Du hast am schaumgebäck der insel noch zu

Transcription

Du hast am schaumgebäck der insel noch zu
vorspiel
Das Magazin des wiener Burgtheaters
September / Oktober 2007
Nr. 41
Du hast am
Schaumgebäck
der Insel noch zu
knabbern, das dich
die Wirklichkeit
bezweifeln lässt.
»Sturm« von William Shakespeare
In Kooperation mit
Inhalt
3
Premieren
2007/2008
William Shakespeare
Andrew Bovell
Romeo und Julia
Lantana
Feridun Zaimoglu / Günther Senkel
Mark Ravenhill
Schwarze Jungfrauen
Pool (kein Wasser)
Österreichische Erstaufführung
Österreichische Erstaufführung
Wajdi Mouawad
William Shakespeare
Verbrennungen
Heinrich IV.
Österreichische Erstaufführung
Yasmina Reza
Adele Sandrock / Arthur Schnitzler
Gehasste Geliebte
Der Gott des Gemetzels
Österreichische Erstaufführung
James Goldman
Johannes Schrettle
Der Löwe im Winter
sie sprechen /
nur über ihre leiche
In Zusammenarbeit mit TR WARSZAWA
Michael Heltau und die
Wiener Theatermusiker
Uraufführung
Händl Klaus
Sammlung Marianne Bosch
Lukas Bärfuss
Uraufführung
Die Probe
(Der brave Simon Korach)
Falk Richter
Österreichische Erstaufführung
Friedrich Schiller
Wallenstein
Verletzte Jugend
Uraufführung
Inhalt
4 Leitartikel: »Schule Europa«
von Adolf Muschg
6 »Romeo und Julia« – Ein Gespräch mit
Julia Hartmann und Sven Dolinksi
8 »Verbrennungen« – Ein Interview
mit Wajdi Mouawad
10 »Schwarze Jungfrauen« von Feridun
Zaimoglu und Günther Senkel
12Arthur Schnitzler – Adele Sandrock:
»Gehasste Geliebte«
13 Werkstatttage 07 – Acht junge
Autorinnen und Autoren am Burgtheater
14 »Das Leben ist eine entsetzliche
Wirklichkeit« – Ignaz Kirchner liest
Briefe von Vincent van Gogh
15 »Alle Toten fliegen hoch«
von und mit Joachim Meyerhoff;
Franz Kafka: »Der Prozess«
mit Philipp Hochmair
16 Shakespeare – und kein Ende!
18Abschied von George Tabori
19 Wiederaufnahmen im Burgtheater:
»König Ottokars Glück und Ende« und
»Torquato Tasso«
21 Porträt: Pauline Knof
22 Rund um die Uhr: Von 6 bis 10 Uhr –
Das Burgtheater erwacht
25 Magazin
William Shakespeare
Die Rosenkriege
Fjodor M. Dostojewskij
Die Brüder Karamasow
Simon Stephens
Motortown
Österreichische Erstaufführung
Impressum
Titelbild: Johann Adam Oest als Prospero in
»Sturm« von William Shakespeare
vorspiel. Das Magazin des Wiener Burgtheaters
erscheint fünfmal jährlich als Sonderbeilage der
Tageszeitung »Der Standard«
Medieninhaber und Herausgeber:
Direktion Burgtheater GesmbH
1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 2
Redaktion: Dramaturgie Burgtheater
Gestaltung: Herbert Winkler, Annika Rytterhag
Collettiva Design
Herstellung: Goldmann-Zeitungsdruck GesmbH
3430 Tulln, Königstetter Straße 132
Saison 2007/2008
Leitartikel
4
Schule Europa
Von Adolf Muschg
Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung haben
sich 27 Staaten der Europäischen Union angeschlossen. Nur im Zusammenspiel der
drei Potenzen Staat, Religion und Kultur
kann das Gemeinwesen existieren.
In Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften« gilt es, das Regierungsjubiläum
Kaiser Franz Josefs II. zu feiern, und ein
Komitee bemüht sich um spezifische »Werte«, mit denen sich die Donaumonarchie
zu diesem Anlass schmücken könnte. Der
Roman wirft damit die Gewissensfrage einer modernen Zivilisation auf: Welches
sind denn die Werte, für die ihre Teilnehmer zu leben und zu sterben bereit sind?
Solche Fragen hat in anderen Zeiten die
Religion beantwortet, und von »Werten«
pflegte sie nicht erst zu sprechen.
Diesen Katalog – Tugenden wie Sünden –
hat die Säkularisierung im Westen schrittweise, wenn auch nie restlos, kassiert, wobei dem liberalen Evangelium nach Adam
Smith eine Schlüsselrolle zukommt. Denn
ihm gelang es bekanntlich, gerade im Zentrum aller Todsünden – dem natürlichen
Egoismus – »Gottes verborgene Hand«
auszumachen. Seither steht im System der
westlichen Werte kein Stein mehr auf dem
andern. Sie bleiben vergleichsweise ohnmächtige Lückenbüßer, auch wenn ihnen die Aufklärung das Sonntagskleid von
Menschen- und Bürgerrechten angezogen
hat. In der werktäglichen Praxis ist kein
Staat mit ihnen zu machen – sollte ausgerechnet das anspruchsvollste Staatsgebilde
der Geschichte, die Europäische Union, auf
sie zu gründen sein? Die sogenannte Pluralität der Werte ist in der Praxis ein gemischter
Segen – besonders wenn sie von Menschen,
die immer noch religiös gebunden sind, als
Relativierung, im Grenzfall gar als Gotteslästerung wahrgenommen wird. Schon in
der Verallgemeinerung von Werten, die uns
als unantastbar gelten, sitzt inzwischen der
Wurm kolonialistischen Verdachts.
Dilemma der Werte
Ich möchte mich an den »Weltgeschichtlichen Betrachtungen« Jacob ­ Burckhardts
orientieren, der – anders als fast alle seine
deutschen Zunftgenossen im 19. Jahrhundert – als Historiker spekulativer Neigungen
unverdächtig war. Für Burckhardt werden
historische Gesellschaften immer und überall
durch drei »Potenzen« genannte Kräfte geformt: die Religion, den Staat und die Kultur.
Zwei Potenzen, Religion und Staat, neigen
zur Beharrung und verheißen oder erzwingen Stabilität. Die dritte, Kultur genannte Potenz bleibt beweglich, sie repräsentiert jenen
Spielraum, der Menschen nicht weniger nötig ist als innere und äußere Sicherheit. Ohne
die Potenzen Staat und Religion kann eine
Gesellschaft nicht existieren; ohne die Potenz
Kultur lebt sie nicht, realisiert weder das Individuum sein Potenzial, noch erfährt sich
die Gesellschaft als solche, als wählbare Verbindung selbständiger Teilnehmer. In Burckhardts Sprache: »Der Geist ist ein Wühler«;
und solange die anderen Potenzen das unbedingte Sagen haben, wird er auch als solcher
behandelt; vom Staat als Verräter; von der
Religion als Apostat.
Burckhardts Glücksverheißung – keineswegs
eine Utopie, sondern ein tägliches Stück Kulturarbeit – beruht auf dem Modell, dass jede
Potenz nur bedingt durch die beiden andern
und zum Zusammenwirken mit ihnen genötigt zur eigenen veredelten Form findet;
der Staat als begrenzter zu seiner vernunftgesteuerten Rolle; die Religion als persönliche zu ihrer Offenheit; die Kultur als autonome zu ihrer repräsentativen Stärke.
Damit die Bedingungen für dieses menschenwürdige Zusammenspiel eintreten können,
Die Pluralität
der Werte ist ein
gemischter Segen
muss eine bestimmte formende Kraft, die allen dreien inhärent ist, geweckt worden sein
und die ­Steuerung der Zivilisation übernehmen. Dieses Element ist bei Burckhardt die
Kunst: Politisch erscheint sie als Staatskunst,
religiös als erlaubte Vielfalt, kulturell als Lebenskunst. Der Schlüssel zu dieser Entwicklung liegt bei der eigentlich gesellschaftlichen
Kraft, der Kultur: Zwar kann sie weder regieren noch gläubig machen. Und doch ist
sie der Testfall jeder andern Freiheit, denn
ihr Thema ist das anspruchsvollste, zugleich
das eigentlich zivilisierende der Gesellschaft:
die Vieldeutigkeit der menschlichen Existenz
in Verbindung mit ihrer Autonomie.
Kosmopolitismus
Der Idealtyp von Burckhardts Modell ist
auf einem einzigen Quadratkilometer klassischen Bodens zu besichtigen: der Akropolis Athens. Auf der Höhe das Heiligtum der
Stadtgottheit, am Südhang das DionysosTheater und schließlich, auf der Nordseite
des Hügels, die Agora, der Schauplatz der
Demokratie, des bis heute wirkungsvollsten
Beitrags Athens zur europäischen Zivilisation. Hier feilschte man, wie auf jedem Markt
der Welt, um den Preis von Waren; und zugleich, wie auf keinem andern, stritt man um
den Wert, den Rang der Dinge. Hier lernten
Menschen, die in der Tragödie erfahren hatten, dass dem Menschen nicht zu helfen sei,
als Bürger sich selber helfen.
Für Burckhardt war Athen eine Schule
menschlicher Zivilisation. Um sie an einer ihrer Lektionen zu illustrieren: Der große Tragiker Sophokles wünschte auf seinem Grabstein nicht als Schöpfer der Antigone geehrt
zu sein, sondern als Soldat im Krieg gegen
die Perser. Anderseits: Sein älterer Kollege
Aischylos hat denselben »Persern« eine Tragödie gewidmet, die gänzlich frei ist von Triumphalismus: Sie betrachtet das Schicksal
des Feindes mit Erschütterung und Respekt.
Wer handelt hier: die Politik, die Religion,
die Kultur? In unauflöslicher Verbindung zeigen sie die Kunst der Polis am Werk.
Vergleichbare Errungenschaften mussten
sich in Europa vor 1945 auf die spezialisierte Kultur beschränken; Bilder eines friedlich vereinigten Europa galten als Produkte
von Visionären und Träumern. Seit 1945 –
und seit 1989 – ist die Arbeit an der »Polis
Europa« zur konkreten und gemeinschaftlichen Aufgabe geworden, die alle Burckhardtschen Potenzen – und alle Potenziale
der Europäer – ganz neu herausfordert. Ein
über hundertjähriger Bürgerkrieg, der sich
zum Weltkrieg, zur Katastrophe der Zivilisation ausgeweitet hat, bildet die schauderhafte – und hoffnungsvolle – Grundlage für
eine Entwicklung, zu der es keine Alternative gab als den Absturz.
Es ist nötig zu wissen, dass das politische Europa sich nicht nur gegen diese Menetekel
gebildet hat, sondern immer noch in ihrem
Banne steht, auch wenn sie ihr Gesicht verändert haben. Der Glücksfall der heutigen
Union wird nicht dauern, wenn sie nicht die
Kraft und den Willen hat, auf die Frage der
2007/2008 Saison
Leitartikel
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globalisierten Wirtschaft eine Antwort kosmopolitischer Zivilisation zu liefern, an der
alle Burckhardtschen Potenzen in einem neuen, in der Geschichte noch nie da gewesenen
Gleichgewicht beteiligt sind. Diese Antwort
muss nicht nur tragbar sein für ihre Bürger,
sie allein können sie tragfähig machen. Das
ist der epochale Hintergrund unserer »Werte«-Debatte. Europa braucht Werte weder
ganz neu zu erfinden, noch darf es sie für sich
allein beanspruchen.
Um diese Wertvorstellung annäherungsweise
zu definieren, halte ich es für unerlässlich, an
der Differenz zwischen Globalisierung und
Kosmopolitismus festzuhalten. Auf der klassischen Agora waren Ratplatz und Markt
eng verbunden und zugleich durch eine unsichtbare Linie geschieden: Sie trennte die
Sphäre des Handels und Wandels von derjenigen politischer Entscheidung. Im einen
Raum bewegt sich der Mensch als Kunde, im
andern als Bürger. Sowohl der Preis von Waren als auch der Wert der Dinge wollen im
Dialog gefunden werden, doch das Gespräch
von Kauf und Verkauf dient der Notwendigkeit und dem Bedürfnis; hier herrscht gewissermaßen unumschränkt die Natur. Der politische Diskurs aber entscheidet zwischen
Bedürfnissen, muss daher auch imstande
sein, sich über sie zu erheben und von unmittelbaren Interessen frei zu machen.
