in Berlin gestorben, und das Berliner Ensemble, an dem er die letzten Jahre gearbeitet hat, gedachte seiner mit einem poetischen Abend, an dem, statt Trauerrednern, nur der Künstler Tabori zu Wort kam. Das Burgtheater widmet seinem Ehrenmitglied George Tabori eine Matinee, bei der Freunde und Weggefährten, Schauspieler und Regisseure aus Wien und Berlin von dem großen Theatermacher Abschied nehmen. Matinee am 14. Oktober um 11 Uhr im BURGTHEATER 2007/2008 Saison Wiederaufnahmen 19 König Ottokars Glück und Ende Trauerspiel in fünf Aufzügen von Franz Grillparzer Koproduktion mit den Salzburger Festspielen »Das Wunder des Abends ist Tobias Moretti. Er entlockt seiner Stimme ungehörte Tiefen und Höhen und seinem Körper geschmeidigste Bewegungen. Und unter den anderen Darstellern ist keiner, der nicht staunen macht. Michael Maertens konturiert den Rudolf als Macht heischenden, egoistischen Strategen noch stärker als in Salzburg. Die schauspielerischen Leistungen sind in eine grandiose Inszenierung gebettet.« Salzburger Nachrichten »Was ich gesammelt, ist im Wind zerstoben, und einsam steh ich da, und niemand tröstet mich und hört mich!« Leitung: Martin Kušej, Martin Zehetgruber, Heide Kastler, Bert Wrede, Reinhard Traub Mit: Bibiana Beglau, Sabine Haupt, Elisabeth Orth; Patrick O. Beck, Daniel Jesch, Ronald K. Hein, Johannes Krisch, Michael Maertens, Rudolf Melichar, Karl Merkatz, Tobias Moretti, Nicholas Ofczarek, Robert Reinagl, Johannes Terne, Paul Wolff-Plottegg u.a. Nicholas Ofczarek, Tobias Moretti, Bibiana Beglau Ab 5. Oktober 2007 wieder im Burgtheater Torquato Tasso von Johann Wolfgang Goethe »Stephan Kimmig macht aus Goethes ›Torquato Tasso‹ ein Kammerspiel feiner, erst nach und nach fühl- und sichtbarer Beziehungen zwischen den fünf Figuren, die von einem exzellent kooperierenden Ensemble getragen werden. Die Geschichte spielt nirgendwo und überall, gestern und heute. Sie handelt von den Freuden und Leiden des Künstlers an der Normalwelt und umgekehrt. Zwei Sphären, die nur unscharf voneinander zu trennen und jedenfalls aufeinander angewiesen sind.« NZZ »Es liegt um uns herum gar mancher Abgrund, den das Schicksal grub; doch hier in unserm Herzen ist der tiefste und reizend ist es, sich hinabzustürzen.« Leitung: Stephan Kimmig, Katja Hass, Barbara Drosihn, Michael Verhovec, Friedrich Rom Mit: Caroline Peters, Myriam Schröder; Philipp Hochmair, Joachim Meyerhoff, Michael Wittenborn Seit September 2007 wieder im Burgtheater Michael Wittenborn, Joachim Meyerhoff, Philipp Hochmair Saison 2007/2008 Rund um die Uhr 22 Von 6 bis 10 Uhr: Das Burgtheater erwacht Das Burgtheater, eines der größten Sprechtheater Europas, ist ein gewaltiger Betrieb, eine große Maschinerie, in der mehr als 600 Menschen sieben Tage pro Woche arbeiten, fast rund um die Uhr. In der neuen Vorspiel-Reihe werfen wir einen Blick in das Innere des Hauses und hinter die Kulissen und berichten in insgesamt fünf Folgen, was dort zwischen 6 und 24 Uhr passiert. An diesem Morgen um sechs Uhr hat Josef Wernhardt schon 18 Stunden gearbeitet. Der Feuerwehrmann hat die längste Schicht im Burgtheater: 24 Stunden ist er im Einsatz für die Sicherheit des Hauses, über Nacht hält die Feuerwehr alleine die Stellung. Doch bereits um sechs Uhr bekommt sie wieder Gesellschaft – Portier Reinhard Ganglbauer zieht mit Schwung die schwere Holztür des Bühneneingangs auf, wünscht fröhlich einen guten Morgen und nimmt pünktlich seinen Platz hinter dem