Im Fixerstübli für Rap Junkies

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Im Fixerstübli für Rap Junkies
Mittwoch, 18. Mai 2011 Agenda Seite 29
FILMKOMÖDIEN
Showtime
Lachen ist wieder
salonfähig
Seicht war gestern, heute
lacht man mit Gehalt:
Europäische Komödien
gehen neue Wege, so auch
«Fliegende Fische» und
«Almanya». SEITE 27
www.bernerzeitung.ch
am Fänster, luegt ume, zu sim
Loch us / es schmöckt nach früscher Wösch us em Chäuer vom
Hochhus / (. . . ) / t’Frou Dättwyler isch scho bsoffe u ig schribe
Gedicht / när bechumi aube Hunger, Gott, was wotti no verzeue? /
Pizza Babylon versteit nie was i
wot bsteue.»
Im Fixerstübli für Rap-Junkies
Kreativer Haufen: Die vier Jugendfreunde Phantwo, Poul Prügu, Krust und Greis (von links) von PVP schaffen es, Filme im Kopf ihrer Zuhörer zu starten.
RAP Das lange Warten auf PVP hat wieder mal ein Ende: Am
Freitag erscheint nach fast sieben Jahren das zweite Album der
Berner Rapper. «Es geit» wäre die falsche Antwort auf die Frage,
ob «Es geit» gut sei. Es ist ziemlich beeindruckend.
1997 wars, als die vier rappenden
Berner Jugendfreunde von PVP
erstmals einen Song auf einem
Tonträger veröffentlichten. Damals sagten sie: 1998, vielleicht
1999, erscheint unser erstes echtes Album. Es kam eine Single,
ja.
Das erste Album «Eifach nüt»
erschien erst sieben Jahre später,
im Sommer 2004. Dann liessen
Greis, Krust, Phantwo und Poul
Prügu im Internet verlauten:
2007 oder 2008 kommt unser
neues Album. Und jetzt erst hat
das lange Warten auf PVP wieder
mal ein Ende. Übermorgen Freitag erscheint «Es geit».
Sie seien ja «Sehr-sehr-sehrProfis» in der Disziplin Albenankündigung, sagt Greis im Gespräch, das sei zuzugeben. Es
habe aber halt einfach gedauert,
bis alle vier Mitglieder von PVP
wieder einmal gleichzeitig ein
bisschen Zeit gehabt hätten.
Jobs, Vaterpflichten, Soloprojekte. Und, und, und.
Die Filme im Kopf
Nun, als Hörer kann man froh
sein, dass die Rapper wieder einmal Zeit füreinander gefunden
haben und Songs, die in den letzten vier Jahren entstanden sind,
auf einer Platte vereint haben.
«Es geit» ist ein vielschichtiges,
spannendes Rap-Album in bester
PVP-Tradition geworden.
Die Beats sind noch immer
klassisch geradlinig, die Samples
griffig, die Melodien eingängig.
Die Texte sind PVP as its best,
zum Glück: Posing und Pathos,
Ironie und Ideologie. Poul Prügu
ist der Grobe mit den merkwürdig in die Länge gezogenen Endungen in seinen Raps geblieben,
Greis der Welterklärer, Krust der
Trockene mit dem verschlucktgerollten R und Phantwo der
Düstere, Bildhafte, technisch
Perfekte. Und alle rappen so
selbstverständlich, so auf den
Punkt, es tönt förmlich hinge-
«Unser Spielplatz
ist grösser
geworden.»
PVP-Rapper Greis
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zvg
schmissen. Die Wir-sind-besserund-wir-müssen-das-gar-nichtbeweisen-Attitüde haben PVP
seit «Eifach nüt» noch perfektioniert.
Besonders beeindruckend ist,
wie PVP es schaffen, Filme im
Kopf der Zuhörer zu starten:
Kino fürs Ohr, auch wenn es abgedroschen klingen mag. Herausgehoben sei hier Phantwo: Der
vielleicht
meistunterschätzte
Rapper des Landes zeichnet etwa
in «Zivisolation» Bilder, stark wie
auf der Leinwand: «Chinder am
im Sand boue / Auti wo ne Stei
schriisse / u mittu auti Froue mit
so Igeli-Friise / (. . . ) / eine roucht
Die Fahrt nach Olten
Hip-Hop, meint Greis, sei ja primär ein Sammelbecken für Menschen mit niedrigem Selbstbewusstsein. Er und seine drei
Freunde aber seien mit ihren
mittlerweile 30 und mehr Jahren
weniger verbissen darin als früher, sich ihr Selbstbewusstsein
eben nur in diesem Becken zu holen. «Unser Spielplatz», sagt
Greis, «ist grösser geworden.»
Und so bietet «Es geit» einen
verkappten Lovesong («I hasse
mini Fründin»), Sozialkritisches
(«Diktator»), Politisches («Arena»),
Selbstreflektierendes
(«Boumhuus») und Selbstbeweihräucherung («Würgegriff»).