Die Unterscheidung zwischen dem naturgebundenen »Reich der Notwendigkeit« und
dem geistbestimmten – und kulturbestimmenden – »Reich der Freiheit« war für das
europäische Denken von seinem Ursprung
her konstitutiv. Die klassische Antike lieferte eine philosophische, die christliche Religion eine religiöse, die Aufklärung eine moralische Begründung dafür. Alle zusammen
begründen die kosmopolitische Dimension,
die »Tiefe« der gesellschaftlichen Kultur.
Lassen Sie mich, was gemeint ist, an einem
antiken Merksatz illustrieren, der regelmäßig
verkehrt zitiert wird. Im Originalton Senecas
lautet er: »Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir.« Also: nicht für das Nötigste
und Notdürftige, für das der Markt zuständig ist, das aber für die Bedürfnisse der Polis
zu dürftig wäre – auch wenn es wie Wohlstand aussieht. Lernen, das heißt: sich bilden
muss man für die Schule, s-chol, was griechisch »Muße« bedeutet; also für den richtigen, den kunstvollen Gebrauch von Frei-
Saison 2007/2008
heit, auch der Freiheit von Bedürfnissen,
wie sie Diogenes auf der Agora demonstriert
hat, als er an Alexander den Großen keinen
Wunsch hatte, als: Er möge ihm aus der Sonne gehen.
Das Ziel dieser Freiheit steht auf keinem Ferienplan und keinem Einkaufszettel, aber
sie ist die Grundlage für ein Gemeinwesen, in dem nicht nur bequem oder sicher
zu leben ist, sondern schön. Dieser Begriff
von Schönheit steckt im Element »kosmos«
der Zusammensetzung »kosmopolitisch«,
in der das Lange und Breite unserer natürlichen Bedürfnisse mit der Tiefe des Anspruchs auf Zivilisation zwar zusammen
Europa braucht
Werte weder ganz
neu zu erfinden,
noch darf es sie für sich
allein beanspruchen
besteht, aber mit ihm durchaus nicht identisch ist und auch der Eroberung der Kultur
durch den Markt widersteht – in aller Freiheit. Wer diese Freiheit nicht kennt, ist ein
Wilder, wer sie bestreitet, ein Barbar, wer sie
auf den Markt beschränkt, ein Banause –
das sind die drei Versuchungen zum Selbstverlust, vor denen Europa die ihm mögliche
Zivilisation bewahren muss. Denn seine
kostbarste Errungenschaft steht auf dem
Spiel: der Schutz berechtigter, erträglicher
und verträglicher Vielfalt.
Wie das Gegenbild dazu aussehen könnte,
ja wie es aussehen soll, führen uns heute die Lobredner der Globalisierung als
»flache Welt« vor – so der Pulitzerpreisträger Thomas L. Friedman in seiner Vision
von Wertschöpfungsketten, die sich dank
den Eigenschaften von Silikonkristall und
Glasfaserkabel dramatisch verkürzen lassen. Dieser »flachen Welt« soll die Zukunft
gehören – eine paradoxe Aussicht, denn sie
legt es zugleich darauf an, das raumzeitliche
Gefäß menschlicher Existenz buchstäblich
plattzumachen, als wäre deren Grundlage,
die Bindung an Raum und Zeit, das eigentliche Hindernis für den »pursuit of happiness«. Die Deformation und Verödung kultureller Praxis – sie segelt gern unter Bannern
wie »Kommunikations«- oder »Wissens«Gesellschaft – erlaubt nicht mehr, eine Freiheit ein reines Phantom zu nennen, welche
die Grenzen der Endlichkeit zu überspringen verspricht – und damit den Reibungswiderstand jeder Zivilisation, die Todesgewissheit, banalisiert.
Historisches Gedächtnis
Aber ganz sicher hätte Europa als politische,
kulturelle, religiöse Errungenschaft in der
»flachen Welt« keine Stelle mehr. Denn Europa ist auf die Verbindlichkeit von Raum und
Zeit gegründet, auf Verantwortlichkeit für
das Hier und Jetzt. Ohne Gedächtnis verliert
es, mit seiner Identität, auch das Bewusstsein
ihrer Fragwürdigkeit; es kann, wenn es denn
Zukunft haben soll, seine Herkunft aus der
zeitlichen Tiefe, die Unbequemlichkeit seiner
Geschichte nicht abschütteln. Diese bleibt
die obligatorische Schule seiner Freiheit. Wer
Europa durch eine technologische Lobotomie von ihr zu entlasten verspricht, bringt
es um sein spezifisches Gewicht und um die
Erbschaft, die es – ihrer barbarischen Mitgift
eingedenk – der Weltzivilisation zu melden
hat. Muss von Werten die Rede sein, europäischen Werten, so gehört der Umgang mit
Grenzen vielleicht an erster Stelle dazu: Und
er beginnt mit der Anerkennung der eigenen
Grenzen.
Die EU ist, wahrlich, ein hinreichend begrenztes Gebilde. Aber dass sie innerhalb
dieser anzuerkennenden Grenzen jemals Tatsache würde, haben sich vor hundert Jahren
nur Utopisten träumen lassen – und sogar
vor zwanzig Jahren hat kein Realist daran
geglaubt. Und doch haben sich heute 27 eigensinnige Nationalstaaten zu einer Verbindung zusammengeschlossen. Ein solches von
der List der Vernunft geschaffenes, jetzt aber
auf die Klugheit, nein: die Weisheit seiner Gestalter dringend angewiesenes Gebilde bietet
unerschöpflichen Lernstoff für die »Schule«,
die Seneca gemeint hat.
Adolf Muschg ist Schriftsteller und Professor emeritus der ETH Zürich. Der vorliegende Text ist das leicht gekürzte Referat
zum Thema «Europa – seine Werte – seine
Zukunft« anlässlich der Konferenz der
europäischen BildungsministerInnen am
1. März in Heidelberg.
Burgtheater
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Romeo und Julia
Ein Gespräch mit Julia Hartmann und Sven Dolinski
Er hat gerade seine Schauspielausbildung an der Ernst Busch-Schule in Berlin abgeschlossen, sie wird ihre diesen Herbst in Bochum beenden. Sven Dolinski und Julia
Hartmann sind die jüngsten Ensemblemitglieder des Burgtheaters. Ab dem 20. September 2007 stehen sie in der Inszenierung von Sebastian Hartmann als das berühmteste
Liebespaar der Weltliteratur auf der Bühne. Ein erstes Gespräch während der Proben
mit der Dramaturgin Judith Gerstenberg über diese Herausforderung.
Kaum ein Theaterstück ist bekannter
als »Romeo und Julia«, wobei die wenigsten den Verlauf der Geschichte tatsächlich kennen. Nahezu jeder hat ein
Bild im Kopf. Wie sah dieses Bild bei
Euch aus? Musstet Ihr Euch, um die
Rollen spielen zu können, erst einmal
frei machen davon und auch von den
Sehnsüchten, die auf diese Liebe projiziert werden?
Julia Hartmann: Meine Eltern haben
mich nach Shakespeares Julia benannt
und mir das immer erzählt – von daher
wusste ich sehr früh um diese Geschichte. Sie wollten sogar meinen jüngeren
Bruder auch noch Romeo nennen, aber
davon sind sie dann Gott sei Dank abgekommen. Als ich elf war, habe ich den
die Verfilmungen kannte ich zum Teil.
Erst als ich mit der Rolle besetzt wurde, habe ich das Stück zum ersten Mal
gelesen.
Aber Du hattest auch, ohne es gelesen
zu haben, bestimmt schon eine Idee davon …
Sven Dolinski: Stimmt, aber die war gar
nicht in erster Linie positiv. Der Inbegriff des jungen Verliebten – das klingt
auch ein bisschen langweilig. Dann
habe ich das Stück gelesen und gedacht:
das ist ja großartig. Die Rolle war ganz
anders, als ich mir vorgestellt hatte.
Manchmal bewundert man die Figur,
die man spielt, für das, was sie kann,
weil man weiß: ich könnte das nicht.
Ich versuche mich gar nicht von den Projektionen
auf dieses Liebespaar zu befreien.
Film mit Leonardo DiCaprio gesehen,
der mir damals sehr gefallen hat, und
er hat lange mein Bild von Romeo und
Julia bestimmt. Im Moment mag ich
das Bild, das unser Regisseur Sebastian
Hartmann zu Beginn der Proben entworfen hat. Er sieht Romeo und Julia
als Engel, die gekommen sind, um Frieden zu stiften, die genau wissen, was sie
tun, und dann wieder gehen. Das hatte
ich vorher so noch nicht gedacht. Mit
diesem Bild konnte ich sehr viel anfangen und darin weiterdenken. Letztlich
versuche ich mich vielleicht gar nicht
von den Projektionen auf dieses Liebespaar zu befreien. Es ist nämlich interessant, aus welchen Bildern diese sich zusammensetzen.
Julia Hartmann
Sven Dolinski: Ich habe »Romeo und
Julia« nie zuvor im Theater gesehen –
Ich habe noch nie so geliebt, dass ich so
viel dafür hergeben würde.
Julia Hartmann: Aber die Bedingungslosigkeit, mit der die beiden lieben, hängt
natürlich auch mit den Umständen ihrer
Begegnung zusammen. Sie lernen sich
gerade kennen und erfahren, dass sie eigentlich Todfeinde sein müssten. Gerade das macht diese Liebe auch so ungeheuer spannend.
Sven Dolinski: Und es sind nur vier
Tage, in denen alles passiert, in denen
sie nicht aneinander zweifeln – im Leben hat man da meist mehr Zeit. Es gibt
ja auch erstaunlich wenige gemeinsame
Szenen miteinander. Mich fasziniert,
dass Romeo am Anfang des Stücks ein
pubertär Liebender ist, der einfach nach
einem Gefühl sucht, es nachahmt und
2007/2008 Saison
Burgtheater
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dann, durch die Begegnung mit Julia,
ungeahnte Kräfte entwickelt und diese
Liebe mit jeder Konsequenz verfolgt.
Was bedeutet in so einem knappen Zeitraum Entwicklung? In diesen vier Tagen passiert ja ungeheuer viel: Liebe auf
den ersten Blick, heimliche Heirat, Eskalation des Familienstreits, Romeo erlebt, wie sein bester Freund stirbt, wird
selbst zum Mörder, muss fliehen, erfährt, dass Julia tot ist, kehrt zurück,
wird wieder zum Mörder, ist selbst todesbereit… Das reicht für viele Leben.
Sven Dolinski: Das alles passiert wie
im Rausch und dieser Eindruck von
sich überschlagenden Ereignissen wird
in der Inszenierung durch Szenenüberschneidungen noch verstärkt. Die Frage,
die aufgeworfen wird, ist auch, inwieweit wir für das, was wir machen, verantwortlich sind. Gibt es Vorherbestimmung, Schicksal? Dann wären Romeo
und all die anderen für ihre Taten nicht
Julia Hartmann: Für mich war es am
Anfang schwierig, mich auf die Naivität
dieser gerade einmal 13-Jährigen einzulassen, obwohl ich auch erst 22 bin.
Aber wir wollten Julia nicht als pubertierende, rotzige junge Frau zeigen, sondern tatsächlich als dieses Kind, dem etwas widerfährt. Zumindest im ersten
Teil liegt uns an dieser Unschuld. Später
dann wird das gebrochen.
Sven Dolinski: Mir imponiert die Energie, die die Figuren haben. Dass Romeo
sagt: Entweder ich kriege diese Frau,
oder das ist nicht mehr mein Leben.
Wobei Romeo auch, bevor er Julia
trifft, schon in einer eigenartigen Stimmung ist …
Sven Dolinski: Das ist eine Stimmung,
die aus der Entscheidung resultiert: Ich
will etwas erleben, sonst sterbe ich lieber. Das steht außerhalb von moralischen Grenzen und Begriffen.
Romeo sagt: Entweder ich kriege diese Frau,
oder das ist nicht mehr mein Leben.
verantwortlich. Oder suggeriere ich mir
nur, dass alles vorherbestimmt ist, und
deswegen passiert es auch genauso? Ich
lese es so, dass die Figuren bewusst ihre
Verantwortung auslagern auf die Sterne,
auf höhere Mächte. Sie wollen sich treiben lassen. Vielleicht hat das auch mit
dieser Zeit zu tun, in der die Geschichte
angelegt ist, die Zeit der Pest, eine Endzeitstimmung, die Hartmann in der Inszenierung ja auch sehr betont.
Was sind für Euch die neuen Eindrücke
von den Figuren, die Ihr während der
Proben dazugewonnen habt?
