Zu Herzen gehende Rufe aus der Tiefe

Transcription

Zu Herzen gehende Rufe aus der Tiefe
SÜDKURIER NR. 73 | K
M I T T W O C H , 2 7 . M Ä R Z 2 013
24 konstanzer kulturleben
Gar nicht so traurig
wie er aussieht
Zu Herzen gehende Rufe aus der Tiefe
VON LUISA RISCHE
Der Konstanzer Kammerchor
verleiht der Not des
Menschen mit ergreifenden
Darstellungen einen musikalischen Ausdruck
................................................
Den melancholischen Blick der traurigen Jungs beherrscht Tim Neuhaus
schon ganz gut. Er hat aber auch vom
Besten gelernt. Als ehemaligem Schlagzeuger von Clueso liegt Neuhaus die
Tendenz zu leicht schwermütiger Musik im Blut. Eine Garantie für Erfolg ist
das nicht. Doch im Kulturladen stellte
der deutsche Songschreiber eindrucksvoll unter Beweis, dass er mehr kann, als
nur verzweifelt dreinzublicken.
Der studierte Schlagzeuger aus Hagen
sticht nicht unbedingt aus der Masse
hervor. Aber das ist ja auch so ein Markenzeichen der neuen Musikergilde:
leicht schüchtern mit ausgewaschener
Jeans, grauem Schlabberpullover und
Drei-Tage-Bart. Höchstens die feuerroten Haare des Tim Neuhaus schaffen den
optischen Wiedererkennungseffekt.
Auf der Bühne haben Tim Neuhaus &
The Cabinet einen Multi-Instrumentalisten mit emotionaler Kopfstimme
im Angebot, einen singenden Schlagzeuger, der den qualvollen Blick der
schwermütigen Songschreiber ebenfalls beherrscht, und einen langhaarigen, schüchternen Bassisten – nichts,
was man nicht schon kannte. Was musikalisch jedoch ins Ohr sticht, ist der Synthie-Pop aus dem Keyboard und das
Singen englischer Texte – nicht gerade
üblich für einen deutschen Singer/
Songwriter. Die neuen Produktionen
vom Album „Now“ zeigen einen Künstler, der an seinen eigenen Ansprüchen
gewachsen ist. Die Lieder wirken kompletter; Tim Neuhaus hat keine Angst
vor Experimenten und zeigt die akustische Leichtigkeit eines Donavon
Frankenreiter. Die Synthie-Pop-Elemente treiben die Songs voran; hingebungsvolle „Oh’s“, „Ah’s“ und „Nana’s“
erzeugen Gänsehautmomente.
Die Live-Routine mit den neuen
Songs fehlt der Band noch etwas. Aber
es sind die improvisierten Zusammenspiele und kleinen Fauxpas, die das
Konzert durchweg interessant gestalten. Schlagzeuger Florian wirkt am Mikrofon, vorne an der Bühne, so sympathisch hilflos, dass man ihm zurufen
möchte, er solle die Stellung seiner Arme einfach für einen Moment vergessen. Mit seiner zart-rauchigen Stimme
jedoch kann er einem Philipp Poisel
Konkurrenz machen. Höhepunkt an
diesem Abend sind das treibende
„Now“, das gefühlvolle „Poor Purist“
und das mehrstimmige „As I Found
You“. Die deutschen Singer/Songwriter
zumindest, müssen Platz machen an
der Spitze der traurigen Jungs. Und so
traurig ist Tim Neuhaus auch gar nicht.
Tim Neuhaus trifft mit seiner Band The
Cabinet den musikalischen Nerv der Zuhörer
im Kulturladen Konstanz. BI LD: RI SCHE
VON REINHARD MÜLLER
................................................
Nicht Christi Leiden in großer Passion,
sondern des sündigen Menschen Not
und Hilferuf machte der Konstanzer
Kammerchor am Palmsonntag in der
Stefanskirche zum Thema. Da konnte
aus Jahrhunderten geschöpft werden,
konnten Zeitstile ein großes Spektrum
nachsinnender Kompositionen ausbreiten, konnte der Kammerchor in selten gesehener und gehörter Personalstärke von 50 Sängerinnen und Sängern
die ganze Vokalmacht aussingen, derer
die tief trauernden, bittenden und tröstenden Motetten und Instrumentaleinlagen fähig sind.
