Warum jede Fliege zählt
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Warum jede Fliege zählt
Hans-Dietrich Reckhaus Warum jede Fliege zählt Eine Dokumentation über Wert und Bedrohung von Insekten zer Schwei isre Ethikp träger 2015 Hans-Dietrich Reckhaus Warum jede Fliege zählt Eine Dokumentation über Wert und Bedrohung von Insekten Der Autor Dr. Hans-Dietrich Reckhaus absolvierte an der Universität St. Gallen ein betriebswirtschaftliches Studium, das er 1993 mit der Promotion zum Dr. oec. abschloss. Seit 1995 leitet er die Reckhaus GmbH & Co. KG in Bielefeld in zweiter Generation als geschäftsführender Gesellschafter. Mit dem 2012 lancierten Gütezeichen «Insect Respect» strebt Reckhaus eine nachhaltige Transformation seiner Branche an. Dafür erhielt er 2014 den deutschen Vordenker-Preis. Auslöser für das weltweit einzigartige Ausgleichsmodell war der Dialog mit den Schweizer Konzeptkünstlern Frank und Patrik Riklin. Sie initiierten die Gegenbewegung „retten statt töten“ und setzten 2012 gemeinsam mit Hans-Dietrich Reckhaus die Aktion «Fliegen retten» um. Der Unternehmer referiert und publiziert regelmässig zu Fragen der KMUFührung und Nachhaltigkeit. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Das Unternehmen Die Firma Reckhaus ist seit 60 Jahren auf die Entwicklung und Herstellung von Produkten zur Insektenbekämpfung spezialisiert. Das Unternehmen ist in Deutschland (Reckhaus GmbH & Co. KG, Bielefeld) und der Schweiz (Reckhaus AG, Gais) ansässig. Das Gütezeichen Insect Respect ist das Label für ein neues Verständnis im Umgang mit Insekten. Das weltweit erste Gütesiegel für bekämpfungsneutralen Insektenschutz garantiert eine Kompensationsleistung: Auf Basis eines wissenschaftlichen Modells werden die Schäden berechnet, die ein Biozid verursacht. Anschliessend werden mit „insektenfreundlichen Lebensräumen“ Kompensationsflächen errichtet, um einen Ausgleich zu schaffen und gleichzeitig die Biodiversität in versiegelten Siedlungsgebieten zu fördern. Impressum Reckhaus GmbH & Co. KG D-33689 Bielefeld kontakt@insect-respect.org www.insect-respect.org www.fliegenretten.de www.reckhaus.com Lektorat: Tina Teucher © 2016 Hans-Dietrich Reckhaus Reckhaus AG CH-9056 Gais Inhaltsverzeichnis Vorwort .......................................................................................... 5 Einleitung ...................................................................................... 7 1 Insekten als Nützlinge .............................................................. 9 . )nsekten bestäuben Pflanzen ................................................ 9 1.1.1 Die Bestäubung ................................................................ . . Pflanzen und ihre Bestäuber ............................................. 1.1.3 Fliegen, die unbekannten Bestäuber .................................. 1.1.4 Der Wert der Insektenbestäubung .................................... . )nsekten beschleunigen das Wachstum der Pflanzen .......... 1.3 Insekten stärken die Biodiversität ....................................... 1.4 Insekten verbinden die Nahrungskette ................................ 1.5 Insekten bilden das wichtigste Element der Ernährung ..... 1.5.1 Insekten als Lebensmittel ................................................. 1.5.2 Insekten als Futtermittel .................................................. 1.6 Insekten helfen wesentlich bei der Hygiene ........................ 1.7 Insekten wirken als preiswerte Biozid-Alternativen ........... 9 14 15 17 19 20 21 26 26 27 30 31 1.8 Insekten unterstützen Wirtschaft und Gesellschaft Wissenschaft, Textilproduktion, Medizin, Chemie, Kriminologie .. 38 2 Insekten als Schädlinge ............................................................ 43 2.1 Insekten gefährden Menschen .............................................. 43 2.1.1 Virusübertragende Insekten ............................................. 2.1.2 Ursachen und Trends der Virusübertragungen .................. 2.1.3 Krankheiten, die durch Mücken verursacht werden Chikungunyafieber, Denguefieber, Gelbfieber, Japanische Enzephalitis, Leishmaniose, Malaria, St. Louis Enzephalitis, West-Nil-Fieber .............................. 2.1.4 Krankheiten, die durch Zecken verursacht werden Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Krim-KongoFieber, Lyme-Borreliose, Q-Fieber, Rickettsiosen ................. 2.1.5 Weitere Gefährdungen durch Insekten Tsetsefliege, Krätzmilbe, «Killerbienen», Wespen und Bienen, (ausstaubmilben, Flöhe, Kopfläuse, Eichenprozessionsspinner .......................................................... 46 47 50 56 61 3 2.2 Insekten gefährden Tiere ............................................................... 64 2.2.1 Nagana ..................................................................................... 65 2.2.2 Blauzungenkrankheit ................................................................ 65 2.2.3 Schmallenberg-Virus ................................................................. 66 2.2.4 Louping-Ill ................................................................................ 67 . )nsekten gefährden Pflanzen ......................................................... 67 2.3.1 Landwirtschaftliche Schäden in den Entwicklungs- und Schwellenländern Gefährdung der Maniokpflanze durch )nsekten, Ausbreitung der Fruchtfliegen, (euschreckenplagen, Vorratsschädlinge ................ 68 2.3.2 Landwirtschaftliche Schäden in Europa Maiszünsler, Kulturfremde Schädlinge, «Nach der Ernte»-Schäden ........................................................ 74 2.3.3 Waldschäden ............................................................................ 79 3 Insekten heute und in Zukunft ........................................................ 81 . Anthropogene Einflüsse auf Lebensräume ................................... 82 3.1.1 Klimawandel ............................................................................ 84 3.1.2 Urbanisierung und Verkehr ....................................................... 92 3.1.3 Landwirtschaft ......................................................................... 94 3.1.4 Schwefel- und Stickstoffemissionen ........................................... 96 3.1.5 Forstwirtschaft ........................................................................ 98 3.2 Bestandsentwicklung .................................................................... 99 3.3 Ausblick .......................................................................................... 102 4 Fazit: Gehasst, bedroht und schützenswert ................................... 104 Verzeichnis der Insekten ..................................................................... 106 Glossar .................................................................................................... 111 Anmerkungen ........................................................................................ 115 Warum jeder Austausch zählt ............................................................. 135 4 Vorwort Insekten! Und dann noch Fliegen. Wer braucht die schon? In unserer aufgeräumten Welt möchte man eigentlich nur das herumfliegen sehen, was uns entweder sympathisch (Marienkäfer) oder schön (Schmetterlinge) erscheint. Und was uns bitte ja nicht gefährdet. Natürlich mögen wir auch Bienen gerne – wahrscheinlich, weil der Honig so süss ist, und wir ja auch wissen, dass es ohne Bienen kaum Früchte oder Gemüse geben würde. Die häufigsten Konflikte zwischen Mensch und )nsekt entstehen in der Landwirtschaft. Meistens ist dann noch ein drittes Subjekt im Spiel: unsere Nutzpflanzen oder Nutztiere. Diese Konflikte wurden und werden leider immer noch mit der Chemiekeule gelöst. Man spritzt ein Gift – und schwups, liegen alle Schädlinge auf dem Rücken. So einfach scheint es, seit man das Insektizid DDT erfunden hat – und später weitere, immer schlimmere Varianten von immer stärkeren Giften. Es stellt sich die Frage: Warum kann man nicht dauerhaft dasselbe Gift einsetzen? Das müsste doch billiger sein, als ständig neue Produkte zu entwickeln und zu vermarkten. Doch Insekten haben es in sich! Sie können diesen Giften ausweichen oder die chemische Dusche aushalten, so dass jedes Mal mindestens ein paar wenige von ihnen ganz fröhlich weiterleben. Und so richten sie in der Landwirtschaft weiter Schäden an, belästigen die Menschen oder infizieren sie mit Krankheiten. Es fehlt nach wie vor an Beobachtung. Und es fehlt vor allem am Lernen von der Natur. Wir haben die Natur stark verändert: Wir dringen in Gegenden ein, in denen die Insekten Könige sind. Wir wandeln ganze Landschaften um, um doppelt so viele, billige, meist nährstoffarme Lebensmittel mit viel Chemie zu produzieren – wovon wir dann die Hälfte verschwenden. Von diesem menschlichen Verhalten sind alle Insekten – Nützlinge und Schädlinge – betroffen. Statt das System zu untersuchen und herauszufinden, wie man es ohne Chemie optimieren oder neu aufbauen kann, nehmen wir den einfachen und schnellen Weg. Die Konsequenzen dieses Vorgehens überlassen wir den nächsten Generationen. 5 Vorwort Wir brauchen mehr Systemdenken, mehr Verständnis dafür, dass alles mit allem verbunden ist, und dass Eingriffe wie z.B. Insektizide gegen Pflanzenschädlinge nur eine höchst temporäre Lösung sind. Denn damit versucht man nicht die Ursache des Schädlingsbefalls zu verstehen, sondern behandelt einfach das Symptom. Das geht eine Weile gut. Doch die Rache dieser kleinen Lebewesen kommt gewaltig und rasant. Es gibt heute sehr viele gute Beispiele, dass es auch anders geht. Unsere Bio-Bauern produzieren ja auch viel und in guter Qualität. Sie bekämpfen die Natur eben nicht, sondern sie wissen ihre Unterstützung zu nutzen. Gerade weil die Öffentlichkeit Insekten eher scheut – viele Menschen haben sogar Phobien – war es höchste Zeit für ein solches Buch über Insekten. Ein Buch, das klarmacht, dass ohne diese kleinen Sechsbeiner (Insekten; die Spinnen haben acht Beine) nach kurzer Zeit mit den Menschen Schluss wäre. Wie lange das dauern würde? Darüber streiten sich die Experten. Es spielt aber eigentlich keine Rolle. Wichtig ist: Ohne sie geht es eben nicht. Dr. Hans-Dietrich Reckhaus hat verstanden, dass die Insekten ein essentieller Teil unserer Biosphäre sind. Wenn wir uns schon manchmal gegen Schäden und Plagen schützen müssen, sollten wir dabei umweltschonend vorgehen. Es wird uns allen in Zukunft besser gehen, wenn wir zudem proaktiv die Nützlinge und im weiteren Sinne die Ökosysteme mit ihren Dienstleistungen fördern. In diesem aussergewöhnlichen und unterhaltsamen Buch finden sich dafür unzählige sehr spannende und wissenschaftlich basierte Beispiele sowie gute Gründe, nach naturverträglichen Alternativen in unserem Umgang mit Insekten zu suchen. Dr. Hans Rudolf Herren, Träger des Right Livelihood Award («Alternativer Nobelpreis») 2013 und des Welternährungspreises 1995; Präsident Biovision Stiftung (Zürich) und Millennium Institute (Washington). 6 Einleitung Die Bartmücken sind wunderbare Insekten. Die Tiere sind so winzig und einmalig geformt, dass sie die kleinen und engen Blüten des Kakaobaumes besonders gut bestäuben können. Ohne sie gäbe es viel weniger Schokolade. Andere Insekten verbinden wir eher mit den Schäden, die sie anrichten. Mücken und Wespen stechen uns. Mottenlarven schädigen Textilien und verunreinigen Lebensmittel. Ameisen untergraben unsere Wege und Fliegen sind einfach nur lästig. Wir erleben die Tiere als tägliche Gegenspieler, deren Zahl offenbar sogar zunimmt. Vor allem fremde Arten, die durch den internationalen Warenverkehr und den Tourismus eingeschleppt werden, richten erhebliche Schäden an. Die exotischen Insekten fühlen sich aufgrund der Klimaerwärmung wohl und können sich wegen fehlender natürlicher Feinde schnell vermehren. So wurde z.B. die Asiatische Tigermücke in den letzten Jahrzehnten über Warentransporte nach Europa und Nordamerika eingeführt, wo sie sich mittlerweile etablieren konnte und gefährliche Fieberkrankheiten überträgt. Trotz der Bedrohung durch die kleinen Lebewesen sagt der namhafte amerikanische Insektenforscher Edward Wilson: Ohne Insekten würden wir Menschen nur wenige Monate überleben.1 Sie haben einen viel grösseren Nutzen als wir vermuten. So geht z.B. ein Drittel aller Lebensmittel auf ihre Bestäubung zurück.2 Ein Abendessen wäre eintönig, denn es bestünde fast nur noch aus Brot: Ohne die Insektenbestäubung gäbe es weder Salat, Gurke und Tomate, noch Käse und Wurst oder Fleisch von Rindern. Diese ernähren sich nämlich am liebsten von Luzerne und Klee, die wiederum auf Insekten angewiesen sind.3 Mit über einer Million bekannten Arten sind die Insekten die mit Abstand grösste Tierklasse der Welt.4 Die sechsbeinigen Lebewesen gehören wie die Tausendfüsser, die Krebstiere und die Spinnen zu den Gliederfüssern (Arthropoden), die 80 Prozent aller auf der Welt lebenden Tiere repräsentieren. In der Vergangenheit dominierten die Insekten, und zwar schon vor über 400 Millionen Jahren.5 7 Einleitung «Der Mensch ist ein Neuling unter diesen sechsbeinigen Massen... und seine Herrschaft über den Planeten ist sehr fragil. Die Insekten können ohne uns gedeihen, wir und die meisten terrestrischen Organismen hingegen würden ohne sie zugrunde gehen».6 Wie steht es tatsächlich um unser Verhältnis zu den Insekten? Sind sie eher nützlich oder schädlich? Welche Rolle spielen sie in der Welt? Wie wichtig sind sie für uns? Wie wirkt sich der Klimawandel aus: Wird ihre Zahl aufgrund der globalen Erwärmung weiter zunehmen? Dieses Buch soll einen aktuellen Überblick über das Verhältnis zwischen Mensch und Insekt bieten. Es diskutiert die nützlichen und schädlichen Wirkungen der Insekten und setzt sich mit ihrer Bestandsentwicklung auseinander. Vor allem aber möchte es die Leser einladen, den Blick für den Wert dieser Lebewesen zu öffnen: Ob jede Fliege zählt, darüber lässt sich diskutieren. Doch jedes Insekt nimmt seinen Platz in natürlichen Kreisläufen, Biotopen und Nahrungsketten ein und ist damit ein wichtiger Teil der Biodiversität. 8 1 Insekten als Nützlinge Der Nutzen, den Insekten für die Natur und den Menschen stiften, ist ebenso vielseitig wie unschätzbar. )nsekten bestäuben Pflanzen und ermöglichen so überhaupt erst viele Kreisläufe in unserem Ökosystem. Sie sind Wachstumsbeschleuniger und tragen essentiell zu der uns bekannten Vielfalt von Arten und Lebensräumen bei. Insekten sind die Hauptnahrung für viele Tiere. Vor allem Vögel und Süsswasserfische kommen ohne sie nicht aus. Somit spielen )nsekten eine Schlüsselrolle für zahlreiche Nahrungsketten. Für den Menschen produzieren Insekten wichtige Lebensmittel und helfen bei der Hygiene. Sie unterstützen uns sogar im Kampf gegen sie selbst und fördern darüber hinaus unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft mit zahlreichenden Dienstleistungen. 1.1 Insekten bestäuben Planzen «Blütenbestäubung ist, indem sie das Leben von Pflanzen und Tieren verbindet, die bedeutendste Schlüsselfunktion in allen terrestrischen Ökosystemen.»7 1.1.1 Die Bestäubung Bei den Pflanzen unterscheidet man grundsätzlich drei Gruppen: die Moose (26.000 Arten) und Farne (12.000 Arten) sowie die Blütenpflanzen über . Arten . Letztere weden aufgrund der Bestäubungsmöglichkeit auch Samenpflanzen genannt. Der Blütenstaub gelangt entweder auf die offenliegende, «nackte» Samenanlage (Nacktsamer, 800 Arten) oder auf die geschützte, «bedeckte» Narbe der Fruchtblätter (Bedecktsamer, knapp 226.000 Arten). Zu den Nacktsamern gehören z.B. Nadelgewächse wie Nadelbäume, zu den Bedecktsamern zählen z.B. Laubbäume, Gräser und andere Blütenpflanzen. 9 1 Insekten als Nützlinge Pflanzen mit zwittrigen Blüten können sich selbst bestäuben. Die Fremdbestäubung (Xenogamie) ist jedoch immer erfolgreicher. Sie kann durch Wasser, Wind und Tiere erfolgen. Bei der Windbestäubung muss viel Pollen vorhanden sein, damit dieser sich auf die offenliegenden Staubblätter und Narben absetzen kann. Die Abbildung 1 verdeutlicht die Wirkung der unterschiedlichen Bestäubungsarten: Links eine Erdbeere, die von Insekten fremdbestäubt wurde. In der Mitte eine Erdbeere, die sich selbst bestäuben musste und rechts eine selbstbestäubte Frucht, die zusätzlich durch Wind fremdbestäubt wurde. Die volle Frucht ist nur durch die Fremdbestäubung von Insekten möglich. Nachstehend wollen wir uns auf die Bedecktsamer konzentrieren, die mit einem Anteil von über 85 Prozent die grösste Klasse aller Pflanzen bilden.8 Bedecktsamer locken Tiere mit Duftstoffen und Farben an. Die Tiere, meistens Insekten, kriechen in die Blüte, um an den am Blütengrund produzierten Nektar zu gelangen. Dabei bleiben Pollen am Körper der )nsekten hängen, die so zur nächsten Pflanze transportiert werden. Auf der Suche nach weiterer Nahrung kriechen die Insekten wiederum bis zum Grund der nächsten Blüte. Dadurch geschieht die Bestäubung (Pollination): Der Pollen bleibt am klebrigen Fruchtknoten hängen. Um an die weibliche, tief in der Blüte sitzende Samenanlage zu gelangen, bildet der auf dem Fruchtknoten sitzende Pollen einen Schlauch. Dieser wächst durch die Narbe und den Griffel und gibt beim Erreichen der Samenanlage die Spermazelle frei. Die Befruchtung findet durch die Verschmelzung der Spermazelle mit der vorhandenen Eizelle statt (Zygote). Aus der Zygote entsteht der Samen, der Fruchtknoten entwickelt sich zur Frucht und die Blütenblätter fallen ab. Neues Pflanzenwachstum ergibt sich, wenn der Samen reif ist und verbreitet wird: Die Frucht fällt dann ab oder Tiere fressen davon und scheiden später den Samen mit ihrem Kot an einer anderen Stelle aus. Die Vorgänge der Bestäubung und Befruchtung sind deswegen so erfolgreich, weil sich Pflanzen und Tiere im Zeitverlauf aneinander angepasst haben. Voraussetzung für eine erfolgreiche Befruchtung 10 . )nsekten bestäuben Pflanzen Abb. 1: Fruchtentwicklung in Abhängigkeit der Bestäubungsart. (Bild: © Kristin Marie Krewenka) Abb. 2: Obst und Gemüse sind oft auf die Insektenbestäubung angewiesen. (Bild: © Stefanie Salzer-Deckert) Abb. 3: Kakao gäbe es nicht ohne die Bestäubung der Bartmücken. (Bild: © Tim Reckmann / pixelio.de) 11 1 Insekten als Nützlinge ist das Empfangen einer geeigneten Spermazelle, also einer Zelle von einer Pflanze der gleichen Art. Aufgrund ihres artspezifischen Aufbaus der Blüten bilden die Pflanzen sehr heterogene Anordnungen der mit Pollen gefüllten Staubbeutel, Stempel und Blütenböden. Nicht jedes )nsekt kann jede Pflanze bestäuben bzw. an den Nektar gelangen vgl. Abbildungen und . So locken die Pflanzen diejenigen )nsekten an, die es aufgrund ihrer Anatomie schaffen, einerseits mit ihrem Körper an die Staubbeutel zu gelangen und andererseits die Pollen auf dem Stempel der nächsten Pflanze der gleichen Art abzustreifen. Die Pflanzen spezialisieren sich bei der Lockwirkung für Bestäuber auf artspezifische Farben und Gerüche und differenzieren sich so von anderen Pflanzen. Das Ergebnis ist, dass die Tiere immer die gleichen Pflanzen bevorzugen und als blütenstet gelten, wie die Beispiele in Abbildung 4 zeigen:9 • • • • Die Kartäusernelke zieht vor allem Tagfalter an, die einen besonders langen und dünnen Saugrüssel haben. Keine andere Insektenart könnte die lang gestreckte und enge Blütenröhre der Pflanze durchdringen. Hummeln haben ebenfalls einen langen Saugrüssel, sie sind aber im Vergleich zu anderen Insekten sehr gross und benötigen einen entsprechenden Landeplatz. Die breite Blütenform der Goldnessel ist darauf bestens angepasst. Bienen dagegen haben einen kurzen Rüssel. Der Schlehdorn bietet einen guten Landeplatz und einen nur wenig eingesenkten Blütenboden. Fliegen werden besonders von schlechten Gerüchen angezogen. Diesen Umstand nutzt der Bärenklau, der aasähnliche Düfte ausströmt, damit die )nsekten mit den kurzen Mundwerkzeugen seine flachen Blütenteller aufsuchen. Einige Pflanzen unterstützen intensiv die Prozesse der Bestäubung und der Befruchtung. Der mit Pollen gefüllte, querliegende Staubbeutel der Lupine ist z.B. so angelegt, dass er sich aufgrund einer kleinen, nach oben gerichteten Öffnung leert, wenn ein Insekt auf ihm sitzt. Das Insekt wird dabei regelrecht mit Pollen beschossen. Die weitläufigen, liegenden Staubblätter des Sauerdorns hingegen richten sich auf, wenn ein Insekt ihre Ansatzstelle berührt. Die Insekten werden umschlungen und dadurch mit Pollen getränkt. 12 . )nsekten bestäuben Pflanzen Tagfalter und Kartäusernelken Hummeln und Goldnesseln Bienen und Schlehdorn Fliegen und Bärenklau Abb. 4: Unterschiedliche Blüten und deren Bestäuber. Bilder: Zeichnungen © Klett; Pflanzen v.o.n.u.: CC by anro, free photos, Maja Dumat, Matt Lavin / all by flickr.com 13 1 Insekten als Nützlinge Eindrücklich wirkt auch der Aronstab, der mit kot- und aasähnlichen Gerüchen Fliegen und Käfer anlockt. Aufgrund seiner glatten Wände fallen die Tiere von der hochstehenden Blüte tief zum Blütenboden. Ein bis zwei Tage hält die Pflanze die )nsekten fest. So wird sichergestellt, dass die mitgebrachten Pollen auch tatsächlich die Narbe des Stempels erreicht haben. Schliesslich werden die eigenen Pollenbeutel geöffnet und die Insekten eingestäubt. Die Sperrborsten, die ein Entrinnen der Insekten verhindert haben, verwelken und geben den Weg frei. 1.1.2 Planzen und ihre Bestäuber Die zum überwiegenden Teil von Insekten bestäubten Bedecktsamer werden gemäss der Keimblätter in die einkeimblättrigen (50.000 Arten und in die zweikeimblättrigen über . Arten Pflanzen unterteilt. Zu den einkeimblättrigen Pflanzen zählen:10 • • • Süssgräser, wie z.B. Roggen, Weizen, Hafer, Gerste, Reis, Mais, Zuckerrohr. Sie verbreiten ihre Pollen grösstenteils durch Wind. Bananengewächse, für deren Bestäubung Tiere wie z.B. Fledermäuse und Kolibris verantwortlich sind. Liliengewächse, wie z.B. Tulpen, Spargel, Schnittlauch, Porree, Knoblauch, Küchenzwiebel und Graslilie. Sie werden meist von Insekten bestäubt. Zu den mehrheitlich von Insekten bestäubten zweikeimblättrigen Pflanzen gehören: • • • • 14 Kreuzblütengewächse, wie z.B.: Kohl, Rettich, Raps, Senf, Kresse, Meerrettich Schmetterlingsblütengewächse, wie z.B.: Robinie, Ginster, Lupine, Erbse, Klee, Bohne und Linse Lippenblütengewächse, wie z.B.: Majoran, Bohnenkraut, Pfefferminze, Thymian, Salbei und Lavendel Doldengewächse, wie z.B.: Petersilie, Dill, Fenchel, Kümmel, Möhre und Sellerie • • . )nsekten bestäuben Pflanzen Rosengewächse, wie z.B.: Rose, Fingerkraut, Erdbeere, Himbeere, Brombeere, Birne, Apfel, Pflaume und Kirsche Korbblütengewächse, wie z.B.: Aster, Margerite, Salat, Sonnenblume, Kamille, Löwenzahn und Schafgarbe Zusätzlich sind als weitere Familie die Nachtschattengewächse zu nennen, zu deren bekannten Arten z.B. Kartoffeln, Tomaten, Kürbisgewächse und Tabak zählen. Die wichtigsten tierischen Pflanzenbestäuber sind die )nsekten. Das für Nutzpflanzen bedeutendste )nsekt ist die Europäische (onigbiene (Apis mellifera).11 Zusammen mit anderen Honigbienen und Wildbienen (25.000 bis 30.000 Arten) bestäubt sie die meisten Pflanzenarten.12 Zusätzlich sind über 150.000 Fliegenarten sowie Tagfalter, Motten, Käfer und Mücken mit Pollentransporten beschäftigt. Die Blüten des Kakaobaums stehen beispielsweise so eng, dass nur die kleinen Bartmücken (Ceratopogonidae) sie bestäuben können. Aber auch Wirbeltiere wie Fledermäuse und nicht-fliegende Säugetiere wie Affen, Ratten, Eichhörnchen und diverse Bärenarten wie z.B. Nasenbären und Vögel wie Kolibris, Nektarvögel aus der Gruppe der Sperlinge sowie einzelne Papageienarten übertragen Pollen auf andere Pflanzen.13 So wird z.B. die in den Tropen wichtige und weit verbreitete Futter- und (eilpflanze der Juckbohnen Feijoa ausschliesslich von Vögeln bestäubt. Der in Asien wegen seiner Frucht geschätzte Durianbaum kann sich mit der Bestäubungshilfe von Fledermäusen vermehren. 1.1.3 Fliegen, die unbekannten Bestäuber14 Die Fliegen (Brachycera) werden vorwiegend nicht als Bestäuber wahrgenommen. Dabei wirken sich ihre besonderen Merkmale im Vergleich zu den Bienen direkt positiv auf die Bestäubungsleistung aus: • Aufgrund ihrer geringeren Grösse brauchen sie weniger Platz zum Landen und zum Eindringen in die Blüte. So bestäuben Fliegen eine Vielzahl von kleinen, unscheinbaren Pflanzen auf dem Waldboden. 15 1 Insekten als Nützlinge • • Fliegen sind nicht so temperatursensibel wie Bienen und bestäuben deswegen vor allem dort Pflanzen, wo Bienen weniger oder gar nicht vorkommen. Beispiele hierfür sind kühle, arktische und alpine Regionen. Fliegen benötigen grundlegend weniger Energie als Bienen und können deswegen aktiver sein. Studien zeigen, dass in gewissen Regionen Fliegen mindestens so viele Pflanzen bestäuben wie die Bienen. )n kühleren Regionen bieten Pflanzen den Fliegen sogar einen Wärmeschutz an. Die Blüten haben eine um etwa fünf Grad höhere Temperatur als die Umgebung. Die Fliegen besuchen die Blüte, wärmen sich auf und fliegen direkt zur nächsten Pflanze. )m Ergebnis kommt es so zu einer besonders hohen Bestäubungsleistung. Fliegen fühlen sich auf und in den grossen Blüten der Pflanzen wohl. Oftmals suchen sie spezifische Pflanzen auf, um sich zu paaren. Als Nebenprodukt erfolgt eine intensive Bestäubung. Mehr als 100 Früchte sind massgeblich von der Bestäubung der Fliegen abhängig. So werden z.B. die protein- und vitaminreichen Beerenfrüchte der Papayapflanze in Nordamerika hauptsächlich von Dung- und Aasfliegen bestäubt. Fliegen, insbesondere die Schwebfliegen Syrphidae), sorgen für die Enwicklung wirtschaftlich relevanter tropischer Früchte wie Mango, Paprika oder Pfeffer. Auch Fenchel, Koriander, Kümmel, Küchenzwiebeln, Petersilie und Karotten gäbe es ohne Fliegen nicht in den uns bekannten Formen und Mengen. Früchtetragende Pflanzen aus der Familie der Rosen werden auf der westlichen Halbkugel zumindest teilweise von Fliegen bestäubt: Äpfel, Birnen, Kirschen, Aprikosen, Erd- und diverse andere Beerenarten. Studien in Europa zeigen, dass Fliegen sogar bis zu 80 Prozent aller Pflanzen aufsuchen. 16 . )nsekten bestäuben Pflanzen Die Landwirtschaft nutzt das Bestäubungspotential der Fliegen mittlerweile aktiv: Die Kaisergoldfliege Lucilia caesar) wird kommerziell gezüchtet und zur Pflanzenbestäubung vor allem in Saatzuchtbetrieben eingesetzt.15 Sie bestäubt vornehmlich Blumenkohl, Kopfsalat, Karotten, Spargel und Zwiebeln. 