2007/2008 Saison
Romeo und Julia
von William Shakespeare
Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Sebastian Hartmann
Bühne: Jürgen Bäckmann
Kostüme: Moritz Müller
Licht: Friedrich Rom
Sounddesign: Florian Pilz
Fechtchoreographie: Sonia Laszlo
Mit Kirsten Dene, Julia Hartmann, Myriam
Schröder, Mareike Sedl; Patrick O. Beck, Karim
Chérif, Sven Dolinski, Gerrit Jansen, Roland
Kenda, Thomas Lawinky, Charles Maxwell,
Markus Meyer, David Oberkogler, Martin
Schwab, Johannes Terne
H Premiere am 20. September 2007
im BURGTHEATER
Sven Dolinski
Akademietheater
8
»Man wird später einmal nicht sagen können:
Wo waren die Künstler?«
Ein Interview mit Wajdi Mouawad über sein Stück »Verbrennungen«
Das Testament ihrer Mutter Nawal schickt die Zwillinge Jeanne und Simon aus dem
modernen Kanada in ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Heimatland. Um den letzten
Wunsch der Verstorbenen zu erfüllen, machen sich die beiden widerwillig auf die Suche
nach einem Heldenvater und einem unbekannten Bruder. Der universelle Kriegszustand,
kurz zuvor noch News aus den Weltnachrichten, wird zur schockierenden Realität, holt
das scheinbar normale Leben ein und bald ist nichts mehr wie zuvor…
In einem Ende August geführten E-Mail-Interview erzählt der Autor Wajdi Mouawad
von seiner Kindheit im libanesischen Bürgerkrieg, seinem Weg ins Exil und ans Theater
und von »Incendies – Verbrennungen«. Das Stück, 2003 in Montréal uraufgeführt und
auf internationalen Festivals und Gastspielen durch die Welt gereist, kommt am 28.
September in der Regie von Stefan Bachmann zur österreichischen Erstaufführung.
Sie wurden 1968 im Libanon geboren
und haben Ihr Heimatland im Alter von
acht Jahren mit Ihrer Familie verlassen,
die vor dem Bürgerkrieg zunächst nach
Paris, dann nach Kanada flüchtete.
Ist »Verbrennungen« auch eine Art Spurensuche nach Ihren ganz persönlichen
Wurzeln? Können Sie etwas über Ihren
Weg vom Libanon nach Kanada erzählen?
Während wir die Dinge erleben, haben
sie für uns nicht die gleiche Bedeutung
wie lange Zeit danach – vor allem natürlich, wenn wir noch ein Kind sind, wenn
das gänzlich Unerwartete geschieht. Was
mich betrifft, bedeutet das, dass der libanesische Bürgerkrieg in den Jahren des
Exils in meinem Leben keine Rolle gespielt
hat, jedenfalls war ich mir dessen nicht
bewusst.
Ich bin inmitten einer tiefen Stille aufgewachsen, zunächst in Paris, dann in Quebec, und ich habe tatsächlich geglaubt,
dass das, was ich erlebe, in keiner Weise
etwas mit dem Krieg zu tun hat. Ich habe
keine Verbindung hergestellt zwischen
meinem Exil und dem Krieg, auch wenn
das vielleicht merkwürdig erscheint. Ich
bin einfach meinen Eltern gefolgt. Das
war natürlich ein großer Irrtum.
Lange habe ich geglaubt, dass das, was uns
täglich zustößt, nichts mit dem zu tun hat,
was in der Welt passiert. Wenn ich nach
meinem Leben gefragt wurde, kam mir
niemals der Gedanke, über den Krieg zu
sprechen, ich war überzeugt, das sei eine
ganz und gar banale Sache, denn alle Libanesen, die ich kannte, hatten den Krieg
erlebt und vor ihm fliehen müssen. Es war
also für mich nichts Besonderes, den Krieg
erlebt zu haben und im Exil zu sein, ich
dachte überhaupt nicht darüber nach.
Erst viel später, in Quebec, mit 24, 25
Jahren, wurde ich mir dieser Vergangenheit auf einmal bewusst, sie kehrte plötzlich mit Macht zurück, während ich mit
Schrecken feststellen musste: Ich konnte
weder arabisch lesen noch sprechen, ich
wusste nicht das Geringste über den Libanon, ich hatte keine Ahnung von diesem
Krieg, und ich wusste nicht mehr, warum
ich lebte, wo ich lebte und warum ich der
war, der ich war. Zu allem Überfluss fühlte ich mich in Quebec überhaupt nicht zu
Hause; und so hatte ich aus verschiedenen
Gründen und nach einigen tragischen Ereignissen plötzlich das dringende Bedürfnis zu verstehen.
Ich begann, im Hochzeitsalbum meiner Eltern zu blättern. In den Häusern erkannte
ich Zimmer wieder, die mich an längst vergangene Ereignisse erinnerten. Ich sah Menschen, die ich vergessen hatte, einige waren
tot, einige waren in andere Länder geflohen.
Und auf einmal, innerhalb einer Minute,
habe ich den tiefen Schmerz gesehen und
nachempfunden, der unsere Familie gefangen hielt, und die schreckliche Stille verstanden, die in dieser Familie herrschte, in der
nichts ausgesprochen, nichts miteinander
geteilt wurde, in der alles nur von der Notwendigkeit bestimmt war, das Leben innerhalb der Konvention fortzuführen.
Nur wenn ich erschütterbar bin, kann meine
Seele wachsen.
Ich begann, meine Eltern zu befragen,
und merkte, in welchem Ausmaß auch
sie nichts von dem verstanden hatten,
was ihnen zugestoßen war. Zu dieser Zeit
reiste ich zum ersten Mal in den Libanon
und lernte ein Land kennen, das rein gar
nichts mit meinen Vorstellungen zu tun
hatte. Ich fühlte mich, als würde ich in
ein Leichenschauhaus zurückkehren, und
sollte den endgültigen Tod eines Landes
feststellen, das sich für mich mit der Kindheit verband. »Die Dinge sind nie genau
so, wie man sie sich vorstellt.« Das habe
ich auf dieser ersten Reise in den Libanon
gelernt. Und ich habe begriffen, dass – in
diesem Sinne – das Fiktionale mehr Wahrheit enthalten kann als die Realität. Ich
habe ­ daraufhin begonnen, diese Einsicht
in meine Stücke einfließen zu lassen.
Das Fiktionale in meiner
Realität zu verankern
ermöglicht mir, dieser
Realität eine tiefere
Dimension zu verleihen.
Deshalb schreibe ich in meinen Stücken
nie das Wort »Libanon«. In »Verbrennungen« nenne ich keines dieser Schlagwörter. »Palästinenser, Israelis, Libanesen«, ich kann es nicht, denn wenn ich
auch ursprünglich von dort stamme, so
komme ich doch nicht länger von dort. Jedoch das Fiktionale in meiner Realität zu
verankern, ermöglicht mir, dieser Realität
eine tiefere Dimension zu verleihen.
Je tiefer Jeanne und Simon in die vom
Bürgerkrieg zerstörte Vergangenheit ihrer
Mutter eindringen, desto deutlicher wird,
dass ihre Identität mit einem Grauen verknüpft ist, das ihr privates Leben übersteigt.
Wenn sie das Stadium der Unschuld hinter
sich gelassen haben, was haben die beiden
Ihrer Meinung nach gewonnen?
Jeanne ist sich in keiner Weise darüber im
Klaren, dass sie die Vergangenheit ihrer
Mutter aufdecken wird. Zu Beginn will
sie sich lediglich einer unliebsamen Aufgabe entledigen. Später, je weiter ihre Suche fortschreitet, je mehr sie weiß, desto
mehr ist sie erschüttert, und durch diese
Erschütterung wird sie dazu gedrängt,
2007/2008 Saison
Akademietheater
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mehr wissen zu wollen, immer mehr, bis
zum bitteren Ende. Das ist es, was Jeanne lernt, was sie gewinnt: den Mut, bis
zu dem Punkt zu gehen, an dem man
erschütterbar ist, und noch darüber hinaus. Vielleicht ist das das Wichtigste für
mich. Der Mut, bis dahin zu gehen, wo
ich erschütterbar bin – denn nur wenn
ich erschütterbar bin, dann kann ich den
Schmerz eines anderen fühlen, kann meine Seele wachsen.
»Verbrennungen« ist auf keinen Fall ein
Stück über die Notwendigkeit, seine Wurzeln zu kennen. So wie es falsch ist zu
glauben, es sei ein Stück über den Krieg.
Es ist vielmehr ein Stück über den Versuch, in einer unmenschlichen Situation
seine Versprechen als Mensch zu halten.
Sie sind Schauspieler, Autor, Regisseur,
und diesen September übernehmen Sie
die künstlerische Leitung des Théâtre
Français am Centre National des Arts
in Kanadas Hauptstadt Ottawa. Wofür
steht das Theater in Ihrem Leben? Für
die Verbindung zu anderen Menschen, zu
gegenwärtigen Geschichten? Dafür, etwas
auszudrücken? Widerstand zu leisten?
Als ich Kind war, im Libanon, habe ich
mir ein bisschen Taschengeld verdient, als
die Milizionäre auf ihrem Weg durch unser Dorf kamen. Man nahm ihre Waffen
– meistens Kalaschnikows –, und zerlegte
sie in ihre Teile, um sie zu reinigen. Dann
setzte man sie wieder zusammen und gab
sie den Milizionären zurück. Ich träumte
damals von dem Tag, an dem auch ich eine
Kalaschnikow besitzen und einer Miliz angehören würde. Ich träumte davon, Sylvester Stallone zu sein und alle umzubringen,
ganz allein. Ich träumte davon, alles mit
einer einzigen Kugel in die Luft zu jagen.
Ich träumte davon, Arnold Schwarzenegger zu sein und Conan der Barbar, super
muskulös und sehr sehr stark. Um es kurz
zu machen: ich verbrachte meine Kindheit
damit, davon zu träumen, ein Held zu sein,
und dabei wusste ich nur zu gut, dass ich
niemals einer werden würde. Später las ich
»Die Verwandlung« von Kafka und war
total geschockt, denn ich las die Geschichte
jenes Helden, der ich nie hatte sein wollen,
dem ich aber bis ins Detail glich.
Saison 2007/2008
Im Theater begegnet sich das, was verbrennt, und das, was wieder zusammengesetzt wird. Dadurch ist es möglich, dass
im Theater die Schauspieler zu Milizionären werden und die Worte, die Sätze,
die Entgegnungen zu Kalaschnikows.
»Verbrennungen«
ist ein Stück über den
Versuch, in einer unmenschlichen Situation
seine Versprechen als
Mensch zu halten.
Es ist mir natürlich klar, dass man Theater,
im Gegensatz zu Waffen, nicht auseinandernehmen kann, um es zu reinigen, vielmehr nimmt Theater uns auseinander, um
uns zu reinigen. Das Theater ist sicher kein
Ort für mich, um »die Welt zu verändern«,
sondern vielmehr einer, um Zeugnis abzulegen von unserer Gegenwart, einer für den
anderen. Diese Geste der Zeugenschaft ist
in meinen Augen sehr wichtig. Ich glaube
fest daran, dass wir in Momenten großer
Auflösung und Verunsicherung an dem
Versuch festhalten müssen, mit den Mitteln der Intuition die Schmerzen und das
Leid in unserem Leben zu verstehen. Man
wird später einmal nicht sagen können:
Wo waren die Künstler? Und das allein ist
schon eine Form von Widerstand.
Das E-Mail-Interview wurde vom 20. bis
28. August 2007 von Susanne Meister
geführt und aus dem Französischen übersetzt. Ungekürzt ist es im Programmheft
zur Inszenierung nachzulesen.
Verbrennungen
von Wajdi Mouawad
Aus dem Frankokanadischen von Uli Menke
Regie: Stefan Bachmann
Bühne: Hugo Gretler
Kostüme: Anabelle Witt
Mit Regina Fritsch, Sabine Haupt, Melanie
Kretschmann; Klaus Brömmelmeier, Markus
Hering, Daniel Jesch, Juergen Maurer
H Premiere am 28. September 2007
im AKADEMIETHEATER
Kasino
10
Schwarze Jungfrauen
von Feridun Zaimoglu und Günther Senkel
»Allah ist mein Herrscher, der Prophet mein Menschenkönig, im Koran find ich die
Verfassung und im Heiligen Krieg die schöne Unterweisung. Damit hab ich mich ausgewiesen für Ost und West, damit hab ich mich als das Stück Dreck erwiesen, für das die
Westler mich immer hielten. Ist Gott so fern von ihnen?«
Feridun Zaimoglu verdichtet Interviews mit jungen deutschen Musliminnen zu zehn Monologen, in denen sich Alltagserfahrungen, innere Glaubenskriege und Garderobefragen zu
einem vielfach gebrochenen Bild muslimischen Lebens in unseren Breiten fügen. Zwischen
bauchfrei und vollverschleiert, zwischen traditioneller Frauenrolle und westlichem Lebensstil, zwischen Glaubensgewissheit und Identitätssuche versagen alle gesicherten Zuordnungen, mit denen man gemeinhin zwischen »Islam« und »Daham« unterscheiden zu können
glaubt. Das ist beunruhigend, verstörend und provokant. Es ist aber auch befreiend. Das
Schweigen ist gebrochen, es kommt ein Selbstbewusstsein zum Ausdruck, das nicht frei ist
von Dummheit, Borniertheit und Stolz auf die falschen Dinge – das aber auch Reaktionen
hervorruft, die im besten Falle der Beginn eines Dialoges sein könnten.