Empfangstresen ein. Zur selben Zeit sind auch die Hausarbeiter schon unterwegs: Vorbei an den Schauspielerporträts in der Gemäldegalerie tragen sie einen großen Tisch ins Pausenfoyer, auf dem für einen Sponsorenempfang am Nachmittag ein Buffet angerichtet werden soll. Später würden sie dafür kaum noch Zeit finden, die Liste der Aufgaben, die Franz Gruber, Turkut Sertas und Dejan Djordjevic bis zum Ende ihrer Schicht um 14.30 Uhr erledigen müssen, ist lang. Gleich im Anschluss holen sie eine Alu-Leiter und tauschen das rote Ankündigungsschild für die aktuelle Vorstellung vor dem Haus aus: »Maß für Maß« macht Platz für »König Lear«. Von der Rasenfläche am Ring geht es direkt weiter in den Zuschauerraum. Hier müssen die ersten beiden Sitzreihen ausgebaut werden, weil das Bühnenbild von »König Lear« ins Parkett hineinragt. Immer drei Sessel auf einmal schrauben die Männer mit einem Spezialschlüssel ab und transportieren sie auf Rollbrettern an die Seite der Feststiege Landtmannseite, wo sie bis zum nächsten Umbau gestapelt werden. Gleichzeitig herrscht auf der Bühne bereits Hochbetrieb: Schlosser, Requisiteure, Tapezierer, Beleuchter und Bühnenarbeiter sind am Umbau des Bühnenbilds beteiligt. Die insgesamt 31 Mann werden die näch- sten vier Stunden damit beschäftigt sein, die Kulissen von »Maß für Maß« ab- und die für »König Lear« aufzubauen, bevor sie in ihre Werkstätten zurückgehen. Damit bei so viel Geschäftigkeit auf der Bühne nichts schiefgeht, koordiniert Gruppenmeister Manfred Kolb die einzelnen Arbeitsabläufe. Über den Köpfen der Bühnenmannschaft ist das Schnürboden-Team aktiv: Der Arbeitsplatz der sechs Techniker liegt 12 Meter über dem Bühnenboden. Von hier aus steuern sie über ein Hightech-Pult die insgesamt 117 Züge, an denen die Kulissen, Scheinwerfer und weitere Bühnenbildelemente bis zu 28 Meter nach oben gezogen werden können. Ein Knopfdruck genügt, und bis zu 1000 Kilo Gewicht schweben lautlos gen Bühnenhimmel. Im Zuschauerraum ertönt plötzlich laut scheppernd Musik und beschallt die Ränge: Reinigungskraft Maria Urban hat wie jeden Morgen ihr tragbares Radioge- 2007/2008 Saison Rund um die Uhr 23 rät angeschaltet. Mit Staubsauger, Lappen und Bürste bewaffnet putzt sie beschwingt Polster und Teppiche. „Wenn’s die Techniker beim Arbeiten stört, dreh ich das Radio auch wieder ab“, sagt Frau Urban, während sie einen Sessel in der linken Festloge zurechtrückt. Gemeinsam mit einer Kollegin reinigt sie den gesamten Zuschauerraum, vom Parkett bis zur Galerie inklusive aller 58 Logen. In der Loge gleich nebenan sitzt Mario Helmreich hinter dem Beleuchterpult. Von hier aus hat er den besten Blick auf die Bühne. Momentan wird dort nur das Arbeitslicht gebraucht, und er hat noch ein wenig Zeit für ein Häferl Kaffee, bevor er die Scheinwerfer für die Vorstellung am Abend einrichten muss. Während auf der Bühne bereits der erste Turm des »König Lear«-Bühnenbilds steht, hat auch drei Etagen tiefer der Arbeitsalltag schon begonnen. Im zweiten Kellergeschoß ist die E-Zentrale seit 7 Uhr besetzt. Vor anderthalb Stunden hat Ronald Ebner seinen Arbeitstag mit einem Knopfdruck begonnen – erst danach fließt im ganzen Haus wieder der Strom. Gemeinsam mit Philipp Vidlak und Pa- Saison 2007/2008 trick Tichy kümmert er sich um die Instandhaltung der Elektrik und unter anderem auch um die über 6000 Glühbirnen im Zuschauerhaus. Allein der große Deckenluster ist mit 600 bestückt, und wie so oft muss auch heute