1.1.4 Der Wert der Insektenbestäubung Zahlreiche Pflanzen sind auf )nsekten angewiesen und damit auch die meisten Tiere, die Lebens- und Futtermittelproduktion sowie das gesamte Funktionieren von Ökosystemen.16 Die Fakten zur Bestäubungsleistung der Insekten belegen dies eindrucksvoll:17 • • • • • Prozent aller Wildpflanzen weltweit profitieren von )nsekten.18 Prozent aller Fruchtpflanzen in Europa werden von )nsekten bestäubt.19 Prozent aller Kulturpflanzen weltweit wachsen mit der Unterstützung von Insekten. Prozent der wichtigsten Fruchtpflanzen der Welt können ohne Insekten nicht reifen.20 Prozent aller Nutzpflanzen für Lebensmittel weltweit werden von Insekten bestäubt.21 Berechnet man den Wert aller Kulturpflanzen, die auf )nsektenbestäubung angewiesen sind, so kann der ökonomische Wert der Bestäubungsleistung mit über 320 Milliarden US-Dollar angegeben werden. Dieser Wert ist in den letzten zwei Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen, Anfang der 1990er Jahre betrug er noch knapp 200 Milliarden US-Dollar.22 Fragt man sich jedoch, wie viel Aufwand betrieben werden muss, um die Bestäubungsleistung alternativ ohne Insekten zu betreiben, so ist der Wert sehr viel höher. In Südamerika und Asien werden bereits aufgrund des Fehlens von )nsekten Pflanzen per (and bestäubt. Ohne die Bestäubung würde der gesamten Tierwelt ihre Hauptnahrungsquelle entzogen. Der Tierbestand würde sich erheblich reduzieren, so dass es zu einer starken Verschiebung des ökologi- 17 1 Insekten als Nützlinge schen Gleichgewichts käme. Die Folgen und die daraus entstehenden Kosten für den Menschen wären immens, vor allem für die Sicherung der Lebensmittelversorgung: Nicht nur würden die Preise für viele pflanzliche Lebensmittel steigen.23 Es gäbe auch viel weniger Fleisch, weil sich z.B. Rinder und Schafe von Luzerne und Klee ernähren, die von Insekten bestäubt werden.24 In einer Langzeitstudie konnte nachgewiesen werden, dass die landwirtschaftliche Produktion ohne Insekten zwischen fünf und acht Prozent zurückgehen würde. Dieser Rückgang erscheint nicht drastisch, weil die meisten Pflanzen nicht ausschliesslich auf )nsekten als Bestäuber angewiesen sind. Nur ca. zehn Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktion sind exklusiv von Insekten abhängig.25 Die drei wichtigsten Pflanzen Reis, Mais und Weizen sind nicht auf die Bestäubung von Insekten angewiesen. Zusätzlich muss erwähnt werden, dass die durch Insekten bestäubten Pflanzen besonders nährstoff- und vitaminhaltige Lebensmittel hervorbringen. Ein Fernbleiben der Insekten würde sich daher unmittelbar auf unsere Ernährung und Gesundheit auswirken.26 Fehlen die )nsekten, werden die Pflanzen nicht mehr bestäubt und können sich nicht mehr oder weniger gut vermehren. Damit würden auch die Dienstleistungen fehlen, die Pflanzen für die Umwelt erbringen:27 • • • • • • • Nahrung für Insekten, Vögel, Säugetiere usw. Beitrag zur Biodiversität Hochwasser- und Erosionsschutz Klimaregulierung Wasserreinigung Stickstofffixierung Kohlenstoffbindung Die Bestäubung wirkt sich somit auf die gesamte Umwelt aus. Sie ist eine entscheidende Ökosystemleistung. 18 . )nsekten beschleunigen das Wachstum der Pflanzen 1.2 Insekten beschleunigen das Wachstum der Planzen Insekten wirken als Wachstumsbeschleuniger. Sie produzieren Dünger, bauen schädliche Substanzen ab und kultivieren die Böden. Das Zusammenwirken von Pflanzen, bodengebundenen Tieren und Mikroorganismen fördert massgeblich die biologische Verwitterung der Böden.28 Die Pflanzen, die zum grossen Teil von )nsekten bestäubt werden, dringen mit ihren Wurzeln in Spalten ein und lockern den Boden. Nach der Blüte fallen die Pflanzenblätter und anderes abgestorbenes Material wie Nadeln und Zweige auf den Boden, wo es von Tieren, hauptsächlich Insekten, zerkleinert wird. Das Material wird entweder gefressen oder zum Nestbau eingesetzt (Primärverwerter). Die Exkremente der Erstverwerter werden von Sekundärverwertern aufgenommen und wiederum ausgeschieden. Die mehrmalige Weiterverwertung findet immer tiefer im Boden statt, bis Mikroorganismen und Pilze den finalen Abbau der Materie vornehmen und durch Mineralisierung anorganische Verbindungen entstehen, die wiederum als Nährstoffe für die Pflanzen dienen. Auf einem Quadratmeter Waldboden wirken in der Regel zwei Millionen Organismen, darunter ca. 50.000 Insekten.29 Zu den bodengebundenen Insekten gehören vor allem:30 • • • • Käfer, wie Laufkäfer, Zwergkäfer und Rüsselkäfer Geradflügler, wie Grillen Maulwurfsgrille Zweiflügler, wie Larven von Schnaken und Mücken (autflügler, wie Wegwespen, Bienen und Ameisen Den Ameisen kommt bezüglich der Bodenkultivierung eine besondere Rolle zu. Ihre Nester sind mit 500.000 bis 800.000 Tieren relativ gross. Sie lockern und durchlüften die Böden durch den Nestbau, zerkleinern Material, machen es damit zugänglich für kleinere Organismen und scheiden stickstoffreiche Exkremente aus, weil sie sich hauptsächlich von Insekten ernähren. Starke Ameisenvölker können bis zu 100.000 Insekten pro Tag vertilgen. 19 1 Insekten als Nützlinge Exkremente sind für die Pflanzen der beste Dünger. Man konnte feststellen, dass der Kot von Insekten in Waldböden bis zu fünf Prozent des Kohlenstoffs, Kaliums, Stickstoffs, Natriums und Calciums sowie mehr als acht Prozent des Phosphors ausmachen.31 1.3 Insekten stärken die Biodiversität Nur eine vielgestaltige Natur ist auch eine resistente Natur. Als die mit über einer Million Arten grösste Tierklasse der Welt tragen Insekten massgeblich zur Biodiversität auf unserem Planeten bei. «Die biologische Vielfalt – der Ökosysteme, Arten und Gene – ist das natürliche Kapital der Erde. Mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen wie Nahrungsbereitstellung, CO2-Abscheidung sowie Meeres- und Wasserregulierung, die die Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand, soziales Wohlbefinden und Lebensqualität bilden, ist sie ein wesentliches Element der nachhaltigen Entwicklung. Der Verlust an biologischer Vielfalt stellt neben dem Klimawandel die grösste globale Umweltgefährdung dar und führt zu beträchtlichen Wirtschafts- und Wohlfahrtsverlusten.»32 In den letzten Jahrzehnten hat die biologische Vielfalt erheblich abgenommen. Weltweit verschwinden jedes Jahr mehrere Tausend Tier- und Pflanzenarten:33 • • • • • Von 1970 bis 2006 ist der gesamte Bestand von Wirbeltieren um ein Drittel gesunken.34 Von 1980 bis heute sind die Vogelbestände in Europa um 50 Prozent zurückgegangen. Über 40 Prozent aller Vögel sowie aller Amphibien sind gefährdet. Ein Viertel aller Pflanzen ist vom Aussterben bedroht.35 Weltweit ist heute knapp ein Drittel der von der Weltnaturschutzorganisation ermittelten Arten gefährdet. In Deutschland sind 26 Prozent der rund 3.000 Farn- und Blütenpflanzen und Prozent der einheimischen Tierarten gefährdet.36 Von den bewerteten Wirbeltieren stehen sogar 43 Prozent auf der 20 1.4 Insekten verbinden die Nahrungskette Roten Liste der gefährdeten Arten.37 Der in Deutschland vom Bundesamt für Naturschutz herausgegebene Indikator für Artenvielfalt zeigt, dass die Artenvielfalt von 1970 bis 2010 um mehr als 35 Prozent abgenommen hat.38 Die Geschwindigkeit des in den letzten Jahren eingetretenen Artensterbens übersteigt bei Weitem die natürliche Erhaltungsrate. Die Vereinten Nationen schätzen eine 100- bis sogar 1000-fache Überhöhung.39 Für die notwendige Stärkung der biologischen Vielfalt und damit der Vitalität der Natur spielen die Insekten eine herausragende Rolle. Insekten sind klein, sehr beweglich, vermehren sich schnell, sind besonders anpassungsfähig und können praktisch in jede ökologische Nische vordringen. Zusammen mit ihrem Artenreichtum verfügen sie deswegen im Vergleich zu allen anderen Tieren und Pflanzen über einzigartige Voraussetzungen, die Biodiversität massgeblich zu beeinflussen. Insekten halten den Kreislauf von Ernährung, Verdauung und Verwesung im Gleichgewicht. Sie bauen Substanzen ab, die für andere Lebewesen schädlich sind. Und sie stacheln Flora und Fauna an, mit immer besseren Strategien auf die Intelligenz der Insekten zu antworten. Insekten können deswegen als Schlüsselelement für die Biodiversität gesehen werden. 1.4 Insekten verbinden die Nahrungskette Insekten sind ein wichtiges Element der Nahrungskette, wobei man besser von Nahrungsnetzen spricht. Die trophischen Beziehungen zwischen den Organismen sind nicht linear. Vielmehr ergeben die Interaktionen der einzelnen Beteiligten (wie Räuber, Parasiten, Nahrungsquellen und Konkurrenten) in der Lebensgemeinschaft ein komplexes Netz von Abhängigkeiten.40 )nsekten beeinflussen deshalb massgeblich die Abundanz und Artenvielfalt anderer Lebe21 1 Insekten als Nützlinge wesen. Sie sind Hauptnahrungsquellen von sehr vielen Tierarten und gleichzeitig Prädatoren von anderen Insekten und Mikroorganismen niedrigerer Trophieebenen. Die meisten Wirbeltiere wie Vögel, Süsswasserfische, Reptilien und Amphibien sowie diverse Säugetiere sind bei der Ernährung auf Insekten angewiesen. Bei den Vögeln sind vor allem die insektivoren Sperlingsvögel, zu denen Singvögel wie Schwalben, Drosseln, Meisen und Kleiber gehören, ausgesprochene Insektenliebhaber: Diese in ganz Europa und Russland heimischen Vögel leben bis zu 100 Prozent von Insekten. So ernährt sich z.B. der Mauersegler von mehr als 500 )nsektenarten wie Blattläusen, (autflüglern wie Bienen und Ameisen, Käfern, Fliegen und von Spinnentieren. Fütternde Brutpaare sammeln für ihre Jungtiere pro Tag bis zu 40.000 Insekten.41 Auch die Drosseln kümmern sich intensiv um ihren Nachwuchs. In den ersten zwölf Lebenstagen werden die Nestlinge mit etwa 150 Insektenfütterungen pro Tag bedient. Die kleinen Drosseln nehmen in dieser Zeit jeden Tag fünf Gramm zu, was einer benötigten Nahrung von über 1.000 kleinen Insekten pro Tag und pro Tier entspricht.42 Die ausgewachsenen Tiere verspeisen für ihre eigene Versorgung ca. zehn Prozent ihres Körpergewichtes und damit weit über 1.000 Insekten pro Tag. Selbst Käfer, die über eine harte Chitin-Aussenhaut verfügen, können von den Nestlingen verzehrt werden. So mischen z.B. die Meisen ihren Jungtieren kleine Steinchen in die Nahrung, die den Chitin-Panzer der Käfer zerreiben.43 Bis zu 97 Prozent besteht die Nahrung von Meisen und anderen Singvögeln von Frühjahr bis Anfang Sommer aus )nsekten, danach ziehen sie Pflanzensamen vor.44 Ganz besondere Insekten-Gourmets sind die Spechte.45 So ernährt sich z.B. der Dreizehenspecht praktisch ausschliesslich von Borkenkäfern, von deren Larven er im Winter über 3.000 pro Tag verzehrt. Zu Ameisen haben vor allem Grünspechte eine ganz besondere Beziehung: Die Vögel setzen sich regelmässig auf ihre Haufen, wo sie sich mit Ameisensäure bespritzen lassen und die Insekten aufnehmen, um sich mit ihnen die Flügel und andere Körperteile einzureiben. Ameisensäure wirkt desinfizierend, man geht deswegen davon aus, dass sich die Spechte damit vor Bakterien schützen wollen. 22 1.4 Insekten verbinden die Nahrungskette Ameisen sind auch die Hauptnahrung für die Aufzucht, vor allem für den Grünspecht. Der Appetit der Nestlinge ist enorm. Der durchschnittliche tägliche Nahrungsbedarf pro Tier beträgt: • • • 1.-10. Tag: 15 Gramm 10.-20. Tag: 39,5 Gramm 20.-30. Tag : 49,3 Gramm Sieben Jungspechte verzehren so in ihren ersten 30 Lebenstagen die erstaunliche Menge von 1, 5 Millionen Ameisen und deren Puppen.46 Auch im Winter lässt der Hunger nicht nach: Dann gräbt der Grünspecht bis zu 85 Zentimeter lange Gänge, um an das Innere von Ameisenhaufen zu gelangen. Der Saftlecker-Specht in Nordamerika dagegen kommt einfacher zu seiner Beute. Die Spechte hacken solange Löcher in die Bäume, bis durch die Verletzung des unter der Rinde liegenden, saftführenden Bastes Flüssigkeit austritt. Die Spechte warten ein wenig und lecken dann den zuckerhaltigen und klebrigen Saft auf, der sich mittlerweile mit Insekten wie Fliegen und Mücken angereichert hat. Im Wasser spielen Insekten ebenfalls eine zentrale Rolle. Bis zu 90 Prozent besteht die Nahrung von Süsswasserfischen aus )nsekten.47 Das gilt selbst für räuberische Arten wie Forelle, Lachs und Barsch, die sich als ausgewachsene Tiere von Fischen ernähren. In den ersten Monaten nehmen sie neben Zooplankton fast ausschliesslich Insektenlarven der Zuckermücken, Eintagsfliegen und Köcherfliegen zu sich.48 Die Abbildungen 5a und 5b illustrieren die Nahrungspräferenzen von Fischen in Abhängigkeit ihrer Grösse.49 Das Beispiel der Lachsart Lavaret zeigt, dass Fische auch zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Entwicklung zu Insektenliebhabern werden. Allein für die USA wurde errechnet, dass der ökonomische Wert der Insekten für die Fischerei mindestens 224 Millionen US-Dollar beträgt. So hoch ist der Umsatz, der mit den gefangenen Süsswasserfischen pro Jahr erzielt wird.50 23 1 Insekten als Nützlinge Amphibien verbringen ihr Larvenstadium im Wasser, wo sie sich hauptsächlich von Insektenlarven ernähren. Der in ganz Europa endemische Feuersalamander ernährt sich z.B. zu einem Drittel von Insekten.51 Der Alpensalamander jagt sogar bis zu einer Höhe von 2.500 Metern Ameisen.52 Dabei können Amphibien selbst zum Opfer von )nsekten werden. So greifen Larven von Grosslibellen, Köcherfliegen und anderen grossen Insekten die Larven von Fröschen an.53 Die überlebenden Frösche ernähren sich später als ausgewachsene Tiere fast nur von Insekten.54 Sie sind dabei nicht wählerisch. Seefrösche ernähren sich z.B. innerhalb eines Tages von diversen Zweiflüglern (Dipteren sowie von Laufkäfern, Ameisen, Rüsselkäfern, Maikäfern, Hornissen und Spinnen. Biologen beobachteten sogar, wie ein Frosch nacheinander 19 grosse Mehlkäferlarven vertilgte.55 Laubfrösche fressen zusätzlich Wespen und Bienen sowie Ameisen.56 Im Kothaufen eines Laubfrosches wurden einmal 117 Ameisenköpfe gezählt.57 Schliesslich ernähren sich auch viele Säugetiere von Insekten, wie z.B. Igel, Maulwürfe und Spitzmäuse, die als „Insektenfresser“ in einer eigenen Ordnung zusammengefasst sind. So besteht z.B. die Nahrung von Maulwürfen in regenwurmschwachen Gebieten wie Kiefernwäldern aus bis zu 90 Prozent Insektenlarven von Käfern wie Bockkäfern oder Zweiflüglern wie Schnaken und Fiebermücken.58 Da der tägliche Nahrungsbedarf eines ausgewachsenen Maulwurfes ca. 50 Gramm Biomasse beträgt, verzehrt das Tier dort mehrere 10.000 Insekten pro Tag.59 Europäische Fledermäuse ernähren sich ausschliesslich von Insekten, Spinnen und anderen Arthropoden. Sie benötigen täglich zwischen 20 und 30 Prozent ihres Körpergewichts an Nahrung, was bei der Grossen Hufeisennase bis zu 5.000 ausgewachsenen Mücken entspricht.60 Die Fledermäuse jagen ihre Beute nachts in einer Höhe von 0,5 bis acht Metern und ernähren sich fast ausschliesslich von Zweiflüglern Diptera) wie Fliegen und Mücken, Schmetterlingen (Lepidoptera , Netzflüglern Neuroptera wie Florfliegen und Ameisenjungfern sowie von Staubläusen (Psocoptera).61 24 1.4 Insekten verbinden die Nahrungskette A: Lota lota. Wahrscheinlichkeit (%) der Nahrungsaufnahme 100 Insektenlarven Fisch 75 50 25 0 140 150 160 170 180 190 200 210 220 230 240 250 260 270 Länge (mm) a: Die Quappe (Lota lota) Wahrscheinlichkeit (%) der Nahrungsaufnahme 100 Insektenlarven Plankton Weichtiere 75 50 25 0 120 140 160 180 200 220 240 260 280 300 320 340 Länge (mm) b: Der Lavaret (Coregonus Lavaretus) Abb. 5a und 5b: Anteil unterschiedlicher Nahrung von Fischen in Abhängigkeit von der Körpergrösse. (Quelle: Capinera, J. L. : )nsects and Wildlife. Arthropods and their Relationships with Wild Vertebrate Animals. Oxford: Wiley-Blackwell, S. 152 ff.) 25 1 Insekten als Nützlinge 1.5 Insekten bilden das wichtigste Element der Ernährung Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) forscht bereits seit 2003 zur Ernährung mit Insekten. 62 Sie beschreibt die Insekten in ihrem Gutachten von 2013 als einen wesentlichen Beitrag zur weltweiten Nahrungssicherung, zur Einkommenssicherung vor allem in den Entwicklungsländern sowie zur Verbesserung der allgemeinen Umweltsituation.63 1.5.1 Insekten als Lebensmittel Im Vergleich zum Fleisch anderer Tiere belasten Insekten die Umwelt weniger. Ihre Produktion benötigt weniger Futtermittel und stösst weniger klimaschädliche Gase aus. Die FAO hat beispielsweise errechnet, dass Insekten aus zwei Kilo Futter ein Kilo Insektenmasse generieren, Rinder dagegen benötigen achtmal so viel. Schweine verursachen zehn- bis hundertmal mehr Treibhausgase als Mehlwürmer. Insekten brauchen viel weniger Wasser und lassen sich effizienter züchten. Daher kann )nsektenzucht zur Einkommensquelle für ärmere Menschen werden, auch in trockeneren Regionen. Die Tiere sind damit von entwicklungspolitischem Interesse. Insekten gelten als sehr gesunde Nahrungsmittel. Sie sind reich an Proteinen, Vitaminen und Nährstoffen und beinhalten viele Ballaststoffe und Mikronährstoffe, wie z.B. Eisen und Magnesium, und sehr wenig Fett.64 So haben z.B. Mehlwürmer oder Grüne Ameisen pro 100 Gramm zwischen 200 bis 1.200 Kalorien, viele andere essbare Insekten bestehen zu 20 bis 75 Prozent aus Protein.65 Je nach Insektenart können 100 Gramm den Tagesbedarf eines 25 Jahre alten Mannes teilweise decken: Kalium 25 Prozent, Natrium 65 Prozent, Calcium 15 Prozent, Phosphor 80 Prozent und Magnesium 35 Prozent.66 Zudem konnten die Vitamine A, B1, B2 und E bei zahlreichen Insekten nachgewiesen werden. Im direkten Vergleich zwischen bereits heute industriell gezüchteten Mehlwürmern und Rindern schneiden die )nsekten als effizientere Nahrungsalternative ab: Rindfleisch beinhaltet zwar zehn Prozent 26 1.5 Insekten bilden das wichtigste Element der Ernährung mehr Protein, aber auch 20 Prozent mehr Fett. Mehlwürmer dagegen sind reicher an Vitaminen und Mineralien wie Kupfer, Sodium, Kalium, Eisen und Zink.67 Bereits seit über 2.000 Jahren dienen Insekten als Lebensmittel. Mehr als 1.900 unterschiedliche Insekten werden heute in Südasien, Südamerika und Afrika von rund zwei Milliarden Menschen verzehrt. Essbare )nsekten finden sich dabei auch in Europa, so z.B. in Frankreich, Italien und Spanien.68 1.5.2 Insekten als Futtermittel Die Welternährungsorganisation FAO hat errechnet, dass die Menschheit im Jahr 2050 etwa 70 Prozent mehr Lebensmittel als heute nachfragen wird.69 Das erfordert gleichzeitig ein grösseres Angebot an Fleisch, Geflügel und Fisch. Die Zuchtbetriebe brauchen mehr Futtermittel, also mehr Getreide, Fischmehl, Fischöl und Sojabohnen. Diese werden jedoch immer knapper, weshalb die Preise steigen. Bereits heute verursacht das Futtermittel 60 bis 70 Prozent der gesamten Herstellkosten. In den letzten zehn Jahren verdoppelten sich die weltweiten Preise für Getreide und Fischmehl. Der internationale Grosshandelspreis für das wichtige Basisprodukt Fischmehl ist in den letzten zehn Jahren um 250 Prozent auf 1.764 US-Dollar pro Tonne gestiegen.70 Die FAO rechnet mit einem weiteren Anstieg der Preise. Entsprechend dringend ist die Suche nach Alternativen. Insekten können dabei eine wesentliche Rolle als Futterersatz oder -ergänzung für Fische und andere Tiere übernehmen. Studien konnten nachweisen, dass z.B. Seidenwürmer (Anaphe panda), Mehlwürmer (Tenebrio molitor) und Heuschrecken (z.B. Oxya fuscovittata und Acrida exaltata) Futtermittel wie Fischmehl und Sojabohnen ersetzen können.71 Besonders in der Geflügelwirtschaft werden (euschrecken z.B. Grillen), Schaben, Käfer, Fliegen und viele weitere Insekten der Tiernahrung beigemischt. In Afrika und vor allem in Asien sind die Larven der gewöhnlichen Stubenfliege Musca domestica) weit verbreitet: Diese bestehen aus 54 Prozent reinem Protein und können so bei der 27 1 Insekten als Nützlinge Zucht von Hühnern das teure Fischfutter ersetzen. Studien konnten nachweisen, dass die Fütterung mit Larven die Fleischqualität und das Wachstum der Hühner um bis zu 15 Prozent steigern72 und den Einsatz von Medikamenten reduzieren konnte.73 Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechnet damit, dass der Konsum von Fisch den von Fleisch und Geflügel – ausser in Afrika – sogar übersteigen wird. Dieser Entwicklung steht die begrenzte Fangmenge in natürlichen Gewässern entgegen. Der kritische Mindestbestand an Fisch für eine Regenerierung ist heute bereits erreicht. Die jährliche Fangmenge bewegt sich seit den 1990er Jahren konstant auf einem Niveau zwischen 85 und 90 Millionen Tonnen. Die OECD prognostiziert einen leichten Anstieg bis zum Jahr 2022 auf 95 Millionen Tonnen.74 Insekten kommt für die weltweite Fischversorgung eine Schlüsselrolle zu. Meerestiere bevorzugen in natürlicher Umgebung Insekten und andere Arthropoden als Nahrung. Vor allem Larven, Wanzen und Flöhe sowie Würmer stehen auf dem Speiseplan. Insekten spielen aber eine noch grössere Rolle in der wachsenden Aquakultur (vgl. Abbildung 6). Diese kontrollierte Aufzucht von Fischen, Muscheln, Krebsen und anderen aquatischen Tieren in künstlich angelegten Gewässern konnte sich aufgrund der gesetzlichen Verbote für eine Vergrösserung der Fangmengen seit den 1980er Jahren stark entwickeln. In den letzten 30 Jahren wuchs sie durchschnittlich um rund acht Prozent.75 Während man Anfang der 1990er Jahre 17 Millionen Tonnen in Aquakultur züchtete, waren es im Jahr 2000 bereits 32 und 2012 etwa 63 Millionen Tonnen, davon allein über 80 Prozent in Asien. Die OECD rechnet für das Jahr 2022 mit ca. 81 Millionen Tonnen. Das entspricht dann der Hälfte des gesamten Fischverbrauchs, den man auf 161 Millionen Tonnen schätzt. Bereits heute liegt der Anteil von gezüchtetem Fisch bei über 40 Prozent.76 Die OECD erklärt die Aquakultur deshalb zu einer wesentlichen Quelle für die menschliche Ernährung.77 Aufgrund ihres hohen Nährwertes und der relativ billigen Beschaffung sind Insekten in der Aquakultur als Futtermittel beliebt. Um sie anzulocken, hängt man z.B. Lampen über Gewässern auf.78 28 1.5 Insekten bilden das wichtigste Element der Ernährung Abb. 6: Die Aquakultur ist eine wichtige Quelle für die menschliche Ernährung. Bild: CC by )vanWalsh.com Abb. 7: Mediales Aufsehen in Thailand: Die Wespe Anagyrus lopezi soll die landwirtschaftlich desaströse Maniokschmierlaus in Zaum halten. Bild: CC by C)AT, flickr.com 29 1 Insekten als Nützlinge 1.6 Insekten helfen wesentlich bei der Hygiene Was passiert mit den Kuhfladen auf unseren Weiden? )nsekten, die sich von Kot ernähren und sich so um die Misthaufen kümmern, nennt man Koprophagen. Die einen legen ihre Eier direkt in den Kot und leben dort, andere graben bis zu zehn Zentimeter tiefe Stollen und ziehen mit dem Kot dort ein. Blatthornkäfer (Scarabaeidae) bringen ihn viele Meter weit weg, um ihn geschützt vor Konkurrenten in Ruhe zu verwerten. Doch selbst für auf Kot spezialisierte Insekten kam die Einführung der Landwirtschaft im 18. Jahrhundert zu schnell: Grosse Probleme entstanden, weil sich der Import von Nutztieren und die Viehzucht schneller als die Insekten entwickelten und damit auch die Misthaufen. So brauchte z.B. Australien ein amtliches «Misthaufen Käfer Projekt», um unterschiedliche, auf Kuhfladen spezialisierte )nsekten aus Südafrika, Europa und Hawaii zu importieren und damit der Lage wieder Herr zu werden.79 Christopher O’Toole berechnete Ende der 1990er Jahre, dass in Australien jedes Jahr ohne Insekten Misthaufen in der Grösse von 1,2 Millionen Quadratkilometern entstehen würden.80 Pro Tag kann eine Kuh ein Dutzend Kuhfladen produzieren, was einem Gewicht von knapp 5.000 Kilogramm pro Jahr entsprechen würde.81 Wie würde unsere Welt aussehen, wenn wir keine Koprophagen hätten? Und wie viel Geld würde die Entfernung und Entsorgung dieses Sondermülls kosten? Mücken und Fliegen reinigen unser Wasser. Die weit verbreiteten Stechmücken aus der Familie Culicidae brauchen für ihre Entwicklung feuchte Gebiete. Die Larven filtern Nahrungspartikel aus dem Wasser und tragen dadurch erheblich zur Verbesserung der Gewässerqualität bei.82 Die Larven von Eintagsfliegen der Gattung Hexagenia kümmern sich um die Bodenbeschaffenheit in Gewässern: Sie graben grössere Gänge, bringen dabei verseuchtes Material und Wasser in den Boden und 30 1.7 Insekten wirken als preiswerte Biozid-Alternativen unterirdisches, gereinigtes Material nach oben. Mit der Durchmischung bauen sie Giftstoffe ab und verbessern so die Wasserqualität.83 Auch Sondermüll ist kein Problem für Insekten. Die Larven der schwarzen Soldatenfliege (Hermetia illucens), die wegen ihres hohen Calciumgehaltes als wertvolle Nahrung gelten, bauen sensible Stoffe wie Nitrogen (über 70 Prozent), Phosphor (52 Prozent) und andere Stoffe wie Aluminium, Chrom und Blei bis zu 93 Prozent ab und wandeln diese sogar in eine hochwertige Biomasse um.84 Schmeissfliegen verfügen wie nur wenige Insekten über das Enzym Kollagenase, mit dem sie auch die hartnäckigsten Stoffe abbauen können. Kleidermotten, Pelz- und Speckkäfer bilden das Enzym Keratinase, das Proteine wie Haut, Haare und Nägel zersetzt.85 1.7 Insekten wirken als preiswerte Biozid-Alternativen Insekten können sehr gut für die Insektenbekämpfung eingesetzt werden (vgl. Abbildung 7). Das wussten bereits vor über 2.000 Jahren die Landwirte in China.86 Sie hängten Nester von Weberameisen der Art Oecophylla smaragdina in ihre Zitrusbäume, um pflanzenfressende Insekten, wie z.B. die Schildwanze, fernzuhalten oder zu bekämpfen. Die Weberameisen sind besonders gute Abwehrspezialisten: Mit über 30 nervenwirksamen Stoffen verfügen sie über sehr spezielle Alarmpheromone und reagieren mit besonderer Wachsamkeit und erhöhter Beissbereitschaft. Aufgrund der natürlichen Abhängigkeiten in einem Ökosystem werden Insekten in der Regel erst dann zur Plage, wenn von aussen eingegriffen wird oder fremde Insekten eindringen. Gebietsfremde Insekten können mit ihren natürlichen Feinden bekämpft werden, die man zuvor aus dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet importiert. Diese Art der biologischen Insektenbekämpfung wurde erstmals über eine grössere Distanz im Jahr 1762 angewendet. Damals führte man für die Bekämpfung von Heuschrecken auf Mauritius den Sperlingsvogel Hirtenstar bzw. Hirtenmaina aus Indien ein.87 31 1 Insekten als Nützlinge Über Kontinente hinweg transportierte man Insekten zur Schädlingsbekämpfung erstmals am Ende des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1885 entwickelte sich die knapp 20 Jahre vorher aus Australien eingeschleppte Wollschildlaus (Icerya purchasi) zur ernsthaften Bedrohung des gesamten Zitrusfrüchte-Anbaus in den USA. In Australien suchte man natürliche Feinde der Laus und fand schliesslich mit dem Marienkäfer Rodolia cardinalis ein geeignetes Insekt. Man importierte einige Tiere, die sich schnell auf schildlausinfizierten Bäumen ausbreiteten. Betroffene Zitrusbauern nutzten die Käfer im ganzen Land. Innerhalb eines Jahres war die Branche gerettet, der Ertrag der Früchte stieg von 700 auf 2.000 Güterwaggons.88 Ein aussergewöhnliches Beispiel aus der Gegenwart ist die Bekämpfung der Maniokschmierlaus (Phenacoccus manihoti) in Afrika.89 Im Jahr 1973 wurde die Schmierlaus unbemerkt auf Maniokstecklingen aus Südamerika nach Zaire eingeführt. Die Laus, die sich pro Jahr bis zu 300 Kilometer weit ausbreitet, wurde schnell zum existenziellen Problem in Zaire. Sie zerstörte 80 Prozent der Ernte der Maniokpflanze, die südlich der Sahara als (auptnahrungsmittel dient. Eine landesweite (ungersnot drohte. Der grossflächige Einsatz von Insektiziden in Zaire und den Nachbarländern verschlimmerte das Problem: Die hohe Toxizität des Wirkstoffes Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) sowie die unsachgemässe Anwendung führten zu zahlreichen Vergiftungsfällen und zu lokalen Umweltzerstörungen. Es hätte zu lange gedauert Manioksorten zu züchten, die gegen die Schmierlaus resistent sind. Als Ausweg kam ausschliesslich die biologische Bekämpfung infrage, für die der Insektenforscher Hans Rudolf Herren gewonnen werden konnte. Nach einer zweijährigen Suche in Südamerika fand Herren in Paraguay die schädliche Schmierlaus und damit auch ihre natürlichen Feinde. Untersuchungen von über zwölf endemischen Marienkäfern und Schlupfwespen, die als mögliche Feinde erschienen, ergaben, dass am besten die Schlupfwespe Anagyrus lopezi zur Bekämpfung geeignet sei. Herren importierte das Insekt und vermehrte es in Gewächshäusern. Von 1982 bis 1992 setzte er in 30 afrikanischen Ländern rund 1,6 Millionen Schlupfwespen frei. Das Maniokprogramm von Hans Herren «bewahrte damit 200 Millionen Menschen ihre wichtigste Nahrungsquelle. Indem die sich anbahnende Hungersnot abgewendet werden konnte, dürfte das 32 1.7 Insekten wirken als preiswerte Biozid-Alternativen Leben von 20 Millionen Menschen gerettet worden sein. Das bisher grösste Programm einer biologischen Schädlingsbekämpfung hat mit einem verhältnismässig bescheidenen Aufwand von 20 Millionen Dollar der afrikanischen Landwirtschaft laut Schätzung der Beratungsgruppe für internationale Agrarforschung CGIAR einen Nutzen von Milliarden Dollar gebracht – eine Bilanz, die im Pflanzenschutzgeschäft