Feridun Zaimoglus Stück erhebt nicht den Anspruch, ein repräsentatives Bild zu entwerfen.
So unterschiedlich die gläubigen Frauen sind, allen gemein ist jedoch ein selbstbewusster
und stolzer Umgang mit ihrer Religion. Im folgenden Porträt stellen wir zwei junge Frauen
aus Wien vor, die aus ihrer Lebenswirklichkeit als österreicherische Musliminnen erzählen.
»Letzte Woche in der Bim gab’s mal wieder so eine Situation. Da war eine alte
Dame, die hat mich ganz traurig angeschaut und gesagt: ›Jö schau, die Arme
muss sich schon verschleiern, das tut
mir so leid.‹ Ich bin dann hingegangen
und habe ihr gesagt: ›Sie müssen mich
nicht bemitleiden, ich mach das aus
freien Stücken.‹ Da blieb ihr dann die
Gosch’n offen, sie hat wohl gar nicht
erwartet, dass ich Deutsch spreche.«
Saime Öztürk amüsiert sich, als sie das
erzählt. Die 21-jährige Österreicherin
ist es gewohnt, dass sie Blicke auf sich
zieht. Saime ist praktizierende Muslimin und trägt ein Kopftuch. Schlechte Erfahrungen hat sie deswegen noch
keine gemacht. »Die Leute sind halt oft
neugierig, das kann ich schon verstehen.« Nadja Elgendy, 19 Jahre alt, geht
es ähnlich: »Richtig blöd angeredet hat
mich auch noch niemand.«
Die zwei jungen Frauen gehen sehr
selbstbewusst mit ihrer Religion um –
und die Entscheidung, dies auch offen
mit dem Kopftuch nach außen zu vertreten, haben beide sehr bewusst getroffen. Nadja, die einen ägyptischen
Vater und eine österreichische Mutter
hat, trägt das Kopftuch seit zwei Jahren, »gezwungen hat mich dazu niemand, auch wenn meine Eltern praktizierende Muslime sind. Meine Mutter
und meine Schwester tragen keins.« Jeder müsse selbst seinen Weg finden, wie
er die Religion leben möchte. »Ob mit
oder ohne Kopftuch – das ist g’hupft
wie g’hatscht. Musliminnen sind eben
vielfältig und verschieden«, findet sie.
Saime nickt zustimmend. Ihre Eltern
sind als junge Menschen aus der Türkei
eingewandert und ebenfalls religiös. Für
Saime selbst spielte die Religion lange
keine große Rolle, irgendwann habe sie
aber doch angefangen, sich damit zu beschäftigen, »um herauszufinden, ob das
was für mich ist.«
Die Entscheidung für das Kopftuch war
für beide jedoch eine große Sache und
in der Schule gab es damals erst einmal
Erklärungsbedarf bei den Klassenkameraden. »Wieso gerade du, du bist doch
eine von uns – das waren die ersten Reaktionen. Als sie aber gemerkt haben,
dass die Nadja mit Kopftuch und die
Nadja ohne Kopftuch ein und derselbe
Mensch ist, war es kein Thema mehr.
Und ich fühle mich einfach wohl so.«
Bei Saime war es ähnlich, als sie vor sieben Jahren entschied, sich zu verhüllen:
»Meine Freunde waren schon froh, als sie
gemerkt haben, dass ich mich deswegen
nicht anders verhalte. Das ist ja keine Behinderung, ich gehe trotzdem noch raften
oder snowboarden, zum Beispiel.«
Generell sehen die in Niederösterreich
aufgewachsenen Mädchen wenig Unterschiede zwischen ihrem Alltagsleben
und dem einer gleichaltrigen, christlich
geprägten Österreicherin. »Naja, au-
ßer vielleicht, dass wir morgens um 4
Uhr aufstehen, um zu beten«, schmunzelt Nadja. Die fünf Gebete täglich, die
zu den Grundpflichten eines gläubigen
Muslims gehören, sind ihr sehr wichtig. »Das ist auch eine Art Ruhepol.
Ich empfinde es nicht so, als müsste ich
mein Leben um den Islam herumleben,
sondern ich lebe mit dem Islam.« Auch
Saime sieht das eher unkompliziert:
»Das Mittagsgebet soll man zwischen
12 und 17 Uhr verrichten. Wenn ich da
gerade auf der Uni bin, gehe ich halt in
einen der Gebetsräume, die es dort gibt,
oder auch mal einfach auf den Rasen.
Ich hab auch schon mal auf der Skipiste gebetet, das ist gar kein Problem.«
In der Moschee sind sie in der Regel einmal in der Woche, zum Freitagsgebet.
Ausgehen ist für Nadja und Saime kein
Tabu, allerdings verzichten sie dabei auf
Alkohol: „Wir gehen viel in Cafés, ins
Kino.« Auch männliche Begleiter sind
nicht allzu ungewöhnlich, wenn ein
freundschaftliches,
geschwisterliches
Verhältnis besteht. Nur mit dem Verlieben haben es die jungen Musliminnen nicht so leicht. »Die Liebe zwischen
Mann und Frau ist im Islam durch die
Ehe geregelt, das leben wir auch so«, erklärt Nadja. »Natürlich muss man sich
zuerst kennen- und liebenlernen. Wir
versuchen, dem Ganzen einen offiziellen Rahmen zu geben, also eine Verlobung. Und wenn man sich ganz sicher
ist, heiratet man.« »Nicht jede Verlobung muss zwangsläufig zu einer Hochzeit führen«, wirft Saime ein. »Man
kann sich auch wieder trennen, wenn
man sich nicht versteht oder doch nicht
zueinander passt. Das gibt’s natürlich.«
Auch weitere Alltagsfragen sehen die
Mädchen gelassen: Nein, man schwitzt
auch im Sommer nicht sehr unter dem
Tuch, weil es da sehr leichte Materialien gibt; zum Schwimmen trägt man
spezielle Badekopftücher oder den neuen »Burkini«, man kann aber auch einfach zu den »Damenzeiten« in öffentliche Schwimmbäder gehen, und in
arabischen Ländern gibt es Strände nur
für Frauen. »Muslimische Männer dürfen übrigens auch nicht an Plätze gehen,
an denen Frauen schwimmen, und müs-
2007/2008 Saison
Kasino
11
Nadja Elgendy
Saime Öztürk
sen auch unter sich bleiben. Kleidervorschriften gelten für sie ebenfalls: Eng
anliegende Kleidung, die den männlichen Körper betont, ist nicht zulässig
– ein Muslim in Hotpants ist also nicht
erlaubt«, führt Saime aus.
Eingeschränkt oder gar unterdrückt
fühlen die beiden Frauen sich durch
die Regeln, die ihnen ihre Religion vorgibt, nicht. Das schlechte Image, das
das Kopftuch in den Medien und in den
Köpfen der Menschen hat, ist den Musliminnen bekannt, verstehen können
sie es nicht. »Da werden immer nur die
negativen Dinge wahrgenommen. Natürlich gibt es auch Mädchen, die zum
Kopftuchtragen gezwungen werden,
das will ich gar nicht leugnen. Aber das
ist eigentlich gegen den Glauben: Im Islam ist die eigene, bewusste Entscheidung extrem wichtig – es wird nur das
akzeptiert, was man aus freien Stücken
macht«, erklärt Saime. Sie und Nadja
sehen das Kopftuch nicht als Symbol
Saison 2007/2008
der Unterdrückung, sondern – im Gegenteil – als den feministischen Ansatz
schlechthin: »Ich verhindere dadurch,
dass ich mich als Sexualobjekt präsentiere, es soll nur das zählen, was ich
sage und denke«, so Nadja.
Feminismus spielt eine große Rolle in
der Organisation, in der sich Saime und
Nadja engagieren: Die »Jungen Musliminnen Österreichs«, kurz JMÖ, haben
es sich zur Aufgabe gemacht, »einen zeit-
genössischen Lebensentwurf einer jungen
Muslimin zu entwerfen, der authentisch
islamisch und zugleich modern und entwickelt ist«. Neben Freizeit- und Sportveranstaltungen organisiert die JMÖ Seminare und Workshops, die die jungen
Frauen weiterbilden und qualifizieren sollen. Denn dass sie es am Arbeitsmarkt
später einmal nicht leicht haben werden,
ist den beiden Germanistikstudentinnen
bewusst. »Viele glauben, dass kopftuchtragende Frauen nicht kompetent sind«,
meint Nadja. Sie würde später gerne einmal als Korrespondentin arbeiten, rechnet
sich aber trotz ihrer Arabischkenntnisse
keine guten Chancen aus. »Ich muss versuchen, viel besser als die anderen zu sein,
das ist der einzige Weg.« Saime studiert
Lehramt und blickt optimistischer in die
Zukunft: »Ich bin guter Hoffnung, dass
die Gesellschaft sich immer mehr öffnen
wird und Klischees nach und nach durchbrochen werden. Die österreichischen
Frauen haben ihre Rechte auch nicht von
einem auf den anderen Tag gekriegt, die
mussten auch kämpfen. Man muss akzeptieren, dass das nicht sofort geht. Aber
ich denke, wenn sich noch mehr Musliminnen so engagieren und in die Öffentlichkeit gehen wie wir, dann sind wir auf
einem guten Weg.«
Judith Liere
Schwarze Jungfrauen
Von Feridun Zaimoglu und Günther Senkel
Regie: Lars Ole Walburg
Ausstattung: Nina Wetzel
Video: Sebastien Dupouey
Musik: Tomek Kolczynski
Gitarre/Oud: Gilbert Trefzger
Mit Sachiko Hara, Dorothee Hartinger, Pauline
Knof, Adina Vetter; Michael Masula
H Premiere am 22. September 2007 im KASINO
Feridun Zaimoglu
geboren 1964 im anatolischen Bolu und aufgewachsen in Deutschland, studierte Kunst und
Humanmedizin. Unter dem Titel »Kanak Sprak« hat er 1995 seinen ersten Band mit Interviews
veröffentlicht und damit der »zweiten Generation«, den Kindern der Migranten, eine, seine
Sprache verliehen. Jetzt ist er, nach dem Gewinn des Jury-Preises beim Ingeborg-Bachmann-Preis
2003, der Veröffentlichung des Romans »Leyla«, nach vielen Wortmeldungen in aktuellen politischen Debatten und der flächendeckenden Installation türkischer Fahnen am Museumsquartier
unter dem Titel »KanakAttack. Die dritte Türkenbelagerung?«, mit der er den Wienern vor zwei
Jahren einen heiligen Schrecken einjagte, für einen Theatertext wieder zu seinem ursprünglichen
Verfahren zurückgekehrt und leiht seine Stimme gläubigen Musliminnen. Und das nicht nur im
literarischen Sinne: vor kurzem stellte Zaimoglu seinen Sitz im Islamrat des deutschen Innenministeriums einer gläubigen Muslimin zur Verfügung, da diese Bevölkerungsgruppe dort bisher
keinen Platz gefunden hatte.
Burgtheater
12
Arthur Schnitzler – Adele Sandrock
Gehasste Geliebte
Szenische Lesung mit Elisabeth Orth und Peter Simonischek
Wenn zwei Menschen
einander bis ins Tiefste
verstehen wollen, so ist
das geradeso, wie wenn
zwei einander gegenübergestellte Spiegel
sich ihre eigenen Bilder
immer wieder und von
immer weiter her wie in
verzweifelter Neugier
entgegenwerfen, bis sie
sich endlich im Grauen
einer hoffnungslosen
Ferne verlieren.