wieder eine durchgebrannte Birne in schwindelnder Höhe ausgetauscht werden, damit der Zuschauerraum vor und nach der Vorstellung in voller Pracht erstrahlt. Selbst bei einem totalen Stromausfall muss hier niemand im Dunkeln tappen: Drei Kellerräume voller Batterien können im Falle eines Falles das ganze Haus für 12 Stunden mit Strom versorgen – kein Grund also, eine Vorstellung abbrechen zu müssen. Ein paar Flure weiter befindet sich das Reich von Erwin Schretzmeister – die Klimazentrale. Den Eisernen Vorhang, der die Bühne feuersicher vom Zuschauerhaus trennt, hat er wie immer um 6.30 Uhr hochgefahren, auch die Lüftung hat er bereits aufgedreht. Er und seine sieben Kollegen sind für alles zuständig, was mit Wärme und Wasser zu tun hat. Das ist nicht nur für den Betrieb hinter der Bühne wichtig, sondern spielt auch in vielen Vorstellungen eine wichtige Rolle. Bei »Viel Lärm um nichts« muss beispielsweise der Pool im Bühnenbild für jede Vorstellung mit frischem, 38 Grad warmem Wasser gefüllt werden, damit die Schauspieler sich darin nicht erkälten. Für diese Vorstellung muss außerdem auch der Schlauch für den imposanten Regenvorhang an den 2000 Liter-Tank angeschlossen werden – vom zweiten Kellergeschoß bis zum Schnürboden wird das Wasser gepumpt. Der Rundgang durchs Burgtheater endet wieder beim Portier, der gerade die Fragen einer Schülergruppe auf Stadtrallye beantworten muss: »Nach wessen Plänen wurde das Burgtheater gebaut?« Kein Problem für Reinhard Ganglbauer: »Nach denen von Gottfried Semper und Karl von Hasenauer natürlich!« Noch während die Schüler die Antwort in ihren Fragebogen eintragen, nimmt Herr Ganglbauer ein Telefonat entgegen, bestellt ein Taxi und lässt einen Boten herein, der ein großes Paket anliefert. Mittlerweile sind auch in allen anderen Abteilungen die Mitarbeiter bereits an der Arbeit. Es ist zehn Uhr. Britta Kampert und Judith Liere Porträt 21 Nachgefragt: Pauline Knof, Schauspielerin Was wäre für Sie das größte Unglück? Wo möchten Sie leben? Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Ihre liebste Romanheldin? Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte? Ihre Lieblingsheldinnen in der Wirklichkeit? Ihre Lieblingsheldinnen in der Dichtung? Ihre Lieblingsmaler? Ihr Lieblingskomponist? Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten? Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten? Ihre Lieblingstugend? Ihre Lieblingsbeschäftigung? Wer oder was hätten Sie sein mögen? Tod eines geliebten Menschen; mein Leben zu verpassen Am Meer Eine eigene Familie zu haben und zu arbeiten Die eingestandenen Die Rote Zora, Ronja Räubertochter Momentan Wallenstein Alle starken Frauen Die antiken Turner, Brueghel, Goya, Marc Bach, Mozart, Tschaikowskij Humor, Haltung, gutes Benehmen, Kraft, Zuverlässigkeit Humor, Gelassenheit, Selbstbewusstsein, Sensibilität Demut, Pünktlichkeit, Großzügigkeit Reisen, Arbeiten, Kochen, Müßiggehen Primaballerina, Primadonna, Juwelendiebin in Nizza, James Bond Ihr Hauptcharakterzug? laut Nachfrage: Heiterkeit, Entschlossenheit, Schnelligkeit Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten? Loyalität, Kritik Ihr größter Fehler? Ungeduld, Unzufriedenheit Ihr Traum vom Glück? Seelenfrieden Was möchten Sie sein? Eine verdammt gute Schauspielerin; Mutter, Geliebte, Freundin Ihre Lieblingsfarbe? Alle Farben des Meeres Ihre Lieblingsblume? Weiße Rosen, Flieder, Tulpen, Heidekraut Ihr Lieblingsvogel? Lachmöwe Ihr