Beginn von der weit entrückt wirkenden Empore mit Arvo Pärts sozusagen
wörtlich interpretierendem „Aus der
Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“; der Männerchor arbeitete sich vom pianissimo in
beharrlich gleichmäßigem Schlag (große Trommel, Tamtam und Glocken von
Justus Auer) und rauen Sekundreibungen zum forte empor und wieder hinunter: Eindrücklich dunkle Farben
mit Orgelhintergrund, der in Michael
Radulescus „Wenn wir in höchsten Nöten seyn“ zum Orgelsolo wurde: EvaMaria Rusche holte harsche, herbe, verstimmte und dunkle Klänge aus dem
Orgelwerk, die wie die Ahnung einer
Hoffnungslosigkeit wirken mochten.
In Gregorio Allegris doppelchörigem
Renaissance-Misere kam der Kammerchor im tiefen Chorraum der Kirche zu
doppelter Klangpracht: Vorne der
Capellchor mit antiphonischen Versen,
hinten unterm Hauptaltar der kleine Favoritchor mit unglaublich hellen und
hohen Sopranstimmen, zusammengefasst vom voluminösen Gesamtchor.
Der schwierigen Achtstimmigkeit folgte
hochbarocke Sechzehnstimmigkeit (!)
von Antonio Caldara. Sie erschloss sich
nicht als Klangtumult, sondern als verzahnte Akkordfolge mit vielerlei Stimm-
Mit der Aufteilung seiner Sängerinnen und Sänger erzeugt der Kammerchor Konstanz in der Stefanskirche eine frappierende Raumwirkung
und meistert souverän hochkomplexe Stimmführungen. B ILD : OLIVE R HA NSE R
führungseffekten über der verbindenden Continuo-Orgel: Ein Crucifixus voll
symbolischen Klanggehalts und frappierender Raumwirkung. Noch ein aufsehenerregendes Werk: Carlo Gesualdos Schmerzklage „O vos omnes“ in unerhört alt-dissonanten und harmonisch
erschreckenden Renaissance-Wendungen. Eher romantisch klangschön präsentierte sich dagegen Pablo Casals’
(Komponist und berühmter Cellist) Version des „O vos omnes“, ähnlich wie Pawel Lukaszewsks Crucem tuam in traditionellem Klanggewand mit leichter
Jazzakkord-Anlehnung.
Verbindend das „De profundis“-Akkordeon-Intermedium von Sofia Gubaidulina: Als längstes Werk des Abends
(15 Minuten) weitete es sich von tremolierenden Windgeräuschen zu steigenden Clustern, spitzen Höhen, beschleunigenden Tonschreien und endlichem
Bilder sollen Blicke fangen
Margot Saydam und Susanne
Brugger eröffnen am 3. April im
Parkstift Rosenau eine gemeinsame Ausstellung
„Blickfang“ lautet das Thema der Ausstellung der Konstanzerinnen Margot
Saydam und Susanne Brugger, welche
vom 4. April bis Ende Juni im Parkstift
Rosenau zu sehen sein wird. Bereits
zum dritten Mal präsentieren die
Künstlerinnen in der Rosenau einen
Querschnitt ihres Könnens in Acryl und
Aquarell.
Unter dem Motto „Blickfang“ sollen
dieses Mal bunt gemischte Motive, sowohl abstrakt als auch gegenständlich,
die Blicke der Betrachter fangen. Der
umgebaute und neu gestaltete Eingangsbereich des Parkwohnstifts bietet
hierfür eine ideale Kulisse.