Arthur Schnitzler
Adele Sandrock schrieb an Arthur Schnitzler: »Du einzig geliebter, süßer Junge. Wenn du nur eine Minute Zeit hast,
schreibe mir, dass du mich liebst! Ich sterbe, wenn ich es nicht höre. Engel – Schatz
– Arthur – mein Alles – ich denke fort und
fort an dich – ich kann nicht von dir lassen, ich bin dir verfallen ganz und gar –
ich bin du – bin dein, ich liebe dich tief
und unergründlich, ich bin rasend, wenn
ich dich nicht sehe. Ich küsse dich jetzt –
am Abend – die Nacht hindurch, ich zerbeiße deinen göttlichen Mund, ich träume,
dass du mir gehörst – ich lebe und atme
für dich, bin selig in meinem lachenden
Glück in diesen wonnigen Tagen.«
Er, der sie in seinen Briefen zärtlich ›Dilly‹ nannte, schrieb an sie: »Ich verstehe
dich nicht, du verstehst mich nicht, wir
verstehen uns nicht – die alte Liebesconjugation sobald man auch nur den
Hauch einer – mir fällt kein Wort ein. Es
ist, scheint’s, dringend notwendig, dass
sich zwei Menschen, welche sich gegenseitig anbeten (wenigstens erzählen sie
sichs gegenseitig), alle 8 Tage mindestens
einmal bis aufs Blut sekiern. – Wozu deine infamen Bemerkungen? – Wozu meine
Rohheiten? Nachdem wir dann ja doch
wieder – – – .«
Arthur Schnitzler hat wie kein anderer
Dichter seiner Zeit die Stimmungen im
Wien des Fin de siècle festgehalten und so
eine zuverlässige und reiche Topographie
der Wiener Seelenverfassung um 1900
geschaffen. 1893 lernt er die karrierebewusste Schauspielerin Adele Sandrock
kennen, zwei Jahre lang sind die beiden
ein Liebespaar. Welche Schattierungen der
Gefühle ihre Beziehung durchlebt, zeigt
dieser Abend im Burgtheater. Auszüge aus
dem Briefwechsel und Szenen aus Schnitzlers Stücken erlauben einen vergnüglichen
Einblick in das Seelenleben der beiden exaltierten Künstler und ihre überaus komplizierte Beziehung zueinander: eine Beziehung beherrscht von Launen, geprägt
von einem beständigen Wechsel der Einstellungen, gelebt von Augenblick zu Augenblick.
Arthur Schnitzler und Adele Sandrock
Gehasste Geliebte
Leitung: Wolfgang Wiens
Ausstattung: Ilona Glöckel
Am Klavier: Anton Gisler
Mit Elisabeth Orth, Peter Simonischek
H Premiere am 21. Oktober 2007
im BURGTHEATER
2007/2008 Saison
Kasino
13
Werkstatttage 07
Acht junge Autorinnen und Autoren am Burgtheater:
Dorothee Brix, Ann-Christin Focke, Alexandra Helmig, Charlotte Roos,
Katharina Schmitt, Stephan Lack, Andreas Liebmann und Philipp Löhle
Joachim ­Meyerhoff bei den ­Werkstatttagen 06
Zum fünften Mal finden heuer die Werkstatttage am Burgtheater statt. Der Deutsche Literaturfonds und das Burgtheater haben acht junge, vielversprechende
Autorinnen und Autoren zu einem Arbeitsaufenthalt nach Wien eingeladen:
Dorothee Brix, Ann-Christin Focke, Alexandra Helmig, Charlotte Roos, Katharina Schmitt, Stephan Lack, Andreas Liebmann und Philipp Löhle. 14 Tage erhalten
sie hier die Möglichkeit, im Austausch mit
Regisseuren, Dramaturgen und Schauspielern des Ensembles an ihren Stücken
zu arbeiten. Dazu bringt jeder der Autoren zur Überprüfung der Bühnenwirksamkeit und Theatertauglichkeit ein noch
nicht abgeschlossenes Stück mit.
Diese Stücke unterscheiden sich in ihrer Form ebenso stark wie in ihren Themen. So stehen in einigen Stücken die alltäglichen Widrigkeiten im Berufs- oder
Beziehungsleben im Zentrum, in anderen politische oder gesellschaftliche Fragen. Themen wie Familienplanung und
Genmanipulation spielen eine Rolle, aber
auch »sich selbst entheddernde Kopfhörer« und Weltmusik. Es geht um Eifersucht, politische Karrieren, Klimawandel
oder Hautausschlag. Zu den Schauplätzen, an denen die Autoren ihre Figuren
Saison 2007/2008
auftreten lassen, gehören die Pariser Vorstädte, gepflegte Eigentumswohnungen,
sterile Krankenhäuser und der Kraterrand
des Aetna.
Im Zentrum der Werkstatttage, die heuer erstmals von den Dramaturginnen Britta Kampert und Susanne Meister geleitet
werden, steht die Arbeit an diesen noch im
Entstehen begriffenen Stücken. In Zusammenarbeit mit Schauspielern des Ensembles und den Regisseurinnen Eva-Maria
Baumeister und Barbara Nowotny sowie
den Regisseuren Sebastian Hirn und Michael Talke werden diese noch unfertigen
Stücke »auf die Probe gestellt« und weiterentwickelt. Dabei stehen den Dramatikern der Autor Martin Heckmanns, die
Theaterwissenschaftlerin und Publizistin
Kristin Becker und der Schweizer Journalist Tobi Müller zur Seite.
Um die Autoren während der Werkstatttage darin zu unterstützen, ihren Stil und
ihren eigenen künstlerischen Weg zu finden und den Blick auf die eigene Arbeit zu
schärfen, ist das gemeinsame Reden über
die Texte genauso wichtig wie das Ausprobieren und Erproben: Auf den Probebühnen des Burgtheaters haben die Autoren die Möglichkeit, ihre Texte mit Hilfe
der Regisseure und der Schauspieler lebendig werden zu lassen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler des BurgtheaterDIE AUTORinnen und AUTOREN
DER WERKSTATTTAGE 2003–2006
In den letzen Jahren bei den Werkstatttagen am Burgtheater zu Gast waren
Catherine Aigner, Jörg Albrecht, Andri
Beyeler, Toni Bernhart, John Birke, Evamaria Bohle, Nuran Calis, Nina Ender,
Reto Finger, Simon Froehling, Christoph Graebel, Meike Hauck, Nino Haratischwili, Anja Hilling, Johanna Kaptein, Lothar Kittstein, Jannis Klasing,
Christopher Kloeble, Kai Lenke, Claudius Lünstedt, Gerhard Meister, Susanne Mewe, Kristina Nenninger, Jan Neumann, Ewald Palmetshofer, Christina
Schlemmer, Katharina Schmidt, Volker Schmidt, Johannes Schrettle, Gerhild Steinbuch, Darja Stocker, Tine Rahel
Völcker, Sabine Wang, Laura de Weck.
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Ensembles stellen sich dazu ganz in den
Dienst der Sache und freuen sich darauf,
mit den Autoren in unmittelbaren Kontakt zu kommen. Sie sind inspirierende,
aber auch kritische Partner, die sehr genau nachfragen, was ein Autor mit seinen erdachten Figuren und seinem Stück
eigentlich will. Die Autoren müssen hier
Rede und Antwort stehen, können im Gegenzug aber in ihrer Arbeit auch auf die
Fragen, Anregungen und Wünsche aus
der Theaterpraxis spontan reagieren. So
verändert sich der Text der Szenen und
Stücke in der konkreten Arbeit.
Das vorläufige Arbeitsergebnis wird dann
in der WerkstattNacht präsentiert – die
beste Gelegenheit für das Publikum, die
jungen Autorinnen und Autoren von morgen mit ihren neuen Stücken schon heute
kennen zu lernen.
WerkstattNacht am 14. Oktober 2007
im KASINO
Vestibül
14
Das Leben ist eine
entsetzliche Wirklichkeit
Briefe von Vincent van Gogh gelesen von Ignaz Kirchner
Tragikomiker
Ignaz Kirchner / Martin Schwab
Klaus Dermutz zeichnet im neuen Band
der edition burgtheater einfühlsame Portraits der beiden Künstler Ignaz Kirchner
und Martin Schwab. Beide sind hervorragende Interpreten klassischer ebenso wie zeitgenössischer Dramatiker und
gleichzeitig begnadete Komiker: Kirchner
beispielsweise als Clov in George Taboris
Inszenierung von Becketts »Fin de partie«, Martin Schwab etwa als Schuster
Pfrim in Martin Kušejs Inszenierung von
Nestroys »Höllenangst«.
Begrüßung: Klaus Bachler, Martina
Schmidt (Verlagsleiterin Deuticke)
Einführung: Klaus Dermutz
Mit: Ignaz Kirchner und Martin Schwab,
Dorothee Hartinger und Philipp Hauß,
Peter Huemer und Gert Jonke.
Anschließend lädt das Austria Trend
Parkhotel Schönbrunn zu einem Umtrunk.
Kostenlose Zählkarten sind an der
Kassa des Burgtheaters erhältlich.
Klaus Dermutz (Hrsg.): Tragikomiker.
Ignaz Kirchner / Martin Schwab.
Deuticke Verlag, 256 Seiten, Euro 25,60.
Am 28. September 2007 um 16.30 Uhr im
Pausenfoyer des BURGTHEATERS
Die Briefwechsel Vincent van Goghs zählen zu den großen Korrespondenzen der
europäischen Kultur- und Geistesgeschichte. Intensiven Briefkontakt hatte er vor allem mit seinem Bruder Theo,
einem Kunsthändler. Ständig von Geldsorgen geplagt, ohne öffentliche Anerkennung und im Kampf gegen die immer
wieder ausbrechende Geisteskrankheit,
beweist van Gogh eine erstaunliche Hellsicht und Sprachgewalt. Über 18 Jahre
hinweg schrieb sich das Brüderpaar regelmäßig – manchmal gleich mehrere Briefe
an einem Tag.
Als Vincent van Gogh im Sommer 1880
endgültig beschloss, Künstler zu werden,
berichtete er seinem Bruder oft seitenlang über Fortschritte und Rückschläge
und vor allem über die Ideen und Theorien, die hinter seiner Kunst stecken. Er
beschrieb seine Motive, die Techniken,
die er ausprobierte, und bat Theo, ihm
neue Tubenfarben, Leinwände und Geld
zu schicken. So legen die Briefe nicht nur
Zeugnis von Vincent van Goghs Leben
ab, vom Schicksal eines Genies, das von
Erfolglosigkeit, Selbstzweifel und Geisteskrankheit geprägt war, sondern doku-
mentieren auch seine eigenwillige künstlerische Entwicklung.
Van Goghs 37 Lebensjahre sind geprägt
durch ein stetes Suchen. Jung verlässt er
das protestantische Elternhaus und arbeitet in Kunsthandlungen in Den Haag,
London und Paris. In Amsterdam verwirft
er schnell das Studium der Theologie, um
sich als Laienprediger ausbilden zu lassen. Während seiner Predigerzeit 1878 1880 beginnt er zu zeichnen. Nach einem
kurzen Besuch der Brüsseler Akademie
kehrt er der universitären Ausbildung
endgültig den Rücken. Im Museum studiert er Rembrandt, Millet und Delacroix.
Eine entscheidende Veränderung für van
Goghs bis dahin ­ dunkelgetönte Malerei
bringt ein Aufenthalt in Paris 1886–1888,
wo er den Impressionisten begegnet. 1888
reist er nach Arles. Im hellen Licht des
Midi entstehen seine heute bekanntesten
Bilder. Nach einem Nervenzusammenbruch sucht van Gogh 1889 die Heilanstalt von Saint-Rémy-de-Provence auf. Im
Juni 1890 wählt er den Freitod.
Ab 19. September 2007 im VESTIBÜL
2007/2008 Saison
Vestibül
15
Alle Toten fliegen hoch
Teil 1: Amerika
von und mit Joachim Meyerhoff
Joachim Meyerhoff, von der Zeitschrift
»Theater heute« zum Schauspieler des
Jahres gekürt und seit mehreren Jahren auch als Regisseur erfolgreich, unternimmt mit »Alle Toten fliegen hoch« eine
Reise durch die eigene Geschichte. An
mehreren Abenden in dieser Spielzeit erzählt er vom Aufwachsen als Sohn eines
Psychiatriedirektors, von der Blutsbrüderschaft mit Haustieren, von den ersten
Schritten als Schauspieler und immer wieder vom unvermeidlichen und schmerzhaften Abschiednehmen.
Im Oktober geht es um sein High-SchoolJahr in den USA (heute erzählt er oft, es
sei ein Basketball-Stipendium gewesen),
das er in Laramie, im Bundesstaat Wyoming, verbracht hat.
Laramie, wo abends die Wölfe heulen.
Fünfhunderttausend Menschen leben auf
einer Fläche, die so groß wie Deutschland
ist. Und meine Familie lebte nicht mal in
der Stadt selbst. Ich war außerhalb von
außerhalb.