einmalig sein dürfte.»90 Der biologische Pflanzenschutz kennt keine Resistenzen, ist preiswert und ökologisch gut verträglich. In den USA sind zu Forschungs- und Bekämpfungszwecken mittlerweile über 2.300 Arten eingeführt worden.91 Auch in Europa gewinnt diese Art der natürlichen Insektenbekämpfung immer mehr an Bedeutung. Wurde Anfang der 1980er Jahre in Deutschland praktisch überhaupt keine biologische Insektenbekämpfung praktiziert, so kommt sie heute in Gewächshäusern auf annährend Prozent der Anbaufläche für Tomaten, Gurken, Bohnen und Salat, bei 20 Prozent des Schnittblumen- sowie 70 Prozent des Topfblumenanbaus zur Anwendung. Bei Freiflächen ist der Anteil deutlich geringer, er beträgt jedoch z.B. bei Mais oder Kernobst ca. 30 Prozent.92 Während der Markt Anfang der 1980er Jahre nur drei Nützlingsarten anbot, werden heute über 50 Insekten speziell zur Insektenbekämpfung gezüchtet und gewerblich vertrieben.93 Die in Deutschland am stärksten verbreiteten Nützlinge sind die Hainschwebfliege Episyrphus balteatus), die Gallmücke Aphidoletes aphidimyza, der heimische Siebenpunkt-Marienkäfer (Coccinella septempunctata), die Grüne Florfliege Chrysoperla carnea) und Schlupf-, Brack- und Erzwespen wie z.B. der Gattung Trichogramma. Neben dem Pflanzenschutz nutzt man )nsekten weltweit verstärkt für den Vorratsschutz. So lässt sich z.B. die Plattwespe Laelius pedatus gegen die weltweit verbreiteten Speckkäfer einsetzen. In tropischen Regionen vernichtet der Khaprakäfer (Trogoderma granarium) bis zu 20 Prozent der Nahrungsvorräte. Die Larven sind besonders widerstandsfähig gegen tiefe Temperaturen und Trockenheit und immer häufiger resistent gegen )nsektizide. Für die Bekämpfung kommt erschwerend hinzu, dass sich die Larven bei günstigen Bedingungen bis zu vier Jahre im Ruhestadium befinden können. )n Europa kommt vermehrt der Kabinett- oder Museumskäfer (Anthrenus museorum) vor, der in Haushalten und Betrieben Wollerzeugnisse aller Art befällt.94 33 1 Insekten als Nützlinge Obwohl Schlupfwespen sehr klein sind, können sie mehrere Zentimeter grosse Raupen bekämpfen. Die vier Millimeter grosse Schlupfwespe Habrobracon hebetor sticht z.B. die 2,5 Zentimeter grosse Mehlmottenlarve, lähmt sie damit und legt ihre Eier an die Aussenhaut. Die schlüpfenden Wespenlarven saugen die Mottenlarve aus und verpuppen sich zu Adulten. Die nur 0,4 Millimeter grosse Schlupfwespe Trichogramma evanescens lässt die Entwicklung von Mottenlarven gar nicht erst zu. Sie legt ihre Eier mittels eines Stiches direkt in die Motteneier. In Europa werden diese beiden zusammen mit den auf Käfer spezialisierten Lagererzwespen Anisopteromalus calandrae und Lariophagus distinguendus industriell gezüchtet und sehr erfolgreich für den Vorratsschutz eingesetzt.95 Lassen sich gegen Unkräuter keine Herbizide spritzen, weil auf den Flächen z.B. Tiere weiden, können den Dienst auch Insekten übernehmen. Ein prominentes Beispiel ist die Bekämpfung von Johanniskraut in den 1940er Jahren in den USA.96 Etwa 8.000 Quadratkilometer hochwertiges Weideland waren mit dem Unkraut bedeckt. Die Tiere verendeten, weil die Blätter des Johanniskrautes das Gift Hypericin enthalten. Es war bekannt, dass sich der australische Blattkäfer Chrysolina quadrigemina ausschliesslich von dieser Pflanze ernährt. Deshalb importierte man 5.000 Käfer aus Australien, die sich schnell vermehrten und die gesamte Fläche unkrautfrei machten. Mit der Investition von einigen Tausend Dollar konnte das Land gerettet und wieder Viehzucht betrieben werden. Insekten können auch präventiv andere Insekten bekämpfen bzw. fernhalten. Spezialisierte Käfer und Fliegen, die sich prioritär von Misthaufen ernähren und damit diese sehr effizient «entsorgen», halten andere Insekten fern, die diese Biomasse nicht so schnell verarbeiten. So z.B. die schwarze Soldatenfliege Hermetia illucens): Sie frisst Misthaufen so schnell auf, dass 94 bis 100 Prozent weniger normale Fliegen hinzukamen als bei einem Zersetzungsprozess ohne die Soldatenfliege.97 Wenige gezüchtete Insekten können viele natürliche Insekten bekämpfen. Eine bekannte Methode ist, sterile Männchen in die Natur zu entlassen, damit sie sich mit natürlichen Weibchen paaren. Die Weibchen können sich nicht vermehren, wodurch sich die gesam34 1.7 Insekten wirken als preiswerte Biozid-Alternativen te Brut reduziert oder eingeht. So konnten z.B. grosse Schäden in den USA und in Mittelamerika abgewendet werden, die durch die Neuwelt-Schraubenwurmfliege Cochliomyia hominivorax) und die Mittelmeerfruchtfliege Ceratitis capitata) drohten.98 Der anthropogene Einsatz gebietsfremder Insekten zur Bekämpfung anderer exotischer )nsekten oder fremder Pflanzenkulturen ist aber auch immer ein Eingriff in ein gewachsenes Biotop. Die eingesetzten biologischen Gegenspieler sollen idealerweise zunächst die Zielorganismen und danach am besten sich selber eliminieren. Überlebt jedoch der eingesetzte Parasit, so sucht er sich andere Nahrungsquellen und verursacht damit ein neues ökologisches Ungleichgewicht. Aufgrund zunächst fehlender Feinde kann er sich dabei schnell entwickeln und entsprechend grosse Schäden anrichten. In den 1950er Jahren importierte die Vereinigung der Zuckeranbauer auf Hawaii regelmässig Schlupfwespen (Ichneumonidae) aus China und den USA. Die Wespen sollten Schmetterlingslarven zurückdrängen, die die Zuckerrohrpflanzen zerstörten. Sie waren erfolgreich, siedelten sich dann aber dauerhaft an und dezimierten weitere Insektenarten. Eine Studie aus den Jahren 1999 und 2000 zeigte, dass rund acht Prozent der über 2.000 gesammelten Schmetterlinge von den parasitischen Wespen befallen waren, die 50 Jahre vorher eingeführt wurden.99 Die natürlichen Gegenspieler werden heute als Hauptgrund dafür gesehen, dass die Anzahl und die Populationen der Schmetterlingsarten auf der ganzen Insel dramatisch zurückgegangen sind. Mit der Reduktion der Insekten ist auch ein Rückgang der Vögel zu verzeichnen, die sich von Schmetterlingslarven ernähren sowie der Hawaiianischen Weissgrauen Fledermaus, die bevorzugt von adulten Motten lebt.100 Noch länger als die Wespen hat sich die Raupenfliege Compsilura concinnata in den USA etabliert. Die im Jahr 1868 aus Europa nach Boston eingeschleppte Schmetterlingsart des Schwammspinners (Lymantria dispar) schädigte die Wälder in Neuengland. Als auch gross angelegte Einsammelaktionen der Insekteneier sowie der Einsatz von Insektiziden nichts halfen, entschied die Landwirtschaftsbehörde im Jahr 1905, natürliche Feinde des Baumschädlings aus seiner (eimat zu importieren. Die Raupenfliege war dafür bekannt, dass 35 1 Insekten als Nützlinge sie besonders auf den Nachtfalter spezialisiert sei und diesen erfolgreich bekämpfen könne. In den USA fühlte sich die Fliege aber wohler als gedacht. Neben den Baumschädlingen interessierte sie sich auch für viele andere Schmetterlingsarten und reduzierte deswegen die Spinnerbestände weniger intensiv. Obwohl neben der Raupenfliege noch weitere neun parasitäre Insekten eingeführt wurden, breitete sich der Schwammspinner weiter in den Süden und den mittleren Westen der Vereinigten Staaten aus und ist bis heute ein bedeutender Pflanzenschädling vgl. Abbildungen und . Die jährlichen Schäden werden auf weit über 100 Millionen US-Dollar geschätzt.101 Es gibt weiterhin keine sichere Bekämpfungsmethode.102 Auch die Raupenfliege fühlt sich bis heute in ihrer neuen Umgebung wohl. Sie ernährt sich von mehr als 180 Schmetterlingsarten und wird für den Rückgang zahlreicher, nicht pflanzenschädigender Schmetterlingsarten mitverantwortlich gemacht.103 Die Zusammenhänge im biologischen Pflanzenschutz können ebenfalls komplex sein. Seit den 1970er Jahren wachsen in Nordamerika zwei Flockenblumenarten (Centaurea maculosa und Centaurea diffusa), welche die Landwirtschaft schädigen. Allein im Bundesstaat Montana waren ca. 80.000 Quadratkilometer mit dem aus Europa stammenden Unkraut befallen.104 Zur Bekämpfung wurden die europäischen Fruchtfliegen Urophora quadrifasciata und Urophora affinis importiert. Die Insekten legten ihre Eier in die Knospen der Pflanzen, ihre Larven frassen dann die Blütenorgane und drängten so das Unkraut erfolgreich zurück. Woran man nicht gedacht hatte: die endemischen Hirschmäuse fanden solchen Gefallen an den ihnen vorher unbekannten Larven, dass ihre Nahrung nun zwischen 50 und 90 Prozent aus den eingeführten Insekten besteht.105 Aufgrund der fehlenden Entwicklung der Insekten ist das Unkraut noch heute ein Problem für die Landwirtschaft. Besorgniserregend ist nun zusätzlich der Anstieg der Mauspopulation: Gegenden mit Fruchtfliegen verzeichnen eine dreimal höhere Dichte von Hirschmäusen.106 Die Mäuse können das für den Menschen gefährliche, hoch ansteckende Hantavirus in sich tragen. In den USA sind seit 1993 über 600 Infektionen mit über 200 Toten gezählt worden.107 Um erfolgreich zu sein, benötigen die biologische Insektenbekämpfung und der biologische Pflanzenschutz umfangreiches 36 1.7 Insekten wirken als preiswerte Biozid-Alternativen Abb. 8: Entlaubung ganzer Landschaften durch Schwammspinner-Raupen (Pennsylvania, 2007). Bild: CC . by Dhalusa, Wikimedia Abb. 9: Die Wespe Aleiodes indiscretus parasitiert eine Schwammspinner-Raupe. Bild: CC by U.S. Department of Agriculture, flickr.com 37 1 Insekten als Nützlinge Wissen über die Insekten, die Pflanzen und das gesamte Biotop, in dem der Einsatz stattfinden soll. Bevor z.B. Hans Herren die in Südamerika endemische Schlupfwespe Anagyrus lopezi in Afrika zur gezielten Bekämpfung der Maniokschmierlaus einsetzen konnte, bedurfte es einer intensiven Vorbereitung. Weil er die Ausbreitung eines allfällig falschen Parasiten verhindern wollte, führte Herren die Untersuchungen zur Frage, welches Insekt am besten geeignet sei, in englischen Treibhäusern durch. Bevor er die ausgewählte Insektenart importierte, züchtete er zunächst in Quarantäne mehrere Generationen, um die Einschleppung von Krankheiten zu verhindern.108 Der Einsatz von Insekten zur biologischen Kontrolle benötigt viel Vorarbeit. Wird jedoch der richtige natürliche Gegenspieler gefunden, ist dessen Einsatz gezielter, wirksamer, preiswerter und umweltverträglicher als der Gebrauch von konventionellen Bioziden. 1.8 Insekten unterstützen Wirtschaft und Gesellschaft Mit ihren vielfältigen Eigenschaften können Insekten als Schlüsselelement für unseren ökologischen und wirtschaftlichen Kreislauf verstanden werden.109 Sie bestäuben nicht nur Pflanzen und bieten ein überzeugendes Futtermittel für Tiere in der Landwirtschaft. Sie sind auch direkt für die menschliche Ernährung geeignet. Ihre Zucht kann in Zukunft die steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln befriedigen und sich darüber hinaus für die traditionelle Landwirtschaft zu einem grösseren Wirtschaftszweig entwickeln. Die Insekten schliessen den Stoffkreislauf, indem sie den durch den menschlichen Konsum entstandenen Abfall verarbeiten und als neue Brutstätten nutzen. Insekten fördern auch die Wissenschaft und unterstützen die Textilproduktion. Sie helfen der Medizin, indem sie Heilpflanzen bestäuben, unser Immunsystem stärken und Wunden heilen. Ausserdem produzieren Insekten Produkte für die Chemie und helfen der Kriminologie, Verbrechen aufzuklären. 38 1.8 Insekten unterstützen Wirtschaft und Gesellschaft Wissenschaft Motten können bis zu 100 mal feiner als wir Menschen riechen, Ameisen können ein Mehrfaches ihres Körpergewichts tragen, Mücken trotzen mühelos der Kraft von grossen Regentropfen und Käfer orientieren sich zuverlässig ohne elektronisches Navigationssystem an den Sternen.110 Die Erforschung der Insekten kann uns Menschen von grossem Nutzen sein. Warum leuchten Glühwürmchen? Können wir uns diesen Prozess zunutze machen? Die Leuchtkäfer der Familie Lampyridae verfügen über ein spezielles Enzym mit dem ihr Luciferin mittels Sauerstoff in Licht umgewandelt wird. Amerikanische Forscher versuchen nun, das Erbgut der Glühwürmchen am Computer nachzustellen, DNA-Stränge auszudrucken und mittels Lasertechnologie so zurechtzuschneiden, dass diese in Pflanzen implantiert werden können. Die leuchtenden Pflanzen sollen dann künstliches Licht einsparen.111 Ameisen, Bienen, Wespen und Termiten leben in Gemeinschaften mit bis zu 800.000 Individuen. Aus der Erforschung der sozialen Lebensgewohnheiten dieser Insekten können wir wertvolle Informationen für ein gutes Miteinander in unserer Gesellschaft generieren.112 Auch als Nutztiere stehen die Insekten der Wissenschaft zur Verfügung. Seit vielen Jahren wird die Taufliege Drosophila melanogaster für genetische Versuche genutzt. Sie ist aufgrund ihrer Grösse im Vergleich zu Laborratten und Meerschweinchen viel effizienter einzusetzen, sie kostet weniger und vermehrt sich schneller.113 Textilproduktion Ohne Insekten würden wir ziemlich nackt dastehen. Das bezieht sich nicht allein auf die Seide, die nur von wenigen Insektarten produziert wird. Ohne die aktive Mitwirkung von Insekten könnte auch die Baumwollpflanze nicht gedeihen. Dasselbe gilt für Lederwaren, denn die Tiere, aus deren Haut wir das Leder gewinnen, sind auf Futterpflanzen angewiesen – und diese wiederum auf die Arbeit von Insekten.114 39 1 Insekten als Nützlinge Seide ist bereits seit über 5.000 Jahre bekannt, das Geheimnis der Herstellung wurde jedoch bis 300 Jahre vor Christus streng von den Chinesen gehütet. Alle Raupen produzieren Seide, aber die Raupe des Seiden- oder Maulbeerspinners (Bombyx mori) beherrscht diese Kunst am besten. In einer Minute kann sie bis zu 800 Meter lange Fäden spinnen, was für sie selbst nichts anderes als das Produzieren von Speichel bedeutet. Seide hat hervorragende Eigenschaften: Sie isoliert und absorbiert sehr gut, sie ist nicht brennbar und sehr reissbeständig. Heute werden jährlich über 90.000 Tonnen Seide von Insekten produziert.115 Medizin Der Mensch nutzt seit Jahrtausenden natürliche Heilpflanzen und Heilkräuter. Die Pflanzen werden direkt angewendet oder zu Nahrungsmitteln oder Medikamenten weiterverarbeitet. Die meisten gesundheitsfördernden Pflanzen kommen nicht ohne die Bestäubung durch Insekten aus. Beispiele dafür sind: Baldrian, Lavendel, Melisse, Eukalyptus, Kamille, Johanniskraut und Salbei. Für einen Grossteil der Erdbevölkerung sind solche pflanzlichen Stoffe die einzigen Medikamente. Vor allem in Entwicklungsländern fehlt es oftmals an finanziellen Mitteln für Medikamente und an einer medizinischen Infrastruktur. In Afrika sind z.B. 80 Prozent der Menschen auf natürliche Heilpflanzen angewiesen.116 Aber auch in vielen anderen Ländern nehmen Heilpflanzen und Kräuter einen hohen Stellenwert ein. So bestehen z.B. in China 30 bis 50 Prozent der gesamten medizinischen Behandlung aus natürlichen Stoffen.117 Die Nachfrage nach Heilpflanzen wächst aufgrund des Bevölkerungsanstiegs in den Entwicklungs- und Schwellenländern sowie in Japan und China. Chronische Krankheiten und der Anstieg der Gesundheitskosten motivieren auch immer mehr Menschen in den USA, Europa und Australien auf die traditionelle Medizin zurückzugreifen, in deren Zentrum Heilpflanzen stehen. So nutzen z.B. über Millionen Menschen in Europa heute die traditionelle Medizin. In einzelnen asiatischen Ländern greifen 86 Prozent der Menschen auf alternative Heilmethoden zurück, in Kanada sind es 70 Prozent und unter den HIV-infizierten Menschen weltweit 75 Prozent.118 Der globale Markt 40 1.8 Insekten unterstützen Wirtschaft und Gesellschaft für (eilpflanzen wächst seit Jahren mit ca. zehn Prozent und beträgt heute rund 100 Milliarden US-Dollar.119 Neben der Bestäubung von (eilpflanzen unterstützen )nsekten die Medizin, indem sie unser Immunsystem stärken und Wunden heilen. So wird das Gift der Honigbienen bereits seit 1930 gegen die Gelenkerkrankung Arthritis eingesetzt. Diese Therapie gilt als vielfach wirksamer als die Behandlung mit herkömmlichen Medikamenten.120 Schon Ende des 18. Jahrhunderts beobachtete man bei kriegerischen Auseinandersetzungen, dass mit Fliegenlarven besetzte Wunden besonders gut heilten. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der wissenschaftliche Grundstein für die Biochirugie gelegt. Die Larven verschiedener Aas-, Fleisch- und Schmeissfliegen CalliphoridenArten) ernähren sich von abgestorbenem Gewebe. Da sie gesundes Gewebe praktisch nicht interessiert, säubern sie die Wunden infektionsfrei. Aufgrund des Auftretens von multiresistenten Keimen, für die die Medizin keine sichere Behandlung hat, gewann die Madentherapie in den letzten Jahren wieder an Bedeutung. Die Larven der therapiegeeigneten Goldfliege Lucilia sericata werden heute industriell gezüchtet und weltweit vertrieben.121 Chemie Pflanzenläuse verursachen beträchtliche Schäden. Die gleichen Läuse werden jedoch auch wirtschaftlich verwendet: Die Haut der Schmierund Mehlläuse kommt bei der Wachsproduktion zum Einsatz und die Deckelschildläuse liefern Harz. Besonders bekannt ist die Schildlaus Laccifer lacca.122 Nach der Paarung bildet sie ein harziges Sekret, das nichts anderes als Stock- oder Rohlack ist. Nach Mahlung, Waschen und Filtrieren entsteht der bekannte «Schellack». Die Eigenschaften dieses Stoffes sind hervorragend: sehr gute Haftung an vielen Oberflächen, gute thermische Plastizität und geringe Empfindlichkeit gegen viele Lösemittel. Zusätzlich ist Schellack im Vergleich zu synthetischen Harzen biologisch abbaubar. Das Produkt kommt heute weltweit in vielen Formen zum Isolieren, Vergällen und Versiegeln zum Einsatz: in elektrischen Geräten, Schuhcremes, Haarsprays, Nagellack, Bodenpolituren, Druckfarben usw. Weltweit produzieren Schellack-Fabriken jährlich ca. 30.000 Tonnen des vielseitigen Mate41 1 Insekten als Nützlinge rials. Allein die deutschen Unternehmen fertigen pro Jahr über 3.000 Tonnen Lacke auf Schelllackbasis.123 Für die Herstellung von einem Kilo benötigt man dabei 300.000 Schildläuse.124 Schildläuse sind ausserdem nützliche Farbproduzenten. Bereits vor 3.000 Jahren handelte man die Schildlaus Kermes vermilio, weil sich aus ihr ein schöner Rotton produzieren lässt. Ende des 16. Jahrhunderts setzte sich dann die aus Zentral- und Südamerika stammende Laus Dactylopius coccus durch. Aus ihr gewinnt man bis heute den besonders intensiven Farbton «Karminrot», hauptsächlich für Kosmetik und die Lebensmittelindustrie.125 )nsekten produzieren sogar Öl: Die schwarze Soldatenfliege Hermetia illucens) kann Kot in Bio-Diesel umwandeln. Sie legt ihre Larven in Misthaufen ab, die sich dort ernähren und wachsen. Je nach Mistart – ob von Schaf, Schwein oder auch Geflügel – ergibt das Fett der Larven zwischen 36 und 91 Gramm Bio-Diesel pro Kilogramm Mist.126 Kriminologie Zahlreiche Insekten ernähren sich von totem Fleisch. Zu diesen nekrophag genannten Arten zählen Fliegen, wie z.B. Schmeiss-, Stuben- und Fleischfliegen und Käfer, wie z.B. Speckkäfer und Pelzkäfer. Die Insekten bevorzugen dabei unterschiedliche Nahrung und werden deswegen verschiedenartig angelockt. So ziehen z.B. Gerüche, die sich direkt nach dem Tod eines Lebewesens durch Gärungsprozesse bilden, Fleischfliegen an. Anschliessend werden Fettsäuren freigesetzt, die Speckkäfern ein nahes Nahrungsangebot signalisieren. Später werden Käsefliegen, danach Motten und schliesslich Milben angelockt. Da dieser Prozess in exakter, zeitlich bekannter Folge abläuft, können Entomologen errechnen, wann der Tod des Lebewesens eingetreten ist. Diese Form der Beweisführung wird in der Kriminologie bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts angewendet und ist heute fest etabliert. 42 2 Insekten als Schädlinge «Als Schädlinge oder Schadtiere bezeichnet man Organismen, die das Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit oder die Gesundheit des Menschen, seiner Haus- und Nutztiere beeinträchtigen, eine normale Entwicklung der Kulturpflanzen stören, tierische und pflanzliche Produkte, Erntegut, Vorräte sowie Materialien wertmindern und unbrauchbar machen.»127 Alte Bilder und Texte zeigen, dass sich der Mensch bereits seit 4.000 Jahren gegen Flöhe, Läuse, Mücken, Wespen und andere Insekten wehrt. In China wurden in über 3.500 Jahre alten Gräbern Reiskäfer sowie Tabak- und Brotkäfer gefunden. Griechen berichteten schon vor über 2.500 Jahren von durch Fliegen ausgelösten Seuchen und Römer von schmerzenden Mückenstichen. Erbsenkäfer vernichteten Bohnen und Erbsen, Getreidewürmer das Korn und Kleidermotten frassen schon damals Löcher in Kleidungsstücke.128 2.1 Insekten gefährden Menschen Die Schäden, die Insekten dem Menschen zufügen, sind vielfältig. Sie reichen von leichten Beeinträchtigungen wie z.B. Geruchsbelästigung durch Schaben oder Geräuschen, die Mücken und Fliegen verursachen über schmerzhafte Stiche von Wespen bis hin zu schweren Erkrankungen, die auch tödlich enden können. Sehr wenige Insekten, wie z.B. die Kopf- und die Kleiderlaus, sind als «ständige Parasiten»129 sogar auf den Menschen oder ein Tier als Wirt angewiesen. Andere für den Menschen schädliche Arthropoden ernähren sich teilweise von dessen Blut (wie z.B. Zecken oder Stechmücken). Infektionskrankheiten entstehen durch die Übertragung von Viren, also infektiösen Partikeln. Blutsaugende Insekten wie Mücken und Zecken nehmen durch einen Stich bei Menschen oder Tieren Blut auf. Trägt der Mensch oder das Tier den Krankheitsvirus in sich, so gelangt das Virus in das Insekt, das selbst keinen Schaden nimmt. Beim nächsten Stich eines anderen Menschen oder Tieres überträgt 43 2 Insekten als Schädlinge das )nsekt mit seinem infizierten Speichel die Viren dem gesunden Organismus, den dann die Krankheit befällt. Die Insekten selbst sind also die Träger (Vektoren) und der Mensch oder das Tier der Wirt. Die Insekten können die Viren zwischen Menschen und zwischen Menschen und Tieren übertragen. Am schwersten beeinträchtigen die bekannten Fieberkrankheiten wie Gelbfieber, Denguefieber und Malaria den Menschen. Sie werden von Mücken übertragen, die in tropischen und subtropischen Regionen endemisch sind. Insbesondere in Afrika, aber auch in Asien und Südamerika erkranken jährlich über 250 Millionen Menschen an diesen Virusinfektionen, über 700.000 von ihnen sterben. Die meisten durch Insektenstiche übertragenen Virusinfektionen wurden am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieben. Die Forschung bemühte sich um Impfstoffe und entwickelte Insektizide zur Bekämpfung der krankheitsübertragenden Tiere. Durch internationale Anstrengungen gelang es in den 1950er und 1960er Jahren, die Erkrankungen, vor allem in Afrika, zurückzudrängen. In den letzten 30 Jahren ist die Anzahl der Infektionen trotz Aufklärung und Einsatz von )mpfungen und )nsektenbekämpfungsmitteln wieder gestiegen. Am stärksten breitet sich das Denguefieber aus, für das es heute noch keinen Impfstoff gibt. Die gemeldeten Fälle erhöhten sich in den letzten Jahren jeweils um mehr als 25 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) geht davon aus, dass sich jährlich rund Millionen Menschen infizieren. Auch das West-Nil-Fieber sowie die Japanische Enzephalitis breiten sich vermehrt aus. Im Kampf gegen Malaria konnten Fortschritte erzielt werden. Die Todesfälle gingen von 2000 bis 2014 um 47 Prozent zurück. Im Jahr 2013 sind jedoch immer noch rund 200 Millionen Menschen an Malaria erkrankt, von denen über 550.000 gestorben sind.130 Neue unbekannte Infektionskrankheiten kommen hinzu. So wurde z.B. 1994 das Alkhurma-Virus in Saudi Arabien entdeckt, als ein Mann sich beim Schlachten eines Schafes tödlich infizierte. Das Schaf trug das Virus in sich, das von der Zecke Ornithodoros savignyi übertragen wird. Die Zecken mögen vor allem Kamele und Schafe, können aber auch den Menschen stechen. Bis zum Jahr 2009 sind rund 100 44 2.1 Insekten gefährden den Menschen Menschen an der Infektion erkrankt, 25 sind verstorben. Obwohl die Zecke bereits seit langem bekannt ist, wusste die Forschung nichts von dem Virus und der Gefahr, die von ihr ausgeht.131 Zwar sind heute bereits eine Million Arten bekannt und beschrieben. Biologen gehen jedoch davon aus, dass die meisten Insekten noch nicht entdeckt sind, weil sie in den schwer zugänglichen Tropenwäldern leben und dort schwierig zu beobachten sind. Mit jedem Meter, den wir von der unberührten Natur entdecken, stossen wir auf neue Arten und damit auf neue Chancen oder Gefahren. In Zukunft werden neue Viren und Virusüberträger auf uns zukommen. Schon immer blieben Infektionskrankheiten nicht in einer Region, sondern vergrösserten ihre Verbreitungsgebiete über Landwege, später Schiffe und heute vermehrt über Flugzeuge. Da die Reisetätigkeit innerhalb der einzelnen Länder ebenfalls zugenommen hat, breiten sich die Virusträger und Insekten nach Ankunft in einem Land immer schneller aus. So wurden z.B. im Jahr mit dem West-Nil-Virus infizierte, ursprünglich nur in Südeuropa und Afrika vorkommende Tigermücken plötzlich in New York City gefunden. Die Insekten dehnten ihre Lebensräume rasch in ganz Nordamerika aus und sind bis heute eine ernstzunehmende Gefahr. Allein im Jahr 2014 wurden über 2.000 am West-Nil-Fieber erkrankte Menschen gezählt, von denen 97 starben. Insgesamt kam es zu 41.762 Infektionen mit 1.765 Toten.132 Die gefährlichen Fieberkrankheiten werden in der Regel von Insekten übertragen, die sich in der Vergangenheit nur in tropischen Regionen wohl fühlten. Aufgrund gestiegener Temperaturen können sie sich nun aber auch in nördlicheren Regionen ansiedeln. So haben sich z.B. die im Jahr 1975 mit Lieferungen von gebrauchten Autoreifen aus Ostasien nach Rumänien eingeführten Asiatischen Tigermücken (Aedes albopicti) in den letzten Jahrzehnten in Italien, Südfrankreich und Spanien und seit 2003 auch in der Schweiz ausgebreitet.133 Entscheidend für die Gefährlichkeit der Mücken ist, ob diese einen Krankheitsvirus in sich tragen. Im Jahr 2010 stellte man erstmals autochthone Fälle des Denguefiebers in Westeuropa fest. So wurden 45 2 Insekten als Schädlinge zwei Personen in Südfrankreich, eine in Italien und eine in Kroatien direkt von Mücken infiziert.134 In den Jahren von 2009 bis 2011 sind jährlich über . mit Denguefieber erkrankte Europäer von asiatischen Reisen zurückgekehrt.135 Da die Krankheit ohne Mücken nicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist, konnte sich die Infektion nicht ausbreiten. Die nun im Jahr 2010 festgestellten direkten Übertragungen zeigen ein ernstes Problem: Das Denguefieber ist in Europa endgültig angekommen. Die WHO sieht deswegen heute auch Europa als potentielle Region für einen Ausbruch von Denguefieber und stuft die Krankheit für weltweit 2,5 Milliarden Menschen als ernsthafte Gefahr ein.136 Die WHO ist sehr besorgt über die Entwicklung der durch Insekten hervorgerufenen Krankheiten und beschreibt diese als weltweite Bedrohung. Entsprechend widmete die Organisation im Jahr 2014 den Weltgesundheitstag den «vector-borne diseases». 