Lieblingslyriker? Mascha Kaléko, Heinrich Heine Ihr Lieblingsdramatiker? Tschechow, Schiller Ihr Lieblingsstück? Minna von Barnhelm Ihre Helden in der Wirklichkeit? Die stillen Helden, mit wenig Geld und Anerkennung Ihre Heldinnen in der Geschichte? Die Mitglieder der Frauenbewegungen Ihre Lieblingsnamen? Greta, Stella, Milan Was verabscheuen Sie am meisten? Rücksichtslosigkeit, Arroganz Welche geschichtlichen Gestalten Die altbekannten verachten Sie am meisten? Welche militärischen Leistungen Jeden Sieg über meinen inneren Schweinehund bewundern Sie am meisten? Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen? Mich interessieren mehr die übernatürlichen… Wie möchten Sie sterben? Plötzlich, versöhnt, mit einem Lachen Ihre gegenwärtige Geistesverfassung? Stürmisch mit kleinen Inseln des Glücks Ihr Motto? Geht auch vorbei…! Saison 2007/2008 Pauline Knof wurde 1980 in Berlin geboren, wo sie am Alexanderplatz aufwuchs. Bereits mit fünf Jahren bekam die Tochter einer Schauspielerfamilie Klavierunterricht und mit 14 ließ sie sich in Ballett und Gesang ausbilden. Pauline Knof absolvierte die Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Seit 2004 ist sie Ensemblemitglied des Burgtheaters und debütierte in Franz Wittenbrinks »Mozart Werke Ges.m.b.H.«. Mit Andrea Breth arbeitete sie in Tschechows »Der Kirschgarten« und Lessings »Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück«. Sie spielt die Hermia in »Ein Sommernachtstraum« unter der Regie von Theu Boermans. Zu Weihnachten 2006 begeisterte Pauline Knof mit einer Lesung der »Weihnachtsgans Auguste« im Vestibül. Als nächstes ist die mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin unter der Regie von Lars Ole Walburg in Feridun Zaimoglus und Günther Senkels Stück »Schwarze Jungfrauen« im Kasino am Schwarzenbergplatz zu sehen. Magazin 25 Das Alphabet der Zeit Buchpräsentation mit Gerhard Roth, Libgart Schwarz und Ignaz Kirchner Gerhard Roths neuer Roman ist eine Auseinander- setzung mit der eigenen Geschichte und den Formen des Erinnerns. Die erste Erinnerung ist ein flackernder Schwarzweißfilm: Winter 1945, ein Fliegerangriff auf einen Zug, den das Kind überlebt. Zwanzig Jahre spä- ter ist aus dem Kind ein junger Medizinstudent ge- worden, der in der Anatomie der Grazer Universität Leichen seziert und heimlich ersten Schreibversuchen nachhängt. Dazwischen entfaltet sich ein Leben in un- vergesslichen Geschichten und exemplarischen Sze- nen: meisterhaft und aus dem überwältigenden Reich- tum der Erinnerung erzählt Gerhard Roth von den Bedrängnissen durch Elternhaus, Schule und Religion, aber auch von der Flucht in die Wunderwelten des Ki- nos und der Literatur und vom Glück, Menschen zu begegnen, die das eigene Leben für immer verändern. Am 21. September 2007 im AKADEMIETHEATER »Schlecht ist der Knecht, der blecht.« Shakespeare, König Heinrich V. Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem S. Fischer Verlag ABO<27 - für alle Menschen bis zum vollendeten 27. Lebensjahr: 3 Vorstellungen in Burg- und Akademietheater mit bis zu 60% Ermäßigung. Buchbar bis zum 15. November 2007. Mehr Informationen unter www.burgtheater.at oder Tel. 01/51444-4178 »Die Erinnerung ist eine Fata Morgana in der Wüste des Vergessens.« Gerhard Roth wurde 1942 in Graz geboren, lebt als freier Schriftsteller in Wien und der Südsteiermark. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke, darunter den 1991 abgeschlossenen siebenbändigen Zyklus »Die Archive des Schweigens«. Seitdem erschienen die Romane »Der See«, »Der Plan«, »Der Berg«, »Der Strom« und »Das Labyrinth« des ebenfalls siebenteiligen Zyklus »Orkus«. Für sein Werk wurde Gerhard Roth mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Saison 2007/2008 BURGTHEATER. www.burgtheater.at Magazin 27 Die Gewinner des Burgtheater- Fahrrads für neue Festabonnenten »Lieber drei Stunden zu früh, als eine Minute zu spät«, heißt es bei Shakespeare in »Die lustigen Weiber von Windsor«. Die Gewinner des Burgtheater-Fahrrads haben sich früh genug für ein Festabonnement entschieden und wurden im Rahmen der Verlosung unter den 50 ersten Anmeldungen von den Burgschauspielern Regina Fritsch und Nicholas Ofczarek gezogen. Wir gratulieren herzlich: Frau Rosa Augustin, Frau Dr. Michaela Hufnagl, Frau Mag. Hildegard Zahorsky, Herrn DDr. Oliver Sas und Herrn Ing. Heinrich Scheffer. »Fahr wohl und komm in beßrer Stimmung!« ist das Shakespeare-Zitat am KTM-Burgtheater-Fahrrad. In diesem Sinne wünschen wir gute Fahrt und schöne Theaterabende! DDr. Oliver Sas, Klaus Bachler, Rosa Augustin und Mag. Hildegard Zahorsky (v.l.) nach dem Sektempfang im Restaurant Vestibül. Auch in der Spielzeit 2007/2008 »Kostenlos ins Burgtheater«! Von Jänner bis Juni 2007 besuchten 1.345 Schüler, Studenten und Lehrlinge aus ganz Österreich (von Mat- tersburg bis Bludenz) die zehn im Rahmen der Aktion »Kostenlos ins Burgtheater« angebotenen Vorstellungen – und insgesamt 8.115 wären gerne gekommen. Der überwältigende Andrang und das äußerst positive Echo überzeugten unsere Sponsoren – Frank Stronach und Magna finanzieren die Theaterkarten in den besten Saison 2007/2008 Kategorien, ÖBB-Personenverkehr stellt kostenlose Bahntickets für An- und Rückreise zur Verfügung –, diese Aktion auch in dieser Spielzeit nicht nur fortzu- setzen, sondern durch Erhöhung der zur Verfügung gestellten Summe noch mehr Schülern, Studenten und Lehrlingen einen Besuch im Burgtheater zu ermöglichen. Anmeldungen unter: dramaturgie@burgtheater.at Magazin 29 MICHAEL KÖHLMEIER wurde 1949 in Hard am Bodensee geboren und wuchs in Hohenems/ Vorarlberg auf. Er studierte Germanistik und Politologie in Marburg sowie Mathematik und Philosophie in Gießen und Frankfurt. Er schreibt Romane, Erzählungen, Hörspiele und Lieder und tritt sehr erfolgreich als Erzähler antiker und heimischer Sagenstoffe und biblischer Geschichten auf. Er ist mit der Schriftstellerin Monika Helfer verheiratet und lebt in Hohenems/Vorarlberg. Michael Köhlmeier wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. ABENDLAND Michael Köhlmeier liest aus seinem neuen Roman »Ohne dich wäre ich nicht, was ich bin. Er hätte gefragt: Und was bist du? Was für eine andere Antwort wäre mir geblieben, als ihm die gleiche Frage zu stellen? Und was hätte er geantwortet? Er weiß, daß ihm etwas widerfährt, aber er weiß nicht, was es sein wird; und er weiß noch weniger, ob es gut oder schlecht sein wird.