Ausstattung: Sabine Volz
H Premiere am 12. Oktober 2007 im VESTIBÜL
Franz Kafka: Der Prozess
Mit Philipp Hochmair
»Ich wollte immer mit zwanzig Händen in
die Welt hineinfahren.«
Franz Kafkas Jahrhundertroman »Der Prozess« erzählt die Geschichte einer Verweigerung. Joseph K. wird am Morgen seines
dreißigsten Geburtstags von einem imaginären Gericht angeklagt, ohne jemals zu
erfahren, was ihm zur Last gelegt wird. Er
verliert sich in Affären und Ablenkungen,
anstatt der Aufforderung nachzugehen,
»mehr an sich« zu denken und sich auf das
Wesentliche zu konzentrieren.
Und was »das Wesentliche« eigentlich ist,
fragen sich auch heute – rund 90 Jahre
nach Erscheinen des Romans – wohl alle
Menschen, nicht nur, wenn sie in ihr dreißigstes Lebensjahr eintreten.
»Der Prozess« mit Philipp Hochmair ist
ein vielstimmiger Monolog, in dem Joseph
K. als Zeitgenosse erkennbar wird. Ein
Mensch, der sich in Selbstinszenierungen
und Phantasiebildern verliert, anstatt Verantwortung zu übernehmen – womöglich
liegt darin ja die unergründliche Schuld,
nach der Joseph K. vergeblich sucht.
»Philipp Hochmair hat aus dem ›Prozess‹
ein funkelndes Schauerstück gemacht.«
KulturSPIEGEL
Regie: Andrea Gerk
Kompositionen: Michael Maierhof
Ab 6. Oktober 2007 im VESTIBÜL
Philipp Hochmair
Saison 2007/2008
Shakespeare
16
Shakespeare – und kein Ende!
Nach »Viel Lärm um nichts«, »Ein Sommernachtstraum«, »Julius Caesar«, »Maß für
Maß« und »Sturm« wird in dieser Spielzeit der Shakespeare-Zyklus mit »Romeo und
Julia«, »Die Rosenkriege« und »Heinrich IV.«. fortgesetzt. Auch die erfolgreiche Reihe
»Shakespeare – eine Republik von Fehlern« ergänzt die Inszenierungen wieder mit den
unterschiedlichsten Vorträgen, Diskussionen und Sonderprogrammen.
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Herfried Münkler:
Wie Republiken zerfallen: Rom – Shakespeare – heute
Der Berliner Politikwissenschaftler
Herfried Münkler, von DER ZEIT als
»wandelnder Ein-Mann-Think-Tank«
bezeichnet, wird in seinem Vortrag
ausgehend von Shakespeares »Julius
Caesar« über den Zerfall von Republiken und die Entstehung von Imperien
sprechen. Mit seinem 2005 veröffentlichten Buch »Imperien – die Logik der Weltherrschaft vom alten
Rom bis zu den Vereinigten Staaten« ging er der Frage nach, welche
Risiken aber auch Chancen mit der Entstehung von Imperien
verbunden sind: »Die Europäer sind stolz und froh, ihre Imperien
hinter sich gelassen zu haben, aber sie haben dabei leider auch die
Fähigkeit eingebüßt, die Ordnungsleistungen und Funktionsweise
von Imperien zu verstehen.«
Am 9. November 2007 im KASINO
Elisabeth Bronfen
Shakespeares nächtliche Welt: »Romeo und Julia« und
»Ein Sommernachtstraum«
Charlotte Schwab und Sven-Eric Bechtolf
Venus und Adonis
Venus, die Göttin der Liebe, verliebt sich in den schönen
Jüngling Adonis. Um ihn zu gewinnen, bietet sie all ihre
Verführungskünste auf. Während in Ovids »Metamorphosen« Adonis das Liebeswerben der Göttin erhört, schildert
Shakespeare den Jüngling als höchst unwilligen Liebhaber,
der sich von einigen göttlichen Küssen nicht dazu bewegen
lässt, die für den nächsten Tag geplante Eberjagd abzusagen. Charlotte Schwab und Sven-Eric Bechtolf präsentieren
diesen Klassiker der Liebesdichtung voll Sinnlichkeit und
spielerischem Witz.
Am 25. September 2007 im AKADEMIETHEATER
Der Shakespeare-Zyklus
wird unterstützt von
Gerne spricht die Forschung von
einer grünen Welt in den Dramen
­Shakespeares, in der starre Ordnungen
aufgebrochen und Lösungen für
psychische wie politische Konflikte
gefunden werden können. Nun bietet
es sich aber ebenfalls an, von einer
nächtlichen Welt zu sprechen, die als Heterotopie zur Tagwelt
fungiert, mit deren strengen symbolischen Gesetzen sowie deren
Vernunftsedikt. Eine vergleichende Lektüre von »Romeo und Julia« und dem »Sommernachtstraum«, beide Stücke fast zeitgleich
von Shakespeare verfasst, soll dazu dienen aufzuzeigen, warum
ein Gang in die Nacht – als Bühne und geistige Verfassung –
notwendig ist. Zugleich gilt es zu fragen: Welches Wissen kann
aus der Nacht in den Tag zurück getragen werden? Was muss
mit dem Aufwachen vergessen oder verdrängt werden? Wem
gelingt der Gang in die Morgenröte? Wer bleibt in der Nacht?
Schließlich soll auch das Verhältnis von Theater als Gegenort zur
Alltagswelt erörtert werden, um danach zu fragen, was es heißt,
aus einer Theateraufführung »aufzuwachen«.
Am 5. November 2007 im KASINO
2007/2008 Saison
Zum Gedenken
18
Abschied von George Tabori
Budapest, 24. Mai 1914 – Berlin, 23. Juli 2007
Ideen, Sätze, Gedichte, Szenen, Prosa, Briefe,
Reden, Gedanken, Glossen, Einwürfe, Entwürfe,
Träume und ein Wort
George Tabori und Ignaz Kirchner in »Mein Kampf«
Julia Stemberger, Gert Voss und
Rudolf Melichar in »Othello«
Ursula Höpfner in »Purgatorium«
»Ich denke an mich wie an jemanden, den ich kannte, der das und das machte. Ich habe
so viel erlebt. Von Ungarn bin ich nach England gegangen, dann war ich Journalist in
Sofia, in Istanbul war ich ein Jahr, in Jerusalem, Kairo, wieder in England, dann bin ich
nach Hollywood gegangen, in New York war ich zwanzig Jahre. Manche Sachen sind
mir sehr nah. Das bin ich. Andere Sachen sind George Tabori.«
Jetzt ist George Tabori, der »dienstälteste Theatermacher der Welt« –
wie er sich selber bezeichnete, gestorben. Die 93 Jahre seines Lebens verbrachte er in
17 verschiedenen Ländern, arbeitete als Schuhputzer, Nachrichtenoffizier, Regisseur
und Autor und schrieb seine Stücke und Prosatexte in drei Sprachen.
»Meine Heimat ist ein Bett und eine Bühne«, sagte er einmal.
In seinen Stücken setzte Tabori dem Furchtbaren eine absurde Komik entgegen.
Sein Vater und der Großteil seiner Familie kamen in Auschwitz um, das er als »größten Witz
der Weltgeschichte« bezeichnete: »Unmöglich ist es, die Vergangenheit zu bewältigen, ohne
dass man sie mit Haut, Nase, Zunge, Hintern, Füßen und Bauch wiederbelebt hat.«
Berlin und Wien – das waren die entscheidenden Stationen für Taboris Arbeit als Autor
und Regisseur. Am Burgtheater brachte er in den Jahren von 1987 bis 1999 insgesamt zehn
seiner Stücke zur Uraufführung – darunter »Mein Kampf« und »Goldberg Variationen«.
Unvergessen sind auch seine Inszenierungen von »Fin de Partie« und »Othello«.
Am 23. Juli ist George Tabori in Berlin gestorben, und das Berliner Ensemble, an dem er die
letzten Jahre gearbeitet hat, gedachte seiner mit einem poetischen Abend, an dem, statt Trauerrednern, nur der Künstler Tabori zu Wort kam.
Das Burgtheater widmet seinem Ehrenmitglied George Tabori eine Matinee, bei der Freunde
und Weggefährten, Schauspieler und Regisseure aus Wien und Berlin von dem großen Theatermacher Abschied nehmen.
Matinee am 14. Oktober um 11 Uhr im BURGTHEATER
2007/2008 Saison
Wiederaufnahmen
19
König Ottokars
Glück und Ende
Trauerspiel in fünf Aufzügen von Franz Grillparzer
Koproduktion mit den Salzburger Festspielen
»Das Wunder des Abends ist Tobias Moretti. Er entlockt ­seiner
Stimme ungehörte Tiefen und Höhen und seinem Körper geschmeidigste Bewegungen. Und unter den anderen Darstellern
ist keiner, der nicht staunen macht. Michael Maertens konturiert
den Rudolf als Macht heischenden, egoistischen Strategen noch
stärker als in Salzburg. Die schauspielerischen Leistungen sind in
eine grandiose Inszenierung gebettet.« Salzburger Nachrichten
»Was ich gesammelt, ist im Wind
zerstoben, und einsam steh ich da, und
niemand tröstet mich und hört mich!«
Leitung: Martin Kušej, Martin Zehetgruber, Heide Kastler, Bert Wrede,
Reinhard Traub
Mit: Bibiana Beglau, Sabine Haupt, Elisabeth Orth; Patrick O. Beck, Daniel
Jesch, Ronald K. Hein, Johannes Krisch, Michael Maertens, Rudolf Melichar,
Karl Merkatz, Tobias Moretti, Nicholas Ofczarek, Robert Reinagl, Johannes
Terne, Paul Wolff-Plottegg u.a.
Nicholas Ofczarek, Tobias Moretti, Bibiana Beglau
Ab 5. Oktober 2007 wieder im Burgtheater
Torquato Tasso
von Johann Wolfgang Goethe
»Stephan Kimmig macht aus Goethes ›Torquato Tasso‹ ein
Kammerspiel feiner, erst nach und nach fühl- und sichtbarer
Beziehungen zwischen den fünf Figuren, die von einem exzellent kooperierenden Ensemble getragen werden. Die Geschichte spielt nirgendwo und überall, gestern und heute. Sie handelt
von den Freuden und Leiden des Künstlers an der Normalwelt
und umgekehrt. Zwei Sphären, die nur unscharf voneinander zu
trennen und jedenfalls aufeinander angewiesen sind.« NZZ
»Es liegt um uns herum gar mancher
Abgrund, den das Schicksal grub; doch
hier in unserm Herzen ist der tiefste und
reizend ist es, sich hinabzustürzen.«
Leitung: Stephan Kimmig, Katja Hass, Barbara Drosihn,
Michael Verhovec, Friedrich Rom
Mit: Caroline Peters, Myriam Schröder;
Philipp Hochmair, Joachim Meyerhoff, Michael Wittenborn
Seit September 2007 wieder im Burgtheater
Michael Wittenborn, Joachim Meyerhoff, Philipp Hochmair
Saison 2007/2008
Rund um die Uhr
22
Von 6 bis 10 Uhr: Das Burgtheater erwacht
Das Burgtheater, eines der größten Sprechtheater Europas, ist ein gewaltiger Betrieb, eine große Maschinerie, in der mehr als 600
Menschen sieben Tage pro Woche arbeiten, fast rund um die Uhr. In der neuen Vorspiel-Reihe werfen wir einen Blick in das Innere
des Hauses und hinter die Kulissen und berichten in insgesamt fünf Folgen, was dort zwischen 6 und 24 Uhr passiert.
An diesem Morgen um sechs Uhr hat Josef
Wernhardt schon 18 Stunden gearbeitet. Der Feuerwehrmann hat die längste
Schicht im Burgtheater: 24 Stunden ist er
im Einsatz für die Sicherheit des Hauses,
über Nacht hält die Feuerwehr alleine die
Stellung. Doch bereits um sechs Uhr bekommt sie wieder Gesellschaft – Portier
Reinhard Ganglbauer zieht mit Schwung
die schwere Holztür des Bühneneingangs
auf, wünscht fröhlich einen guten Morgen
und nimmt pünktlich seinen Platz hinter
dem Empfangstresen ein. Zur selben Zeit
sind auch die Hausarbeiter schon unterwegs: Vorbei an den Schauspielerporträts
in der Gemäldegalerie tragen sie einen
großen Tisch ins Pausenfoyer, auf dem für
einen Sponsorenempfang am Nachmittag
ein Buffet angerichtet werden soll. Später
würden sie dafür kaum noch Zeit finden,
die Liste der Aufgaben, die Franz Gruber, Turkut Sertas und Dejan Djordjevic
bis zum Ende ihrer Schicht um 14.30 Uhr
erledigen müssen, ist lang. Gleich im Anschluss holen sie eine Alu-Leiter und tauschen das rote Ankündigungsschild für
die aktuelle Vorstellung vor dem Haus
aus: »Maß für Maß« macht Platz für
»König Lear«.
