Terrorismus - Historisches Lexikon der Schweiz

Transcription

Terrorismus - Historisches Lexikon der Schweiz
1/2
15/08/2012 |
Terrorismus
Eine allg. Definition von T. fehlt. Meist werden darunter schwere,
politisch-ideologisch motivierte Gewalttaten zur Erlangung von
Aufmerksamkeit sowie Erzielung von Angst und Schrecken verstanden.
In der Regel wird T. mit extremist. Gruppen in Verbindung gebracht, die
mit ihren Aktionen Veränderungen der Staats- und
Gesellschaftsordnung erzwingen wollen. Der Begriff Terror kam als
Kampfbegriff während der Franz. Revolution auf, als der
Wohlfahrtsausschuss versuchte, seine Revolutionsziele mittels der
terreur (Schrecken) durchzusetzen. Die Schweiz war wenig und meist
nur indirekt vom T. betroffen. Ihre staatl. Ordnung wurde durch den T.
nie ernsthaft gefährdet. Auch polit. Morde, die keinen T. im engeren
Sinn darstellten, waren selten: Ausnahmen bildeten im 19. Jh. die
Ermordung des kath.-konservativen Führers Josef Leu 1845 im Zug der
Eskalation der Parteiengegensätze im Kt. Luzern sowie jene des
konservativen Tessiner Polizeidirektors Luigi Rossi 1890 während der
Tessiner Wirren.
Dieser Artikel wurde
für die Buchausgabe des HLS mit einem
Bild illustriert. Bestellen Sie das HLS bei
unserem Verlag.
Anarchisten im Schweizer Exil begrüssten in der 2. Hälfte des 19. Jh. Attentate gegen europ. Machthaber
(Anarchismus). Im Rahmen der sog. Propaganda der Tat wurden Anschläge von der Schweiz aus geplant.
1898 ermordete der ital. Anarchist Luigi Luccheni in Genf Ks. Elisabeth von Österreich. Auf die anarchist.
Gewalt reagierte die Schweiz mit Landesverweisen und gesetzl. Massnahmen (Staatsschutz). Zwar wurde
1902 ein Sprengstoffanschlag auf die Genfer St. Peterskirche verübt, doch bis in die 1960er Jahre kam es nur
noch zu einzelnen Anschlägen, hinter denen meist Einzeltäter und nicht organisierte Gruppen mit ideolog.
Zielen standen. 1961 verübte der kleine Anarchistenzirkel Ravachol ein Attentat auf das span. Konsulat in
Genf.
International setzte sich der Begriff T. ab den 1970er Jahren durch, als nationalist. Gruppen wie die Palestine
Liberation Organization (PLO) im Nahen Osten, die Irish Republican Army (IRA) in Nordirland oder die Euskadi
Ta Askatasuna (ETA) in Spanien ihren Kampf gegen die Zentralregierung begannen und dabei auch gezielt
Menschen töteten. Die Sabotageaktionen jurass. Separatisten (Berner Jura), v.a. des Front de libération
jurassien, fallen nicht unter den Begriff T., ebenso wenig Brandanschläge und Sachbeschädigungen anderer
schweiz. Protestgruppen, da nicht der Tod von Menschen beabsichtigt war. Trotzdem blieb die Schweiz vom T.
betroffen: Nach einem 1969 verübten Anschlag auf ein israel. Flugzeug in Kloten, bei dem der Pilot ums Leben
kam, wurden die palästinens. Attentäter verhaftet und vor Gericht gestellt. Als Reaktion liess die Volksfront
zur Befreiung Palästinas 1970 eine Zeitbombe in einer in Zürich gestarteten Swissair-Maschine explodieren,
was 47 Insassen das Leben kostete. Im selben Jahr entführten palästinens. Terroristen neben zwei Flugzeugen
eine DC-8 der Swissair ins jordan. Zerka. Die 155 Passagiere und Besatzungsmitglieder kamen nach sechs
Tagen frei, während die Maschinen gesprengt wurden. Die Schweiz diente Terroristengruppen wegen ihrer
zentralen Lage in Europa und ihrer liberalen Gesetzgebung als Planungs- und Logistikzentrum. Die dt.
