Parlamentskorrespondenz 3. Sitzung Teil 1

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Parlamentskorrespondenz 3. Sitzung Teil 1
Parlamentskorrespondenz Nr. 122 vom 18.02.2015
Themenfelder:
Parlamentarismus/Verfassung
Format:
Ausschusssitzungen des Nationalrats
Stichworte:
Nationalrat/Enquete-Kommission/Demokratiereform
Volksgesetzgebung: In der Schweiz bewährt, in
Deutschland umstritten
Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie befasst sich mit Erfahrungen anderer
Länder mit direkter Demokratie
Wien (PK) – Der deutsche Politologe Frank Decker hält das Modell der Volksgesetzgebung, wie es de
facto in allen deutschen Bundesländern eingeführt wurde, für die Bundesebene für "völlig ungeeignet".
Man müsste tendenziell noch mehr Themen als auf Länderebene ausnehmen und noch höhere
Quoren festlegen, damit würde man das Instrument aber entwerten, machte er beim dritten Hearing
der parlamentarischen Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in Österreich geltend.
Vernünftiger wären seiner Meinung nach unverbindliche konsultative Volksinitiativen, vergleichbar mit
dem österreichischen Volksbegehren, sowie einfache und obligatorische Referenden. Anders als in
Österreich existieren in Deutschland auf Bundesebene nämlich grundsätzlich so gut wie keine
Instrumente der direkten Demokratie, wie der Politikwissenschaftler Theo Schiller erläuterte.
Decker und Schiller waren zwei von sechs ExpertInnen, die von der Enquete-Kommission eingeladen
worden waren, um über Erfahrungen in anderen Ländern mit direkter Demokratie zu referieren.
Besonders in den Fokus rückten dabei neben Deutschland die Schweiz, Osteuropa und die USA. In
der Schweiz kann, wie die Verwaltungsexpertin Nadja Braun-Binder berichtete, auf kantonaler Ebene
grundsätzlich über fast alles abgestimmt werden, auch auf Bundesebene gibt es nur wenige
Ausnahmen wie Finanzierungsbeschlüsse. Gänzlich tabu sind Initiativen, die das Völkerrecht
verletzen.
Mit Blick auf die Praxis direkter Demokratie in Osteuropa kam der Politologen Florian Grotz zum
Schluss, dass direkte Demokratie dann am häufigsten genutzt wird, wenn die Hürden am geringsten
sind. In 8 der 11 ostmitteleuropäischen EU-Mitgliedsstaaten gibt es Volksinitiativen auf nationaler
Ebene. Betrachtet man die direktdemokratische Praxis in der gesamten EU, sei nicht viel vom Volk zu
sehen, sagte hingegen der Politikwissenschafter und Journalist Stefan Vospernik. In den meisten EUStaaten würde direkte Demokratie nämlich noch immer von Regierungsakteuren kontrolliert. Was die
USA anbelangt und im Besonderen der Vergleich mit Kalifornien, sei es wichtig, sich bei der
Durchführung direktdemokratischer Instrumente Zeit zu lassen, so der Schweizer Abgeordnete
Andreas Gross.
Eingangs der Sitzung appellierte Nationalratspräsidentin Doris Bures als Vorsitzende der EnqueteKommission nochmals an die Bevölkerung, sich an der Diskussion zu beteiligen. Bislang haben
lediglich 2 Bürger eine schriftliche Stellungnahme abgegeben, wie ein Blick auf die ParlamentsWebsite zeigt. Im Vergleich dazu sind zur Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" mehr
als 700 schriftliche Beiträge von BürgerInnen und Institutionen im Parlament eingelangt. Etwas reger
wird die Möglichkeit genutzt, sich an Sitzungstagen via Twitter in die Debatte einzuklinken: Während
der Auftaktsitzung der Enquete-Kommission wurden unter #EKDemokratie 361 Tweets verzeichnet,
während der zweiten, bei der es um Instrumente der direkten Demokratie in den Bundesländern und
den Gemeinden ging, waren es 248.
Wertvolle Denkanstöße für die Arbeit der Enquete-Kommission erwartet sich Bures auch vom vor
kurzem erschienenen Sammelband "Direkte Demokratie und Parlamentarismus", der von Theo
Öhlinger und Klaus Poier herausgegeben wurde und 24 Beiträge zum Thema Stärkung der
Demokratie in Österreich enthält.