Von der Rasenfläche am Ring geht es direkt weiter in den Zuschauerraum. Hier
müssen die ersten beiden Sitzreihen ausgebaut werden, weil das Bühnenbild von
»König Lear« ins Parkett hineinragt. Immer drei Sessel auf einmal schrauben die
Männer mit einem Spezialschlüssel ab
und transportieren sie auf Rollbrettern
an die Seite der Feststiege Landtmannseite, wo sie bis zum nächsten Umbau gestapelt werden.
Gleichzeitig herrscht auf der Bühne bereits
Hochbetrieb: Schlosser, Requisiteure, Tapezierer, Beleuchter und Bühnenarbeiter
sind am Umbau des Bühnenbilds beteiligt.
Die insgesamt 31 Mann werden die näch-
sten vier Stunden damit beschäftigt sein,
die Kulissen von »Maß für Maß« ab- und
die für »König Lear« aufzubauen, bevor
sie in ihre Werkstätten zurückgehen. Damit bei so viel Geschäftigkeit auf der Bühne nichts schiefgeht, koordiniert Gruppenmeister Manfred Kolb die einzelnen
Arbeitsabläufe.
Über den Köpfen der Bühnenmannschaft
ist das Schnürboden-Team aktiv: Der Arbeitsplatz der sechs Techniker liegt 12 Meter über dem Bühnenboden. Von hier aus
steuern sie über ein Hightech-Pult die insgesamt 117 Züge, an denen die Kulissen,
Scheinwerfer und weitere Bühnenbildelemente bis zu 28 Meter nach oben gezogen
werden können. Ein Knopfdruck genügt,
und bis zu 1000 Kilo Gewicht schweben
lautlos gen Bühnenhimmel.
Im Zuschauerraum ertönt plötzlich laut
scheppernd Musik und beschallt die Ränge: Reinigungskraft Maria Urban hat wie
jeden Morgen ihr tragbares Radioge-
2007/2008 Saison
Rund um die Uhr
23
rät angeschaltet. Mit Staubsauger, Lappen und Bürste bewaffnet putzt sie beschwingt Polster und Teppiche. „Wenn’s
die Techniker beim Arbeiten stört, dreh
ich das Radio auch wieder ab“, sagt Frau
Urban, während sie einen Sessel in der
linken Festloge zurechtrückt. Gemeinsam
mit einer Kollegin reinigt sie den gesamten Zuschauerraum, vom Parkett bis zur
Galerie inklusive aller 58 Logen.
In der Loge gleich nebenan sitzt Mario
Helmreich hinter dem Beleuchterpult.
Von hier aus hat er den besten Blick auf
die Bühne. Momentan wird dort nur das
Arbeitslicht gebraucht, und er hat noch
ein wenig Zeit für ein Häferl Kaffee, bevor er die Scheinwerfer für die Vorstellung am Abend einrichten muss.
Während auf der Bühne bereits der erste Turm des »König Lear«-Bühnenbilds
steht, hat auch drei Etagen tiefer der Arbeitsalltag schon begonnen. Im zweiten
Kellergeschoß ist die E-Zentrale seit 7 Uhr
besetzt. Vor anderthalb Stunden hat Ronald Ebner seinen Arbeitstag mit einem
Knopfdruck begonnen – erst danach
fließt im ganzen Haus wieder der Strom.
Gemeinsam mit Philipp Vidlak und Pa-
Saison 2007/2008
trick Tichy kümmert er sich um die Instandhaltung der Elektrik und unter anderem auch um die über 6000 Glühbirnen
im Zuschauerhaus. Allein der große Deckenluster ist mit 600 bestückt, und wie
so oft muss auch heute wieder eine durchgebrannte Birne in schwindelnder Höhe
ausgetauscht werden, damit der Zuschauerraum vor und nach der Vorstellung in
voller Pracht erstrahlt. Selbst bei einem totalen Stromausfall muss hier niemand im
Dunkeln tappen: Drei Kellerräume voller Batterien können im Falle eines Falles
das ganze Haus für 12 Stunden mit Strom
versorgen – kein Grund also, eine Vorstellung abbrechen zu müssen.
Ein paar Flure weiter befindet sich das
Reich von Erwin Schretzmeister – die Klimazentrale. Den Eisernen Vorhang, der
die Bühne feuersicher vom Zuschauerhaus trennt, hat er wie immer um 6.30
Uhr hochgefahren, auch die Lüftung hat
er bereits aufgedreht. Er und seine sieben Kollegen sind für alles zuständig, was
mit Wärme und Wasser zu tun hat. Das
ist nicht nur für den Betrieb hinter der
Bühne wichtig, sondern spielt auch in vielen Vorstellungen eine wichtige Rolle. Bei
»Viel Lärm um nichts« muss beispielsweise der Pool im Bühnenbild für jede Vorstellung mit frischem, 38 Grad warmem
Wasser gefüllt werden, damit die Schauspieler sich darin nicht erkälten. Für diese Vorstellung muss außerdem auch der
Schlauch für den imposanten Regenvorhang an den 2000 Liter-Tank angeschlossen werden – vom zweiten Kellergeschoß
bis zum Schnürboden wird das Wasser gepumpt.
Der Rundgang durchs Burgtheater endet
wieder beim Portier, der gerade die Fragen
einer Schülergruppe auf Stadtrallye beantworten muss: »Nach wessen Plänen wurde das Burgtheater gebaut?« Kein Problem für Reinhard Ganglbauer: »Nach
denen von Gottfried Semper und Karl von
Hasenauer natürlich!« Noch während die
Schüler die Antwort in ihren Fragebogen
eintragen, nimmt Herr Ganglbauer ein
Telefonat entgegen, bestellt ein Taxi und
lässt einen Boten herein, der ein großes
Paket anliefert. Mittlerweile sind auch in
allen anderen Abteilungen die Mitarbeiter
bereits an der Arbeit. Es ist zehn Uhr.
Britta Kampert und Judith Liere
Porträt
21
Nachgefragt:
Pauline Knof, Schauspielerin
Was wäre für Sie das größte Unglück?
Wo möchten Sie leben?
Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück?
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?
Ihre liebste Romanheldin?
Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte?
Ihre Lieblingsheldinnen in der Wirklichkeit?
Ihre Lieblingsheldinnen in der Dichtung?
Ihre Lieblingsmaler?
Ihr Lieblingskomponist?
Welche Eigenschaften schätzen Sie
bei einem Mann am meisten?
Welche Eigenschaften schätzen Sie
bei einer Frau am meisten?
Ihre Lieblingstugend?
Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Wer oder was hätten Sie sein mögen?
Tod eines geliebten Menschen; mein Leben zu verpassen
Am Meer
Eine eigene Familie zu haben und zu arbeiten
Die eingestandenen
Die Rote Zora, Ronja Räubertochter
Momentan Wallenstein
Alle starken Frauen
Die antiken
Turner, Brueghel, Goya, Marc
Bach, Mozart, Tschaikowskij
Humor, Haltung, gutes Benehmen, Kraft, Zuverlässigkeit
Humor, Gelassenheit, Selbstbewusstsein, Sensibilität
Demut, Pünktlichkeit, Großzügigkeit
Reisen, Arbeiten, Kochen, Müßiggehen
Primaballerina, Primadonna, Juwelendiebin in Nizza,
James Bond
Ihr Hauptcharakterzug?
laut Nachfrage: Heiterkeit, Entschlossenheit, Schnelligkeit
Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten? Loyalität, Kritik
Ihr größter Fehler?
Ungeduld, Unzufriedenheit
Ihr Traum vom Glück?
Seelenfrieden
Was möchten Sie sein?
Eine verdammt gute Schauspielerin; Mutter, Geliebte,
Freundin
Ihre Lieblingsfarbe?
Alle Farben des Meeres
Ihre Lieblingsblume?
Weiße Rosen, Flieder, Tulpen, Heidekraut
Ihr Lieblingsvogel?
Lachmöwe
Ihr Lieblingslyriker?
Mascha Kaléko, Heinrich Heine
Ihr Lieblingsdramatiker?
Tschechow, Schiller
Ihr Lieblingsstück?
Minna von Barnhelm
Ihre Helden in der Wirklichkeit?
Die stillen Helden, mit wenig Geld und Anerkennung
Ihre Heldinnen in der Geschichte?
Die Mitglieder der Frauenbewegungen
Ihre Lieblingsnamen?
Greta, Stella, Milan
Was verabscheuen Sie am meisten?
Rücksichtslosigkeit, Arroganz
Welche geschichtlichen Gestalten
Die altbekannten
verachten Sie am meisten?
Welche militärischen Leistungen
Jeden Sieg über meinen inneren Schweinehund
bewundern Sie am meisten?
Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?
Mich interessieren mehr die übernatürlichen…
Wie möchten Sie sterben?
Plötzlich, versöhnt, mit einem Lachen
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Stürmisch mit kleinen Inseln des Glücks
Ihr Motto?
Geht auch vorbei…!
Saison 2007/2008
Pauline Knof wurde 1980 in
Berlin geboren, wo sie am Alexanderplatz aufwuchs. Bereits
mit fünf Jahren bekam die
Tochter einer Schauspielerfamilie
Klavierunterricht und mit 14 ließ
sie sich in Ballett und Gesang
ausbilden. Pauline Knof absolvierte die Hochschule für Musik
und Theater in Rostock. Seit
2004 ist sie Ensemblemitglied
des Burgtheaters und debütierte
in Franz Wittenbrinks »Mozart
Werke Ges.m.b.H.«. Mit Andrea
Breth arbeitete sie in Tschechows
»Der Kirschgarten« und Lessings
»Minna von Barnhelm oder Das
Soldatenglück«. Sie spielt die
Hermia in »Ein Sommernachtstraum« unter der Regie von Theu
Boermans. Zu Weihnachten
2006 begeisterte Pauline Knof
mit einer Lesung der »Weihnachtsgans Auguste« im Vestibül.
Als nächstes ist die mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin unter
der Regie von Lars Ole Walburg
in Feridun Zaimoglus und Günther Senkels Stück »Schwarze
Jungfrauen« im Kasino am
Schwarzenbergplatz zu sehen.
Magazin
25
Das Alphabet der Zeit
Buchpräsentation mit Gerhard Roth, Libgart Schwarz und Ignaz Kirchner
Gerhard Roths neuer Roman ist eine Auseinander-­
setzung mit der eigenen Geschichte und den Formen
des Erinnerns. Die erste Erinnerung ist ein flackernder
Schwarzweißfilm: Winter 1945, ein Fliegerangriff auf
einen Zug, den das Kind überlebt. Zwanzig Jahre spä-­
ter ist aus dem Kind ein junger Medizinstudent ge-­
worden, der in der Anatomie der Grazer Universität
Leichen seziert und heimlich ersten Schreibversuchen
nachhängt. Dazwischen entfaltet sich ein Leben in un-­
vergesslichen Geschichten und exemplarischen Sze-­
nen: meisterhaft und aus dem überwältigenden Reich-­
tum der Erinnerung erzählt Gerhard Roth von den
Bedrängnissen durch Elternhaus, Schule und Religion,
aber auch von der Flucht in die Wunderwelten des Ki-­
nos und der Literatur und vom Glück, Menschen zu
begegnen, die das eigene Leben für immer verändern.
Am 21. September 2007 im AKADEMIETHEATER
»Schlecht ist
der Knecht,
der blecht.«
Shakespeare,
König Heinrich V.
Eine Veranstaltung in Kooperation
mit dem S. Fischer Verlag
ABO<27 - für alle Menschen bis
zum vollendeten 27. Lebensjahr:
3 Vorstellungen in Burg- und
Akademietheater mit bis zu 60%
Ermäßigung. Buchbar bis zum
15. November 2007.
Mehr Informationen unter
www.burgtheater.at
oder Tel. 01/51444-4178
»Die Erinnerung ist
eine Fata Morgana in der
Wüste des Vergessens.«
Gerhard Roth
wurde 1942 in Graz geboren, lebt als freier Schriftsteller in Wien und der Südsteiermark. Er veröffentlichte
zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke, darunter den 1991 abgeschlossenen siebenbändigen Zyklus »Die Archive des Schweigens«. Seitdem erschienen die Romane »Der See«, »Der Plan«,
»Der Berg«, »Der Strom« und »Das Labyrinth« des ebenfalls siebenteiligen Zyklus »Orkus«. Für sein
Werk wurde Gerhard Roth mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet.
Saison 2007/2008
BURGTHEATER. www.burgtheater.at
Magazin
27
Die Gewinner
des ­Burgtheater-­
Fahrrads für neue
Festabonnenten
»Lieber drei Stunden zu früh, als eine
Minute zu spät«, heißt es bei Shakespeare
in »Die lustigen Weiber von Windsor«.