« Carl Jacob Candoris – Mathematiker, Weltbürger, Dandy und Jazz-Fan – ist fünfundneunzig Jahre alt und legt sei- ne Lebensbeichte ab: eine turbulente, zu Herzen gehende Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aufschreiben soll diese Geschichte der Schriftsteller Sebastian Lukasser, Sohn des Gitarristen Georg Lukasser, den Can- doris in den Jazz-Kellern im Wien der Nachkriegsjahre kennengelernt und um dessen Familie er sich bis zum traurigen Tod des Musikers gekümmert hat. In die Lebensgeschichte des exzentrischen Carl Jacob Candoris blendet Sebastian seine Saison 2007/2008 eigene Geschichte ein, so dass im Spie- gel zweier ungleicher Familien ein fas- zinierendes Panorama des ganzen Jahr- hunderts entsteht: Candoris erzählt von seinem Großvater, der in Wien einen be- rühmten Kolonialwarenladen betrieb, von seinen seltsamen Verwandten, bei denen er in Göttingen während seines Studiums lebt und die Größen der Na- turwissenschaft kennenlernt – die er spä- ter, in Los Alamos, als »Väter der Atom- bombe« wiedersieht –, vom Weltkrieg und der Verheerung Europas und von der Nachkriegszeit – wo Sebastians Ge- schichte beginnt. Selten hat ein Schrift- steller einen so klugen und lebenssatten Roman über unsere Zeit geschrieben – über die großen historischen Sündenfälle und die privaten Reaktionen darauf, über die persönlichen und politischen Hoff- nungen, über Kunst und Leben, Geist und Ungeist einer Epoche. Am 16. Oktober 2007 im BURGTHEATER Zazie in der Metro bei »Rund um die Burg« Auch heuer wird das Burgtheater wieder einen Beitrag zum Literaturfestival »Rund um die Burg. Die 24 Stunden der Litera- tur in Wien« leisten: Robert Reinagl und Hannes Marek sind zu Gast im Hauptle- sezelt vor dem Rathaus mit ihrem musika- lisch-literarischen Programm »Zazie in der Métro« nach dem Roman von Raymond Queneau. »Mit seiner facettenreichen Stimme führt Reinagl durch die belebten Straßen von Paris, im Kopf entstehen sofort die bun- testen Bilder.« Wiener Zeitung Mit Robert Reinagl (Stimme), Karl Stirner (Soundscape), Hannes Marek (Piano) Am 21. September 2007 um 23 Uhr im Lesezelt vor dem Rathaus Magazin 30 Reiche österreichische Literatur-Ernte: So viele neue Bücher von österreichischen Dichtern wie in diesem Herbst gab es noch nie! Gleich sechs von ihnen sind für den Deutschen Buchpreis 2007 nominiert: Peter Truschner, Robert Menasse, Michael Köhlmeier, Peter Henisch, Sabine Gruber und Thomas Glavinic. Das ist fast ein Drittel der Nominierten und doch nur ein Bruchteil all jener österreichischen Autoren, die in dieser Saison neue Bücher auf den Markt bringen. Auch von Peter Handke, Josef Winkler, Gerhard Roth, Christoph Ransmayr, Margit Schreiner und vom Buchpreisträger 2005 Arno Geiger liegt Neues vor. Dieser Herbst schreit nach Lese-Urlaub, ob zuhause, in der Therme oder wo auch immer. Unglaublich, wie in diesen Romanen unsere Lebenswelt, unser Erlebtes beschrieben und die Auseinandersetzung mit Biographie, Familiengeschichte und Zeitgeschichte faszinierend und berührend vorgelegt wird! Peter Henisch hat mit »Die kleine Frau« einen wunderbaren Roman auch über die zwanziger, dreißiger Jahre in Wien geschrieben und Thomas Glavinic porträtiert den Kulturbetrieb mit vollendetem Realismus und aberwitziger Komik. Er spielt ein Spiel mit der Wirklichkeit und ihrer Verdopplung – ein seltenes, ungewöhnliches Lesevergnügen! So, nun können Sie sich nicht entscheiden? Macht nichts, dafür gibt es ja Leporello im Burgtheater: wir haben ein druckfrisches Österreicherpaket mit sechs Titeln für Sie vorbereitet – abends kurz vorm Burgtheater parken, hineinspringen, zahlen (auch mit Karte, dauert aber ein paar Sekunden länger), Paket nehmen und dem langen Leseerlebnis steht nichts mehr im Weg! Natürlich stellen wir dieses Paket auch nach Absprache mit Ihnen zusammen – und natürlich gibt es auch hier wieder ein »Zuckerl«, wenn Sie beim Kauf des Paketes auf diese Vorspiel-Kolumne verweisen. Ich freue mich für Sie auf diese