Margot Saydam, geboren 1937, gelernte Einrichtungberaterin, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Malerei. Sie verleiht ihren Arbeiten Ausdruckstärke durch die Wahl farbenfroher und blütenreicher Motive. Susanne Brugger, Jahrgang 1963, gelernte Sportlehrerin, malt intensiv seit
2003. Ihre Arbeiten mit Motiven aus
vielen Bereichen sind zeitaufwändig
und von ihrem individuellen Malstil
geprägt. Die Bilder von Margot Saydam und Susanne Brugger waren bereits in vielen Ausstellungen in der Bodenseeregion, der Schweiz und in Italien zu sehen.
Termin: Die Vernissage ist am Mittwoch,
3. April, um 18.30 Uhr in der Rosenau. Die
Laudatio hält Peter Helm. Für die musikalische Untermalung sorgt Konzertviolinist
Nikos Ormanlidis
Verklingen aus: Harald Oeler gab ein berückend meditatives Bild, dem die folgende, hier etwas programmfremde Allemande von Johan Sebastian Bach
noch cembaleske Akkordeonklänge
folgen ließ.
Mit den Chorwerken „Aus der Tiefe
rufe ich“ von Heinrich Kaminski und
Heinrich Schütz schloss sich der Themenkreis, der zeitlich so weit ausgeholt
hatte und vom in Gruppen immer wieder neu formierten, großartig tonrein
artikulierenden und klangbalancierenden, stimmtechnisch ganz herausragend geschulten Chor letzte Feinheiten
gefordert hatte. Das alles war Michael
Auer zu verdanken, der das besondere
Werkkonzept historisch auslotend entworfen, realisiert und geleitet hatte. Eine das Mittelschiff nahezu füllendes
Publikum gab langen und der Würde
der Aufführung angepassten Beifall.
Der Kammerchor
Der Konstanzer Kammerchor kann auf
eine Geschichte von über 50 Jahren
zurückblicken mit vielen musikalischen
Höhepunkten im In- und Ausland. Die
etwa 50 Mitglieder kommen aus Konstanz, dem Bodensee-Raum und der
benachbarten Schweiz. Seit 1980 leitet
Michael Auer das Chorensemble. Die
wöchentlichen Proben und die Stimmbildung finden am Montagabend im
Musiksaal des Suso-Gymnasiums in
Konstanz statt. Der Chor pflegt bewusst
ein breites musikalisches Spektrum,
das sich schwerpunktmäßig an der
gehobenen A-cappella-Literatur und an
Aufführungen oratorischer Werke
orientiert. (sk)
Rapper macht jetzt Theater
Samy Deluxe, alias Herr Sorge,
kommt mit seinem neuen Projekt
„Dunkelkammermusik“ ins Konstanzer Stadttheater
Jazz, Pop, Elektro und Rap treffen auf
klassische Elemente – Das verspricht
das neue Programm von Herrn Sorge,
alias Samy Deluxe. Zusammen mit Prof.
Weber (Florian Weber) und Dr. Zorn
(Jan van der Toorn) kommt Samy Deluxe am Montag, 8. April, nach Konstanz
ins Stadttheater. Laut einer aktuellen
Pressemitteilung des Veranstalters basiert das Live-Projekt „Dunkelkammermusik“ auf Herrn Sorges politischen
Pop-Album „Verschwörungstheorien
mit schönen Melodien“.
Als mehrfach preisgekrönter Klassikund Jazzpianist hat Florian Weber bereits mit Größen wie Lee Konitz, Albert
Mangelsdorff und Pat Metheny zusammengearbeitet. Reim-Experte und RapPoet Samy Deluxe, so meldet der Veranstalter, selbst mit diversen Awards und
Goldenen Schallplatten ausgezeichnet,
fasziniert sein Publikum immer aufs
Neue mit seinem außergewöhnlichen
Sprachtalent.
Samy Deluxe ist auf Konzertbühnen
ebenso zuhause wie in Clubs, erobert
zurzeit mit seinem Projekt „Herr Sorge“
die Theaterbühnen und begibt sich mit
„Dunkelkammermusik“ auf neue musikalische Wege. Der dritte im Bunde ist
Jan van der Toorn, laut Veranstalter ein
musikalisches Allround-Talent, der in
den 90er-Jahren unter anderem für
Snoop Dog produzierte. Er arbeitet seit
2010 eng mit Samy Deluxe zusammen.