Decker: Volksgesetzgebung widerspricht Logik des parlamentarischen Regierungssystems
Frank Decker, der an der Universität Bonn lehrt, äußerte sich generell skeptisch darüber, dass sich
Deutschland, was direkte Demokratie betrifft, vorrangig auf das Instrument der Volksgesetzgebung
konzentriert. Es gehe nicht so sehr um das Argument der fehlenden Expertise und der potenziellen
Radikalität und Selektivität von Volksinitiativen, meinte Decker, beide Bedenken sollten nicht
überbewertet werden. Schwerer wiegt ihm zufolge vielmehr der Umstand, dass das Modell der
Volksgesetzgebung der Logik des parlamentarischen Regierungssystems widerstrebt, das auf einem
Wechselspiel von Regierung und Opposition und einer Ablöse von Regierungsmehrheiten durch
Wahlen basiert. Durch eine Volksgesetzgebung würde dieses System unterlaufen, das
Gestaltungsmonopol der Regierungsmehrheit aufgeweicht.
Decker vermutet, dass Vorbehalte gegen eine weitreichende Übertragung von
Entscheidungsbefugnissen an die Bevölkerung auch der Grund dafür sind, warum es in den
deutschen Bundesländern meist relativ hohe Hürden für so genannte Volksentscheide gibt, wobei
seiner Darstellung nach die Restriktionen in den Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet sind.
Darauf wies auch der Politikwissenschaftler Theo Schiller von der Universität Marburg hin. Demnach
sind für ein gültiges Volksbegehren je nach Bundesland zwischen 4% und 20% der Wahlberechtigten
erforderlich, die Eintragungsfristen schwanken in der Regel zwischen zwei und acht Monaten. Die
Hälfte der Länder verlangt eine "Amtseintragung", also die Unterschriftenleistung vor einer amtlichen
Stelle, die andere erlaubt freie Unterschriftensammlungen. Auch beim Volksentscheid sind
unterschiedlich hohe Quoren verankert.
Nur wenige Volksentscheide in den deutschen Bundesländern
Thematisch ausgenommen sind laut Schiller meist Abgabengesetze, Besoldungsgesetze, die Tarife
öffentlicher Unternehmen und Personalentscheidungen. Außerdem ist das Haushaltsgesetz überall
tabu. Einige Länder schließen sogar Entscheide mit erheblichen finanziellen Auswirkungen aus, was
Schiller als bedenklich wertete. All diese Hürden führen laut Decker jedenfalls dazu, dass das den
BürgerInnen mit der Einführung der Volksgesetzgebung gemachte Versprechen der weitreichenden
Mitbestimmung nur rudimentär eingelöst wird. Letztendlich hätten die meisten Bundesländer "ihr
plebiszitäres Soll nicht erreicht", sagte er.
Decker selbst plädierte, was die Quoren betrifft, für eine "mittlere Linie". In der Praxis setzen die
Bundesländer ihm zufolge in der Regel entweder auf niedrige Hürden und lange Eintragungsfristen für
Volksinitiativen und Volksbegehren bei vergleichsweise hohen Quoren bei Volksentscheiden. Oder sie
haben hohe Beteiligungshürden bei Initiativen und Begehren, dafür aber ein niedriges
Zustimmungsquorum beim Entscheid. Für beide Modelle gibt es seiner Einschätzung nach ein Für und
Wider. So seien niedrige Hürden am Beginn einer Volksgesetzgebung nützlich, um Themen in die
Öffentlichkeit zu bringen, sie würden aber auch die Gefahr eines Missbrauchs bergen. Hohe Quoren
beim Entscheid seien zwar legitimationsfördernd, würden die Gegner einer Initiative aber verleiten,
nicht an der Abstimmung teilzunehmen. Decker selbst tendierte dazu, eher die Quoren beim
Entscheid als in der Eingangsphase von Initiativen abzusenken, um im Ergebnis zu mehr
Bürgerentscheidungen zu kommen.
Für überlegenswert hält Decker außerdem einen Wechsel der Regierungsform in den Ländern in
Richtung eines präsidentiellen Systems. Zu einem solchen System könnte eine Volksgesetzgebung
eine gute Ergänzung sein, meinte er. Auch bei Proporzregierungen, wie es sie noch in manchen
österreichischen Bundesländern gibt, wäre eine Volksgesetzgebung als Korrektiv seiner Meinung
nach besser geeignet als in einem parlamentarischen Regierungssystem.
Decker plädierte überdies dafür, sich in Sachen direkte Demokratie nicht alleine auf die
Volksgesetzgebung zu fokussieren, sondern den BürgerInnen auch die Möglichkeit von Referenden
und Veto-Referenden einzuräumen. Diese Instrumente würden derzeit nur in einigen wenigen
deutschen Bundesländern zur Verfügung stehen, skizzierte er.