wundervollen Leseerlebnisse! Ihre Rotraut Schöberl – Buchhandlung Leporello im Foyer des Burgtheaters SUCHERS LEIDENSCHAFTEN Marcel Proust Fjodor Dostojewski Marcel Proust kennen selbst die, die keine Zeile von ihm gelesen haben. Sie verbinden mit dem Namen vor allem dreierlei: Dandy, Salonkultur und das Riesen- werk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Ge- wiss ist es dieser Roman, der Proust berühmt und unsterblich gemacht hat; und er wird in C. Bernd Su- chers Vortrag auch besprochen, aber daneben auch anderes. Bevor Proust sich nämlich an sein opus ma- gnum machte, arbeitete er als Literaturkritiker und als Gesellschaftskolumnist, also als Klatschreporter. In diesem Job machte er die Bekanntschaft der Schönen, Reichen und Adligen von Paris. Was er mit ihnen und in ihrer Gesellschaft erlebte, wird in seinen Roman- werken verarbeitet, chiffriert und kommentiert. Und zwar immer sehr selbstbewusst, zuweilen kokett und eitel. Seine Texte verraten zudem sehr viel über den Menschen Proust, der unter seiner Homosexualität litt und sich – je älter er wurde desto mehr – in die Dich- tung und in die Einsamkeit flüchtete. Den ersten »Lei- denschaften«-Abend dieser Spielzeit wird C. Bernd Sucher gemeinsam mit dem Burgschauspieler Paul Wolff-Plottegg präsentieren. Fjodor Dostojewski ist wahrscheinlich der (sprach)gewaltigste russische Romancier des 19. Jahr- hunderts, einer der den psychologischen Realismus be- herrschte wie kaum ein anderer. Er war Gesellschafts- kritiker und ein Gott-Sucher, der sich die Erneuerung Europas, die Gesundung dieses Erdteils nur unter der Führung der Russen vorstellen konnte. Er glaubte an die Kraft des russischen Volkes, des einfachen Volkes, nicht der Intelligenzia. Seine großen Romane gehören zur Weltliteratur. C. Bernd Sucher wird sich in seinem »Leidenschaften«-Vortrag aber auch mit den frühen Romanen, den Erzählungen und dem Roman »Der Spieler« auseinandersetzen. Ungewöhnlich großen Raum wird er diesmal auch dem Leben des Dichters widmen, weil es den größten Einfluss auf sein Werk hatte. »Marcel Proust« am 18. Oktober 2007, »Fjodor Dostojewski« am 15. November 2007 im KASINO NACHWEISE BILDER: Christian Brachwitz: S.19/2; Marion Bührle: S.9; Nadja Elgendy/Saime Öztürk (privat): S.10,11; Christina von Haugwitz: S.18/3; Oliver Herrmann: S.18/1, 18/2; Philipp Horak: S.25, Matthias Horn: Cover; Udo Leitner: S.29; Joachim Meyerhoff (privat): S.15 oben; Hans Jörg Michel: S. 19/1: Herfried Münkler (privat): S.16/2; Isolde Ohlbaum: S.16/3; Georg Soulek: S.6, 7, 16/1, 21/1, 21/3, 21/4; Georg Tedeschi: S.15 unten; Reinhard Werner: S.11, 13, 21/2, 22, 23. TEXTE: S.4: Neue Zürcher Zeitung, 14. April 2007; S.6: Originalbeitrag, S.8: Originalbeitrag; S.10: Originalbeitrag, S.22: Originalbeitrag. Wir danken unseren Jubiläums- und Hauptsponsoren und unseren Freunden und Förderern: agensketterl Druckerei GmbH,AirPlus,AKRIS, ARTAND GARDEN,AustrianAirlines, BA/CA, BAWAG-PSK, Weingut Bründlmayer, Deutsche LufthansaAG,Fernwärme,KartenbüroJirsa,MagnaInternational,MöbelwerkstättenWITTMANN,OENBOesterreichischeNationalbank,ÖsterreichischeElektrizitäts-WirtschaftsAG Verbund, Österreichisches Verkehrsbüro AG, Palmers, Römerquelle, S-Bausparkasse, Schlumberger Wein- und Sektkellerei AG, Schuhmanufaktur Ludwig Reiter, Staud´s Wien, TELEKOM Austria, waagner-biro, WIENENERGIE, WIENER STÄDTISCHE Versicherung AG VIENNA INSURANCE GROUP, WKO Wirtschaftskammer Österreich 2007/2008 Saison