2.1.1 Virusübertragende Insekten Es gibt zahlreiche gefährliche und teilweise lebensbedrohliche Fieberkrankheiten, die durch wenige Insektenarten übertragen werden. Mücken sind die gefährlichsten Insekten. So übertragen z.B. die Ägyptischen (Aedes aegypti) und die Asiatischen Tigermücken (Aedes albopictus Dengue-, Chikungunja-, West-Nil- und Gelbfieber. Die Mücken der Gattung Anopheles verursachen Malaria, die Sandmücken (Phelbotominae) sind Auslöser für Leishmaniose und die Reisfeldmücken (Culex tritaeniorhynchus infizieren die Menschen mit der Japanischen Enzephalitis. Fliegen wie z.B. die Tsetsefliege Glossina) übertragen die Schlafkrankheit. Zecken wie z.B. der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) übertragen die Lyme-Borreliose und Zecken wie die Dermacentor reticulatus sind Verursacher des Omsk-hämorrhagischen Fiebers. Während Stechmücken überwiegend die tropischen Zonen und praktisch die gesamte südliche Halbkugel bevölkern, sind Zecken 46 2.1 Insekten gefährden den Menschen vor allem auf der nördlichen Erdhälfte heimisch. Dabei vermischen sich zusehends die traditionellen Lebensräume: Tropische Insekten breiten sich nach Norden und asiatische nach Westen aus. So hat sich z.B. das Vorläufervirus von der bekannten Frühsommer-Meningoenzephalitis, die durch Schildzecken übertragen wird, von Ostrussland und Japan über Zentral- und Westeuropa bis England ausgebereitet.137 Das Problem der vektorübertragenen Krankheiten ist in den letzten Jahrzehnten zu einem globalen Thema geworden. Kein Land kann sich sicher vor dem Einschleppen und leider auch nicht mehr vor dem autochtonen Ausbrechen von Infektionen schützen. 2.1.2 Ursachen und Trends der Virusübertragungen Warum haben sich die Infektionen und die gefährlichen Insekten immer weiter ausgebreitet? Nachstehend werden einige Ursachen und Trends für Virusübertragungen erläutert: 1) Das Ausmass der Insektenpopulation und die damit zusammenhängende (äufigkeit von )nfektionen korrelieren mit dem Entwicklungsstand einer Region. Je ärmer die Menschen sind, desto eher sind sie gefährlichen Stechmücken, Fliegen und Zecken ausgeliefert. In den tropischen und subtropischen «Ursprungsregionen» beschleunigen die ärmlichen Wohn- und Arbeitsverhältnisse die Entwicklung der Insekten. Eine Virusübertragung von Mensch zu Mensch durch einen Vektor wird z.B. dadurch begünstigt, dass viele kleine Hütten oder Wohnungen dicht beieinander liegen und in den Wohnräumen viele Menschen auf engem Raum leben. Durch die rasche Vergrösserung der Städte entstehen vermehrt solche armen Siedlungen, die ideale Nährböden für gefährliche Insekten bieten. Die ungenügende Kanalisation zieht Fliegen an, die genauso wie Stechmücken und Zecken Fieberkrankheiten übertragen können. Die dürftige Müllentsorgung wiederum hinterlässt viele kleine Gegenstände, wie Plastiktüten oder Dosen, die sich mit Wasser füllen und damit ideale Brutstätten für weitere Mücken bilden. Meist findet die Abfall47 2 Insekten als Schädlinge entsorgung direkt neben dem Wohnort statt. Stechmücken, die sich ursprünglich an entfernten Gewässern entwickeln, werden so ungewollt direkt in der menschlichen Umgebung «gezüchtet». Überall auf der Welt beeinflusst der Mensch die natürlichen Wasserwege. Sei es, um mittels Staudämmen Wasserreserven anzulegen oder sich zu schützen, oder durch Flussbegradigung Schifffahrt möglich zu machen, oder mit der Errichtung von kleinen Wasserläufen die Landwirtschaft zu unterstützen. Dort, wo man fliessendes Wasser verlangsamt oder anhält und so aus tiefen flache Gewässer entstehen, finden Mücken bessere Brutorte als sonst in der Natur vor. 3) Die globale Erderwärmung begünstigt generell die Entwicklung der tropischen Stechmücken und Fliegen. Auch die Zecken, die sich in der Regel nur in flachen Gebieten aufgehalten haben, können sich nun in höheren Regionen ausbreiten. 4) Das intensive Bevölkerungswachstum im tropischen und subtropischen Bereich hat in den letzten Jahrzehnten die Entwicklung der auf die Menschen angewiesenen Parasiten gefördert. 5) Mit der steigenden Mobilität werden Krankheiten und Viren sowie Vektoren national und international verteilt. So finden Parasiten immer wieder gesunde Menschen für die Virusübertragung vor. 6) Die Steigerung des weltweiten Handels mit Tieren erhöht die Präsenz von infizierten Tieren, die Wirte für die Übertragung zum Menschen darstellen. Auch infizierte Zugvögel, die vorher nicht in gemässigte Regionen vorgedrungen sind, können – begünstigt durch den Klimawandel – nun an neuen Orten indirekte Überträger von Krankheiten werden.138 Die genannten Punkte zeigen, warum sich die gefährlichen Insekten in den letzten Jahrzehnten in den tropischen und subtropischen Regionen gut entwickeln konnten. Zwar wurden internationale Anstrengungen dagegen unternommen, sie konnten die Verbreitung aber nicht aufhalten. Die Massnahmen einzelner Länder auf einem Kontinent reichen aufgrund der grenzübergreifenden Ausbreitung der Insekten nicht aus. Kontinentale Aktivitäten brauchen jedoch die 48 2.1 Insekten gefährden den Menschen Übereinstimmung aller Länder, die nur dann zu erzielen ist, wenn eine akute Gefahr erkannt wird. Nur konsequente und vor allem permanente Programme, unabhängig vom jeweiligen Stand der Insektenpopulation, sind dauerhaft wirksam. Das zeigt die wechselvolle Geschichte des Denguefiebers in Amerika , auf die weiter unten eingegangen wird. Wie werden sich die Virusübertragungen sich auf der nördlichen Halbkugel entwickeln? 1) Gefährliche Krankheiten und die sie übertragenden Insekten werden vermehrt auch ausserhalb der tropischen Regionen eingeführt. Der internationale Tourismus sowie die weltweiten Warenbewegungen werden nicht abnehmen. Bereits heute gibt es virusübertragende Insekten in Europa, wie die Tigermücken zeigen. Das grössere Problem stellt sicherlich die mögliche Einfuhr von Insekten dar, die das Virus in sich tragen. Aufgrund der geringen Grösse und der Beweglichkeit der Insekten wird dieses Problem nicht zu lösen sein. 2) Voraussetzung für eine dauerhafte Ansiedlung der Insekten ist die klimatische Anpassung. Die bereits in Europa lebenden Tigermücken zeigen, dass der allgemeine Temperaturanstieg bereits ausreicht, damit sich die tropischen Mücken langfristig auch auf der Nordhalbkugel etablieren können. 3) Jede Ausweitung der Zivilisation bedeutet einen Eingriff in die Natur und damit in den natürlichen Kreislauf und Haushalt. Über Jahrhunderte eingespielte Gleichgewichte werden gestört. Ein Beispiel aus Nordamerika zeigt mögliche Auswirkungen: Nördlich von New York City wurden in den 1990er Jahren grosse Wälder abgeholzt, um kleine Wohnsiedlungen entstehen zu lassen. Raubtiere wie Wölfe und Greifvögel, die grosse, zusammenhängende Wälder brauchen, wanderten ab. Dafür konnten sich kleine Nagetiere vermehrt ansiedeln und ebenso Hirsche, die nun mehr Lebensraum vorfanden. In ihnen fanden die Hirschzecken (Ixodes scapularis) geeignete Wirte, sodass sie sich rasch entwickeln konnten. Seit Jahren hat die Region um Dutchess City die höchste Anzahl von Zeckenstichen in den USA: Jährlich werden 400 von 100.000 Bewohnern von Lyme-Borreliose befallen.139 49 2 Insekten als Schädlinge Um das Spektrum aufzuzeigen, welche Schäden Insekten dem Menschen direkt zufügen können, werden nachstehend wichtige Krankheiten aufgeführt, die Insekten durch direkte oder indirekte Übertragung von Bakterien und Viren verbreiten. 2.1.3 Krankheiten, die durch Mücken verursacht werden Stechmücken stören uns immer wieder. Fast jeder ist schon einmal gestochen und entsprechend sensibilisiert worden, wenn die Hausmücke (Culex pipiens) im Zimmer herumschwirrt. Dabei stechen den Menschen nur die wenigsten Mücken. Viele Insekten ziehen das Blut von Tieren vor. Die Männchen stechen überhaupt nicht, weil sie sich – wenn überhaupt – von Nektar ernähren. Chikungunyaieber Die Krankheit wurde erstmals 1952 in Tasmanien und Uganda nachgewiesen. Sie ist mit hohem Fieber, schweren Gelenkschmerzen und einer hohen Berührungsempfindlichkeit verbunden. )n der Regel ist der Verlauf gutartig, nur wenige Todesfälle sind bekannt. Das Fieber wird von den Stechmücken Aedes aegypti sowie Aedes albopictus übertragen und kommt vor allem in Asien und Afrika vor. Die Krankheit breitet sich sehr schnell aus. So haben sich z.B. in Indien im Jahr 2006 etwa 1,25 Millionen Menschen mit dem Virus angesteckt. Es gab Regionen, in denen bis zu Prozent der Bevölkerung infiziert waren.140 Auf den beiden Inseln vor Madagaskar Mauritius und La Réunion erkrankten im gleichen Jahr über 210.000 Menschen.141 Immer mehr Touristen führen diese Krankheit nach Europa ein. So breitete sich das Fieber im Jahr 2007 plötzlich in Italien aus, als sich rund 200 Menschen in einer kleinen Region ansteckten.142 In Deutschland wurden zwischen 2006 und 2013 jährlich zwischen 17 und 53 neue Fälle gemeldet.143 50 2.1 Insekten gefährden den Menschen Dengueieber Das Denguefieber ist sehr gefährlich und weit verbreitet. Es ist mit grippeähnlichen Symptomen verbunden, in schweren Fällen kommt es zu inneren Blutungen, Schockzuständen und schliesslich zum Tod. Das Denguefieber wird von der Aedes aegypti übertragen, die auch Ägyptische Tigermücke oder Denguemücke genannt wird. Wahrscheinlich ist das Denguefieber zum ersten Mal im Jahr auf Martinique ausgebrochen. Sichere Dokumente liegen dagegen für das Jahr 1780 vor, als in Philadelphia die Krankheit ausbrach und die konkreten Symptome beschrieben wurden. Das Denguevirus selbst konnte erst 1944 isoliert und analysiert werden. Von Afrika aus verbreitete sich das Fieber in der ganzen Welt. Nach einer grossen Epidemie in Griechenland in den 1930er Jahren, bei der sich eine Million Menschen infizierten, wurde die Mücke aus Europa zurückgedrängt. In den letzten Jahren häufen sich aber wieder Fälle in Europa. )m . Jahrhundert verursachte das Denguefieber in Süd- und Nordamerika mehrere regionale Epidemien. Die Anfang des 20. Jahrhunderts von einzelnen Ländern lokal ergriffenen Massnahmen reichten nicht aus, um die virusübertragenden Tigermücken zurückzudrängen. Bei den «The Pan American Health Conferences» konnte in den 1940er Jahren die Einigung erzielt werden, die Aedes aegypti systematisch mit dem neu aufgekommenen synthetischen Insektizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) in allen Ländern der beiden Kontinente zu bekämpfen. Bereits in den 1950er Jahren konnte nur noch von einer Infektion berichtet werden und 1962 galten 18 Länder als tigermückenfrei.144 Dieser Erfolg verleitete die Staaten zum Schluss, dass keine gemeinsamen und gezielten Eingriffe mehr notwendig seien. Seit den späten 1960er Jahren kamen wieder Krankheitsfälle auf, die als Ergebnis der reduzierten Massnahmen und der einsetzenden Resistenz der Tigermücken gegen DDT und andere Insektizide gelten. In den 1970er Jahren wurden rund 120.000 schwere Erkrankungen jährlich gezählt, in den 1980er Jahren knapp 300.000 und seit den 1990er Jahren über 500.000.145 51 2 Insekten als Schädlinge Die WHO schätzt, dass die Aedes aegypti jedes Jahr ca. 100 Millionen Menschen weltweit mit dem Virus des Denguefiebers infiziert.146 Von den 500.000 Menschen, bei denen die Krankheit ausbricht, sterben rund 22.000. Gegen die Krankheit gibt es keine Impfmöglichkeit. Gelbieber Auch das Gelbfieber wird durch die Stechmücke Aedes aegypti übertragen, die neben dem Namen Denguemücke daher auch den Namen Gelbfiebermücke trägt. Die Krankheit ist mit Fieber, Übelkeit und Schmerzen verbunden. In ca. 15 bis 30 Prozent der Fälle endet die Krankheit tödlich. Die Gelbfiebermücke ist vorwiegend in tropischen und subtropischen Regionen heimisch. In Afrika ist sie schon seit Jahrtausenden bekannt. Durch den vor 500 Jahren aufgekommenen Sklavenhandel verbreitete sich die Mücke in der ganzen Welt, hauptsächlich in Südamerika, aber auch in Nordamerika und Europa.147 Im 18. und 19. Jahrhundert starben bei über 100 Epidemien über 10.000 Menschen. Obwohl bereits seit 50 Jahren sichere Impfmethoden bestehen, erkranken jedes Jahr rund 200.000 Menschen, von denen 30.000 am Gelbfieber sterben, davon über Prozent in Afrika.148 In Europa gab es in den letzten Jahren keine autochthonen Fälle und in Deutschland auch keine Fälle von eingeschlepptem Gelbfieber.149 Japanische Enzephalitis Die Fieberkrankheit, die 1935 erstmals beschrieben wurde, tritt in Ost- und Südostasien auf. Die Hauptwirte sind Vögel und Schweine, deren Viren über Stechmücken auf den Menschen übertragen werden. Hauptüberträger ist die in Asien endemische Reisfeldmücke Culex tritaeniorhynchus. Die Infektion wird in der Regel von Fieber und Schmerzen begleitet und führt bei 30 bis 50 Prozent der Fälle zu langfristigen Störungen des Nervensystems und bei 20 bis zu 30 Prozent der Fälle zum Tod. Vor allem Jugendliche bis 15 Jahre werden infiziert, ältere Menschen scheinen gegen das Virus resistenter zu sein. Obwohl Impfmöglichkeiten bestehen, rechnete die WHO 2012 mit 70.000 erkrankten Menschen und über 15.000 Todesfällen.150 52 2.1 Insekten gefährden den Menschen Die Krankheit bricht fast ausschliesslich in ländlichen Gegenden aus, die weit von den Ballungszentren entfernt sind. Man rechnet deswegen damit, dass viele Fälle erst gar nicht bekannt werden und die Zahl der Erkrankungen höher liegt.151 Für Europa sind keine Fälle bekannt. Leishmaniose Die Krankheit wird von Schmetterlingsmücken der Unterfamilie Phlebotominae übertragen. Die Mücken stechen Tiere, insbesondere Hunde, und Menschen. Es werden drei unterschiedliche Krankheitsformen unterschieden: die kutane (Hautbefall), die mukotane (Schleimhautbefall) und die viszerale, die die inneren Organe angreift und tödlich verlaufen kann. Die auch Sandmücken genannten Insekten kommen vorwiegend in den Tropen und Subtropen vor. Die WHO hat errechnet, dass ca. zwölf Millionen Menschen infiziert sind und jedes Jahr ein bis zwei Millionen Ansteckungen dazukommen, von denen ca. 200.000 bis 400.000 viszeral verlaufen. Insgesamt sterben jedes Jahr 20.000 bis 40.000 Menschen an Leishmaniose. Über 90 Prozent der Fälle werden aus den folgenden Ländern gemeldet: Indien, Bangladesch, Sudan, Süd-Sudan, Äthiopien und Brasilien.152 Von Afrika aus breitet sich die Sandmücke im gesamten Mittelmeerraum aus. Dort wurden zwischen 2004 und 2008 durchschnittlich über 85.000 Fälle von Leishmaniose jährlich gezählt.153 Im Zeitraum von 2005 bis 2013 gab es durchschnittlich pro Jahr in Italien rund 100 und in Spanien rund 200 viszerale und damit potentiell tödlich verlaufende Leishmaniose-Fälle.154 In Deutschland wurden Anfang der 2000er Jahre zwei autochthone Fälle bekannt: Bei einem Kind und einem Hund wurde die Krankheit nachgewiesen, obwohl diese nie im Ausland gewesen sind. Gleichzeitig konnte ein potentieller Vektor in Süddeutschland beobachtet werden: die Sandmücke Phlebotomus mascittii. Die Mücke hat sich jedoch nicht ausgebreitet und weitere Fälle sind nicht bekannt geworden.155 53 2 Insekten als Schädlinge Malaria Malaria, auch Sumpfkrankheit genannt, ist bereits seit über . Jahren in Afrika bekannt. Sie verbreitete sich ostwärts nach Asien sowie nordwärts nach Europa, wo sie vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder grössere Epidemien verursachte. Die durch die Anopheles-Mücke übertragene Malaria ist die häufigste vektorübertragene Krankheit: Im Jahr 2013 waren 200 Millionen Menschen betroffen. Über 550.000 von ihnen starben.156 Über 90 Prozent der Todesfälle werden in Afrika, der Rest besonders in Südostasien und über zwei Prozent im Iran und Saudi Arabien gezählt.157 In Europa ist Malaria nicht endemisch. Im Jahr 2011 wurden 69 autochtone Ansteckungen ausschliesslich in Südosteuropa registriert: 65 in Tadschikistan, vier in Aserbaidschan und der Türkei158 und neun Fälle im Jahr 2012 in Griechenland159. Die europäischen Malariafälle tauchten ansonsten alle bei Touristen auf, die sich vornehmlich in Afrika aufgehalten haben. Das Robert Koch-Institut verzeichnete in den letzten Jahren in Deutschland durchschnittlich 500 Fälle.160 Die Vereinten Nationen kämpfen seit Jahren zusammen mit privaten Organisationen gegen Malaria. Die Massnahmen sind vielfältig: Aufklärung in den betroffenen Gebieten, Einsatz von )nsektenbekämpfungsmitteln und Behandlung der Erkrankten. Obwohl keine sicheren Impfmethoden bestehen161 (vgl. Abbildung 10), sind Ansteckungen und insbesondere Todesfälle theoretisch vermeidbar: Durch Steigerung der Hygiene, Tragen von schützender Kleidung, Verwendung von Repellents und Insektennetzen, Einsatz von Insektiziden und im Krankheitsfall die frühzeitige Anwendung von Arzneimitteln. Die Vereinten Nationen haben errechnet, dass pro Jahr rund fünf Milliarden US-Dollar notwendig sind, um die Länder wirksam vor Malaria zu schützen. Im Jahr 2013 wurden insgesamt 2,7 Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen Malaria ausgegeben.162 St. Louis Enzephalitis Das Virus wurde von Afrika über Brasilien und Argentinien nach Nordamerika gebracht und dort 1933 entdeckt.163 Diese zurzeit nur auf die USA beschränkte Fieberkrankheit wird hauptsächlich von den Culex Mücken übertragen: Culex pipiens, Culex tarsalis und Culex 54 2.1 Insekten gefährden den Menschen Abb. 10: An einem Impfstoff gegen Malaria wird noch geforscht. (Bild: © Ventures Africa) Abb. 11: Das Gift in den Haaren der Eichenprozessionsspinner-Raupe kann Dermatitis und Asthma auslösen. Bild: CC by Andreas März, flickr.com 55 2 Insekten als Schädlinge quinquefasciatus. Die St. Louis Enzephalitis ist mit hohem Fieber und Schmerzen verbunden und führt bei fünf bis 30 Prozent der Fälle zum Tod. In den USA sind in den letzten 40 Jahren über 5.000 Menschen infiziert gewesen, von denen rund starben.164 West-Nil-Fieber Das West-Nil-Fieber wurde erstmals 1937 im West-Nil-Distrikt in Uganda bei einem Menschen festgestellt. Es wird nicht nur von der Asiatischen Tigermücke (Aedes albopictus), sondern auch von der weit verbreiteten und in Europa und Amerika heimischen Stechmücke Culex pipiens übertragen. Betroffene zeigen grippeähnliche Symptome. Die Krankheit führt in schweren Fällen zu Hirnhautentzündungen und sogar in drei bis 20 Prozent der Fälle zum Tod. Eine Impfmöglichkeit besteht nicht. Nach der Entdeckung wurden zunächst nur einzelne Fälle bekannt, bis 1997 plötzlich mehrere Menschen in Israel am West-Nil-Fieber erkrankten. Von dort aus gelangten virustragende Insekten nach Nordamerika und auch nach Süd- und Osteuropa, wo sich ebenfalls die Fälle mehrten. Im Jahr 2010 wurden im Europäischen Wirtschaftsraum insgesamt 200 autochthone Fälle bestätigt, davon in Griechenland 121, Rumänien 52, Ungarn 19, Italien drei und Spanien zwei. Insgesamt 40 Menschen verstarben.165 Im Jahr 2012 wurden Menschen infiziert, von denen starben. erkrankten Menschen in der EU, davon allein 42 in Italien. Auch in den direkten Nachbarländern werden mit 557 Meldungen vermehrt Fälle des West-Nil-Fiebers verzeichnet.166 2.1.4 Krankheiten, die durch Zecken verursacht werden Zecken gehören zur Klasse der Milben und damit zu den Spinnen, die nicht zu den Insekten gezählt werden, jedoch wie die Insekten Arthropoden sind. Die Tiere sind blutsaugende Ektoparasiten, also Tiere, die nur zur Nahrungsaufnahme auf ihren Wirten leben. Hauptsächlich kommen Zecken auf dem nördlichen Teil der Weltku- 56 2.1 Insekten gefährden den Menschen gel vor: Asien, Russland, Europa und Nordamerika. Zecken können die nachfolgenden gefährlichen und teilweise tödlich verlaufenden Krankheiten verursachen. Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) Die Symptome der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) wurden erstmals in den 1930er Jahren in Europa, Ostasien und Russland beobachtet. 1948 konnte dann das FSME-Virus isoliert werden.167 Die Krankheit ist eine typische Zoonose, bei der Schildzecken – in Westeuropa der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) – das Virus von kleinen Säugetieren auf den Menschen übertragen. Die Krankheit ist mit grippeähnlichen Symptomen verbunden. Bei ca. zehn Prozent der Infektionen tritt ein schwerer Krankheitsverlauf auf, der mit einer Meningoenzephalitis (Gehirnhautentzündung) verbunden ist und in 0,5 bis zwei Prozent der Fälle zum Tod führt.168 Die Meningoenzephalitis war seit langem in Süd- und Mitteuropa und Russland verbreitet. Seit den 1990er Jahren werden auch Fälle in Nordeuropa gemeldet – mit steigender Tendenz: Während man im Zeitraum 1976 bis 1989 in Europa inklusive Russland rund 38.000 Fälle (jährlicher Durchschnitt: 2.000) zählte, waren es von 1990 bis 2009 schon rund 170.000 Fälle mit einem jährlichen Durchschnitt von 8.500. In Westeuropa betrug die durchschnittliche Zahl der jährlichen Neuinfektionen über 2.500.169 In Deutschland wurden im Zeitraum 2002 bis 2012 jährlich zwischen 195 und knapp 550 Fälle registriert.170 Die relativ niedrige Zahl für Deutschland ist vor allem auf die weit verbreitete Inanspruchnahme der Impfmöglichkeit zurückzuführen. Im Jahr 2012 haben sich z.B. über 30 Prozent der Einwohner der süddeutschen Risikobundesländer Baden-Württemberg und Bayern impfen lassen.171 Begründet wird die schnelle Ausbreitung der Krankheit in den letzten Jahrzehnten vor allem mit dem Klimawandel: Der Temperaturanstieg in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts sowie die Zunahme der Luftfeuchtigkeit vergrössern die Lebensräume der Zecken. Sie 57 2 Insekten als Schädlinge können sich weiter nach Norden ausbreiten und zusätzlich höhere Lagen bevölkern. So werden z.B. erst seit den 1990er Jahren vermehrt Meningoenzephalitisfälle in den skandinavischen Ländern gemeldet.172 Mittlerweile findet man Zecken bereits auf (öhen zwischen 900 und 1.300 Metern.173 Krim-Kongo-Fieber Das Fieber wurde erstmals 1944 auf der Krim in Russland beobachtet und das Krim-Kongo-Fieber-Virus aus der Gruppe der Arboviren erstmals im Kongo isoliert. Es wird von der Zecke Hyalomma marginatum übertragen, die in Afrika, Asien, dem mittleren Osten sowie in Ost- und Südwesteuropa verbreitet ist.174 Die Krankheit verursacht Fieber, Schüttelfrost, Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen. Bei ca. 20 Prozent der Fälle treten starke Hämorrhagien (Blutungen) auf, die in vielen Fällen zum Tod führen. Die Letalität beträgt zwischen zwei und 50 Prozent. Das Fieber ist stark ansteckend, Impfmöglichkeiten bestehen nicht. Seit Ende der 1990er Jahre wird das Fieber vermehrt in Südosteuropa festgestellt. Fälle werden aus Albanien, Bulgarien und dem Kosovo gemeldet. In der Türkei kommen die meisten Erkrankungen vor: Von 2002 bis 2008 stieg die Zahl der jährlichen Infektionen von zehn auf mehr als 1.100, insgesamt sind 113 Menschen an dem hämorrhagischen Fieber gestorben.175 Im Jahr 2010 betrug die Zahl der Toten 61.176 In Griechenland wurde im Jahr 2008 eine tödlich verlaufende autochthone Infektion bekannt.177 In Deutschland gab es 2008 zwei Fälle des eingeschleppten Krim-Kongo-Fiebers, ein Fall verlief tödlich.178 Lyme-Borreliose Die Lyme-Borreliose, deren Krankheitssymptome bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben wurden179, konnte erstmals 1977 in der Stadt Lyme in den USA wissenschaftlich festgestellt werden. Sie ist die häufigste von Zecken auf den Menschen übertragende Krankheit. Das Bakterium Borrelia burgdorferi wird in Europa durch den 58 2.1 Insekten gefährden den Menschen Gemeinen Holzbock (Ixodes ricinus), in Osteuropa durch Ixodes persulcatus und in Nordamerika durch Ixodes scapularis und Ixodes pacificus übertragen.180 Die Borreliose wird als Multiorgankrankheit beschrieben. Nach anfänglichen grippeähnlichen Symptomen entwickeln sich Gelenkschmerzen und chronische Ermüdungserscheinungen. Schlussendlich können jahrelange, nervliche Beschwerden zurückbleiben. Die Krankheit ist in ganz Europa flächendeckend verbreitet. Jährlich werden über 30.000 Fälle registriert, davon rund 5.000 in Deutschland.181 In den USA steigt die Zahl der Infektionen seit vielen Jahren an: Wurden 1992 knapp 10.000 Fälle registriert, so waren es im Jahr 2006 knapp 20.000 und in 2012 rund 25.000.182 Q-Fieber Die Zoonose Q-Fieber wurde zum ersten Mal 1935 in Australien und in den 1940er in den USA, sowie Ost- und Westeuropa beschrieben. Heute ist die Krankheit bis auf Neuseeland und die Antarktis überall auf der Welt verbreitet.183 Der Name «Q-Fever» kommt vom englischen «Query» (Frage), weil man sich die Krankheit zunächst nicht erklären konnte. Sie wird vom Bakterium Coxiela bumetii verursacht, das sich hauptsächlich bei Zecken findet. Vor allem die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) aber auch weitere 40 Zeckenarten legen das Bakterium auf Tiere, wie z.B. Schafe und andere Paarhufer ab.184 Die Übertragung auf den Menschen geschieht durch die Aufnahme kontaminierten Staubes oder durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren. Die Krankheit ist sehr ansteckend. So reichen weniger als zehn Bakterien für eine Infektion, von denen Zecken mehr als eine Milliarde pro Gramm Körpergewicht besitzen können.185 Die Bakterien wirken aufgrund ihrer wetter- und umweltstabilen Eigenschaften wochenlang. Sie werden mit Wind in die Umgebung ausgetragen und können Infektionen bis zu einem Umkreis von mehr als zehn Kilometer auslösen.186 Die Krankheit kann zu Fieber, Gelenk-, Kopf- und Muskelschmerzen sowie zu Leber- oder Lungenentzündungen führen, mit denen lange Arbeitsunfähigkeit verbunden ist. Todesfälle sind nicht bekannt. 59 2 Insekten als Schädlinge Die Infektionen verbreiten sich plötzlich. So kam es in Holland im Jahr 2007 zu einer Epidemie, an der bis zum Jahr 2010 über 4.000 Personen erkrankten. Um die Ausbreitung zu unterbinden, wurden über 60.000 Tiere getötet.187 )n Deutschland infizierten sich im Jahr 2003 in einer Stadt plötzlich 299 und im Jahr 2005 in einer anderen Stadt über 330 Menschen.188 Auslöser waren in den drei Fällen virustragende Schafherden. Von bis infizierten sich in Europa ca. 7.000 Menschen, über 80 Prozent davon in Holland, Deutschland und Frankreich.189 In den USA erkrankten im gleichen Zeitraum rund 650 Menschen.190 Grundsätzlich geht man von einer höheren Zahl der Infektionen aus, weil die Krankheit nur in 50 Prozent der Fälle zu länger anhaltenden Beschwerden führt, die in der Regel mit einem Krankenhausaufenthalt verbunden sind und damit statistisch erfasst werden. Rickettsiosen Die 14 verschiedenen bekannten Rickettsia-Bakterien sind auf allen fünf Kontinenten zu finden und verursachen unterschiedliche Rickettsiosen. Beispielhaft sind zu nennen: Sibirischer Zeckentyphus, Queensland Zeckentyphus, )sraelisches Fleckfieber, Japanisches Fleckfieber und Afrikanisches Zeckenstichfieber.191 Für Europa ist vor allem das Mittelmeer Fleckenfieber relevant, dessen Symptome erstmals 1909 in Tunesien beobachtet wurden. 1925 konnte man in Marseille die Übertragung durch Zecken beschreiben.192 Der Vektor für die Übertragung der Rickettsia conirii ist die Zecke Rhipicephalus sauguineus, die hauptsächlich Hunde befällt. Die Übertragung auf den Menschen ist jedoch auch möglich. Die Krankheit ist mit Fieber und Exanthemen (Hautausschlag) sowie Kopf- und Gliederschmerzen verbunden. Die Letalität liegt bei unter drei Prozent.193 Andere Formen der Rickettsiosen werden z.B. von der Ixodes ricinus übertragen und verlaufen milder. In Europa wurden bislang nur einzelne Fälle beim Menschen erwähnt. In den letzten Jahren fand man allerdings vermehrt Zecken mit gefährlichen Rickettsia-Bakterien in Italien, England und Schweden.194 Für Amerika und besonders Nordamerika ist die bereits seit 1906 bekannte Rickettsiose, das Rocky-Mountain-Fieber, von Bedeutung. 