Volksgesetzgebung fördert Dialog mit der Bevölkerung
Sowohl Decker als auch Schiller hoben hervor, dass mit dem Instrument der Volksgesetzgebung der
Dialog zwischen Bevölkerung und Parlament gestärkt wird. Volksbegehren müssten vom Parlament
behandelt werden, was nützlich für den Dialog sei, sagte Schiller. Auch die Möglichkeit der deutschen
Länderparlamente, einen Alternativvorschlag auf den Tisch zu legen, sei der Diskussion förderlich. Als
entscheidend für die Sachlichkeit und Fairness der öffentlichen Debatte wertete der Experte nicht nur
verständliche Informationsbroschüren für die Bevölkerung, sondern auch eine neutrale
Berichterstattung in den Medien.
Eine generelle Verpflichtung zur finanziellen Transparenz von Initiativen gibt es laut Schiller in
Deutschland ebenso wenig wie allgemeine Regeln, was staatliche Zuschüsse für Initiativen betrifft. In
einigen Ländern müssten aber Spenden über 5.000 € - analog zu den Vorgaben für die
Parteienfinanzierung – auf einem Sonderkonto verwaltet und gegenüber dem Innenministerium
deklariert werden. Einige Länder gewährten den InitiatorInnen auch geringe Entschädigungen für
Aufwendungen, beispielsweise abhängig von der Zahl der Unterschriften bei Volksbegehren oder den
Ja-Stimmen beim Volksentscheid. Zum Teil explizit verboten sind Spenden von öffentlichen Trägern
wie Parteien und staatsnahen Unternehmen an Initiativen.
Schweiz kennt keine Themeneinschränkung bei Volksinitiativen
So gut wie keine Themeneinschränkungen bei Volksinitiativen und Referenden kennt die Schweiz, wie
die Verwaltungsexpertin Nadja Braun-Binder, Forschungsreferentin am Deutschen Forschungsinstitut
für öffentliche Verwaltung in Speyer, berichtete. Es gebe auch keine inhaltliche Vorprüfung von
Volksinitiativen, betonte sie. Erreicht eine Initiative genügend Unterschriften, werde vom Parlament
lediglich geprüft, ob die formalen Voraussetzungen vorliegen, keine unterschiedlichen Themen
vermengt werden und das Völkerrecht nicht verletzt wird. Nur bei einem Verstoß gegen einen dieser
drei Punkte, könne eine Initiative für ungültig erklärt werden.
Darüber hinaus können auch sämtliche vom Parlament beschlossenen Gesetze einem Referendum
unterzogen werden. Das gilt auch für Staatsverträge und andere Bundesbeschlüsse, wenn diese
rechtssetzende Bestimmungen enthalten. Nur Finanzierungsbeschlüsse seien – mit wenigen
Ausnahmen – auf Bundesebene grundsätzlich von einem Veto-Referendum ausgeschlossen,
skizzierte Braun-Binder. Auf kantonaler Ebene kann aber sogar darüber und auch über einzelne
Verwaltungsakte abgestimmt werden. Damit haben die BürgerInnen die Möglichkeit, auch bei
Finanzfragen, sowohl was Einnahmen als auch Ausgaben betrifft, mitzubestimmen.
Generell wies Braun-Binder darauf hin, dass das Besondere an der direkten Demokratie in der
Schweiz die Verbindlichkeit der Verfahren sowie der Umstand ist, dass Verfahren von unten
ausgehen. Auf Bundesebene sind für eine Volksinitiative ihr zufolge 100.000 Unterschriften
erforderlich, das entspricht derzeit rund 1,9% der Stimmberechtigten. Mit der Festlegung dieser Zahl
habe man verhindern wollen, dass nur große Verbände eine Initiative starten können, ohne jedoch die
Funktionsfähigkeit des Staates zu gefährden, erläuterte sie. Unterschriften können frei gesammelt
werden.
Wie der deutsche Experte Schiller wertete auch Braun-Binder die Möglichkeit der Einbringung eines
Gegenvorschlags des Parlaments zu einer Volksinitiative als dialogfördernd. Ihr zufolge ist es auch
möglich, dass die InitatorInnen bis zu drei Monate vor einem Entscheid eine Initiative – unbedingt oder
bedingt – zurückziehen können, wenn das Parlament einen Gesetzesbeschluss in Aussicht stellt.
Kommt dieser nicht zustande, lebt die Initiative im Falle eines bedingten Rückzugs wieder auf.
Transparenzvorschriften für Initiativen auf Bundesebene gibt es laut Braun-Binder nicht, da es auch
keine Vorschriften für die Parteienfinanzierung gebe. Nur in einzelnen Kantonen gibt es ansatzweise
Regelungen. Auch staatliche Zuschüsse für Initiativen gibt es nicht.