Anarchistische Kampforganisation (AKO) entwendete Waffen und Munition aus Depots der Schweizer Armee
und belieferte damit terrorist. Organisationen, v.a. die Gruppe um den Terroristen Carlos. 1977 wurden die
Hauptaktivisten der AKO verhaftet und verurteilt. Auch Mitglieder der dt. Roten Armee Fraktion (RAF) hielten
sich bisweilen in der Schweiz auf, wo sie von der sog. Gruppe Bändlistrasse unterstützt wurden. 1979 überfiel
ein Kommando der RAF eine Filiale der Schweizer Volksbank in Zürich. Auf ihrer Flucht erschossen die Täter
eine Passantin und verletzten drei Personen. Trotz der Zunahme des T. lehnte das Volk 1978 den Aufbau einer
Antiterroreinheit des Bundes ab.
In den 1980er Jahren wurde die Schweiz zur Zielscheibe armen. Terroristengruppen, deren Schläge auf Türken
zielten und die später damit ihre inhaftierten Kollegen freipressen wollten. Die Armenian Secret Army for the
Liberation of Armenia stand 1980 hinter zwei Anschlägen auf schweiz. Büros in Rom. 1981 erschoss sie einen
türk. Botschaftssekretär in Genf. Bald darauf übernahm die Untergruppe 9. Juni die Verantwortung für einen
URL: http://www.hls-dhs-dss.chD17353.php
© 1998-2017 HLS: Alle Urheberrechte dieser elektronischen Publikation sind beim Historischen Lexikon der Schweiz, Bern. Für alle
elektronisch publizierten Texte gelten dieselben Regeln wie für eine gedruckte Veröffentlichung. Nutzungsrechte und Zitierrichtlinien (PDF)
2/2
Bombenanschlag auf ein Lausanner Einkaufszentrum, bei dem 20 Personen verletzt wurden. Neben diesen
Anschlägen sah sich die Schweiz 1982 auch mit der Besetzung der poln. Botschaft und 1987 mit der
Entführung eines Flugzeugs der Air Afrique nach Genf-Cointrin konfrontiert.
Seit den 1990er Jahren macht der islamist. T. mit blutigen Anschlägen auf sich aufmerksam. 1997 wurden im
ägypt. Luxor 68 Personen, davon die Hälfte Schweizer Touristen, von Attentätern der Gama-a al Islamiya
erschossen. Bei weiteren islamist. Anschlägen im Ausland gab es wiederholt Schweizer Opfer, so bei
Bombenexplosionen 2002 in einer Diskothek auf Bali und 2011 in einem Café in Marrakesch. Nach den am 11.
Sept. 2001 in den USA verübten Attentaten durch das T.-Netzwerk der al-Kaida richtete auch die Schweiz ihre
Sicherheitspolitik verstärkt auf diese Bedrohung aus. Schon in den 1980er Jahren waren die
Strafrechtsbestimmungen verschärft und zahlreiche Personen - meist zu Unrecht - als potenzielle Terroristen
registriert worden. Ferner wurde die Bundespolizei ausgebaut. Der 2000 geschaffene Dienst für Analyse und
Prävention diente ebenfalls der Bekämpfung des T. 2003 ratifizierte die Schweiz zwölf UNO-Übereinkommen
und Zusatzprotokolle zur Bekämpfung des T. und führte eine allg. Terrorismusstrafnorm sowie eine Strafnorm
zur Terrorismusfinanzierung ein. In der Folge kam es zu mehreren Verurteilungen.
Quellen
– Staatsschutzber., 1993– Lage- und Gefährdungsanalyse Schweiz nach den Terroranschlägen vom 11. Sept. 2001: Ber. des
Bundesrates an das Parlament, 2002
Literatur
– D. Wisler, La violence politique en Suisse et les mouvements sociaux, 1969-1990, 1992
– Staatsschutz in der Schweiz, hg. von G. Kreis, 1993
Autorin/Autor: Lucas Chocomeli
URL: http://www.hls-dhs-dss.chD17353.php
© 1998-2017 HLS: Alle Urheberrechte dieser elektronischen Publikation sind beim Historischen Lexikon der Schweiz, Bern. Für alle
elektronisch publizierten Texte gelten dieselben Regeln wie für eine gedruckte Veröffentlichung. Nutzungsrechte und Zitierrichtlinien (PDF)