60 2.1 Insekten gefährden den Menschen Es wird hauptsächlich über die Ixodes dermacentor übertragen.195 Die Krankheit ist mit starken grippeähnlichen Symptomen und grösseren Exanthemen verbunden. Bei schweren Verläufen kommen Blutdruckabfälle, Nierenversagen und Schockzustände dazu, die ohne Behandlung bei 20 bis 80 Prozent der Fälle zum Tod führen.196 Die Letalität bei Behandlung beträgt unter einem Prozent. Die Rickettsiose breitet sich in den USA schnell aus: Bis Ende der 1990er Jahren wurden weniger als Personen jährlich infiziert. )m Zeitraum 2000 bis 2005 erkrankten jährlich rund 1.000 Personen, im Zeitraum 2005 bis 2010 rund 2.000 Personen.197 2.1.5 Weitere Gefährdungen durch Insekten Tsetseliege Von der Tsetsefliege gibt es Arten. Nur die hauptsächlich in Afrika vorkommende Glossina palpalis ist besonders gefährlich, denn sie gilt als Überträgerin der Schlafkrankheit. Der Stich ist sehr schmerzhaft und kann sogar durch die Kleidung dringen. Bei einem Prozent der gestochenen Menschen bricht die Krankheit aus: Fieber, Störungen des Nervensystems und anhaltender schläfriger Dämmerzustand. Aufgrund präventiver Abwehrmassnahmen (z.B. Moskitonetze) konnte die Zahl der Neuerkrankten reduziert werden: Im Zeitraum von 2000 bis 2012 sank die Zahl der registrierten Fälle von rund 25.000 auf 7.000.198 Krätzmilbe Die Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei) wird nur bis zu 0,5 Millimeter gross, aber sie ist sehr unangenehm: Sie gräbt sich bis zu 2,5 Zentimeter tief in die Haut ein, um dort ihre Eier abzulegen. Nach 14 Tagen verlassen dann die adulten Tiere die Stelle. Die Ansiedlung ist mit Juckreiz und einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden. In Europa kommt die Milbe nur sporadisch vor, in Entwicklungsländern ist sie dagegen stark verbreitet. Man schätzt heute, dass ca. 300 Millionen Menschen befallen sind.199 61 2 Insekten als Schädlinge Wespen und Bienen Wespenstiche sind schmerzhaft und führen in aller Regel zu Juckreizungen und Hautschwellungen. Sie können auch zu schwer verlaufenden Allergieerscheinungen (Anaphylaxien) führen, die meist mit Begleiterkrankungen einhergehen. Im deutschsprachigen Raum gehen über 35 Prozent aller Anaphylaxien auf Wespenstiche und zehn Prozent auf Bienenstiche zurück.200 Für Deutschland geht man von jährlich mehr als 20 Todesfällen aus, die auf Insektenstiche zurückzuführen sind.201 Gemäss englischen und amerikanischen Studien erleiden demnach in Europa jährlich über 10.000 Menschen schwer verlaufende Allergien durch Insektenstiche, die in einzelnen Fällen zum Tod führen.202 «Killerbienen» Der brasilianische Bienenforscher Warwick Kerr brachte afrikanische Honigbienen im Jahr 1956 für Forschungszwecke nach Südamerika. Dort konnten einige von ihnen entweichen. Das Gift der Insekten ist nicht gefährlicher als das von anderen Bienen. Die sogenannten «Killerbienen» sind jedoch aggressiver, sie stechen dreimal häufiger und schneller zu als andere. Der Begriff «Killerbienen» wurde 1965 verwendet, weil man mehr als 150 Todesfälle auf die Bienen zurückführte.203 Eine genaue Überprüfung war nicht möglich, da die Bienen anderen Bienen sehr ähnlich sind. In den 1980er Jahren wurden die Insekten auch in den USA gefunden, wo jährlich mindestens 40 Personen an den Folgen von Bienen- und Wespenstichen sterben. Die Insekten stechen nicht ohne Bedrängnis, in aller Regel zeigen Bienen und Wespen nur dann aggressives Verhalten, wenn Menschen sie oder ihre Nester angreifen. Hausstaubmilben Menschen können empfindlich auf den Kot von Hausstaubmilben reagieren. Er zerfällt in kleinste Teilchen, die zusammen mit dem Staub vom Menschen aufgenommen werden. Zu den allergischen Krankheitssymptomen gehören Augen- und Hautreizungen und Niesanfälle, selten kommt es bei schwerwiegenden Fällen zu Atemnot. Man geht davon aus, dass in Deutschland ca. 20 Prozent aller 62 2.1 Insekten gefährden den Menschen Allergien auf Hausstaubmilben zurückgehen204 und 21,2 Prozent aller drei bis 17-Jährigen sensibel auf den kontaminierten Staub reagieren.205 Flöhe Der Menschenfloh Pulex irritans) sticht und saugt das Blut von Menschen, aber auch von Schweinen, Hunden und anderen Säugetieren. Befallene Personen können auf die Stiche unempfindlich reagieren oder aber anhaltenden Juckreiz verspüren. In Westeuropa ist diese Flohart praktisch ausgestorben. Kopläuse Kopfläuse Pediculus capitis) brauchen ebenfalls das Blut des Menschen. Sie verursachen Juckreiz und springen gern auf weitere Wirte über. In Deutschland ist es deswegen für Kinder sogar rechtlich verboten, mit Kopfläusen in den Kindergarten oder in die Schule zu gehen. Kopfläuse kommen häufig vor: Eine Studie konnte ermitteln, dass ca. zehn Prozent aller Kinder einmal an Kopfläusen leiden.206 Eichenprozessionsspinner Der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea, vgl. Abbildung 11) bevorzugt warme Lebensräume und breitet sich aufgrund der globalen Klimaerwärmung von Südeuropa ebenfalls immer mehr in Mitteleuropa aus. Mehrere Länder berichten seit 1990 von einer starken Zunahme und einer mittlerweile flächendeckenden Ausbreitung. In Wald- und Stadtgebieten werden grossräumig Insektizide zur Bekämpfung eingesetzt.207 Am stärksten hat sich der Falter in Holland vermehrt. Dort müssen sich jedes Jahr rund 80.000 Menschen nach Infektionen behandeln lassen.208 Die Haare der Raupen enthalten ein Nesselgift, das Dermatitis und Asthma auslösen kann. Abgebrochene Haare werden durch Wind in der Umgebung verteilt und können so den Menschen unmittelbar gefährden. Pro Raupe werden über 500.000 Gifthaare gezählt, deren Wirkung bis zu zwölf Jahre anhalten kann.209 63 2 Insekten als Schädlinge 2.2 Insekten gefährden Tiere Insekten gefährden in hohem Masse nicht nur Menschen, sondern auch Tiere. Dazu gehören wildlebende Tiere wie z.B. Rehe, Hasen oder Vögel, Nutztiere wie Kühe, Schafe oder Rinder und Haustiere wie Hunde und Katzen. Sie alle werden von Parasiten geplagt, gestochen und teils auch infiziert. Die Krankheiten können zu Tierseuchen führen, die ganze Bestände reduzieren oder auch zu Zoonosen, bei denen die Krankheiten auf den Menschen übertragen werden. Die Weltorganisation für Tiergesundheit OIE stuft insgesamt 89 Krankheiten als beobachtungs- und meldepflichtig ein, wovon durch Insekten verursacht bzw. übertragen werden.210 Mehrere Millionen Tiere sterben jedes Jahr nach Insektenstichen. In Afrika verenden z.B. jährlich ca. drei Millionen Kühe und Rinder an der Schlafkrankheit Nagana , die durch die Tsetsefliegen hervorgerufen wird.211 In der Regel sind die Insektenstiche mit Hautreizungen und Fieber verbunden, in schweren Fällen jedoch auch mit Lähmungen und Fehlgeburten. Für die Menschen in den am stärksten betroffenen Regionen wie z.B. Mittelafrika bedeutet das einen hohen Mehraufwand und die Reduzierung oder sogar den Wegfall ihrer Einkommen. Die durch Insekten hervorgerufenen Tierkrankheiten treten hauptsächlich in Afrika auf, gefolgt von Asien und Russland. )mmer häufiger kommen sie auch nach Nordamerika und Europa, so z.B. die Blauzungenkrankheit, die sich seit 2006 in ganz Westeuropa ausbreitet. Eine besondere Rolle bei der Ausbreitung von Krankheiten können Zugvögel spielen. In den Jahren 2010 und 2011 wurden in Italien virustragende Zecken an Zugvögeln gefunden. Die infizierten Vögel tragen die Zecken tausende Kilometer weit in ein fremdes Gebiet, in dem sie weitere Tiere infizieren.212 Auch neue, unbekannte Viren treten vermehrt auf. So wurde z.B. erst im Jahr 2011 das Schmallenberg-Virus beschrieben, von dem innerhalb von zwei Jahren über 8.000 Viehherden in Europa betroffen waren.213 Nachstehend werden beispielhaft wichtige Krankheiten kurz beschrieben. 64 2.2 Insekten gefährden Tiere 2.2.1 Nagana Tsetsefliegen Glossina übertragen die Schlafkrankheit nicht nur auf Menschen, sondern stechen auch Tiere, deren Erkrankung dann Nagana African Animal Trypanosomiasi genannt wird. Die infizierten Tiere zeigen Fieber und Lähmungen bereits nach wenigen Tagen und verenden in der Regel innerhalb von drei Monaten. Die Krankheit kommt im sogenannten Tsetse-Gürtel in Afrika vor. Dieser erstreckt sich mit einer Grösse von zehn Millionen Quadratkilometer vom 14. nördlichen Breitengrad (direkt unterhalb der Sahel-Wüste) bis zum 29. südlichen Breitengrad (Johannesburg). Nagana gilt als die gefährlichste Tierkrankheit, denn sie schränkt die Viehhaltung in Afrika stark ein. Noch heute erfolgen 80 Prozent der Bodenbewirtschaftung per Hand.214 Aus Sorge vor Stichen werden viele Flächen in Afrika erst gar nicht erschlossen und entsprechend nicht für die Landwirtschaft genutzt. Der wirtschaftliche Schaden, der durch die Tsetsefliege verursacht wird, ist entsprechend hoch. 2.2.2 Blauzungenkrankheit Die ersten Fälle der Blauzungenkrankheit wurden bereits 1880 in Südafrika registriert.215 Die Tiere, vor allem erwachsene Schafe, litten unter Fieber und Entzündungen im Nasen- und Mundbereich, die mit einer Blaufärbung der Zunge verbunden waren. Die Krankheit breitete sich schnell in der ganzen Welt aus und ist heute noch auf allen Kontinenten vorzufinden, jedoch nur in besonders warmen Regionen zwischen den Breitengraden 40° Nord und 35° Süd. Die Übertragung geschieht über nur ein bis drei Millimeter grosse Mücken der Gattung Culicoides, genannt Gnitzen. Es gibt über 1.400 bekannte Culicoides Arten, aber nur 17 von ihnen übertragen das Blauzungenvirus.216 Die Sterberate ist sehr unterschiedlich und liegt bei aktuellen Ausbrüchen zwischen zwei und 30 Prozent.217 Besonders in Südafrika spielt die Krankheit eine grosse Rolle. Studien zeigen, dass heute über 50 Prozent der Schafe mit dem Virus befallen sind.218 Weltweit wird der jährliche Schaden, der durch die Krankheit entsteht, auf drei Milliarden US-Dollar geschätzt.219 65 2 Insekten als Schädlinge Nachdem bereits in den 1950er Jahren zwei Epizootien in Spanien und Portugal über 175.000 Todesfälle verursachten220, breitet sich das Virus seit Ende der 1990er Jahre ausgehend von Afrika wiederum nach Norden aus. Nach Sizilien, Griechenland und der Türkei wurden erste Fälle im Jahr 2006 in Holland gemeldet. Die Welternährungsorganisation FAO hat errechnet, dass in Europa seit 1998 mehr als 1,5 Millionen Schafe der Krankheit zum Opfer gefallen sind.221 Bedrohlich ist die Geschwindigkeit: Es dauerte lediglich vier Tage, bis nach der ersten Ansteckung eines Schafes in Holland im August bereits elf Schafherden in Belgien infiziert waren und nur drei weitere Tage, bis die Krankheit in Deutschland sieben Herden erfasst hatte. Aufgrund von Impfungen wurde der Ausbruch schnell zurück gedrängt und seit 2009 gestoppt.222 Man geht davon aus, dass sich die für die Übertragung bekannten Arten der Culicoides Mücken aufgrund wärmerer Temperaturen von Afrika nordwärts nach Europa ausgebreitet haben. Aus bisher ungeklärten Gründen taucht der Virus nun aber auch bei in Europa endemischen Culicoides Arten auf. In betroffenen Regionen konnte man vor allem die Culicoides obsoletus und Culicoides pulicaris finden, die seit Jahren in Mitteleuropa ansässig sind, früher jedoch nie das Virus übertrugen.223 2.2.3 Schmallenberg-Virus Das Virus wurde im November 2011 im deutschen Schmallenberg entdeckt und breitete sich dann schnell auf fast alle Länder Nord- und Mitteleuropas aus. )nfizierte Rinder, Kühe, Schafe und Ziegen zeigen Fieber und eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit, die z.B. bei Kühen zu einer erheblichen Reduzierung der Milchleistung führt. Tragende Tiere gebären Missbildungen oder Todgeburten. Bis Mitte 2013 wurden in Europa über 8.000 Betriebe gezählt (davon rund 2.500 in Deutschland), die von der Schmallenberg-Krankheit betroffen waren.224 Überträger sind auch hier die winzigen Mücken der Gattung Culicoides. Das Virus wird von den Mücken ebenso auf andere Tiergruppen wie z.B. Rotwild oder Hunde übertragen. Die 66 2.2 Insekten gefährden Tiere Ausbreitung geschieht sehr schnell. In England konnte festgestellt werden, dass in einem Bestand von Rotwild im Jahr 2010 überhaupt kein Virus gefunden wurde und ein Jahr später über 43 Prozent der Tiere infiziert waren.225 Da man das Virus erst Ende 2011 entdeckte, ist bis heute kein Impfstoff entwickelt worden. Zusätzlich lässt sich noch nicht sicher sagen, wie viele der in West- und Nordeuropa endemischen 120 Arten des Culicoides Stammes die Viren übertragen.226 2.2.4 Louping-Ill Die seit 1934227 bekannte Zoonose Louping-Ill zeigt, dass eine Tierkrankheit auch ohne direkten Kontakt auf den Menschen übertragen werden kann. Interessant ist vor allem ein Fall aus dem Jahr 2011, bei dem eine junge Frau am Louping-Ill-Virus schwer erkrankte. Die Übertragung des Virus´ geschah durch einen Spaziergang mit offenen Schuhen über eine Wiese, auf der infizierte Schafe grasten. Kot und andere Ablagerungen der Schafe befanden sich auf dem Gras und kamen so mit den Füssen in Kontakt.228 Das Louping-Ill-Virus wird durch den in Mittel- und Nordeuropa endemischen Gemeinen Holzbock (Ixodes ricinus) vornehmlich auf Schafe, aber auch auf andere Tiere wie Hunde oder Vögel übertragen. Die Infektion ist mit Inkoordinationen der Bewegungen verbunden und heisst deswegen Louping-Ill. Die Letalität beträgt zwischen 20 und 50 Prozent.229 Die Krankheit ist sehr selten. Neben einem plötzlich aufgetretenen Ausbruch in einer Ziegenherde im Jahr 2011 in Spanien230, bei der alle 70 Tiere starben ist die Krankheit praktisch nur in England endemisch – mit jährlich zwischen 25 und 35 gemeldeten Fällen in den letzten Jahren.231 67 2 Insekten als Schädlinge 2.3 Insekten gefährden Planzen )nsekten haben sich schon immer von Pflanzen ernährt und damit das Wachstum der Pflanzen beeinträchtigt oder sogar zum Absterben der Organismen geführt. Jahrtausendealte Quellen erzählen von bedrohlichen Heuschrecken, Raupen und Käfern. Ebenso berichtet die Bibel von Beispielen, wie Insekten den Ackerbau beeinträchtigten und Vorräte vernichteten.232 Trotz langer Erfahrung in der Bekämpfung von Schädlingen und trotz jährlichen Ausgaben für moderne Pflanzenschutzmittel in (öhe von weltweit über 40 Milliarden US-Dollar beeinträchtigen die Insekten die Landwirtschaft, den Obst- und Weinanbau und die Wälder in grossem Masse.233 Allein für die Landwirtschaft beträgt der Schaden, der auf die Einwirkung von Insekten zurückgeht, 20 Prozent der gesamten Produktion. Das entspricht mehr als 50 Milliarden US-Dollar jedes Jahr.234 2.3.1 Landwirtschaftliche Schäden in den Entwicklungs- und Schwellenländern Die grössten, durch )nsekten verursachten Pflanzenschäden weltweit treten in den Entwicklungs- und Schwellenländern in den tropischen und subtropischen Regionen auf. Die Gründe sind naheliegend:235 • • • Grosse Wetterschwankungen von Regenfällen zu Trockenperioden schwächen die Widerstandskraft der Pflanzen und fördern das Wachstum der Insekten. Die kurzfristige Orientierung an Ertragsmaximierung in der Landwirtschaft ist verbunden mit ungesundem Wachstum und Monokulturen, was wiederum die Widerstandskraft der Pflanzen schwächt. Pflanzenschützende Massnahmen werden aufgrund von zu wenig Know-how und Geld in unzureichendem Masse ergriffen. Auch hier spielt die durch die Globalisierung intensivierte, internationale Migration von Insekten eine grosse Rolle. Die eingewanderten )nsekten finden in diesen Regionen besonders attraktive Lebens68 . )nsekten gefährden Pflanzen räume und breiten sich entsprechend schneller als üblich aus. Die Welternährungsorganisation FAO spricht von einer «dramatischen» Zunahme der grenzüberschreitenden Pflanzenschädlinge in den letzten Jahren. Schätzungen gehen davon aus, dass Insekten die möglichen Erträge in den Entwicklungsländern mehr als halbieren: Ein Drittel fällt ihnen während der Blütezeit und ca. zehn bis 35 Prozent während der Lagerung zum Opfer.236 Gemäss dem internationalen Emergency Programm der FAO gehören zu den grössten Bedrohungen der Nutzpflanzenwelt folgende durch Insekten hervorgerufene Probleme:237 • • • Gefährdung der Maniokpflanze durch )nsekten Ausbreitung der Fruchtfliegen Heuschreckenplagen Gefährdung der Maniokplanze durch Insekten Die Maniokpflanze vgl. Abbildung liefert das wichtigste Nahrungsmittel Afrikas: Cassava. Über 200 Insektenarten behindern das Wachstum der Pflanze. Die grüne Cassava Milbe Mononychellus tanajoa), die Tabakmottenschildlaus (Bemisia tabaci) und die verschiedenen Arten der Maniokschmierlaus (Phenacoccus maniboti, vgl. Abbildung 13) sind in ganz Afrika aktiv und können bis zu 80 Prozent einer Ernte vernichten.238 Besondere Sorgen bereiten neu eingeschleppte Insekten wie der Stängelbohrer (Chilo partellus) aus Asien und der Ende der 1980er Jahre erstmals entdeckte Grosse Kornbohrer (Prostephanus truncatus) aus Mexiko. Die beiden Eindringlinge hatten zunächst keine natürlichen Feinde und vermehrten sich entsprechend schnell. Sie haben in mehreren Ländern bis zu Prozent der Maniokanpflanzungen und bis zu Prozent der Maisernten vernichtet.239 Ausbreitung der Fruchtliegen Die Fruchtfliegen Tephritidae) gelten als die Insekten, die weltweit am stärksten den Obstanbau gefährden.240 Die Weibchen stechen ein Loch in die Frucht und legen ihre Eier unter die Schale. Die schlüpfenden Larven ernähren sich vom Fruchtfleisch. 69 2 Insekten als Schädlinge Rund Prozent der über . bekannten Arten der FruchtfliegenFamilie Tephritidae schädigen ca. Fruchtpflanzenarten auf der ganzen Welt. Ihr jährlicher Schaden wird auf über eine Milliarde US-Dollar beziffert.241 Die Schäden sind besonders hoch in Zentralamerika, Afrika und Asien, wo die Insekten regelmässig zwischen 30 und 80 Prozent des Anbaus zerstören.242 Zwei Entwicklungen verschärfen dabei die Situation: Neue Arten von Fruchtfliegen werden eingeschleppt Neue Arten von Insekten haben in fremden Gebieten zunächst keine natürlichen Feinde und können sich dort sehr gut entwickeln. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist die ursprünglich in Sri Lanka heimische Fruchtfliege Batrocera invadens. Sie kam im Jahr 2003 nach Afrika und ernährt sich hauptsächlich von Mango, Guava, Papaya und anderen Früchten. )nnerhalb von zehn Jahren hat sich die Fruchtfliege in 28 afrikanischen Ländern ausgebreitet und ist heute z.B. für den Verlust von 80 Prozent der Mango-Ernte verantwortlich.243 2) Obst als natürlicher Wirt Das Verhalten der Fruchtfliegen wirkt sich unmittelbar auf den internationalen Handel aus. Da sie ihre Eier unter die Schale von Obst und Gemüse legen und diese sich dort zunächst unsichtbar entwickeln, werden die befallenen Obstsorten zum Wirtsträger und damit zum )mporteur von Fruchtfliegen. Länder wie Chile, Japan, Neuseeland und die USA gelten heute als frei von schädlichen Fruchtfliegen. Sie verbieten die Einfuhr aus Nationen, in denen die Insekten verbreitet sind. Die Restriktionen treffen die Fruchtfliegen-Länder sehr hart. So können z.B. die Länder Zentralamerikas ihre wichtigen Produkte wie Tomaten, Paprika und Papaya nicht nach Nordamerika und die oben erwähnten 28 Länder Afrikas keine Mangofrüchte exportieren.244 Heuschreckenplagen Heuschreckenplagen sind seit den Pharaonen im alten Ägypten bekannt. Bis heute verwüsten sie ganze Regionen. Von den insgesamt über 20.000 Arten ist in den tropischen und subtropischen Regionen vor allem die Familie Acrididae und hier im Besonderen die Wüstenheuschrecke (Schistocerca gregaria) eine anhaltende Bedrohung. 70 . )nsekten gefährden Pflanzen Abb. 12: Cassava, Maniok, Mandioca, Yucca: Das weltweit beliebte Wurzelgemüse hat viele Namen – und einen Feind: Die Maniokschmierlaus. Bild: CC by C)AT, flickr.com Abb. : Maniokschmierläuse auf der Cassava-Pflanze in Nordost-Thailand. Bild: CC by C)AT, flickr.com 71 2 Insekten als Schädlinge Diese Insekten bevorzugen sehr trockene Gebiete mit weniger als 200 Millimeter Regen pro Jahr. Sie sind in 30 afrikanischen und asiatischen Ländern mit einer Fläche von über 15 Millionen Quadratkilometern heimisch. Vereinzelt auftretende Heuschreckenplagen erstrecken sich sogar auf 60 Länder mit einer Fläche von knapp 30 Millionen Quadratkilometern. Damit gefährden die Tiere 20 Prozent der gesamten weltweiten Landfläche und das Einkommen von zehn Prozent aller Menschen.245 Doch auch moderne Satelliten schaffen es nicht, anwachsende (euschreckenschwärme zu identifizieren. Normalerweise kommen Heuschrecken nur zur Paarbildung zusammen. Die Tiere leben bis zu fünf Monate und legen in dieser Zeit bis zu dreimal eine Menge von jeweils ca. 100 Eiern. Je feuchter das Klima ist, desto mehr Tiere können schlüpfen und sich entwickeln. Kommt es in den trockenen Regionen zu vermehrter Feuchtigkeit, wachsen überproportional viele Insekten nach. Gleichzeitig wechselt ihre Farbe von braun zu pink und ihr Verhalten ändert sich: Die vorher solitär lebenden Insekten gruppieren sich über mehrere Monate zu kleinen Schwärmen und verlassen dann ihre Region, um gemeinsam nach mehr Nahrung zu suchen. Da die besonders heuschreckenfreundlichen Wetterbedingungen in einer ganzen Region so spezifisch ausgeprägt sein können, entstehen gleichzeitig mehrere Schwärme. Sie verbinden sich zu einer grossen Einheit, die mehrere Milliarden Tiere umfasst. Sie lassen sich mit dem Wind tragen und können pro Tag über 100 Kilometer zurücklegen. Heuschrecken benötigen sehr viel Nahrung: Die zwei Gramm schweren phytophagen Insekten fressen jeden Tag so viel wie sie wiegen, vor allem Pflanzen wie Blumen, Blätter, Baumrinden sowie Getreide, Mais und Obst. Jedes Jahr kommt es in Afrika und dem Nahen Osten zu bedrohlichen Ansammlungen von Heuschrecken. Die Schwärme bestehen schnell aus über 1.000 Insekten pro Quadratmeter und umfassen eine Grösse von 1.000 Quadratkilometer. Im Jahr 2004 entwickelte sich ausgehend von Mauretanien ein Schwarm von 230 Kilometern Länge bei einer Breite von 150 Metern, der knapp 70 Milliarden Insekten umfasste. Die Heuschrecken brei72 . Insekten gefährden Pflanzen teten sich praktisch über ganz Nordafrika, sowie über Teile von Portugal und Kreta aus. Die FAO schätzt den entstandenen ökonomischen Schaden auf 2,5 Milliarden US-Dollar, für die Bekämpfung wurden allein 400 Millionen US-Dollar ausgegeben. Die Welternährungsorganisation FAO koordiniert mit mehreren Büros permanent ein umfassendes Monitoringsystem sowie die Bekämpfung der Insekten.246 Über 1.000 Quadratkilometer besprühen Landwirte jährlich mit Insektiziden, um die Ausbreitung von anwachsenden Schwärmen zu verhindern. Trotz aller Bemühungen kommt es immer wieder zu noch grösseren Heuschreckenplagen, die aus ca. 60 Millionen Insekten pro Quadratkilometer bestehen und Flächen von mehreren 100 Quadratkilometern bedecken. Sie fressen täglich eine Menge an Nahrung, die 2.500 Menschen rund vier Monate versorgen könnte. In den letzten 100 Jahren gab es sechs grosse Plagen in Afrika und Asien, die teilweise mehrere Jahre andauerten. Bei der letzten grossen Plage Ende der 1980er Jahre sprach man sogar von einer Dichte von mehreren Milliarden Insekten pro Quadratkilometer. Die Heuschrecken breiteten sich über ganz Nordafrika aus und gelangten schliesslich mit dem Wind auf den offenen Atlantik. Anstatt einzugehen, überwanden sie eine Strecke von 5.000 Kilometern und kamen nach zehn Tagen in der Karibik und Südamerika an.247 Im Jahr 1954 flogen Heuschrecken schon einmal ohne Nahrungsaufnahme über das offene Meer von Westafrika nach England.248 Die Beispiele zeigen die potentielle Gefahr, die die Insekten aufgrund ihrer Reichweite haben können. Vorratsschädlinge Vorratsschädlinge sind eine grosse Herausforderung in Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen Landwirtschaft oft noch per Hand betrieben wird. Die Ernte erfolgt in der Regel sehr spät, damit das Getreide möglichst trocken und damit leicht ist. Die Lagermöglichkeiten sind sehr reduziert. So wird z.B. das Getreide häufig offen in alten Behältern aufbewahrt. 73 2 Insekten als Schädlinge Die späte Ernte verlängert den Zeitraum der Insektenbefallsmöglichkeit. Einige Käfer treten erst am Ende der Blütezeit auf und werden dann bei der Ernte unbemerkt mitgenommen. Die ungeschützte Lagerung ermöglicht den einfachen Zugang von weiteren Insekten. Die beiden grössten Schädlingsordnungen sind Käfer (Coleoptra) und Schmetterlinge (Lepidoptera) und dort insbesondere Lebensmittelmotten.249 Käfer befallen das Getreide während der Blüte sowie während der Lagerung. Sie werden bis zu ein Jahr alt und legen bis zu 500 Eier. Rüsselkäfer (Curculionidae) gelten als schädlichste Insekten für gelagertes Getreide weltweit. Wenn sie in nur ein bis zwei Prozent einer Ernte vorkommen, sind sechs Monate später 80 Prozent des gesamten Vorrates betroffen. Die Schäden reichen bei befallenen Anbauten und Vorräten in Afrika von 30 bis zu 100 Prozent. Lebensmittelmotten sind weltweit verbreitet. Da sie warme Temperaturen mögen, sind sie vermehrt im tropischen und subtropischen Raum vorzufinden. Motten können bis zu Eier in Vorräten ablegen. Die Larven fressen von den Vorräten, verspinnen und verschmutzen diese. Die Schäden sind unterschiedlich hoch und reichen von zehn bis zu 50 Prozent einer Ernte. 2.3.2 Landwirtschaftliche Schäden in Europa )nsekten schädigen auch die Pflanzen in hoch entwickelten Ländern. Vor allem die Landwirtschaft leidet unter neuen Herausforderungen, die immer wieder zu hohen Verlusten führen: • • • Aggressive Schädlinge werden aus fremden Kulturen eingeführt und vermehren sich schnell. Ansteigende Temperaturen ermöglichen den Insekten generell eine schnellere Entwicklung und einen natürlichen Zuwachs aus benachbarten und südlichen Gebieten. Neue Getreidearten verursachen neue Insektenprobleme. Praktisch alle Getreide- und Frucht-/Obstpflanzen werden heute von Schädlingen befallen. Die erwachsenen Insekten fressen in der Regel 74 . )nsekten gefährden Pflanzen an den Pflanzen und können Viren übertragen. Die grössten Schäden entstehen jedoch durch die Larven, für deren Eiablage die adulten Tiere oft Zentimeter lange Gänge in die Pflanzen bohren. Die Larven ernähren sich über Wochen von den Pflanzen, die dadurch erheblich langsamer wachsen können oder sogar eingehen. Die wichtigsten Schädlinge sind: • • • • • • Apfelwickler (Cydia pomonella : Fruchtpflanzen wie Apfel, Pfirsich, Nüsse u.a. Blattläuse (Aphidoidae): Kartoffeln, Zucker-, Zitronenfrüchte Mottenschildläuse (Aleyrodidae): Getreide, Tomaten, Bohnen, Baumwolle, Kartoffeln Fransenflügler Thysanoptera): Zwiebeln, Kartoffeln, Melonen Zwergzikaden (Cicadellidae): Kartoffeln, Äpfel Maiszünsler (Ostrinia nubilalis): Mais Maiszünsler Der Maiszünsler (Ostrinia nubilalis) ist schon seit 1800 in Südeuropa und seit dem letzten Jahrhundert in ganz Europa heimisch. Jedes Weibchen legt 15 bis 20 Gelege mit 500 bis 600 Eiern bevorzugt auf Maispflanzen. Die Larven bohren sich während ihrer Entwicklung immer tiefer in die Stängel und beeinträchtigen damit das Wachstum der Pflanzen. Dazu kommt, dass die geschwächten Pflanzen aufgrund der neu entstandenen Gänge empfänglicher für Bakterien und Pilze sind. Die 27 EU-Staaten verfügen beim Maisanbau über eine Fläche von rund 95.000 Quadratkilometern und produzieren ca. 65 Millionen Tonnen Maiskörner.250 Das Ausmass der befallenden Flächen kann zwischen 20 bis 60 Prozent der Flächen betragen, was zu einer Ertragseinbusse von fünf bis 30 Prozent der gesamten Ernte führt.251 Kulturfremde Schädlinge Die Einfuhr von über pflanzenfressenden )nsektenarten ist in Europa mittels einer EG-Richtlinie verboten worden.252 Lebende Pflanzen, (olzprodukte aber auch Verpackungsmaterial werden 75 2 Insekten als Schädlinge aufmerksam bei der Einfuhr überprüft. Aufgrund des Handelsvolumens ist eine ausreichende Kontrolle jedoch nicht möglich. Jedes Jahr kommen so neue Insektenarten nach Europa. Die Tiere richten besonders grosse Schäden an, weil sie keine natürlichen Fressfeinde haben, man ihre Präsenz spät feststellt und dann erst Bekämpfungsmassnahmen entwickeln muss. Nachstehend werden aktuelle invasive Arten beschrieben. Agrilus auroguttatus Der ursprünglich im amerikanischen Arizona endemische Goldgefleckte Eichelbohrer wurde in Europa erstmals im Jahr gefunden. Das Tier bevorzugt Olivenbäume und hat in den letzten Jahren über 80.000 Bäume auf einer Fläche von 5.000 Quadratkilometern zerstört.253 Aproceros leucopoda Diese ostasiatische Pflanzenwespe kommt vor allem in China, Japan und Russland vor und befällt in diesen Ländern die Baumgattung der Ulmen. Im Jahr 2009 tauchte das Insekt erstmals in Österreich auf und hat sich mittlerweile über ganz Süd- und Mitteleuropa ausgebreitet. Die kleine Wespe gilt als sehr aggressiv: 74 bis 98 Prozent der befallenen Bäume gehen ein.254 Aromia bungii Die Larven des Asiatischen Moschusbocks bohren bis zu 22 Zentimeter lange Schächte in die Pflanzen, die deshalb kaum überleben können. Das )nsekt ernährt sich von Fruchtpflanzen, wie z.B. Pfirsich und Aprikose und wurde in Europa erstmals 2011 in Deutschland und 2012 in Italien gefunden.255 Diabrotica virgifera virgifera Der Westliche Maiswurzelbohrer gilt weltweit als gefährlichster Maisschädling. Er wurde vermutlich Ende der 1980er Jahre über Jugoslawien nach Europa eingeschleppt und im Jahr 2002 erstmals wieder in Österreich und im Jahr 2007 in Deutschland entdeckt. Das Insekt legt 1.000 Eier, deren Larven sich über 20 Zentimeter tief in die Wurzeln der Pflanzen graben. Befallene Maispflanzen knicken ab, die Ertragsausfälle können bis zu 90 Prozent betragen.256 76 . )nsekten gefährden Pflanzen Strauzia longipennis Die in Nordamerika heimische Sonnenblumenfruchtfliege befällt Sonnenblumen und wurde zum ersten Mal im Jahr 2010 in Deutschland gefunden.257 Thaumastocoris peregrinus Diese Wanzenart greift vor allem die Eukalyptus-Pflanze an und stammt aus Australien. Nachdem das Insekt im Jahr 2003 in Südafrika entdeckt wurde, breitete es sich über Südamerika nach Europa aus, wo es 2011 in Italien gefunden wurde.258 «Nach der Ernte»-Schäden Aufgrund der fortgeschrittenen Arbeitsteilung und des intensiven internationalen Handels sind in den letzten Jahrzehnten die Transportwege ausgeweitet worden. Landwirtschaftliche Produkte durchlaufen oft zahlreiche Stationen vom Feld, über die verarbeitende Industrie bis in die Handelsunternehmen. Bei jeder Einlagerung und jedem Transport ist mit Verlusten zu rechnen. Die sogenannten «Nach der Ernte»-Schäden umfassen alle Beeinträchtigungen und Verluste von Lebens- und Futtermitteln, die direkt nach der Gewinnung in der Landwirtschaft bis hin zum Verzehr anfallen. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Warenströme gibt es keine verlässlichen Zahlen über die Vorratsschäden in den entwickelten Ländern. Weltweit werden die Einbussen durch Schädlinge im Vorratsbereich auf zehn bis 20 Prozent geschätzt. Davon sind ca. 80 Prozent auf Insekten zurückzuführen, der restliche Schaden lässt sich auf Pilze, Nagetiere und Vögel zurückführen. Im Gegensatz zu den Entwicklungs- und Schwellenländern verfügen die entwickelten Regionen wie Europa beim Vorratsschutz über professionelle Lagertechniken, Hygienemassnahmen und Konservierungsverfahren. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass die Schäden im Vorratsbereich in den Entwicklungsländern bei rund 30 Prozent und in den entwickelten Ländern entsprechend niedriger liegen.259 77 2 Insekten als Schädlinge Allein in der landwirtschaftlichen Produktion in Deutschland betragen die durch Insekten verursachten «Nach der Ernte Verluste» rund zwei Prozent.260 Zusätzlich entstehen Schäden, die während der nachfolgenden Transport- und Verarbeitungsstufen durch bereits in den Produkten vorhandene oder hinzukommende Insekten verursacht werden. Schliesslich treten Schäden beim Verbraucher auf: Jedes Jahr werden mindestens zwei Millionen Haushalte von Lebensmittelmotten befallen, die die gekauften Vorräte verunreinigen und ungeniessbar machen.261 Ingesamt kann deswegen von einem durch Insekten verursachten Schaden von mehr als fünf Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Grundproduktion ausgegangen werden. In Europa werden immer mehr Schädlinge eingeschleppt und die Resistenz der endemischen Arten gegen Bekämpfungsmassnahmen nimmt zu, sodass von einem generellen Anstieg der Vorratsschädlinge auszugehen ist.262 Bei der Vorratslagerung sind die wichtigsten Schädlinge:263 • • • • • • • • • • 78 Amerikanischer Reismehlkäfer (Tribolium confusum) Brotkäfer (Stegobium paniceum) Dörrobstmotte, Synonym Kupferrote Dörrobstmotte (Plodia interpunctella) Getreideplattkäfer, Synonym Getreideschmalkäfer (Oryzaephilus surinamensis) Kornkäfer (Sitophilus granarius) Kornmotte (Nemapogon granellus) Mehlmilbe (Acarus siro) Rotbrauner Leistenkopfplattkäfer (Cryptolestes ferrugineus) Speichermotte, Synonym Heu- oder Tabakmotte (Ephestia elutella) Staubläuse, Synonym Flechtlinge (Psocoptera) 2.3.3 Waldschäden . )nsekten gefährden Pflanzen Weltweit sind Prozent der Landfläche von Wäldern bedeckt.264 Ihre Verteilung fällt sehr unterschiedlich aus. Die grossen Waldregionen finden sich in Nordamerika, Russland, Südafrika und Südamerika und damit zu einem grossen Teil im tropischen Bereich, in dem besonders viele Insekten heimisch sind. Die in ursprünglichen Wäldern endemischen Insekten verursachen nur geringe Schäden.265 Offensichtlich hat sich über Jahrhunderte ein Gleichgewicht eingestellt, das )nsekten und Pflanzen nebeneinander friedlich leben lässt. Die gegenwärtigen Schäden werden bis zu 40 Prozent auf das zunehmende Eindringen von fremden Insekten zurückgeführt, die sich aufgrund des Fehlens natürlicher Feinde sehr schnell ausbreiten können. So wurde z.B. der Bergkiefernkäfer (Dendroctonus ponderosae) erstmals auf dem amerikanischen Kontinent 1994 in British Columbia entdeckt. Das Insekt zerstörte in den ersten zehn Jahren 240 Millionen Kubikmeter Wald auf einer Fläche von über 110.000 Quadratkilometern und verursachte somit einen jährlichen Schaden von 1,7 Millionen US-Dollar. Der Käfer breitete sich dann schnell in ganz Kanada aus und erreicht mittlerweile die USA. Der kanadische Staat gab bis 2004 insgesamt über 80 Millionen US-Dollar aus, um den Käfer unter Kontrolle zu halten.266 Der ursprünglich aus Asien stammende und 2002 in Ontario entdeckte Asiatische Eschenprachtkäfer (Agrilus planipennis) wird in Nordamerika einen noch grösseren Schaden anrichten. Nachdem er sich im Jahr 2009 in neun weiteren Staaten der USA ausbreitete, errechneten Wissenschaftler, dass der Käfer ohne Bekämpfungsmassnahmen in den folgenden zehn Jahren insgesamt 38 Millionen Eschen zerstören wird. Allein der notwendige Abtransport und die Wiederaufforstung von 17 Millionen Bäumen würden 10,7 Milliarden US-Dollar kosten. Die Ausgaben liegen jedoch noch höher. Um die grossen befallenen Flächen zu kultivieren, müssen insgesamt 30 Millionen Bäume gerodet und neues Kulturland angelegt werden. Eine Studie geht von Kosten in Höhe von über 20 Milliarden US-Dollar aus.267 79 2 Insekten als Schädlinge In Ost- und Südafrika sind in den 1980er Jahren drei Insekten gleichzeitig eingeschleppt worden, die Nadelholzbäume schädigen: Pineus boerneri, Eulachnus rileyi und Cinara cupressivora. Allein der letztgenannte Käfer zerstörte eine Waldfläche im Wert von Millionen US-Dollar, was einen jährlichen wirtschaftlichen Verlust von 14,5 Millionen US-Dollar bedeutet. Zusammen schädigen die drei Käfer die afrikanischen Länder jedes Jahr mit einem Verlust von 17 Millionen US-Dollar.268 Auch in Europa sind aggressive, plötzlich auftretende Waldschädlinge wie der Asiatische Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis) und der Eichenprozessionsspinner bekannt, die hohe Kosten für die Rodung von ganzen Wäldern sowie Monitoring und Bekämpfung verursacht haben.269 Anfang der 2000er Jahre wurden jährlich weltweit mindestens 370.000 Quadratkilometer Wald durch Insekten zerstört (Europa: , Millionen , was einem Anteil an der Gesamtfläche von , Prozent entspricht. Hierbei lagen kaum Zahlen für die afrikanischen Länder vor, so dass man davon ausgehen kann, dass insgesamt weit mehr Fläche als bisher gemessen den Insekten zum Opfer fällt.270 80 3 Insekten heute und in Zukunft Wie haben sich die Insekten in den letzten Jahren weltweit entwickelt? Hat ihre Anzahl zu- oder abgenommen? Wie wird es mit ihrer Entwicklung weitergehen? Die Antwort auf diese Fragen ist schwierig, weil die meisten Insektenarten noch nicht entdeckt und entsprechend in ihrem Bestand untersucht worden sind. Die Schätzungen für ihre Anzahl bewegen sich zwischen zwei und zehn Millionen.271 Insbesondere in den Tropischen Regenwäldern wird ein Mehrfaches der heute über eine Million bekannten Insektenarten vermutet.272 Der Artenreichtum in diesen Lebensräumen ist zehnmal höher als in den Waldbiotopen Mitteleuropas.273 Er kann jedoch aufgrund fehlender Daten in den folgenden Ausführungen nicht berücksichtigt werden. Der lokale Bestand an Insekten und dessen Entwicklung hängen von mehreren Faktoren ab wie z.B.: • • • • Temperatur/Luftfeuchtigkeit Nahrungsangebot Brutmöglichkeiten Natürliche Feinde Alle )nsekten benötigen ein artspezifisches Umfeld. Zecken wie der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) fühlen sich ab einer Temperatur von acht Grad wohl. Die Stubenfliege Musca domestica) bevorzugt Lebensräume mit mindestens 15 Grad und die Asiatische Tigermücke (Stegomyia albopicta) benötigt Temperaturen von über 20 Grad, um sich gut zu entwickeln. Während Fliegen und Mücken in gemässigten Zonen überleben, brauchen Zecken eine Luftfeuchtigkeit von mindestens 85 Prozent.274 Zecken und Stechmücken ernähren sich vom Blut von Säugetieren und Vögeln. Zusätzlich saugen Stechmücken auch Nektar und andere Blütensäfte. Adulte Fliegen dagegen suchen kohlen- und eiweisshaltige Nahrung wie z.B. Obstsäfte und Milch. Die Larven der Fliegen können sich von zersetzten pflanzlichen Stoffen wie z.B. Exkrementen ernähren. 81 3 Insekten heute und in Zukunft Für ihre Brut benötigen Insekten unterschiedliche Rahmenbedingungen. Während Stechmücken feuchte Orte bevorzugen, bauen Ameisen eigene Nester für ihren Nachwuchs und suchen dafür meist Pflanzenteile und geschützte Stellen. Andere )nsekten wie die Stubenfliege Musca domestica) brauchen organisches Material wie Müll, Dung oder Nahrungsmittel für die Eiablage und Larvenentwicklung. Adulte Fliegen sind die Hauptnahrungsquelle von vielen Vögeln. Fliegenlarven dagegen sind die Hauptnahrungsquelle vieler Fische. Zecken werden von Pilzarten befallen sowie von Fadenwürmern, parasitischen Insekten wie der Erzwespe Ixodiphagus hookeri und vereinzelt auch von Vögeln gefressen. Die Asiatische Tigermücke (Stegomyia albopicta) hat ganz andere natürliche Feinde. Ihre Eier sind bei Ameisen wie der Art Solenopsis invicta und bei Marienkäfern beliebt, die erwachsenen Tiere werden von Webspinnen gejagt. Alle beschriebenen Zusammenhänge können sich durch externe Einflüsse verändern. )m Folgenden wird deshalb auf die Auswirkungen menschlicher Handlungen auf die Welt der Insekten eingegangen. 3.1 Anthropogene Einlüsse auf Lebensräume Über Jahrhunderte gewachsene Ökosysteme werden durch die menschliche Nutzung verändert oder sogar gänzlich zerstört. Dadurch überleben die darin etablierten Arten mit dann reduzierter Population – oder sie sterben ganz aus. Gebietsfremde Tiere und Pflanzen dringen in die Lebensräume ein, können sich zur dominanten Kraft entwickeln und damit den Gesamtbestand an Organismen sogar erhöhen. Nachstehend wird diskutiert, ob und in welcher Weise anthropogene Eingriffe in die Natur die Lebensbedingungen von )nsekten prägen. Die einzelnen Einflüsse sind dabei in einem Geflecht von Wechselwirkungen zu sehen. So verstärkt beispielsweise die Forstwirtschaft durch Rodung den Klimawandel und die Stickstoffemissionen aus dem Strassenverkehr verschlechtern die Bodenfruchtbarkeit für die Landwirtschaft. 82 . Anthropogene Einflüsse auf Lebensräume Abb. 14: Die Klimaerwärmung fördert die Vermehrung der Denguemücke (Aedes aegypti). Bild: CC by U.S. Department of Agriculture, flickr.com Abb. 15: Zugvögel wie der Hausrotschwanz kehren durch die Klimaerwärmung eher aus ihren Winterquartieren zurück und beeinflussen so die )nsektenpopulation. Bild: CC by Frank Vassen, flickr.com 83 3 Insekten heute und in Zukunft 3.1.1 Klimawandel Der anthropogene globale Klimawandel wirkt sich unmittelbar auf die natürlichen Lebensräume aus.275 So hat z.B. die Temperaturerwärmung in den letzten 100 Jahren auf der ganzen Welt die Vegetationszeit für Pflanzen früher beginnen lassen. Studien zeigen, dass der Frühling heute – im Vergleich zu dem vor 60 Jahren – sieben Tage eher anfängt.276 Eine nordamerikanische Langzeitstudie über 100 Jahre kam zu dem Schluss, dass der Frühling aufgrund der erfolgten Temperaturerhöhung von bis zu 2,3 Grad sogar um zehn bis 13 Tage früher einsetzte.277 Dies verändert auch die Lebensgewohnheiten der Tiere. In England konnten Wissenschaftler feststellen, dass Vögel deutlich eher brüten. Sie untersuchten über 24 Jahre lang insgesamt 74.000 Nester: Die Vögel brüteten 8,8 Tage früher als zu Beginn der Studie.278 Insekten wie beispielsweise Schmetterlinge können noch intensiver auf die Klimaerwärmung reagieren. In Kalifornien sind z.B. 75 Prozent von 23 untersuchten Arten 24 Tage früher zu sehen als vor 30 Jahren.279 Die globale Klimaerwärmung ist dabei ein neuzeitliches Phänomen. Sie vollzieht sich so schnell, dass Lebensräume und deren Flora und Fauna nicht die Zeit haben sich entsprechend daran anzupassen. Während mehrere hundert Jahre nur unwesentliche Temperaturschwankungen zu beobachten waren, steigt die Erderwärmung seit 1900 kontinuierlich an.280 Die erhöhte Temperatur sowie die Häufung extremer Wetterereignisse strapazieren in hohem Masse die über lange Zeit gewachsenen Ökosysteme. Anfällige, seltene Biotope, wie beispielsweise Korallenriffe, boreale und tropische Regenwälder, Gletscher, Mangrovenwälder, Graslandschaften, arktische und alpine Ökosysteme sowie Prärie- und Feuchtgebiete werden dauerhaft geschädigt.281 Damit verbunden ist auch ein Rückgang der Insektenarten in den entsprechenden Lebensräumen. Die Populationszusammensetzung und -dichte in diesen Biotopen ist generell von der Anpassungsfähigkeit der einzelnen Insektenarten abhängig: 84 • • . Anthropogene Einflüsse auf Lebensräume Das Ausbreitungsgebiet von nicht besonders temperaturempfindlichen Insekten vergrössert sich. Der Lebensraum von temperaturempfindlichen )nsekten verkleinert sich. )nsektenarten, die nicht besonders temperaturempfindlich sind, tolerieren eine grössere Bandbreite von Temperaturen als andere. Erwärmt sich generell das Klima, ertragen sie die Erwärmung im bestehenden Biotop und können sich gleichzeitig nordwärts ausbreiten. So finden sich z.B. in den USA immer mehr tropische )nsektenarten wie Tropische Grosslibellen, die von Kuba und den Bahamas nach Florida einwandern.282 In Europa dagegen können sich Insekten wie die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) etablieren. Temperaturempfindliche )nsekten wie z.B. Schmetterlinge wechseln aufgrund des Klimawandels ihren bisherigen Lebensraum. Sie verlassen ihre angestammten Biotope und ziehen nordwärts und in die Höhe. Eine Studie in England konnte zeigen, dass zwischen 25 und 37 Prozent der Rückgänge der lokalen Schmetterlingsbestände wie dem Grossen Sonnenröschen-Bläuling (Aricia artaxerxes), dem Graubindigen Mohrenfalter (Erebia aethiops) und dem Knochs Mohrenfalter (Erebia epiphron) auf die allgemeine Klimaerwärmung zurückzuführen waren. Die Tagfalter zogen jeweils in Gebiete, die ihrer Temperatur entsprachen. Diese Zone bewegte sich über 19 Jahre lang 88 Kilometer nordwärts und 98 Meter höher.283 In den USA wurde nachgewiesen, dass der Scheckenfalter Euphydryas editha seinen Lebensraum innerhalb von mehr ca. 100 Jahren um 105 Meter in die Höhe verschoben hat und unter einer Höhe von 2.400 Metern 40 Prozent der Population ausgestorben ist.284 In Südfrankreich ist der Apollofalter (Parnassius apollo) unter einer Höhe von 850 Metern gänzlich verschwunden. Über 900 Metern fühlt er sich hingegen weiterhin sehr wohl.285 Ein Wechsel des Lebensraums ist jedoch nur dann erfolgreich, wenn die Insektenart grundlegend anpassungsfähig ist. Fehlt z.B. die gewohnte Nahrungsquelle im neuen Biotop, müssen die Insekten sich anders ernähren – sonst sterben sie aus. Seinen Namen hat der Kleine Sonnenröschen-Bläuling (Aricia agestis) seiner exklu85 3 Insekten heute und in Zukunft siven Spezialisierung auf das Gelbe Sonnenröschen (Helianthemum nummularium zu verdanken. Das temperaturempfindliche )nsekt bewegte sich aufgrund der Klimaerwärmung nordwärts. Seine wärmeaffine Nahrungsquelle hingegen verblieb in der (eimat des Schmetterlings. Der Bläuling schaffte es, sich umzustellen und kann sich heute von Geranien ernähren.286 Neben der Temperaturerwärmung wirken sich auch extreme Wetterereignisse auf die Insektenpopulationen aus. Eine experimentelle Studie aus Österreich simulierte die Auswirkungen des Klimawandels und konnte zeigen, dass eine Erhöhung der Wassermenge um 15 Prozent je Regenfall und die Verlängerung von Trockenphasen um 25 Prozent die Insektenbestände zwischen 39 (Zykaden Auchenorrhyncha und Prozent Zweiflügler Diptera und Netzflügler Neuroptera) reduzierte.287 Grundsätzlich gilt für die Anpassungsfähigkeit von Insekten: Anspruchslose Generalisten können sich besser auf neue Umweltbedingungen einstellen und sich dementsprechend vermehren. Anspruchsvolle Spezialisten dagegen gehen in ihrem Bestand zurück. Damit verbunden ist ein starker Verlust an Biodiversität. «Vor allem seit Mitte des letzten Jahrhunderts nimmt sie die biologische Vielfalt, Anm. des Verfassers jedoch dramatisch ab, so dass inzwischen viele wild lebende Arten und natürliche Ökosysteme in ihrer Existenz oder dauerhaften Funktionstüchtigkeit akut bedroht sind. In Deutschland sind aktuell rund 40 Prozent der wildlebenden Tierarten, ca. Prozent der Farn- und Blütenpflanzen und etwa 70 Prozent der Lebensräume gefährdet.»288 Neben der generellen Anpassungsfähigkeit der Insekten ist die zeitliche Synchronisierung der Nahrungsnetze notwendig. Die Lebenszyklen der einzelnen, voneinander abhängigen Pflanzen und Tiere müssen trotz Klimaerwärmung und allfälligen geographischen Verschiebungen zusammenpassen: Herbivore Insekten und deren Pflanzen, Prädatoren und ihre Beutetiere, Parasiten und deren Wirte sowie Bestäuber und ihre Pflanzen.289 In Deutschland blühen beispielsweise Apfelbäume, die repräsentativ den Beginn des Früh86 3.1 Anthropogene Einflüsse auf Lebensräume lings zeigen, heute schon 20 Tage früher als noch vor 50 Jahren. Das entspricht vier Tagen pro Jahrzehnt. Eine ähnliche Entwicklung ist bei den Waldbäumen in vielen Ländern Europas zu beobachten.290 Solche grossen Verschiebungen führen zu komplexen Anpassungserscheinungen der Natur: Bestimmte Vogelarten können sich aufgrund des kürzeren Winters positiv entwickeln. Andere, wie z.B. Zugvögel, kommen zu spät, weil ihre Nisthöhlen dann bereits von anderen Vogelarten besetzt sind. Pflanzen blühen früher und fordern von den Insekten eine parallele Entwicklung. Um das System stabil zu halten, müssen sich auch die Fressfeinde der Insekten analog darauf einstellen. Ein funktionierendes Ökosystem besteht aus zahlreichen Elementen, die viele Jahre brauchten, um sich zu harmonisieren. Diese notwendige Abstimmung kann nicht immer so kurzfristig erfolgen, weshalb einige Tiere und Pflanzen aussterben. Die globale Temperatur ist in den letzten 100 Jahren angestiegen, in Europa z.B. um 0,8 Grad.291 Bis zum Jahr 2100 wird weltweit eine weitere Klimaerwärmung von 1,8 bis 4,0 Grad erwartet.292 Zusätzlich wurden in den letzten Jahrzehnten vermehrt extreme Wetterereignisse wie Trockenperioden und Überschwemmungen registriert. Durch heftige Regenfälle entstehen viele kleine stehende Gewässer, in denen Insekten wie Stechmücken und bestimmte Fliegenarten ideale Brutplätze finden. Je höher die Temperatur steigt, desto schneller verpuppen sich die Larven zu adulten Tieren. Für die Ägyptische Tigermücke (Aedes aegypti, vgl. Abbildung 14) konnte z.B. festgestellt werden, dass die Verpuppungsdauer sich mit zunehmender Temperatur verkürzt:293 • • • • bei 16 Grad Celsius: bei 20 Grad Celsius: bei 25 Grad Celsius: bei 30 Grad Celsius: 32 Tage 16 Tage 9 Tage 6,5 Tage Die Höhe der Temperatur korreliert direkt mit der Anzahl der Insekten. Sie sorgt nicht nur für eine schnellere Verpuppung, sondern auch für eine häufigere Paarung und damit eine verstärkte Eiablage. Entsprechend bringt der Temperaturanstieg eine höhere Generationenanzahl hervor. 87 3 Insekten heute und in Zukunft Je wärmesensibler die Insekten sind, desto stärker wirkt sich eine Temperaturänderung auf ihre Populationsentwicklung aus. Besonders sensibel sind z.B. Blattläuse, die sich pro Jahr normalerweise ein- bis zweimal (bivoltin) vermehren. Steigt die durchschnittliche Jahrestemperatur nur um ein Grad, bringen die Blattläuse eine zusätzliche Generation hervor und vermehren sich entsprechend dreimal.294 Die in Europa endemischen Maiszünsler (Ostrinia nubilalis) sind ein Beispiel für Insekten, die sich aufgrund der Klimaerwärmung nicht nur stärker fortpflanzen, sondern sich gleichzeitig auch nach Norden ausbreiten. In den letzten Jahrzehnten vermehrte sich der Schmetterling in Süditalien, Griechenland und Spanien dreimal pro Jahr (trivoltin), in Norditalien, Nordspanien und Südfrankreich zweimal und in Nordeuropa und damit auch in Deutschland nur einmal (univoltin).295 Im Jahr 2002 konnte erstmals eine bivoltine Population am Genfersee beobachtet werden. Vier Jahre später fanden sich auf einer Fläche von 0,5 Quadratkilometern zweimal vermehrende Maiszünsler im süddeutschen Breisgau. Im Folgejahr besiedelten sie bereits 25 und im Jahr 2013 rund 2.000 Quadratkilometer.296 Die Erderwärmung führt zu milderen Wintern, die in den letzten Jahrzehnten festgestellt wurden. Je wärmer ein Winter ist, desto mehr Insekten können überleben bzw. länger leben. Voraussetzung dafür ist, dass auch das Nahrungsangebot in der kälteren Jahreszeit weiter bestehen bleibt. Zecken profitieren z.B. davon, dass ihre Wirtstiere wie Mäuse oder auch Hochwild bei gemässigteren Temperaturen bessere Überlebenschancen haben. Lange trockene Phasen im Sommer schaden der Entwicklung feuchtigkeitsliebender Insekten wie gewisser Fliegen und Stechmücken. In Siedlungsgebieten wurden und werden jedoch anthropogene Feuchtigkeitsbiotope und damit gute Brutstätten geschaffen: Künstlich angelegte Flussverläufe, Wasserspeicher aller Art und Bewässerungssysteme von landwirtschaftlichen Flächen sowie Park- und Gartenanlagen. Die folgenden Beobachtungen fassen einige beispielhafte Entwicklungen zusammen, die der Klimawandel in Deutschland verursacht:297 88 Alpen-Gletscher • • . Anthropogene Einflüsse auf Lebensräume 1850 bis 1979: ein Drittel der Fläche bzw. die Hälfte der Eismasse schmilzt ab, seit 1980 Verlust von weiteren 25 Prozent Zugspitze: Eisbedeckung heute nur noch ein Fünftel (Basis 1930), Verkürzung des Zeitraums mit Eisbedeckung von etwa zwei bis drei Monaten auf meist einen Monat (Basis 1970er Jahre) Tierverhalten • Zugvögel sind bis zu 20 Tage länger hier als vor 30 Jahren, jede dritte Vogelart brütet etwa neun Tage früher Landwirtschaft • Trockenstress wegen geringeren Niederschlags und wasserferner Anbauflächen Wasserwirtschaft • Absinkende Grundwasserspiegel in Brandenburg seit 30 Jahren durch abnehmende Sommerniederschläge und höhere Verdunstung Extrem-Ereignisse • • • Verdopplung der Stürme und Überschwemmungen seit 1970 Massenvermehrungen von Pflanzen und Tieren in bestimmten Lebensräumen (z.B. Ruderfusskrebs vor Helgoland) Verschiebung des Verbreitungsgebietes von Schmetterlingen um 35 bis 240 Kilometer nordwärts innerhalb von 30 bis 100 Jahren Verschiebung phänologischer Phasen bei Pflanzen • • • (äufigkeit wärmeliebender Pflanzenarten steigt Verfrühung der Blüte von Apfel, Schneeglöckchen spätere Herbstfärbung der Blätter um etwa 5 Tage Die Auswirkungen der hier beschriebenen Beobachtungen auf die Insektenpopulationen können unterschiedlich sein. In der Summe kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die klimainduzierten Veränderungen der Lebensräume der Insekten sich positiv auf die Abundanz auswirken: 89 3 Die Entwicklung der Insekten • • • • • Verkürzte Perioden der Eisbedeckung von Seen lassen die aquatischen Biotope länger und intensiver wachsen. Damit steigt der Insektenbestand in diesen Gebieten. Stürme und Überschwemmungen fördern tendenziell die Populationen von Stechmücken und gewissen Fliegen. Massenvermehrungen von Pflanzen wirken sich positiv auf das Nahrungsangebot und damit auf die Populationsentwicklung der Insekten aus. Die Vergrösserung ihres Verbreitungsgebietes bietet den Insekten eine breitere Futterauswahl und aufgrund von zunächst fehlenden Konkurrenten und Räubern auch bessere Entwicklungsmöglichkeiten. Die früher einsetzende Blütezeit von Pflanzen bereichert das Nahrungsangebot für Insekten. Einige klimainduzierte Veränderungen wirken sich dagegen negativ auf die Insektenpopulation aus: • • Die Verlängerung der Rastzeiten von Brutvögeln sowie das frühere Brüten der heimischen Vögel wirken sich negativ auf den lokalen Insektenbestand aus (vgl. Abbildung 15). Trockene Anbauflächen und absinkende Grundwasserspiegel verändern das lokale Biotop und verschlechtern damit die Entwicklungsmöglichkeiten von Insekten. Die aufgezeigten klimatischen Veränderungen lassen sich weltweit beobachten. Damit kann festgestellt werden, dass die allgemeine Klimaveränderung die Entwicklung der Insekten generell fördert. Auch Massenvermehrungen von Tieren, von denen sich Insekten ernähren, können den Insektenbestand vergrössern. Wenn es jedoch zu Massenvermehrungen von Tieren kommt, die Insekten jagen, schmälert dies die Insektenzahl. Für Deutschland wird aufgrund der allgemeinen Klimaveränderung ein Anstieg der Stechmücken- und Zeckenzahlen prognostiziert.298 Auch bei den Wespen finden sich Beispiele für wärmeliebende, ursprünglich im Mittelmeerraum endemische Insekten, die sich nun immer mehr in Deutschland etablieren. Hier breiten sich seit einigen 90 . Anthropogene Einflüsse auf Lebensräume Jahren die Grabwespen Sphex funerarius und Philnathus coronatus sowie die Dolchwespe Scolia sexmaculata aus. Jüngste Einwanderer sind seit dem Jahr 2005 die Grabwespen Pison atrum und Miscophus eatoni sowie die aus Südostasien stammende Grabwespe Sceliphron curvatum.299 Immer mehr Insekten aus tropischen Ländern können sich durch den Klimawandel auch in gemässigten, vorher für sie zu kalten Regionen etablieren. Durch ihr Eindringen verändern sich mittelfristig die Ökosysteme. Je nach Insekt und Umfeld steigt oder sinkt die Anzahl der Arthropoden. Nachstehend finden sich einige Beispiele aus Regionen, in denen die Anzahl der Schadinsekten zugenommen hat: • • • • «Der Chikungunya-Ausbruch im Jahr 2007 in Norditalien, der erstmalige Nachweis eines Chikungunya-Überträgers, Aedes albopictus («Tigermücke»), 2007 in Deutschland und die andauernde West-Nil-Epidemie in Nord- und Südamerika deuten an, dass Klimawandel und davon beeinflusste ökologische Faktoren sowie zunehmender globaler Personen-, Tier- und Güterverkehr auch in Deutschland autochthone Ausbrüche von Infektionskrankheiten ermöglichen könnten, deren Verbreitung früher auf tropische und subtropische Regionen beschränkt war.»300 «Seit Mitte der 1990er Jahre jedoch nimmt der Befall mit Bettwanzen nicht nur in Massenunterkünften, sondern auch in privaten Wohnungen und Häusern, Transportmitteln bis zu Luxushotels stetig zu. Hauptgründe dafür sind vermehrte Reisetätigkeit und Mobilität der Menschen, der nationale und internationale Handel mit Gebrauchtwaren (auch über das Internet), die Entstehung von Resistenzen gegen über Jahrzehnte eingesetzte Wirkstoffe sowie Verbote von einigen Wirkstoffen.»301 Getreideschädlinge haben sich seit 1960 zwischen 0,8 und 2,7 Kilometer nach Norden ausgebreitet.302 Schädlinge im Obstbau, wie z.B. der Apfelwickler (Cydia pomonella) haben in den letzten Jahren zugenommen und werden sich weiter ausbreiten. Ein Temperaturanstieg von ein bis drei Grad im Jahresmittel reicht aus, damit sich die Schädlinge statt ein bis zweimal neu dann drei bis viermal vermehren.303 91 3 Insekten heute und in Zukunft • Der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea), der sich bereits seit 1760 in Europa ansiedelte, hat in den letzten 20 Jahren in ganz Europa stark zugenommen. Gründe dafür sind z.B. Verschleppung von Pflanzenmaterial England , bessere Lebensbedingungen aufgrund von durch Rodungen durchsonnten Wäldern, frühere Blattaustriebe und wärmere Frühjahre.304 3.1.2 Urbanisierung und Verkehr Der weltweite Bevölkerungsanstieg vergrössert die Siedlungsflächen und deren Verbindungswege. In den stark wachsenden urbanen Gebieten sind die Wohnverhältnisse oft unzureichend: Fehlende oder undichte Kanalisationssysteme sowie bewusst oder unbewusst geschaffene Kleinwasserspeicher wie z.B. Schalen und Eimer sind ideale Brutstätten für Insekten. Ihre unmittelbare Nähe zu den Menschen und damit zu den Wirten sowie das enge Zusammenleben der Bewohner auf kleinstem Raum fördern die Entwicklung von Parasiten. Auf der anderen Seite beeinflusst die zunehmende Versiegelung ganzer Gebiete die Vielfalt der Natur und damit auch der Insekten negativ. In Deutschland wurden von 2000 bis 2010 durchschnittlich jeden Tag rund 950.000 Quadratmeter als Siedlungs- und Verkehrsfläche neu errichtet. Das entspricht einer jährlichen Fläche von knapp 350 Quadratkilometern. Davon wurde nicht die gesamte Menge versiegelt, aber doch umgenutzt und aktiv der natürlichen Umwelt entzogen. In den 1990er Jahren war der Bedarf mit 1,25 Quadratkilometern pro Tag noch höher, so dass von 1995 bis 2010 eine Fläche von über 6.000 Quadratkilometern versiegelt wurde.305 Das entspricht mehr als zweimal der Grösse des Saarlandes oder sechsmal der Grösse von Berlin. Durch die Vernetzung der Siedlungsgebiete können Tiere und Pflanzen neue Lebensräume erobern. Der wachsende internationale Waren- und Personenverkehr (vgl. Abbildung 16) fördert die Einschleppung gebietsfremder Insekten kurzfristig und erhöht damit langfristig die Anzahl der Insekten im jeweiligen Importland.306 In der Regel existieren für nicht heimische Insekten nach deren Ankunft 92 . Anthropogene Einflüsse auf Lebensräume Abb. 16: Internationaler Waren- und Personenverkehr fördert die Einschleppung gebietsfremder Insekten. Bild: CC by tobias ((, flickr.com Abb. 17: In Monokulturen vermehren sich Schädlinge wie Maiszünsler oder Maiswurzelbohrer besonders gut. Bild: CC by fishhawk, flickr.com 93 3 Insekten heute und in Zukunft keine Fressfeinde. Sie können sich ungehindert vermehren und damit die Anzahl der Insekten erhöhen. Mittel- und langfristig wird die Vermehrung jedoch durch dann angepasste Feinde reguliert, was die Anzahl der Insekten entsprechend reduziert. 