Am stärksten aber ist die Scheibe überall dort, wo PVP Geschichten erzählen, Storytelling
nennt sich das auch in der RapSprache. Auf dem Song «Olten»
zum Beispiel. Phantwo passiert
hier etwas, was allen schon mal
passiert ist: Ein Drogensüchtiger
will sich Geld ausleihen, weil er
unbedingt den Zug nach Olten
nehmen müsse. Der Angesprochene bietet ihm eine Autofahrt
nach Olten an – denn: «itz weimer luege, ob er lügt oder nid».
Was dann folgt, ist eine aberwitzige und einigermassen ernüchternde Fahrt, erzählt aus der
Sicht des Fahrer und des Junkies
– «verby am Ochse, Leue, Bäre,
Hirsche» nach Olten und zurück
nach Bern, «die letschtä Kurve dr
Nordring z derabb».
«Es geit» wäre die falsche Antwort auf die Frage, ob «Es geit»
gut sei. Das neue Album von PVP
ist sehr gut. Man kann Krust deshalb guten Gewissens beipflichten, wenn er in «Würgegriff»
rappt: «Mir si es Fixerstübli für
Rap-Junkies / drum wotti Cash
gse vom Staat u Kanton / vo diverse Gmeinde u vo verschidne
Fonds».
Fabian Sommer
PVP: «Es geit», Soundservice,
erscheint diesen Freitag.
Die sinnliche Fee und der wortlose Chor
Blechflöte, verwendet sie ebenso
unverfroren wie Meeresrauschen und Vogelgezwitscher.
Nun, sechs Jahre nach «Aerial», erscheint «Director’s Cut»:
Zu hören sind keine neuen Songs,
dafür bearbeitete die 52-Jährige
Tonspuren aus den Alben «The
Sensual World» (1989) und «The
Red Shoes» (1993) und spielte einiges neu ein.
KATE BUSH Mit «Director’s
Cut» veröffentlicht die Engländerin alte Musik, die sie neu
bearbeitet hat. Die Songs
kommen ruhig und entschlackt daher.
In der Welt von Kate Bush läuft
alles ein wenig anders. Viele
Künstler wären längst in Vergessenheit geraten, würden sich
zwischen ihre Alben so viele Jahre schieben wie bei der englischen Singer-Songwriterin: Auf
das letzte Studioalbum «Aerial»
(2005) warteten die Fans ganze
zwölf Jahre lang. Kate Bushs
erste und bisher letzte Tournee
fand in den Siebzigerjahren
statt. Sie gibt selten Konzerte,
noch seltener Interviews und
lebt mit Mann und Sohn zurückgezogen in der Nähe von
London.
Nahm alte Songs unter die Lupe: Kate Bush.
Auch musikalisch reiste die
Frau mit der feenhaft hohen
Stimme immer auf ihrer eigenen
Umlaufbahn. Trends und Zeitgeist waren für sie noch nie be-
zvg
achtenswerte
Orientierungspunkte. So war sie eine der Ersten, die elektronische Samples in
der Popmusik einsetzten. Spinett
und Tin Whistle, eine irische
Warten auf James Joyce
Natürlich machte es sich Kate
Bush dabei nicht leicht. Drei
Songs entstanden komplett neu,
anderen verlieh sie in sorgfältiger
Feinarbeit den (endgültig) letzten Schliff. Die Schlagzeugspur
und der Gesang sind für alle
Songs neu aufgenommen worden. Eine besondere Geschichte
verbirgt sich hinter dem Stück
«The Sensual World»: Denn mit
«Flower of Mountain», wie der
Song nun heisst, konnte Kate
Bush nachholen, was 1989 nicht
möglich war: Damals schon wollte die Musikerin für den Songtext
Elemente aus «Ulysses» von
James Joyce verwenden, doch sie
bekam keine Genehmigung, den
Text zu benutzen. Letztes Jahr
fragte sie noch einmal an, und die
Erben des Schriftstellers gaben
ihr schliesslich die Erlaubnis.
Musikalisch wurde dann nicht
mehr viel gebastelt: Die Glockenschläge am Anfang sind noch da,
auch die für das Original charakteristische Flöte begleitet noch
den James-Joyce-Text.
Klavier statt Klimbim
Generell nimmt Kate Bush mehr
weg, als sie hinzufügt. Sie kürzt,
entschnörkelt, setzt auf Klavier
statt Synthesizer und Klimbim.
Dadurch wirken die Songs definierter. Kate Bush singt zudem in
tieferen Lagen, was ihrer Stimme
Wärme verleiht und sie satter
klingen lässt. Weniger feenhaft,
dafür um einiges sinnlicher. Davon profitiert auch das wunderschön entschleunigte «Moments
of Pleasure». Sie entzieht dem
Song das Pathos, indem sie ihn
auf eine Klavierstimme reduziert
und dafür mit einem wortlos
summenden Chor ergänzt.
Kate Bush sei nun daran, Songs
für ein neues Album zu schreiben, liess ihre Plattenfirma verlauten. Wann es erscheinen wird,
ist noch unklar – in der zauberhaften Welt der Kate Bush
herrscht eben eine andere Zeitrechnung.
Maria Künzli
Kate Bush: «Director’s Cut»,
Fish People/ EMI.