Karten gibt es unter der Telefonnummer:
0800/880 80 00
Feinsinnig ist irgendwie anders
Hans Werner Olm gastiert im il
Boccone. Der Comedian enttäuscht seine Fans nicht, er bleibt
der Fäkalsprache treu
VON LUISA RISCHE
................................................
Spitzfindig setzt er seine verbalen Tiefschläge, bewegt sich gekonnt durch
das deutsche Fäkalvokabular und versucht seine Zuhörer mit anzüglichem
Humor zu bespaßen. Hans Werner
Olm hält nicht viel von der Gürtellinie
und wenn, liegt er sowieso darunter.
Der Comedy-Preisträger trifft den
Nerv seiner Zuhörer im il Boccone, so
bösartig und widerlich seine geradlinigen Kommentare auch sein mögen.
Olm legt nicht nur den Finger in die offene Wunde, sondern gleich die ganze
Hand und wirbelt noch kräftig darin
herum in seinem Bühnenprogramm
„Mir nach, ich folge.“
Pompös wirkt zunächst der Einmarsch des langjährigen Comedystars
mit dröhnender Lautsprecherdurchsage. Nur dauert es, bis Hans Werner Olm
mit einem schlafanzug-ähnlichen Leinen-Zweiteiler schwerfällig stöhnend
die Bühne erklimmt. Der Komiker ist
nicht mehr der jüngste. Er sei jedoch
nicht nur an Jahren, sondern auch an
Erfahrungen reicher geworden. Und
diese möchte er mit seinen Gästen teilen – als selbst ernannter Lebensberater
und Motivationscoach.
Inspirieren ließ sich Hans Werner
Olm vom Fernsehen. Wer leistet heute
schon intensivere Lebenshilfe, als das
Nachmittagsprogramm der Privatsender? So bekommen die „Adipositas-
Tümmler, verwahrlosten Messies, verliebten Bauern und Onkel Zwegert“ erst
einmal ihren Speck weg. „Peter Zwegert, der Kontenflüsterer, sollte einmal
dahin gehen, wo es nötig ist: zu Angela
Merkel in den Reichstag.“
Immerhin, für die Frauen fängt der
Abend eigentlich vielversprechend an.
Überschwänglich werden die charmanten weiblichen Gäste begrüßt, nur
um das weibliche Geschlecht in der
Folge sprichwörtlich durch den
Fleischwolf zu drehen. Denn Hans
Werner Olm hat ein Buch geschrieben
und möchte dieses in Konstanz testen.
Die Frauen sollten sich lieber verstecken, denn sie kommen neben Schwulen, Dicken und Tieren gar nicht gut
weg bei Hans Werner Olm.
Der Comedystar setzt sich also stöhnend an den kleinen Tisch mit Leselam-
pe und Wecker, platziert seinen umfänglichen Leib hinter der Tischkante
und fängt an, seine post-pubertären
Geschichten von Notizzetteln abzulesen. An Wert gewinnen die vorgelesenen Witze nicht.
Hans Werner Olm versteckt sich wie
gewohnt hinter Fäkalhumor, sexistischen Verwerflichkeiten und religiösen Beleidigungen. Der Auftritt ist eine
niveaulose Reise durch schmuddelige
Witze. Wer darüber lachen kann, kam
an diesem Abend voll und ganz auf seine Kosten. Die rund 100 Zuhörer im il
Boccone zumindest folgten gespannt
der beherrschenden Stimme des Komikers, geizten weder mit Lachern
noch mit Applaus. Als Lebensberater
oder Motivationscoach aber möchte
man Hans Werner Olm niemandem
empfehlen.
Mit seinem Programm „Mir nach, ich folge!“
traf Kabarettist und Schauspieler Hans
Werner Olm auf der Kleinkunstbühne des
Restaurants il Boccone anscheinend den
Nerv vieler seiner Zuhörer. B ILD : RISCHE