3.1.3 Landwirtschaft Der Pro-Kopf-Konsum von Nahrungsmitteln nimmt besonders in den Entwicklungs- und Schwellenländern stark zu. Die Landwirtschaft muss deshalb stetig mehr Erträge bringen, was die Bauern in der Vergangenheit vor allem durch die Vergrösserung der Nutzfläche ermöglichten. In den letzten 50 Jahren ist die landwirtschaftlich genutzte Fläche weltweit jedes Jahr um ein Prozent gestiegen, die Erträge jedes Jahr zwischen zwei und vier Prozent.307 Mittlerweile werden über 15 Millionen Quadratkilometer für den Getreideanbau genutzt. Dies entspricht zwölf Prozent der weltweiten Landfläche.308 In Deutschland werden bereits über 50 Prozent der gesamten Fläche für die Landwirtschaft genutzt.309 Die Umnutzung vorhandener natürlicher Flächen ist mit einem Verlust der Biodiversität verbunden. Biotope, die sich über Jahrhunderte artenreich entwickeln konnten, werden nach landwirtschaftlichen Kriterien in für die bestehende Pflanzen- und Tierwelt nicht lebensfähige Räume umgewandelt. Das Effizienzstreben der Marktteilnehmer führt zu einer Reduzierung der Anbaupflanzen. Nur drei Pflanzensorten decken heute Prozent der für die menschliche Ernährung weltweit benötigten Nahrungsenergie: Mais, Reis und Weizen.310 Diese Abnahme der Strukturvielfalt ist dabei mit kürzeren Fruchtfolgen sowie erhöhten Nährstoffeinträgen verbunden. Auch langfristig kann sich deshalb auf den umgenutzten Flächen die Biodiversität nicht mehr in der verlorengegangenen Intensität entwickeln. Die Grösse und die Qualität der Lebensräume für Insekten sind entsprechend stark zurückgegangen. Generell führen die Erschliessung neuer Gebiete, die Umnutzung bestehender Flächen sowie die Rodung von Wäldern zum vollständigen Verlust der Lebensräume oder zur Abnahme der Attraktivität der Biotope für die etablierten Insektenarten. Dadurch reduziert sich auch die Insektenanzahl. 94 . Anthropogene Einflüsse auf Lebensräume «Während die kleinbäuerliche Landwirtschaft für eine grosse Vielfalt an Nutzungen und Strukturen sorgte und unzähligen Bienenarten ein Auskommen in den Feldfluren ermöglichte, ist die heutige industrielle Landwirtschaft die Hauptursache für ihren gravierenden Rückgang.»311 (vgl. auch Abbildung 19) Die neu entstandenen Biotope können jedoch andere Insekten anziehen und damit deren Population erhöhen. Ein Beispiel dafür ist der international zunehmende Maisanbau. Von 2006 bis 2013 erweiterte sich die weltweite Anbaufläche von , auf , Millionen Quadratkilometer und der Ertrag wuchs von 700 Millionen auf rund eine Milliarde Tonnen. )m gleichen Zeitraum nahm die Anbaufläche in Europa von 130.000 auf 190.000 Quadratkilometer zu.312 Trotz des erhöhten Einsatzes von chemischen und biologischen Bekämpfungsaktivitäten stiegen die Artenvielfalt sowie die Populationsdichte von Schadorganismen deutlich. Unkräuter und Pilzkrankheiten entwickelten sich rasch und Insekten breiteten sich aus. Die Monokulturen (vgl. Abbildung 17) zogen immer mehr Maiszünsler (Ostrinia nubilalis) an, die zusammen mit den in Frankreich und Spanien auftretenden Zünslern Sesamia nonagrioides Anfang der 2000er Jahre zwischen 25 und 50 Prozent des europäischen Maisanbaus schädigten. Auch andere Schmetterlinge wie Eulenfalter (Noctuidae) und Käfer wie Schnellkäfer (Elateridae) und der Westliche Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera virgifera) fühlten sich schnell wohl und vermehrten sich entsprechend.313 Weltweit zerstört der Maiswurzelbohrer rund sieben Prozent der landwirtschaftlichen Erträge und breitet sich weiter aus.314 )n den USA verursacht er heute Schäden und Pflanzenschutzkosten von ca. einer Milliarde US-Dollar pro Jahr.315 Auch in Deutschland hat der Maisanbau in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Während im Jahr 1960 auf rund 560 Quadratkilometern Mais produziert wurde, waren es 1990 schon 16.050 und 2013 rund 25.000 Quadratkilometer.316 Die Befallsdichte und Gesamtpopulation des Maiszünslers gibt Landwirten Anlass zur Sorge: So konnte z.B. im nördlichen Niedersachsen nachgewiesen werden, dass der sich von Süddeutschland nach Norden ausbreitende Schmetterling im Jahr 2011 in weniger als 50 Prozent der Maisfelder mit einem Befall von weniger als einem Prozent vorhanden war. Drei Jahre später waren über 80 Prozent der Fläche mit mehr als einem Prozent 95 3 Insekten heute und in Zukunft befallen und sogar über ein Viertel mit mehr als fünf Prozent.317 Im Jahr 2013 wurde der Maiszünsler in 90 Prozent aller deutschen Landkreise gefunden.318 Schliesslich entdeckte man 2007 erstmals auch den Westlichen Maiswurzelbohrer in Deutschland. Aufgrund erheblicher chemischer Bekämpfungsmassnahmen konnte man seine Ausbreitung stoppen. Im Jahr 2013 wurde der Schädling immer noch in sieben Prozent der Landkreise nachgewiesen.319 3.1.4 Schwefel- und Stickstoffemissionen Wesentlichen Einfluss auf Lebensräume sowie auf die Landwirtschaft haben die anthropogen (z.B. durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe) verursachten Schwefel- und Stickstoffverbindungen. Diese gelangen durch Regen und Nebel in den Boden (saurer Regen) und fördern die Eutrophierung (Überdüngung mit Nährstoffen) sowie die Versauerung der Böden. Zudem wird dem Boden bei der Düngung zu viel Phosphat zugeführt, das ein verstärktes Pflanzenwachstum hervorruft. Dadurch steigt die Biomasse und damit auch die Anzahl ihrer Verwerter. Diese benötigen zu viel Sauerstoff und erzeugen damit ein Ungleichgewicht, das dem Boden schadet und ihn degradieren lässt. Ein erhöhter Stickstoffgehalt wirkt sich auch direkt auf die Artenvielfalt in der Bodenfauna aus. Arten, die Stickstoff besonders mögen, wachsen schnell, andere, die nährstoffärmere Böden bevorzugen, gehen ein. Damit verändert sich die Artenzusammensetzung des jeweiligen Bodens, die sich vorher über lange Zeit optimiert hatte. Entsprechend wandelt sich langfristig das gesamte Ökosystem. Besonders deutlich werden diese Zusammenhänge am Beispiel des Regenwurms. Wie Insekten kann er zu Hunderten pro Quadratmeter vorkommen und in vielfacher Hinsicht die natürliche Entwicklung des Bodens fördern. Seine Gänge geben Bakterien Luft zum Atmen und bieten Pflanzen die Möglichkeit, schneller zu wachsen. So vermischt er unterschiedliche Bodenschichten und baut organische Substanzen ab. Seine Exkremente dienen als Dünger. Um zu leben, braucht der Wurm einen spezifischen Säuregehalt im Boden. Eine Studie konnte zeigen, dass sich der Regenwurm bei einem ph-Wert des Bodens 96 . Anthropogene Einflüsse auf Lebensräume Abb. : Die grossflächige Abholzung des Regenwalds zerstört Lebensräume und erhöht die CO2-Konzentration der Atmosphäre. Bild: CC by C)AT, flickr.com Abb. 19: In der Landwirtschaft können Elemente wie z.B. artenreiche Blühwiesen die Biodiversität erhöhen sowie Nahrung und Lebensraum für Insekten bieten. (Bild: © A. Heyd/NABU Bonn) 97 3 Insekten heute und in Zukunft zwischen 5 und 6 am wohlsten fühlt (über 130 Würmer pro Quadratmeter).320 Fällt der Wert dagegen unter 5, nimmt der Bestand rapide ab. Bei einem Wert von 4 bis 5 waren es nur rund 75 und bei einem Wert von unter 4 nur 10 Regenwürmer. Der Säuregehalt des Bodens wird sehr stark durch den Eintrag von Stickstoff, Schwefel und anderen Stoffen reduziert. So drängen diese Stoffe direkt den Bestand der Regenwürmer zurück und wirken sich massiv auf die Entwicklung der Böden und damit auf das Pflanzenwachstum und die )nsektenpopulationen aus. 3.1.5 Forstwirtschaft Die Forstwirtschaft beeinflusst die Lebensräume von )nsekten. Millionen Quadratkilometer oder 30 Prozent der gesamten weltweiten Landfläche sind mit Wald bedeckt, wovon allein Prozent in Russland, Brasilien, Kanada, USA und China liegen. Jedes Jahr werden rund . Quadratkilometer Waldfläche gerodet und damit natürliche Lebensräume vernichtet.321 Trotz umfangreicher Neuanpflanzungen beträgt der jährliche Nettoverlust immer noch rund 50.000 Quadratkilometer. Das entspricht einem täglichen Rückgang von 140 Quadratkilometern und damit einer Fläche von der Grösse einer Stadt wie Bonn.322 Wichtig für die Artenvielfalt ist nicht nur die Quantität sondern auch die Qualität des Waldes, z.B. bezüglich des Alters. Die Bäume werden in der Regel im ersten Drittel ihrer biologischen Lebenszeit gefällt. Damit wird viel natürliches Wachstumspotential nicht genutzt. Deshalb können sich manche Pflanzen und Tiere überhaupt nicht mehr entwickeln, vor allem nicht solche, die auf alte Waldbestände angewiesen sind. So sind z.B. nur 2,3 Prozent der Bäume älter als 160 Jahre.323 In Südamerika und Afrika sowie in Süd- und Südostasien ist der Holzeinschlag am gravierendsten. In den westlichen Industrieländern hingegen konnte die negative Entwicklung gestoppt werden: In Nordamerika stagniert die Grösse der Waldfläche und in Nordeuropa kann mittlerweile ein leichter Anstieg verzeichnet werden. Weltweit schrumpfte der Wald jedoch von 1990 bis 2015 um 3,1 Prozent.324 98 3.2 Bestandsentwicklung Damit wird nicht nur der Lebensraum zahlreicher Tiere und Pflanzen zerstört, sondern auch der CO2-Gehalt der Atmosphäre gesteigert. Der Wald entzieht bei der Photosynthese der Atmosphäre ständig Kohlendioxid (CO2) und dient somit als grosse Kohlenstoffsenke. Jedes Kilogramm Holz kann zwei Kilogramm Kohlenstoff speichern. Primärwälder halten entsprechend grosse Mengen an Kohlenstoff vor. Allein die jährliche Rodung der Tropenwälder ist für 20 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und trägt so wiederum wesentlich zum Klimawandel bei (vgl. Abbildung 18).325 3.2 Bestandsentwicklung Zahlreiche Insektenzählungen in Europa belegen, dass die Anzahl der )nsektenarten sowie die Populationen der Arten rückläufig sind. Der Vergleich nationaler roter Listen der gefährdeten Insekten zeigt, dass die Vielfalt an Arten und die Gesamtzahl der Tiere innerhalb aller Insektenordnungen in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen sind.326 Nur sehr wenige Artenbestände wachsen, während viele stagnieren oder rückläufig sind.327 Die Bestandsgefährdung liegt bei vielen Arten bereits im zweistelligen Prozentbereich. Eine länderübergreifende Studie zu Schmetterlingen in ganz Europa zeigt z.B., dass • • • • • nur vier Prozent der Falterarten in den letzten Jahren zunahmen, rund 50 Prozent der Arten stabil blieben und Prozent rückläufig waren. Bereits neun Prozent waren in ihrem Bestand gefährdet und zehn Prozent potenziell gefährdet.328 Für Grosslibellen konnte man europaweit feststellen, dass • • • • • die Bestände von zehn Prozent der Arten zunahmen, über 50 Prozent stabil waren und 24 Prozent zurückgingen. Bereits 15 Prozent waren in ihrem Bestand gefährdet und weitere elf Prozent potentiell gefährdet.329 99 3 Insekten heute und in Zukunft Beispielhaft für die europäische Populationsentwicklung wird nachstehend die Situation in Deutschland beschrieben.330 Die vom Deutschen Bundesamt für Naturschutz im Jahr 2011 herausgegebene Rote Liste gefährdeter Tiere331 zeigt, dass von den 5.910 untersuchten Insektenarten 45,8 Prozent, also 2.704 Arten, entweder ausgestorben, in ihrem Bestand gefährdet oder extrem selten geworden sind (vgl. Tab. 1).332 Im Vergleich zur letzten Roten Liste von 1998, als 38,3 Prozent der Arten als gefährlich eingestuft wurden, hat sich die Situation erheblich verschlechtert. Im Zeitraum von nur 13 Jahren (1998 bis 2011) hat sich die Zahl der gefährdeten Arten um knapp 20 Prozent erhöht. Dieser Artenschwund wird von einem massiven Rückgang der Insektenbestände begleitet: Die Populationen haben in den letzten 25 Jahren um 23,8 Prozent und damit um knapp ein Viertel abgenommen (vgl. Tab. 2). Besonders auffällig ist der starke Abwärtstrend bei den Ameisen, der nicht ausschliesslich mit den oben skizzierten Gründen für einen Rückgang der Arten- und Individuenzahlen zu erklären ist. Die negative Entwicklung der Ameisen wird unter anderem mit der Verringerung des Totholzanteiles in den Wäldern erklärt, der sich aufgrund einer verstärkten Nutzung des Holzes als Brennmaterial ergibt.335 100 3.2 Bestandsentwicklung Insektenfamilie Langbein-, Tanzund Rennraubfliegen Bewertete Rote-Liste% RoteArten Arten Liste-Arten 1.089 747 68,6% Ameisen 108 61 56,5% Bienen 561 293 52,2% Raubfliegen 81 39 48,1% Wespen 559 258 46,1% Zünsler 255 114 44,7% Heuschrecken Grossschmetterlinge 80 33 41,3% 1.444 542 37,5% Tab. 1: Rote Liste der gefährdeten Insekten in Deutschland.333 Insektenfamilie Negativ Stabil Positiv 0% 4,4% 0% Ameisen 91,7% 2,8% 56,5% Bienen 41,7% 45,6% 1,8% Raubfliegen 23,5% 30,9% 2,5% Langbein-, Tanzund Rennraubfliegen Wespen 37,4% 54,2% 0% Zünsler 27,8% 58,8% 3,1% Heuschrecken 22,8% 59,5% 10,1% Grossschmetterlinge 30,7% 51,0% 4,9% Tab. 2: Bestandsentwicklung innerhalb der Insektenfamilien in Deutschland zwischen 1985-2010. Nicht aufgeführt sind Arten mit unbekanntem Trend.334 101 3 Insekten heute und in Zukunft 3.3 Ausblick Insekten trotzen seit über 400 Millionen Jahren allen Umwelteinflüssen. Sie haben grösste Naturkatastrophen überstanden, indem sie sich den neuen Umweltbedingungen anpassten oder sich alternative Lebensräume suchten. Dabei profitierten sie von ihrer kurzen Generationszeit und der Fähigkeit, sich mehrmals im Jahr zu reproduzieren. Wie die Insekten jedoch langfristig mit den anthropogenen Einflüssen umgehen werden, ist kaum abzusehen. Dabei zeigen die im letzten Kapitel gezeigten Zahlen noch nicht die Folgen unseres gegenwärtigen Handelns. Die Insektenarten und deren Bestände werden in Zukunft noch mehr als beschrieben zurückgehen. In einer internationalen Studie konnte nachgewiesen werden, dass das Artensterben erst mit einer Verzögerung, meistens von einigen Jahren, eintritt. Der heutige Zustand ist also das Ergebnis unseres Handelns, das schon einige Jahre zurück liegt. Bedenkt man, dass die anthropogenen Umweltschäden in den letzten Jahren zugenommen haben, wird sich in Kürze ein noch schlechteres Bild darstellen.336 Die einzelnen Insektenfamilien und -arten dürfen in der generellen Analyse nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr gilt es Zusammenhänge zu berücksichtigen, z.B.: • • Insekten haben ein vielfältiges Wirkspektrum auf ihr Ökosystem. Bekannte Beziehungen zwischen Räuber und Beute gelten nicht immer. Insekten können parasitisch leben und sich von anderen Insekten ernähren. Die gleichen )nsekten können aber auch Pflanzen bestäuben. Die Larven von Schwebfliegen z.B. jagen Blattläuse. Gleichzeitig bestäuben sie aber auch zahlreiche Pflanzen. Gehen die Schwebfliegen zurück, können sich die Blattläuse besser entwickeln. Ein Rückgang der Fliegen bedeutet aber aufgrund der fehlenden Bestäubungsleistung auch einen Rückgang der Pflanzen und damit der Nahrungsquelle für viele andere Insekten. 102 3.3 Ausblick Wie sähe eine Welt ohne Insekten aus? Der bekannteste Insektenforscher der Welt Edward Wilson beschreibt die Auswirkungen folgendermassen: «Die Bedeutung von Insekten und anderen landbewohnenden Arthropoden ist so gross, dass die Menschheit deren völliges Verschwinden wahrscheinlich nur um wenige Monate überleben würde. Ebenso abrupt wie die Menschen würden die meisten Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere aussterben. Als nächstes verschwände die Mehrzahl der Blütenpflanzen und mit ihnen die physische Struktur der meisten Wälder und weiterer terrestrischer (abitate der Erde. Die Oberfläche des Festlandes würde buchstäblich verfaulen. Sobald die abgestorbenen Pflanzen sich anhäuften und verdorrten – und somit die Nährstoffkreisläufe unterbrächen –, stürben die höherentwickelten Pflanzenformen und mit ihnen fast alle landbewohnenden Wirbeltiere aus. Die freilebenden Pilze würden nach einer sprunghaften Populationszunahme gewaltigen Ausmasses einen ebenso steilen Populationsschwund erfahren, und die meisten Arten gingen zugrunde. Die Landmasse würde annähernd auf die Stufe des frühen Paläozoikums zurückfallen: von Matten liegender, windbestäubter Pflanzen bedeckt, hier und da durch versprengte Gruppen kleiner Bäume und Sträucher aufgelockert und weitgehend bar jeden tierischen Lebens.»337 103 4 Fazit: Gehasst, bedroht und schützenswert Die Leistungen von Insekten für unser Leben und unsere Ernährung, für die Wirtschaft und die Wissenschaft sind von unschätzbarem Wert. Ohne )nsekten gäbe es viel weniger Tiere und Pflanzen. Wir Menschen würden nach kurzer Zeit aussterben. Der weltweite Rückgang ihrer Populationen ist deshalb auch für uns bedrohlich. Andererseits richten Insekten aus menschlicher Sicht teils verheerende Schäden an und bilden eine Gefahr für Gesundheit und Besitz. Doch warum scheinen sich Insekten und Menschen nicht zu vertragen? Die Gründe dafür sind bei uns selbst zu suchen: • • Die Schäden entstehen, weil wir in die Natur eingreifen. Wir sind es, die Naturgebiete wie z.B. Wälder abholzen und Siedlungen bauen. Wohin sollen die )nsekten fliegen und kriechen? Zur Plage werden vor allem gebietsfremde Insekten. Wir sind es, die sie importieren. Wichtiger als die Bekämpfung vor Ort ist die Belassung der Tiere in ihrer Heimat. • Der Klimawandel fördert die Bewegung der Tiere über ihre bisherigen geographischen Grenzen hinweg. Deshalb sollten wir vor allem die Ursachen des Klimawandels angehen statt die Insekten zu bekämpfen und so weiteres Ungleichgewicht zu fördern. • Eine vielfältige Natur ist für uns von grösstem Nutzen. Selbst die für den Menschen gefährlichen Tsetsefliegen und Tigermücken haben einen ökologischen Wert: Sie sind Teil der Nahrungskette und fördern die Biodiversität. Wenn wir sie grossflächig bekämpfen, verstärken wir das ökologische Ungleichgewicht, das weitere Kettenreaktionen verursacht. Entscheidend ist, exakt nur dort einzugreifen, wo es dringend notwendig ist. 104 4 Fazit: Gehasst, bedroht und schützenswert Dort, wo Menschen und )nsekten in Konflikt geraten, lohnt sich deshalb ein differenzierter Blick auf die Situation. Insgesamt sollte die Insektenbekämpfung reduziert werden. Wo sie unbedingt notwendig erscheint, sollte sie möglichst umweltverträglich und ohne Chemieeinsatz geschehen. Schliesslich ist für jeden Eingriff in die Natur, der mit Insektenverlust verbunden ist, ein Ausgleich zu schaffen – idealerweise durch eine Kompensationsfläche.338 So lässt sich ein Zustand nahe am natürlichen Gleichgewicht herstellen und das Bewusstsein für den Wert von Insekten steigern. 105 Verzeichnis der Insekten Lat. Name Einordnung Seite Acarus siro Mehlmilbe 78 Acrida exaltata Heuschreckenart aus der Familie der Feldheuschrecken 27 Aedes aegypti, auch Stegomyia aegypti Ägyptische Tigermücke, Denguemücke 46, 50ff., 83, 87 Aedes albopictus, auch Stegomyia albopicta Asiatische Tigermücke 46, 50, 56, 81f., 85, 91 Agrilus auroguttatus Goldgefleckter Eichelbohrer 76 Familie der Mottenschildläuse 75 Anagyrus lopezi Schlupfwespenart aus der Familie der Erzwespen 29, 32, 38 Anaphe panda Schmetterling aus der Familie der Seidenspinner 27 Anisopteromalus calandrae Lagererzwespenart aus der Familie der Erzwespen 34 Anopheles Mückengattung aus der Familie der Stechmücken 46, 54 Anoplophora glabripennis Asiatischer Laubholzbockkäfer 80 Aphidoletes aphidimyza Gallmückenart 33 Apis mellifera Honigbiene 15 Aproceros leucopoda Ostasiatische Pflanzenwespe 76 Aricia agestis Kleiner Sonnenröschen-Bläuling 85 Aricia artaxerxes Grosser Sonnenröschen-Bläuling 85 Aromia bungii Asiatischer Moschusbockkäfer 76 Auchenorrhyncha Unterordnung der Zykaden 86 Batrocera invadens Fruchtfliegenart aus der Familie der Bohrfliegen 70 Tabakmottenschildlaus 69 Bombyx mori Chinesischer Maulbeerseidenspinner 40 Brachycera Fliegen 15 Ceratitis capitata Mittelmeerfruchtfliege 35 Aleyrodidae Bemisia tabaci 106 Verzeichnis der Insekten Ceratopogonidae Familie der Gnitzen oder Bartmücken 15 Chilo partellus Stängelbohrer 69 Chrysolina quadrigemina Käferart aus der Familie der Blattkäfer 34 Chrysoperla carnea 33 Cicadellidae Gemeine Florfliege oder Grüne Florfliege Familie der Zwergzikaden 75 Cinara cupressivora Zypressenrindenlaus 80 Coccinella septempunctata Siebenpunkt-Marienkäfer 33 Cochliomyia hominivorax Neuwelt-Schraubenwurmfliege 29 Ordnung der Käfer 67, 73 Fliegenart aus der Familie der Raupenfliegen 33 Rotbrauner Leistenkopfplattkäfer 78 Culex pipiens Gemeine Stechmücke oder Nördliche Hausmücke 50, 54, 56 Culex tritaeniorhynchus Reisfeldstechmücke 46, 52 Culicidae Familie der Stechmücken 30 Culicoides obsoletus Mückenart aus der Familie der Gnitzen oder Bartmücken 66 Culicoides pulicaris Mückenart aus der Familie der Gnitzen oder Bartmücken 66 Curculionidae Familie der Rüsselkäfer 74 Cydia pomonella Apfelwickler 75, 91 Dactylopius coccus Cochenilleschildlaus 42 Dendroctonus ponderosae Bergkiefernkäfer 79 Dermacentor reticulatus Auwaldzecke 46, 59 Coleoptera Compsilura concinnata Cryptolestes ferrugineus Diabrotica virgifera virgifera Westlicher Maiswurzelbohrer 76, 95 24, 86 Drosophila melanogaster Ordnung der Zweiflügler Elateridae Diptera Art aus der Familie der Taufliegen 39 Familie der Schnellkäfer 95 Ephestia elutella Speichermotte, Heumotte, Tabakmotte 78 Episyrphus balteatus (ainschwebfliege 33 Erebia aethiops Graubindiger Mohrenfalter 85 107 Verzeichnis der Insekten Erebia epiphron Knoch‘s Mohrenfalter 85 Eulachnus rileyi Pinienblattlaus 80 Euphydryas editha Schmetterling aus der Unterfamilie der Scheckenfalter 85 Glossina 46, 61, 65 Glossina palpalis Tsetsefliegen, Gattung aus der Familie der Zungenfliegen Habrobracon hebetor Hermetia illucens Tsetsefliegenart 61 Mehlmottenschlupfwespe 34 Soldatenfliege 31, 34, 42 30 Hyalomma marginatum Gattung aus der Familie der Eintagsfliegen Zeckenart aus der Familie der Schildzecken 58 Icerya purchasi Australische Wollschildlaus 32 Ichneumonidae Familie der Schlupfwespen 35 Ixodiphagus hookeri Art aus der Familie der Erzwespen 82 Ixodes dermacentor Amerikanische Hund- oder Waldzecke 61 )xodes pacificus Westliche Schwarzbeinzecke 59 Ixodes persulcatus Taiga Zecke 59 Ixodes ricinus Gemeiner Holzbock 46, 57f., 60, 67, 81 Ixodes scapularis Hirschzecke 49, 59 Kermes vermilio Kermes-Schildlaus 42 Laccifer lacca Lack-Schildlaus 41 Laelius pedatus Plattwespenart 33 Lampyridae Familie der Leuchtkäfer 39 Lariophagus distinguendus Lagererzwespe 34 Lepidoptera Ordnung der Schmetterlinge 24, 74 Lucilia caesar 17 Lucilia sericata Goldfliege Goldfliege 41 Lymantria dispar Schwammspinner 35 Miscophus eatoni Grabwespenart 91 Mononychellus tanajoa Grüne Cassava-Milbe 69 Musca domestica Stubenfliege 27, 81f. Hexagenia 108 Verzeichnis der Insekten Nemapogon granellus Kornmotte 78 Neuroptera Ordnung der Netzflügler 24, 86 Noctuidae Familie der Eulenfalter 95 Oecophylla smaragdina Asiatische Webermeise 31 Ornithodoros savignyi Zeckenart aus der Familie der Lederzecken 44 Oryzaephilus surinamensis Getreideplattkäfer 78 Ostrinia nubilalis Maiszünsler 75, 88, 95 Oxya fuscovittata Heuschreckenart aus der Familie der Feldheuschrecken 27 Parnassius apollo Apollofalter 85 Pediculus capitis 63 Phenacoccus manihoti Kopflaus Maniokschmierlaus 32 Philnathus coronatus Grabwespenart 91 Phlebotomus mascittii Sandmückenart aus der Familie der Schmetterlingsmücken 53 Pineus boerneri Blattlausart 80 Pison atrum Grabwespenart 91 Plodia interpunctellla Dörrobstmotte 78 Prostephanus truncatus Grosser Kornbohrer 69 Psocoptera Ordnung der Staubläuse 24, 78 Pulex irritans 63 Rhipicephalus sauguineus Menschenfloh Braune Hundezecke 60 Rodolia cardinalis Marienkäferart 32, 109 Sarcoptes scabiei Krätzmilbe 61 Scarabaeidae Familie der Blatthornkäfer 30 Sceliphron curvatum Orientalische Mauerwespe 91 Schistocerca gregaria Wüstenheuschrecke 70 Scolia sexmaculata Dolchwespenart 91 Sesamia nonagrioides Maiseule 95 Sitophilus granarius Kornkäfer 78 Solenopsis invicta Rote Feuerameise 82 Sphex funerarius Heuschreckensandwespe 91 Stegobium paniceum Brotkäfer 78 109 Verzeichnis der Insekten Stegomyia albopicta, auch Aedes aegypti Asiatische Tigermücke 46, 50, 56, 81f., 85, 91 Strauzia longipennis Sonnenblumenfruchtfliege 77 Syrphidae Tenebrio molitor Familie der Schwebfliegen 16 Mehlwurm 27 69 Thaumastocoris peregrinus Familie der Frucht- oder Bohrfliegen Wanzenart 77 Thaumetopoea processionea Eichenprozessionsspinner 63, 91 Thysanoptera 75 Tribolium confusum Ordnung der Fransenflügler Amerikanischer Reismehlkäfer 78 Trichogramma evanescens Schlupfwespenart 34 Trogoderma granarium Khaprakäfer 33 Urophora quadrifasciata Fliegenart aus der Familie der Bohrfliegen 36 Tephritidae Urophora affinis 110 Fliegenart aus der Familie der Bohrfliegen 36 Glossar Abundanz Populationsdichte bzw. Anzahl der Individuen einer Art, bezogen auf ihr Habitat. anthropogen Alles durch den Menschen verursachte, hergestellte, oder von ihm beeinflusste, wie z.B. vom Menschen verursachte Umweltprobleme. Arthropoden Zum Stamm der Gliederfüsser gehören Tiere wie Insekten, Krebstiere (z.B. Entenmuscheln oder Krebse), Tausendfüsser und Spinnentiere (z.B. Spinnen, Milben oder Skorpione). autochthon Einheimisch, indigen. Biodiversität Die Biologische Vielfalt beinhaltet drei Bereiche: die Vielfalt aller Arten z.B. Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen , aller Ökosysteme (d.h. Lebensräume und die Wechselwirkungen der Arten mit ihrer Umwelt) sowie die genetische Vielfalt innerhalb von Arten. Biodiversität umfasst damit weit mehr als der Begriff der Artenvielfalt. Biom Grosslebensraum; das gesamte vorherrschende Ökosystem eines weitläufigen Gebiets der Erdoberfläche. bivoltin Zwei Generationen pro Jahr. boreal Nördlich. Dem nördlichen Klima Europas, Asien und Amerikas zugehörend. 111 Glossar endemisch Das Auftreten von Pflanzen und Tieren in einer bestimmten, klar abgegrenzten Umgebung. Bei Krankheiten: Gehäuftes Auftreten in einer begrenzten Region oder Population. Entomologie Insektenkunde. Epidemie Örtliche und zeitliche Häufung einer Infektionskrankheit innerhalb einer Population von Menschen. Eutrophierung Überdüngung mit Nährstoffen. Epizootie Örtliche und zeitliche Häufung einer Infektionskrankheit innerhalb einer Population von Tieren. herbivor Kräuterfressend; bei Tieren: Tiere, die von pflanzlicher Nahrung leben. Insekten Insekten sind die artenreichste Klasse der Tiere und gehören zum Stamm der Gliederfüsser (Arthropoda). Zum Stamm der Gliederfüsser zählen daneben Krebse, Spinnentiere, Asselspinnen, Hundertfüsser sowie weniger bekannte andere Klassen. Mit knapp einer Million beschriebener Arten repräsentieren Insekten 60 Prozent aller beschriebenen Tierarten insgesamt. Im Deutschen nennt man sie auch Kerbtiere, wegen ihrer verschiedenen voneinander abgesetzten Körperteile: Kopf, Brust mit drei Beinpaaren, Hinterleib, Chitin-Panzer. Sie unterscheiden sich damit von der Klasse der Spinnentiere, die immer vier Beinpaare am Vorderteil tragen. Zu den bekanntesten )nsektenordnungen gehören (autflügler z.B. Ameisen, Bienen, Wespen , (euschrecken, Käfer, Libellen, Netzflügler, Ohrwürmer, Pflanzenläuse, Schaben, Schmetterlinge, Wanzen, Zikaden und Zweiflügler z.B. (ausfliege . Die meisten )nsekten sind ein bis Millimeter gross. Wegen ihrer Vielfalt besetzen sie heute fast jede ökologische Nische. koprophag Kot verzehrend. 112 Glossar Letalität Die Sterblichkeit bei einer Krankheit, d.h. das Verhältnis der Todesfälle zur Anzahl der Erkrankten. Mangrove Das Ökosystem Mangrove wird von Wäldern salztoleranter Mangrovenbäume im Gezeitenbereich tropischer Küsten mit Wassertemperaturen über 20 Grad gebildet. phänologisch Biologische Prozesse betreffend, die von regelmässigen natürlichen Entwicklungserscheinungen beeinflusst sind, z.B. Jahreszeiten. Parasit Organismus, der von einem anderen, grösseren Lebewesen (Wirt) Ressourcen z.B. Körperflüssigkeiten wie Blut abzieht und ihn dadurch schädigt. Pheromon Botenstoff zur Kommunikation zwischen Individuen derselben Art, z.B. Sexualpheromone zum Anlocken von Geschlechtspartnern oder Aggregationspheromone, mit dem Borkenkäfer sich versammeln, um eine Pflanze zu befallen. phytophag Pflanzenfresser im Tierreich. Bei grossen Tieren spricht man von Herbivoren, bei kleinen Tieren von Phytophagen. Prädator Räuber; fleischfressende Lebewesen. Resilienz Widerstandsfähigkeit eines Systems gegen Störungen bzw. Veränderungen. solitär Tiere, die einzeln leben, im Gegensatz zu geselligen Lebewesen (gregär). trivoltin Drei Generationen pro Jahr. 113 Glossar Trophieebene Stellung eines Lebewesens in der Nahrungskette. trophisch Die Ernährung betreffend. univoltin Eine Generation pro Jahr. vector-borne diseases In der Biologie und Medizin ist ein Vektor ein Krankheitsüberträger. Er transportiert einen Erreger vom Wirt auf einen anderen Organismus, ohne selbst zu erkranken. Zu den durch solche Vektoren ausgelösten („borne“) Krankheiten („diseases“) gehören z.B. die durch verschiedene Tigermücken übertragenen Dengue-, Chikungunja-, West Nil- und Gelbfieber. Xenogamie Die Fremdbestäubung kann durch Wasser, Wind und Tiere erfolgen. Zoonose Zoonosen sind Infektionskrankheiten, die sich von Tier zu Mensch oder von Mensch zu Tier übertragen. So wird z.B. das sogenannte Q-Fieber vor allem durch Schafe auf den Menschen übertragen. 114 Anmerkungen 1. Wilson, E.O. (1997): Der Wert der Vielfalt. Die Bedrohung des Artenreichtums und das Überleben des Menschen. München: Piper Verlag, S. 171. 2. O’Toole, C. (2000): Faszinierende Insekten. Wunder und Rätsel einer fremden Welt. Augsburg: Weltbild Verlag, S. 207. 3. Berenbaum, M.R. (2001): Unerwarteter Weltuntergang. Was geschähe, wenn plötzlich alle Insekten aussterben würden? In: Neue Züricher Zeitung Folio, Juli 2001, S. 14 ff. 4. In der Systematik der Biologie erfolgt die Einordnung von Arten wie folgt: Reich, Stamm, Klasse, Ordnung, Gattung, Art. Am Beispiel der Stubenfliege: Reich: Tierreich. Stamm: Gliederfüßer (Arthropoda). Klasse: Insekten (Insecta). Ordnung: Zweiflügler Diptera). Unterordnung: Fliegen (Brachycera). Familie: Echte Fliegen (Muscidae). Gattung: Musca. Art: Stubenfliege Musca domestica). 5. Berenbaum, M.R. (1997): Blutsauger, Staatsgründer, Seidenfabrikanten. Die zwiespältige Beziehung zwischen Mensch und Insekt. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag, S. 160. Und: Hölldobler, B.; Wilson, E. (2013): Der Superorganismus. Der Erfolg von Ameisen, Bienen, Wespen und Termiten. Berlin/ Heidelberg: Springer Verlag, S. 360. 6. Wilson, E.O. (1997): Der Wert der Vielfalt, Die Bedrohung des Artenreichtums und das Überleben des Menschen. München: Piper Verlag, S. 257. 7. Bundesamt für Naturschutz (BfN) (2009): Blütenbestäuber und Biodiversität. www.bfn.de/0326_bestaeuber.html (Zugriff: 25.08.2014). 8. Jaksic-Born, C. et al. (2006): Natura. Grundlagen der Biologie für Schweizer Maturitätsschulen. Zug: Klett und Balmer Verlag, S. 36. 9. Jaksic-Born, C. et al. (2006): Natura. Grundlagen der Biologie für Schweizer Maturitätsschulen. Zug: Klett und Balmer Verlag, S. 38. 10. Leins, P.; Erbar, C. (2008): Blüte und Frucht. Aspekte der Morphologie, Entwicklungsgeschichte, Phylogenie, Funktion und Ökologie. ., überarb. Auflage. Stuttgart: Schweizerbart‘sche Verlagsbuchhandlung. 11. 12. 13. In diesem Buch sind die lateinischen Namen der Gliederfüsser kursiv in Klammern gesetzt, wenn sie als direkte Übersetzung der zuvor genannten deutschen Bezeichnungen dienen. Sind sie ohne Klammern gesetzt, spezifizieren sie den zuvor genannten (in der Systematik der Biologie übergeordneten) Begriff. Beispiel: die Schlupfwespe Anagyrus lopezi. Schlupfwespen ist der Name einer Familie der (autflügler, in welche die Art Anagyrus lopezi eingeordnet wird. Klein, A.-M. et al. (2007): Importance of pollinators in changing landscapes for world crop. In: Proceedings of the Royal Society B, Biological Science, Vol. 274 (1608), S. 304. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) (2008): Rapid Assessment of Pollinators’ Status. A contribution to the international initiative for the conversation and sustainable use of pollinators. Rome: FAO, S. 5. 115 Anmerkungen 14. Vgl. auch: Ssymank, A. et al. (2009): Caring for Pollinators. Safeguarding agrobiodiversity and wild plant diversity. Bonn: Bundesamt für Naturschutz (BfN), BfN-Skripten 250, S. 39 ff. 15. Künast, C. (o.J.): Blütenbestäuber brauchen mehr Lebensraum. Wie Eh da-Flächen die biologische Vielfalt fördern können. Berlin: Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft e.V. (FNL) Initiative „Innovation & Naturhaushalt“, S. 11. 16. Greenpeace e.V. (2013): Bye Bye Biene? Das Bienensterben und die Risiken für die Landwirtschaft in Europa. Hamburg: Greenpeace e.V., S. 3 ff. 17. Klein, A.M. et al. (2007): Importance of pollinators in changing landscapes for world crop. In: Proceedings of the Royal Society B, Biological Science, Vol. 274 (1608), S. 303 ff. 18. Bawa, K.S. (1990): Plant–pollinator interactions in tropical rain forests. In: Annual Review of Ecology and Systematics, Vol. 21, S. 299–422.Und: Kremen, C. et al. (2007): Pollination and other ecosystem services produced by mobile organisms: a conceptual framework for the effects of land-use change. In: Ecology Letters 10(4), S. 299-314, S. 306. 19. Williams I.H. (1994): The dependence of crop production within the European Union on pollination by honey bees. In: Agricultural Zoology Reviews 6, S. 229 – 257. Und: Aizen, M.A. et al. (2009): How much does agriculture depend on pollinators? Lessons from long-term trends in crop production. In: Annals of Botany, Vol. 103, Nr. 9, S. 1579-1588. 20. Roubik, D.W. (1995): Pollination of cultivated plants in the tropics. In: FAO Agricultural Services Bulletin, Vol. 118, Rom: FAO. Und: Aizen, M.A. et al. (2009): How much does agriculture depend on pollinators? Lessons from long-term trends in crop production. In: Annals of Botany, Vol. 103, Nr. 9, S. 1579-1588. 21. der wichtigsten Futterpflanzen werden von )nsekten bestäubt. Die bestäubten Pflanzen entsprechen Prozent der weltweiten Lebensmittelproduktion. Die Pflanzen werden jedoch nicht ausschliesslich von )nsekten bestäubt, so dass der Anteil der Insekten niedriger als 35 Prozent ist. Klein, A.M. et al. (2007): Importance of pollinators in changing landscapes for world crop. In: Proceedings of the Royal Society B, Biological Science, Vol. 274 (1608), S. 306. 22. Lautenbach, S. et al. (2012): Spatial and Temporal Trends of Global Pollination Benefit. PLoS ONE :e . doi: . / journal.pone. . 23. Kremen, C. et al. (2007): Pollination and other ecosystem services produced by mobile organisms: a conceptual framework for the effects of land-use change. In: Ecology Letters. Vol. 10, S. 299. 24. Berenbaum, M. (2001): Unerwarteter Weltuntergang. Was geschähe, wenn plötzlich alle Insekten aussterben würden? In: Neue Züricher Zeitung Folio, Juli 2001, S. 14. 25. Aizen, M.A. et al. (2009): How much does agriculture depend on pollinators? Lessons from long-term trends in crop production. In: Annals of Botany, Vol. 103, S. 1579 ff. 26. Ebenda. 27. Greenpeace e.V. (2013): Bye Bye Biene? Das Bienensterben und die Risiken für die Landwirtschaft in Europa. Hamburg: Greenpeace e.V., S. 3 ff. 28. Schulbiologiezentrum des Landkreises Marburg-Biedenkopf (2001): Praxiskauz 2. Wir untersuchen den Lebensraum Boden. Tiere in der Laub- und Nadelstreu. 116 Anmerkungen 29. 30. Marburg: Arbeitshilfe zur Umwelterziehung, Schulbiologiezentrum des Landekreises Marburg-Biedenkopf., . Auflage, S. ff. Schulbiologiezentrum des Landkreises Marburg-Biedenkopf (2001): Praxiskauz 2. Wir untersuchen den Lebensraum Boden. Tiere in der Laub- und Nadelstreu. Marburg: Arbeitshilfe zur Umwelterziehung, Schulbiologiezentrum des Landekreises Marburg-Biedenkopf., . Auflage, S. ff. Beller, J. (2006): Bodeneigenschaften und Insekten/Spinnen. In: Bodenschutz – eine Aufgabe des Naturschutzes?, S. 5. 31. Berenbaum, M. R. (1997): Blutsauger, Staatsgründer, Seidenfabrikanten. Die zwiespältige Beziehung zwischen Mensch und Insekt. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag, S. 160. 32. Europäische Kommission (2010): Optionen für ein Biodiversitätskonzept und Biodiversitätsziel der EU für die Zeit nach 2010. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und en Ausschuss der Regionen. Brüssel: Europäische Kommission, S. 2. 33. Convention on Biological Diversity (2010): Global Biodiversity Outlook 3. Montreal: Secretariat of Convention on Biological, S. 24. 34. Convention on Biological Diversity (2010): Global Biodiversity Outlook 3. Montreal: Secretariat of Convention on Biological, S. 9. 35. Ebenda. 36. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2007): Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. Berlin: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, S. 17. 37. Bundesamt für Naturschutz (2012): Hintergrundinfo: Naturschutz / Biologische Vielfalt / Daten zur Natur, 20 Jahre nach Rio: Daten zur Natur ermöglichen Standortbestimmung zu Schutz und Entwicklung der biologischen Vielfalt. Bonn: Bundesamt für Naturschutz, S. 4. 38. Deutsche Bundesregierung (2012): Nationale Nachhaltigkeitsstrategie, Fortschrittsbericht 2012. Berlin, S. 71 f. 39. Millennium Ecosystem Assessment (2005): Ecosystems and Human Well-being: Biodiversity Synthesis. Washington, D.C.: World Resources Institute, S. 3 f. 40. Townsend, C. R. et al. (2003): Ökologie. Heidelberg/Berlin: Springer Verlag, 2nd Edition, S. 391 ff. 41. Bosch, S. (2003): Segler am Sonnenhimmel. Niebüll: Verlag Videel,S. 32. Und: Bauer, H. G. et al. (2011): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Ein umfassendes Handbuch zu Biologie, Gefährdung und Schutz. Wiebelsheim: AULA-Verlag, S. 745. 42. Erwachsene Drosseln benötigen pro Tag ca. zehn Prozent ihres Körpergewichtes an Nahrung. Das entspricht ca. sieben Gramm und damit rund 1.000 kleinen Insekten. Melde, M. (1991): Die Singdrossel. Turdus philomelos. Wittenberg Lutherstadt: Ziemsen Verlag, S. 79 ff. 43. Löhrl, H. (1991): Die Haubenmeise. Parus cristatus. Wittenberg Lutherstadt: Ziemsen Verlag, S. 99. 44. Löhrl, H. (1991): Die Haubenmeise. Parus cristatus. Wittenberg Lutherstadt: Ziemsen Verlag, S. 97 ff. 117 Anmerkungen 45. Wimmer, N.; Zahner, V. (2010): Spechte. Ein Leben in der Vertikalen. Karlsruhe: G. Braun Buchverlag, S. 22 ff. 46. Korodi Gal, ). : Contribuții la cunoașterea biologiei reproducerii și hranei puilor la ghionoaia verde (Picus viridis L.). Muzeul Brukenthal. Studii și Comunicări. Științele Naturii, . )n: Bauer, K.M.; Glutz von Blotzheim, U.N. (2001): Handbuch der Vögel Mitteleuropas, S. 329-336. 47. 48. 49. Berenbaum, M. R. (2001): Unerwarteter Weltuntergang. Was geschähe, wenn plötzlich alle Insekten aussterben würden? In: Neue Züricher Zeitung Folio, Juli 2001, S. 18. Eckmann, R.; Schleuter-(ofmann, D. : Der Flussbarsch - Perca fluviatilis: Biologie, Ökologie und fischereiliche Nutzung. (ohenwarsleben: Westarp-Wissenschaft, S. 74. Capinera, J. L. (2010): Insects and Wildlife. Arthropods and their Relationships with Wild Vertebrate Animals. Oxford: Wiley-Blackwell, S. 152 ff. 50. Losey, J.E.; Vaughan, M. (2006): The economic value of ecological services provided by insects. In: Bioscience, S. 311 ff. 51. Klewen, R. (1991): Landsalamander Europa: 1. Die Gattungen Salamandra und Mertensiella. Wittenberg Lutherstadt: Ziemsen-Verlag, . Auflage, S. ff. 52. 53. Klewen, R. (1991): Landsalamander Europa: 1. Die Gattungen Salamandra und Mertensiella. Wittenberg Lutherstadt: Ziemsen-Verlag, . Auflage, S. ff. Grosse, W. R. (1994): Der Laubfrosch. Hyla arborea. Magdeburg: WestarpWissenschaften, S. 169 ff. 54. Kuzmin, S. L. (1995): Die Amphibien Russlands und angrenzender Gebiete. Magdeburg: Westarp-Wissenschaften, S. 170 ff. 55. Günther, R. (1990): Die Wasserfrösche Europas. Anura-Froschlurche. Wittenberg Lutherstadt: Ziemsen Verlag, S. 91. 56. Grosse, W. R. (1994): Der Laubfrosch. Hyla arborea. Magdeburg: WestarpWissenschaften, S. 89 ff. 57. Grosse, W. R. (1994): Der Laubfrosch. Hyla arborea. Magdeburg: WestarpWissenschaften, S. 90. 58. Witte, G. R. (1997): Der Maulwurf. Talpa europaea. Magdeburg: WestarpWissenschaften, S. 105 ff. 59. Witte berichtet, dass der Nahrungsbedarf eines Maulwurfes mit 62,6 Prozent seines Körpergewichtes berechnet werden konnte. Daraus hat der Autor berechnet, dass der Maulwurf bei einem durchschnittlichen Gewicht zwischen 60 und 150 Gramm ca. 50 Gramm Biomasse zu sich nehmen muss. Witte, G. R. (1997): Der Maulwurf. Talpa europaea. Magdeburg: Westarp-Wissenschaften, S. 102. 60. Schober, W. (1998): Die Hufeisennase: Rhinolophidae. Hohenwarsleben: Westarp-Wissenschaften, S. 29. 61. Schober, W. (1998): Die Hufeisennase: Rhiholophidae. Hohenwarsleben: Westarp-Wissenschaften, S. 94 & 67 ff. 62. Einen Überblick über die Aktivitäten zeigt: Food and Agriculture Organization of the United Nations (2013): Edible insects. Future prospects for food and feed security. Rome: FAO, S. 35 ff. 118 Anmerkungen 63. Food and Agriculture Organization of the United Nations (2013): Edible insects. Future prospects for food and feed security. Rome: FAO, S. 24 ff. 64. Ein guter Überblick über ausgezeichnete Ernährungswerte von )nsekten findet sich bei: Food and Agriculture Organization of the United Nations (2013): Edible insects. Future prospects for food and feed security. Rom FAO, 162 ff. 65. Food and Agriculture Organization of the United Nations (2013): Edible insects. Future prospects for food and feed security. Rom: FAO , S. 68f. 66. Food and Agriculture Organization of the United Nations (2013): Edible insects. Future prospects for food and feed security. Rom: FAO , S. 73. 67. Food and Agriculture Organization of the United Nations (2013): Edible insects. 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Trieste: United Nations Industrial Development Organization and the International Centre for Science and High Technology, S. 1 ff. Und: WHO (2003): Traditional medicine. Fact sheet No. 134. www.who.int/mediacentre/ factsheets/2003/fs134/en/ (Zugriff: 7.8.2015). 120. O’Toole, C. (2000): Faszinierende Insekten. Wunder und Rätsel einer fremden Welt. Augsburg: Weltbild Verlag, S. 209. 121. Rufli, T. : Biochirurgie, bewährtes Verfahren in der Wundbehandlung. )n: Deutsches Ärzteblatt, Heft 30, 26.07.2002, S. A 2038. 122. Berenbaum, M. R. (1997): Blutsauger, Staatsgründer, Seidenfabrikanten. Die zwiespältige Beziehung von Mensch und Tier. Heidelberg: Spektrum Akad. Verlag, S. 179 ff. 123. Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie e.V. (2014): Jahresbericht 2012/2013. Frankfurt am Main: Verband der deutschen Lack- und Farbenindustrie e.V., S. 34 ff. 124. Markus, M. (2014): Unsere Welt ohne Insekten? Ein Teil der Natur verschwindet. Stuttgart: Franck-Kosmos Verlag, S. 21. 125. 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Einen guten Überblick über Studien zu den Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die Qualität der natürlichen Lebensräume mit besonderer Berücksichtigung der Insektenbiotope gibt Camille Parmesan (2006). Einige der nachstehenden zitierten Studien wurden hier entnommen. Parmesan, C. (2006): Ecological and Evolutionary Responses to Recent Climate Change. In: Annual Review of Ecology, Evolution, and Systematics, Vol. 37, S. 637-669. 276. Bradley, N. L. et al. : Phenological changes reflect climate change in Wisconsin. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA, Vol. 96, S. 9701 ff. 277. Gibbs J. P., Breisch A. R. (2001): Climate warming and calling phenology of frogs near Ithaca, New York, 1900-1999. In: Conserv. Biol., Volume 15, S. 1175 ff. 278. Crick H. Q., Dudley C., Glue D. E. (1997): UK birds are laying eggs earlier. In: Nature, No. 388, S. 526. 279. Forister M. L., Shapiro A. M. : Climatic trends and advancing spring flight of butterflies in lowland California. )n: Glob. Change Biol. 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Bonn: BMELV, S. 12. 132 Anmerkungen 311. Bundesamt für Naturschutz (BfN) (2011): Band 3: Wirbellose Tiele (Teil 1). In: Naturschutz und Biologische Vielfalt, Heft 70 (3), S. 405. 312. FAO (2015): FAO, Statistics Division 2015. Rom. http://faostat.fao.org/site/567/ desktopdefault.aspx#ancor (Zugriff: 3.11.2015). 313. Meissle, M. et al. (2009): Pests, pesticide use and alternative options in European maize production: current status and future prospects. In: Journal of Applied Entomology, Vol. 134. Blackwell Verlag, S. 363 f. 314. Gaspers, C. (2009): The European corn borer (Ostrinia nubilalis, Hbn.), its susceptibility to the Bt-toxin Cry F, its pheromone races and its gene flow in Europe in view of an Insect Resistance Management. Dissertation Universität Aachen, S. 1. 315. Baufeld, P.; Unger, J.-G.; Heimbach, U. (2011): Westlicher Maiswurzelbohrer. Informationsblatt des JKI. Braunschweig: Julius Kühn-Institut, S. 1. 316. Entrup, N. L.; Kivelitz, H. 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G., Morris, R. K. A. (2014): A review of the scarce and threatened flies of Great Britain. Part : (overflies family Syrphidae. Nature Conservation Committee. Natural England (2015): A review oft he beetles of Great Britain. The Darkling Beetles and their allies. Natural England Commissioned Report NECR148; für Frankreich: Le Comité français de l’Union internationale pour la conservation de la nature (UICN) (2014): La Liste rouge des espèces menacées en France. Papillons de jour de France métropolitaine. 327. Beispielhaft zu nennen sind: International Union for Conservation of Nature : European Red List of Bees. Luxembourg: Publications Office of the European Union, S. 10 ff.; International Union for Conservation of Nature (2010): European Red List of Syproxylic Beetles. Luxembourg: Publications Office of the European Union, S. 10 ff. 328. International Union for Conservation of Nature (2010): European Red List of Butterflies. Luxembourg: Publications Office of the European Union, S. viii ff. 329. International Union for Conservation of Nature (2010): European Red List of Dragonflies. Luxembourg: Publications Office of the European Union, S. vii ff. 330. Die Situation in Deutschland ist auch repräsentativ für Österreich und die Schweiz. Für Österreich: Österreichisches Umweltbundesamt (2005, 2006, 2009): Rote Listen. Band 14/1 (2005), Band 14/2 (2006) und Band 14/3 (2009). Wien: Österreichisches Umweltbundesamt, S. 1 ff. Für die Schweiz: Bundesamt für Umwelt (BAFU) (2011, 2012, 2014): Gefährdete Arten in der Schweiz. Synthese Rote Listen, Stand , Rote Listen Eintagsfliegen, Steinfliegen, Köcherfliegen , Rote Liste der Tagfalter und Widderchen (2014). Bern: Bundesamt für Umwelt, S. 1 ff. 331. Bundesamt für Naturschutz (BfN) (2011): Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1). In: Naturschutz und Biologische Vielfalt, Heft 70 (3), S. 13 ff. 332. Bundesamt für Naturschutz (BfN) (2012): Pressehintergrund, Rote Liste, Band 3 – Wirbellose Tiere (Teil 1), Bonn, S. 1. 333. Bundesamt für Naturschutz (BfN) (2012): Pressehintergrund, Rote Liste, Band 3 – Wirbellose Tiere (Teil 1), Bonn, S. 1. 334. Bundesamt für Naturschutz (BfN) (2012): Pressehintergrund, Rote Liste, Band 3 – Wirbellose Tiere (Teil 1), Bonn, S. 2. 335. Bundesamt für Naturschutz (BfN) (2011): Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1). In: Naturschutz und Biologische Vielfalt, Heft 70 (3), S. 483. 336. Dullingera, S.; Esslb, F. u. a. (2007): Europe‘s other debt crisis caused by the long legacy of future extinctions. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), Volume 110, No. 18., O.O., S. 7342 ff. 337. Wilson, E. O. (1997): Der Wert der Vielfalt, Die Bedrohung des Artenreichtums und das Überleben des Menschen. München: Piper Verlag, S. 171. 338. Reckhaus, H.-D. (2015): Insect Respect. Das Gütezeichen für mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit )nsekten. . aktualisierte Auflage. Bielefeld, Gais: )nsect Respect, S. 8 ff. 134 Warum jeder Austausch zählt Vor drei Jahren dachte ich zum ersten Mal über den Wert von Insekten nach. Frank und Patrik Riklin konfrontierten mich als Biozid-Hersteller mit der Frage: „Wie viel Wert hat eigentlich eine Fliege?“ Die beiden Künstler trafen mich mitten ins Herz, wofür ich ihnen immer dankbar bleiben werde. Ich stellte unsere Insektenbekämpfungsprodukte in Frage und fing begeistert an, mich mit der Nützlichkeit und der Bedrohung von Insekten zu beschäftigen. Als ausgebildeter Ökonom stiess ich bei den entomologischen Zusammenhängen oft an meine Grenzen. Glücklicherweise konnte ich den Biologen Stephan Liersch um Rat fragen, mit dem ich schon lange zusammen arbeite. Ich bin sehr dankbar dafür, dass er als Insektenliebhaber akribisch meine Aufzeichnungen studierte und mich auf zahlreiche Fehler im Skript aufmerksam machte. Die Überführung des Manuskriptes in eine Buchfassung konnte mir ebenfalls nicht allein gelingen. Die Nachhaltigkeitsspezialistin Tina Teucher formte als Lektorin nicht nur die Sprache im Text, stellte alle Bilder zusammen und überprüfte und vereinheitlichte die Anmerkungen. Sie hatte auch die Idee für den wunderbaren Buchtitel und das Fazit im vierten Kapitel. Aufgrund ihrer aufwendigen Recherchearbeit zu vielen Details wiess sie mich ebenfalls auf zahlreiche Fehler hin. Vielen Dank für die grossartige Zusammenarbeit. Ohne meine Frau Julianne wäre das Buch viel fragmentarischer geworden. Herzlichen Dank für ihre Motivation, mir noch mehr Zeit für das Thema zu nehmen sowie für viele sprachliche Korrekturen. Für das eindrucksvolle Vorwort möchte ich Dr. Hans Rudolf Herren ganz besonders danken. Ich schätze es sehr, dass Hans Herren und seine Biovision – Stiftung für ökologische Entwicklung unsere Arbeit unterstützen. Danken möchte ich auch meinem Bruder Arne Kraeft sowie allen Mitarbeitern in Bielefeld und Gais, insbesondere Silvia Oertle. Sie hielten mir im Unternehmen den Rücken frei. 135 klimaneutral natureOffice.com | CH-354-070528 gedruckt Klimaneutral gedruckt auf Prozent Recyclingpapier, FSC-zertifiziert Gedruckt in Österreich Warum Insekten mehr Respekt verdienen Es ist höchste Zeit, Insekten zu respektieren – gerade weil wir sie manchmal bekämpfen. Nicht nur bevölkerten Insekten die Erde schon Millionen von Jahren vor dem Menschen. Sie übernehmen auch viele wertvolle Funktionen. Edward Wilson, der renommierte amerikanische Entomologe, hat errechnet, dass wir ohne Insekten nur noch wenige Monate überleben könnten. Zehn gute Gründe, Insekten zu respektieren 1. Resilienz: Insekten geben der Natur mehr Widerstandskraft. 2. Bestäubung: Insekten halten die Pflanzenwelt am Leben. 3. Ökosystem: Insekten sind ein wichtiger Teil der Nahrungskette. 4. Futter und Essen: Insekten sichern die Welternährung. 5. Hygiene: Insekten befreien uns von «Müll». 6. Böden: Insekten machen unsere Erde fruchtbar. 7. Kleidung: Insekten sind für die Textilproduktion unentbehrlich. 8. Industrie: Insekten produzieren Chemikalien. 9. Medizin: Insekten heilen. 10. Forschung: Insekten sind wissenschaftlich äusserst wertvoll. Der Animationsfilm «Kleine Riesen» veranschaulicht in vier Minuten, warum Insekten den Respekt der Menschheit verdienen. www.insect-respect.org/respekt/wert-der-insekten.html Bedrohliche Schädlinge oder bedrohte Nützlinge? Die Bartmücken sind wunderbare Insekten. Die Tiere sind so winzig und einmalig geformt, dass sie die kleinen und engen Blüten des Kakaobaumes besonders gut bestäuben können. Ohne sie gäbe es viel weniger Schokolade. Andere Insekten verbinden wir eher mit den Schäden, die sie anrichten. Mücken und Wespen stechen uns. Mottenlarven schädigen Textilien und verunreinigen Lebensmittel. Ameisen untergraben unsere Wege und Fliegen sind einfach nur lästig. Doch wie steht es tatsächlich um unser Verhältnis zu den Insekten? Sind sie eher nützlich oder schädlich? Welche Rolle spielen sie in der Welt? Wie wirkt sich der Klimawandel aus: Wird die Zahl der Insekten weiter zunehmen? Dieses Buch diskutiert die nützlichen und schädlichen Wirkungen von Insekten und setzt sich mit ihrer Entwicklung und ihrer Bedeutung für die Biodiversität auseinander. « Mit diesem Buch gelingt Dr. Hans-Dietrich Reckhaus ein aktueller Überblick über das Verhältnis zwischen Mensch und Insekt. Die gut recherchierten Zahlen und Zusammenhänge versetzen den Leser in Erstaunen und Respekt vor diesen oft missverstandenen Tieren. » Dr. Hans R. Herren, Pionier der biologischen Schädlingsbekämpfung, Präsident der Millennium Foundation, Träger des Alternativen Nobelpreises Der Autor Dr. Hans-Dietrich Reckhaus ist geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Familienbetriebs. Das Unternehmen stellt seit 60 Jahren Biozide her und ist in Deutschland und der Schweiz ansässig. Mit dem 2012 lancierten Gütezeichen «Insect Respect», das Ausgleichsflächen für eine ökoneutrale Insektenbekämpfung schafft, strebt der Unternehmer eine nachhaltige Transformation seiner Branche an. 2014 erhielt er dafür den deutschen Vordenker-Preis. Dr. Reckhaus referiert und publiziert regelmässig zu Fragen der KMUFührung und Nachhaltigkeit.