Die Gewinner des Burgtheater-Fahrrads haben sich früh genug für ein Festabonnement
entschieden und wurden im Rahmen der
Verlosung unter den 50 ersten Anmeldungen von den Burgschauspielern Regina
Fritsch und Nicholas Ofczarek gezogen.
Wir gratulieren herzlich:
Frau Rosa Augustin, Frau Dr. Michaela
Hufnagl, Frau Mag. Hildegard ­Zahorsky,
Herrn DDr. Oliver Sas und Herrn Ing.
Heinrich Scheffer.
»Fahr wohl und komm in beßrer Stimmung!« ist das Shakespeare-Zitat am
KTM-Burgtheater-Fahrrad. In diesem
Sinne wünschen wir gute Fahrt und schöne
Theaterabende!
DDr. Oliver Sas, Klaus Bachler, Rosa Augustin und Mag. Hildegard Zahorsky (v.l.)
nach dem Sektempfang im Restaurant Vestibül.
Auch in der Spielzeit 2007/2008 »Kostenlos ins Burgtheater«!
Von Jänner bis Juni 2007 besuchten 1.345 Schüler,
Studenten und Lehrlinge aus ganz Österreich (von Mat-­
tersburg bis Bludenz) die zehn im Rahmen der Aktion
»Kostenlos ins Burgtheater« angebotenen Vorstellungen
– und insgesamt 8.115 wären gerne gekommen.
Der überwältigende Andrang und das äußerst positive
Echo überzeugten unsere Sponsoren – Frank Stronach
und Magna finanzieren die Theaterkarten in den besten
Saison 2007/2008
Kategorien, ÖBB-Personenverkehr stellt kostenlose
Bahntickets für An- und Rückreise zur Verfügung –,
diese Aktion auch in dieser Spielzeit nicht nur fortzu-­
setzen, sondern durch Erhöhung der zur Verfügung
gestellten Summe noch mehr Schülern, Studenten und
Lehrlingen einen Besuch im Burgtheater zu ermöglichen.
Anmeldungen unter: dramaturgie@burgtheater.at
Magazin
29
MICHAEL KÖHLMEIER
wurde 1949 in Hard am Bodensee
geboren und wuchs in Hohenems/
Vorarlberg auf. Er studierte Germanistik und Politologie in Marburg
sowie Mathematik und Philosophie
in Gießen und Frankfurt. Er schreibt
Romane, Erzählungen, Hörspiele
und Lieder und tritt sehr erfolgreich
als Erzähler antiker und heimischer
Sagenstoffe und biblischer Geschichten auf. Er ist mit der Schriftstellerin
Monika Helfer verheiratet und lebt
in Hohenems/Vorarlberg. Michael
Köhlmeier wurde mit zahlreichen
Preisen ausgezeichnet.
ABENDLAND
Michael Köhlmeier liest aus seinem neuen Roman
»Ohne dich wäre ich nicht, was ich bin.
Er hätte gefragt: Und was bist du? Was für
eine andere Antwort wäre mir geblieben,
als ihm die gleiche Frage zu stellen? Und
was hätte er geantwortet? Er weiß, daß
ihm etwas widerfährt, aber er weiß nicht,
was es sein wird; und er weiß noch weniger, ob es gut oder schlecht sein wird.«
Carl Jacob Candoris – Mathematiker,
Weltbürger, Dandy und Jazz-Fan – ist
fünfundneunzig Jahre alt und legt sei-­
ne Lebensbeichte ab: eine turbulente, zu
Herzen gehende Weltgeschichte des 20.
Jahrhunderts.
Aufschreiben soll diese Geschichte der
Schriftsteller Sebastian Lukasser, Sohn
des Gitarristen Georg Lukasser, den Can-­
doris in den Jazz-Kellern im Wien der
Nachkriegsjahre kennengelernt und um
dessen Familie er sich bis zum traurigen
Tod des Musikers gekümmert hat. In die
Lebensgeschichte des exzentrischen Carl
Jacob Candoris blendet Sebastian seine
Saison 2007/2008
eigene Geschichte ein, so dass im Spie-­
gel zweier ungleicher Familien ein fas-­
zinierendes Panorama des ganzen Jahr-­
hunderts entsteht: Candoris erzählt von
seinem Großvater, der in Wien einen be-­
rühmten Kolonialwarenladen betrieb,
von seinen seltsamen Verwandten, bei
denen er in Göttingen während seines
Studiums lebt und die Größen der Na-­
turwissenschaft kennenlernt – die er spä-­
ter, in Los Alamos, als »Väter der Atom-­
bombe« wiedersieht –, vom Weltkrieg
und der Verheerung Europas und von
der Nachkriegszeit – wo Sebastians Ge-­
schichte beginnt. Selten hat ein Schrift-­
steller einen so klugen und lebenssatten
Roman über unsere Zeit geschrieben –
über die großen historischen Sündenfälle
und die privaten Reaktionen darauf, über
die persönlichen und politischen Hoff-­
nungen, über Kunst und Leben, Geist
und Ungeist einer Epoche.
Am 16. Oktober 2007 im BURGTHEATER
Zazie in der Metro
bei »Rund um die Burg«
Auch heuer wird das Burgtheater wieder
einen Beitrag zum Literaturfestival »Rund
um die Burg. Die 24 Stunden der Litera-­
tur in Wien« leisten: Robert Reinagl und
Hannes Marek sind zu Gast im Hauptle-­
sezelt vor dem Rathaus mit ihrem musika-­
lisch-literarischen Programm »Zazie in der
Métro« nach dem Roman von Raymond
Queneau.
»Mit seiner facettenreichen Stimme führt
Reinagl durch die belebten Straßen von
Paris, im Kopf entstehen sofort die bun-­
testen Bilder.« Wiener Zeitung
Mit Robert Reinagl (Stimme), Karl Stirner
(Soundscape), Hannes Marek (Piano)
Am 21. September 2007 um 23 Uhr
im Lesezelt vor dem Rathaus
Magazin
30
Reiche österreichische Literatur-Ernte:
So viele neue Bücher von österreichischen Dichtern wie in diesem Herbst gab es noch nie! Gleich sechs von ihnen
sind für den Deutschen Buchpreis 2007 nominiert: Peter Truschner, Robert Menasse, Michael Köhlmeier, Peter Henisch, Sabine Gruber und Thomas Glavinic. Das ist fast ein Drittel der Nominierten und doch nur ein Bruchteil all
jener österreichischen Autoren, die in dieser Saison neue Bücher auf den Markt bringen. Auch von Peter Handke,
Josef Winkler, Gerhard Roth, Christoph Ransmayr, Margit Schreiner und vom Buchpreisträger 2005 Arno Geiger
liegt Neues vor. Dieser Herbst schreit nach Lese-Urlaub, ob zuhause, in der Therme oder wo auch immer. Unglaublich, wie in diesen Romanen unsere Lebenswelt, unser Erlebtes beschrieben und die Auseinandersetzung mit Biographie, Familiengeschichte und Zeitgeschichte faszinierend und berührend vorgelegt wird! Peter Henisch hat mit
»Die kleine Frau« einen wunderbaren Roman auch über die zwanziger, dreißiger Jahre in Wien geschrieben und
Thomas Glavinic porträtiert den Kulturbetrieb mit vollendetem Realismus und aberwitziger Komik. Er spielt ein Spiel
mit der Wirklichkeit und ihrer Verdopplung – ein seltenes, ungewöhnliches Lesevergnügen! So, nun können Sie sich
nicht entscheiden? Macht nichts, dafür gibt es ja Leporello im Burgtheater: wir haben ein druckfrisches Österreicherpaket mit sechs Titeln für Sie vorbereitet – abends kurz vorm Burgtheater parken, hineinspringen, zahlen (auch
mit Karte, dauert aber ein paar Sekunden länger), Paket nehmen und dem langen Leseerlebnis steht nichts mehr im
Weg! Natürlich stellen wir dieses Paket auch nach Absprache mit Ihnen zusammen – und natürlich gibt es auch hier
wieder ein »Zuckerl«, wenn Sie beim Kauf des Paketes auf diese Vorspiel-Kolumne verweisen. Ich freue mich für Sie
auf diese wundervollen Leseerlebnisse!
Ihre Rotraut Schöberl – Buchhandlung Leporello im Foyer des Burgtheaters
SUCHERS LEIDENSCHAFTEN
Marcel Proust
Fjodor Dostojewski
Marcel Proust kennen selbst die, die keine Zeile von
ihm gelesen haben. Sie verbinden mit dem Namen vor
allem dreierlei: Dandy, Salonkultur und das Riesen-­
werk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Ge-­
wiss ist es dieser Roman, der Proust berühmt und
unsterblich gemacht hat; und er wird in C. Bernd Su-­
chers Vortrag auch besprochen, aber daneben auch
anderes. Bevor Proust sich nämlich an sein opus ma-­
gnum machte, arbeitete er als Literaturkritiker und als
Gesellschaftskolumnist, also als Klatschreporter. In
diesem Job machte er die Bekanntschaft der Schönen,
Reichen und Adligen von Paris. Was er mit ihnen und
in ihrer Gesellschaft erlebte, wird in seinen Roman-­
werken verarbeitet, chiffriert und kommentiert. Und
zwar immer sehr selbstbewusst, zuweilen kokett und
eitel. Seine Texte verraten zudem sehr viel über den
Menschen Proust, der unter seiner Homosexualität litt
und sich – je älter er wurde desto mehr – in die Dich-­
tung und in die Einsamkeit flüchtete. Den ersten »Lei-­
denschaften«-Abend dieser Spielzeit wird C. Bernd
Sucher gemeinsam mit dem Burgschauspieler Paul
Wolff-Plottegg präsentieren.
Fjodor Dostojewski ist wahrscheinlich der
(sprach)gewaltigste russische Romancier des 19. Jahr-­
hunderts, einer der den psychologischen Realismus be-­
herrschte wie kaum ein anderer. Er war Gesellschafts-­
kritiker und ein Gott-Sucher, der sich die Erneuerung
Europas, die Gesundung dieses Erdteils nur unter der
Führung der Russen vorstellen konnte. Er glaubte an
die Kraft des russischen Volkes, des einfachen Volkes,
nicht der Intelligenzia. Seine großen Romane gehören
zur Weltliteratur. C. Bernd Sucher wird sich in seinem
»Leidenschaften«-Vortrag aber auch mit den frühen
Romanen, den Erzählungen und dem Roman »Der
Spieler« auseinandersetzen. Ungewöhnlich großen
Raum wird er diesmal auch dem Leben des Dichters
widmen, weil es den größten Einfluss auf sein Werk
hatte.
»Marcel Proust« am 18. Oktober 2007,
»Fjodor Dostojewski« am 15. November 2007 im KASINO
NACHWEISE
BILDER: Christian Brachwitz: S.19/2; Marion Bührle: S.9; Nadja Elgendy/Saime Öztürk (privat): S.10,11; Christina von Haugwitz: S.18/3; Oliver Herrmann: S.18/1, 18/2; Philipp Horak: S.25,
Matthias Horn: Cover; Udo Leitner: S.29; Joachim Meyerhoff (privat): S.15 oben; Hans Jörg Michel: S. 19/1: Herfried Münkler (privat): S.16/2; Isolde Ohlbaum: S.16/3; Georg Soulek: S.6, 7, 16/1, 21/1, 21/3, 21/4; Georg
Tedeschi: S.15 unten; Reinhard Werner: S.11, 13, 21/2, 22, 23. TEXTE: S.4: Neue Zürcher Zeitung, 14. April 2007; S.6: Originalbeitrag, S.8: Originalbeitrag; S.10: Originalbeitrag, S.22: Originalbeitrag.
Wir danken unseren Jubiläums- und Hauptsponsoren
und unseren Freunden und Förderern: agensketterl Druckerei GmbH,AirPlus,AKRIS, ARTAND GARDEN,AustrianAirlines, BA/CA, BAWAG-PSK, Weingut Bründlmayer, Deutsche
LufthansaAG,Fernwärme,KartenbüroJirsa,MagnaInternational,MöbelwerkstättenWITTMANN,OENBOesterreichischeNationalbank,ÖsterreichischeElektrizitäts-WirtschaftsAG
Verbund, Österreichisches Verkehrsbüro AG, Palmers, Römerquelle, S-Bausparkasse, Schlumberger Wein- und Sektkellerei AG, Schuhmanufaktur Ludwig Reiter, Staud´s Wien,
TELEKOM Austria, waagner-biro, WIENENERGIE, WIENER STÄDTISCHE Versicherung AG VIENNA INSURANCE GROUP, WKO Wirtschaftskammer Österreich
2007/2008 Saison