Grotz: Je geringer die Hürden für direkte Demokratie, desto häufiger wird sie genutzt
"Wer direktdemokratische Elemente erweitern oder einführen will, sollte sich über den Grad der
erwünschten institutionellen Offenheit klar werden", so das Fazit des Politologen Florian Grotz
(Universität Hamburg), der über direkte Demokratie in Mittel- und Osteuropa, mit besonderem
Schwerpunkt auf die 11 EU-Mitgliedsstaaten, sprach. Die Staaten in Osteuropa würden in der
Diskussion um direkte Demokratie meist übersehen, dabei handle es sich um genau jene Region, in
der sich demokratische Institutionen in den vergangenen 25 Jahren weltweit am stärksten
fortentwickelt hätten, führte er aus. Was nämlich die Formen direktdemokratischer Beteiligungen
anbelangt, kennen alle 11 ostmitteleuropäischen EU-Staaten nicht nur regierungsseitig initiierte
Volksabstimmungen, also Plebiszite, zusätzlich findet sich mit Ausnahme Estlands auch in allen
anderen Ländern das Recht, eine Abstimmung über ein bereits verabschiedetes Parlamentsgesetz
herbeizuführen. Außerdem gibt es in 8 von 11 Staaten, mit Ausnahme von Estland, Kroatien und
Tschechien, Volksinitiativen auf nationaler Ebene.
Was die Nutzungshäufigkeit anbelangt, sind grundsätzlich drei Ländergruppen zu unterscheiden. In
fünf Ländern (Litauen, Slowenien, Slowakei, Ungarn und Lettland) fand in den letzten 25 Jahren mit
zehn bis über zwanzig Abstimmungen eine relativ intensive Praxis statt. In der zweiten, gegenteiligen
Gruppe mit Bulgarien und Tschechien, wurde nur ein einziger direktdemokratischer Urnengang
verzeichnet. Die dritte Gruppe, zu der Estland, Kroatien, Polen und Rumänien gehören, befindet sich
mit 4 bis 7 Abstimmungen im Mittelfeld.
Die Praxis direkter Demokratie in Osteuropa lässt sich demnach nicht wirklich zu einem einheitlichen
Bild verdichten, seine länderspezifischen Befunden zu Litauen, Slowenien, Ungarn, Lettland
subsummierte Grotz deshalb in drei Thesen: Erstens zeige sich, dass institutionelle Detailregelungen
die direktdemokratische Praxis beeinflussen. Generell gilt demnach, je geringer die Hürden für
direktdemokratische Beteiligungsformen sind, desto häufiger kommen sie zur Anwendung und desto
größer sind politische Erfolgschancen im Sinne der InitiatorInnen. Beispiel dafür ist Slowenien, wo
Hürden für direktdemokratische Verfahren gering sind. Es gibt so gut wie keine
Ausschlussgegenstände und kein besonderes Beteiligungs- oder Gültigkeitsquorum. Deswegen
gehört Slowenien auch zu den Ländern mit den meisten nationalen Volksabstimmungen. Grotz meinte
zudem, dass die rechtliche Einlegung direktdemokratischer Praxis nicht dauerhaft perfektioniert
werden könne. Außerdem hängen nach Grotz die Auswirkungen direkter Demokratie erheblich vom
politischen Kontext ab.
Vospernik: Das Volk als aktiver Akteur existiert in Europa nicht
Der Wiener Politikwissenschafter und Journalist Stefan Vospernik konzentrierte sich in seiner
Expertise auf direkte Demokratie in den EU-Staaten im Spannungsfeld von Regierung und Opposition.
"Wenn man direktdemokratische Praxis in Europa untersucht, dann ist nicht viel vom Volk zu sehen.
Das Volk als aktiver Akteur existiert nicht", war dabei sein Schluss, denn direktdemokratische
Initiativen würden viel zu oft an den Interessen des Volkes vorbeigehen. Was für Vospernik wiederum
heißt, dass direkte Demokratie als "Allheilmittel" für Politikverdrossenheit eher nicht taugt. Sie sei aber
ein Krisenindikator, denn der Ruf nach einem Mehr an direkter Demokratie werde immer dann lauter,
wenn ein politisches System nicht rund läuft, so der Politikwissenschafter.
Was die europäischen Erfahrungen mit direkter Demokratie betrifft, befindet sich diese seit Anfang der
1990er Jahre in einem ungebrochenen Aufschwungsprozess, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs
haben in den heutigen EU-Mitgliedsstaaten 286 Referenden stattgefunden, davon allein 206 in den
letzten 25 Jahren. Grund dafür sei etwa der Fall des Eisernen Vorhangs, wie Vospernik berichtete.
Mittlerweile gebe es nur noch einen "weißen Fleck" auf der EU-Landkarte der direkten Demokratie und
das sei Deutschland, wo es bisher kein gesamtstaatliches Referendum gab. Das bedeutet, dass
direkte Demokratie mittlerweile zu einem gewissen Grundbestand der politischen Systeme in Europa
geworden ist - allen voran Italien, Irland, Slowenien, Litauen und Dänemark, geht es nach den
Erhebungen von Vospernik.
Will man aber politische Wirkungen von direktdemokratischen Verfahren ergründen, sei eine
Entscheidung zwischen einem, wie Vospernik es nennt, govermentalen, sprich von der Regierung
getragenen, und oppositionellen Verfahren am sinnvollsten. In den meisten EU-Staaten, nämlich 16
von 28, werde direkte Demokratie immer noch von Regierungsakteuren wie dem Präsidenten oder der
Regierung kontrolliert. Das Volk beziehungsweise die parlamentarische Opposition hat im Gegensatz
dazu derzeit in 10 Staaten die Möglichkeit, Referenden zu erzwingen. Quoren und der Ausschluss
bestimmter Themen vom Referendum sind in jenen Staaten verbreitet, in denen das Volk das
Referendum beantragen kann. Geht es nach dem Politikwissenschafter, sind starre
Beteiligungsquoren von 50 % problematisch, weil es GegnerInnen der jeweiligen Vorlage privilegiere.
"Damit verkommen die selbst stärksten direktdemokratischen Elemente zu einem zahnlosen Tiger", so
das Urteil Vosperniks.
Gross: Je schneller man Prozesse organisiert, desto weniger können Menschen einbezogen werden
Andreas Gross, Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion im Schweizer Nationalrat und Leiter des
Ateliers für Direkte Demokratie in St. Ursanne, beschäftige sich mit direkter Demokratie in Amerika im
Vergleich unter besonderer Berücksichtigung Kaliforniens.
Die Orte, mit den breitesten Möglichkeiten direkter Demokratie seien jene, in denen BürgerInnen sich
diese Rechte erkämpft haben, sagte Gross, wobei 27 der 50 Staaten in den USA direktdemokratische
Instrumente vorsehen. In Oregon etwa wurde das Frauenstimmrecht Dank direkter Demokratie bereits
1914 erkämpft und die Todesstrafe abgeschafft. In den USA wird direkte Demokratie dabei nicht als
Alternative, sondern als Ergänzung und Erweiterung zur parlamentarischen Demokratie gesehen. Für
Gross selbst ist die Ausgestaltung der Schnittstelle zwischen direkter und repräsentativer Demokratie
sowie die Schnittstelle zum Verfassungsschutz entscheidend für die Qualität.
Was das Dialogpotential in Kalifornien betrifft, würden Referenden dort sehr schnell durchgeführt.
Gross sprach sich deshalb dafür aus, der Durchführung direktdemokratischer Instrumente Zeit zu
geben. Denn je schneller man einen Prozess organisiere, desto weniger können Menschen
einbezogen werden, sagte der Schweizer Abgeordnete. Es sei wichtig, dem Design eines Verfahrens
genug Zeit zu gewähren, um für eine Bürgerentscheidung möglichst viele Menschen einbeziehen zu
können. Die Dialogpotentiale sind in den USA zudem unter anderem auch deswegen eingeschränkt,
weil es dort kein wie im europäischen Sinne übliches Stimmregister gibt, wie Gross berichtete.
Außerdem reduziere sich in den USA und vor allem in Kalifornien die öffentliche Diskussion auf die
Fernsehwerbung, was wiederum eine enorme Erhöhung der Kosten und Bedeutung des Geldes zur
Folge hat. (Fortsetzung) gs/keg
HINWEIS: Die Anhörungen der Enquete-Kommission sind öffentlich und werden via Live-Stream auf
www.parlament.gv.at übertragen. Über den Twitter-Hashtag #EKDemokratie können BürgerInnen ihre
Ideen direkt in die Diskussion einbringen. Auch Stellungnahmen per E-Mail zu den einzelnen
Diskussionsblöcken sind möglich, senden Sie diese bitte mit dem jeweiligen Betreff an:
demokratie@parlament.gv.at. Mehr Informationen finden Sie auf www.parlament.gv.at .
Fotos von der Sitzung der Enquete-Kommission finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at .